BGE 124 II 241
 
27. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. Februar 1998 i.S. Eidgenössische Steuerverwaltung gegen X., Kreiskommando Schwyz und Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
 
Regeste
Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG und Art. 1 Abs. 1 WPEV; Militärpflichtersatz; Ersatzbefreiung wegen erheblicher körperlicher oder geistiger Behinderung.
Auslegung von Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG: Der Begriff der erheblichen körperlichen oder geistigen Behinderung ist im medizinischen und nicht im invalidenversicherungsrechtlichen Sinn zu verstehen. Art. 1 Abs. 1 WPEV, wonach eine Behinderung dann als erheblich im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG gilt, wenn sie den für die Ausrichtung einer Rente der Eidgenössischen Invalidenversicherung massgebenden Mindestgrad an Invalidität erreicht, ist gesetzwidrig (E. 4).
Der teilweise Verlust eines Beines stellt für einen Forstarbeiter eine erhebliche Behinderung dar (E. 5).
 
Sachverhalt


BGE 124 II 241 (242):

X., Jahrgang 1961, von Beruf Forstwart, erlitt im Jahre 1979 bei Forstarbeiten einen Unfall. Es musste ihm der rechte Unterschenkel amputiert werden. Seither ist er auf eine Prothese angewiesen. Heute arbeitet er bei der Firma Y. in Z. Er erlitt gegenüber seinem erlernten Beruf in der Forstwirtschaft eine Einbusse beim Einkommen von 18 Prozent und erreichte damit den für eine IV-Rente (Viertelsrente) erforderlichen Invaliditätsgrad von 40 Prozent nicht (vgl. Art. 4 Abs. 1, 28 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Invalidenversicherung vom 19. Juni 1959, IVG, SR 831.20). Eine Rente der Eidgenössischen Invalidenversicherung (IV) wurde deshalb nicht zugesprochen.
Seit 1981 bezahlte X. den Militärpflichtersatz (heute: Wehrpflichtersatz). Gegen die Veranlagungsverfügung für das Ersatzjahr 1995 erhob er Einsprache und verlangte, von der Ersatzpflicht künftig befreit zu werden. Er berief sich auf den am 17. Juni 1994 revidierten Art. 4 Abs. 1 lit. a des Bundesgesetzes vom 12. Juni 1959 über den Wehrpflichtersatz (WPEG, SR 661), in Kraft seit 1. Januar 1995, und machte geltend, er erfülle die Voraussetzungen für die Befreiung von der Ersatzpflicht.
Mit Entscheid vom 15. Mai 1996 wies die kantonale Wehrpflichtersatzverwaltung (Kreiskommando Schwyz) die Einsprache ab. Zur Begründung wird ausgeführt, Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG setze für die Befreiung vom Wehrpflichtersatz unter anderem voraus, dass der Gesuchsteller erheblich körperlich oder geistig behindert sei. Gemäss Art. 1 Abs. 1 der Verordnung über den Wehrpflichtersatz vom 30. August 1995 (WPEV, SR 661.1) gelte eine Behinderung dann als "erheblich", wenn sie den für die Ausrichtung einer Rente der Eidgenössischen Invalidenversicherung massgebenden Invaliditätsgrad

BGE 124 II 241 (243):

von 40 Prozent aufweise. Dieser Mindestgrad an Invalidität werde hier nicht erreicht.
Eine Beschwerde von X. hiess das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz am 27. September 1996 gut und wies die Sache zu neuem Entscheid an die Wehrpflichtersatzverwaltung zurück. Es erwog, Art. 1 Abs. 1 WPEV widerspreche dem Gesetz und sei nicht anwendbar. Bereits Art. 4 Abs. 1 lit. abis WPEG knüpfe für die Ersatzbefreiung an die Zusprechung einer Invalidenrente oder Hilflosenentschädigung der Eidgenössischen Invalidenversicherung oder der Unfallversicherung an. Dieser Ersatzbefreiungstatbestand sei (wie auch derjenige nach lit. ater) im Rahmen der Revision 1994 in das Gesetz eingefügt worden und ergänze die Ersatzbefreiung nach lit. a. Die "erhebliche körperliche oder geistige Behinderung" im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG könne daher durch den Verordnungsgeber nicht in dem Sinne konkretisiert werden, dass sie den für die Zusprechung einer IV-Rente erforderlichen Mindestgrad an Invalidität erfordere.
Die Behinderung von X. sei erheblich. Er habe deshalb Anspruch auf Befreiung vom Wehrpflichtersatz, sofern sein Einkommen den Grenzbetrag nach Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG nicht übersteige, was von der Wehrpflichtersatzverwaltung noch zu prüfen sei.
Gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Schwyz führt die Eidgenössische Steuerverwaltung Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Sie beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass X. für das Ersatzjahr 1995 den Wehrpflichtersatz schulde.
Das Kreiskommando Schwyz beantragt, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde gutzuheissen. Das Verwaltungsgericht des Kantons Schwyz schliesst auf Abweisung der Beschwerde. X. reichte seine Vernehmlassung verspätet ein.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
 
