BVerfGE 79, 127 - Rastede |
1. Der Gesetzesvorbehalt des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG umfaßt nicht nur die Art und Weise der Erledigung der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, sondern ebenso die gemeindliche Zuständigkeit für diese Angelegenheiten. |
2. Zum Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung gehört kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog, wohl aber die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen. |
3. a) Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG enthält auch außerhalb des Kernbereichs der Garantie ein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zugunsten der Gemeinden, das der zuständigkeitsverteilende Gesetzgeber zu berücksichtigen hat. Dieses Prinzip gilt zugunsten kreisangehöriger Gemeinden auch gegenüber den Kreisen. |
b) Der Gesetzgeber darf den Gemeinden danach eine Aufgabe mit relevantem örtlichen Charakter nur aus Gründen des Gemeininteresses, vor allem also etwa dann entziehen, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre, und wenn die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG überwiegen. |
4. Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sind diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben, die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der Gemeinde betreffen; auf die Verwaltungskraft der Gemeinde kommt es hierfür nicht an. |
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 23. November 1988 |
-- 2 BvR 1619, 1628/83 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerden der Gemeinde Rastede, vertreten durch den Gemeindedirektor, - 2 BvR 1619/83 - und der Stadt B..., vertreten durch den Stadtdirektor, - Bevollmächtigter: Prof. Dr. Siedentopf, Hauptstraße 170, Landau-Godramstein - 2 BvR 1628/83 - gegen § 1 Absätze 1 und 2 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Abfallbeseitigungsgesetz vom 9. April 1973 (GVBl. S. 109). |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 1628/83 wird verworfen, diejenige im Verfahren 2 BvR 1619/83 zurückgewiesen. |
Gründe: |
A. |
Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Kommunalverfassungsbeschwerden zweier niedersächsischer Gemeinden betreffen die Frage, ob die Verlagerung der Aufgabenzuständigkeit für die Abfallbeseitigung von den kreisangehörigen Gemeinden auf die Landkreise in Niedersachsen mit Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar ist.
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I. |
1. Bis 1972 gab es keine umfassende gesetzliche Regelung der Abfallbeseitigung. Im Laufe der Zeit war es zur Aufgabe der Gemeinden geworden, jedenfalls den Hausmüll zu beseitigen. Im Bundesgebiet wurde Anfang der 70er Jahre der Hausmüll von etwa 75% der Einwohner regelmäßig eingesammelt und abgefahren; die übrigen 25% - zumeist in kleinen Gemeinden, Randgebieten von Gemeinden und Streusiedlungen - waren auf Selbsthilfe angewiesen. In Niedersachsen wurde der eingesammelte Müll auf etwa 2700 Müllkippen gelagert; im Bundesgebiet wurde deren Anzahl auf etwa 50 000 geschätzt.
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2. Durch das Dreißigste Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 12. April 1972 erhielt der Bund die Befugnis zur konkurrierenden Gesetzgebung auf dem Gebiet der Abfallbeseitigung (Art. 74 Nr. 24 GG; BGBl. I S. 593). Er nutzte sie alsbald durch Erlaß des Abfallbeseitigungsgesetzes - AbfG - vom 7. Juni 1972 (BGBl. I S. 873). Das Gesetz verlegte den Schwerpunkt von der Entfernung auf die Beseitigung des Abfalls und bestimmte, diese habe so zu erfolgen, daß das Wohl der Allgemeinheit nicht beeinträchtigt wird (§ 2). Nach dem Gesetz umfaßt die Abfallbeseitigung (im weiteren Sinne) das Einsammeln, das Befördern und das Beseitigen im engeren Sinne (Behandeln, Lagern und Ablagern) von Abfällen (§ 1 Abs. 2). Der Abfallbesitzer muß die Abfälle in der Regel dem Beseitigungspflichtigen überlassen (§ 3 Abs. 1); beseitigungspflichtig ist grundsätzlich die nach Landesrecht zuständige öffentlich-rechtliche Körperschaft (§ 3 Abs. 2). Die Beseitigung im engeren Sinne darf nur in dafür zugelassenen Abfallbeseitigungsanlagen erfolgen; Ausnahmen sind möglich (§ 4). Die Standorte der Anlagen werden in Abfallbeseitigungsplänen der Länder festgelegt (§ 6); Errichtung und Betrieb der Anlagen bedürfen einer Planfeststellung (§§ 7, 20 ff.). Inhaber einer solchen Anlage kann der Beseitigungspflichtige oder ein Dritter, d.h. ein anderer öffentlich-rechtlicher oder privater Rechtsträger, sein.
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Das Land Niedersachsen bestimmte in § 1 Abs. 1 und 2 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Abfallbeseitigungsgesetz - Nds. AG AbfG - vom 9. April 1973 (GVBl. S. 109), in Kraft getreten am 1. Oktober 1973 (vgl. § 8 Abs. 2), folgendes:
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"(1) Zuständige Körperschaften nach § 3 Abs. 2 AbfG sind, soweit sich aus Absatz 5 nichts anderes ergibt, die Landkreise und kreisfreien Städte. Die Aufgaben, die sie hiernach zu erfüllen haben, gehören zum eigenen Wirkungskreis. Die kreisangehörigen Gemeinden leisten den Landkreisen Verwaltungshilfe gegen Erstattung ihrer Kosten.
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(2) Ein Landkreis kann mit Zustimmung seiner Aufsichtsbehörde kreisangehörigen Gemeinden auf deren Antrag die Pflicht zur Beseitigung der in seinem Gebiet angefallenen Abfälle ganz oder teilweise übertragen, wenn gewährleistet ist, daß die Gemeinden die Abfälle in einer dem Wohl der Allgemeinheit (§ 2 AbfG) entsprechenden Weise beseitigen können und hierdurch die zweckmäßige Erfüllung der Beseitigungspflicht, soweit diese dem Landkreis verbleibt, nicht gefährdet wird. Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend.
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(3) ...
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(4) ...
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(5) Im Interesse einer schadlosen oder wirtschaftlichen Abfallbeseitigung kann das Land die Beseitigung bestimmter Abfälle übernehmen. Die zuständige oberste Landesbehörde ordnet die Übernahme im Einzelfall oder allgemein durch Verordnung an."
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3. a) Die Beschwerdeführerin im Verfahren 2 BvR 1619/83 zählt wenig mehr als 17 000 Einwohner und ist kreisangehörige Gemeinde im Landkreis Ammerland, der etwa 81 000 Kreiseinwohner hat und schon vor der Gemeindegebietsreform lediglich sechs großflächige und überwiegend ländlich geprägte Gemeinden umfaßte. Die Beschwerdeführerin betrieb seit den 50er Jahren eine eigene Müllabfuhr durch Einschaltung eines privaten Fuhrunternehmens. Als die Abfallbeseitigungspflicht mit Wirkung vom 1. Januar 1975 auf den Landkreis überging, führte dieser den Vertrag mit dem privaten Fuhrunternehmen fort. Zu Beginn der 70er Jahre errichtete die Beschwerdeführerin des weiteren eine Abfallbeseitigungsanlage (Deponie) für Haus- und Sperrmüll in ihrem Ortsteil Hahn-Lehmden, deren Einzugsbereich auch eine Nachbargemeinde mit etwa 10 000 Einwohnern mitumfaßt. Diese Deponie betrieb die Beschwerdeführerin mit eigenen Bediensteten und schloß nach dem 1. Januar 1975 zunächst einen Nutzungsvertrag mit dem Landkreis, ehe sie die Deponie nach dem 1. Januar 1979 auf ihn übertrug. Der Landkreis seinerseits überließ den Betrieb nach einer Ausschreibung einem Privatunternehmen.
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b) Die Beschwerdeführerin im Verfahren 2 BvR 1628/83 ist kreisangehörige Gemeinde im Landkreis Stade, der über 140 000 Kreiseinwohner verfügt. Die Beschwerdeführerin zählt nach Eingemeindungen im Zuge der Gemeindegebietsreform etwa 32 000 Einwohner. Seit langem erfüllte sie die Aufgaben der traditionellen Müllabfuhr mit eigenen Geräten, Fahrzeugen und Personal, seit dem 1. Januar 1975 im Wege technischer Verwaltungshilfe für den Landkreis, auf den mit Wirkung von diesem Tage die Abfallbeseitigungspflicht übergegangen war. Die Tätigkeit der Beschwerdeführerin beschränkte sich dabei seit längerem auf das Einsammeln des Haus- und Sperrmülls und dessen Beförderung zu einer Deponie, die von einem Privatunternehmen im Auftrag des Landkreises betrieben wurde und noch betrieben wird.
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II. |
1. a) Am 30. September 1974 legte die Beschwerdeführerin im Verfahren 2 BvR 1619/83 Kommunalverfassungsbeschwerde gegen § 1 Nds. AG AbfG ein mit der Begründung, durch diese Regelung werde ihr Recht aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt; die Abfallbeseitigung sei eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft und müsse daher in der gemeindlichen Zuständigkeit belassen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Verfassungsbeschwerde durch Beschluß des Vorprüfungsausschusses vom 10. September 1976 (2 BvR 826/74) nicht zur Entscheidung angenommen, da sie unzulässig sei. Auch bei einer Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz müsse die beschwerdeführende Gemeinde nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zunächst alle sich bietenden Möglichkeiten ausschöpfen, die entstandene effektive Beeinträchtigung in einem sachnäheren Verfahren beseitigen zu lassen. Eine derartige Möglichkeit bestehe nach § 1 Abs. 2 Nds. AG AbfG, demzufolge einer Gemeinde die Zuständigkeit zur Abfallbeseitigung als weisungsfreie Pflichtaufgabe übertragen werden könne.
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b) Bereits unter dem 13. Juni 1974 hatte die Beschwerdeführerin beim Landkreis Ammerland beantragt, ihr die Abfallbeseitigungspflicht für den in ihrem Gebiet anfallenden Abfall insgesamt, jedenfalls aber hinsichtlich des Einsammelns und Beförderns zu übertragen. Der Landkreis lehnte den Antrag ab, da eine vollständige oder teilweise Übertragung zu gespaltenen und damit unübersichtlichen Verantwortlichkeiten im Landkreis sowie zu einer ungleichmäßigen Gebührenbelastung der Kreiseinwohner führe und zudem infolge verschiedener Doppelvorhaltungen insgesamt unwirtschaftlich sei. Der Widerspruch der Gemeinde wurde zurückgewiesen, ihre Klage blieb vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg.
