BVerfGE 119, 1 - Roman Esra


BVerfGE 119, 1 (1):

1. Bei dem gerichtlichen Verbot eines Romans als besonders starkem Eingriff in die Kunstfreiheit prüft das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidungen mit der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie auf der Grundlage der konkreten Umstände des vorliegenden Sachverhalts.
2. Die Kunstfreiheit verlangt für ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweist, eine kunstspezifische Betrachtung. Daraus folgt insbesondere eine Vermutung für die Fiktionalität eines literarischen Textes.
3. Die Kunstfreiheit schließt das Recht zur Verwendung von Vorbildern aus der Lebenswirklichkeit ein.
4. Zwischen dem Maß, in dem der Autor eine von der Wirklichkeit abgelöste ästhetische Realität schafft, und der Intensität der Verletzung des Persönlichkeitsrechts besteht eine Wechselbeziehung. Je stärker Abbild und Urbild übereinstimmen, desto schwerer wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts. Je mehr die künstlerische Darstellung besonders geschützte Dimensionen des Persönlichkeitsrechts berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen.
 
Beschluss
des Ersten Senats vom 13. Juni 2007
-- 1 BvR 1783/05 --
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der V . . . GmbH, vertreten durch die Geschäftsführer . . ., -- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Sven Krüger, in Sozietät Rechtsanwälte Schwenn & Krüger, Große Elbstraße 14, 22767 Hamburg -- gegen a) das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. Juni 2005 -- VI ZR 122/04 --, b) das Endurteil des Oberlandesgerichts München vom 6. April 2004 -- 18 U 4890/03 --, c) das Endurteil des Landgerichts München I vom 15. Oktober 2003 -- 9 O 11360/03 --.
Entscheidungsformel:
1. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. Juni 2005 -- VI ZR 122/04 --, das Endurteil des Oberlandesgerichts München vom 6. April 2004 -- 18 U 4890/03 -- sowie das Endurteil des Landgerichts München I vom 15. Oktober 2003 -- 9 O 11360/03 -- verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes, soweit die Urteile der Klägerin zu 2)

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das Recht zugesprochen haben, der Beschwerdeführerin unter Androhung eines Ordnungsgeldes zu verbieten, das Buch "Esra" in der Fassung laut Verpflichtungserklärung vom 18. August 2003 zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu lassen, auszuliefern oder ausliefern zu lassen, zu vertreiben oder vertreiben zu lassen und hierfür zu werben oder werben zu lassen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.
2. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21. Juni 2005 -- VI ZR 122/04 -- wird im Umfang der unter Ziffer 1) festgestellten Grundrechtsverletzung aufgehoben. Die Sache wird insoweit an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen.
3. Der Freistaat Bayern und die Bundesrepublik Deutschland haben der Beschwerdeführerin jeweils ein Viertel der ihr im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
 
Gründe:
 
A. -- I.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen Urteile des Landgerichts München I, des Oberlandesgerichts München und des Bundesgerichtshofs, durch die die Veröffentlichung, Auslieferung und Verbreitung des von der Beschwerdeführerin verlegten Romans "Esra" des Autors Maxim Biller untersagt wurden, weil dieser das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens verletze.
1. Der Roman "Esra" erschien im Frühjahr 2003 im Verlag der Beschwerdeführerin. Erzählt wird darin die Liebesgeschichte von Adam und Esra, einem Schriftsteller und einer Schauspielerin. Die Liebesbeziehung zwischen den beiden Hauptfiguren spielt in München-Schwabing und wird über einen Zeitraum von etwa vier Jahren von Adam als Ich-Erzähler geschildert. Der Liebesbeziehung stellen sich Umstände aller Art in den Weg: Esras Familie, insbesondere ihre herrschsüchtige Mutter, Esras Tochter aus der ersten, gescheiterten Ehe, der Vater ihrer Tochter, und vor allem Esras passiver schicksalsergebener Charakter.


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Obwohl nach Ansicht des Autors und der Beschwerdeführerin die Figuren des Romans fiktiv sind, räumten beide im Ausgangsverfahren ein, dass der Autor von seiner Liebesbeziehung zur Klägerin zu 1) inspiriert worden war. In einer Widmung in dem der Klägerin zu 1) übermittelten Exemplar des Buchs schreibt der Autor:
"Liebe A. . ., dieses Buch ist für Dich. Ich habe es nur für Dich geschrieben, aber ich verstehe, dass Du Angst hast, es zu lesen. Vielleicht liest Du es, wenn wir alt sind -- und siehst dann noch einmal, wie sehr ich Dich geliebt habe. Maxim. Berlin, den 22.2.03."
In einem gedruckten Nachwort heißt es im Buch:
"Sämtliche Figuren dieses Romans sind frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit Lebenden und Verstorbenen sind deshalb rein zufällig und nicht beabsichtigt."
Die Klägerin zu 1) ist Trägerin des Bundesfilmpreises 1989. Mit 17 Jahren heiratete sie. Aus der Ehe stammt eine Tochter. Nach dem Scheitern dieser Ehe hatte die Klägerin zu 1) über eineinhalb Jahre ein intimes Verhältnis mit dem Autor. Während dieser Beziehung ist ihre Tochter schwer erkrankt. Nach der Trennung vom Autor hatte die Klägerin zu 1) über kurze Zeit eine weitere Beziehung mit einem ehemaligen Schulfreund. Aus dieser Beziehung, die zwischenzeitlich ebenfalls gescheitert ist, stammt ein Kind. Die Klägerin zu 2) ist die Mutter der Klägerin zu 1). Sie ist Trägerin des Alternativen Nobelpreises 2000 und Besitzerin eines Hotels in der Türkei.
2. Die Romanfigur der Esra wird als eine von dem Willen ihrer Mutter abhängige, unselbständige Frau geschildert, die in der zuletzt angegriffenen Version des Romans den "Fritz-Lang-Preis" für eine Filmrolle gewonnen hat. Die Beziehung zu dem Ich-Erzähler ist durch einen fortdauernden Wechsel von Zuneigung und Ablehnung und die enttäuschte Liebe des Ich-Erzählers gekennzeichnet. Sie ist deshalb zum Scheitern verurteilt, weil sich Esra nicht aus der Umklammerung durch ihre Mutter, ihre schwerkranke Tochter Ayla und den Vater ihrer Tochter lösen kann. Die Be

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ziehung des Ich-Erzählers zur Romanfigur Esra wird auf verschiedenen Ebenen unter Brechung der Chronologie durch mehrfache Rückblenden und in zahlreichen Details geschildert. Davon umfasst sind auch Überlegungen Esras darüber, ihr zweites Kind abtreiben zu lassen, wozu es schließlich nicht kommt, weil sie -- so legen es Überlegungen des Ich-Erzählers nahe -- dieses Kind anstelle ihrer todkranken Tochter haben möchte. Der Roman enthält an mehreren Stellen die Schilderung sexueller Handlungen zwischen Esra und dem Ich-Erzähler.
Esras Mutter, die Romanfigur Lale, besitzt ein Hotel an der Ägäischen Küste in der Türkei und hat in der ursprünglichen Romanfassung für ihre Umweltaktivitäten den Alternativen Nobelpreis, in der zuletzt angegriffenen, nach Vergleichsbemühungen zwischen den Parteien überarbeiteten Fassung den "Karl-Gustav-Preis" erhalten. Zwischen ihrem Lebenslauf und dem der Klägerin zu 2) gibt es deutliche und markante Übereinstimmungen (Zahl der Ehen und Kinder, Wohn- und Handlungsorte). Der Figur der Lale wird im Roman wesentliche Verantwortung für das Scheitern der Beziehung zwischen Adam und Esra zugeschrieben. Sie ist deutlich negativ gezeichnet. Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs wird sie als eine depressive, psychisch kranke Alkoholikerin dargestellt, die ihre Tochter und ihre Familie tyrannisiert.
II.
1. Die Klägerinnen beantragten kurz nach Erscheinen des Romans, von dem bis dahin rund 4.000 Exemplare verkauft worden waren, beim Landgericht den Erlass einer auf ein Verbot der Verbreitung des Romans gerichteten einstweiligen Verfügung. Im Verlauf des Verfahrens gab die Beschwerdeführerin mehrere Unterlassungsverpflichtungserklärungen ab, mit denen sie anbot, es bei Vermeidung einer Vertragsstrafe zu unterlassen, den Roman ohne bestimmte Streichungen beziehungsweise Änderungen zu veröffentlichen. Das Verfahren endete mit einer Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung im Hinblick auf die zwischenzeitlich abgegebenen Unterlassungsverpflichtungserklärungen. Nach Beendigung des einstweiligen Verfügungsver

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fahrens veröffentlichte die Beschwerdeführerin eine "geweißte" Fassung des Romans, die bestimmte Auslassungen aufwies.
2. a) Im Hauptsacheverfahren, in dem die Beschwerdeführerin am 18. August 2003 eine letzte -- noch über die "geweißte" Fassung hinausgehende -- Unterlassungsverpflichtungserklärung abgab, mit der sie insbesondere anbot, die Bezeichnung der an die Romanfiguren Esra und Lale verliehenen Preise und den jeweiligen Grund hierfür zu ändern, trugen die Klägerinnen im Wesentlichen vor, das Buch stelle eine Biographie ohne wesentliche Abweichung von der Wirklichkeit dar. Eine Identifizierung ihrer Personen sei auch in der veränderten Fassung des Romans ohne weiteres möglich. Durch die Darstellung würden sie diffamiert und in herabwürdigender Weise geschildert. Durch ausführliche und zum Teil ehrverletzende und beleidigende Schilderungen aus dem Sexualleben der Klägerin zu 1), der familiären Beziehungen und Streitigkeiten der Klägerinnen untereinander, den Auseinandersetzungen mit dem Ehemann der Klägerin zu 1) sowie die Schilderung der Krankheit der Tochter der Klägerin zu 1) sei in den absolut geschützten Bereich ihres Intimlebens eingegriffen worden.
b) Die Beschwerdeführerin trug im Wesentlichen vor, es handele sich bei dem Buch nicht um einen Schlüsselroman. Ein Großteil dessen, was in dem Roman passiere, habe sich in der Realität so nicht ereignet. Es sei nicht richtig, dass Handlungen und Personen größtenteils den Biographien der Klägerinnen entnommen seien.
3. Das Landgericht verurteilte die Beschwerdeführerin unter Androhung eines Ordnungsgeldes, es zu unterlassen, das Buch "Esra" zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu lassen, auszuliefern oder ausliefern zu lassen, zu vertreiben oder vertreiben zu lassen und hierfür zu werben oder werben zu lassen.
Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch sei gemäß §§ 1004, 823 BGB in Verbindung mit Art.  2 Abs.  1 GG begründet. Die Klägerinnen seien durch das angegriffene Buch in ihrem Persönlichkeitsrecht in einer Art verletzt, dass demgegenüber die Kunstfreiheit des Art.  5 Abs.  3 Satz 1 GG zurücktrete.
Die Klägerinnen seien in den Romanfiguren erkennbar. Aus

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schlaggebend hierfür sei die Darstellung der Figur Esra als Trägerin des Bundesfilmpreises 1989, den die 17-Jährige für die Rolle einer jungen Türkin, die sich in einen Deutschen verliebe, erhalten habe, und der Mutter der Esra als Trägerin des Alternativen Nobelpreises des Jahres 2000 wegen ihres Einsatzes gegen den Goldabbau in der Türkei. Die Kammer gehe davon aus, dass gerade der großen türkischen Gemeinde in Deutschland, der die beiden Klägerinnen auch angehörten, die Tatsache der Verleihung von zwei nicht unbedeutenden Preisen an zwei ihrer Mitglieder auch nach vierzehn beziehungsweise drei Jahren noch bekannt sei, und dass der Bezug zu den Klägerinnen hergestellt werde.
Die Beschwerdeführerin könne sich nicht darauf berufen, dass sie in der nunmehr streitgegenständlichen Fassung des Buchs den Alternativen Nobelpreis in "Karl-Gustav-Preis" und den Bundesfilmpreis in den "Fritz-Lang-Preis" abgeändert habe, die beide nicht existierten. Die zunächst erschienene Fassung des Buchs müsse bei der Beurteilung der Frage, ob die beiden Klägerinnen in der nunmehr streitgegenständlichen Fassung im Hinblick auf die vorbezeichneten Abänderungen noch erkennbar seien, mitberücksichtigt werden. Gerade die den Tatsachen entsprechende Schilderung der beiden Klägerinnen als Preisträgerinnen des Bundesfilmpreises beziehungsweise des Alternativen Nobelpreises in der zunächst erschienenen Fassung führe zu einer Erkennbarkeit und damit individuellen Betroffenheit der Klägerinnen. Würde man hinsichtlich der Erkennbarkeit der Klägerinnen ausschließlich auf die nunmehr streitgegenständliche Fassung abstellen, hätte dies zur Folge, dass gerade deshalb, weil die Klägerinnen sich gegen eine Fassung des Buchs zur Wehr gesetzt hätten, in der sie unschwer zu erkennen gewesen seien, ihnen dies nunmehr zum Nachteil gereichen würde.
Nach Abwägung der Umstände des Einzelfalls sei von einem so schweren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Klägerinnen auszugehen, dass die in Art.  5 Abs.  3 Satz 1 GG gewährleistete Kunstfreiheit demgegenüber zurücktreten müsse.
Eine Verselbständigung des Abbilds vom Urbild sei vorliegend nicht zu erkennen. Bis auf die Namen habe der Autor in dem Buch