Aus den Erwägungen:
1 Von der Ersatzpflicht ist befreit, wer im Ersatzjahr:
a. wegen erheblicher körperlicher oder geistiger Behinderung ein taxpflichtiges Einkommen erzielt, das nach nochmaligem Abzug von

BGE 124 II 241 (244):

Versicherungsleistungen gemäss Art. 12 Absatz 1 Buchstabe c sowie von behinderungsbedingten Lebenshaltungskosten sein betreibungsrechtliches Existenzminimum um nicht mehr als 100 Prozent übersteigt;
abis. wegen einer erheblichen Behinderung als dienstuntauglich gilt sowie eine Rente oder eine Hilflosenentschädigung der Eidgenössischen Invalidenversicherung oder der Unfallversicherung bezieht;
ater. wegen einer erheblichen Behinderung als dienstuntauglich gilt und keine Hilflosenentschädigung bezieht, aber dennoch eine der zwei mindestens erforderlichen Voraussetzungen für eine Hilflosenentschädigung erfüllt;
In Art. 1 Abs. 1 WPEV hat der Bundesrat Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG wie folgt konkretisiert:
1 Als erheblich im Sinne von Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a des Gesetzes gilt eine Behinderung, wenn sie den für die Ausrichtung einer Rente der Eidgenössischen Invalidenversicherung massgebenden Mindestgrad an Invalidität aufweist.
Diese Vorschrift ist erstmals für das Ersatzjahr 1995 anwendbar (Art. 59 WPEV).
b) Im vorliegenden Fall umstritten und zu entscheiden ist einzig, ob sich die Verordnungsbestimmung als gesetzmässig erweist. Die Vorinstanz ist der Ansicht, der Bundesrat habe sich bei der Konkretisierung des Begriffs der "erheblichen" Behinderung nach Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG nicht an den vom Gesetz vorgezeichneten Rahmen gehalten. Sie beruft sich unter anderem auf das Ergebnis der parlamentarischen Beratungen sowie auf die ratio legis der Gesetzesnorm.
Diese Auffassung wird durch die Beschwerdeführerin bestritten. Sie macht geltend, Voraussetzung für die Ersatzbefreiung nach Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG sei eine "erhebliche" Behinderung. Der Begriff der Behinderung werde auch im Bundesgesetz über die Invalidenversicherung (IVG) definiert. Als Invalidität im Sinne dieses Gesetzes gelte die durch einen körperlichen oder geistigen Gesundheitsschaden verursachte, voraussichtlich bleibende oder längere Zeit dauernde Erwerbsunfähigkeit (Art. 4 IVG). Massgebend für die Anspruchsberechtigung sei der Grad der Behinderung. Anspruch auf eine Viertelsrente bestehe ab einem Invaliditätsgrad von 40 Prozent (Art. 4 Abs. 1, 28 IVG). Indem Art. 1 Abs. 1 WPEV für den Begriff der "erheblichen" Behinderung im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. a

BGE 124 II 241 (245):

