BGE 136 V 395 - Myozyme
 
47. Auszug aus dem Urteil der II. sozialrechtlichen Abteilung i.S. Publisana Krankenversicherung gegen F. (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
 
9C_334/2010 vom 23. November 2010
 
Regeste
Art. 32 und 52 Abs. 1 lit. b KVG; Art. 34 und 64 ff. KVV; Art. 9 Abs. 4 und Art. 14 Abs. 1 lit. f HMG; Orphan Drug (Myozyme bei Morbus Pompe); Kostenübernahme ausserhalb der Spezialitätenliste; Wirtschaftlichkeitsprüfung.
Dass arzneimittelrechtlich die Orphan-Drug-Zulassung für ein Medikament (hier: Myozyme) erfolgt ist, bedeutet nicht automatisch, dass dessen Einsatz einen hohen therapeutischen Nutzen darstellt, weil die Zulassung nach Art. 14 Abs. 1 lit. f HMG einen solchen nicht voraussetzt (E. 5.3).
Die Frage, ob ein hoher therapeutischer Nutzen - als Voraussetzung für die Kostenübernahme ausserhalb der Spezialitätenliste (E. 5.1 und 5.2) - vorliegt, ist sowohl in allgemeiner Weise als auch bezogen auf den konkreten Einzelfall zu beurteilen (E. 6.4 und 6.5); in casu mangels Nachweises mittels klinischer Studien und im konkreten Einzelfall verneint (E. 6.6-6.10).
Selbst wenn ein hoher therapeutischer Nutzen erwiesen wäre, müsste eine Leistungspflicht aus Wirtschaftlichkeitsgründen, d.h. mangels eines angemessenen Kosten-/Nutzen-Verhältnisses verneint werden (E. 7). Für die Beurteilung dieses Verhältnisses anwendbare Kriterien (E. 7.6), Notwendigkeit der Verallgemeinerungsfähigkeit derselben (E. 7.7), Anwendbarkeit auch auf Orphan-Disease-Fälle (E. 7.8).
 
Sachverhalt
A. Die 1940 geborene F. ist bei der Publisana obligatorisch krankenpflegeversichert. Mitte 2007 wurde bei ihr Morbus Pompe diagnostiziert. Die Publisana erteilte im Oktober 2007 Kostengutsprache für eine sechsmonatige Behandlung mit dem Medikament Myozyme. Diese Behandlung wurde in der Folge bis Mai 2008 durchgeführt. Nachdem das Spital X. am 11. Juni 2008 um Fortführung der Kostengutsprache nachgesucht hatte, lehnte die Publisana mit Verfügung vom 22. Oktober 2008 und Einspracheentscheid vom 18. März 2009 die Kostenübernahme für die Therapie ab.
B. Das Versicherungsgericht des Kantons Aargau hiess mit Entscheid vom 23. Februar 2010 eine von F. erhobene Beschwerde gut und verpflichtete die Publisana, die Kosten der Behandlung vorerst für die Dauer von zwei Jahren zu übernehmen.
C. Die Publisana erhebt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten mit dem Antrag, der kantonale Entscheid sei aufzuheben und es sei festzustellen, dass sie nicht verpflichtet sei, die Kosten für das Arzneimittel Myozyme zu übernehmen.
F. lässt Abweisung der Beschwerde beantragen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verzichtet in seiner Vernehmlassung auf einen förmlichen Antrag.
In einer weiteren Eingabe äussert sich F. zur Stellungnahme des BAG.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut.
 
Aus den Erwägungen:
(...)
 
Erwägung 4
4.1 Nach den Feststellungen der Vorinstanz ist das Arzneimittel Myozyme durch Swissmedic zugelassen. Die Beschwerdeführerin bestreitet dies nicht grundsätzlich, bringt allerdings vor, diese Zulassung gelte nicht für die hier vorliegende adulte Form des Morbus Pompe.
4.2 Myozyme ist im vereinfachten Verfahren zugelassen als wichtiges Arzneimittel für seltene Krankheiten im Sinne von Art. 14 Abs. 1 lit. f des Bundesgesetzes vom 15. Dezember 2000 über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG; SR 812.21) bzw. Art. 4 Abs. 1 lit. a der Verordnung des Schweizerischen Heilmittelinstituts vom 22. Juni 2006 über die vereinfachte Zulassung von Arzneimitteln und die Zulassung von Arzneimitteln im Meldeverfahren (VAZV; SR 812.212.23; sog. Orphan Drug; vgl. SCHMID/UHLMANN, in: Basler Kommentar, Heilmittelgesetz, 2000, N. 13 ff. zu Art. 14 HMG). Gemäss der Homepage von Swissmedic https://www.swissmedic.ch/zulassungen/00153/index.html?lang=de besucht am 23. November 2010) wurde das Präparat Myozyme mit dem Wirkstoff Alglucosidase alfa am 22. Mai 2008 für folgende Indikation zugelassen: "Myozyme ist für die langfristige Enzymersatztherapie bei Patienten mit gesichertem Morbus Pompe (Mangel an saurer ?-Glucosidase) indiziert. Für die positive Wirkung von Myozyme bei Patienten mit Morbus Pompe in später Verlaufsform ist bisher eine klinische Wirksamkeit nicht nachgewiesen (siehe Pharmakodynamik, Klinische Wirksamkeit)." Eine ausdrückliche Beschränkung der Zulassung auf die infantile oder juvenile Form der Krankheit ist in dieser Aussage nicht enthalten. So oder so ist aber die arzneimittelrechtliche Zulassung für die Kassenpflichtigkeit nicht ausschlaggebend (PASCAL LACHENMEIER, Die Anwendung "nicht zugelassener" Arzneimittel in der Krebstherapie nach schweizerischem Recht ["off-label-use"], Jusletter vom 11. Mai 2009, Rz. 56).