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c) Auf die Berufung hin hob das Oberverwaltungsgericht für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein die angegriffenen Bescheide mit Urteil vom 8. März 1979 (DÖV 1980, S. 417 = DVBl. 1980, S. 81) auf und verpflichtete den beklagten Landkreis zur Neubescheidung. Zur Begründung führte es aus, eine Gemeinde könne sich auf die Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG auch im Verhältnis zum Landkreis berufen; die Vorschrift normiere den Grundsatz der Allzuständigkeit, der eine Zuständigkeitsvermutung für die Gemeinden und zugleich ein Subsidiaritätsprinzip zu ihren Gunsten begründe. Allerdings greife die gesetzliche Regelung nicht in den gegen jede gesetzliche Schmälerung gesicherten Bereich der Selbstverwaltung der Gemeinden ein. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebiete, daß bei gesetzgeberischen Entscheidungen im Spannungsfeld zwischen dem Zwang zur wirtschaftlichen Konzentration der Kräfte und der Mittel einerseits und der Wahrung des Kernbereichs gemeindlicher Selbstverwaltung andererseits weitere Aufgabenbereiche aus den gemeindlichen Selbstverwaltungsaufgaben nur dann und in dem Umfang herausgelöst werden dürften, wenn und soweit sich dies als unerläßlich erweise. Danach sei die gesetzliche Regelung hinsichtlich der Abfallbeseitigung im engeren Sinne in jedem Fall und hinsichtlich der Teilaufgaben des Einsammelns und Beförderns wegen der vorgesehenen Rückübertragungsmöglichkeit gerechtfertigt. Allerdings werde das den Landkreisen hierbei eingeräumte Ermessen durch den Zweck des Gesetzes begrenzt, eine optimal technische und wirtschaftliche Müllbeseitigung unter Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes organisatorisch zu erreichen. Diese Ermessensgrenzen habe der beklagte Landkreis verkannt.
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d) Die Revision der beigeladenen Aufsichtsbehörde hatte Erfolg. In seinem Urteil vom 4. August 1983 (BVerwGE 67, 321) führte das Bundesverwaltungsgericht aus, Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verbürge den Gemeinden zunächst einen gegen jeden gesetzlichen Zugriff verschlossenen Kernbereich an hinreichend zahlreichen und gewichtigen Aufgaben. Dieser umfasse freilich kein ein für allemal feststehendes Aufgabenfeld; auch die "Örtlichkeit" als kompetenzbegründendes und kompetenzwahrendes Merkmal werde von den Anforderungen beeinflußt, welche an die Art und Weise des Aufgabenvollzugs im Gemeininteresse gestellt werden müßten. Der unantastbare Kernbereich kennzeichne mithin den Bereich der Garantie, dem gegenüber es keine begrenzenden gleich- oder höherwertigen Rechtsgüter mehr gebe, solle die Garantie ihre Wirksamkeit für das Staatsganze und für den "Aufbau der Demokratie von unten nach oben" (Art. 11 Abs. 4 BayVerf) nicht einbüßen. Die Garantie erschöpfe sich aber nicht darin, eine absolute Grenze zu bezeichnen, jenseits derer der Gesetzgeber in seiner Aufgabenzuweisung frei sei; jenseits des Kernbereichs schirme sie ab gegen unzulässige, weil sachlich nicht gerechtfertigte Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung, die damit unverhältnismäßig erschienen.
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Das gelte grundsätzlich auch gegenüber Regelungen zugunsten der Kreise; jedoch sei zu beachten, daß das Verhältnis zwischen Gemeinden und Kreisen ohne eine Priorität der Gemeinden auf Ausgleich und Ergänzung angelegt sei. Auch den Kreisen sei das Recht der Selbstverwaltung, also das Recht, Angelegenheiten der örtlichen - wenn auch übergemeindlichen - Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln, bundesverfassungsrechtlich eingeräumt (Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG). Im Verhältnis zueinander seien Gemeinden und Kreise danach gegen einen gesetzlichen Aufgabenentzug außerhalb des ihnen beiden gewährleisteten Kernbereichs nur nach Maßgabe eines Verhältnismäßigkeitsprinzips geschützt, das auf den Sinn und Zweck der doppelten Garantie abhebe, die Aufgabe jeweils auf der Ebene anzusiedeln, die hierfür die geeignetere sei.
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Bei Anlegung dieser Maßstäbe greife die landesgesetzliche Zuständigkeitsverlagerung für die Abfallbeseitigung auf die Kreise weder in den Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltung ein noch sei sie unverhältnismäßig. Die Aufgabe der Abfallbeseitigung sei aus den Bezügen des lokalen Raumes hinausgewachsen. Das Wohl der Allgemeinheit erfordere, in der Organisation der Abfallbeseitigung möglichst großräumige Lösungen anzustreben, damit der für einen optimalen Umweltschutz notwendige technische und personelle Aufwand in wirtschaftlich vertretbarer Weise auch tatsächlich erbracht werden könne. Der dichte Zusammenhang mit der Abfallbeseitigung im engeren Sinne schließe es auch aus, hinsichtlich der Phasen des Einsammelns und Beförderns des Abfalls noch eine besondere Nähe des Aufgabenfeldes zur engeren Örtlichkeit festzustellen.
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Über diesen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinaus sei der Gesetzgeber an keinen Subsidiaritätsgrundsatz zugunsten der Gemeinden gebunden; er brauche keine Möglichkeit zur Berücksichtigung besonderer Einzelfälle vorzusehen. Daher bestünden auch keine verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Auslegung der Rückübertragungsmöglichkeit in § 1 Abs. 2 Nds. AG AbfG. Die zuständige Behörde habe ihre Entscheidung vielmehr ausschließlich am Grundsatz des wirksamsten Aufgabenvollzugs auszurichten; dies habe sie beanstandungsfrei getan.
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2. Die Beschwerdeführerin im Verfahren 2 BvR 1628/83 beantragte unter dem 23. Juli 1974 beim Landkreis Stade, ihr die Pflicht zur Beseitigung der auf ihrem Gebiet anfallenden Abfälle auf Dauer teilweise - nämlich beschränkt auf das Einsammeln und Befördern - zu übertragen. Diesen Antrag lehnte der Landkreis Stade ab; auch hier blieben Widerspruch und Klage erfolglos.
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III. |
Nach Erhalt der letztinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen haben die Beschwerdeführerinnen Kommunalverfassungsbeschwerde gegen § 1 Abs. 1 und 2 Nds. AG AbfG eingelegt.
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1. Die Beschwerdeführerin im Verfahren 2 BvR 1619/83 trägt zur Begründung ihrer erneuten Beschwerde vor, das Grundgesetz normiere in Art. 28 Abs. 2 einen Vorrang der Gemeinden vor den Kreisen, wie ein Vergleich seiner beiden Sätze zeige: Während Gemeinden wie Gemeindeverbände die Angelegenheiten, für die sie zuständig seien, in eigener Verantwortung regeln dürften, sei darüber hinaus lediglich den Gemeinden ein eigener sachlicher Zuständigkeitsbereich schon von Verfassungs wegen garantiert, während sich der Zuständigkeitsbereich der Gemeindeverbände erst aus der Summe der gesetzlichen Zuweisungen ergebe. Den Vorrang der Gemeinden zeige auch schon der Begriff "Gemeindeverbände", der außer den Kreisen auch andere Zusammenschlüsse von Gemeinden, immer aber eben Zusammenschlüsse von Gemeinden meine. Auch die grundgesetzlichen Bestimmungen über die Finanzausstattung der kommunalen Gebietskörperschaften bevorzugten in Art. 106 Abs. 5 und 6 GG die Gemeinden gegenüber den Gemeindeverbänden; die Gemeindeverbände finanzierten sich lediglich aus Finanzzuweisungen und Umlagen.
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Es könne demgemäß nicht mit dem Bundesverwaltungsgericht zwischen einer "lokalen Örtlichkeit" und einer "übergemeindlichen Örtlichkeit" unterschieden werden. Der Begriff "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" umfasse vielmehr ausschließlich den originären Zuständigkeitsbereich der Gemeinden. Hierzu seien jedenfalls die Angelegenheiten zu rechnen, die ausschließlich oder doch stark überwiegend örtliche Bezüge aufwiesen; sie seien nur in enger Verbindung zu den Wohn- und Arbeitsplätzen und daher örtlich gebunden regelbar. Insoweit bestehe keine Befugnis des Gesetzgebers zum Aufgabenentzug; die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft seien den Gemeinden ausdrücklich "alle" vorbehalten, und der Gesetzesvorbehalt "im Rahmen der Gesetze" beziehe sich ausweislich der Satzstellung nur auf die Art und Weise der eigenverantwortlichen Aufgabenerfüllung.
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Freilich bestünde bei zahlreichen Aufgaben ein Mischbezug auf die örtliche wie auf eine größere Gemeinschaft. Eine Aufgabe wachse aber nicht allein wegen der von ihr gestellten finanziellen Anforderungen aus dem örtlichen Bezug hinaus, da die Finanzkraft der Gemeinden ohnehin überwiegend von Drittzuweisungen abhänge. Bestehe jedoch ein Mischbezug, so dürfe der Gesetzgeber die zuständige Körperschaft zwar bestimmen, sei hierbei jedoch an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden, in welchen der bereits begründete Vorrang der gemeindlichen Zuständigkeit einmünde.
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Bei Anlegen dieser Maßstäbe sei die Abfallbeseitigung jedenfalls bei hinreichend leistungskräftigen Gemeinden - als solche habe der Gesetzgeber selbst regelmäßig Gemeinden mit mehr als 20 000 Einwohnern angesehen - auch heute noch eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft. Bei weniger leistungskräftigen Gemeinden erschiene deren - auch zwangsweiser - Zusammenschluß zu einem Abfall-Zweckverband gegenüber einer Übertragung der Aufgabe auf die Landkreise als milderes Mittel. Eine generelle Aufgabenzuweisung an die Landkreise könne vor Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG allenfalls dann Bestand haben, wenn zugunsten hinreichend leistungskräftiger Gemeinden ein Rechtsanspruch auf Rückübertragung vorgesehen werde; die Regelung in § 1 Abs. 2 Nds. AG AbfG sei schon deshalb verfassungswidrig, weil hier lediglich ein Rückübertragungsermessen eingeräumt werde. Unverhältnismäßig sei auch die Einschaltung der Gemeinden als bloße Verwaltungshelfer für die Kreise, wie sie aufgrund § 1 Abs. 1 Satz 3 Nds. AG AbfG praktiziert werde. Dies mache aus den Gemeinden bloße Außenstellen der Kreisverwaltung und belege deutlich die zentralistische Tendenz der Landesgesetzgebung.