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die familiären Beziehungen "1:1" der Wirklichkeit entnommen. Die Schilderung stelle eine Verletzung der Intimsphäre der Klägerin zu 1) dar. Sie habe mit dem Autor ein intimes Verhältnis gehabt. Wenn dann der Ich-Erzähler des Romans mit der Hauptfigur Esra, die als die Klägerin zu 1) zu identifizieren sei, ebenfalls ein sexuelles Verhältnis habe, sei die Intimsphäre der Klägerin zu 1) betroffen. Auf die Frage, ob die beschriebenen sexuellen Praktiken der Realität entsprächen oder pure Fiktion seien, komme es insoweit nicht an.
Darüber hinaus liege eine ganz erhebliche Verletzung der Persönlichkeitsrechte in der Schilderung der Krankheit der Tochter der Klägerin zu 1). Unter anderem würden damit die Probleme begründet, die in der Beziehung zwischen der Mutter des erkrankten Kindes und dem Ich-Erzähler entstünden. Die Erörterung der Erkrankung des Kindes habe in der Öffentlichkeit nichts zu suchen.
4. Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Beschwerdeführerin gegen das Urteil des Landgerichts zurück. Die Klägerinnen seien durch die Veröffentlichung des Romans in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.
Sie seien in den Romanfiguren Esra und Lale und in dem Handlungs- und Beziehungsgeflecht des Buchs erkennbar. Durch die Veröffentlichung des Buchs seien sie unmittelbar und individuell betroffen. Für einen nicht unbedeutenden Leserkreis würden erkennbar die Klägerinnen dargestellt. Eine genügende Verfremdung des Abbilds vom Urbild fehle. Es seien so markante Übereinstimmungen in dem Erscheinungsbild und dem Lebens- und Berufsweg von Esra und Lale einerseits und den Klägerinnen andererseits festzustellen, dass der Leser nicht zwischen Wahrheit und Erdichtetem unterscheiden könne.
Es lägen schwere Eingriffe in die Privat- und Intimsphäre der Klägerin zu 1) vor. Zudem sei ihr Recht am eigenen Lebensbild verletzt worden. Diese Eingriffe müsse sie nicht hinnehmen.
Die Privatsphäre werde durch die Schilderung der schweren Krankheit der Tochter der Romanfigur Esra verletzt. Dem Leser dränge sich aufgrund der Darstellung im Buch der Eindruck auf,

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die Tochter der Klägerin zu 1), die tatsächlich schwer erkrankt sei, hiervon nach dem Vortrag der Klägerin zu 1) jedoch nichts wisse, habe eine tödliche Krankheit, die auf mangelnder Fürsorge der Klägerin zu 1) beruhe. Des Weiteren werde der Eindruck vermittelt, die Klägerin zu 1) sei nur deshalb erneut schwanger geworden, weil sie sich vor dem Verlust ihrer Tochter gefürchtet habe.
Die Intimsphäre der Klägerin zu 1) werde durch die Schilderung von Einzelheiten des Sexuallebens von Esra einschließlich eines Abtreibungsversuchs verletzt. Da der Leser nicht zwischen Wahrheit und Erdichtetem unterscheiden könne, setze er dies mit realen Einzelheiten des Sexuallebens der Klägerin zu 1) gleich. Leser, die die Klägerin zu 1) identifiziert hätten, würden zudem die innersten Empfindungen und Gedankengänge von Esra mit denen der Klägerin zu 1) gleichsetzen. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht wiege so schwer, dass er nicht durch das Recht auf Kunstfreiheit gerechtfertigt sei.
Auch die Klägerin zu 2) sei durch die Veröffentlichung des Buchs unmittelbar betroffen und in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Das Buch greife schwer in die Privatsphäre der Klägerin zu 2) und ihr Recht am eigenen Lebensbild ein. Wie bei der Klägerin zu 1) sei auch hinsichtlich der Klägerin zu 2) nicht erkennbar, was wahr und was erdichtet sei. Leser, die die Klägerin zu 2) identifiziert hätten, würden die Charakterzüge von Lale mit denen der Klägerin zu 2) gleichsetzen. Dadurch sei die Klägerin zu 2) zugleich in ihrem Recht am eigenen Lebensbild verletzt.
Das Verbot des Buchs sei nicht unverhältnismäßig. Die Anordnung einzelner Schwärzungen scheide schon deswegen aus, weil in die gesamte Struktur und Darstellung des Buchs eingegriffen werden müsste. Aufgabe des Gerichts sei zwar festzustellen, ob die Veröffentlichung eines Buchs in einer bestimmten Fassung zu unterlassen sei. Es dürfe jedoch nicht gleichsam wie ein Schriftsteller dem Buch eine andere Fassung geben und sich künstlerisch betätigen.
5. Der Bundesgerichtshof wies die Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts zurück.
Der Unterlassungsanspruch sei begründet. Die durch Art.  5

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Abs.  3 Satz 1 GG grundrechtlich garantierte Kunstfreiheit habe unter den Umständen des Streitfalls hinter dem gemäß Art.  2 Abs.  1 GG ebenfalls grundrechtlich geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Klägerinnen zurückzutreten. Die Klägerinnen würden durch den Roman auch unter Berücksichtigung der in den Unterlassungsverpflichtungserklärungen vorgenommenen Textänderungen in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt.
Eine Erkennbarkeit der Klägerinnen setze nicht voraus, dass diese "von einem nicht unbedeutenden Leserkreis unschwer" in den Romanfiguren wiedererkannt würden. Bei dieser Formulierung aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Februar 1971 (vgl. BVerfGE 30, 173 [198]) handele es sich um den von den Zivilgerichten seinerzeit zugrundegelegten Maßstab. Dieser sei indes zu eng, weil grundsätzlich die Erkennbarkeit in einem mehr oder minder großen Bekanntenkreis beziehungsweise in der näheren persönlichen Umgebung genüge. Die Erkennbarkeit sei bereits dann gegeben, wenn die Person ohne namentliche Nennung zumindest für einen Teil des Leser- oder Adressatenkreises aufgrund der mitgeteilten Umstände hinreichend zu erkennen sei. Bei Anlegung dieses Maßstabs sei die Auffassung des Oberlandesgerichts, die Klägerinnen seien in den Romanfiguren Esra und Lale zu erkennen, nicht zu beanstanden. Dies gelte insbesondere aufgrund der wesentlichen Übereinstimmungen zwischen dem äußeren Erscheinungsbild und dem Lebens- und Berufsweg der Klägerinnen und denen der Romanfiguren Esra und Lale sowie der Verleihung des Bundesfilmpreises an die Klägerin zu 1) und des Alternativen Nobelpreises an die Klägerin zu 2), die sich im Roman erkennbar widerspiegelten.
Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerinnen sei rechtswidrig. Ob eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorliege, sei aufgrund einer Güter- und Interessenabwägung anhand des zu beurteilenden Einzelfalls festzustellen. Die Erkennbarkeit der Klägerinnen reiche allein für die Begründung eines Unterlassungsanspruchs nicht aus. Hinzukommen müsse vielmehr eine schwerwiegende Persönlichkeits

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rechtsverletzung, die durch Art.  5 Abs.  3 Satz 1 GG nicht mehr gerechtfertigt sei. Die Freiheit der Kunst sei nicht schrankenlos gewährt. Das Grundrecht der Kunstfreiheit stehe zwar nicht unter einem Gesetzesvorbehalt. Jedoch dürfe sich auch der Künstler, wenn er sich in seiner Arbeit mit Personen seiner Umwelt auseinandersetze, nicht über deren verfassungsrechtlich ebenfalls geschütztes Persönlichkeitsrecht hinwegsetzen. Beide Interessenbereiche seien gegeneinander abzuwägen, wobei insbesondere auch zu beachten sei, dass Charakter und Stellenwert des beanstandeten Textes als Aussage der Kunst das Verständnis von ihm im sozialen Wirkungsbereich zu beeinflussen vermöchten. Keinem der Rechtsgüter komme von vornherein Vorrang gegenüber dem anderen zu. Zwar könnten zweifelsfrei feststellbare schwerwiegende Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts durch die Kunstfreiheit nicht gerechtfertigt werden. Das bedeute jedoch nicht, dass die Prüfung, ob eine solch schwerwiegende Beeinträchtigung festzustellen sei, isoliert, das heißt ohne Berücksichtigung des Charakters des Werks, vorgenommen werden dürfe.
Der Autor habe mit den Figuren Esra und Lale keine gegenüber dem Urbild der Klägerinnen verselbständigten Kunstfiguren geschaffen. Auch bei Berücksichtigung des Umstands, dass es sich um einen Roman handele, ergebe sich kein anderes Textverständnis. Das Kunstwerk wirke nicht nur als ästhetische Realität, sondern habe daneben ein Dasein in den Realien, die zwar in der Darstellung künstlerisch überhöht würden, damit aber ihre sozialbezogenen Wirkungen nicht verlören. Diese Wirkungen auf der sozialen Ebene entfalteten sich "neben" dem eigenständigen Bereich der Kunst; gleichwohl müssten sie auch im Blick auf den Gewährleistungsbereich des Art.  5 Abs.  3 Satz 1 GG gewürdigt werden, da die "reale" und die "ästhetische" Welt im Kunstwerk eine Einheit bildeten. Lehne sich eine Romanfigur an eine reale Person an, werde diese daher nicht bereits aufgrund der Einbettung in die Erzählung zum verselbständigten Abbild.
Ob dies der Fall sei, müsse in jedem Einzelfall geprüft werden. Im Streitfall sei dies zu verneinen. Die tatsächlich nachprüfbaren Merkmale der Romanfiguren Esra und Lale, die sich mit Merkma

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len der Klägerinnen deckten, seien zahlreich und so charakteristisch, dass daneben die vorhandenen Unterschiede zurückträten. Mittel künstlerischer Verfremdung fehlten. Für den Leser, der die dargestellte Person erkannt habe, würden mit den beiden Romanfiguren keine Typen, sondern die Klägerinnen in ihrem realen Bezug dargestellt. Diese Wirkung werde noch dadurch verstärkt, dass Daten auf dem Klappentext zur Person des Autors mit Daten des Ich-Erzählers übereinstimmten. Wer als Schriftsteller Personen in einer Weise erkennbar mache, dass sich Romanfiguren einer real existierenden Person eindeutig zuordnen ließen, kündige die Übereinstimmung zwischen Autor und Leser auf, dass es sich beim literarischen Werk um Fiktion handele. Die Klägerinnen müssten ein solches "Porträt" in Buchform nicht dulden. Ihre Beeinträchtigung wiege so schwer, dass dem Schutz ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Vorrang vor der zugunsten der Beschwerdeführerin streitenden Kunstfreiheit einzuräumen sei.
Das Buch greife unabhängig davon, ob die vom Autor geschilderten zahlreichen Einzelheiten des Sexuallebens und des Abtreibungsversuchs der Romanfigur Esra eine Entsprechung im Leben der Klägerin zu 1) hätten, in unzulässiger Weise in deren Intim- und Privatsphäre ein.
Auch gegenüber der Klägerin zu 2) überschreite der Roman den durch die Kunstfreiheit eröffneten Spielraum. Werde das Lebensbild einer bestimmten Person, die wie im Streitfall deutlich erkennbar als reale Person und nicht als Typus dargestellt werde, durch frei erfundene Zutaten grundlegend und in schwerwiegender Weise negativ entstellt, sei die durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht gesetzte Grenze überschritten. Die Klägerin zu 2) werde in der Figur der Lale als eine depressive, psychisch kranke Alkoholikerin geschildert, als eine Frau, die ihre Tochter und ihre Familie tyrannisiere, herrisch und streitsüchtig sei, ihre Kinder vernachlässigt habe, das Preisgeld in ihr bankrottes Hotel gesteckt habe, ihren Eltern Land gestohlen und die Mafia auf sie gehetzt habe, gegen den Goldabbau nur gekämpft habe, weil auf ihrem eigenen ergaunerten Grundstück kein Gold zu finden gewesen sei, eine hohe Brandschutzversicherung abgeschlossen habe,

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bevor ihr Hotel in Flammen aufgegangen sei, ihre Tochter zur Abtreibung gedrängt habe, von ihrem ersten Mann betrogen und von ihrem ebenfalls alkoholsüchtigen zweiten Mann geschlagen worden sei. Derart schwerwiegende Entstellungen seien durch die Kunstfreiheit nicht gedeckt.
Die Untersagung der Verbreitung des gesamten Romans sei entgegen der Auffassung der Revision nicht unverhältnismäßig. Sie sei begründet, weil die beanstandeten Textteile für die Gesamtkonzeption des Werks und für das Verständnis des mit ihm verfolgten Anliegens von Bedeutung seien. Da das gesamte Buch von zahlreichen Anspielungen und Beschreibungen, die auf die Klägerinnen hindeuteten, durchzogen sei, müsse bei Vorgabe einzelner Änderungen, die von der Beschwerdeführerin als milderes Mittel angesehen werde, in die gesamte Struktur und Darstellung des Werks eingegriffen werden. Es sei indessen nicht Aufgabe des Gerichts, bestimmte Streichungen vorzunehmen, um die Persönlichkeitsrechtsverletzung auf das gerade noch zulässige Maß zu reduzieren, da es eine Vielzahl möglicher Varianten gebe, wie diese Änderungen vorgenommen werden könnten, und der Charakter des Romans durch solche Eingriffe eine erhebliche Änderung erfahren würde.
 