WPEG auf diesen Invaliditätsgrad verweise, verwende er ein einheitliches Kriterium. Auch Art. 4 Abs. 1 lit. abis und ater WPEG würden an dieses Merkmal anknüpfen.
3. Das Bundesgericht kann im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorfrageweise Verordnungen des Bundesrates auf ihre Gesetz- und Verfassungsmässigkeit prüfen. Bei unselbständigen Verordnungen, die sich auf eine gesetzliche Delegation stützen, prüft es, ob sich der Bundesrat an die Grenzen der ihm im Gesetz eingeräumten Befugnis gehalten hat. Soweit das Gesetz den Bundesrat nicht ermächtigt, von der Verfassung abzuweichen, befindet das Gericht auch über die Verfassungsmässigkeit von unselbständigen Verordnungen. Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche Delegation ein sehr weiter Bereich des Ermessens für die Regelung auf Verordnungsstufe eingeräumt, so ist dieser Spielraum nach Art. 114bis Abs. 3 BV für das Bundesgericht verbindlich. Es darf in diesem Fall bei der Überprüfung der Verordnung nicht sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen, sondern hat seine Prüfung darauf zu beschränken, ob die Verordnung den Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenz offensichtlich sprengt oder aus anderen Gründen gesetz- oder verfassungswidrig ist (BGE 122 II 193 E. 2c/bb; BGE 120 Ib 97 E. 3a; BGE 118 Ib 81 E. 3b, je mit Hinweisen).
Art. 47 Abs. 1 Satz 1 WPEG ermächtigt den Bundesrat, die Ausführungsbestimmungen zu erlassen, doch regelt das Gesetz in Art. 4 Abs. 1 lit. a-d die Ersatzbefreiungstatbestände abschliessend und relativ eingehend. Dem Bundesrat ist damit zum vornherein kein grosser Ermessensspielraum eingeräumt. Er kann im wesentlichen im Interesse einer einheitlichen Verwaltungspraxis die auslegungsbedürftigen Begriffe konkretisieren, hat sich dabei aber an die Vorgaben des Gesetzes und der Verfassung zu halten. Ob der Bundesrat bei der Konkretisierung von Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG diese Schranken beachtet hat, ist durch Auslegung der Gesetzesnorm zu ermitteln. Ausgangspunkt jeder Auslegung ist der Wortlaut, doch kann der Wortlaut einer Norm nicht allein massgebend sein, namentlich wenn der Text unklar ist oder verschiedene Deutungen zulässt. Vielmehr muss nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung weiterer Auslegungselemente, wie namentlich der Entstehungsgeschichte der Norm und ihres Zwecks. Wichtig ist auch die Bedeutung, die der Norm im Kontext mit anderen Bestimmungen zukommt (BGE 122 V 362 E. 4a; BGE 121 V 17 E. 4a; BGE 119 Ia 241 E. 7a). Das Bundesgericht hat sich bei der Auslegung von Erlassen stets

BGE 124 II 241 (246):

von einem Methodenpluralismus leiten lassen (BGE 123 III 24 E. 2a; BGE 121 III 219 E. 1d/aa) und nur dann allein auf das grammatikalische Element abgestellt, wenn sich daraus zweifellos eine sachlich richtige Lösung ergab (BGE 114 V 219 E. 3a).
b) Teleologisch zielt Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG darauf ab, den Wehrpflichtigen, dessen Einkommen wegen der Behinderung einen bestimmten Mindestbetrag nicht übersteigt, von der Ersatzpflicht zu befreien. Die Vorschrift stellt drei Voraussetzungen auf: Erstens die erhebliche körperliche oder geistige Behinderung, sodann ein bestimmtes taxpflichtiges Einkommen, gekürzt um bestimmte Abzüge, das einen bestimmten Betrag nicht überschreiten darf, sowie, drittens, einen Kausalzusammenhang zwischen beiden. Es ist klar, dass der Behinderung eine gewisse Schwere zukommen oder sie mit anderen Worten ernsthaft ins Gewicht fallen muss, damit sie als ursächlich für die Bedürftigkeit bezeichnet werden kann. Das Gesetz spricht denn auch von einer "erheblichen" körperlichen oder geistigen Behinderung.
Fraglich ist jedoch, ob der für die Zusprechung einer Invalidenrente erforderliche Mindestgrad an Invalidität ein taugliches Kriterium bildet, um die Schwere der Behinderung zu bestimmen. Beim Invaliditätsgrad im Sinne der Invalidenversicherung handelt es sich um einen wirtschaftlichen Begriff: Weil im Bereich der Invalidenversicherung zur Bestimmung des Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Personen ein Einkommensvergleich durchgeführt, das heisst das Einkommen ohne Gesundheitsschaden mit dem Einkommen nach eingetretener Invalidität verglichen wird, kann der Invaliditätsgrad zur Bestimmung der Einkommenseinbusse, welche die betreffende Person wegen ihrer Invalidität erleidet, herangezogen werden (vgl. THOMAS LOCHER, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 2. Aufl. 1997, § 40 Rz. 13 ff., S. 263 ff.). Der Invaliditätsgrad für sich allein sagt jedoch nichts über die Bedürftigkeit und wenig über die Schwere der Behinderung aus. Eine Person ohne Behinderung kann viel und nach Eintritt der Behinderung gleich viel, weniger