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Selbst wenn sich aber für die "Hochzonung" der Abfallbeseitigung - isoliert betrachtet - gute Gründe finden möchten, so sei die angegriffene Regelung doch deshalb verfassungswidrig, weil sie in der Reihe vergleichbarer Regelungen auf anderen Sachgebieten zu einer Aushöhlung der gemeindlichen Selbstverwaltung führe. So sei den Gemeinden in Niedersachsen in jüngster Zeit die Zuständigkeit für die Schulträgerschaft für Schulen der Sekundarstufen I und II im Regelfall und für die Schülerbeförderung vollständig entzogen, ihre Regelungsbefugnis auf den Gebieten des Kindergarten- und Kinderspielplatzrechts, des Abwasserrechts und der Fachplanungen durch detaillierte Gesetzesbestimmungen weitgehend eingeengt und ihre Finanzausstattung über das Maß des Vertretbaren hinaus verkürzt worden.
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Der Erlaß des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Abfallbeseitigungsgesetz sei im Jahr 1973 schließlich auch ohne Abstimmung mit der erst 1972 begonnenen Gemeinde- und Kreisgebiets- und Funktionalreform erfolgt und konterkariere deren Absichten und Ergebnisse. Das verstoße gegen den Grundsatz der Systemgerechtigkeit. Insbesondere sei nicht berücksichtigt worden, daß aufgrund der Gebietsreform 1982 von den insgesamt 426 gemeindlichen Verwaltungseinheiten (Gemeinden, Städte und Samtgemeinden) 215 mehr als 10 000 Einwohner und 75 sogar mehr als 20 000 Einwohner aufwiesen. Der Gesetzgeber selbst habe angenommen, daß Gemeinden mit mehr als 20 000 Einwohnern hinreichend leistungskräftig seien, um die Abfallbeseitigung eigenverantwortlich durchzuführen.
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2. Die Beschwerdeführerin im Verfahren 2 BvR 1628/83 stützt ihre Verfassungsbeschwerde im wesentlichen auf dieselben Erwägungen. Ergänzend weist sie darauf hin, die Abfallbeseitigung sei durch das Bundes-Abfallbeseitigungsgesetz erstmals gesetzlich insgesamt dem Ziel eines möglichst wirksamen Umweltschutzes unterstellt worden. Umweltschutz sei indes nicht zwangsläufig eine überörtliche Aufgabe, sondern ein Querschnittsziel, dem sämtliche Träger öffentlicher Gewalt in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich Rechnung zu tragen hätten. Das Abfallbeseitigungsgesetz gehe zwar davon aus, daß die Abfallbeseitigung im engeren Sinne großräumige Lösungen und eine landesweite Planung erfordere, um umweltschutzgerecht durchgeführt zu werden. Es unterscheide hiervon jedoch selbst die anderen Phasen des Einsammelns und Beförderns und treffe für diese ausdrücklich keine Vorentscheidung über den zur umweltschutzgerechten Aufgabenerfüllung erforderlichen Zuschnitt der Verwaltungsräume. Jedenfalls diese Phasen wiesen nach wie vor örtliche Bezüge auf und seien daher den Gemeinden zur eigenverantwortlichen Erledigung zu belassen. Auch der Wunsch nach Gebühreneinheitlichkeit im Kreisgebiet sei nicht geeignet, die verfassungsrechtliche Aufgabenzuweisung und -abgrenzung zu überwinden, zumal der Gesetzgeber in § 1 Abs. 3 Nds. AG AbfG selbst von einer möglichen Uneinheitlichkeit der Gebührensätze ausgegangen sei. Aus allem ergebe sich, daß der Landesgesetzgeber die Phasen des Einsammelns und Beförderns nicht ohne Verstoß gegen Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG den Kreisen habe zuweisen dürfen.
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IV. |
1. In ihrer Stellungnahme führt die Niedersächsische Landesregierung aus, daß die in den Art. 20 Abs. 1, 28 und 30 GG normierte vertikale Gewaltenteilung nicht Selbstzweck sei, sondern der Durchsetzung der Grundrechte und der Staatszielbestimmungen des Art. 20 Abs. 1 GG diene, so auch des Sozialstaatsgebots, welches eine möglichst umfassende und differenzierte Daseinsvorsorge gebiete. Dann aber komme es für die Bestimmung der jeweils zuständigen Verwaltungsebene darauf an, welche dieser Ebenen die Aufgabe nach dem jeweiligen Gesetzeszweck am wirksamsten erfüllen könne.
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Unter diesem Gesichtspunkt sei die angegriffene Gesetzesbestimmung verfassungsgemäß. Zunächst sei der materiell-polizeiliche Charakter der Aufgabe zu berücksichtigen, der diese typischerweise nicht mehr dem Selbstverwaltungsbereich der kommunalen Körperschaften, sondern deren übertragenem Wirkungskreis zuordne. Des weiteren erfordere eine umweltschutzgerechte Abfallbeseitigung weit in die Zukunft greifende Problemlösungen; das verbiete es, nur den punktuellen Zuschnitt und Leistungsstand einzelner Gemeinden im Jahr 1973 zugrundezulegen. Vor Inkrafttreten des Abfallbeseitigungsgesetzes hätten nur etwa 75% aller Gemeinden eine Müllabfuhr überhaupt durchgeführt, davon die wenigsten in befriedigender Weise. Schon dies habe dagegen gesprochen, die Aufgabe bei den Gemeinden zu belassen. Hinzu komme infolge veränderten Konsumverhaltens ein erheblich vermehrter Anfall von Hausmüll, eine veränderte Zusammensetzung der Abfälle und damit eine neuartige Gefährdung von Boden, Wasser und Luft; das erfordere einen erhöhten Planungs-, Einrichtungs- und Unterhaltungsaufwand für die Anlagen zur Abfallbeseitigung im engeren Sinne und lasse nur noch wenige Standorte als geeignet erscheinen. Schon aus diesem Grunde aber müsse auch das Einsammeln und Befördern der Abfälle großräumig gelöst werden: Auch hier seien - vollends seit der Bundesgesetzgeber im neuen Oberbegriff der Abfallentsorgung die Abfallverwertung gleichwertig neben die Abfallablagerung gestellt habe - erhöhte Anforderungen an Geräte, Personal und Organisation zu stellen, was die Fähigkeiten kreisangehöriger Gemeinden in aller Regel übersteige.
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2. Der Landkreis Ammerland hält die Verfassungsbeschwerden für unbegründet. Er tritt in rechtlicher Hinsicht dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bei und schildert im übrigen die Verwaltungspraxis in seinem Gebiet.
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3. Nach Auffassung des 7. Senats des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein, auf den seit 1984 die Zuständigkeit für das Recht der Abfallbeseitigung übergegangen ist, normiert Art. 28 Abs. 2 GG keinen Zuständigkeitsvorrang zugunsten der Gemeinden. Das Merkmal "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" schaffe keine Rangordnung zwischen Gemeinden und Kreisen, sondern grenze lediglich die beiderseitigen Aufgabenbereiche voneinander ab. Durch die Zuweisung der Abfallbeseitigung im engeren Sinne an die Landkreise werde die gemeindliche Selbstverwaltungsgarantie gar nicht berührt, da die hiermit verbundenen Schwierigkeiten von den Gemeinden nicht mehr eigenverantwortlich bewältigt werden könnten. Demgegenüber wiesen die Phasen des Einsammelns und Beförderns örtliche Bezüge auf, weshalb insoweit der Schutzbereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG betroffen sei. Infolge ihrer dichten Verflochtenheit mit der anschließenden Beseitigung im engeren Sinne besäßen sie jedoch zugleich überörtlichen Bezug. Wegen dieses Doppelbezugs sei weder der Kernbereich der gemeindlichen Selbstverwaltungsgarantie noch derjenige der Selbstverwaltungsgarantie der Kreise berührt, das Zuweisungsermessen des Gesetzgebers mithin eröffnet. Der Gesetzgeber habe hiervon beanstandungsfrei Gebrauch gemacht. Auch ein Verzicht auf die Rückübertragungsmöglichkeit nach § 1 Abs. 2 Nds. AG AbfG hätte verfassungsrechtliche Bedenken nicht ausgelöst.
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4. Das Bundesverwaltungsgericht weist in seiner Stellungnahme unter anderem darauf hin, daß es die Bedeutung genügend großer Einzugsbereiche für eine dem Wohl der Allgemeinheit (§ 2 Abs. 1 AbfG) entsprechende Abfallbeseitigung für so wesentlich ansehe, daß es die angegriffene gesetzliche Regelung auch dann als mit Art. 28 Abs. 2 GG und mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für vereinbar hielte, wenn im Hinblick auf diese Verfassungsvorschrift an die Aufgabenverteilung zwischen Kreisen und Gemeinden strengere Anforderungen zu stellen seien, als sie der Senat nach wie vor für richtig halte.
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5. Im Rahmen des Äußerungsverfahrens haben außerdem der Niedersächsische Städtetag, der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund und der Niedersächsische Landkreistag Stellung genommen. Jene unterstützen Anliegen und Argumentation der Beschwerdeführerinnen, während dieser die Verfassungsbeschwerden für unbegründet hält und hierzu ergänzend ein Rechtsgutachten vorlegt (Loschelder, Die Befugnis des Gesetzgebers zur Disposition zwischen Gemeinde- und Kreisebene, 1986).