B. -- I.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin unter anderem die Verletzung ihres Rechts aus Art.  5 Abs.  3 Satz 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen.
1. Das angegriffene Urteil des Bundesgerichtshofs beruhe auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der Kunstfreiheit. Insbesondere sei bei der vom Bundesgerichtshof vorgenommenen Abwägung der Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der beiden Klägerinnen überdehnt und dadurch der Schutzbereich der Kunstfreiheit der Beschwerdeführerin unzulässig eingeengt worden. Das Urteil kranke daran, dass der Beurteilung der -- zur individuellen Betroffenheit führenden -- Erkennbarkeit der Klägerinnen ein unrichtiger, nicht werkgerechter Maßstab zugrundegelegt worden sei.
Der Bundesgerichtshof gehe zu Unrecht davon aus, dass für die

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individuelle Betroffenheit der Klägerinnen bereits deren Erkennbarkeit in einem mehr oder minder großen Bekanntenkreis genüge. Damit knüpfe der Bundesgerichtshof an die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Erkennbarkeit von Personen an, die Gegenstand von Presseberichterstattung seien. Dieser Maßstab werde dem Charakter des verbotenen Romans als Belletristik nicht gerecht. Wenngleich nicht außer Acht gelassen werden könne, dass ein Kunstwerk nicht nur als ästhetische Realität wirke, sondern daneben ein Dasein in den Realien habe, dürfe bei der Lösung der Spannungslage zwischen Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit nicht allein auf die Wirkungen des Kunstwerks im außerkünstlerischen Sozialbereich abgehoben werden; vielmehr müsse den kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung getragen werden. Deshalb sei schon für die Frage, ob die Klägerinnen in den Figuren Esra und Lale erkennbar seien, relevant, dass der verbotene Roman ein Roman sei.
Daraus folge zweierlei. Zum einen erkenne der Leser, dass es sich bei dem Buch um Fiktion handele, mithin einen Wahrheitsanspruch nicht erhebe, so dass die Romanfiguren gerade nicht Porträts realer Urbilder seien. Zum anderen folge aus dem Gewicht und der Bedeutung der Kunstfreiheit, dass an die Erkennbarkeit von Personen, die sich in Romanfiguren porträtiert wähnten, ein strengerer Maßstab anzulegen sei als an die solcher Personen, die Gegenstand einer ausschließlich in den Realien wirkenden Presseberichterstattung seien, die stets Anspruch auf Wahrheitstreue erhebe. Indem der Bundesgerichtshof für die individuelle Betroffenheit der Klägerinnen die Erkennbarkeit in deren Bekanntenkreis ausreichen lasse, weiche er von der Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 30, 173 [198]) ab, in der darauf abgestellt worden sei, dass ein nicht unbedeutender Leserkreis unschwer in der dortigen Romanfigur Hendrik Höfgen den Schauspieler Gustaf Gründgens wiedererkenne. Das Bundesverfassungsgericht habe darüber hinaus ebenso wie der Bundesgerichtshof in seinem Mephisto-Urteil (BGHZ 50, 133 [141]) darauf abgestellt, dass es sich bei Gründgens um eine Person der Zeitgeschichte gehandelt habe.
Der Bundesgerichtshof gehe außerdem zu Unrecht von einer

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schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung aus. Insbesondere nehme er unzutreffend an, es würden mit den beiden Romanfiguren keine Typen, sondern die Klägerinnen in ihrem sozialen Bezug dargestellt. Nur aufgrund dieses Textverständnisses komme der Bundesgerichtshof zur Annahme von zweifelsfrei feststellbaren schwerwiegenden Beeinträchtigungen des Persönlichkeitsrechts. Der Roman beanspruche hingegen für jeden Leser erkennbar keine Wirklichkeitstreue und werde deshalb vom Leser nicht als Darstellung tatsächlicher Erlebnisse realer Personen missverstanden. Soweit der Bundesgerichtshof davon ausgehe, der Autor habe mit den Figuren Esra und Lale keine gegenüber dem Urbild verselbständigten Kunstfiguren geschaffen, weil es eine Vielzahl im Roman geschilderter Umstände gebe, die eine ausgeprägte Übereinstimmung des Lebens- und Berufswegs der Klägerinnen mit denen der Romanfiguren aufwiesen, sei dies unzutreffend. Die Romanhandlung sei ganz überwiegend der Phantasie des Autors entsprungen. Keineswegs sei die Handlung oder der äußere Rahmen des Romans den Biographien der Klägerinnen entnommen. Es bestünden auf künstlerischen Verfremdungen beruhende erhebliche Unterschiede zwischen den Romanfiguren und -handlungen einerseits und der Realität andererseits, die gerade von den Lesern aus dem Bekanntenkreis der Klägerinnen erkannt würden. Aus alledem ergebe sich, dass die Romanfiguren durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs so verselbständigt erschienen, dass das Individuelle, das Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der Figuren objektiviert sei, und der Autor daher -- anders als es das Bundesverfassungsgericht Klaus Manns Mephisto-Roman attestiert habe -- kein Porträt der Klägerinnen als Urbilder gezeichnet habe. Darüber hinaus sei es nicht Sache staatlicher Gerichte, Qualitätsmaßstäbe zur Bestimmung hinreichender Verfremdung und damit des künstlerischen Schaffensprozesses zu definieren. Der weite Beurteilungsspielraum, den die Gerichte sich in diesem Punkt einräumten, gefährde die Kunstfreiheit erheblich.
Selbst wenn man dem Roman Wahrheitsanspruch erhebende Aussagen über die Klägerinnen entnehmen könnte, könne darauf

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ein Verbot nicht gestützt werden. Soweit das Oberlandesgericht als letzte Tatsacheninstanz gemeint habe, der Leser könne tatsächlich nicht erkennen, welche Teile des Romans Fiktion und welche Passagen Wahrheitsanspruch erhebende Mitteilungen über die Klägerinnen enthielten, handele es sich nur um die Möglichkeit einer schwerwiegenden Rechtsverletzung, auf die ein Verbot des Romans nicht gestützt werden könne, da diese im Interesse der Kunstfreiheit zweifelsfrei feststehen müsse. Da die Möglichkeit nicht auszuschließen sei, dass der Leser einzelne Umstände in den Bereich der Fiktion einordne, seien die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 67, 213 [228]) aufgestellten Verbotsvoraussetzungen nicht erfüllt.
Das Urteil des Bundesgerichtshofs offenbare eine grundsätzlich unrichtige Anschauung vom Umfang des Schutzbereichs der gegen die Kunstfreiheit abzuwägenden Persönlichkeitsrechte der Klägerinnen. Soweit es eine Verletzung der Intimsphäre der Klägerin zu 1) feststelle, sei dies unrichtig, da diese durch fiktive Schilderungen von Verhalten, das es in der Realität nicht gegeben habe, nicht verletzt werden könne. Der vom Bundesgerichtshof eigentlich gemeinte Eindruck des Lesers, die Einzelheiten des Sexuallebens der Romanfigur Esra hätten sich auch im Leben der Klägerin zu 1) abgespielt, sei nicht zwingend. Betroffen sei nicht die einer Güterabwägung unzugängliche Intimsphäre, sondern die persönlichkeitsrechtliche Fallgruppe der Verzerrung des Lebensbilds der Betroffenen.
Hinsichtlich der Klägerin zu 2) nehme der Bundesgerichtshof eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch negative Entstellung des Lebensbilds an, begründe jedoch nicht, durch welche unwahren Tatsachenbehauptungen deren allgemeines Persönlichkeitsrecht in rechtswidriger Weise verletzt sei. Auf eine im Einzelnen nachvollziehbare Darlegung, durch welche Romanpassage welcher unwahre Eindruck erweckt worden sei, habe jedoch nicht verzichtet werden dürfen, weil wegen des mit dem Verbot verbundenen besonders schweren Eingriffs in die Kunstfreiheit besonders strenge Anforderungen an die Begründung des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht und an die Begründung der Rechtswid

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rigkeit dieses Eingriffs zu stellen seien. Dies gelte umso mehr, als der Bundesgerichtshof es selbst für möglich gehalten habe, durch Änderungen des Romans Rechtsverletzungen zukünftig zu vermeiden, und die Beschwerdeführerin im Laufe des Rechtsstreits zahlreiche Vorschläge für Streichungen und Änderungen gemacht habe. Vor diesem Hintergrund verletze auch das Unterlassen des Bundesgerichtshofs, eine Trennlinie zwischen erlaubten und rechtsverletzenden Romanpassagen nachvollziehbar darzustellen, das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf Kunstfreiheit.
Selbst wenn die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, die Kunstfreiheit zum Schutze des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Klägerinnen einzuschränken, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sein sollte, so verstoße doch die Untersagung der Verbreitung des gesamten Romans gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch der Bundesgerichtshof stelle nicht in Frage, dass einzelne Streichungen anstatt des Gesamtverbots geeignet wären, die Persönlichkeitsrechtsverletzungen auf das gerade noch zulässige Maß zu reduzieren. Das Gesamtverbot sei mithin nicht erforderlich.
2. Auch das Urteil des Oberlandesgerichts verletze die Beschwerdeführerin in ihrer Kunstfreiheit. Das Oberlandesgericht berücksichtige zu Unrecht, dass durch das Verfahren über die einstweilige Verfügung und den anschließenden Prozess die öffentliche Diskussion entfacht und durch die Presseberichterstattung über das Verfahren die Klägerinnen erkennbar machende Umstände an die Öffentlichkeit gelangt seien. Das widerspreche dem von der Kunstfreiheit aufgestellten Gebot der werkgerechten Beurteilung des Romans, das die Berücksichtigung von Umständen verbiete, die außerhalb des Romans lägen.
Der vom Oberlandesgericht angenommene rechtswidrige Eingriff in die Privatsphäre der Klägerin zu 1) wegen der Darstellung der Krankheit der Romanfigur Ayla resultiere aus einer zu weitgehenden Definition der Grenzen der Privatsphäre und damit des Persönlichkeitsrechts der Klägerin zu 1). Das Oberlandesgericht lasse eine nur mittelbare Betroffenheit ausreichen, die die Kunstfreiheit im konkreten Fall überwöge.