BGE 124 II 241 (247):

oder viel weniger verdienen. Einkommensvergleiche können sowohl auf hohem wie auf tiefem Niveau durchgeführt werden. Unter teleologischem Gesichtspunkt bildet daher der Invaliditätsgrad der Invalidenversicherung kein taugliches Kriterium zur Konkretisierung der Vorschrift.
c) Die historische Interpretation führt zu keinem anderen Ergebnis.
Art. 4 Abs. 1 WPEG wurde im Rahmen der Revision 1994 teilweise geändert. Der Entwurf des Bundesrates zum neuen Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG wollte an der bisherigen Regelung festhalten und den Behinderten lediglich durch eine grosszügigere Berechnung des massgebenden Einkommens entgegenkommen. Wurde die Befreiung nach bisherigem Recht gewährt, wenn die Einkünfte nach Abzug der gebrechlichkeitsbedingten Kosten den Betrag des betreibungsrechtlichen Existenzminimums um nicht mehr als 50 Prozent überschritten, so sollte dieser Grenzbetrag neu auf 100 Prozent angehoben werden (Botschaft vom 12. März 1993, BBl 1993 II 733, 739). Zudem war vorgesehen, für Behinderte, die nach Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG nicht von der Ersatzpflicht befreit sind, die Ersatzabgabe um die Hälfte herabzusetzen (jetzt Art. 13 Abs. 2 WPEG). Das Parlament wollte den Behinderten noch mehr entgegenkommen. Dies verlangte auch die Standesinitiative des Kantons Jura. Mit Art. 4 Abs. 1 lit. abis und ater WPEG wurden deshalb zwei weitere Ersatzbefreiungstatbestände geschaffen:
Mit lit. abis wollte die Kommission des Ständerates, auch jene Personen von der Ersatzpflicht befreien, die infolge erheblicher Behinderung dienstuntauglich sind und gleichzeitig eine Rente oder Hilflosenentschädigung der Eidgenössischen Invalidenversicherung oder der Unfallversicherung beziehen (AB 1993 S 778).
Mit lit. ater, der auf einen Antrag von Nationalrat Suter zurückgeht (AB 1994 N 131, 132), sollte der Kreis der ersatzbefreiten Personen nochmals ausgedehnt werden, und zwar auf jene Personen, die wegen einer erheblichen Behinderung dienstuntauglich sind und "eine der zwei mindestens erforderlichen Voraussetzungen für eine Hilflosenentschädigung" erfüllen. Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der Eidgenössischen Invalidenversicherung besteht, wenn der Versicherte "in mindestens zwei alltäglichen Lebensverrichtungen regelmässig in erheblicher Weise auf die Hilfe Dritter angewiesen ist" (Art. 36 Abs. 3 lit. a, Art. 37 der Verordnung über die Invalidenversicherung, IVV, SR 831.201). Als alltägliche Lebensverrichtungen gelten nach der Gerichtspraxis im Sinne einer

BGE 124 II 241 (248):

