BGE 133 II 366
 
32. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Kanton Aargau und Schweizerische Eidgenossenschaft sowie Obergericht des Kantons Aargau (subsidiäre Verfassungsbeschwerde)
 
5D_50/2007 / 5D_51/2007 vom 12. Juli 2007
 
Regeste
Steuerveranlagung trotz eingetretener Veranlagungsverjährung; Rechtsfolge.
 
Sachverhalt
Der Kanton Aargau und die Schweizerische Eidgenossenschaft betrieben X. in zwei separaten Betreibungen für die direkten Bundessteuern der Jahre 1997 und 1998. Als Forderungstitel legten sie die mit einer Rechtskraftbescheinigung versehenen Veranlagungen und Rechnungen betreffend die direkten Bundessteuern 1997 und 1998 ins Recht.
Nachdem X. in beiden Betreibungen Rechtsvorschlag erhoben hatte, ersuchten die Gläubiger um definitive Rechtsöffnung für die in Betreibung gesetzten Beträge, Zinsen und Kosten, welchen Begehren das Gerichtspräsidium G. in zwei Entscheiden nicht entsprach. Demgegenüber erteilte das Obergericht des Kantons Aargau den Gläubigern in Gutheissung ihrer Beschwerden definitive Rechtsöffnung.
X. hat diese Entscheide beim Bundesgericht mit Verfassungsbeschwerde angefochten; er beantragt, sie aufzuheben und die Gesuche um definitive Rechtsöffnung abzuweisen. Das Bundesgericht weist die Beschwerden ab.
 
Aus den Erwägungen:
3.3 Im Privatrecht darf die Verjährung nicht von Amtes wegen berücksichtigt werden (Art. 142 OR). Sie betrifft zudem nicht den Bestand der Forderung, sondern deren Durchsetzbarkeit. Verjährte Forderungen bestehen als Naturalobligationen weiter und können zur Verrechnung gebracht werden (Art. 120 Abs. 3 OR). Demgegenüber ist nach der Rechtsprechung die Verjährung im öffentlichen Recht von Amtes wegen zu berücksichtigen, wenn das Gemeinwesen Gläubiger der Forderung ist (BGE 106 Ib 357 E. 3a S. 364 mit Hinweis; BGE 111 Ib 269 E. 3a/bb S. 277). In der Lehre ist strittig, ob eine verjährte Forderung noch als Naturalobligation weiterbesteht (für den Untergang der Forderung: IMBODEN/RHINOW, Schweizerische Verwaltungsrechtsprechung, Bd. I: Allgemeiner Teil, 1986, Nr. 34 B V; für den Verbleib einer Naturalobligation: GRISEL, Traité de droit administratif, Bd. II, 1984, S. 663; MOOR, Droit administratif, Bd. II, 2. Aufl. 2002, S. 82 f.). Die Rechtsprechung scheint sich der Meinung von GRISEL angeschlossen zu haben, wonach eine Naturalobligation zurückbleibt (BGE 111 V 135 E. 3b S. 136). Fraglich ist, ob angesichts dieser Ordnung die Veranlagung verjährter Steuerforderungen als absolut nichtig zu gelten habe mit der Folge, dass sie jederzeit und von sämtlichen Behörden zu beachten ist.
Die Autoren KÄNZIG/BEHNISCH hielten hinsichtlich der eidgenössischen Wehrsteuer dafür, dass die Veranlagung eines nach unbenütztem Ablauf der Veranlagungsfrist erloschenen Steueranspruchs nichtig sei (Die direkte Bundessteuer [Wehrsteuer], III. Teil, 2. Aufl. 1992, N. 1 zu Art. 98 BdBSt). Dieser Meinung haben sich AGNER/JUNG/STEINMANN angeschlossen (Kommentar zum Gesetz über die direkte Bundessteuer, 1995, N. 1 zu Art. 120 DBG), ohne zu berücksichtigen, dass es sich bei der fünfjährigen Veranlagungsfrist gemäss Art. 120 DBG um eine Verjährungsfrist, bei der dreijährigen Veranlagungsfrist gemäss Art. 98 des Beschlusses über die direkte Bundessteuer (BdBSt) hingegen um eine Verwirkungsfrist handelt. Eine andere Lehrmeinung geht mit Bezug auf die Veranlagungsverjährung nach Art. 120 DBG davon aus, die Nichtberücksichtigung dieser Verjährung führe nicht zur Nichtigkeit der Veranlagung (GREMINGER, Kommentar zum schweizerischen Steuerrecht, Bd. I/2b, 2000, N. 12 zu Art. 120 DBG; RICHNER/FREI/KAUFMANN, Handkommentar zum DBG, 2003, N. 27 zu Art. 120 DBG).
3.4 Das Bundesgericht hatte bisher noch keine Gelegenheit, sich hinsichtlich Steuerforderungen zur Frage zu äussern, ob die Veranlagung einer verjährten Forderung mit Nichtigkeit behaftet sei. Hingegen erwog es in einem in der amtlichen Sammlung nicht veröffentlichten Entscheid im Zusammenhang mit einer kommunalen Bodenverbesserungsabgabe, dass die Missachtung der Verwirkungsfrist (délai de péremption) bei der Veranlagung nicht deren absolute Nichtigkeit nach sich ziehe, zumal es sich dabei um einen inhaltlichen Mangel handle (Urteil 2P.171/1995 vom 26. Oktober 1995, E. 5, publ. in: RDAT 1996 I Nr. 49 S. 137). Es ist unbestritten, dass die Verwirkung zum Untergang der Forderung führt und von Amtes wegen zu berücksichtigen ist. Aufgrund der vorgenannten Rechtsprechung lässt sich nach Eintritt der Veranlagungs verwirkung die Nichtigkeit der Veranlagungsverfügung nicht allein deshalb bejahen, weil die veranlagende Behörde die Verwirkung nicht von Amtes wegen berücksichtigt hat und die Forderung mit der Verwirkung untergegangen ist. Betrifft die Nichtberücksichtigung der Verwirkung einen inhaltlichen Mangel, der nicht zur Nichtigkeit der Veranlagungsverfügung führt, muss Entsprechendes erst recht für die Verjährung gelten, ohne dass es darauf ankäme, ob die Verjährung den Untergang der Forderung bewirkt. Es rechtfertigt sich nicht, eine trotz Verjährung erfolgte Steuerfestsetzung in Bezug auf die Rechtsfolgen anders zu behandeln als eine Veranlagungsverfügung, welche die Steuern zu hoch festsetzt. Schliesslich wäre die Nichtigkeit mit der Rechtssicherheit, welche nach ergangener rechtskräftiger Verfügung bestehen muss, nicht zu vereinbaren. Eine Veranlagungsverfügung, welche trotz eingetretener Veranlagungsverjährung ergeht, ist demnach nicht nichtig, sondern anfechtbar (BINDER, Die Verjährung im schweizerischen Steuerrecht, Diss. Zürich 1985, S. 312).
Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer zwar Einsprachen gegen die Veranlagungsverfügungen erhoben; doch ist nicht ersichtlich, dass er mit den erhobenen Rechtsmitteln die Veranlagungsverjährung geltend gemacht oder moniert hätte, die Veranlagungsverjährung sei nicht von Amtes wegen berücksichtigt worden. Das wird vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet. Die fehlerhaften Veranlagungsverfügungen sind in Rechtskraft erwachsen und bilden folglich gültige Rechtsöffnungstitel für die in Betreibung gesetzten Forderungen.