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3. Auch das Landgericht komme in seinem Urteil aufgrund von verfassungswidrigen Erwägungen zur Annahme der Erkennbarkeit der Klägerinnen, nehme aufgrund grundsätzlich unrichtiger Auffassungen von der Bedeutung der widerstreitenden Grundrechte schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzungen der Klägerinnen an und spreche ein unverhältnismäßiges Gesamtverbot aus.
II.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben unter anderem der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der Verband deutscher Schriftsteller in der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, das P. E. N.-Zentrum Deutschland und die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.
1. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels ist der Ansicht, dass in den angegriffenen Entscheidungen der Eigenschaft des Romans als Kunstwerk nicht genügend Rechnung getragen werde. Dies werde besonders deutlich bei der Prüfung der Erkennbarkeit sowie der Verletzung der Persönlichkeitsrechte im Rahmen der Grundrechtsabwägung. Indem der Bundesgerichtshof die Erkennbarkeit in einem mehr oder minder großen Bekanntenkreis genügen lasse, weiche er von dem Maßstab des Bundesverfassungsgerichts in der Mephisto-Entscheidung ab. Diese niedrigeren Anforderungen seien dem Presserecht entlehnt, in dem jedoch nicht die Kunstfreiheit zur Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht eines Dritten stehe, sondern die Meinungs- und Pressefreiheit. Bei der Prüfung der Verletzung von Persönlichkeitsrechten hätten die Gerichte eine nicht-kunstspezifische Haltung eingenommen und Erscheinen und Verhalten der Romanfiguren Esra und Lale mit dem Persönlichkeitsbild der beiden Klägerinnen so verglichen, als gehörten Esra und Lale der Wirklichkeit an. Das Grundrecht der Kunstfreiheit verliere dadurch seine gegenüber den anderen kommunikationsbezogenen Grundrechten herausgehobene Stellung.
Zur Erkennbarkeit müsse eine hiervon unabhängig festgestellte Persönlichkeitsrechtsverletzung hinzukommen. Dafür reiche die

BVerfGE 119, 1 (18):

Feststellung einer mangelnden Verfremdung nicht aus, denn die Fragen der Erkennbarkeit und Verfremdung seien eng miteinander verwoben. Bei der Feststellung der Persönlichkeitsrechtsverletzung müsse der ästhetischen Wirkungsebene ausreichend Rechnung getragen werden. Da Konflikte mit dem Persönlichkeitsrecht sich nur auf der sozialbezogenen Ebene ergäben, nicht aber auf der ästhetischen, müsse es eine Rolle spielen, welche der Wirkungsebenen dem Werk seine Prägung gebe, ob es also in seiner Gesamtheit als fiktive Beschreibung wahrgenommen werde oder aber als Tatsachenbericht. Bei Zweifeln sei der vorbehaltlos gewährleisteten Kunstfreiheit der Vorrang einzuräumen.
Es sei Kennzeichen jeder Literatur, dass sie sich an Vorbilder anlehne. Wenn dies in Zukunft nur mit existenzbedrohenden finanziellen Risiken möglich sei, könnte dies prohibitiv wirken. Die Romane mancher Literaturströmungen würden möglicherweise nur noch zurückhaltend oder gar nicht mehr verlegt. Besonders treffen könne dies Werke der "Postmoderne" beziehungsweise des "Subjektiven Realismus", zu denen auch "Esra" zähle. Kennzeichen dieser Literaturströmung sei die Verklammerung von autobiographischen und fiktionalen Elementen, die die zeitgenössische Literatur maßgeblich präge. Eine Bestätigung der angegriffenen Entscheidungen würde alle Verlage betreffen, deren Programmschwerpunkt im Bereich der zeitgenössischen Literatur liege.
2. Der Verband deutscher Schriftsteller teilt die Einschätzung des die Beschwerde führenden Verlags. Es sei nicht auszuschließen, dass angesichts der angegriffenen Entscheidungen Restriktionen für literarisches Schaffen entwickelt würden, die mit der künstlerischen Freiheit von Autoren nicht kompatibel seien. Dass die Gerichte es haben ausreichen lassen, dass die Klägerinnen in ihrem engeren Bekanntenkreis identifizierbar seien, setze die Schwelle für ein Veröffentlichungsverbot viel zu niedrig an. Es gebe kaum ein fiktionales Werk, in dem sich nicht irgendeine Person als geschildert angesprochen fühle. Der Freiraum der Kunst würde beschnitten, wenn mit einer Romanfigur, in der sich jemand wiederzuerkennen glaube, umgegangen werden müsste wie mit einem Bericht.


BVerfGE 119, 1 (19):

3. Das P. E. N.-Zentrum Deutschland ist der Ansicht, dass der Roman keine Objektivität beanspruche. Erst der Prozess um "Esra" habe die wahren Namen der ins erzählerische Spiel gebrachten Personen offenbart, so dass heute kaum jemand die realistischen Erzählfiguren von den realen Figuren zu unterscheiden glaube. Der Autor aber habe diese Unterscheidungsschwäche nicht zu verantworten. Der Roman sei -- anders als "Mephisto" von Klaus Mann -- kein "Schlüsselroman", bei dem der Autor wolle, dass eine bestimmte Person erkannt werde. Indem der Erzähler selbst das Tabu des privaten Schreibverbots thematisiere, das er auf Seiten Esras als eine engstirnige, unangenehm kleinbürgerliche Angst vor der Literatur charakterisiere, reklamiere der Autor die Freiheit der Kunst für sich.
Das Grundrecht des Persönlichkeitsschutzes sei gegenüber der Kunstfreiheit etwas anderes als im journalistischen Zusammenhang. Der Persönlichkeitsschutz lasse sich nur in Ermittlung der Gesetzlichkeit und der ästhetischen Konditionen des Werks bestimmen. In die angefochtenen Urteile sei dieses heuristische Bemühen um das fragliche Werk nur ungenügend eingegangen. Das werde bereits an der Wahl des "Bekanntenkreises" oder der "näheren Umgebung" als Maßstab für die Erkennbarkeit durch den Bundesgerichtshof anstelle des "verständigen Durchschnittslesers" deutlich. Soweit das Oberlandesgericht behaupte, der Leser könne nicht unterscheiden, was Fiktion und was wahr sei, zeige dies einen logischen Kurzschluss, wonach eine weitgehende Identität der Romanfiguren mit wirklichen Personen unterstellt werde, um dann die fiktionale Abweichung als unzulässige Verzeichnung des Persönlichkeitsbildes zu insinuieren.
4. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens sind der Auffassung, dass die Beschwerdeführerin durch die angegriffenen Entscheidungen nicht in ihrem Grundrecht aus Art.  5 Abs.  3 Satz 1 GG verletzt wird. Die Argumentation der Verfassungsbeschwerde basiere auf den zwei nicht zutreffenden Prämissen, dass die Romanfiguren entgegen den Feststellungen der Fachgerichte fiktiv seien und dass entgegen der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung in Romanform man

BVerfGE 119, 1 (20):

gels Wahrheitsanspruch per se ausscheiden müsse. Damit verkenne die Verfassungsbeschwerde, dass eine Abwägung und Beurteilung des Einzelfalls dann entbehrlich wäre und der Kunstfreiheit in verfassungsrechtlicher Hinsicht gegenüber dem Persönlichkeitsschutz absoluter Vorrang zukäme. Es könnte dann jeder Künstler bloß durch den Hinweis auf die Kunstfreiheit diese dazu missbrauchen, andere zu degradieren und gegen ihren Willen in die Öffentlichkeit zu zerren.
Den angegriffenen Entscheidungen liege weder eine unrichtige Anschauung von der Bedeutung und Tragweite der Kunstfreiheit noch eine Überdehnung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zugrunde. Die Fachgerichte hätten eine nachvollziehbare Abwägung aller Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung kunstspezifischer Maßstäbe vorgenommen und erkannt, dass der Autor lediglich Porträts der Klägerinnen gezeichnet und sie durch Eingriffe in die Privatsphäre, bei der Klägerin zu 1) sogar in die Intimsphäre, und in ihr Recht am eigenen Lebensbild schwer in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt habe.
 
C.
Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise begründet. Die angegriffenen Urteile verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art.  5 Abs.  3 Satz 1 GG, soweit sie der Klägerin zu 2) einen Unterlassungsanspruch zusprechen.
I.
Die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen greifen in das Grundrecht der Kunstfreiheit der Beschwerdeführerin aus Art.  5 Abs.  3 Satz 1 GG ein.
1. Unabhängig von der vom Bundesverfassungsgericht wiederholt hervorgehobenen Schwierigkeit, den Begriff der Kunst abschließend zu definieren (vgl. BVerfGE 30, 173 [188 f.]; 67, 213 [224 ff.]), stellt der Roman "Esra" nach der zutreffenden Auffassung der angegriffenen Entscheidungen ein Kunstwerk dar, nämlich eine freie schöpferische Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer

BVerfGE 119, 1 (21):

bestimmten Formensprache, hier des Romans, zur Anschauung gebracht werden (vgl. BVerfGE 30, 173 [188 f.]; 67, 213 [226]; 75, 369 [377]). Auch wenn wesentlicher Gegenstand des Rechtsstreits, der zu der vorliegenden Verfassungsbeschwerde geführt hat, das Ausmaß ist, in dem der Autor in seinem Werk existierende Personen schildert, ist jedenfalls der Anspruch des Autors deutlich, diese Wirklichkeit künstlerisch zu gestalten.
Wegen der gerade für die Kunstform des Romans, aber auch die künstlerisch gestaltete Autobiographie, die Reportage und andere Ausdrucksformen (Satire, Doku-Drama, Faction) häufig unauflösbaren Verbindung von Anknüpfungen an die Wirklichkeit mit deren künstlerischer Gestaltung ist es nicht möglich, mit Hilfe einer festen Grenzlinie Kunst und Nichtkunst nach dem Maß zu unterscheiden, in dem die künstlerische Verfremdung gelungen ist.
2. Wie alle Freiheitsrechte richtet sich die Kunstfreiheit in erster Linie gegen den Staat. Schon die ausdrückliche Aufnahme der Freiheit der Kunst in die Weimarer Verfassung (Art.  142 Satz 1: "Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei.") war eine Reaktion auf obrigkeitsstaatliche Bekämpfung neuer künstlerischer Entwicklungen (vgl. Kitzinger, in: Nipperdey, Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung, 1929, Art.  142 Satz 1 WRV, S. 455 ff.). Nach der massiven Verfolgung von Künstlern im Nationalsozialismus war die Übernahme der Kunstfreiheit als selbständiges Grundrecht in das Grundgesetz völlig unstreitig (vgl. Matz, in: Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, JöR n.F., Band 1 [1951], S. 89 ff.).
Das Grundrecht ist aber zugleich eine objektive Entscheidung für die Freiheit der Kunst, die auch im Verhältnis von Privaten zueinander zu berücksichtigen ist, insbesondere wenn unter Berufung auf private Rechte künstlerische Werke durch staatliche Gerichte verboten werden sollen (vgl. BVerfGE 30, 173 [187 ff.]; 36, 321 [331]).
3. Die Kunstfreiheitsgarantie betrifft in gleicher Weise den "Werkbereich" und den "Wirkbereich" künstlerischen Schaffens. Nicht nur die künstlerische Betätigung (Werkbereich), sondern darüber hinaus auch die Darbietung und Verbreitung des Kunst

BVerfGE 119, 1 (22):

werks sind sachnotwendig für die Begegnung mit dem Werk als eines ebenfalls kunstspezifischen Vorgangs. Dieser "Wirkbereich" ist der Boden, auf dem die Freiheitsgarantie des Art.  5 Abs.  3 Satz 1 GG bisher vor allem Wirkung entfaltet hat (vgl. BVerfGE 30, 173 [189]; 36, 321 [331]; 67, 213 [224]; 81, 278 [292]).
4. Auf dieses Grundrecht kann sich auch die Beschwerdeführerin als Verlegerin berufen.
Art.  5 Abs.  3 Satz 1 GG garantiert die Freiheit der Betätigung im Kunstbereich umfassend. Soweit es zur Herstellung der Beziehungen zwischen Künstler und Publikum der publizistischen Medien bedarf, sind auch die Personen durch die Kunstfreiheitsgarantie geschützt, die eine solche vermittelnde Tätigkeit ausüben (vgl. BVerfGE 30, 173 [191]; 36, 321 [331]; 77, 240 [251, 254]; 81, 278 [292]; 82, 1 [6]).
5. Auch wenn die Parteien in einem Zivilrechtsstreit, in dem es um den Konflikt von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht geht, um grundrechtlich geschützte Positionen streiten, handelt es sich um einen Rechtsstreit zwischen privaten Parteien, zu dessen Entscheidung in erster Linie die Zivilgerichte berufen sind. Das gilt insbesondere für die tatsächlichen Feststellungen, die für die Annahme einer Persönlichkeitsrechtsverletzung von Bedeutung sind. Das Verbot eines Romans stellt allerdings einen besonders starken Eingriff in die Kunstfreiheit dar. Das Bundesverfassungsgericht kann seine Überprüfung daher nicht auf die Frage beschränken, ob die angegriffenen Entscheidungen auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung des Art.  5 Abs.  3 Satz 1 GG, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen. Das Bundesverfassungsgericht muss vielmehr die Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidungen mit der verfassungsrechtlichen Kunstfreiheitsgarantie auf der Grundlage der konkreten Umstände des vorliegenden Sachverhalts überprüfen (vgl. Sondervotum Stein, BVerfGE 30, 173 [201 f.]).