 
Erwägung 5
5.1 Die gesetzliche Ordnung (Art. 52 Abs. 1 lit. b KVG; Art. 34 und 64 ff. KVV [SR 832.102]; Art. 30 ff. der Verordnung des EDI vom 29. September 1995 über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung [Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV; SR 832.112.31]) schliesst die Übernahme der Kosten von nicht auf der - abschliessenden und verbindlichen - Spezialitätenliste aufgeführten Arzneimitteln durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung grundsätzlich aus (BGE 134 V 83 E. 4.1 S. 85 ff.; 131 V 349 E. 2.2 S. 351 mit Hinweis). Die Kosten für ein in der Spezialitätenliste enthaltenes Medikament werden nur übernommen, wenn das Arzneimittel für von Swissmedic gemäss Art. 9 ff. HMG zugelassene medizinische Indikationen verschrieben wird (BGE 130 V 532 E. 3.2.2 S. 538 und E. 3.4 S. 540). Diese Regelung bezweckt einerseits, dass nur Arzneimittel über die obligatorische Krankenpflegeversicherung abgerechnet werden, welche nach heilmittelrechtlichen Grundsätzen sicher und wirksam sind. Andererseits wird damit im Sinne des Wirtschaftlichkeitsgebots (Art. 32 KVG) eine Kostenbegrenzung erreicht, indem die auf der Spezialitätenliste enthaltenen Arzneimittel höchstens nach den darin festgelegten Preisen verrechnet werden dürfen (Art. 52 Abs. 1 lit. b und Abs. 3 KVG; Art. 67 KVV; Art. 34 ff. KLV; GEBHARD EUGSTER, Bundesgesetz über die Krankenversicherung [KVG], 2010, N. 7 zu Art. 52 KVG; UELI KIESER, Die Zulassung von Arzneimitteln im Gesundheits- und im Sozialversicherungsrecht, AJP 2007 S. 1042 ff., 1049). Diese Preiskontrolle geht über eine reine Missbrauchskontrolle hinaus und bezweckt die Sicherstellung eines angemessenen Preis-/Nutzen-Verhältnisses (BGE 109 V 207 E. 4 S. 212 ff.; BGE 127 V 275 E. 2 S. 277 ff.; BRIGITTE PFIFFNER RAUBER, Das Recht auf Krankheitsbehandlung und Pflege, 2003, S. 162 f.).
5.2 Nach der Rechtsprechung sind ausnahmsweise die Kosten für ein Arzneimittel auch zu übernehmen, wenn es für eine Indikation abgegeben wird, für welche es keine Zulassung besitzt (sog. Off-Label-Use); Voraussetzung ist, dass ein sogenannter Behandlungskomplex vorliegt oder dass für eine Krankheit, die für die versicherte Person tödlich verlaufen oder schwere und chronische gesundheitliche Probleme nach sich ziehen kann, wegen fehlender therapeutischer Alternativen keine andere wirksame Behandlungsmethode verfügbar ist; diesfalls muss das Arzneimittel einen hohen therapeutischen (kurativen oder palliativen) Nutzen haben (BGE 131 V 349 E. 2.3 S. 351; BGE 130 V 532 E. 6.1 S. 544 f.). Ein wichtiger Anwendungsbereich für Ausnahmen von der Listenpflicht sind Medikamente gegen Krankheiten, die so selten sind, dass sich für die Hersteller das Zulassungsverfahren nicht lohnt (sog. Orphan Use bzw. Orphan Diseases; vgl. ARIANE AYER, Prise en charge des médicaments "hors étiquette", SZG 2005 Nr. 7 S. 7 ff.; LACHENMEIER, a.a.O., Rz. 51; FRANK TH. PETERMANN, Rechtliche Betrachtungen zum Off-Label-Use von Pharmazeutika, in: Health Insurance Liability Law [Hill], 2007, Fachartikel Nr. 2, Rz. 14). Für die Zulassung eines Off-Label-Use kann aber nicht jeglicher therapeutische Nutzen genügen, könnte doch sonst in jedem Einzelfall die Beurteilung des Nutzens an die Stelle des gesetzlichen Listensystems treten und dieses unterwandern (RKUV 2003 S. 299, K 63/02 E. 4.2.1; vgl. Urteil 2A.469/2003 vom 6. September 2004 E. 3.3). Da das gesetzliche System auch der Wirtschaftlichkeit dient, muss insbesondere vermieden werden, dass durch eine extensive Praxis der ordentliche Weg der Listenaufnahme durch Einzelfallbeurteilungen ersetzt und dadurch die mit der Spezialitätenliste verbundene Wirtschaftlichkeitskontrolle umgangen wird (SVR 2009 KV Nr. 1 S. 1, 9C_56/2008 E. 2.3; Urteil 9C_305/2008 vom 5. November 2008 E. 1.3; vgl. zu dieser Befürchtung PETER BRAUNHOFER, Arzneimittel im Spannungsfeld zwischen HMG und KVG aus der Sicht des Krankenversicherers, in: Das neue Heilmittelgesetz, Eichenberger/Poledna [Hrsg.], 2004, S. 103 ff., 110 f.; PETERMANN, a.a.O., Rz. 59).
 
Erwägung 6
6.1 Die Vorinstanz hat erwogen, die Krankheit verlaufe tödlich und es gebe bis anhin neben Myozyme kein alternatives Arzneimittel zur Behandlung der Krankheit. Ein hoher therapeutischer Nutzen sei nicht erst dann anzunehmen, wenn dieser über Jahre hinweg bestehe oder gar zunehme. Durch die Behandlung sei eine Stabilisierung der Befunde eingetreten und eine massgebliche Steigerung der Lebensqualität erreicht worden. Nach Absetzen der Behandlung habe sich der Gesundheitszustand verschlechtert, so dass eine nächtliche Beatmung nötig geworden sei. Zudem habe die Patientin die Behandlung ohne wesentliche Nebenwirkungen vertragen. Gemäss der sog. LOTS-Studie (ANS T. VAN DER PLOEG UND ANDERE, A Randomized Study of Alglucosidase Alfa in Late-Onset Pompe's Disease, New England Journal of Medicine, 15. April 2010, S. 1396 ff.) habe sich unter Myozyme-Behandlung eine signifikante Verbesserung beim 6-Minuten-Gehtest (Steigerung der Gehstrecke um rund 30 Meter) und der pulmonalen Vitalkapazität (Verbesserung der Atmung, Verzicht auf künstliche Beatmung) ergeben. Dies sei als nicht geringer therapeutischer Effekt einzustufen. Unter Gesamtwürdigung der konkreten Umstände wie auch der allgemein beschriebenen Wirkungen sei im vorliegenden Fall von einem hohen therapeutischen Nutzen auszugehen.