abschliessenden Aufzählung (vgl. LOCHER, a.a.O., § 13 Rz. 6, S. 87, mit Hinweisen):
1. Ankleiden, Ausziehen;
2. Aufstehen, Absitzen, Abliegen;
3. Essen;
4. Körperpflege;
5. Verrichtung der Notdurft;
6. Fortbewegung, Kontaktaufnahme.
Demgegenüber gewährt Art. 4 Abs. 1 lit. ater WPEG die Ersatzbefreiung bereits dann, wenn der Behinderte in einem Bereich alltäglicher Lebensverrichtung hilflos ist.
Der Gesetzgeber hat zwar mit den Buchstaben abis und ater zwei weitere Ersatzbefreiungstatbestände geschaffen, dabei aber am Grundgehalt von lit. a nichts geändert. Im Parlament wurde insbesondere betont, dass der neue Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG die bisherige Praxis bestätige und nur der Wortlaut klarer gefasst werden solle. Die neue Formulierung - "wegen erheblicher körperlicher oder geistiger Behinderung" - bezweckte keine materielle Änderung gegenüber dem alten Text (vgl. Loretan, Berichterstatter, AB 1993 S 778; Botschaft, BBl 1993 II 733, 739). Bei der parlamentarischen Beratung war unbestritten, dass Buchstabe a - im Gegensatz zu den Buchstaben abis und ater - auf die schlechte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der betreffenden Person abstellt (AB 1993 S 778 [Loretan], 779 [Plattner], 1994 N 131, 132 [Goll], 134 [Seiler, Brunner]). Im Lichte der parlamentarischen Debatte kann Buchstabe a daher schwerlich in dem Sinne ausgelegt werden, dass für die Annahme einer erheblichen körperlichen oder geistigen Behinderung der für die Zusprechung einer Rente der Eidgenössischen Invalidenversicherung erforderliche Invaliditätsgrad gegeben sein müsse. Das entspricht der Auffassung jedenfalls der Parlamentsmehrheit, wie aus den Voten klar hervorgeht. Dieser Wille des Gesetzgebers hat auch im Gesetzeswortlaut - Art. 4 Abs. 1 lit. a und abis - seinen Niederschlag gefunden.
Die Beschwerdeführerin wendet ein, dass schon in der bisherigen Praxis die kantonalen Militärpflichtersatzverwaltungen gestützt auf den alten Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG jeweils geprüft hätten, ob der Ersatzpflichtige eine Rente der Eidgenössischen Invalidenversicherung oder der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt bezogen habe. Diese - übrigens nicht belegte und vom Beschwerdegegner

BGE 124 II 241 (249):

bestrittene - Praxis liesse die heutige indessen nicht als richtiger erscheinen.
d) Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG kann auch systematisch im Lichte von lit. abis und ater ausgelegt werden. Der Buchstabe abis knüpft an die Rente oder die Hilflosenentschädigung der Eidgenössischen Invalidenversicherung oder der Unfallversicherung an. Der Buchstabe ater gewährt die Ersatzbefreiung, wenn der Behinderte - ohne Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung - in mindestens einem Bereich der alltäglichen Lebensverrichtungen hilflos ist. Eine wirtschaftliche Bedürftigkeit, wie sie lit. a voraussetzt, ist weder für die Ersatzbefreiung nach lit. abis noch für diejenige nach lit. ater gefordert.
Diese beiden Tatbestände gehen weit, weil auch sehr vermögende oder gutverdienende Invalide in den Genuss der Ersatzbefreiung gelangen. Es ist unbestritten und steht aufgrund der Materialien fest, dass der Gesetzgeber keine generelle Befreiung der Behinderten wollte. Es muss deshalb darauf geachtet werden, dass der Kreis der ersatzbefreiten Personen nicht über Gebühr ausgedehnt wird. Der Begriff der erheblichen Behinderung ist folglich im Sinne des Gesetzes, das heisst restriktiv auszulegen. Anderseits darf jedoch der Kreis der wirklich Bedürftigen, die Hilfe nötig haben und auf die Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG abzielt, nicht zu sehr eingeengt werden. Es darf nicht vorkommen, dass körperlich oder geistig erheblich Behinderte, die sich tatsächlich in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation befinden, nicht in den Genuss der Ersatzbefreiung gelangen, weil die Einschränkung ihrer Erwerbsfähigkeit - ausgedrückt durch den Invaliditätsgrad - nicht derart ist, dass sie Anspruch auf eine IV-Rente haben. Diese gegenläufigen Forderungen lassen sich nur verwirklichen, wenn der Begriff der erheblichen Behinderung grundsätzlich in einem medizinischen und nicht im invalidenversicherungsrechtlichen Sinn ausgelegt wird. Damit kann auch dem Anliegen der Beschwerdeführerin, den Kreis der ersatzbefreiten Personen nicht über Gebühr auszudehnen, Rechnung getragen werden.
e) Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG verweist für die Berechnung des massgebenden Einkommens, das nicht überschritten werden darf, auf Art. 12 Abs. 1 lit. c WPEG. Diese Vorschrift erwähnt die steuerbaren Leistungen, die der Ersatzpflichtige von der Militärversicherung, der Invalidenversicherung, der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt oder von einer anderen öffentlichrechtlichen oder privatrechtlichen Unfall-, Kranken- oder Invalidenversicherung