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Nach Auffassung des Niedersächsischen Landkreistages war die Aufgabe der Abfallbeseitigung schon 1972 überörtlicher Natur. Nach den seinerzeitigen fachwissenschaftlichen Erkenntnissen habe auch im ländlichen Raum der Einzugsbereich einer Deponie wenigstens 100 000 Einwohner und der eines Einsammelbezirks wenigstens 80 000 Einwohner umfassen müssen, um unter anderem die notwendige Behältervielfalt und Entsorgungssicherheit zu gewährleisten. Würde das Einsammeln und Befördern den kreisangehörigen Gemeinden übertragen, müßten diese ihre Aufgabenerledigung doch weitgehend an den Vorgaben der für die Beseitigung im engeren Sinne zuständigen Kreise hinsichtlich Behältervolumen, Transportsystemen, Terminplanung und Gebührentarifen orientieren. Die überörtlichen Bezüge hätten sich seither noch verstärkt. Die Bildung von Müllabfuhr-Zweckverbänden erscheine aber keinesfalls als ein milderes Mittel; diese verfügten - anders als die Kreise (Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG) - nur über eine mittelbare demokratische Legitimation.
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Unzutreffend sei auch die Darstellung der Beschwerdeführerinnen, infolge kumulierter gesetzlicher Eingriffe finde eine Erosion der gemeindlichen Selbstverwaltung statt. Zwar seien den Gemeinden die Aufgaben der Abfallbeseitigung und - teilweise - der Schulträgerschaft entzogen worden. Im Gegenzuge seien ihnen aber etwa 190 zusätzliche Zuständigkeiten, wenn auch im übertragenen Wirkungskreis, zugewiesen und auf den Gebieten der Landschaftspflege und der Ausführung des Bundessozialhilfegesetzes neue Aufgaben erschlossen worden. Zudem habe der herkömmliche Aufgabenkreis der Gemeinden auf den Gebieten der Erholung, von Sport und Freizeit, aber auch der Abwasserbeseitigung und der Bauleitplanung im Laufe der Zeit erheblich an Gewicht gewonnen.
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B. |
Der Richter Franßen hat an den Revisionsurteilen des Bundesverwaltungsgerichts mitgewirkt, die in den von den Beschwerdeführerinnen vor Erhebung ihrer Verfassungsbeschwerden durchgeführten Verwaltungsstreitverfahren ergangen sind. Hierdurch ist er von der Ausübung seines Richteramts im vorliegenden Verfahren nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG ausgeschlossen. Zwar richten sich die Verfassungsbeschwerden nicht gegen diese Gerichtsurteile; denn die Kommunalverfassungsbeschwerde ist nur als Rechtssatzverfassungsbeschwerde möglich (vgl. BVerfGE 76, 107 [113, 115]). Gleichwohl begehren die Beschwerdeführerinnen materiell gerade auch die Überprüfung dieser Urteile, die dieselbe Verfassungsrechtsfrage zum Gegenstand hatten und die in einem Verfahren ergangen sind, das die Beschwerdeführerinnen - im Hinblick auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde vom Bundesverfassungsgericht darauf verwiesen - vor der Erhebung der Verfassungsbeschwerden betrieben haben. Auch für diesen Fall gilt der tragende Gedanke der Vorschrift des § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG, daß die richterliche Vorbefassung mit einer Sache dann zur Ausschließung führt, wenn die Überprüfung einer Entscheidung zur Überprüfung einer eigenen Entscheidung würde (vgl. BVerfGE 78, 331 [338]).
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C. |
Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 1619/83 ist zulässig, diejenige im Verfahren 2 BvR 1628/83 dagegen nicht.
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1. Die Beschwerdeführerinnen wenden sich gegen die Regelung in § 1 Abs. 1 und 2 Nds. AG AbfG und damit gegen ein Gesetz im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG, § 91 Satz 1 BVerfGG. Da nach Art. 42 der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung und § 13 des Niedersächsischen Gesetzes über den Staatsgerichtshof eine Beschwerde wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung bei dem Staatsgerichtshof nicht erhoben werden kann, ist die Kommunalverfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht trotz der Subsidiaritätsklausel des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b letzter Halbsatz GG und des § 91 Satz 2 BVerfGG gegeben (vgl. BVerfGE 59, 216 [225]; 76, 107 [117]). Die Beschwerdeführerinnen sind durch die angegriffene Rechtsnorm auch selbst, unmittelbar und gegenwärtig betroffen (vgl. hierzu BVerfGE 71, 25 [34]; 76, 107 [112 f., 116]); denn sie haben unmittelbar durch § 1 Abs. 1 Nds. AG AbfG ihre Zuständigkeit für die Aufgaben der Abfallbeseitigung in ihrem Gebiet verloren. Weiterhin haben sie die Verfassungsbeschwerden "wegen Verletzung des Rechts auf Selbstverwaltung nach Art. 28 GG" erhoben; sie legen mit ihnen einen Sachverhalt dar, aufgrund dessen der Schutzbereich dieser Verfassungsnorm betroffen sein könnte (vgl. BVerfGE 71, 25 [36 f.]; 76, 107 [116]).
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a) Die für Kommunalverfassungsbeschwerden nach § 93 Abs. 2 BVerfGG geltende Frist von einem Jahr nach Inkrafttreten der angegriffenen Rechtsnorm (vgl. BVerfGE 76, 107 [115]) ist mit dem 30. September 1974 abgelaufen. Die Einleitung der auf Rückübertragung der entzogenen Zuständigkeit nach § 1 Abs. 2 Nds. AG AbfG gerichteten Verwaltungsverfahren konnte den Fristlauf nicht unterbrechen. Denn die in der gesetzlichen Regelung liegende Beschwer, auf deren Beseitigung die Kommunalverfassungsbeschwerde zielt, liegt hier darin, daß den kreisangehörigen Gemeinden die Zuständigkeit zur Abfallbeseitigung generell entzogen wird. Diese Beschwer kann ein auf Rückübertragung im Einzelfall gerichtetes Verwaltungsverfahren nicht beseitigen; das zeigt schon der Umstand, daß eine solche Rückübertragung bei veränderten Umständen ihrerseits wieder zurückgenommen werden kann; sie verleiht keine gesetzliche, nur durch Gesetz wieder aufhebbare Zuständigkeit (vgl. auch BVerfGE 71, 25 [35 f.]; 76, 107 [112 f.]).
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b) Der Beschwerdeführerin im Verfahren 2 BvR 1619/83 kommt jedoch zugute, daß sie am 30. September 1974 und mithin fristgerecht bereits einmal Kommunalverfassungsbeschwerde gegen § Abs. 1 und 2 Nds. AG AbfG eingelegt hatte und seinerzeit durch Beschluß des Vorprüfungsausschusses des erkennenden Senats vom 10. September 1976 auf den Weg über § 1 Abs. 2 Nds. AG AbfG verwiesen worden war, demgegenüber die Verfassungsbeschwerde subsidiär sei. Aus diesem Grunde muß sie so behandelt werden, als hätte die Einleitung dieses Verwaltungsverfahrens den Fristlauf unterbrochen und als hätte die Jahresfrist mit Zustellung des letztinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Urteils am 16. September 1983 erneut zu laufen begonnen (vgl. BVerfGE 76, 107 [115 f.]). Die erneute, am 12. Oktober 1983 eingekommene, Verfassungsbeschwerde muß somit als fristgerecht erhoben angesehen werden.
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c) Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 1628/83 ist verspätet. Die Beschwerdeführerin hat ihre Verfassungsbeschwerde überhaupt erst am 13. Oktober 1983 eingelegt.
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D. |
Die Verfassungsbeschwerde im Verfahren 2 BvR 1619/83 ist unbegründet. § 1 Abs. 1 und 2 des Nds. AG AbfG verletzt Art. 28 Abs. 2 GG nicht.
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I. |
Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistet den Gemeinden das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Die darin liegende Garantie der Einrichtung gemeindliche Selbstverwaltung bedarf der gesetzlichen Ausgestaltung und Formung. Der Vorbehalt "im Rahmen der Gesetze" überläßt dem Gesetzgeber diese Ausgestaltung und Formung jedoch nicht beliebig. Zum einen setzt der Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie ihm eine Grenze; hiernach darf der Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung nicht ausgehöhlt werden. Aber auch außerhalb des Kernbereichs ist der Gesetzgeber nicht frei: Indem der Verfassungsgeber die Institution gemeindliche Selbstverwaltung nicht nur in ihrer überkommenen Gestalt aufgegriffen, sondern mit eigenen Aufgaben in den Aufbau des politischen Gemeinwesens nach der grundgesetzlichen Ordnung eingefügt hat, hat er ihr eine spezifische Funktion beigemessen, die der Gesetzgeber zu berücksichtigen hat.
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1. Die Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG sichert den Gemeinden einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich sowie die Befugnis zu eigenverantwortlicher Führung der Geschäfte in diesem Bereich (BVerfGE 26, 228 [237 f.]; 56, 298 [312]; 59, 216 [226]). Der Gesetzesvorbehalt, den Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG ausspricht, umfaßt dabei nicht nur die Art und Weise der Erledigung der örtlichen Angelegenheiten, sondern ebenso die gemeindliche Zuständigkeit für diese Angelegenheiten. Zwar ließe vom Wortlaut her die Stellung der Worte "im Rahmen der Gesetze" innerhalb der Vorschrift auch eine andere Deutung zu. Um Sinngehalt und Tragweite der Grundrechtsbestimmungen und anderen Garantienormen, denen oft eine lapidare Sprachgestalt eigen ist, richtig zu erfassen, ist jedoch der Blick auf das rechtliche und historische Umfeld der Entstehung der Verfassungsnorm sowie auf ihre Zielrichtung erforderlich, wie sie sich in den Beratungen darstellte und wie sie schließlich im Normzusammenhang ihren Ausdruck gefunden hat (vgl. BVerfGE 74, 51 [57]; 74, 102 [116]). Hieraus ergibt sich, daß die Abgrenzung des Aufgabenkreises der Gemeinden einer Regelung durch den Gesetzgeber stets offenstand und - mit den in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG enthaltenen Beschränkungen - auch nach dem Grundgesetz offenstehen soll.