6.4 Zwischen den Parteien ist umstritten, ob das Erfordernis der hohen therapeutischen Wirksamkeit nur bezogen auf den konkreten Einzelfall zu beurteilen ist oder sowohl in allgemeiner Weise als auch im konkreten Einzelfall. Die Vorinstanz hat erwogen, es sei allein auf den konkreten Einzelfall abzustellen, und sich dazu e contrario auf die Aussage in SVR 2009 KV Nr. 1 S. 1, 9C_56/2008 E. 2.3 gestützt, wonach es nicht angehen könne, bei nicht seltenen Krankheiten im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung Medikamente zu vergüten, welche aus ganz bestimmten Gründen nicht in die Spezialitätenliste aufgenommen worden sind. Die Beschwerdeführerin ist demgegenüber der Auffassung, Voraussetzung der Kostenübernahme sei auch bei Orphan Diseases, dass das Arzneimittel nicht nur im konkreten Einzelfall, sondern auch in allgemeiner Weise wirksam und zweckmässig sei. Eine reine Einzelfallbeurteilung sei nicht statthaft.
6.5 Die Auffassung der Vorinstanz trifft in dem Sinne zu, als es bei einem Off-Label-Use gerade nicht um die Beurteilung gehen kann, ob das Medikament generell in die Spezialitätenliste aufzunehmen ist, sondern darum, ob in einem Einzelfall vom Listenerfordernis abzuweichen sei. Hingegen gelten auch für Orphan Drugs die allgemeinen Anforderungen der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit, wobei die Wirksamkeit nach wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen sein muss (Art. 32 KVG), was eine ausschliesslich einzelfallbezogene Beurteilung ausschliesst (BGE 133 V 115 E. 3.2.1 S. 118; RKUV 2000 S. 279, K 151/99 E. 2b; EUGSTER, KVG, a.a.O., N. 4 zu Art. 32 KVG). Das ergibt sich auch aus dem Zusammenhang mit dem Arzneimittelrecht: Der Begriff des hohen therapeutischen Nutzens (als Voraussetzung für die Kostenübernahme ausserhalb der Spezialitätenliste) orientiert sich an der gleichlautenden Voraussetzung für eine befristete Bewilligung nicht zugelassener Arzneimittel im Sinne von Art. 9 Abs. 4 HMG (BGE 130 V 532 E. 6.1 S. 544 f.; SVR 2009 KV Nr. 1 S. 1, 9C_56/2008 E. 2.3). Für eine solche Zulassung ist vorausgesetzt, dass Zwischenergebnisse von klinischen Studien vorliegen, die darauf hinweisen, dass von der Anwendung ein grosser therapeutischer Nutzen zu erwarten ist (Art. 19 Abs. 1 lit. c VAZV). Der Beschwerdegegnerin ist darin zuzustimmen, dass bei Orphan Drugs infolge der Seltenheit der entsprechenden Krankheiten und des fehlenden ordentlichen Zulassungsverfahrens vielfach nicht gleich viele wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen wie für andere Medikamente. An den Nachweis der generellen Wirksamkeit können daher nicht die gleich strengen Anforderungen gestellt werden wie im Rahmen einer Aufnahme in die Spezialitätenliste (vgl. auch Art. 26 Abs. 1 VAZV). Liegen aber keine klinischen Studien vor, die eine therapeutische Wirksamkeit nachweisen, so kann eine solche nicht bejaht werden mit dem blossen Hinweis darauf, dass im Einzelfall eine Wirkung eingetreten sei. Dies würde auf die blosse Formel "post hoc propter hoc" hinauslaufen, was nicht angeht; denn eine Besserung kann auch spontan bzw. aus anderen Gründen eintreten (BGE 130 V 299 E. 5.2 S. 303). In diesem Sinne ist die vorinstanzliche Aussage, bei der Beurteilung der Wirksamkeit sei allein auf den konkreten Einzelfall abzustellen, möglicherweise missverständlich. In Wirklichkeit hat aber die Vorinstanz mit Recht eine Gesamtbeurteilung vorgenommen und dabei neben den konkreten Umständen auch die allgemein beschriebenen Wirkungen des Arzneimittels berücksichtigt .
6.7 Die inzwischen veröffentlichte LOTS-Studie, die in den wesentlichen Aussagen auch der Vorinstanz in nicht publizierter Form bereits vorlag, weist unter der Myozyme-Therapie folgenden therapeutischen Nutzen aus: Die 6-Minuten-Gehstrecke verbesserte sich bei der behandelten Gruppe innert 78 Wochen von 332,2 auf 357,9 Meter, bei der Placebo-Gruppe verschlechterte sie sich von 317,9 auf 313,1 Meter (S. 1401). Der therapiebedingte Unterschied beträgt rund 28 Meter. Zudem geht aus der Studie hervor, dass dieser Effekt praktisch vollständig in den ersten 26 Wochen eintritt und sich danach kaum mehr verändert. In Bezug auf die FVC (Forced Vital Capacity) der Lunge beträgt der Unterschied zwischen der Therapie-Gruppe und der Placebo-Gruppe 3,4%, wobei der Effekt hauptsächlich in den ersten 38 Wochen eintrat (S. 1402). Diese Besserung ist statistisch signifikant, aber doch relativ bescheiden. Als Fazit wird denn in der Studie auch festgehalten, dass die Behandlung "a positive, if modest, effect on walking distance and pulmonary function" habe (S. 1405), und weiter festgestellt, dass die grösste Verbesserung in den ersten 26 Behandlungswochen eintrat (S. 1403), also während derjenigen Behandlungszeit, die vorliegend nicht Streitgegenstand des Verfahrens ist (teilweise publ. E. 1).