BGE 124 II 241 (250):

erhält. Dabei geht es jedoch nur um die Abzüge, die bei der Berechnung des taxpflichtigen Einkommens und des Grenzbetrages nach Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG zu berücksichtigen sind. Daraus zu schliessen, dass der Betroffene im Rahmen einer solchen Versicherung als invalid erklärt worden sein muss, um in den Genuss der Ersatzbefreiung nach Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG zu gelangen, geht nicht an. Hierfür steht vielmehr Art. 4 Abs. 1 lit. abis WPEG offen.
f) Die Beschwerdeführerin beruft sich für die vom Bundesrat in Art. 1 Abs. 1 WPEV getroffene Lösung auf Gründe der Praktikabilität.
Es ist der Beschwerdeführerin zuzustimmen, dass die Abgrenzung zwischen einer leichten und einer erheblichen Behinderung Fragen aufwerfen kann. Ob das Ausmass der Beeinträchtigung durch Spezialärzte abgeklärt oder anhand von Tabellen oder auf andere Weise bemessen wird, muss der Verwaltungspraxis überlassen werden. Es ist hier auch nicht darüber zu befinden, ob der Begriff der "erheblichen körperlichen oder geistigen Behinderung" bereits auf Verordnungsstufe konkretisiert werden muss oder ob hierfür eine Anordnung (Weisung, Kreisschreiben) der Verwaltung genügt. Diese Fragen sind vielmehr durch den Bundesrat und die Verwaltung zu entscheiden. Hier ist lediglich festzuhalten, dass der Invaliditätsgrad im Sinne der Eidgenössischen Invalidenversicherung kein taugliches Kriterium zur Konkretisierung des Begriffes bildet.
g) Die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG ergibt somit, dass der Begriff der erheblichen körperlichen oder geistigen Behinderung nicht im invalidenversicherungsrechtlichen Sinn ausgelegt werden darf. Art. 1 Abs. 1 WPEV, der auf den Invaliditätsgrad der Eidgenössischen Invalidenversicherung abstellt, erweist sich daher als gesetzwidrig und ist nicht anwendbar. Dies hat die Vorinstanz zu Recht erkannt.
Der Beschwerdegegner erlitt bei Waldarbeiten einen Unfall. In der Folge musste ihm der rechte Unterschenkel amputiert werden. Die Vorinstanz hat diese Behinderung als erheblich im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. a WPEG qualifiziert. Es steht zwar nicht fest, nach welchen Kriterien die Verwaltungspraxis den Begriff der erheblichen Behinderung künftig konkretisieren will. Unabhängig davon kann aber gesagt werden, dass für einen Forstarbeiter der teilweise

BGE 124 II 241 (251):

Verlust des Beines, wie er hier in Frage steht, eine erhebliche körperliche Behinderung im Sinne des Gesetzes darstellt. Es ist auch erwiesen, dass der Beschwerdegegner infolge dieser Behinderung eine Einkommenseinbusse erlitten hat. Das folgt bereits daraus, dass nach den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Entscheid von einem Invaliditätsgrad, das heisst von einer behinderungsbedingten Einkommenseinbusse von 18 Prozent auszugehen wäre. Ein Kausalzusammenhang zwischen der Behinderung und der gegenwärtigen Einkommenssituation des Beschwerdegegners ist damit zu bejahen.
Zu prüfen bleibt, ob das vom Beschwerdegegner erzielte taxpflichtige Einkommen unter Berücksichtigung der Abzüge nach Art. 4 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 lit. c WPEG das betreibungsrechtliche Existenzminimum um nicht mehr als 100 Prozent übersteigt. Geht das massgebende Einkommen über diesen Grenzbetrag nicht hinaus, so ist der Beschwerdegegner von der Ersatzpflicht zu befreien. Art. 1 Abs. 1 WPEV ist nicht anwendbar. Überschreitet das massgebende Einkommen diesen Betrag, so ist die Ersatzabgabe um die Hälfte herabzusetzen (Art. 13 Abs. 2 WPEG). Die Vorinstanz hat die Sache zu Recht an die kantonale Wehrpflichtersatzverwaltung zurückgewiesen, damit diese die notwendigen Abklärungen vornimmt und neu entscheidet. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.