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a) Für das 19. Jahrhundert war es - ungeachtet der in einigen Verfassungen für die Gemeinden enthaltenen Verbürgung der selbständigen Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten (siehe etwa § 184 Reichsverfassung von 1849; Art. 105 Abs. 1 Nr. 3 Preußische Verfassungsurkunde von 1850) - nicht streitig, daß die Rechte der Gemeinden und ihr Umfang auf gesetzlicher Bewilligung und gegebenenfalls Eingrenzung beruhen (E. Walz, Gemeinde I. Allgemeines, in: v. Stengel/Fleischmann (Hrsg.), Wörterbuch des deutschen Staats- und Verwaltungsrechts, Bd. 2, 2. Aufl., 1913, S. 39). Das Preußische Oberverwaltungsgericht führte in einer Entscheidung im Jahre 1886 (PrOVGE 13, 89 [106]) wie selbstverständlich aus, daß "den Gemeinden die Pflege der sittlichen und wirtschaftlichen Interessen ihrer Angehörigen ganz allgemein zu (steht), soweit nicht etwa Spezialgesetze bestimmte Ausnahmen machen". Dieses Regel- Ausnahme-Prinzip fand angesichts zunehmender Zuständigkeitskonkurrenzen zwischen Staat und Gemeinden Aufnahme in die meisten Verfassungen der teilweise neu gebildeten Länder nach 1945, zum Teil mit verstärkter Garantie der gemeindlichen Selbstverwaltung (vgl. Art. 137 Abs. 1 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946; Art. 49 Abs. 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947; Art. 39 Abs. 1 der Landessatzung für Schleswig-Holstein vom 13. Dezember 1949; Art. 78 Abs. 2 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Juni 1950; Art. 44 Abs. 3 der Vorläufigen Niedersächsischen Verfassung vom 13. April 1951; Art. 71 Abs. 2 Satz 1 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg vom 11. November 1953). Mit Ausnahme der Verfassung des Freistaates Bayern vom 2. Dezember 1946 (vgl. insb. deren Art. 83 Abs. 1) erklärt keine dieser Länderverfassungen bestimmte Aufgaben zu an sich gemeindlichen Angelegenheiten.
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b) Wie die Entstehungsgeschichte des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zeigt, wollte der Parlamentarische Rat zwar die Gewährleistung der gemeindlichen Selbstverwaltung durch ihre Aufnahme ins Grundgesetz deutlich unterstreichen, aber dabei allgemein und bezüglich der gemeindlichen Aufgaben nicht über den herkömmlich gesicherten Bestand hinausgehen (vgl. BVerfGE 1, 167 [175]). Der Abgeordnete Dr. Laforet hob die Übereinstimmung darüber hervor, daß der außerordentlichen Bedeutung der Gemeinden und Gemeindeverbände auch im Grundgesetz an besonderer Stelle zu gedenken und das Prinzip der Selbstverwaltung als ein Grundgedanke herauszustellen sei, an den die Länder gebunden seien. Die Frage des Gesetzesvorbehalts hinsichtlich des gemeindlichen Aufgabenbereichs wurde anhand eines Formulierungsvorschlags des Ausschusses für Grundsatzfragen ausführlich diskutiert. Der Vorschlag lautete:
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"Die Länder haben den Gemeinden und Gemeindeverbänden das Recht der Selbstverwaltung zu gewähren. Zum Wesen der Selbstverwaltung gehört, daß die Gemeinden alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft in eigener Verantwortung zu regeln haben, soweit das Gesetz dem Lande oder einem Gemeindeverbande nicht Aufgaben zuweist." (PR, Kurzprot. der 11. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen, S. 7, und der 12. Sitzung, S. 1).
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Der allgemeine Redaktionsausschuß und, diesem folgend, der Hauptausschuß verwarfen diesen Vorschlag, nicht weil sie den gemeindlichen Aufgabenbereich dem Gesetzesvorbehalt entziehen wollten, sondern weil die Formulierung des Grundsatzausschusses gerade umgekehrt eine zu starke Einschränkung des Gesetzesvorbehalts bedeuten könnte. Der Abgeordnete Dr. Laforet, dem der Hauptausschuß insoweit folgte, führte aus, daß eine Einschränkung des Aufgabenkreises der Gemeinden nur durch Gesetz erfolgen könne, daß in diesen Gesetzen aber nicht nur Gemeindeverbänden und Ländern, sondern auch anderen Trägern der öffentlichen Verwaltung wie den Trägern der Sozialversicherung Befugnisse zugewiesen seien, die die Gemeinden von eigener Tätigkeit ausschlössen; deshalb sei die vom Grundsatzausschuß vorgeschlagene Formulierung zu eng (Formulierung des Redaktionsausschusses, PR- Drucks. Nr. 279 vom 16. November 1948, S. 8f.; PR, Sten.Prot. der 5. Sitzung des Hauptausschusses vom 18. November 1948, S. 60; vgl. auch v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, 1953, S. 176).
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2. Zunächst setzt der Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie dem Gesetzgeber eine Grenze; hiernach darf der Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung nicht ausgehöhlt werden (vgl. BVerfGE 1, 167 [174 f.]; 38, 258 [278 f.]; 76, 107 [118]; st. Rspr.). Bei der Bestimmung des Kernbereichs ist in besonderer Weise der geschichtlichen Entwicklung und den verschiedenen Erscheinungsformen der Selbstverwaltung Rechnung zu tragen (vgl. BVerfGE 59, 216 [226]; 76, 107 [118]; st. Rspr.). Hiernach gehört zum Wesensgehalt der gemeindlichen Selbstverwaltung kein gegenständlich bestimmter oder nach feststehenden Merkmalen bestimmbarer Aufgabenkatalog, wohl aber die Befugnis, sich aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft, die nicht durch Gesetz bereits anderen Trägern öffentlicher Verwaltung übertragen sind, ohne besonderen Kompetenztitel anzunehmen ("Universalität" des gemeindlichen Wirkungskreises).
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Die Formulierung "alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG stellt vor allem eine Umschreibung des herkömmlichen Begriffs der "Allzuständigkeit" dar (vgl. BVerfGE 21, 117 [128 f.]). Schon in der preußischen Städteordnung von 1808 wurde den Gemeinden Allzuständigkeit zuerkannt. Mit diesem Begriff wurde vor allem die Vorstellung verbunden, daß eine Gemeinde all das in ihre Wirksamkeit einbeziehen durfte, "was die Wohlfahrt des Ganzen, die materiellen Interessen und die geistige Entwicklung der Einzelnen fördert", ohne hierfür eines speziellen Kompetenztitels zu bedürfen (vgl. PrOVGE 2, 186 [189 f.]; 12, 155 [158]). Damit wurde die "Universalität" des gemeindlichen Wirkungskreises schon frühzeitig als identitätsbestimmendes Merkmal der gemeindlichen Selbstverwaltung angesehen, im Gegensatz zur "Spezialität" einer Befugnis nur kraft speziellen Kompetenztitels bei anderen Verwaltungsträgern.
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Diese Befugnis der Gemeinden, bislang "unbesetzte" Aufgaben in ihrem Bereich an sich zu ziehen, galt unter der Weimarer Reichsverfassung als übereinstimmendes Landesrecht fort (vgl. Anschütz, Kommentar zur Weimarer Reichsverfassung, 14. Aufl., 1933, Anm. 2 zu Art. 127). Durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG wurde sie zu Bundesverfassungsrecht erhoben und auch vom Parlamentarischen Rat als Essentiale der gemeindlichen Selbstverwaltung angesehen, im Gegensatz zur lediglich speziellen Kompetenz der Gemeindeverbände kraft ausdrücklicher gesetzlicher Zuweisung (vgl. die Ausführungen des Abg. Laforet in der 5. Sitzung des Hauptausschusses am 18. November 1948, Sten.Prot., S. 60). Das Grundgesetz beschränkt dieses gemeindliche Zugriffsrecht freilich gegenständlich auf die Angelegenheiten "der örtlichen Gemeinschaft" und verwehrt den Gemeinden so, unter Berufung auf ihre Allzuständigkeit auch allgemeinpolitische Fragen zum Gegenstand ihrer Tätigkeit zu machen (vgl. Abg. Laforet, ebd.; BVerfGE 8, 122 [134]; Gönnenwein, Gemeinderecht, 1963, S. 34).
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Ob daneben auch die "Totalität" oder Einheitlichkeit der öffentlichen Verwaltung auf Gemeindeebene in Händen der gemeindlichen Behörden zu den identitätsbestimmenden Merkmalen der gemeindlichen Selbstverwaltung zu zählen ist, kann offen bleiben.
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3. Die Gewährleistung des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG erschöpft sich hinsichtlich des gemeindlichen Zuständigkeitsbereichs jedoch nicht darin, den Grundsatz der Allzuständigkeit als identitätsbestimmendes Merkmal der gemeindlichen Selbstverwaltung zu normieren. Sie entfaltet vielmehr aus ihrer normativen Intention, den Gemeinden einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich zu sichern, Rechtswirkungen auch jenseits dieses engsten Bereichs.
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a) Die gesetzliche Aufgabenverteilung zwischen Staat und Kommunen wie auch innerhalb der kommunalen Ebene zwischen Kreisen und kreisangehörigen Gemeinden steht stets im Spannungsverhältnis zwischen Verwaltungseffizienz und Bürgernähe. Das Ziel optimaler Verwaltungseffizienz trägt die Tendenz zur immer großräumigeren Organisation und stetigen "Hochzonung" von Aufgaben in sich, während das Ziel möglichster Bürgernähe und Bürgerbeteiligung dem widerstreitet und dezentrale Aufgabenansiedlung anempfiehlt. Ziel der Gemeindegebietsreform der 70er Jahre war es, auf der Basis größerer leistungsfähiger Gemeinden einerseits dem Prinzip der möglichst dezentralen Verwaltung neue Kraft auch im ländlichen Bereich zuzuführen; andererseits war gerade auch eine besondere Betonung der insgesamt wirtschaftlichen und rationellen Aufgabenerledigung ein Anliegen für diese in allen deutschen Ländern durchgeführte Reform. Das trug freilich Defizite hinsichtlich der bürgerschaftlichen Selbst-Verwaltung ein. Die wachsenden Anforderungen, welche an die Art und Weise des Aufgabenvollzugs im Hinblick auf die Notwendigkeiten des modernen Sozial- und Leistungsstaates, der ökonomischen Entwicklung und der ökologischen Vorsorge gestellt werden müssen, brachten überdies ein Gefälle hin zu einem "Entörtlichungsprozeß" (vgl. BVerwGE 67, 321 [323]).