BVerfGE 119, 1 (23):

II.
Der durch das Romanverbot bewirkte Eingriff in das Grundrecht der Kunstfreiheit der Beschwerdeführerin ist nur teilweise gerechtfertigt.
1. Die Kunstfreiheit ist nicht mit einem ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt versehen. Sie ist aber nicht schrankenlos gewährleistet, sondern findet ihre Grenzen unmittelbar in anderen Bestimmungen der Verfassung, die ein in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes ebenfalls wesentliches Rechtsgut schützen (vgl. BVerfGE 30, 173 [193]; 67, 213 [228]).
Gerade wenn man den Begriff der Kunst im Interesse des Schutzes künstlerischer Selbstbestimmung weit fasst und nicht versucht, mit Hilfe eines engen Kunstbegriffs künstlerische Ausdrucksformen, die in Konflikt mit den Rechten anderer kommen, von vornherein vom Grundrechtsschutz der Kunstfreiheit auszuschließen (so in der Tendenz BVerfG, Beschluss des Vorprüfungsausschusses vom 19. März 1984 -- 2 BvR 1/84 --, NJW 1984, S. 1293 [1294] -- "Sprayer von Zürich"), und wenn man nicht nur den Werkbereich, sondern auch den Wirkbereich in den Schutz einbezieht, dann muss sichergestellt sein, dass Personen, die durch Künstler in ihren Rechten beeinträchtigt werden, ihre Rechte auch verteidigen können und in diesen Rechten auch unter Berücksichtigung der Kunstfreiheit einen wirksamen Schutz erfahren. In dieser Situation sind die staatlichen Gerichte den Grundrechten beider Seiten gleichermaßen verpflichtet. Auf private Klagen hin erfolgende Eingriffe in die Kunstfreiheit stellen sich nicht als staatliche "Kunstzensur" dar, sondern sind darauf zu überprüfen, ob sie den Grundrechten von Künstlern und der durch das Kunstwerk Betroffenen gleichermaßen gerecht werden.
Dies gilt namentlich für das durch Art.  2 Abs.  1 in Verbindung mit Art.  1 Abs.  1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht (vgl. BVerfGE 67, 213 [228]). Diesem ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein besonders hoher Rang beigemessen worden. Das gilt insbesondere für seinen Menschenwürdekern (vgl. BVerfGE 75, 369 [380]; 80, 367 [373 f.]). Das Persönlichkeitsrecht ergänzt die im Grundgesetz normierten Freiheitsrechte und ge

BVerfGE 119, 1 (24):

währleistet die engere persönliche Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen (vgl. BVerfGE 54, 148 [153]; 114, 339 [346]). Damit kommt es auch als Schranke für künstlerische Darstellungen in Betracht.
Der Inhalt dieses Rechts ist nicht allgemein und abschließend umschrieben. Zu den anerkannten Inhalten gehören das Verfügungsrecht über die Darstellung der eigenen Person, die soziale Anerkennung sowie die persönliche Ehre (vgl. BVerfGE 54, 148 [153 f.]; 99, 185 [193]; 114, 339 [346]). Eine wesentliche Gewährleistung ist der Schutz vor Äußerungen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insbesondere ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt die Person insbesondere vor verfälschenden oder entstellenden Darstellungen, die von nicht ganz unerheblicher Bedeutung für die Persönlichkeitsentfaltung sind (vgl. BVerfGE 97, 125 [148 f.]; 99, 185 [193 f.]; 114, 339 [346]).
Der Schutz des Persönlichkeitsrechts erstreckt sich auch auf die Beziehungen von Eltern zu ihren Kindern. Kinder bedürfen eines besonderen Schutzes, weil sie sich zu eigenverantwortlichen Personen erst entwickeln müssen (vgl. BVerfGE 24, 119 [144]; 57, 361 [382 f.]). Der Bereich, in dem Kinder sich frei von öffentlicher Beobachtung fühlen und entfalten dürfen, muss deswegen umfassender geschützt sein als derjenige erwachsener Personen. Für die kindliche Persönlichkeitsentwicklung sind in erster Linie die Eltern verantwortlich. Soweit die Erziehung von ungestörten Beziehungen zu den Kindern abhängt, wirkt sich der besondere Grundrechtsschutz der Kinder nicht lediglich reflexartig zugunsten des Vaters und der Mutter aus (vgl. auch BVerfGE 76, 1 [44 f.]; 80, 81 [91 f.]). Vielmehr fällt auch die spezifisch elterliche Hinwendung zu den Kindern grundsätzlich in den Schutzbereich von Art.  2 Abs.  1 in Verbindung mit Art.  1 Abs.  1 GG. Der Schutzgehalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfährt dann eine Verstärkung durch Art.  6 Abs.  1 und 2 GG (vgl. BVerfGE 101, 361 [385 f.]).
2. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens sind in ihrem Persönlichkeitsrecht betroffen.
a) Voraussetzung dafür ist, dass sie als Vorbilder der Romanfi

BVerfGE 119, 1 (25):

guren erkennbar sind, ohne dass diese Erkennbarkeit allein bereits eine Persönlichkeitsrechtsverletzung bedeutet.
Die angegriffenen Entscheidungen sind davon ausgegangen, dass die Klägerinnen als Vorbilder der Romanfiguren Esra und Lale erkennbar sind. Diese Würdigung und die zugrundeliegenden Feststellungen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere ist der vom Bundesgerichtshof angelegte Maßstab einer Erkennbarkeit durch einen mehr oder minder großen Bekanntenkreis auch aus der Sicht des Verfassungsrechts zutreffend. Wenn das Bundesverfassungsgericht in seiner Mephisto-Entscheidung den seinerzeit von den Zivilgerichten zugrundegelegten Maßstab verfassungsrechtlich gebilligt hat, wonach ein nicht unbedeutender Leserkreis unschwer in der Romanfigur des Hendrik Höfgen den verstorbenen Schauspieler Gustaf Gründgens wiedererkenne, da es sich bei Gründgens um eine Person der Zeitgeschichte handele und die Erinnerung des Publikums an ihn noch recht lebendig sei (vgl. BVerfGE 30, 173 [196]), dann war dies in der damaligen Fallgestaltung begründet und definierte nicht eine notwendige Bedingung für die verfassungsrechtlich erhebliche Erkennbarkeit von Romanfiguren. Der Schutz des Persönlichkeitsrechts gegenüber künstlerischen Werken würde sonst auf Prominente beschränkt, obwohl gerade die Erkennbarkeit einer Person durch deren näheren Bekanntenkreis für diese besonders nachteilig sein kann (zu einem presserechtlichen Fall vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juli 2004 -- 1 BvR 263/03 --, NJW 2004, S. 3619 [3620]).
Auf der anderen Seite reicht die nur nach Hinzutreten weiterer Indizien nachweisbare Vorbildfunktion einer tatsächlichen Person für eine Romanfigur nicht, um ihre Erkennbarkeit im genannten Sinne zu begründen. Da Künstler ihre Inspiration häufig in der Wirklichkeit finden, wird ein sorgfältig recherchierender Kritiker oder Literaturwissenschaftler in vielen Fällen in der Lage sein, Vorbilder für Romanfiguren oder einem Roman zugrundeliegende tatsächliche Begebenheiten zu entschlüsseln. Die Freiheit der Kunst würde zu weit eingeschränkt, wenn eine derartige Entschlüsselungsmöglichkeit bereits zur Annahme einer Erkennbar

BVerfGE 119, 1 (26):

keit der als Vorbild dienenden Person führte. Die Identifizierung muss sich vielmehr jedenfalls für den mit den Umständen vertrauten Leser aufdrängen. Das setzt regelmäßig eine hohe Kumulation von Identifizierungsmerkmalen voraus.
Im vorliegenden Fall ist die Erkennbarkeit der Klägerinnen nach diesem Maßstab von den Gerichten zutreffend bejaht worden. Für die Urfassung des Romans ist das schon wegen der eindeutigen Identifizierung der Klägerinnen durch die ihnen verliehenen Preise (Verleihung des Bundesfilmpreises an eine 17-jährige Türkin, die ein türkisches Mädchen spielt, das sich in einen deutschen Jungen verliebt, sowie des Alternativen Nobelpreises an ihre Mutter wegen des Engagements gegen den Goldabbau mittels Zyanid in der Türkei) nicht zweifelhaft. Die Gerichte gehen aber vertretbar davon aus, dass auch die Umbenennung der Preise in der zuletzt dem Verfahren zugrundeliegenden Fassung des Romans wegen der nach wie vor bestehenden Nähe der Fakten (Verleihungsgrund, Anspielung auf den Nobelpreis), verbunden mit den zahlreichen weiteren Daten, die insbesondere das Urteil des Oberlandesgerichts aufführt, die Identifizierung nicht beseitigt, diese sich vielmehr in der Verbindung und Summierung zahlreicher Umstände förmlich aufdrängt. Die Feststellung der Tatsachen, aus denen die Erkennbarkeit betroffener Personen abgeleitet werden kann, ist dabei in erster Linie Sache der Fachgerichte.
b) Die Klägerinnen sind auch nicht so geringfügig betroffen, dass ihr Persönlichkeitsrecht von vornherein hinter der Kunstfreiheit zurücktreten müsste. Den Romanfiguren, als deren Vorbild sie erkennbar sind, werden Handlungen und Eigenschaften zugeschrieben, die, wenn der Leser sie auf die Klägerinnen beziehen kann, geeignet sind, ihr Persönlichkeitsrecht erheblich zu beeinträchtigen.
3. Allerdings zieht die Kunstfreiheit ihrerseits dem Persönlichkeitsrecht Grenzen. Das gilt im Verhältnis von Kunstfreiheit und Persönlichkeitsrecht auch deshalb, weil die Durchsetzung dieses Rechts gegenüber der Kunstfreiheit stärker als andere gegenüber einem Kunstwerk geltend gemachte private Rechte (vgl. zum Eigentum BVerfG, Beschluss des Vorprüfungsausschusses vom 19.

BVerfGE 119, 1 (27):

März 1984 -- 2 BvR 1/84 --, NJW 1984, S. 1293) geeignet ist, der künstlerischen Freiheit inhaltliche Grenzen zu setzen. Insbesondere besteht die Gefahr, dass unter Berufung auf das Persönlichkeitsrecht öffentliche Kritik und die Diskussion von für die Öffentlichkeit und Gesellschaft wichtigen Themen unterbunden werden (vgl. Sondervotum Stein, BVerfGE 30, 200 [206 f.]).
Um diese Grenzen im konkreten Fall zu bestimmen, genügt es daher im gerichtlichen Verfahren nicht, ohne Berücksichtigung der Kunstfreiheit eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts festzustellen. Steht im Streitfall fest, dass in Ausübung der Kunstfreiheit durch schriftstellerische Tätigkeit das Persönlichkeitsrecht Dritter beeinträchtigt wird, ist bei der Entscheidung über den auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht gestützten zivilrechtlichen Abwehranspruch der Kunstfreiheit angemessen Rechnung zu tragen. Es bedarf daher der Klärung, ob diese Beeinträchtigung derart schwerwiegend ist, dass die Freiheit der Kunst zurückzutreten hat. Eine geringfügige Beeinträchtigung oder die bloße Möglichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung reichen hierzu angesichts der hohen Bedeutung der Kunstfreiheit nicht aus. Lässt sich freilich eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts zweifelsfrei feststellen, so kann sie auch nicht durch die Kunstfreiheit gerechtfertigt werden (vgl. BVerfGE 67, 213 [228]).
Die Schwere der Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts hängt dabei sowohl davon ab, in welchem Maß der Künstler es dem Leser nahelegt, den Inhalt seines Werks auf wirkliche Personen zu beziehen, wie von der Intensität der Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung, wenn der Leser diesen Bezug herstellt.
a) Zu den Spezifika erzählender Kunstformen wie dem Roman gehört, dass sie zwar häufig -- wenn nicht regelmäßig -- an die Realität anknüpfen, der Künstler dabei aber eine neue ästhetische Wirklichkeit schafft. Das erfordert eine kunstspezifische Betrachtung zur Bestimmung des durch den Roman im jeweiligen Handlungszusammenhang dem Leser nahegelegten Wirklichkeitsbezugs, um auf dieser Grundlage die Schwere der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts bewerten zu können.


