BVerfGE 106, 51 - Aktenvorlage I |
Beschluss |
des Zweiten Senats vom 10. Oktober 2002 |
- 2 BvK 1/01 - |
In dem Verfahren über den Antrag festzustellen, dass das Verlangen der Antragsgegner nach Vorlage a) des Haushaltsvoranschlages des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur mit Begründungen zum Landeshaushalt 2001, b) des Entwurfs des Ministeriums für Finanzen und Energie für den Haushalt des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur für das Jahr 2001 vor der Kabinettsberatung, c) der Haushaltsverhandlungsvermerke des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur und des Ministerums für Finanzen und Energie zum Landeshaushalt 2001, d) der Verhandlungsvermerke zur Nachschiebeliste zum Landeshaushalt 2001 gegen die Bestimmungen der Art. 2, Art. 26 Abs. 1 Satz 1 und Art. 23 Abs. 3 Satz 1 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein verstößt. Antragsteller: Landesregierung des Landes Schleswig-Holstein, vertreten durch die Ministerpräsidentin, - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Wolfgang M. Weißleder und Koll., Walkerdamm 4-6, 24103 Kiel - Antragsgegner: 1. MdL E..., 2. MdL J..., 3. MdL S..., 4. MdL S... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Prof. Dr. Konrad Redeker und Koll., Mozartstraße 4-10, 53115 Bonn - hier: Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung auszusprechen, dass die antragstellende Landesregierung bis zu einer Entscheidung über den Antrag in der Hauptsache nicht verpflichtet ist, dem Verlangen der Antragsgegner zu entsprechen. |
Entscheidungsformel: |
Die Antragstellerin ist bis zu einer Entscheidung über den Antrag in der Hauptsache nicht verpflichtet, dem Verlangen der Antragsgegner nach Vorlage a) des Haushaltsvoranschlages des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur mit Begründungen zum Landeshaushalt 2001, b) des Entwurfs des Ministeriums für Finanzen und Energie für den Haushalt des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur für das Jahr 2001 vor der Kabinettsberatung, c) der Haushaltsverhandlungsvermerke des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur und des Ministeriums für Finanzen und Energie zum Landeshaushalt 2001, d) der Verhandlungsvermerke zur Nachschiebeliste zum Landeshaushalt 2001 zu entsprechen. |
Gründe: |
A. |
Die Landesregierung begehrt vorläufigen Rechtsschutz im Organstreit über ein von den Antragsgegnern geltend gemachtes Recht auf Vorlage der im Antrag bezeichneten Akten.
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I. |
1. Im Hauptsacheverfahren beantragt die Antragstellerin, festzustellen, dass das Verlangen der Antragsgegner nach Vorlage dieser Akten gegen die Bestimmungen der Art. 2, Art. 26 Abs. 1 Satz 1 und Art. 23 Abs. 3 Satz 1 der Verfassung des Landes Schleswig-Holstein (LV) verstoße. Zur Begründung beruft sie sich auf Art. 23 Abs. 3 Satz 1 LV, der der Landesregierung das Recht gibt, die Vorlage von Akten abzulehnen, wenn die Funktionsfähigkeit und die Eigenverantwortung der Landesregierung durch die Vorlage beeinträchtigt würden. |
Die Antragstellerin kann das geltend gemachte Recht, die Vorlage der bezeichneten Akten zu verweigern, nicht bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache durch einfache Ablehnung der Herausgabe wahren. Dies beruht auf einer besonderen Regelung der schleswig-holsteinischen Landesverfassung. Lehnt die Landesregierung ein Informationsverlangen der nach Art. 23 Abs. 2 LV Informationsberechtigten ab, so hat sie nach Art. 23 Abs. 3 Satz 3 LV auf Verlangen der Antragsteller diese Ablehnung vor dem Parlamentarischen Einigungsausschuss zu begründen. Soweit zwischen dem Parlamentarischen Einigungsausschuss und der Landesregierung keine Einigung erzielt werden kann, ist die Landesregierung nach Art. 23 Abs. 3 Satz 4 LV verpflichtet, dem Informationsverlangen unverzüglich zu entsprechen, es sei denn, dass sie eine gegenteilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts erwirkt.