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Gegen diese Entwicklung bietet der Grundsatz der Allzuständigkeit den Gemeinden keinen Schutz. Auch der Gedanke, Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verbiete es, die gemeindliche Selbstverwaltung als solche - sei es durch ihre Aufhebung, sei es durch schleichende Aushöhlung - zu beseitigen (vg. BVerfGE 1, 167 [174 f.]; 38, 258 [279]; st. Rspr.), greift erst, wenn sich positiv feststellen ließe, daß der den Gemeinden nach einem Aufgabenentzug verbleibende Aufgabenbestand einer Betätigung ihrer Selbstverwaltung keinen hinreichenden Raum mehr beläßt. Dann aber wäre der Minimumstandard schon erreicht; er würde allenfalls verteidigt, aber nicht verhindert.
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Dies aber würde Ziel und Inhalt der Gewährleistung aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG nicht gerecht. Das Grundgesetz hat sich auch innerhalb der Länder für einen nach Verwaltungsebenen gegliederten, auf Selbstverwaltungskörperschaften ruhenden Staatsaufbau entschieden (vgl. BVerfGE 52, 95 [111 f.]). Es hat darüber hinaus die Gemeinden mit Allzuständigkeit (i.S. des Aufgabenzugriffsrechts) für Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ausgestattet und damit die dezentrale Verwaltungsebene noch besonders hervorgehoben. Im gleichen Sinn haben die Länderverfassungen nach 1945 eine Vermutung zugunsten der kommunalen gegenüber der staatlichen Zuständigkeit normiert. Daß diese Festlegung eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses nicht bloße Rechtstechnik, sondern Ausdruck eines auch materiell verstandenen Prinzips dezentraler Aufgabenansiedlung war, zeigt der Umstand, daß verschiedene Länderverfassungen - und in besonderer Akzentuierung gerade diejenigen, die älter sind als das Grundgesetz (vgl. Art. 137 Abs. 1 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946 und Art. 49 Abs. 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947) - den gesetzlichen Aufgabenentzug an erschwerte materielle Voraussetzungen knüpften (vgl. noch Art. 71 Abs. 2 Satz 1, 70 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg). Dieses Prinzip hat der Parlamentarische Rat aufgegriffen (vgl. insbesondere die Ausführungen des Abg. Dr. Schmid in der 11. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 14. Oktober 1948, Sten. Prot., S. 36 f., 39 f.) und ihm in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG - begrenzt auf die Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft - Ausdruck verliehen.
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Mit dieser Stärkung der dezentralen Verwaltungsebene wollte der Verfassungsgeber auf die gegenläufigen zentralistischen Tendenzen während des nationalsozialistischen Regimes antworten. Er tat dies im Zutrauen in die Gemeinden, im Sinne eines "Aufbaues der Demokratie von unten nach oben" (vgl. Art. 11 Abs. 4 der Verfassung des Freistaates Bayern) Keimzelle der Demokratie und am ehesten diktaturresistent zu sein. In diesem Sinn hat das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, daß Kommunalverfassungsrecht und -wirklichkeit seit dem Zusammenbruch des nationalsozialistischen Regimes von der Tendenz bestimmt sind, unter Zurückdrängung des bürokratisch-autoritativen Elements dem Gedanken des Selbstbestimmungsrechts der Gemeindebürger wieder erhöhte Geltung zu verschaffen (BVerfGE 7, 155 [167]; vgl. BVerfGE 11, 266 [275]). Hieran hat sich dadurch, daß sich die grundgesetzliche Ordnung in der Zwischenzeit verfestigt hat, nichts geändert. Die Zurückhaltung, die der Verfassungsgeber bei der Zulassung unmittelbar-demokratischer Elemente auf Bundesebene geübt hat, wird auf der örtlich bezogenen Ebene der Gemeinden ergänzt durch eine mit wirklicher Verantwortlichkeit ausgestattete Einrichtung der Selbstverwaltung, durch die den Bürgern eine wirksame Teilnahme an den Angelegenheiten des Gemeinwesens ermöglicht wird.
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b) Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG enthält daher auch außerhalb des Kernbereichs der Garantie ein verfassungsrechtliches Aufgabenverteilungsprinzip hinsichtlich der Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft zugunsten der Gemeinden, das der zuständigkeitsverteilende Gesetzgeber zu berücksichtigen hat. Auf diese Weise sichert Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG den Gemeinden einen Aufgabenbereich, der grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfaßt (vgl. BVerfGE 26, 228 [237 f.]; 56, 298 [312]; 59, 216 [226]).
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Dieses Aufgabenverteilungsprinzip gilt zugunsten kreisangehöriger Gemeinden auch gegenüber den Kreisen. Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG sichert den Gemeindeverbänden - und damit den Kreisen - anders als Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG den Gemeinden gerade keinen bestimmten Aufgabenbereich. Das hat das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach festgestellt (vgl. BVerfGE 21, 117 [128 f.]; 23, 353 [365]). Wortlaut und systematisches Verhältnis zwischen den beiden Sätzen des Art. 28 Abs. 2 GG belegen dieses Ergebnis. Es entspricht auch der Tradition des Kommunalverfassungsrechts (vgl. BVerfGE 23, 353 [366]) und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift in den Beratungen des Parlamentarischen Rates. Während der ursprüngliche Vorschlag des Ausschusses für Zuständigkeitsabgrenzung Gemeinden und Gemeindeverbände noch ununterschieden nebeneinandergestellt hatte (vgl. PR, Ausschuß für Zuständigkeitsabgrenzung, Kurzprot. der 10. Sitzung am 8. Oktober 1948, S. 1), nahm der Hauptausschuß die heutige Differenzierung gerade mit der Begründung vor, den Gemeindeverbänden komme herkömmlich im Unterschied zu den Gemeinden gerade keine Allzuständigkeit zu (vgl. die Ausführungen des Abg. Laforet in der 5. Sitzung des Hauptausschusses am 18. November 1948, Sten. Prot. S. 60, und des Abg. v. Mangoldt in der 20. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 10. November 1948, vgl. JöR N.F., Bd. 1, S. 255). Die später aus anderen Gründen verworfene (dazu oben 1) Formulierung des Ausschusses für Grundsatzfragen sah eine ausdrückliche Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Gemeinden nicht nur gegenüber dem Staat, sondern auch gegenüber den Gemeindeverbänden vor (vgl. PR., Kurzprot. der 12. Sitzung des Grundsatzausschusses vom 15. Oktober 1948, S. 1).
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Diesem Befund läßt sich nicht mit einem Hinweis auf Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG entgegentreten. Das Grundgesetz hat mit dieser Vorschrift zwar angeordnet, daß das Volk nicht nur in den Ländern und Gemeinden, sondern auch in den Kreisen eine demokratisch gewählte Vertretung haben muß; dadurch werden die Kreise unter den Gemeindeverbänden nach Art. 28 Abs. 2 Satz 2 GG besonders hervorgehoben. Dies ist im Hinblick auf das gewachsene Gewicht und den tatsächlichen Umfang der Kreistätigkeit geschehen (vgl. BVerfGE 52, 95 [112]). Das Grundgesetz hat damit jedoch auf die gegebene Tatsache reagiert, daß die Landkreise kraft Landesrechts vielfach Zuständigkeiten innehaben, die sich einer Allzuständigkeit annähern; es hat nicht darüber hinaus angeordnet, daß sie Allzuständigkeit auch haben sollen.
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c) Sichert mithin das in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG zum Ausdruck gebrachte Aufgabenverteilungsprinzip den Gemeinden auch gegenüber den Kreisen einen grundsätzlich alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft umfassenden Aufgabenbereich, so ist, was zu diesen Angelegenheiten gehört, nach der doppelten Funktion dieses Begriffs zu bestimmen: Einerseits ist die gemeindliche Allzuständigkeit gegen den Zuständigkeitsbereich der allgemeinen Politik abzugrenzen (vgl. BVerfGE 8, 122 (134) und oben 2), andererseits der grundgesetzlich gewollten Teilnahme der Bürger an der öffentlichen Verwaltung ihr Betätigungsfeld zuzuordnen. Hiernach sind Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft diejenigen Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben (vgl. insoweit BVerfGE 8, 122 [134]; 50, 195 [201]; 52, 95 [120]), die also den Gemeindeeinwohnern gerade als solchen gemeinsam sind, indem sie das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen; auf die Verwaltungskraft der Gemeinde kommt es hierfür nicht an. Es liegt auf der Hand, daß diese Angelegenheiten keinen ein für allemal feststehenden Aufgabenkreis bilden; ebenso ist deutlich, daß dieser auch nicht für alle Gemeinden unerachtet etwa ihrer Einwohnerzahl, flächenmäßigen Ausdehnung und Struktur gleich sein kann.
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Demgegenüber verbietet sich eine Auslegung, die ein anderweitig bestimmtes einheitliches sogenanntes kommunales Leistungsniveau zu ihrem Ausgangspunkt wählt, das im kreisfreien Raum von den Städten, im kreisangehörigen Raum dagegen von Gemeinden und Kreisen gemeinsam zu erreichen sei (so aber BVerwGE 67, 321 [324]). Zwar mag den Kreisen unter diesem Gesichtspunkt eine "Ausgleichs- und Ergänzungsfunktion" im Hinblick auf weniger leistungsstarke kreisangehörige Gemeinden zukommen (vgl. BVerfGE 58, 177 [196]); auch mag der Landesgesetzgeber den Kreisen darüber hinaus die Erledigung überörtlicher Aufgaben übertragen, die im Gebiet kreisfreier Städte noch als örtliche erscheinen, um so ein Leistungsgefälle zwischen "Stadt" und "Land" zu mindern oder auszugleichen. Gleichwohl bleiben Angelegenheiten, die gerade das Zusammenleben und -wohnen der Menschen in der (politischen) Gemeinde betreffen, Angelegenheiten dieser örtlichen Gemeinschaft; Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG unterscheidet nicht zwischen "lokal-örtlichen" (Gemeinde-) und "regional-örtlichen" (Kreis-) Aufgaben und läßt die Kreise mithin an seinem Gewährleistungsgehalt nicht teilhaben.
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4. Der Gesetzgeber darf nach alledem die Institution gemeindliche Selbstverwaltung auch hinsichtlich der Aufgabenausstattung der Gemeinden regeln. Er hat hierbei indes den Vorrang zu berücksichtigen, den Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG in den Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft der Gemeindeebene auch vor der Kreisebene einräumt. Der Gesetzgeber ist dagegen in seiner Zuordnung frei, wenn die Aufgabe keinen oder keinen relevanten örtlichen Charakter besitzt; sie fällt dann aus dem Gewährleistungsbereich des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG heraus.
