BVerfGE 36, 174 - Bundeszentralregistergesetz
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 27. November 1973
– 2 BvL 12/72 und 3/73 –
in den Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung der §§ 43 Abs. 1 und 2, 44, 49, 60 und 61 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz – BZRG) vom 18. März 1971 (BGBl. I S. 243), Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des a) Amtsgerichts Opladen vom 20. September 1972 (26 Ds 110/72) – 2 BvL 12/72 –, b) Amtsgerichts Passau vom 6. Februar 1973 (AK 165/72) – 2 BvL 3/73 –.
 
Entscheidungsformel:
Die §§ 49 Absatz 1, 60 Absatz 2 Nummer 1 und 2 sowie § 61 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz – BZRG) vom 18. März 1971 (Bundesgesetzbl. I S. 243) sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
 
Gründe:
 
A.
Die Vorlagebeschlüsse betreffen die Frage, ob Vorschriften über die beschränkte Übernahme von Strafregistereintragungen in das Bundeszentralregister, die Tilgung von Strafvermerken nach Ablauf bestimmter Fristen und das daran geknüpfte Verwertungsverbot mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
I.
Das Strafregisterrecht war bisher durch die Strafregisterverordnung vom 12. Juni 1920 (BGBl. III 312-4) und das Gesetz über beschränkte Auskunft aus dem Strafregister und die Tilgung von Strafvermerken vom 9. April 1920 (BGBl. III 312-5) geregelt. Das Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz – BZRG) vom 18. März 1971 (BGBl. I S. 243) hat diese Materie neu geordnet. Es sieht unter anderem die Errichtung eines zentralen Bundesregisters vor, das an die Stelle der früheren Strafregister der Länder tritt, normiert die Voraussetzungen, unter denen Strafregistereintragungen in das Zentralregister übernommen werden, bestimmt Fristen, nach deren Ablauf Verurteilungen zu tilgen sind und unterwirft nicht übernommene, getilgte sowie tilgungsreife Eintragungen einem umfassenden Verwertungsverbot, Die entsprechenden Vorschriften des Gesetzes, das am 1. Januar 1972 in Kraft getreten ist, lauten auszugsweise wie folgt:
    § 43
    Tilgung nach Fristablauf
    (1) Eintragungen über Verurteilungen (§ 4) werden nach Ablauf einer bestimmten Frist getilgt.
    (2)...
    (3) ...
    § 44
    Länge der Tilgungsfrist
    (1) Die Tilgungsfrist beträgt
    1. fünf Jahre
    bei Verurteilungen
    a) zu Geldstrafe, wenn die Ersatzfreiheitsstrafe nicht mehr als drei Monate beträgt und keine Freiheitsstrafe im Register eingetragen ist,
    b) zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Monaten, wenn im Register keine weitere Strafe eingetragen ist,
    c) bis g)...
    2. zehn Jahre
    bei Verurteilungen zu
    a) Geldstrafe und Freiheitsstrafe von nicht mehr als drei Monaten, wenn die Voraussetzungen der Nummer 1 Buchstaben a und b nicht vorliegen,
    b) Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, aber nicht mehr als einem Jahr, wenn die Vollstreckung der Strafe oder eines Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt und im Register keine weitere Freiheitsstrafe eingetragen ist,
    c)...
    3. fünfzehn Jahre
    in allen übrigen Fällen.
    (2) ...
    (3)...
    § 60
    Übernahme von Eintragungen in das Zentralregister
    (1) Eintragungen, die vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in das Strafregister aufgenommen worden sind, werden in das Zentralregister übernommen.
    (2) Nicht übernommen werden Eintragungen über Verurteilungen zu
    1. Geldstrafe, die mehr als zwei Jahre vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ausgesprochen worden ist, wenn die Ersatzfreiheitsstrafe nicht mehr als drei Monate beträgt und keine weitere Eintragung im Register enthalten ist,
    2. Geldstrafe, bei der die Voraussetzungen der Nummer 1 nicht vorliegen, und Freiheitsstrafe von nicht mehr als neun Monaten, wenn die Geldstrafe oder die Freiheitsstrafe mehr als fünf Jahre vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes ausgesprochen worden ist,
    3. bis 4. ...
    (3)...
    (4)...
    (5) ...
    § 61
    Bei Inkrafttreten dieses Gesetzes getilgte oder tilgungsreife Eintragung
    Für die Verurteilungen, die bei dem Inkrafttreten dieses Gesetzes im Strafregister getilgt oder tilgungsreif sind oder die nach § 60 Abs. 2 nicht in das Zentralregister übernommen werden, gelten die §§ 49 bis 51.
    § 49
    Verwertungsverbot
    (1) Ist die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden.oder ist sie zu tilgen, so dürfen die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden.
    (2) Rechte Dritter, gesetzliche Rechtsfolgen der Tat oder der Verurteilung und Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden, die im Zusammenhang mit der Tat oder der Verurteilung ergangen sind, bleiben unberührt.
§ 50 BZRG läßt Ausnahmen von diesem Verwertungsverbot zu, wenn die Staatssicherheit dies gebietet, ein Gutachten über den Geisteszustand des Betroffenen zu erstatten ist, die Wiederaufnahme des früheren Verfahrens beantragt wird oder der Betroffene die Zulassung zu einem Beruf oder Gewerbe oder die Einstellung in den öffentlichen Dienst beantragt.