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Sowohl der Antrag in der Hauptsache als auch der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung waren zunächst gegen die Antragsgegner zu 1. bis 4. - Mitglieder des Bildungsausschusses im schleswig-holsteinischen Landtag - sowie gegen weitere Mitglieder des Landtags gerichtet. Soweit die Anträge sich gegen diese weiteren Mitglieder richteten, wurden sie zurückgenommen. Antragsgegner sind damit nur noch diejenigen Abgeordneten, die das umstrittene Aktenvorlagebegehren gestellt und es nach Ablehnung seitens der Landesregierung durch Anrufung des parlamentarischen Einigungsausschusses weiter verfolgt haben.
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2. Zur Begründung ihres Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung trägt die Landesregierung vor, die Anordnung müsse ergehen, weil die Folgenabwägung, auf die es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ankomme, wenn der in der Hauptsache gestellte Antrag weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet sei, zu ihren Gunsten ausfalle. Ihr entstünden schwerwiegende Nachteile, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung abgelehnt würde, der in der Hauptsache gestellte Antrag sich später aber als begründet erwiese. In diesem Fall trete die Beeinträchtigung ihrer Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung ein, die mit dem in der Hauptsache verfolgten Recht aus Art. 23 Abs. 3 Satz 1 LV, die Aktenvorlage zu verweigern, vermieden werden solle. |
Demgegenüber seien die Nachteile, die den Antragsgegnern - bei unterstellter Berechtigung ihres Vorlagebegehrens - im Falle des Erlasses der beantragten einstweiligen Anordnung entstünden, nicht gewichtig. Den Antragsgegnern drohe keine irreversible Beeinträchtigung; vielmehr gehe es für sie lediglich um eine Verzögerung. Diese sei den Antragsgegnern trotz grundsätzlich schützenswerten Interesses an einer zeitnahen Aktenvorlage zumutbar.
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II. |
Die Antragsgegner beantragen, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen. Der Antrag sei unzulässig und unbegründet. Als Ausschussminderheit ("Fraktion im Ausschuss"), die gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 LV die Vorlage der Unterlagen verlangt habe, seien die Antragsgegner weder parteifähig noch passiv prozessführungsbefugt, da es sich bei dem geltend gemachten Aktenvorlagerecht nicht um ein eigenes Recht der Antragsgegner, sondern um ein Recht des Parlaments handele und eine Prozessstandschaft hier nicht vorgesehen sei. Das von der Antragstellerin in ihrem Antrag zur Hauptsache als verfassungsverletzend beanstandete Vorlagebegehren sei auch keine rechtserhebliche Maßnahme im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG. Denn selbst wenn die Antragstellerin berechtigt wäre, die Vorlage zu verweigern, werde dadurch das Vorlagebegehren nicht verfassungswidrig. Es fehle aus diesen Gründen auch an der Zulässigkeit des in der Hauptsache gestellten Antrags, die Voraussetzung für die Begründetheit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sei.
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Die Unbegründetheit des Anordnungsantrags ergebe sich außerdem daraus, dass der Hauptsacheantrag offensichtlich unbegründet sei. Angesichts der überragenden Bedeutung der in Art. 23 LV ver ankerten, durch die in Absatz 3 vorgesehene Umkehr der Klagelast in ihrem Gewicht noch verstärkten parlamentarischen Kontrollrechte dürfe die Vorlage nur in seltenen Ausnahmefällen bei konkreten Gefahren für überragende Güter der Allgemeinheit verweigert werden. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben. Die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihr für den Fall des Nichterlasses der einstweiligen Anordnung schwerwiegende konkrete Nachteile drohten. Die behaupteten Nachteile beträfen nicht den konkreten Fall, sondern die Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Regierung im Hinblick auf künftige Willensbildungsprozesse; geltend gemacht würden also nicht konkrete Beeinträchtigungen, sondern lediglich eine für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht ausreichende - außerdem auch zu Unrecht unterstellte - abstrakte Gefahr. |
Den Antragsgegnern entstünden demgegenüber erhebliche Nachteile, falls es der Landesregierung durch den Erlass einer einstweiligen Anordnung ermöglicht werde, die streitgegenständlichen Unterlagen bis zur Entscheidung in der Hauptsache zurückzuhalten. Ihr Aktenvorlagebegehren diene der Aufklärung in einer aktuellen politischen Kontroverse über das Zustandekommen einer Lücke im Haushalt 2001. Parlamentarische Kontrolle sei für ihre Funktionsfähigkeit auf öffentliches Interesse angewiesen. Sie könne daher, weil das öffentliche Interesse an den zum Gegenstand der Kontrolle gemachten Vorgängen mit zeitlichem Abstand nachlasse, wirksam nur zeitnah ausgeübt werden. In dem zeitlichen Abstand, der sich im Fall einer Verschiebung der Aktenvorlage bis zur Entscheidung in der Hauptsache ergäbe, werde das Kontrollrecht daher wirkungslos.