6.8 Im konkreten Fall hat sich gemäss der Stellungnahme der Schweizerischen Arbeitsgruppe für lysosomale Speicherkrankheiten vom 4. Dezember 2008 der Zustand der Patientin nach Absetzen der Therapie massiv verschlechtert, so dass sie aktuell eine nächtliche CPAP-Beatmung benötige. Gemäss der Stellungnahme des Spitals X. vom 18. November 2008 ist anamnestisch hervorzuheben eine deutliche Verschlechterung der Lungenfunktion mit nächtlichen Orthopnoen und Luftnotanfällen, die im August 2008 im Rahmen einer Bronchitis deutlich exazerbiert ist und in der Notwendigkeit einer nächtlichen CPAP-Beatmung (Continuous Positive Airway Pressure) seit dem 29. August 2008 mündete. Die Patientin berichte über ein- bis zweimal pro Jahr auftretende Bronchitiden, die jeweils unter langdauernder Antibiotikatherapie deutlich besser würden. Der Nachtschlaf sei unter der eingeleiteten Beatmung deutlich besser. Gleichwohl sei es im Verlauf des letzten Jahres zu einer deutlichen Verschlechterung der motorischen Funktion gekommen. Die freie Gehstrecke betrage nur 200 Meter, darüber hinaus müsse die Patientin mit Gehstöcken gehen. Sie könne den Oberkörper nicht halten und müsse vornübergebeugt laufen (Kamptokormie). Nach mehr als 200 bis 400 Meter Gehen komme es zu einer deutlichen Schwäche und Schmerzen der autochthonen Rückenmuskulatur. Ferner müsse sie sich auch schon bei geringen Tätigkeiten im Haushalt abstützen. Die maximale Gehstrecke betrage ein Kilometer. Retrospektiv bemerke die Patientin eine Besserung nach der Enzymersatztherapie, insbesondere bezüglich der motorischen Funktionen, des geringeren Auftretens der Kamptokormie sowie des freien Sitzens und des Abstützens der Hände. Als Lungenfunktion wird ein Messwert FVC im Liegen von 42% des Solls und im Sitzen von 78% des Solls angegeben. Zusammenfassend habe sich ein halbes Jahr nach Absetzen der Therapie ein deutliches Voranschreiten der metabolischen Myopathie gezeigt, insbesondere hinsichtlich der pulmonalen Funktion. Die Patientin sei, wie befürchtet, nach einem pulmonalen Infekt in die nächtliche Beatmungspflicht gerutscht. Ferner komme es zu einer Verminderung der freien Gehstrecke und zunehmenden Beschwerden durch Kamptokormie durch eine Parese der autochthonen Rückenmuskulatur. Dieses rasche Voranschreiten der Symptomatik sei sicherlich sehr bedenklich und ein deutliches Zeichen für die zunehmende Erschöpfung und Reservekapazität der noch vorhandenen gesunden Muskulatur. Die zunehmende Glukogenspeicherung in der Muskulatur führe zu einem raschen Abfall der Muskelfunktion. Die Erkrankung verlaufe sicherlich schneller, nachdem die Myozyme-Ersatztherapie abgesetzt worden sei. Es sei zu befürchten, dass die Patientin kurz- bis mittelfristig einen Rollstuhl in Anspruch nehmen müsse. Zudem bestehe die Gefahr einer zunehmenden vitalen Bedrohung durch die sich verschlechternde Lungenfunktion (Abnahme der FVC im Sitzen um 200 ml und im Liegen um 400 ml im Verlauf eines Jahres). Ähnlich wird im Wiedererwägungsgesuch des Spitals X. vom 17. Dezember 2008 ausgeführt, gemäss der klinisch-neurologischen und spirometrischen Untersuchung habe sich der Gesundheitszustand der Patientin deutlich verschlechtert. Aufgrund eines interkurrenten broncho-pulmonalen Infekts im August 2008 sei es zur Exazerbation der nächtlichen Dyspnoe-Attacken gekommen, so dass sie seit dem 29. August 2008 nächtlich mit einer CPAP-Beatmung behandelt werden müsse. Selbstverständlich könne nicht zweifelsfrei belegt werden, dass der Abbruch der Therapie zu diesem Zustand geführt habe, doch könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass die pulmonale Verschlechterung als Zeichen der Krankheitsprogression nicht durch eine Fortführung der Therapie hätte aufgehalten werden können. Ferner bestehe bei der Patientin eine ausgeprägte Kamptokormie und eine deutliche Reduktion der freien Gehstrecke; sie sei nicht mehr in der Lage, wesentliche Strecken ohne Gehstöcke zurückzulegen, da es zu einem Abknicken des Oberkörpers komme. Auch im Sitzen würde sie ohne fehlende Unterstützung der Arme immer wieder nach vorne sinken. Im Haushalt könne sie eine Bratpfanne oder einen Topf nur mit starker Unterstützung der freien Hand tragen, ansonsten würde sie nach vornüber kippen. Es drohe kurz- bis mittelfristig eine Rollstuhlpflichtigkeit. Im Schreiben vom 17. Dezember 2009 an die Vorinstanz beschreibt die Beschwerdegegnerin, nach der vierten Infusion habe sie eine eindeutige Besserung ihres Zustands festgestellt, sie habe besser und länger gehen und die Treppen hinaufsteigen und freier atmen können. Nach dem Absetzen der Therapie müsse sie mit langsamen Rückschritten des Gesundheitszustands fertig werden.
6.9 Insgesamt steht fest, dass rund drei Monate nach Absetzen der Therapie eine nächtliche CPAP-Beatmung durchgeführt werden musste. Allerdings hatte das Spital X. bereits im Kostengutsprachegesuch vom 11. Juni 2008 ausgeführt, es sei unter der Therapie gemäss den Lebensqualitätsfragebögen zu einer Besserung der Lebensqualität gekommen. Insbesondere die nächtlichen Dyspnoephasen hätten sich subjektiv unter der Therapie leicht verbessert, ferner hätten sich die Alltagsaktivitäten stabilisiert. Trotzdem soll die Patientin in Kürze einer nächtlichen CPAP-Beatmung zugeführt werden. War somit die CPAP-Beatmung auch bei Weiterführung der Therapie vorgesehen, erscheint als fraglich, ob das Absetzen der Therapie kausal war für die Notwendigkeit der Beatmung bzw. ob sich diese mit einer Weiterführung der Therapie hätte vermeiden lassen. Analoges gilt für die als solche unbestrittene Verschlechterung der Lungenfunktion und der Gehstrecke sowie die Zunahme der Kamptokormie: Es handelt sich dabei um die typischen Symptome von Morbus Pompe, deren Verlauf individuell unterschiedlich ausgeprägt sein kann . Es steht nicht fest, in welchem Ausmass die Weiterführung der Therapie diese Verschlechterung tatsächlich vermieden hätte. Die zu berücksichtigenden (nicht publ. E. 2.3; E. 6.5) Ergebnisse aus der LOTS-Studie (E. 6.7) lassen den Schluss zu, dass die Weiterführung der Therapie eine gewisse, wenn auch relativ bescheidene positive Wirkung gehabt hätte. Als mögliche Folge des Absetzens der Therapie wird zudem eine künftige Rollstuhlabhängigkeit bezeichnet, die indessen nach Lage der Akten bisher nicht eingetreten ist. Der Umstand, dass keine Nebenwirkungen aufgetaucht sind, stellt für sich allein keinen therapeutischen Nutzen dar. Eine lebensverlängernde Wirkung der Therapie ist weder in allgemeiner Weise noch im konkreten Fall dokumentiert. Die Beschwerdegegnerin kann mit Hilfe anderer Massnahmen (Beatmung, Gehstöcke) - wenn auch eingeschränkt - ihr Leben weiterführen. Im Übrigen könnte gemäss den Feststellungen der Vorinstanz die konkrete längerfristige Wirksamkeit erst nach einer zweijährigen Therapiedauer beurteilt werden, wobei die Dokumentation einer noch umstrittenen Wirksamkeit - wie das BAG mit Recht vorbringt - Aufgabe des Medikamentenherstellers und nicht der Krankenversicherung ist, würde doch diese sonst Forschung finanzieren.