II.
1. Im Ausgangsverfahren, das dem Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Passau zugrunde liegt, hat die Staatsanwaltschaft Anklage wegen Notzucht erhoben. Gegen den Angeschuldigten war 1969 wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und fahrlässiger Körperverletzung eine Geldstrafe von 900 DM, ersatzweise 30 Tagen Gefängnis, verhängt worden.
Das Amtsgericht, das über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden muß, hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die §§ 43 Abs. 1 und 2, 44 und 49 BZRG mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Dazu führt es aus:
Ob gegen den Angeschuldigten ein zur Eröffnung des Hauptverfahrens hinreichender Tatverdacht bestehe, hänge davon ab, ob seine Vorstrafe berücksichtigt werden dürfe. Sei dies statthaft, so erscheine er der ihm vorgeworfenen Tat hinreichend verdächtig, da er sich bei der Straftat, die Gegenstand seiner früheren Bestrafung gewesen sei, ganz ähnlich verhalten habe, wie es ihm nunmehr zur Last gelegt werde. Im anderen Falle könne ein hinreichender Tatverdacht nicht bejaht werden, da die Aussage des angeblichen Tatopfers erheblichen Zweifeln begegne.
Die Regelung der §§ 49, 61 in Verbindung mit § 60 Abs. 2 Nr. 1 BZRG schließe es aus, die Tat, die der früheren Verurteilung zugrunde liege, als Beweisanzeichen für die Begehung der jetzt angeklagten Straftat zu werten. Der Bundesgerichtshof habe sich zwar auf den Standpunkt gestellt, daß eine solche Berücksichtigung getilgter oder tilgungsreifer Strafvermerke dann zulässig sei, wenn die neue Tat als unerlaubte Handlung im Sinne des bürgerlichen Rechts Ansprüche Dritter begründe. Dieser Auffassung könne indes nicht gefolgt werden, da sie im Gesetz keine Stütze finde.
Von der Gültigkeit des § 49, aber auch der §§ 43 Abs. 1 und 2, 44 BZRG, hänge außerdem die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und damit die Höhe der Strafe ab. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens sei möglicherweise über den Erlaß eines Haftbefehls zu entscheiden. Bei der Prüfung der Fluchtgefahr spiele das voraussichtlich zu erwartende Strafmaß eine ausschlaggebende Rolle.
Die vorgelegten Gesetzesbestimmungen seien mit der Garantie der richterlichen Unabhängigkeit, dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gleichheitssatz unvereinbar. Der im Strafprozeß geltende Untersuchungsgrundsatz verpflichte den Richter, alle Beweismittel und sonstigen Informationsquellen zu nutzen, um sich ein möglichst lückenloses und wirklichkeitsgetreues Bild von Tat und Täter zu verschaffen. Daran hindere ihn die zur Prüfung gestellte Regelung. § 49 BZRG zwinge ihn, bekannte, für die Beurteilung des Angeklagten wesentliche Tatsachen zu ignorieren. Das bedeute eine ihm aufgezwungene "Bewußtseinsspaltung" und den Zwang zu einer mit seinem Amt unverträglichen "Spiegelfechterei". Die Wahrheit sei unteilbar. Werde der Richter genötigt, seiner Entscheidung ein der Wirklichkeit nicht entsprechendes Bild des Täters zugrunde zu legen, so liege darin eine Manipulation der Wahrheitsfindung und ein Eingriff in die Unabhängigkeit der Rechtsprechung. Auch der Gesichtspunkt der Resozialisierung von Straftätern rechtfertige ein solches Verfahren nicht. Die §§ 43 Abs. 1 und 2, 44 BZRG seien aus gleichem Grunde verfassungswidrig. Der Staat habe mit der Errichtung der Strafregister eine wesentliche Informationsquelle für den Richter geschaffen. Jede Maßnahme, die diese Informationsmöglichkeit wieder abbaue, hindere ihn an der Wahrheitsfindung. Dabei mache es keinen Unterschied, ob man den Richter zwinge, bekannte Tatsachen als unbekannt zu behandeln, oder ob man durch Verwaltungsmaßnahmen dafür sorge, daß er sie von vornherein nicht erfahre.
Die gesetzliche Regelung verstoße auch gegen das Rechtsstaatsprinzip und den Gleichheitssatz. Sie benachteilige den Täter, der sich bislang tatsächlich straffrei geführt habe, gegenüber anderen, deren Vorstrafen nur getilgt oder tilgungsreif seien. Der Richter werde gezwungen, gleiche Sachverhalte ungleich und ungleiche gleich zu behandeln. So komme das Verwertungsverbot des § 49 BZRG dem rechtskräftig verurteilten Angeklagten zugute, während sich sein Mittäter, gegen den das Verfahren wegen geringer Schuld eingestellt worden sei, seine strafbare Beteiligung noch später vorhalten lassen müsse. Auch hänge es weitgehend vom Zufall und dem eigenen Verhalten des Täters ab, ob die Strafsache innerhalb der Frist zur Verhandlung gelange, in der die Berücksichtigung seiner einschlägigen Vorstrafen noch zulässig sei.