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B. |
Der Antrag ist zulässig und begründet.
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I. |
1. Die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts, als Landesverfassungsgericht für das Land Schleswig-Holstein über den Organstreit in der Hauptsache und über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in diesem Streitfall zu entscheiden, sowie die Statthaftigkeit des Antrags folgen aus Art. 99 GG, § 13 Nr. 10 BVerfGG, Art. 44 Nr. 1 und Art. 23 Abs. 3 Satz 4 LV. |
Nach Art. 23 Abs. 3 Satz 4 LV ist die Landesregierung bei Scheitern einer Einigung mit dem Parlamentarischen Einigungsausschuss trotz eines eventuell bestehenden Verweigerungsrechts nach Art. 23 Abs. 3 Satz 4 LV zur unverzüglichen Aktenvorlage verpflichtet, wenn sie nicht eine gegenteilige einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts erwirkt. Im Streit über ein parlamentarisches Informationsverlangen liegt es üblicherweise bei denen, die die Information verlangt haben, gegen eine eventuelle Ablehnung seitens der Regierung den geltend gemachten Informationsanspruch im Wege der Klage und - vorläufig - im Wege eines Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz durchzusetzen. Nach Art. 23 Abs. 3 Satz 4 LV ist es dagegen Sache der Regierung, ein von ihr behauptetes Recht zur Informationsverweigerung im Wege des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Geltung zu bringen. Daraus folgt eine Umkehrung auch der Klagelast in der Hauptsache (vgl. Umbach/Clemens, BVerfGG, 1992, § 73 Rn. 14; Hübner in: v. Mutius/Wuttke/Hübner, Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, 1995, Art. 23 Rn. 21).
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Art. 23 Abs. 3 Satz 1 LV weicht demnach von der üblichen, für das bundesverfassungsrechtliche Organstreitverfahren in § 64 BVerfGG vorausgesetzten Regelung ab. Der Regelungsspielraum, der dem Landesgesetzgeber nach Art. 99 GG und §§ 73 ff. BVerfGG eingeräumt ist, wird dadurch jedoch nicht überschritten. Die Norm zielt auf eine prozedurale Stärkung der parlamentarischen Informationsrechte, ändert aber nichts am Charakter der betreffenden Streitigkeiten als Organstreitigkeiten, die dem Begriff der "Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes" im Sinne des Art. 99 GG unterfallen und daher dem Bundesverfassungsgericht zugewiesen werden können. Hinsichtlich der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung im Einzelnen hat der Landesgesetzgeber, wie aus den §§ 73 ff. BVerfGG ersichtlich, Spielraum für Regelungen, die von den im III. Teil des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes getroffenen abweichen.