 
Erwägung 7
7.1 Die Wirtschaftlichkeit der Behandlung ist gesetzliche Voraussetzung für die Kostenübernahme (Art. 32 Abs. 1 KVG). Bei den Listenmedikamenten wird sie in genereller Weise im Rahmen der Aufnahme in die Spezialitätenliste geprüft (Art. 65-66a KVV und Art. 34 ff. KLV, je in den bis 30. September 2009 gültig gewesenen Fassungen) und durch die Preisfestsetzung (Art. 67 KVV) sichergestellt (vorne E. 5.1). Bei Medikamenten, die nicht auf der Liste stehen, entfällt diese generelle Prüfung. Die Wirtschaftlichkeit ist daher im Rahmen der Beurteilung, ob ein nicht auf der Liste befindliches Medikament ausnahmsweise vergütet werden kann, im Einzelfall zu prüfen (SVR 2009 KV Nr. 1 S. 1, 9C_56/2008 E. 2.3 i.f.); denn sonst würde eine Wirtschaftlichkeitsprüfung überhaupt nie stattfinden, was Art. 32 Abs. 1 KVG widerspräche.
7.2 Die Gerichte haben das Recht von Amtes wegen anzuwenden (für die kantonalen Gerichte: Art. 110 BGG; für das Bundesgericht: Art. 106 Abs. 1 BGG) und daher auch von Amtes wegen die Wirtschaftlichkeit zu prüfen, zumindest wenn in den Akten und Rechtsschriften Anhaltspunkte dafür vorliegen. Die Beschwerdeführerin hat bereits in ihrer Verfügung vom 22. Oktober 2008 dargelegt, dass sie weitergehende Abklärungen deshalb getroffen hatte, weil die Therapiekosten pro Halbjahr entgegen ihrer Annahme nicht maximal Fr. 60'000.-, sondern rund Fr. 300'000.- betrugen. Sodann hatte sie in ihrer vorinstanzlichen Beschwerdeantwort vom 27. Mai 2009 sowie in den Eingaben vom 28. September und 3. Dezember 2009 die hohen Therapiekosten - wenn auch kurz - thematisiert; ebenso hatte der Vertrauensarzt, auf dessen Beurteilung sich die Beschwerdeführerin wesentlich abstützte, die hohen Kosten und ihr Verhältnis zum Nutzen in seinen der Vorinstanz vorliegenden Eingaben vom 20. Juni 2008 und vom 12. Januar 2009 an das BAG kritisiert.
7.4 Das Wirtschaftlichkeitserfordernis im Sinne von Art. 32 Abs. 1 KVG bezieht sich nach der Rechtsprechung auf die Wahl unter mehreren zweckmässigen Behandlungsalternativen: Bei vergleichbarem medizinischem Nutzen ist die kostengünstigste Variante bzw. diejenige mit dem besten Kosten-/Nutzen-Verhältnis zu wählen (BGE 130 V 532 E. 2.2 S. 535 f.; BGE 127 V 43 E. 2b S. 46 f.; BGE 124 V 196 E. 3 S. 200 f.; BGE 121 V 216 E. 2a/bb S. 220 f.). Das bedeutet aber nicht, dass dort, wo es nur eine einzige Behandlungsmöglichkeit gibt, diese ungeachtet der Kosten in jedem Fall als wirtschaftlich zu betrachten wäre. Unter dem allgemeinen Gesichtspunkt der Verhältnismässigkeit, die für das gesamte Staatshandeln gilt (Art. 5 Abs. 2 BV), ist eine Leistung zu verweigern, wenn zwischen Aufwand und Heilerfolg ein grobes Missverhältnis besteht (BGE 109 V 41 E. 3 S. 44 f.; BGE 118 V 107 E. 7b S. 115; BGE 120 V 121 E. 4b S. 125; RKUV 2004 S. 109, K 156/01 E. 3.1.2; RKUV 2000 S. 279, K 151/99 E. 2d; ULRICH MEYER-BLASER, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, 1985, S. 77; SIBYLLE SCHÜRCH, Rationierung in der Medizin als Straftat, 2000, S. 199), was eine Beurteilung des Verhältnisses von Kosten und Nutzen voraussetzt (EUGSTER, KVG, a.a.O., N. 12 zu Art. 32 KVG; GABRIELLE STEFFEN, Droit aux soins et rationnement, 2002, S. 156). Es können somit weder die hohe therapeutische Wirksamkeit noch die Wirtschaftlichkeit je getrennt voneinander betrachtet werden in dem Sinne, dass die Frage nach dem hohen therapeutischen Nutzen mit einem kategorialen Ja oder Nein beantwortet werden könnte und bejahendenfalls die Kosten in beliebiger Höhe zu übernehmen wären. Vielmehr ist die Frage nach dem hohen therapeutischen Nutzen graduell und in Relation zu den Behandlungskosten zu beurteilen: Je höher der Nutzen ist, desto höhere Kosten sind gerechtfertigt. Das Verhältnis von Preis und Nutzen ist auch zu beachten für den Entscheid über die Listenaufnahme von Medikamenten (Art. 34 Abs. 1 KLV [in Kraft bis 30. September 2009]; BGE 127 V 275 E. 2b S. 279; BGE 109 V 207 E. 4c S. 214 f.; SVR 2007 KV Nr. 13 S. 50, K 148/06 E. 6.1; RKUV 2001 S. 155, K 43/99 E. 2c und 5; PFIFFNER RAUBER, a.a.O., S. 162 f.). Es kann nicht unberücksichtigt bleiben, wenn der ausnahmsweise Einsatz von Medikamenten, die nicht auf der Liste aufgeführt sind, stattdessen einzelfallweise beurteilt wird (vorne E. 5.2; SVR 2010 KV Nr. 3 S. 9, 9C_397/2009 E. 4.3).