2. Im Ausgangsverfahren, das zum Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Opladen geführt hat, muß sich der Angeklagte wegen des Vorwurfs verantworten, als Führer eines Kraftfahrzeugs in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand eine Gefährdung des Straßenverkehrs und eine fahrlässige Körperverletzung verursacht zu haben. Er war in den Jahren 1960 und 1961 dreimal wegen Trunkenheit im Verkehr zu Haftstrafen bis zu vier Wochen und 1964 wegen Gefährdung des Straßenverkehrs durch Trunkenheit zu einer Gefängnisstrafe von vier Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Diese Verurteilungen sind im Verkehrszentralregister vermerkt, hingegen im Strafregister nicht eingetragen.
In der Hauptverhandlung hat das Amtsgericht das Verfahren ausgesetzt, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber einzuholen, ob die §§ 60, 61 BZRG mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sind. Zur Begründung macht es geltend:
Durch die zur Prüfung gestellten Vorschriften sei es gehindert, die Vorstrafen des Angeklagten in der Hauptverhandlung zu erörtern und bei der Entscheidung gegen ihn zu verwerten. Gemäß § 60 Abs. 2 Nr. 2 BZRG komme die Übernahme der Vorverurteilungen in das Bundeszentralregister nicht in Betracht, da es sich um Freiheitsstrafen von unter neun Monaten handele, die mehr als fünf Jahre vor dem Inkrafttreten des Bundeszentralregistergesetzes verhängt worden seien. Nach § 61 BZRG gelte daher für sie das Verwertungsverbot des § 49 BZRG. Dieses Verbot entfalle nicht deshalb, weil die Verurteilungen wegen der anders gearteten Tilgungsfristen des § 13a StVZO noch im Verkehrszentralregister vermerkt seien. Sinn und Zweck des Bundeszentralregistergesetzes würden umgangen, wollte man diese Vermerke von dem Verwertungsverbot ausnehmen. Das liefe im übrigen auf eine sachlich nicht zu begründende Schlechterstellung solcher Straftäter hinaus, deren Verurteilungen sowohl im Strafregister als auch im Verkehrszentralregister eingetragen seien.
Die Übergangsregelung der §§ 60, 61 BZRG verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Ein Straftäter, der nach dem Inkrafttreten des Bundeszentralregistergesetzes zu einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten verurteilt worden sei, müsse sich diese in einem neuen Strafverfahren nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 BZRG in der Regel fünfzehn Jahre, unter den Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b BZRG immerhin noch zehn Jahre lang vorhalten lassen. Im vorliegenden Fall solle aber aufgrund der §§ 60, 61 BZRG eine noch nicht acht Jahre zurückliegende Verurteilung zu mehr als drei Monaten Freiheitsstrafe unberücksichtigt bleiben. Diese unterschiedliche Behandlung, die sich als zeitweilige Besserstellung von Straftätern auswirke, sei mit dem Willkürverbot nicht zu vereinbaren, da sich für sie kein sachlich einleuchtender Grund anführen lasse.
III.
1. Der Präsident des Bundesgerichtshofes hat Stellungnahmen der Strafsenate vorgelegt.
Danach wird § 49 BZRG von allen Senaten – mit Ausnahme des 4. Strafsenats, der hierzu keine Meinung geäußert hat – für verfassungsgemäß gehalten. Dabei gehen der 1., 2. und 3. Strafsenat davon aus, daß die Vorschrift die Berücksichtigung einer getilgten oder zu tilgenden Vorverurteilung als Beweisanzeichen für eine neue Tat dann nicht verbiete, wenn diese als unerlaubte Handlung im Sinne des bürgerlichen Rechts Ansprüche Dritter begründe. Im übrigen begegne die Regelung zwar gewissen Bedenken, zumal es nicht Sinn der Resozialisierung sei, den Täter vor schuldangemessener Bestrafung zu schützen; sie verletze jedoch nicht den Gleichheitssatz, das Rechtsstaatsprinzip oder die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit. Es gebe keinen strafprozessualen Grundsatz, daß die Wahrheit um jeden Preis erforscht werden müsse. Die Zulässigkeit wie Notwendigkeit von Beweisverboten sei allgemein anerkannt.
Auch § 60 BZRG ist nach der Auffassung aller Senate – mit Ausnahme des 5. Strafsenats, der hierzu nicht Stellung genommen hat – mit dem Grundgesetz vereinbar. Die von § 44 Abs. 1 BZRG abweichende Fristenregelung verstoße nicht gegen den Gleichheitssatz. Es handele sich um eine amnestieähnliche Vergünstigung für die seit dem Stichtag nicht mehr Bestraften, die zugleich der Entlastung des Registers dienen solle. Darin liege ein sachlich einleuchtender Grund für die Differenzierung. Bei der Ausgestaltung einer Amnestie habe der Gesetzgeber ohnehin eine weitgehende Ermessensfreiheit.
2. Auch der VII. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hält die zur Prüfung gestellten Vorschriften für verfassungsgemäß. Ob § 49 Abs. 1 BZRG überhaupt für Eintragungen im Verkehrszentralregister gelte, sei umstritten. Dabei handele es sich um eine Frage des einfachen Rechts. Vertrete man die Auffassung, daß die Vorschrift auf das Verkehrszentralregister keine Anwendung finde, könne darin eine Verletzung des Gleichheitssatzes nicht gesehen werden. Die §§ 60, 61 BZRG führten zwar zu Ungereimtheiten und unbilligen Ergebnissen. Dies lasse sich aber bei einer Übergangsregelung, wie sie hier getroffen sei, kaum je vermeiden und reiche nicht aus, einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz anzunehmen.