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2. Die Zulässigkeit des Antrags scheitert auch nicht an fehlender Parteifähigkeit oder fehlender passiver Prozessführungsbefugnis der Antragsgegner. Beteiligte eines Organstreits - und damit auch Beteiligte eines in diesem Zusammenhang geführten Eilverfahrens - können gemäß § 73 BVerfGG und Art. 44 Nr. 1 LV oberste Organe des Landes oder die in der Landesverfassung oder in der Geschäftsordnung eines obersten Organs des Landes mit eigenen Rechten ausgestatteten Teile dieser Organe sein. Die Antragsgegner, vier von elf Abgeordneten des Bildungsausschusses, sind daher als qualifizierte Ausschussminderheit parteifähig (vgl. BVerfGE 49, 70 [77]), denn Art. 23 Abs. 2 Satz 2 LV räumt einem Viertel der Mitglieder eines Ausschusses ein Recht auf Aktenvorlage ein. Vorzulegen sind die verlangten Akten zwar dem Landtag oder dem Ausschuss, dessen qualifizierte Minderheit die Vorlage verlangt hat; zu erfüllen ist der Vorlageanspruch also gegenüber dem jeweiligen Gesamtgremium. Dies ändert aber nichts daran, dass der Anspruch der qualifizierten Minderheit verfassungskräftig als eigenes Recht zugewiesen ist (s. auch LTDrs 12/620, S. 66; Hübner in: v. Mutius/Wuttke/Hübner, Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, Band I, 1995, Art. 23 Rn. 10) und daher deren Parteifähigkeit im Organstreit begründet. |
Dass die Antragsgegner auch passiv prozessführungsbefugt sind, folgt aus Art. 23 Abs. 3 Satz 4 LV. Passiv prozessführungsbefugt ist derjenige, dem gegenüber zur Sache erkannt werden darf (vgl. BVerfGE 68, 1 [74]; 73, 40 [67]). Bei üblicher Klagelastverteilung ist dies im Organstreit derjenige, von dem die Maßnahme oder Unterlassung stammt, die der Antragsteller als seine Rechte verletzend oder gefährdend beanstandet (vgl. VerfGE 73, 40 [67]). Da Art. 23 Abs. 3 Satz 4 LV aber zulässigerweise vorsieht, dass sich im Streit über die Vorlage von Akten nach Einschaltung des Parlamentarischen Einigungsausschusses die Klagelast umkehrt, soweit eine Einigung zwischen dem Ausschuss und der Landesregierung nicht erzielt wird, ändert sich dementsprechend auch, welcher Partei gegenüber zur Sache erkannt werden darf. Passiv prozessführungsbefugt sind demnach im Aktenvorlagestreit nach Art. 23 Abs. 3 Satz 4 LV diejenigen Abgeordneten, deren Vorlagebegehren die Landesregie rung nach dieser Bestimmung rechtmäßig nur durch einen Antrag auf einstweilige Anordnung abwehren kann. Dies sind die Antragsgegner. |
3. Die Antragsbefugnis und das Rechtsschutzbedürfnis der antragstellenden Landesregierung ergeben sich ebenfalls daraus, dass sie das von ihr geltend gemachte Recht, die Vorlage der verlangten Unterlagen zu verweigern, nur durch einen Antrag auf einstweilige Anordnung vorläufig sichern kann.
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II. |
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zur Abwehr schwerer Nachteile und zum gemeinen Wohl dringend geboten (§ 75 i.V.m. § 32 Abs. 1 BVerfGG).
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1. Bei der Beantwortung der Frage, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG vorliegen, ist grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 82, 310 [312]; 99, 57 [66]; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 2001 - 2 BvQ 48/00 -, NJW 2001, S. 3253 [3253]). Ob dies auch für den hier zu entscheidenden Fall gilt oder ob die Umkehr der Klagelast eine Änderung dieses Maßstabs veranlasst, weil mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung hier gerade derjenige Zustand herbeigeführt würde, der bei normaler Klagelastverteilung ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung bestünde, kann offenbleiben, denn die genannten Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind hier auch bei Anlegung eines strengen Maßstabs gegeben.
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a) Die Zulässigkeit auch des in der Hauptsache gestellten Antrags scheitert nicht, wie von den Antragsgegnern geltend gemacht, an fehlender Parteifähigkeit und passiver Prozessführungsbefugnis der Antragsgegner (vgl. oben unter B. I.).