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a) Eine Aufgabe mit relevantem örtlichen Charakter darf der Gesetzgeber den Gemeinden nur aus Gründen des Gemeininteresses, vor allem also dann entziehen, wenn anders die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung nicht sicherzustellen wäre. Demgegenüber scheidet das bloße Ziel der Verwaltungsvereinfachung oder der Zuständigkeitskonzentration - etwa im Interesse der Übersichtlichkeit der öffentlichen Verwaltung - als Rechtfertigung eines Aufgabenentzugs aus; denn dies zielte ausschließlich auf die Beseitigung eines Umstandes, der gerade durch die vom Grundgesetz gewollte dezentrale Aufgabenansiedlung bedingt wird. Auch Gründe der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit der öffentlichen Verwaltung insgesamt rechtfertigen eine "Hochzonung" nicht schon aus sich heraus, sondern erst dann, wenn ein Belassen der Aufgabe bei den Gemeinden zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führen würde. Eine zentralistisch organisierte Verwaltung könnte allerdings in vielerlei Hinsicht rationeller und billiger arbeiten; die Verfassung setzt diesen ökonomischen Erwägungen jedoch den politisch-demokratischen Gesichtspunkt der Teilnahme der örtlichen Bürgerschaft an der Erledigung ihrer öffentlichen Aufgaben (oben 3. a) entgegen und gibt ihm den Vorzug. Der Staat ist daher zunächst darauf beschränkt sicherzustellen, daß die Gemeinden ihre Angelegenheiten nach den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit erfüllen; daß andere Aufgabenträger in größeren Erledigungsräumen dieselbe Aufgabe insgesamt wirtschaftlicher erledigen könnten, gestattet - jedenfalls grundsätzlich - keinen Aufgabenentzug.
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b) Die Prüfung, ob und inwieweit die fragliche Aufgabe sich als Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft darstellt, muß differenziert nach der Größe der betroffenen Gemeinden vorgenommen werden; sie hat anhand von Sachkriterien unter Orientierung an den Anforderungen zu erfolgen, die an eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung zu stellen sind.
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Bei der Einschätzung der örtlichen Bezüge einer Aufgabe und ihres Gewichts kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungsspielraum zu. Hierbei darf nicht übersehen werden, daß sich eine Aufgabe nicht hinsichtlich all ihrer Teilaspekte und nicht für alle Gemeinden gleichermaßen als eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft darstellen muß, daß sie vielmehr auch nur teilweise oder nur für bestimmte - größere - Gemeinden als örtlich anzusehen sein kann, im übrigen aber als überörtlich erscheint. Insoweit darf der Gesetzgeber typisieren; er braucht nicht jeder einzelnen Gemeinde und grundsätzlich auch nicht jeder insgesamt gesehen unbedeutenden Gruppe von Gemeinden Rechnung zu tragen. Dies folgt schon aus dem notwendig generellen Charakter seiner Regelung (vgl. BVerwGE 67, 321 [329 f.]). Im Streitfall ist zu prüfen, ob die gesetzgeberische Einschätzung von Maß und Gewicht der örtlichen Bezüge einer Aufgabe in Ansehung des unbestimmten Verfassungsbegriffs "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" vertretbar ist. Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers ist dabei um so enger und die gerichtliche Kontrolle um so intensiver, je mehr als Folge der gesetzlichen Regelung die Selbstverwaltung der Gemeinden an Substanz verliert.
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c) Hat die Aufgabe einen relevanten örtlichen Charakter, so muß der Gesetzgeber berücksichtigen, daß sie insoweit an sich der gemeindlichen Ebene zuzuordnen ist. Will er die Aufgabe den Gemeinden gleichwohl entziehen, so kann er dies nur, wenn die den Aufgabenentzug tragenden Gründe gegenüber dem verfassungsrechtlichen Aufgabenverteilungsprinzip des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG überwiegen; sein Entscheidungsspielraum ist insoweit normativ gebunden.
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Auch hier ist von Verfassungs wegen zu prüfen, ob die Entscheidung des Gesetzgebers eine vertretbare Ausfüllung des Rahmens darstellt, den Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG mit dem unbestimmten Verfassungsbegriff "Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft" und dem in ihm normierten Aufgabenverteilungsprinzip festlegt. Die gesetzgeberischen Entscheidungen auf ihre Vertretbarkeit hin statt nur auf das Fehlen sachfremder Erwägungen zu überprüfen, ist angesichts des Gewichts, welches das Grundgesetz der gemeindlichen Selbstverwaltung beimißt, geboten und macht die in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4 b GG vorgesehene Kommunalverfassungsbeschwerde, die der gemeindlichen Selbstverwaltung auch verfahrensrechtlich einen besonderen Schutz zukommen lassen wollte, in diesem Bereich erst wirksam. Auch hier gilt für den Umfang des gesetzgeberischen Entscheidungsspielraums einerseits und die Reichweite der gerichtlichen Kontrolle andererseits das zu b) Gesagte.
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II. |
§ 1 Abs. 1 und 2 des Niedersächsischen Ausführungsgesetzes zum Abfallbeseitigungsgesetz genügt den dargelegten Anforderungen.
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1. a) Der Gesetzgeber darf das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden weder rechtlich noch faktisch beseitigen. Eine rechtliche Beseitigung steht nicht zur Diskussion. Das Selbstverwaltungsrecht würde jedoch dann faktisch beseitigt, wenn das Gesetz die gemeindliche Selbstverwaltung innerlich aushöhlte, sie die Gelegenheit zu kraftvoller Betätigung verlöre und nur noch ein Scheindasein führen könnte (BVerfGE 1, 167 [174 f.]; 22, 180 [204 f.]; 23, 353 [367]; 38, 258 [279]). Davon kann jedoch keine Rede sein. Den niedersächsischen kreisangehörigen Gemeinden steht - auch soweit sie nicht Große selbständige Städte nach § 11 NGO sind - nach dem in Rede stehenden Aufgabenentzug noch ein hinreichendes Betätigungsfeld zu eigenverantwortlicher Regelung offen. Dies gilt selbst dann, wenn man neben dem Aufgabenentzug auf dem Gebiet der Abfallbeseitigung sämtliche von der Beschwerdeführerin angeführten Zuständigkeitsminderungen und Ermessensbindungen einbezieht und obendrein die Zahlreichen - allerdings weniger substantiellen - Aufgabenneuzuweisungen im Zuge der Funktionalreform außer Betracht läßt (ebenso OVG Lüneburg, DÖV 1980, S. 419; BVerwGE 67, 321 [327]).
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b) Die angegriffene Gesetzesregelung ist auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil durch sie die gemeindliche Allzuständigkeit in ihrem identitätsbestimmenden Gehalt verletzt würde. Sie stellt das Recht der Gemeinden, sich bislang unbesetzter Aufgaben nach eigenem Ermessen anzunehmen, nicht in Frage. Der Umstand, daß durch den Aufgabenentzug die Abfallbeseitigung dem gemeindlichen Zugriff nicht mehr offensteht, betrifft nicht das Zugriffsrecht als solches, sondern nur dessen möglichen Anwendungsbereich.
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a) Soweit die Abfallbeseitigung im engeren Sinne (Behandeln, Lagern und Ablagern der Abfälle) in Rede steht, hat sich der Gesetzgeber in Übereinstimmung mit den Regelungen des Abfallbeseitigungsgesetzes des Bundes (vgl. § 2 AbfG) maßgeblich von Gründen des besseren Umweltschutzes sowie - ergänzend - der Seuchenabwehr und der Landschaftspflege leiten lassen. Er hielt es für erforderlich, die im Jahr 1972/73 in Niedersachsen geschätzten 2700 überwiegend ungeordneten Deponien und Müllkippen zum großen Teil zu schließen; lediglich 145 Deponien - einschließlich einiger Verbrennungs- und Kompostierungsanlagen - hätten seinerzeit den neuen Anforderungen genügt oder entsprechend ausgebaut werden können (vgl. Begründung der Regierungsvorlage, LTDrucks. 7/1332, S. 5). Darüber hinaus verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die Zahl der Deponien landesweit weiter zu reduzieren (vgl. Generalplan Abfallbeseitigung Niedersachsen, 1972, S. 10; Staatssekretär Dr. Zill in der 35. Sitzung des Ausschusses für Sozial- und Gesundheitswesen des Siebenten Nds. Landtags, Niederschrift vom 10. Oktober 1972, S. 6 f.), auch dies ersichtlich aus Gründen des besseren Umweltschutzes und der Landschaftspflege. Umweltschutz, Seuchenabwehr und Landschaftspflege aber sind Gemeininteressen, und zwar solche von hoher Bedeutung. Jedenfalls bei Umweltschutz und Seuchenabwehr handelt es sich darüber hinaus um Gesichtspunkte der polizeilichen Gefahrenabwehr (vgl. BVerwGE 67, 321 [327]), die schon zuvor zu Einschränkungen der gemeindlichen Regelungsfreiheit namentlich durch das Wasserhaushaltsgesetz, das Bundesseuchengesetz und die Gewerbeordnung geführt hatten.
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Im Hinblick auf diese Anforderungen an eine ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung sieht das Gesetz die Aufgabe der Abfallbeseitigung im engeren Sinne hinsichtlich der kreisfreien Städte als unverändert örtlich, hinsichtlich der kreisangehörigen Gemeinden jedoch im Regelfall als überörtlich an. Es hat dabei Besonderheiten bei den kreisangehörigen Gemeinden durch die Rückübertragungsmöglichkeit in § 1 Abs. 2 Nds. AG AbfG Rechnung getragen, wobei besonders an die Großen selbständigen Städte nach § 11 NGO gedacht war (vgl. LTDrucks. 7/1332, S. 6; LT, 7. WP, Sten.Ber., 67. Sitzung, Sp. 6848 f., aber auch Sp. 6853). Diese Einschätzung der örtlichen Bezüge der Aufgabe ist vertretbar; sie hält sich im Rahmen des Begriffs Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG. Insbesondere ist nicht zu beanstanden, daß sich der Gesetzgeber hierfür am Einzugsbereich einer Abfalldeponie, bemessen nach Einwohnerzahlen, orientiert hat. Für 1972 ging der Landesgesetzgeber zwar für Landgemeinden von einem Einzugsbereich je Deponie von 20 000 Einwohnern aus (LTDrucks. 7/1332, S. 5); hiernach könnte auch ein erheblicher Anteil der kreisangehörigen Gemeinden noch eine eigene Deponie betreiben, so daß auch für sie die Aufgabe örtlichen Charakter behalten hätte. Aber die Regierungsvorlage macht deutlich, daß die Zahl von 20 000 Einwohnern je (Land-) Deponie abhängig ist von der Zahl der 1972 zulassungsfähigen Deponien; sie berücksichtigt noch nicht das weitere Gesetzesziel, die Zahl der Deponien weiter zu verringern. Zudem bezeichnete die Zahl von 20 000 Einwohnern je Deponie nur die untere Grenze einer je nach Besiedlungsdichte bis 100 000 Einwohnern je Deponie reichenden Bandbreite.