3. Der Bundesminister der Justiz hat sich den angeführten Stellungnahmen ohne weitere Äußerung angeschlossen.
 
B. – I.
Die zu gemeinsamer Entscheidung verbundenen Vorlagen sind zulässig.
Beide Gerichte haben hinreichend dargetan, daß es für ihre Entscheidungen nach dem zugrundegelegten Sachverhalt auf die Gültigkeit derjenigen Vorschriften des Bundeszentralregistergesetzes ankommt, aus denen sich jeweils ein Verwertungsverbot ergibt. Die Auslegung des einfachen Rechts, von der sie dabei ausgegangen sind, ist nicht offensichtlich unhaltbar. Das gilt auch insoweit, als das Amtsgericht Passau von der Meinung des Bundesgerichtshofes abweicht, nach der die Berücksichtigung von Strafvermerken ohne Rücksicht auf Übernahme- und Tilgungsfristen zulässig bleibt, wenn die neue Tat als unerlaubte Handlung im Sinne des bürgerlichen Rechts Ansprüche Dritter begründet (BGH, NJW 1973, S. 206).
1. Besteht ein Verwertungsverbot, dann will das Amtsgericht Passau die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnen; andernfalls würde es die Eröffnung beschließen.
Das Amtsgericht hat allerdings die Vorlagefrage teils zu weit, teils zu eng gefaßt.
a) Die §§ 43 Abs. 1 und 2, 44 BZRG können nicht zur verfassungsrechtlichen Prüfung gestellt werden. Sie sind für die im Ausgangsverfahren zu treffende Entscheidung ohne Belang. Ob die aus dem Jahre 1969 stammende Verurteilung zu einer Geldstrafe, ersatzweise 30 Tagen Gefängnis, zu Lasten des Angeschuldigten berücksichtigt werden darf, hängt nicht davon ab, wann dieser Strafvermerk zu tilgen wäre, da er nach § 60 Abs. 2 Nr. 1 BZRG gar nicht erst Eingang ins Bundeszentralregister findet.
b) Das Amtsgericht hat außerdem § 49 Abs. 1 BZRG vorgelegt. Diese Vorschrift wäre für sich gesehen nicht entscheidungserheblich, weil sie sich nur auf getilgte oder tilgungsreife Eintragungen bezieht, ein solcher Fall aber ersichtlich nicht vorliegt. Sie kann auch deshalb nicht isoliert zum Gegenstand verfassungsgerichtlicher Prüfung gemacht werden, weil sie für sich genommen keinen vollständigen Rechtssatz, sondern nur eine Rechtsfolgeanordnung enthält, deren Voraussetzungen in anderen Bestimmungen geregelt sind. Eine Vorschrift, deren rechtlicher Gehalt sich nicht unmittelbar aus ihr selbst, sondern nur im Zusammenhang mit anderen Normen desselben Gesetzes bestimmen läßt, kann im Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG grundsätzlich nur in ihrer Verbindung mit denjenigen gesetzlichen Bestimmungen zur Prüfung gestellt werden, die ihren für den konkreten Rechtsstreit maßgeblichen Teilinhalt ergeben (BVerfGE 3, 208 [211]; 15, 80 [101]). Das Verwertungsverbot, von dessen Gültigkeit die Entscheidung des Amtsgerichts Passau abhängt, ergibt sich aber nicht schon aus § 49 Abs. 1 BZRG, sondern erst aus dem Zusammenspiel der §§ 60 Abs. 2 Nr. 1, 61 und 49 Abs. 1 BZRG. Dementsprechend ist die Vorlagefrage zu fassen.
2. Gilt ein Verwertungsverbot, so sieht sich das Amtsgericht Opladen daran gehindert, die Vorstrafen des Angeklagten in der Hauptverhandlung zu erörtern und ihm bei einer Verurteilung straf erschwerend in Rechnung zu stellen; anders könnte und müßte es indessen verfahren, wenn es diese Vorstrafen verwerten dürfte. Das Verwertungsverbot, von dessen Gültigkeit die Entscheidung abhängt, ergibt sich hier aus dem Zusammenspiel der §§ 60 Abs. 2 Nr. 2, 61 und 49 Abs. 1 BZRG. Soweit das Amtsgericht Opladen § 49 Abs. 1 BZRG nicht ausdrücklich vorgelegt, andererseits aber den gesamten § 60 BZRG zur verfassungsgerichtlichen Prüfung gestellt hat, obwohl es nach Art und Alter der Vorstrafe nur auf Abs. 2 Nr. 2 ankommt, muß die Vorlagefrage teils erweitert, teils eingeschränkt werden.
II.