7.5 Die Kostenfrage kann auch nicht auf die Seite geschoben werden mit der blossen Behauptung, es sei ethisch oder rechtlich unzulässig, Kostenüberlegungen anzustellen, wenn es um die menschliche Gesundheit gehe. Die finanziellen Mittel, die einer Gesellschaft zur Erfüllung gesellschaftlich erwünschter Aufgaben zur Verfügung stehen, sind nicht unendlich. Die Mittel, die für eine bestimmte Aufgabe verwendet werden, stehen nicht für andere ebenfalls erwünschte Aufgaben zur Verfügung. Deshalb kann kein Ziel ohne Rücksicht auf den finanziellen Aufwand angestrebt werden, sondern es ist das Kosten-/Nutzen- oder das Kosten-/Wirksamkeitsverhältnis zu bemessen. Das gilt auch für die Gesundheitsversorgung und die obligatorische Krankenpflegeversicherung, sowohl im Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Aufgaben als auch im Verhältnis zwischen verschiedenen medizinischen Massnahmen (RETO AUER UND ANDERE, Etudes cout-efficacité: ce que devraient retenir les médecins, Revue Médicale Suisse [RMS] 2009 S. 2402 ff., 2404; GEBHARD EUGSTER, Wirtschaftlichkeitskontrolle ambulanter ärztlicher Leistungen mit statistischen Methoden, 2003, S. 39; HANSPETER KUHN, Das Bundesgericht und die Illusion der absoluten Sicherheit in der Medizin, in: Rationierung und Gerechtigkeit im Gesundheitswesen, Zimmermann-Acklin/Halter [Hrsg.], 2007, S. 132 ff. [nachfolgend: Rationierung und Gerechtigkeit]; PFIFFNER RAUBER, a.a.O., S. 144; SCHÜRCH, a.a.O., S. 24; STEFFEN, a.a.O., S. 8 ff., 153; Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften [Hrsg.], Rationierung im Schweizer Gesundheitswesen: Einschätzung und Empfehlungen, Bericht der Arbeitsgruppe "Rationierung" im Auftrag der Steuerungsgruppe des Projekts "Zukunft Medizin Schweiz", 2007, S. 16, 20, 97 [Kurzfassung: Schweizerische Ärztezeitung (SÄZ) 2007 S. 1431 ff., 1436]). Die obligatorische Krankenpflegeversicherung hat zum Ziel, eine zeitgemässe und umfassende medizinische Grundversorgung zu möglichst günstigen Kosten sicherzustellen (EUGSTER, Krankenversicherung, in: Soziale Sicherheit, SBVR Bd. XIV, 2. Aufl. 2007, S. 402 f.). Dementsprechend übernimmt sie nicht sämtliche Behandlungsmassnahmen, die aus medizinischer Sicht möglich wären. Vielmehr enthält das geltende Recht vielfach Regelungen, welche den finanziellen Aufwand für das Gesundheitswesen begrenzen oder bestimmte Behandlungsmassnahmen, welche medizinisch möglich wären, von der Vergütung durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung ausschliessen (Art. 25 ff. und 54 ff. KVG; PFIFFNER RAUBER, a.a.O., S. 145 ff.). Insbesondere gehen Art. 56 KVG und die dazu ergangene Rechtsprechung davon aus, dass zu Lasten der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nicht alle denkbaren Behandlungen durchgeführt werden, sondern nur diejenigen, die sich innerhalb eines gewissen Rahmens bewegen. Auch die Positivlisten (Art. 52 KVG), namentlich das gesetzliche System der Spezialitätenliste (E. 5.1), beruhen auf einer Entscheidung, bestimmte Leistungen, die medizinisch möglich wären, nicht zu Lasten der Krankenversicherung zu übernehmen. Sodann ist allgemein- und gerichtsnotorisch, dass in der alltäglichen medizinischen Praxis die Kostenfrage eine erhebliche Rolle spielt und verbreitet eine Art implizite oder verdeckte Rationierung stattfindet (Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften, a.a.O., S. 67-84, mit Hinweisen auf verschiedene durchgeführte Studien; B. BRÜHWILER, Verdeckte Rationierung im klinischen Alltag, SÄZ 1999 S. 2645 ff.; SAMIA HURST UND ANDERE, Die Realität der ärztlichen Rationierung am Krankenbett am Beispiel von vier europäischen Ländern, in: Rationierung und Gerechtigkeit, S. 67 ff.; GERHARD KOCHER, Zehn Jahre Rationierungsdebatten in der Schweiz, in: Rationierung und Gerechtigkeit, S. 45 ff., 53 f.; J. POK LUNDQUIST, Verdeckte Rationierung im Spital?, SÄZ 1999 S. 2647 ff.; vgl. auch JÜRG H. SOMMER, Die implizite Rationierung bleibt notwendig, in: Rationierung und Gerechtigkeit, S. 279 ff.). Zugleich fehlen aber allgemein anerkannte Kriterien für diese Beurteilung. Diese Situation ist unbefriedigend, weil sie für alle Beteiligten grosse Rechtsunsicherheit und zugleich Rechtsungleichheit schafft, indem bestimmte Behandlungen je nach dem Entscheid einzelner Ärzte oder Krankenkassen vorgenommen bzw. vergütet werden oder nicht (M. BAUMANN, Rationierung im Gesundheitswesen, Anmerkungen aus juristischer Sicht, SÄZ 1999 S. 2649 f.; MARKUS DÜRR, Die Medizin im Spannungsfeld zwischen Machbarkeit, Finanzierbarkeit und Ethik, in: Rationierung und Gerechtigkeit, S. 303 ff., 305).
 
Erwägung 7.6
    - Behandlungskosten von Fr. 8'000.- bis Fr. 30'000.- für eine Daumenrekonstruktion bei einem 24-jährigen Bauführer, wodurch die Funktionstüchtigkeit der Hand im gesamten Lebensbereich verbessert wurde, wenn auch voraussichtlich in geringem Ausmass (BGE 109 V 41).
    - Kosten von Fr. 532.70 für eine rund dreimonatige Methadontherapie (BGE 118 V 107 E. 7b S. 115 f.).
    - Kosten von Fr. 6'000.- für eine Physiotherapie nach Bobath, mit welcher die Auswirkungen eines Down-Snydroms gelindert werden konnten (BGE 119 V 446).
    - Kosten von Fr. 15'300.- für eine Geschlechtsumwandlungsoperation (BGE 114 V 153 E. 4b S. 160).
    - Kosten von Fr. 60'000.- bis Fr. 80'000.- für eine Herztransplantation bei einem 46-Jährigen (BGE 114 V 258 E. 4c/cc S. 264 f.).