BVerfGE 119, 1 (28):

Ein Kunstwerk strebt eine gegenüber der "realen" Wirklichkeit verselbständigte "wirklichere Wirklichkeit" an, in der die reale Wirklichkeit auf der ästhetischen Ebene in einem neuen Verhältnis zum Individuum bewusster erfahren wird. Die künstlerische Darstellung kann deshalb nicht am Maßstab der Welt der Realität, sondern nur an einem kunstspezifischen, ästhetischen Maßstab gemessen werden (vgl. Sondervotum Stein, BVerfGE 30, 200 [204]). Das bedeutet, dass die Spannungslage zwischen Persönlichkeitsschutz und Kunstfreiheit nicht allein auf die Wirkungen eines Kunstwerks im außerkünstlerischen Sozialbereich abheben kann, sondern auch kunstspezifischen Gesichtspunkten Rechnung tragen muss. Die Entscheidung darüber, ob eine Persönlichkeitsrechtsverletzung vorliegt, kann daher nur unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls getroffen werden. Dabei ist zu beachten, ob und inwieweit das "Abbild" gegenüber dem "Urbild" durch die künstlerische Gestaltung des Stoffs und seine Ein- und Unterordnung in den Gesamtorganismus des Kunstwerks so verselbständigt erscheint, dass das Individuelle, Persönlich-Intime zugunsten des Allgemeinen, Zeichenhaften der "Figur" objektiviert ist (vgl. BVerfGE 30, 173 [195]).
Die Gewährleistung der Kunstfreiheit verlangt, den Leser eines literarischen Werks für mündig zu halten, dieses von einer Meinungsäußerung zu unterscheiden und zwischen der Schilderung tatsächlicher Gegebenheiten und einer fiktiven Erzählung zu differenzieren. Ein literarisches Werk, das sich als Roman ausweist, ist daher zunächst einmal als Fiktion anzusehen, das keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Ohne eine Vermutung für die Fiktionalität eines literarischen Textes würde man die Eigenarten eines Romans als Kunstwerk und damit die Anforderungen der Kunstfreiheit verkennen. Diese Vermutung gilt im Ausgangspunkt auch dann, wenn hinter den Romanfiguren reale Personen als Urbilder erkennbar sind. Da die Kunstfreiheit eine derartige Verwendung von Vorbildern in der Lebenswirklichkeit einschließt, kann es auch kein parallel zum Recht am eigenen Bild verstandenes Recht am eigenen Lebensbild geben, wenn dies als Recht verstanden würde, nicht zum Vorbild einer Romanfigur zu werden. Dabei

BVerfGE 119, 1 (29):

muss es sich bei der in Rede stehenden Publikation allerdings tatsächlich um Literatur handeln, die für den Leser erkennbar keinen Faktizitätsanspruch erhebt. Ein fälschlicherweise als Roman etikettierter bloßer Sachbericht käme nicht in den Schutz einer kunstspezifischen Betrachtung.
Je stärker der Autor eine Romanfigur von ihrem Urbild löst und zu einer Kunstfigur verselbständigt ("verfremdet"; vgl. BVerfGE 30, 173 [195]), umso mehr wird ihm eine kunstspezifische Betrachtung zugutekommen. Dabei geht es bei solcher Fiktionalisierung nicht notwendig um die völlige Beseitigung der Erkennbarkeit, sondern darum, dass dem Leser deutlich gemacht wird, dass er nicht von der Faktizität des Erzählten ausgehen soll. Zwar wirkt ein Kunstwerk neben seiner ästhetischen Realität zugleich in den Realien. Wäre man aber wegen dieser "Doppelwirkung" gezwungen, im Rahmen einer Grundrechtsabwägung stets allein auf diese möglichen Wirkungen in den Realien abzustellen, könnte sich die Kunstfreiheit in Fällen, in denen der Roman die Persönlichkeitssphäre anderer Menschen tangiert, niemals durchsetzen. Das Gegenteil wäre der Fall, wenn man nur die ästhetische Realität im Auge behielte. Dann könnte sich das Persönlichkeitsrecht nie gegen die Kunstfreiheit durchsetzen. Eine Lösung kann daher nur in einer Abwägung gefunden werden, die beiden Grundrechten gerecht wird.
b) Für die Abwägung ist entscheidend, mit welcher Intensität das Persönlichkeitsrecht betroffen ist.
Der Inhalt dieses Rechts ist nicht allgemein und abschließend umschrieben. Seinen einzelnen Ausprägungen kommt ungeachtet der grundsätzlichen Bedeutung des Grundrechts unterschiedliches Gewicht als mögliche Schranke der Kunstfreiheit zu.
Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass wegen der besonderen Nähe zur Menschenwürde ein Kernbereich privater Lebensgestaltung als absolut unantastbar geschützt ist (vgl. BVerfGE 6, 32 [41]; 6, 389 [433]; 27, 344 [350 f.]; 32, 373 [378 f.]; 34, 238 [245]; 35, 35 [39]; 38, 312 [320]; 54, 143 [146]; 65, 1 [46]; 80, 367 [373 f.]; 89, 69 [82 f.]; 109, 279 [313]). Diesem absolut geschützten Kernbereich, zu dem ins

BVerfGE 119, 1 (30):

besondere auch Ausdrucksformen der Sexualität gehören (vgl. BVerfGE 109, 279 [313]), ist die Privatsphäre in der Schutzintensität nachgelagert (vgl. BVerfGE 32, 373 [379 ff.]; 35, 35 [39]; 35, 202 [220 f.]; 80, 367 [374 f.]).
Die unterschiedlichen Dimensionen des Persönlichkeitsrechts sind nicht im Sinne einer schematischen Stufenordnung zu verstehen, wohl aber als Anhaltspunkte für die Intensität der Beeinträchtigung durch das literarische Werk.
c) Zwischen dem Maß, in dem der Autor eine von der Wirklichkeit abgelöste ästhetische Realität schafft und der Intensität der Verletzung des Persönlichkeitsrechts besteht eine Wechselbeziehung. Je stärker Abbild und Urbild übereinstimmen, desto schwerer wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts. Je mehr die künstlerische Darstellung die besonders geschützten Dimensionen des Persönlichkeitsrechts berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen.
4. Nach diesen Maßstäben sind die Gerichte im vorliegenden Fall den Anforderungen der Freiheit der Kunst nur teilweise gerecht geworden. Sie haben den Klagen beider Klägerinnen uneingeschränkt stattgegeben, obwohl diese hinsichtlich der Abwägung zwischen Freiheit der Kunst und Persönlichkeitsrecht deutliche Unterschiede aufweisen.
a) Hinsichtlich der Klägerin zu 2) werden die angegriffenen Entscheidungen der gebotenen kunstspezifischen Betrachtung nicht in jeder Hinsicht gerecht; sie verstoßen damit gegen die Kunstfreiheitsgarantie des Art.  5 Abs.  3 Satz 1 GG.
Verfassungsrechtlich ist allerdings nicht zu beanstanden, dass die angefochtenen Entscheidungen von einem geringen Maß an Verfremdung der Romanfigur der Lale gegenüber der Klägerin zu 2) als Urbild ausgegangen sind. Insoweit haben die Gerichte in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die Klägerin zu 2) anhand einer ganzen Reihe biographischer Merkmale, insbesondere anhand der Preisverleihung, als Vorbild der Romanfigur erkennbar gemacht ist.
Entgegen dem eigenen Ausgangspunkt insbesondere des Bun

BVerfGE 119, 1 (31):

desgerichtshofs, nach dem eine solche Erkennbarkeit für ein Veröffentlichungsverbot nicht ausreicht, sondern zusätzlich eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung erforderlich ist, begnügen sich die Gerichte damit, festzustellen, dass die Romanfigur der Lale sehr negativ gezeichnet ist, und sehen darin die Persönlichkeitsrechtsverletzung. Dabei gehen sie aber letztlich selbst davon aus, und machen dem Roman gerade dies zum Vorwurf, dass nicht alles, was im Roman über Lale steht, den Tatsachen entspricht. Damit, dass die Klägerin zu 2) erkennbar Vorbild der Lale ist, ist jedoch nicht gesagt, dass der Roman es nahelegt, dass alle Handlungen und Eigenschaften der Lale von einem Leser der Klägerin zu 2) zugeschrieben werden müssen.
Die Entscheidungen berücksichtigen damit nicht hinreichend, dass der Roman im Ausgangspunkt als Fiktion anzusehen ist. Allerdings ist es nicht zu beanstanden, dass der Bundesgerichtshof einen "disclaimer" am Anfang oder Ende des Buchs, wonach Übereinstimmungen mit realen Personen rein zufällig und nicht gewollt seien, nicht für die Annahme eines fiktiven Textes ausreichen lässt. Diese muss vielmehr auch aus dem Text selbst heraus beurteilt werden. Stellt sich ein literarischer Text demnach als eine bloße Abrechnung oder Schmähung heraus, so kann durchaus der Persönlichkeitsschutz überwiegen.
Beim vorliegenden Roman ist dies jedoch nicht der Fall. Zwar handelt es sich bei "Esra" um realistische Literatur in dem Sinne, dass der Roman an realen Schauplätzen spielt mit Personen als Hauptfiguren, die realistische Züge aufweisen. Auch findet durchaus ein Spiel des Autors mit der Verschränkung von Wahrheit und Fiktion statt. Der Autor will insoweit bewusst Grenzen verschwimmen lassen. Gleichwohl vermag ein literarisch verständiger Leser zu erkennen, dass sich der Text nicht in einer reportagehaften Schilderung von realen Personen und Ereignissen erschöpft, sondern dass er eine zweite Ebene hinter dieser realistischen Ebene besitzt. Die Figur der Lale spielt eine wichtige Rolle im Gesamtgefüge des Romans bei der Suche nach der Schuld für das Scheitern der Beziehung zwischen Adam und Esra. Der Roman gleitet hinsichtlich der Klägerin zu 2) wegen dieser Funktionalisierung

BVerfGE 119, 1 (32):

der Romanfigur der Lale nicht in eine Schmähung ab. Der Autor legt vielmehr in gleicher Weise bei sich selbst charakterliche Schwächen offen, dargestellt anhand der Figur des Ich-Erzählers, der ebenfalls gegenüber seiner Tochter versagt und von großer Zerrissenheit und Eifersucht geprägt ist. Gerade auch dieses Stellen der Schuldfrage unter besonderer Hervorhebung des schwierigen Verhältnisses zwischen einem Liebhaber und der Mutter der Geliebten zeigt die Existenz einer zweiten Ebene des Romans.
Das gilt hinsichtlich der Figur der Lale auch deshalb, weil der Autor sie anders als Esra ganz überwiegend nicht aus eigenem Erleben schildert. Die Lebensgeschichte der Lale ist ein breit ausgemalter Roman im Roman. Gerade die von der Klägerin zu 2) angegriffenen Inhalte des Romans sind deutlich erzählerisch, zum Teil auch mit Distanz nur als Wiedergabe fremder Erzählungen, Gerüchte und Eindrücke geschildert.
Schon von daher wird die Kennzeichnung der Klägerin zu 2) durch den Bundesgerichtshof "als eine depressive, psychisch kranke Alkoholikerin", die "als eine Frau (erscheint), die ihre Tochter und ihre Familie tyrannisiert, herrisch und streitsüchtig ist, ihre Kinder vernachlässigt hat, das Preisgeld in ihr bankrottes Hotel gesteckt hat, ihren Eltern Land gestohlen und die Mafia auf sie gehetzt hat, gegen den Goldabbau nur gekämpft hat, weil auf ihrem eigenen ergaunerten Grundstück kein Gold zu finden gewesen ist, eine hohe Brandschutzversicherung abgeschlossen hat, bevor ihr Hotel in Flammen aufgegangen ist, ihre Tochter zur Abtreibung gedrängt hat, von ihrem ersten Mann betrogen und von ihrem ebenfalls alkoholsüchtigen zweiten Mann geschlagen worden ist", nur unzureichend der gebotenen kunstspezifischen Betrachtung gerecht. In dieser Zusammenfassung mischen sich Aussagen, die sogar als Tatsachenfeststellungen zum Beispiel in einer Autobiographie oder als Kritik an der Trägerin eines Alternativen Nobelpreises erlaubt sein könnten, mit fiktiven Gehalten und eigener, zugespitzter Interpretation des Gerichts. Der Bundesgerichtshof sagt zwar zum möglichen Einwand der Richtigkeit einiger der inkriminierten Passagen, dass die Beschwerdeführerin keinen Wahrheitsbeweis angetreten habe, mutet damit aber dem

BVerfGE 119, 1 (33):