Die zulässigerweise vorgelegten Bestimmungen des Bundeszentralregistergesetzes sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
1. Die §§ 49 Abs. 1, 61 BZRG knüpfen an die Nichtübernahme, Tilgungsreife und Tilgung eines Registereintrags über strafgerichtliche Verurteilungen erheblich weiterreichende Rechtsfolgen als die bisher geltenden Vorschriften. Nach § 4 Abs. 4 des Straftilgungsgesetzes führte die Tilgung zwar dazu, daß der Verurteilte keine Auskunft mehr über Tat und Strafe zu geben brauchte; auch durfte er sich, wenn keine andere, noch eingetragene Verurteilung entgegenstand, als unbestraft bezeichnen. Gericht und Staatsanwalt konnten indessen nicht nur aus besonderen Gründen anordnen, daß der Verurteilte gleichwohl über getilgte Strafen Auskunft zu geben habe; es blieb ihnen auch – jedenfalls nach dem Wortlaut des Gesetzes – unbenommen, getilgte Strafen und Taten, von denen sie Kenntnis erlangt hatten, ohne zeitliche Begrenzung in ein neues Strafverfahren einzuführen, zum Gegenstand der Verhandlung zu machen und bei der Urteilsfindung mitzuberücksichtigen (RGSt 74, 177; BGHSt 6, 243 [245]; 7, 58 [60]; BGH, MDR 1955, S. 501; a.A.: Hartung, Das Strafregister, 2. Aufl. [1963], § 4 StrTilgG Anm. 9 b) cc); Kohlhaas, NJW 1953, S. 851 f.; Eberhard Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, Teil II, § 243 Erl. 18 und Nachtragsband I zu Teil II, § 243 Erl. 32). Demgegenüber hat das Bundeszentralregistergesetz die mit der Tilgung verbundenen Vergünstigungen für den Betroffenen entscheidend verstärkt: es ergänzt sie um ein Vorhalte- und Verwertungsverbot, das von allen staatlichen Stellen Beachtung verlangt. Soweit § 49 Abs. 1 BZRG untersagt, dem Betroffenen Tat und Verurteilung im Rechtsverkehr vorzuhalten und zu seinem Nachteil zu verwerten, schränkt diese Vorschrift die Befugnisse der Gerichte, Staatsanwaltschaften und Verwaltungsbehörden ein. Auch dem Strafrichter ist es verwehrt, die frühere Tat noch zu berücksichtigen, gleichgültig, ob sie – wie im Ausgangsverfahren des Amtsgerichts Passau – Beweisanzeichen für die Begehung eines neuen Deliktes zu liefern vermag oder – wie im Falle des Amtsgerichts Opladen – unter Umständen bei der Strafzumessung in Rechnung zu stellen wäre.
a) Diese Regelung verstößt nicht gegen Art. 97 Abs. 1 GG. Die Unabhängigkeit des Richters erleidet keine Einbuße dadurch, daß ein Gesetz ihm gebietet, im Strafprozeß unter gewissen Voraussetzungen von der Berücksichtigung früherer Straftaten und Verurteilungen des Beschuldigten Abstand zu nehmen. Die sachliche Unabhängigkeit, wie sie ihm die Verfassung gewährleistet, bedeutet, daß er seine Entscheidungen frei von Weisungen fallen kann (BVerfGE 14, 56 [69]; 27, 312 [322]; 31, 137 [140]); sie läßt aber seine Bindung an das Gesetz unberührt. Diese Bindung besteht auch insoweit, als der Gesetzgeber – aus unterschiedlichen Gründen – bestimmte Tatsachen der richterlichen Aufklärung und Beurteilung entzieht, indem er Beweis- und Verwertungsverbote festlegt. Solche Verbote stecken nur den verfahrensrechtlichen Rahmen ab, innerhalb dessen der Richter – frei von Weisungen – den Sachverhalt zu erforschen, zu würdigen und seinem Spruche zugrunde zu legen hat. Damit dienen sie der näheren Ausgestaltung seines Rechtsprechungsauftrags, ohne indessen seine Unabhängigkeit anzutasten.
b) Das Verwertungsverbot der §§ 49 Abs. 1, 61 BZRG steht auch mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip in Einklang.
Die Gesetzesregelung beschränkt allerdings den Kreis der tatsächlichen Umstände, die der strafrichterlichen Untersuchung und Würdigung zugänglich sind. Darin liegt auch – jedenfalls partiell – eine Erschwerung der Strafrechtspflege, deren Bestreben es sein muß, möglichst alle erreichbaren Tatsachen, die für die Beurteilung von Tat und Täter wesentlich sind, aufzuklären und mitzuberücksichtigen, damit ein gerechtes Urteil gefällt werden kann. Diese Erschwerung hält sich jedoch innerhalb der Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen.
Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit verlangt zwar die Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann. Wiederholt hat deshalb das Bundesverfassungsgericht die unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung anerkannt, das Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozeß betont und die Aufklärung insbesondere schwerer Straftaten als Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens bezeichnet (BVerfGE 33, 367 [383]; 34, 238 [248 f.] mit weiteren Nachweisen). Die Herausnahme bestimmter Vorverurteilungen und Vortaten des Beschuldigten aus der Gesamtheit der Tatsachen, die der Richter im Verfahren feststellen darf und bei seiner Entscheidung verwerten kann, führt aber – aufs Ganze gesehen – nicht zu einer nennenswerten Beeinträchtigung der Strafrechtspflege. Selten hängt die Entscheidung über die Täterschaft eines Verdächtigen davon ab, ob seine "einschlägigen" Vorstrafen in die Beweiswürdigung einzubeziehen sind. Daß der Beschuldigte früher Delikte der gleichen Art begangen hat, wie sie ihm im neuen Verfahren zur Last gelegt werden, gibt den Ausschlag allenfalls dort, wo sich die Übereinstimmung auf typische, den Täter kennzeichnende Details der Tatbegehung erstreckt. Im übrigen ist die Vorverurteilung des Beschuldigten wegen gleichartiger Delikte für die Überzeugungsbildung des Richters nur von geringer Bedeutung, da dieser Umstand unmittelbar nichts über die aufzuklärende Tat, sondern lediglich etwas über die Persönlichkeit des Beschuldigten aussagt, aus der sich regelmäßig keine beweiskräftigen Schlüsse auf die Begehung einer – ihm etwa nach seinen Vorstrafen "zuzutrauenden" – Tat ableiten lassen. Schließlich kommt noch hinzu, daß bereits nach dem bisherigen Rechtszustand getilgte Vorverurteilungen nur ausnahmsweise überhaupt zur Kenntnis des Richters gelangten, der insoweit zumeist auf die eigenen Angaben des Beschuldigten angewiesen war.