    - Im Entscheid BGE 130 V 532, wo die streitige Therapie das Leben um rund ein Jahr verlängerte, geht zwar nicht aus dem bundesgerichtlichen Urteil, aber aus dem damals angefochtenen Entscheid hervor, dass die Kosten ca. Fr. 26'000.- betrugen, was implizit als verhältnismässig beurteilt wurde.
    - Kosten von rund Fr. 39'000.- für eine computergesteuerte Kniegelenksprothese als Hilfsmittelversorgung (BGE 132 V 215).
7.6.2 Demgegenüber hat das Eidg. Versicherungsgericht in einem nicht publ. (unfallversicherungsrechtlichen) Urteil U 77/81 vom 16. Dezember 1982 erkannt, eine an sich geeignete und zur Verbesserung des Zustands notwendige, aber komplizierte, kostspielige und riskante Handoperation sei angesichts des geringfügigen Defektzustands unwirtschaftlich und deshalb unverhältnismässig (zustimmend zitiert bei MEYER-BLASER, a.a.O., S. 77 ff.). Im Bereich der Pflegefinanzierung für Spitex-Leistungen wird als obere Grenze der Verhältnismässigkeit ein Aufwand bezeichnet, der ca. 3,5 mal höher liegt als der Aufwand in einem Pflegeheim und in absoluten Zahlen gegen Fr. 100'000.- pro Jahr beträgt (BGE 126 V 334 E. 3b S. 342). Unverhältnismässig bzw. unwirtschaftlich sind Kosten, die vier- bis fünfmal höher sind als diejenigen im Pflegeheim und absolut über Fr. 100'000.- pro Jahr betragen (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts K 95/03 vom 11. Mai 2004 E. 3.2). In SVR 2009 KV Nr. 1 S. 1, 9C_56/2008 ging es um eine Therapie, die im Einzelfall Fr. 50'000.- bis Fr. 70'000.- kostete; unter Berücksichtigung der Behandlungswirksamkeit (Number Needed to Treat [NNT]) errechnete das Bundesgericht, dass zwischen 1,85 und 3,85 Mio. Franken ausgegeben werden müssten, um ein Menschenleben zu retten, was als schlechtes Kosten-/Wirksamkeitsverhältnis betrachtet wurde (E. 3.8). Selbst bei besserem Kosten-/Nutzen-Verhältnis scheine die Bejahung eines hohen therapeutischen Nutzens fraglich (E. 3.10).
7.6.3 Diese Betrachtungsweise stimmt überein mit in anderen Ländern verwendeten Kosten-Nutzen-Betrachtungen, wobei die Verhältnismässigkeit anhand des Aufwands pro gerettetes Menschenlebensjahr, allenfalls qualitätskorrigiert (QALYs [quality adjusted life years] oder ähnliche Konzepte), beurteilt wird (AUER UND ANDERE, a.a.O., S. 2404 f.; RUTH BAUMANN-HÖLZLE, Das "Manifest für eine faire Mittelverwendung im Gesundheitswesen", in: Rationierung und Gerechtigkeit, S. 34 ff., 37; SCHÜRCH, a.a.O., S. 31, 96; JÜRG H. SOMMER, Muddling Through Elegantly: Rationierung im Gesundheitswesen, 2001, S. 65 ff.; STEFFEN, a.a.O., S. 280 f.; SCHÖFFSKI/GREINER, Das QALY-Konzept als prominentester Vertreter der Kosten-Nutzwert-Analyse, Gesundheitsökonomische Evaluationen, 2007, passim; SCHÖFFSKI/SCHULENBURG, Gesundheitsökonomische Evaluationen, 2008, S. 95 ff.). In verschiedenen gesundheitsökonomischen Ansätzen werden Beträge in der Grössenordnung von maximal ca. Fr. 100'000.- pro gerettetes Menschenlebensjahr noch als angemessen betrachtet (SVR 2009 KV Nr. 1 S. 1, 9C_56/2008 E. 3.8 mit Hinweis; GEORG MARCKMANN, Kosteneffektivität als Allokationskriterium aus gesundheitsethischer Sicht, in: Rationierung und Gerechtigkeit, S. 213 ff., 220 ff.; THOMAS D. SZUCS, Gesundheitsökonomische Aspekte der chronischen Herzinsuffizienz, SÄZ 2003 S. 2431 ff., 2434). Das stimmt in der Grössenordnung überein mit den für Therapien in der Schweiz üblicherweise maximal aufgewendeten Kosten. So betragen die in der Schweiz maximal zugelassenen Therapiekosten in der Onkologie Fr. 7'000.- pro Monat bzw. Fr. 84'000.- pro Jahr (JÜRG NADIG, Verdeckte Rationierung dank Wirtschaftlichkeitsverfahren?, SÄZ 2008 S. 855 ff., 859 f.). Die Kosten der Osteoporosetherapie liegen in der Grössenordnung von etwa Fr. 60'000.- bis Fr. 70'000.-/QALY (LAMY/KRIEG, De la nécessité des études cout-efficacité en ostéoporose, RMS 2007 S. 1521 ff., 1524). Diese Grössenordnung ist auch im Vergleich mit anderen Bereichen stimmig, in denen es darum geht, bestimmte Aufwendungen zu treffen, um Menschenleben zu retten, z.B. im Bereich der Unfall-und Krankheitsprävention; soweit dafür in der Schweiz bisher explizite Kosten-/Wirksamkeitsüberlegungen angestellt wurden, werden Grenzkostenwerte zwischen 1 und maximal 20 Mio. Franken pro gerettetes Menschenleben bzw. zwischen Fr. 25'000.- und Fr. 500'000.- pro gerettetes Menschenlebensjahr als haltbar erachtet (HANSJÖRG SEILER, Risikobasiertes Recht, Wieviel Sicherheit wollen wir?, 2000, S. 153 f.). Dabei handelt es sich bei den höheren Werten um Bereiche, in denen es um die Prävention gegen Gefahrenquellen geht, welche von Menschen verursacht werden und völlig unbeteiligte andere Menschen bedrohen; aufgrund des generellen Verbots, andere an Leib und Leben zu schädigen, dürfte es sich rechtfertigen, in dieser Hinsicht höhere Aufwendungen zu Lasten des Verursachers zu fordern als im Bereich der von der Sozialversicherung bezahlten Behandlung gegen Krankheiten, die von niemandem verschuldet wurden.