Künstler etwas zu, was er nach seinem Selbstverständnis gar nicht kann, weil er selbst von der Fiktionalität der Schilderung ausgeht. Das an die Wirklichkeit anknüpfende Kunstwerk hätte mit diesem Ansatz daher weniger Schutz als der Tatsachenbericht, bei dem der Wahrheitsbeweis offenstünde.
Für ein literarisches Werk, das an die Wirklichkeit anknüpft, ist es gerade kennzeichnend, dass es tatsächliche und fiktive Schilderungen vermengt. Unter diesen Umständen verfehlt es den Grundrechtsschutz solcher Literatur, wenn man die Persönlichkeitsrechtsverletzung bereits in der Erkennbarkeit als Vorbild einerseits und in den negativen Zügen der Romanfigur andererseits sieht. Ein solches Verständnis des Rechts am eigenen Lebensbild würde der Kunstfreiheit nicht gerecht. Nötig wäre vielmehr jedenfalls der Nachweis, dass dem Leser vom Autor nahegelegt wird, bestimmte Teile der Schilderung als tatsächlich geschehen anzusehen, und dass gerade diese Teile eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellen, entweder weil sie ehrenrührige falsche Tatsachenbehauptungen aufstellen oder wegen der Berührung des Kernbereichs der Persönlichkeit überhaupt nicht in die Öffentlichkeit gehören. Ein solcher Nachweis ergibt sich aus den angegriffenen Entscheidungen nicht. Sie verkennen vielmehr, dass die Kunstfreiheit es erfordert, zunächst einmal von der Fiktionalität des Textes auszugehen.
b) Im Gegensatz dazu sind die angegriffenen Entscheidungen, soweit sie der Klägerin zu 1) einen Unterlassungsanspruch zugesprochen haben, im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Anders als im Fall der Klägerin zu 2) haben die Gerichte hier nicht nur die Erkennbarkeit der Klägerin zu 1), sondern auch in bestimmten Schilderungen des Romans konkrete schwere Persönlichkeitsrechtsverletzungen festgestellt. Dabei haben sie teilweise auf die Verletzung der Intimsphäre, teilweise auf die Mutter-Tochter-Beziehung im Hinblick auf die lebensbedrohliche Krankheit der Tochter abgestellt. Beide Gesichtspunkte vermögen das Verbot zu tragen.
aa) Die Klägerin zu 1) ist nicht nur, wie die Gerichte zutreffend festgestellt haben, in der Romanfigur der Esra erkennbar darge

BVerfGE 119, 1 (34):

stellt. Ihre Rolle im Roman betrifft auch zentrale Ereignisse, die unmittelbar zwischen ihr und dem Ich-Erzähler, der seinerseits unschwer als der Autor zu erkennen ist, und während deren Beziehung stattgefunden haben. Sowohl ihre intime Beziehung zum Autor wie ihre Ehe, die Krankheit ihrer Tochter und ihre neue Beziehung sind nach den zutreffenden Feststellungen der Gerichte mehr oder weniger unmittelbar der Wirklichkeit entnommen, so dass dem Leser anders als bei der Klägerin zu 2) nicht nahegelegt wird, diese Geschehnisse als Fiktion zu verstehen, auch weil schon aus der Perspektive des Romans eigenes Erleben des Ich-Erzählers geschildert wird.
bb) Gerade durch die aus vom Autor unmittelbar Erlebtem stammende, realistische und detaillierte Erzählung der Geschehnisse wird das Persönlichkeitsrecht der Klägerin zu 1) besonders schwer betroffen. Dies geschieht insbesondere durch die genaue Schilderung intimster Details einer Frau, die deutlich als tatsächliche Intimpartnerin des Autors erkennbar ist. Hierin liegt eine Verletzung ihrer Intimsphäre und damit eines Bereichs des Persönlichkeitsrechts, der zu dessen Menschenwürdekern gehört (vgl. BVerfGE 109, 279 [313]). Auf diesem Gebiet sind weder ihr noch dem Autor Wahrheitsbeweise möglich oder auch nur zumutbar. Die eindeutig als Esra erkennbar gemachte Klägerin zu 1) muss aufgrund des überragend bedeutenden Schutzes der Intimsphäre nicht hinnehmen, dass sich Leser die durch den Roman nahegelegte Frage stellen, ob sich die dort berichteten Geschehnisse auch in der Realität zugetragen haben. Daher fällt die Abwägung zwischen der Kunstfreiheit des die Verfassungsbeschwerde führenden Verlags und des Persönlichkeitsrechts der Klägerin zu 1) zu deren Gunsten aus (vgl. auch BVerfGE 75, 369 [380]).
cc) Daneben stellt auch die Schilderung der tatsächlich bestehenden lebensbedrohlichen Krankheit der Tochter eine schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung der Klägerin zu 1) dar. Auch die Tochter ist für ihr Umfeld, zum Beispiel ihre Mitschüler, eindeutig identifizierbar. Angesichts des besonderen Schutzes von Kindern und der Mutter-Kind-Beziehung (vgl. BVerfGE 101, 361 [385 f.]) hat die Darstellung der Krankheit und der dadurch gekennzeich

BVerfGE 119, 1 (35):

neten Beziehung von Mutter und Kind bei zwei eindeutig identifizierbaren Personen, wie es das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, in der Öffentlichkeit nichts zu suchen.
c) Die angegriffenen Entscheidungen durften, soweit sie der Unterlassungsklage der Klägerin zu 1) stattgegeben haben, ein Gesamtverbot aussprechen. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass weder im Tenor noch in den Gründen eine Beschränkung auf bestimmte Passagen des Romans erfolgt ist, in denen die Gerichte konkret die nicht gerechtfertigte Persönlichkeitsrechtsverletzung gesehen haben. Insoweit ist die vom Bundesgerichtshof unter Rückgriff auf eine ältere Entscheidung (BGH, Urteil vom 3. Juni 1975 -- VI ZR 123/74 --, NJW 1975, S. 1882 [1884 f.]) vertretene Ansicht, wonach ein Gesamtverbot dann nicht unverhältnismäßig ist, wenn die beanstandeten Textteile für die Gesamtkonzeption des Werks beziehungsweise für das Verständnis des mit ihm verfolgten Anliegens von Bedeutung sind, auch aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte, bestimmte Streichungen oder Abänderungen vorzunehmen, um die Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen, da es eine Vielzahl möglicher Varianten gäbe, wie diese Änderungen vorgenommen werden könnten, und der Charakter des Romans durch solche Eingriffe eine erhebliche Veränderung erfahren würde. Allerdings erfordert die Kunstfreiheit, dass die Kennzeichnung der Persönlichkeitsrechtsverletzung so konkret ist, dass Autor und Verlag erschließen können, wie sie den Mangel beseitigen können. Das ist im Fall der Klägerin zu 1) erfolgt.
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin und der Autor die Möglichkeit haben müssen, einen verfassungsgemäßen Zustand herzustellen, indem sie eine Romanfassung veröffentlichen, die das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin zu 1) nicht verletzt. Dies könnte sowohl durch Änderungen, die die Identifizierbarkeit verringern, wie durch den Wegfall persönlichkeitsrechtsverletzender Teile des Romans erfolgen. Wegen der Wechselbeziehung zwischen dem Maß, in dem der Autor eine ästhetische Realität schafft, und der Intensität der Verletzung des Persönlichkeitsrechts bedeutet das weder

BVerfGE 119, 1 (36):

eine "Tabuisierung des Sexuellen", da die Schilderung von Intimbeziehungen unbenommen bleibt, wenn dem Leser nicht nahegelegt wird, sie auf bestimmte Personen zu beziehen, noch ein Verbot der Verwendungen biographischen Materials, wie zum Beispiel in dem in einem der Sondervoten erwähnten Werk "Die Leiden des jungen Werthers". Dass die Verringerung der Identifizierbarkeit durch den Rechtsstreit um den Roman jedenfalls vorübergehend schwerer geworden ist, haben Autor und Verlag hinzunehmen, da es Folge einer Persönlichkeitsrechtsverletzung ist, gegen die sich die Klägerin zu 1) wehren durfte.
III.
Weitere Verfassungsrechtsverletzungen sind nicht erkennbar. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin weder gegen das Willkürverbot (Art.  3 Abs.  1 GG) noch gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art.  103 Abs.  1 GG).
IV.
Die angegriffenen Entscheidungen beruhen bezüglich der Klägerin zu 2) auf dem ausgeführten verfassungsrechtlichen Mangel. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gerichte bei Beachtung der dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen, insbesondere der gebotenen kunstspezifischen Betrachtung, über die Klage der Klägerin zu 2) anders entschieden hätten. Die Sache ist gemäß § 95 Abs.  2 BVerfGG an den Bundesgerichtshof zurückzuverweisen.
V.
Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs.  2 und 3 BVerfGG.
Die Entscheidung ist mit 5 : 3 Stimmen ergangen.
Papier Steiner Hohmann-Dennhardt Hoffmann-Riem Bryde Gaier Eichberger Schluckebier
 


BVerfGE 119, 1 (37):

Abweichende Meinung der Richterin Hohmann-Dennhardt und des Richters Gaier zum Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juni 2007 -- 1 BvR 1783/05 --
Wir stimmen der Entscheidung der Senatsmehrheit nicht zu. Bei der Mephisto-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 30, 173 ff.) sind es noch die Zivilgerichte gewesen, die bei der Abwägung der Kunstfreiheit mit dem Persönlichkeitsschutz einer Person, an die ein Roman anknüpft, in Verkennung der Notwendigkeit einer kunstspezifischen Betrachtung des Romans das zur Bemessung der Schwere einer Persönlichkeitsbeeinträchtigung untaugliche Kriterium der Erkennbarkeit angewandt haben, wie dies damals der Richter Stein und die Richterin Rupp-v. Brünneck in ihren Sondervoten zu Recht beanstandet haben. Nun hat die Senatsmehrheit im Falle des Romans "Esra" dieses Kriterium zum eigenen Prüfmaßstab erhoben. Damit wird die in Art.  5 Abs.  3 GG verbürgte Kunstfreiheit in untragbarer Weise eingeschränkt (I.) Zudem wird dieser Maßstab in unterschiedlicher Weise mit inakzeptablem Ergebnis auf die beiden in ihrem Persönlichkeitsrecht betroffenen Klägerinnen des Ausgangsverfahrens angewandt (II.). Bei kunstspezifischer Betrachtung verletzt der Roman "Esra" unseres Erachtens das Persönlichkeitsrecht der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens nicht und darf deshalb nicht verboten werden (III.).
I.
1. Zunächst einmal teilen wir die insoweit von der Mephisto-Entscheidung abweichende Meinung der Senatsmehrheit, dass sich das Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung zivilgerichtlicher Entscheidungen, die das Verbot eines Romans aussprechen und damit besonders stark in die Kunstfreiheit eingreifen, nicht auf die Frage beschränken darf, ob die angegriffenen Entscheidungen auf einer grundsätzlichen Verkennung der Bedeutung und des Schutzumfangs von Art.  5 Abs.  3 GG beruhen. Vielmehr muss es die Entscheidungen auf ihre Vereinbarkeit mit der Kunstfreiheitsgarantie

BVerfGE 119, 1 (38):

auf der Grundlage der konkreten Umstände des vorliegenden Falls überprüfen. Auch folgen wir der Auffassung, dass ein Konflikt zwischen der Kunstfreiheit des Romanciers wie seines Verlegers und dem Schutz der Persönlichkeit nur dann entstehen kann, wenn eine Person als Vorbild einer Romanfigur nicht nur entschlüsselbar, sondern erkennbar ist, wobei die Erkennbarkeit sich auf einen mehr oder minder großen Bekanntenkreis beschränken kann. Die Erstreckung der Erkennbarkeit ist keine Frage der Betroffenheit, sondern des Ausmaßes der Betroffenheit. Schließlich unterstreichen wir auch die Ausführungen der Senatsmehrheit, dass ein Roman, auch wenn er an die Wirklichkeit anknüpft, diese in andere ästhetische Ebenen hebt, sie umformt, weiter ausgestaltet, in andere thematische Beziehungen setzt, damit neue Wirklichkeiten schafft und insofern grundsätzlich zunächst einmal als Fiktion ohne Faktizitätsanspruch anzusehen ist. Um herauszufinden, ob in der künstlerischen Darstellung dennoch eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung liegen könnte, darf das literarische Werk deshalb in Anbetracht, dass mit ihm eine neue, durch Phantasie geformte Wirklichkeit geschaffen wurde, nicht an der Realität gemessen werden. Vielmehr ist dabei an das Geschriebene ein kunstspezifischer Maßstab anzulegen, der im Übrigen auch in der Mephisto-Entscheidung als maßgeblich für eine solche Prüfung benannt wurde, doch dann nicht zum Tragen kam (vgl. BVerfGE 30, 173 [195]).
2. Dieser von der Senatsmehrheit zu Recht reklamierte kunstspezifische Maßstab wird aber dann doch wieder von ihr auf die Realität zurückgeführt. Denn gemessen werden soll nicht an der Art der Literatur, dem spezifischen Genre des Romans, seinen Darstellungsformen und thematischen Ebenen. Einem Autor soll vielmehr dieser Maßstab nur in dem Ausmaß zugutekommen, in dem er seine Figuren von der Wirklichkeit ablöst, also verfremdet. Und maßgeblich für das Vorliegen einer Persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigung durch das als Roman eingestufte und akzeptierte Kunstwerk soll letztlich sein, wie viel von einer Person darin erkennbar und welcher Bereich der geschützten Persönlichkeit des Betreffenden angesprochen ist. Die Schlussfolgerung daraus ist: je