Auch der Ausfall solcher Verurteilungen als Elemente der Strafzumessung stellt die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege nicht ernstlich in Frage. Das Verwertungsverbot zwingt zwar den Richter, seiner Entscheidung über Art und Höhe der zu verhängenden Strafe ein unvollständiges Bild des Täters zugrunde zu legen. Die begrenzten Erkenntnismöglichkeiten des Richters reichen indessen ohnehin nicht immer aus, um von der Persönlichkeit des Täters ein in jeder Hinsicht vollständiges Bild zu gewinnen. Die Aufführung sämtlicher Vorstrafen birgt hier nicht selten die Gefahr einer verzerrten "Optik", die einseitige Wertungen zumindest erleichtert. Vor allem bleiben nach dem Bundeszentralregistergesetz lediglich solche Vorstrafen außer Betracht, die schon längere Zeit – je nach Art und Höhe fünf, zehn oder fünfzehn Jahre – zurückliegen und bereits aus diesem Grunde nicht mehr so schwer ins Gewicht fallen, daß sie die Bemessung der Strafe entscheidend beeinflussen könnten.
Die §§ 49 Abs. 1, 61 BZRG behindern damit insgesamt die Strafrechtspflege in sehr viel geringerem Maße als andere Verwertungsverbote, die – wie etwa das Verlesungsverbot des § 252 StPO oder die Freistellung von der Beschlagnahme nach § 97 StPO – wichtige Erkenntnisquellen verschließen, ohne deshalb verfassungswidrig zu sein. Das Rechtsstaatsprinzip gebietet weder die Aufklärung sämtlicher Straftaten (vgl. auch BVerfGE 22, 125 [132 f.]) noch die ausnahmslose Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände, die – im Rahmen der Schuldangemessenheit – die Verhängung der höchstmöglichen Strafe erlauben.
c) Die zur Prüfung gestellte Regelung verstößt auch nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache folgender oder sonstwie einleuchtender Grund für die Gesetzesbestimmung nicht finden läßt, kurzum, wenn sie willkürlich ist (BVerfGE 1, 14 [52]; 33, 367 [384]; ständige Rechtsprechung). Daran fehlt es. Für das Verbot, dem Betroffenen frühere Taten und Verurteilungen im Rechtsverkehr vorzuhalten und gegen ihn zu verwerten, gibt es einleuchtende Grunde.
Bei der Neuregelung des Registerrechts hat sich der Gesetzgeber von der Absicht leiten lassen, die Wiedereingliederung des verurteilten Straftäters in die Gesellschaft zu fördern und zu erleichtern. Dem Ziel der Resozialisierung Straffälliger dient nicht nur die Abkürzung der Fristen, nach deren Ablauf Einträge über frühere Verurteilungen im Register zu tilgen sind, sondern auch die Einführung des Verwertungsverbots, das – zusammen mit anderen Registervergünstigungen – die materiellen Wirkungen der Tilgung bis zur "Befreiung vom Strafmakel" verstärken will (vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister, BRDrucks. 676/69 S. 14 f.; Schriftlicher Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BTDrucks. VI/1550 S. 21). Die Wiedereingliederung des Verurteilten in die Gesellschaft soll nicht dadurch vereitelt oder gefährdet werden, daß ihm eine länger zurückliegende Verfehlung erneut vorgehalten wird und zur Kenntnis der Umwelt gelangt, die Vorbestraften – insbesondere im Berufs- und Erwerbsleben – noch weithin mit Mißtrauen, Unverständnis und Ablehnung begegnet. Das ist ein zureichender Grund für die getroffene Regelung. Der Gedanke der Resozialisierung hat in den letzten Jahrzehnten – wenn auch zunächst vor allem auf den Gebieten der Strafzumessung und des Strafvollzugs – zunehmend an Bedeutung gewonnen. Er entspricht dem Selbstverständnis eines Gemeinwesens, das die Menschenwürde in den Mittelpunkt seiner Wertordnung stellt und dem Sozialstaatsprinzip verpflichtet ist. Als Träger der aus der Menschenwürde folgenden und ihren Schutz gewährleistenden Grundrechte muß der verurteilte Straftäter die Chance erhalten, sich nach Verbüßung seiner Strafe wieder in die Gemeinschaft einzuordnen (BVerfGE 35, 202 [235 f.]).