7.7 Eine Beurteilung der Verhältnismässigkeit bzw. Kosten-Wirksamkeit anhand verallgemeinerungsfähiger Kriterien drängt sich insbesondere aus Gründen der Rechtsgleichheit auf (Art. 8 Abs. 1 BV): Wie für die Beschaffung staatlicher Mittel (vgl. dazu BGE 133 I 206 E. 7.4 S. 220 f.) stellt sich auch für die Erbringung staatlicher Leistungen die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit. Wo staatlich administrierte Güter nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen, ist eine möglichst rechtsgleiche Verteilung anzustreben; es soll vermieden werden, dass die einen alles oder sehr viel und die anderen nichts oder fast nichts erhalten (BGE 130 I 26 E. 6.3.3.2 S. 53; vgl. in Bezug auf den gesteigerten Gemeingebrauch öffentlicher Sachen BGE 132 I 97 E. 2 S. 99 ff.; BGE 121 I 279 E. 4 S. 284 f. und E. 6 S. 286 ff.; VINCENT MARTENET, Géométrie de l'égalité, 2003, S. 348 f.). Rechtsgleichheit setzt Verallgemeinerungsfähigkeit voraus. Verallgemeinerungsfähig ist nur, was allen, die sich in einer gleichen Situation befinden, in gleicher Weise angeboten werden kann (vgl. zur Gemeinverträglichkeit als Kriterium für die Abgrenzung zwischen Gemeingebrauch und gesteigertem Gemeingebrauch BGE 135 I 302 E. 3.3 und 3.4 S. 309 f.; BGE 126 I 133 E. 4c S. 139; BGE 122 I 279 E. 2e/cc S. 286 f.; ZBl 107/2006 S. 254, 2P.191/2004 E. 2.4.1). Das muss insbesondere auch für staatliche Sozialleistungen und Leistungen der Sozialversicherungen gelten: Die Ressourcen müssen fair verteilt werden (BAUMANN-HÖLZLE, a.a.O., S. 37, 44). Ohne besondere Rechtfertigung wäre es mit der Rechtsgleichheit und der Gleichwertigkeit aller Menschen nicht vereinbar, einzelnen Versicherten Leistungen zu erbringen, die anderen Versicherten in gleicher Lage nicht erbracht würden (BGE 122 I 343 E. 4d S. 350; BGE 114 Ia 1 E. 8 S. 4 ff.; KATHRIN AMSTUTZ, Das Grundrecht auf Existenzsicherung, 2002, S. 104 ff.; MARTENET, a.a.O., S. 551 f.; MÜLLER/SCHEFER, Grundrechte in der Schweiz, 4. Aufl. 2008, S. 668 f.). Umgekehrt formuliert folgt daraus, dass in rechtsgleicher Anwendung des Verhältnismässigkeitsprinzips für einzelne Versicherte nur so hohe Leistungen erbracht werden dürfen, wie sie in verallgemeinerungsfähiger Weise für alle anderen Personen in vergleichbarer Situation auch erbracht werden könnten. Leistungen zu erbringen, die nicht verallgemeinert werden können, verletzt die Rechtsgleichheit.
7.8 Im Lichte dieser Grundsätze müsste im zu beurteilenden Fall, selbst wenn ein hoher therapeutischer Nutzen erwiesen wäre, eine Leistungspflicht aus Wirtschaftlichkeitsgründen, d.h. mangels eines angemessenen Verhältnisses zwischen den Kosten - hier insgesamt rund Fr. 750'000.- bis Fr. 900'000.- (für die streitigen eineinhalb Jahre) - und dem Nutzen verneint werden. Die Beurteilung des Kosten-/Nutzen-Verhältnisses kann entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin auch nicht mit dem Argument umgangen werden, dass es sich um eine Einzelfallbeurteilung in einem Orphan-Disease-Fall handle. Denn es gibt zahlreiche Personen, die zwar nicht an Morbus Pompe, aber an anderen Krankheiten leiden, welche vergleichbare Einschränkungen der Lebensqualität zur Folge haben (z.B. chronisch-obstruktive Lungenkrankheit [COPD]). Statistisch sind beispielsweise 2,8% der schweizerischen Wohnbevölkerung ab 15 Jahren in ihrem Gehvermögen auf weniger als 200 m beschränkt (Stand 2007; Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2010, S. 323), was rund 180'000 Personen entspricht , die mit einer ähnlich eingeschränkten Lebensqualität wie die Beschwerdegegnerin leben müssen. Mit einem Aufwand von rund Fr. 500'000.- pro Jahr liesse sich möglicherweise bei den meisten dieser Menschen die Lebensqualität in vergleichbarem Ausmass wie bei der Beschwerdegegnerin verbessern, sei dies z.B. durch operative Massnahmen, die bisher aus Kostengründen nicht durchgeführt werden, durch gegenüber der bisherigen Rechtsprechung (E. 7.6.2) grosszügigere Gewährung von Pflegeleistungen oder schliesslich dadurch, dass - analog zum Off-Label-Use von Medikamenten - auch Mittel und Gegenstände abgegeben werden, die nicht in der grundsätzlich abschliessenden Mittel- und Gegenständeliste (Art. 20 ff. KLV; BGE 136 V 84 E. 2.2 S. 86; BGE 134 V 83 E. 4.1 S. 85 ff.) aufgeführt sind, aber doch die Lebensqualität signifikant erhöhen würden. Würde bei der Beschwerdegegnerin ein solcher Aufwand betrieben, wäre im Lichte der Rechtsgleichheit (vorne E. 7.7) kein Grund ersichtlich, allen anderen Patienten in vergleichbarer Lage einen gleichen Aufwand zu verweigern. Dadurch entstünden jährliche Kosten von rund 90 Mrd. Franken. Das ist rund das 1,6-Fache der gesamten Kosten des Gesundheitswesens (Stand 2007: rund 55,2 Mrd. Franken; Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2010, S. 340) oder etwas mehr als 17% des gesamten Bruttoinlandprodukts der Schweiz (Stand 2007: rund 521 Mrd. Franken; Statistisches Jahrbuch der Schweiz 2010, S. 124). Die obligatorische Krankenpflegeversicherung ist offensichtlich nicht in der Lage, für die Linderung eines einzigen Beschwerdebildes einen derartigen Aufwand zu bezahlen. Ist der Aufwand nicht verallgemeinerungsfähig, so kann er aus Gründen der Rechtsgleichheit auch im Einzelfall nicht erbracht werden.