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Auch soweit sie sich gegen das formulierte Antragsziel richten, sind die Einwände der Antragsgegner gegen die Zulässigkeit des Antrags in der Hauptsache nicht begründet. Die Antragstellerin hat ihre Antragsformulierung in der Hauptsache, nach der sie die Feststellung erstrebt, das Vorlagebegehren der Antragsgegner verstoße gegen näher bezeichnete Bestimmungen der Landesverfassung, mit Rücksicht auf § 64 Abs. 1 BVerfGG gewählt. Nach dieser Bestimmung erfordert ein zulässiger Antrag im Organstreitverfahren die Bezeichnung einer Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners, durch die der Antragsteller sich in seinen im Organstreit verfolgbaren Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet sieht. |
Für Organstreitigkeiten innerhalb eines Landes gilt diese Regelung nicht unmittelbar, sie ist aber sinngemäß anzuwenden (vgl. BVerfGE 4, 144 [147 f.]; 27, 44 [51] - stRspr); letzteres wird damit begründet, dass das Erfordernis, eine Verletzung oder Gefährdung verfassungsrechtlich geschützter Rechte des Antragstellers durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners geltend zu machen, sich "notwendig aus dem Wesen des Verfassungsstreits" ergebe (vgl. BVerfGE 1, 208 [229]; 60, 53 [63]). Dieser Beurteilung liegt der von der bisherigen Rechtsprechung allein ins Auge gefasste Fall der üblichen Klagelastverteilung zugrunde. Auf den vorliegenden Fall einer Umkehrung der Klagelast passt sie nur eingeschränkt. Auch insoweit mag es zum Wesen der nach Art. 99 GG dem Bundesverfassungsgericht zuweisbaren Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes gehören, dass sie um die Wahrung eines verfassungsrechtlich geschützten und durch ein bestimmtes Verhalten des jeweils anderen Verfahrensbeteiligten verletzten oder gefährdeten Rechts eines der Verfahrensbeteiligten geführt werden. Dies ist hier der Fall. Dass es sich dabei, wie in § 64 Abs. 1 BVerfGG gefordert, um die Wahrung eines verletzten oder gefährdeten Rechts des Antragstellers handeln und dementsprechend dieser die Rechtswidrigkeit eines bestimmten Verhaltens des Antragsgegners geltend machen muss, folgt dagegen nicht schon aus dem Wesen der Verfassungsstreitigkeit, sondern erst aus der dabei üblichen Klagelastverteilung.
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Die sinngemäße Anwendung des § 64 Abs. 1 BVerfGG auf den vorliegenden Fall ergibt daher nicht, dass die Antragstellerin in der Hauptsache die Rechtswidrigkeit des Vorlagebegehrens der Antragsteller geltend machen muss. Sollte sich im Hauptsacheverfahren ergeben, dass der Antrag in diesem Punkt nicht richtig formuliert ist, wäre dies unschädlich. Das Bundesverfassungsgericht ist an die Wortfassung der gestellten Anträge nicht gebunden (vgl. BVerfGE 1, 14 [39]; 68, 1 [68]). Die Antragstellerin hat in ihrer Antragsschrift zur Hauptsache dargelegt, dass sie ein - bei sinngemäßer, auch die Umkehr der Klagelast berücksichtigender Anwendung des § 64 Abs. 1 BVerfGG - zulässiges, nämlich das in Art. 23 Abs. 3 Satz 4 LV auch für das Verfahren in der Hauptsache vorgezeichnete Antragsziel verfolgt. |
b) Der in der Hauptsache gestellte Antrag ist auch nicht offensichtlich unbegründet. Die Begründetheit des Hauptsacheantrags hängt von der Reichweite des Vorbehalts der "Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung" der Landesregierung ab, der nach Art. 23 Abs. 3 Satz 1 LV die Aktenvorlagepflicht der Landesregierung begrenzt. Mit der Formulierung dieses Vorbehalts knüpft Art. 23 Abs. 3 Satz 1 LV an den aus dem Gewaltenteilungsprinzip abgeleiteten Grundsatz an, dass ein "Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung" dem Zugriff parlamentarischer Kontrollrechte entzogen ist (s. Bericht und Beschlussempfehlung des Sonderausschusses "Verfassungs- und Parlamentsreform", LTDrs 12/620, S. 66; Hübner in: v. Mutius/Wuttke/Hübner, Kommentar zur Landesverfassung Schleswig-Holstein, Bd. I, 1995, Art. 23 Rn. 19). Die Reichweite dieses Grundsatzes und seiner landesverfassungsrechtlichen Umschreibungen durch den Vorbehalt der "Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung" der Landesregierung ist in Rechtsprechung und Literatur im Einzelnen umstritten und insbesondere in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht so weit geklärt, dass das Ergebnis seiner Anwendung auf einen Fall wie den vorliegenden eindeutig wäre.