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Da die Aufgabe der Abfallbeseitigung im engeren Sinne nach der mithin vertretbaren, dem Gesetz zugrunde liegenden Einschätzung hinsichtlich der kreisangehörigen Gemeinden nicht mehr als Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft erscheint, ist sie aus dem Gewährleistungsbereich von Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG herausgewachsen. Bestehenden Verschiedenheiten unter den kreisangehörigen Gemeinden, insbesondere im Hinblick auf die Großen selbständigen Städte nach § 11 NGO, hat der Gesetzgeber durch die Rückübertragungsmöglichkeit nach § 1 Abs. 2 Nds. AG AbfG Rechnung getragen. Diese Regelung des Aufgabenübergangs ist verfassungsrechtlich unbedenklich.
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b) aa) Anders als die Abfallbeseitigung im engeren Sinne hat der Landesgesetzgeber im Jahre 1972 die Phasen des Einsammelns und Beförderns der Abfälle - jedenfalls des Hausmülls - auch hinsichtlich der kreisangehörigen Gemeinden nicht als überörtlich bezogene Aufgaben angesehen. Diese Einschätzung ist nach wie vor zutreffend. Der Gesetzgeber hat gleichwohl keine Differenzierung vorgenommen. Maßgebend dafür war zum einen die Erwägung, daß der Einsatz der erforderlichen kostspieligen Spezialfahrzeuge wirtschaftlich sinnvoll nur bei großflächiger Organisation der Abfallbeseitigung möglich sei, zum anderen die Absicht, eine möglichst gleiche Gebührenbelastung der Einwohner im Kreisgebiet herzustellen (LT, 7.WP., Sten.Ber., 67. Sitzung, Sp. 6848).
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Beide Gesichtspunkte erlauben den Aufgabenentzug - für sich genommen - nicht. Denn sie zielen ausschließlich auf die Beseitigung von Umständen, die gerade durch die vom Grundgesetz gewollte dezentrale Aufgabenansiedlung bedingt werden, und stellen mithin gegenüber Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG keinen allgemeinen Grund dar.
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Dies gilt für den Gesichtspunkt möglichster Gebührengleichheit im Kreisgebiet ohne weiteres. Auch Art. 3 Abs. 1 GG gebietet keine andere Beurteilung. Dieser Verfassungsgrundsatz verlangt lediglich die Gleichbehandlung der Bürger durch den nämlichen - zuständigen -, nicht aber auch ihre Gleichbehandlung durch mehrere, voneinander unabhängige Verwaltungsträger (vgl. BVerfGE 21, 54 [68] m. w. N.). Die Möglichkeit des Ausgleichs eines allzu großen Gebührengefälles innerhalb des Kreisgebietes kann hier dahinstehen.
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Aber auch die angeführten Gründe der größeren Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit erlauben den Aufgabenentzug nicht. Sie ziehen durchweg einen zweckmäßigen Größenzuschnitt der öffentlichen Verwaltungsträger nach sich, statt von deren gegebener Größe auszugehen. Wirtschaftlichkeitserwägungen können aber, wie dargelegt, einen Aufgabenentzug erst dann rechtfertigen, wenn ein Belassen der gemeindlichen Aufgabenzuständigkeit zu einem unverhältnismäßigen Kostenanstieg führen würde. Die im Gesetzgebungsverfahren angeführten Gesichtspunkte lassen indes eine solche Gefahr nicht erkennen, auch wenn man Leerkapazitäten, Doppelvorhaltungen und dergleichen in Rechnung stellt.
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Hierdurch wird nicht in Frage gestellt, daß diesen Wirtschaftlichkeitserwägungen von den jeweils zuständigen Verwaltungsträgern erhebliches Gewicht eingeräumt werden darf und muß. Sie mögen und werden vielfach dazu führen, daß sich Gemeinden zu Zweckverbänden zusammenschließen oder private Fuhrunternehmer beauftragen; dies tun auch viele Landkreise. Hierbei handelt es sich aber um Erwägungen, die die - anderweit bestimmten - jeweils zuständigen Verwaltungsträger - und damit gegebenenfalls die Gemeinden unter Beteiligung ihrer Bürger - anzustellen haben, nicht jedoch um solche, die erst zur Bestimmung des zuständigen Verwaltungsträgers führen können.
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bb) Daß das Gesetz den Gemeinden auch die Phasen des Einsammelns und Beförderns trotz deren überwiegend örtlichen Bezügen entzieht, erweist sich jedoch aus anderen Gründen und im Hinblick auf die in § 1 Abs. 2 Nds. AG AbfG vorgesehene Rückübertragungsmöglichkeit gleichwohl als eine vertretbare Ausfüllung des Rahmens, den das in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG normierte Aufgabenverteilungsprinzip vorgibt.
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Schon das Abfallbeseitigungsgesetz des Bundes von 1972 hat den Schwerpunkt der Aufgabe von der herkömmlichen Müllabfuhr auf die Behandlung, Lagerung und Ablagerung des Abfalls verlegt. Während unter dem Blickwinkel der städtischen Wegereinigung früher das Hauptgewicht auf dem Einsammeln des Abfalls und seinem Verbringen aus dem Weichbild der Städte gelegen hatte, trat das Einsammeln und Befördern nunmehr zur bloßen Hilfsfunktion der Abfallbeseitigung im engeren Sinne zurück. Diese Schwerpunktverlagerung hat sich seither - veranlaßt nicht zuletzt durch das Wachsen der Abfallmenge und das Hinzutreten gefährlicherer Abfallstoffe - verstärkt und befestigt. Alles Gewicht wird auf die Abfallbeseitigungsanlagen, deren Standorte, deren Umweltverträglichkeit und deren Zahl verlegt (ebenso BVerwGE 67, 321 [325 f.]). Unter diesem Gesichtspunkt durfte der Gesetzgeber berücksichtigen, daß die Abtrennung der Phasen des Einsammelns und Beförderns zu einer Erschwerung und damit möglicherweise Gefährdung der Ordnung der Abfallbeseitigung im engeren Sinne führen kann. Er hatte andererseits in Rechnung zu stellen, daß diese Gefahr nicht überall und nicht einmal typischerweise besteht, zumal notwendige Angleichungen bei den Verfahren und Instrumenten des Einsammelns und Beförderns der Abfälle sich auch dann erreichen lassen, wenn diese Aufgabe insbesondere bei größeren Gemeinden in deren Hand belassen wird.
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Wenn das Gesetz bei dieser Sachlage die Zuständigkeit für die Aufgabe der Abfallbeseitigung im weiteren Sinn nicht nach Aufgabenphasen trennt, sondern den kreisangehörigen Gemeinden auch die Phasen des Einsammelns und Beförderns entzieht, so ist dies deshalb verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil es zugleich für bestimmte Fälle die Möglichkeit der gesonderten Rückübertragung dieser Phasen vorsieht. Zwar enthält dieser Weg für die betroffenen Gemeinden gegenüber einer Zuständigkeit unmittelbar kraft Gesetzes vor allem die Erschwernis, daß die Rückübertragung die "zweckmäßige" Erledigung der dem Landkreis verbleibenden Restaufgabe nicht gefährden darf. Hierbei ist jedoch zu beachten, daß die Behörden bei der Auslegung und Anwendung des § 1 Abs. 2 Nds. AG AbfG und insbesondere bei der Ausübung des ihnen hiernach eingeräumten Ermessens an das in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG normierte Aufgabenverteilungsprinzip gebunden sind. Dann aber ist die "zweckmäßige" Erfüllung der dem Landkreis verbleibenden Beseitigungspflicht, anders als das Bundesverwaltungsgericht meint (vgl. BVerwGE 67, 321 [331 f.]), nur dann "gefährdet", wenn ihre im Sinne von § 2 AbfG allgemeinen Anforderungen nicht mehr oder nur mit unverhältnismäßigen Mehrkosten ordnungsgemäß erfüllbar wären, nicht aber schon dann, wenn sie unterhalb dieser Schwelle lediglich teurer würde und damit weniger wirtschaftlich erschiene (vgl. oben 4. a, Seite 153).
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3. Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG wird auch nicht dadurch beeinträchtigt, daß § 1 Abs. 2 Satz 1 Nds. AG AbfG die Entscheidung über einen Rückübertragungsantrag einer Gemeinde in die Zuständigkeit des von dieser Entscheidung unmittelbar selbst betroffenen Landkreises legt und zudem bestimmt, daß dessen Aufsichtsbehörde nur einer stattgebenden, nicht aber auch einer versagenden Entscheidung zustimmen müsse. Dies schon deshalb, weil die antragstellende Gemeinde eine behördliche und gerichtliche Rechtmäßigkeitskontrolle herbeiführen kann.
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4. Auch § 1 Abs. 1 Satz 3 Nds. AG AbfG begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Vorschrift, derzufolge die kreisangehörigen Gemeinden den Landkreisen Verwaltungshilfe gegen Kostenerstattung zu leisten haben, gilt vornehmlich dem Gebühreneinzug und findet ihren Grund in der Tatsache, daß die Gemeinden über ihre Grundsteuerregister die abgabepflichtigen Grundeigentümer besser erfassen können als die Landkreise, denen diese Information nicht unmittelbar zu Gebote steht. Daß die Gemeinden hierdurch in einer Weise belastet würden, die sie in der Erfüllung ihrer eigenen Angelegenheiten beeinträchtigt, ist nicht ersichtlich.
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Mahrenholz, Träger, Böckenförde, Klein, Graßhof, Kruis, Kirchhof |