Dieser Forderung trägt das Verwertungsverbot der §§ 49 Abs. 1, 61 BZRG auch insoweit Rechnung, als es in einem neuen Strafverfahren gegen den verurteilten Täter Beachtung verlangt. Das Ziel, den straffällig gewordenen Täter nach Ablauf bestimmter Fristen vom Strafmakel zu befreien, ließe sich nur unvollkommen erreichen, hätten die staatlichen Strafverfolgungsorgane das Recht, die getilgte, tilgungsreife oder nicht zu übernehmende Verurteilung im Rahmen eines späteren Strafprozesses doch noch zur Sprache zu bringen und zu berücksichtigen. Die Vortat müßte, um verwertet werden zu können, erörtert werden (§ 261 StPO). Dies würde in öffentlicher Verhandlung geschehen (§ 169 GVG). Ob es zulässig wäre, zum Zwecke der Vorstrafenerörterung die Öffentlichkeit auszuschließen (so Humborg, NJW 1966, S. 1015 ff.), ist immerhin zweifelhaft (Gollwitzer in: Löwe-Rosenberg, StPO, 22. Aufl. [1973], § 243 Anm. 9 d; vgl. auch Vogeler, ZStrW 82 [1970], S. 743 [771]). Scheidet diese Möglichkeit nach geltendem Recht aus, so besäße der Betroffene keine Handhabe, das Bekanntwerden der Vorstrafe zu unterbinden, gleichgültig, in welchem Zeitpunkt sie festgestellt würde (vgl. § 243 Abs. 4 Sätze 3 und 4 StPO); er müßte es – selbst im Falle seines Freispruchs – hinnehmen, in den Augen seiner Mitbürger wiederum als Vorbestrafter zu gelten und mit dem Makel seiner früheren Verurteilung behaftet zu bleiben. Die gesetzliche Regelung begegnet dieser Gefahr, indem sie Erörterung und Verwertung der Vorstrafe auch im neuerlichen Strafverfahren untersagt, damit aber zugleich den Tatsachenstoff einschränkt, der für die Beurteilung der Persönlichkeit des Beschuldigten zur Verfügung steht. Der Gesetzgeber hat insoweit dem Resozialisierungsbedürfnis des Betroffenen den Vorrang eingeräumt gegenüber dem Interesse der Strafrechtspflege, aufgrund erschöpfender Sachaufklärung möglichst alle bedeutsamen Tatsachen für die Urteilsfindung nutzbar zu machen. Diese Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dem Ergebnis läßt sich auch nicht entgegenhalten, der Ausgleich der widerstreitenden Belange hätte auf einer anderen Linie gesucht oder auf andere Weise hergestellt werden müssen. Der Gesetzgeber hat jedenfalls die Grenzen seines Ermessensbereichs nicht überschritten; ob er die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat, ist vom Bundesverfassungsgericht nicht zu prüfen (BVerfGE 3, 162 [182]; 33, 171 [189]; ständige Rechtsprechung).
Das Verwertungsverbot verletzt Art. 3 Abs. 1 GG auch nicht deshalb, weil es – insbesondere bei der Strafzumessung – dazu nötigt, den Straftäter, dessen Vorstrafen nur getilgt, tilgungsreif oder nicht zu übernehmen sind, ebenso zu behandeln wie denjenigen, der sich bislang tatsächlich straffrei geführt hat. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz läge nur vor, wenn die Verschiedenheit dieser Fälle so bedeutsam wäre, daß ihre Gleichbehandlung mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise unverträglich erschiene (BVerfGE 9, 137 [146]; 32, 157 [167]; ständige Rechtsprechung). Das trifft indessen nicht zu. Die Bevorzugung von Wiederholungstätern, die sich als Nebenfolge des Gesetzes ergibt, fällt nicht so schwer ins Gewicht, daß der Gesetzgeber gehalten gewesen wäre, das Verwertungsverbot im Strafprozeß einzuschränken und damit auch den freizusprechenden Angeklagten der Gefahr einer Offenbarung seiner früheren Verfehlung auszusetzen.
Der Gleichheitssatz ist ferner nicht dadurch verletzt, daß nur Taten, die zu einer Verurteilung geführt haben, dem Verwertungsverbot unterliegen, während strafbare Handlungen, die Gegenstand eines eingestellten Verfahrens gewesen sind, dem Betroffenen auch später noch vorgehalten und gegen ihn verwertet werden dürfen. Diese Verschiedenbehandlung hat ihren Grund darin, daß die Befreiung vom Strafmakel naturgemäß nur für den in Betracht kommt, gegen den eine Strafe verhängt worden ist.
Verfassungsrechtlich ohne Belang ist schließlich der Umstand, daß möglicherweise der Zufall oder das eigene Verhalten des Täters darüber entscheidet, ob seine Strafsache innerhalb der Frist spruchreif wird, in der die Berücksichtigung seiner einschlägigen Vorstrafen noch zulässig ist. Derartige Nachteile lassen sich bei keiner Regelung, die an den bloßen Zeitablauf eine Vergünstigung knüpft, mit Sicherheit ausschließen, ohne daß der Gesetzgeber darum verpflichtet wäre, von einer solchen Regelung überhaupt abzusehen.