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3. Ist der Antrag in der Hauptsache weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet, so kommt es auf eine Folgenabwägung an. Abzuwägen sind die Nachteile, die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, sich später aber in der Hauptsache ergäbe, dass damit eine zu Recht behauptete Verfassungsrechtsposition vorläufig ungeschützt geblieben ist, gegen die Nachteile, die einträten, wenn die Anordnung erginge, sich in der Hauptsache aber erwiese, dass damit einstweilig Schutz für eine zu Unrecht behauptete Verfassungsrechtsposition gewährt wurde (vgl. BVerfGE 88, 173 [179 f.]; 99, 57 [66] ; Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Mai 2001 - 2 BvQ 48/00 -, NJW 2001, S. 3253 [3253 f.] - stRspr). Diese Abwägung fällt hier zugunsten des Erlasses der beantragten einstweiligen Anordnung aus. |
Wird der Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, stellt sich aber in der Hauptsache heraus, dass die Landesregierung nach Art. 23 Abs. 3 Satz 1 LV zur Verweigerung der Aktenvorlage berechtigt war, so ist die Landesregierung nach Art. 23 Abs. 3 Satz 4 LV zunächst verpflichtet, Akten vorzulegen, deren Vorlage sie an sich aus Gründen ihrer Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung verweigern dürfte. Folge der Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wäre daher eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung der Landesregierung.
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Wird dagegen eine einstweilige Anordnung wie beantragt erlassen, stellt sich aber im Hauptsacheverfahren heraus, dass ein Verweigerungsrecht nach Art. 23 Abs. 3 Satz 1 LV nicht besteht, so kann die Landesregierung trotz eines an sich gegebenen Anspruchs der Antragsteller die Vorlage der Akten bis zur Entscheidung in der Hauptsache verweigern. Der Erlass der einstweiligen Anordnung hätte in diesem Fall eine Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit auf Seiten des Parlaments zur Folge, da die qualifizierte Minderheit, der Art. 23 Abs. 2 LV die Ausübung parlamentarischer Kontrollfunktionen ermöglicht, an der Ausübung dieser Kontrollfunktionen im konkreten Fall bis zur Entscheidung in der Hauptsache gehindert wäre.
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Gegeneinander abzuwägen sind also der Nachteil einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Regierung auf der einen und der einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Parlaments auf der anderen Seite. Keiner dieser beiden Belange kann abstrakt als höherrangig eingestuft werden. Daraus ergibt sich aber für den vorliegenden Fall keine Gleichgewichtigkeit der alternativ drohenden Nachteile. Wird die Landesregierung durch die Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Anordnung zur Vorlage von Akten genötigt, deren Vorlage sie nach dem späteren Entscheidungsergebnis in der Hauptsache im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit und Eigenverantwortung verweigern darf, so sind die durch das Verweigerungsrecht geschützten Belange irreversibel beeinträchtigt, denn die mit der Vorlage ermöglichte Kenntnisnahme und deren sämtliche Folgen können durch die spätere Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rückgängig gemacht werden. Die Behinderung der Ausübung parlamentarischer Kontrollfunktionen durch eine einstweilige Nichtvorlage von Akten, auf deren Vorlage nach dem Ergebnis des Hauptsacheverfahrens ein Anspruch besteht, wäre dagegen zeitlich begrenzt. Zwar können Verzögerungen die Wirksamkeit der Ausübung parlamentarischer Kontrollrechte beeinträchtigen. Jedenfalls wenn sich die Kontrolle auf einen abgeschlossenen Vorgang bezieht und die Hauptsacheentscheidung noch innerhalb derselben Legislaturperiode fällt, wird die Ausübung parlamentarischer Kontrollfunktionen durch eine gewisse zeitliche Verschiebung aber normalerweise nicht so grundlegend beeinträchtigt, dass sie ihren Sinn verlöre und die verzögerte Erfüllung eines bestehenden Aktenvorlagerechts daher einem irreversiblen Rechtsverlust gleichkäme. |
So liegt es hier. Im Falle eines inhaltlichen Auseinanderfallens von vorläufiger und endgültiger Entscheidung wäre deshalb die Funktionsfähigkeit der Landesregierung von einer vorläufigen Entscheidung zu ihren Ungunsten deutlich schwerer nachteilig betroffen als die Funktionsfähigkeit des Parlaments von einer vorläufigen Entscheidung zuungunsten der Antragsgegner.
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Hassemer, Sommer, Jentsch, Broß, Osterloh, Di Fabio, Mellinghoff, Lübbe-Wolff |