2. Auch § 60 Abs. 2 Nr. 2 BZRG ist – ebenso wie die Nr. 1 dieser Bestimmung – mit der Verfassung vereinbar. Danach werden Strafregistereinträge über Geldstrafen, bei denen die Ersatzfreiheitsstrafe mindestens drei Monate beträgt, sowie über Freiheitsstrafen bis zu neun Monaten in das Zentralregister nicht übernommen, wenn diese Strafen mehr als fünf Jahre vor dem Inkrafttreten des Bundeszentralregistergesetzes verhängt worden sind. Während solche Eintragungen gemäß den §§ 61, 49 Abs. 1 BZRG sogleich dem Verwertungsverbot unterliegen, muß es ein Straftäter, der nach dem maßgeblichen Stichtag zu einer Strafe von gleicher Art und Höhe verurteilt worden ist, aufgrund der Tilgungsfristen des § 44 Abs. 1 Nr. 2 Buchstaben a und b, Nr. 3 BZRG hinnehmen, daß Tat und Verurteilung ihm noch zehn oder fünfzehn Jahre lang vorgehalten und zu seinem Nachteil verwertet werden.
Die darin liegende Besserstellung von Straftätern, die vor dem Stichtag verurteilt worden sind, verstößt nicht gegen den Gleichheitssatz. Sie beruht vielmehr auf sachgemäßen Erwägungen. Der Gesetzgeber hat sie bewußt angeordnet, um das Bundeszentralregister von weniger bedeutsamen Eintragungen freizuhalten, die Übernahme der bisherigen Eintragungen zu erleichtern und den seit dem Stichtag nicht mehr bestraften Betroffenen aus Anlaß der Reform eine einmalige Vergünstigung – nach Art einer "kleinen Amnestie" – zu gewähren (Regierungsentwurf eines Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister, BRDrucks. 676/69 S. 26; 26. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Protokoll S. 818; Schriftlicher Bericht dieses Sonderausschusses, BTDrucks. VI/1550 S. 25). Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Bei der Gewährung einer Amnestie verfügt der Gesetzgeber über eine weite Gestaltungsfreiheit (vgl. BVerfGE 10, 234 [246]; 10, 340 [354]). Das gleiche gilt für Vergünstigungen, die ihrer Wirkung nach nicht an eine echte Amnestie, also den Erlaß verwirkter Strafen, heranreichen, sondern sich darin erschöpfen, daß bestimmte, mit einer früheren Verurteilung verbundene Nachteile vorzeitig wegfallen. Bei dieser amnestieähnlichen Regelung hat der Gesetzgeber die Grenzen seines Ermessensspielraums nicht überschritten. Da die §§ 60, 61 BZRG Übergangsvorschriften sind, war – zur Abgrenzung ihres Anwendungsbereichs – die Festsetzung eines Stichtags angebracht und geboten (BVerfGE 29, 245 [258]). Die Wahl dieses Stichtages begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie knüpft an den Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Vorschriften an, so daß Verurteilungen, die – von dort aus gerechnet – längere Zeit zurückliegen, nicht mehr in das Zentralregister übernommen werden und folglich dem Verwertungsverbot unterfallen. Diese Stichtagsregelung bringt zwar – wie jede andere auch – gewisse Härten mit sich, die nicht zu vermeiden sind (vgl. BVerfGE 3, 58 [148]). Sie ist aber im Rahmen der Anknüpfungsmöglichkeiten, die das Registerrecht überhaupt zur Verfügung stellt, am gegebenen Sachverhalt orientiert und somit sachlich vertretbar (vgl. BVerfGE 13, 31 [38]; 29, 283 [299]).
 
C.
Diese Entscheidung ist zu B II 2 mit sieben Stimmen gegen eine Stimme, im übrigen einstimmig ergangen.
(gez.) Seuffert Dr. v. Schlabrendorff Dr. Rupp Dr. Geiger Hirsch Dr. Rinck Dr. Rottmann Wand
 
Abweichende Meinung des Richters W. Seuffert zu dem Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. November 1973 – 2 BvL 12/72 und 3/73 –
Das Rechtsstaatsprinzip gebietet, wie in der Senatsentscheidung selbst gesagt ist, nicht die ausnahmslose Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände, die die Verhängung der höchstmöglichen Strafe erlauben. Dann kann es aber bei einem Verwertungsverbot, das – wie im hier vorliegenden Fall – einseitig die Verwertung bestimmter Tatbestände gegen den Angeklagten ausschließt, nicht darauf ankommen, wie weit ein solches Verbot geht und von welchen Fristen es abhängig gemacht wird. Die Notwendigkeit einer funktionsfähigen Strafrechtspflege ist vom Bundesverfassungsgericht bisher da erörtert worden, wo es sich um das Verhältnis von Vorschriften über Zeugniszwang, Beschlagnahmen usw. zur grundrechtlich geschützten Intimsphäre handelte. Aus den hierbei entwickelten Grundsätzen heraus können aber die Entscheidungen des Gesetzgebers darüber, was als strafbar erklärt wird, nicht gebunden sein; das gleiche muß gelten für seine Entscheidungen darüber, was z.B. wegen Verjährung nicht mehr verfolgt werden kann, und auch darüber, was tatbestandlich gegen einen Angeklagten geltend gemacht werden kann. Von einer "Bewußtseinsspaltung" oder "Spiegelfechterei", die dem Richter durch die Bindung an solche gesetzgeberische Entscheidungen abverlangt werde, kann kein Rede sein. Unberührt bleiben in jedem Fall die Schranken, die diesen Entscheidungen aus dem Gerechtigkeitsgedanken heraus, der im allgemeinen Gleichheitssatz verkörpert ist, gesetzt sind. Die sich hierzu ergebenden Fragen sind in B II 1 c sowie B II 2 des Beschlusses, zutreffend behandelt und entschieden.
(gez.) W. Seuffert