BVerfGE 119, 1 (39):

mehr Verfremdung, desto mehr Kunst, je mehr Erkennbarkeit, desto größer die Beeinträchtigung, und je mehr Intimbereich, desto mehr Verfremdung sei notwendig. Hieraus folgen unseres Erachtens Fehlschlüsse, die der Kunstfreiheit nicht gerecht werden.
Es ist widersprüchlich, die Anwendung eines Maßstabs, der seine Begründung gerade darin findet, dass Kunst Reales in neue Wirklichkeiten verwandelt, sogleich zu relativieren, vom Ausmaß der Abweichung des Kunstwerks vom Realen abhängig zu machen und die künstlerisch verwandelte Realität damit doch wieder für bare Münze zu nehmen. Mit solch quantitativem Messen, an denen ein Abgleich des Romans mit der Wirklichkeit vorgenommen werden soll, wird man der qualitativen Dimension der künstlerischen Verarbeitung von Wirklichkeit nicht gerecht. Darauf hat schon Richter Stein hingewiesen, indem er ausgeführt hat, der Grad der Übereinstimmung zwischen einer Romanfigur und den Persönlichkeitsdaten realer Personen sei grundsätzlich irrelevant. Denn solche Daten würden vom Romanschreiber in eine ästhetische Realität versetzt, in der Faktisches und Fiktives ungesondert gemischt, eine unauflösbare Verbindung seien (vgl. BVerfGE 30, 173 [205 f.]). Wenn beides aber nicht zu trennen ist, wie auch wir der Meinung sind, kann ihr Verhältnis zueinander nicht graduell bemessen werden. Kunst erschöpft sich nicht in der subjektiven Sicht auf Realitäten, sondern formt aus diesen eigene Welten, mit denen Anliegen des Künstlers ihren Ausdruck finden.
Einleuchtend ist ebenfalls nicht, wie aus dem Grad der Erkennbarkeit einer Person in einem Roman auf eine schwere Beeinträchtigung ihrer Persönlichkeit geschlossen werden kann. Erkennbarkeit führt allein dazu, die Möglichkeit einer Beeinträchtigung nicht ausschließen zu können. Sie kann nicht dabei helfen zu unterscheiden, was in einem Roman Wahrheit oder Dichtung ist. Es ist ein Zirkelschluss, mit steigender Anzahl erkennbarer einzelner Daten von Personen die Kunstfreiheit zurücktreten zu lassen und dabei nicht nur eine Beeinträchtigung entdecken zu wollen, sondern auch ihre Schwere daran zu bemessen. Einzelne Wiedererkennungsmomente sagen nichts darüber aus, ob die Erzählung, in die sie eingeflossen sind, Reales wiedergibt und wieweit Reales

BVerfGE 119, 1 (40):

wiederum so ausgestaltet worden ist, dass sein Gehalt sich wandelt.
Schließlich ist unseres Erachtens nicht haltbar, wegen erkennbarer Hinweise auf bestimmte Personen deren Persönlichkeitsbeeinträchtigung zu unterstellen und daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, je mehr der Roman mit seinen Schilderungen den Kernbereich privater Lebensgestaltung, insbesondere den Intim- und Sexualbereich berühre, desto mehr müsse eine Verletzung der Persönlichkeit durch Fiktionalisierung des Vorbildes, also Verfremdung, ausgeschlossen werden. So richtig es ist, dass die Intimsphäre zu dem Bereich der Persönlichkeit eines Menschen gehört, der seine Würde berührt und deshalb als unantastbar geschützt werden muss, so falsch ist es, allein aus dem Umstand, dass in einem Roman intime Szenen enthalten sind, zu folgern, sie berichteten über das wahre Sexualleben der Person, die als Vorbild einer in diesen Szenen agierenden Romanfigur erkennbar ist, und tangierten insofern ihren absolut geschützten Persönlichkeitsbereich. Dafür gibt es, jenseits der Daten, die das Vorbild erkennen lassen, keinerlei Anhaltspunkte. Zudem stellt sich die Frage, welche Art von Verfremdung denn dem Autor nahegelegt wird, um die vermeintliche Grundrechtsbeeinträchtigung auszuschließen. Gemeint sein kann wohl nicht, die Schilderung so zu verändern, dass sie möglichem Realen nicht mehr entspricht. Denn ob und wie sich Intimes im Realen abgespielt hat und ob und wie der Autor es gegebenenfalls schon verfremdet hat, kann der Leser nicht erkennen. Auch die Verfremdung der Person hilft nicht viel weiter, solange sie als Vorbild erkennbar ist. So bliebe nur, auf diese Romanfigur in Anlehnung an das reale Vorbild ganz zu verzichten oder den Intim- und Sexualbereich im Roman nicht zu berühren. Und dies, obwohl es sich bei dem, was beschrieben werden soll, um Dichtung handelt. Nichts anderes ergibt sich aus dem Hinweis der Senatsmehrheit, die Schilderung von Intimbeziehungen bleibe einem Autor unbenommen, wenn dem Leser nicht nahegelegt werde, sie auf eine bestimmte Person zu beziehen. Denn bleibt eine Person in einer geschilderten intimen Situation erkennbar, ist sie zwangsläufig in Beziehung zu dieser Situation gebracht -- unabhängig davon, aus

BVerfGE 119, 1 (41):

wie vielen identifizierbaren Merkmalen sich die Erkennbarkeit ergibt. Auch dies stellt einen Autor letztlich vor die Alternative, Intimes im Roman entweder nur mit nicht erkennbaren Personen darzustellen oder es überhaupt nicht zu thematisieren.
Ein solches Ansinnen schränkt die Kunstfreiheit in nicht hinnehmbarer Weise ein, denn es führt letztendlich zu einer der Kunst verordneten Tabuisierung des Sexuellen, weil sie von Anlehnungen an die Wirklichkeit lebt und damit immer in der Gefahr steht, dass Personen sich in ihr wiedererkennen und für andere erkennbar sind.
Es ist fraglich, ob Goethes Roman "Die Leiden des jungen Werther" nach diesen Maßstäben der Senatsmehrheit nicht hätte verboten werden müssen, auch wenn die Senatsmehrheit dies von sich weist. Immerhin wurde schon bei damaligem Erscheinen dieses Briefromans in der Romanfigur Lotte Charlotte Buff erkannt, in die sich Goethe, den man in der Figur des Werther zu entdecken glaubte, während seiner Wetzlarer Referendarzeit verliebt hatte. Charlotte Buff war ebenso wie die Romanfigur Lotte zur Zeit ihrer Begegnung mit Goethe schon verlobt und dann verheiratet. Ihr Ehemann Johann Christian Kestner, der sich in der Romanfigur Albert, dem Verlobten und späteren Ehemann von Lotte wiederfand, schrieb damals über den Roman an einen Freund: "Lotte hat z.B. weder mit Goethe noch mit sonst einem anderen in dem ziemlich genauen Verhältnis gestanden, wie da beschrieben ist. Dies haben wir ihm allerdings sehr übelgenommen, indem verschiedene Nebenumstände zu wahr und zu bekannt sind, als dass man nicht auf uns hätte fallen sollen . . . Lottens Portrait ist im Ganzen das von meiner Frau" (zitiert nach: Bernhard von Becker, Fiktion und Wirklichkeit im Roman, Der Schlüsselprozess um das Buch "Esra", Würzburg 2006, S. 16). Dabei ist nicht zu bestreiten, dass der Roman höchst intime Szenen zwischen Lotte und Werther enthält. Deutliche Erkennbarkeit der in Bezug genommenen Personen und Schilderungen, die sich in der Intimsphäre abspielen -- beide Voraussetzungen, die die Senatsmehrheit für eine schwere Persönlichkeitsverletzung ausreichen lässt, liegen hier eigentlich vor.


BVerfGE 119, 1 (42):

II.
Diese, der Kunstfreiheit nicht gerecht werdenden Maßstäbe wendet die Senatsmehrheit überdies bei der Prüfung, ob der Roman "Esra" die Persönlichkeitsrechte der sich in ihm wiedererkennenden Klägerinnen des Ausgangsverfahrens verletzt, in unterschiedlicher Weise an und bedient sich dabei zusätzlicher Kriterien. Sie unterscheidet nach den Stilmitteln und prüft anhand derer, inwieweit der Autor es dem Leser nahelegt, dass Passagen seines Romans der Wirklichkeit entsprechen. Auch diese Herangehensweise ist untauglich, Faktizität von Fiktion in einem Roman zu unterscheiden und zu ergründen, ob mit einer Darstellung eine Persönlichkeitsrechtsverletzung verbunden ist, die so schwerwiegend ist, dass sie durch die Kunstfreiheit nicht mehr gerechtfertigt ist.
1. Bei der Klägerin zu 2), an die sich die Romanfigur Lale anlehnt, kommt die Senatsmehrheit zu dem Ergebnis, die Gerichte hätten es unter Verstoß gegen die Kunstfreiheit unterlassen, eine kunstspezifische Betrachtung des Romans vorzunehmen. Die negative Darstellung dieser Romanfigur reiche nicht aus, um darauf eine Persönlichkeitsrechtsverletzung zu stützen, denn bei Literatur, die an Wirklichkeit anknüpfe, verschränkten sich Wahrheit und Fiktion, sodass Handlungen und Eigenschaften nicht ohne weiteres der Klägerin zu 2) zugeschrieben werden könnten. Nicht hinreichend sei berücksichtigt worden, dass der Roman im Ausgangspunkt als Fiktion anzusehen sei. Dieser Auffassung und den Ausführungen dazu können wir uns voll und ganz anschließen. Es fragt sich nur, warum die Senatsmehrheit es in diesem Fall unterlässt, den von ihr zuvor aufgestellten, von uns für falsch erachteten Maßstab der Erkennbarkeit anzuwenden, aus der sich doch die Persönlichkeitsverletzung und deren Ausmaß erschließen soll. Denn die Klägerin zu 2) ist nicht weniger erkennbar als die Klägerin zu 1). Anstelle der Erkennbarkeit bringt die Senatsmehrheit hier nun die Art ins Spiel, in der die Romanfigur beschrieben wird. Die Annahme, der Roman sei Fiktion, werde dadurch gestützt, dass der Autor Lale überwiegend nicht aus eigenem Erleben, sondern in Wiedergabe fremder Erzählungen, Gerüchte und Eindrü

BVerfGE 119, 1 (43):

cke geschildert habe. Das eingesetzte Stilmittel soll dabei Ausdruck und Maßstab dafür sein, ob der Autor es dem Leser an bestimmten Stellen nahelegt, Geschildertes als tatsächlich geschehen anzusehen. Damit aber wird von der Form der Erzählung auf den Wahrheitsgehalt ihres Inhalts fehlgeschlossen und unterstellt, dass ein Autor seine Erzählweise davon abhängig macht, wie nah oder fern er sich in seinem Roman an der Realität entlang bewegt. Dafür gibt es jedoch nicht den geringsten Anhaltspunkt. Die Wahl des Stilmittels ist vornehmlich Ausdruck der künstlerischen Handschrift eines Autors und passt sich dem Genre des Romans, seinem Stoff sowie der Thematik an, die der Autor behandeln will. Fernliegend ist zudem anzunehmen, dass ein Autor, der gerade durch Verweben von Wirklichkeit und Phantasie eine neue Geschichte kreieren will, dann doch erkennen lassen, gar nahelegen wollte, wo in seinem Roman die "Wahrheit" zu finden ist. So kommt die Senatsmehrheit hier zwar zu einem richtigen Ergebnis, bei dem jedoch nur der Grund trägt, die angegriffenen Entscheidungen ermangelten einer kunstspezifischen Betrachtungsweise.
2. Dagegen glaubt die Senatsmehrheit bei der Klägerin zu 1) eine schwere Persönlichkeitsverletzung durch die Darstellung der Romanfigur Esra erkennen zu können. Eine kunstspezifische Betrachtungsweise wird hier, anders als bei der Klägerin zu 2), nicht reklamiert. Vielmehr stützt sich die Senatsmehrheit zur Begründung dieses Ergebnisses nun zum einen auf die Erkennbarkeit der Klägerin zu 1), zum anderen darauf, dass die Erzählung betreffend Esra aus vom Autor unmittelbar Erlebtem stamme, realistisch und detailliert sei und gerade dadurch das Persönlichkeitsrecht der Klägerin zu 1) besonders schwer treffe, und schließlich darauf, dass intimste Details geschildert würden, was nicht hingenommen werden müsse. Auch hier schließt die Senatsmehrheit wieder von der Erkennbarkeit des Vorbilds und von der Erzählweise auf die Realität des Erzählten und bleibt dabei die Antwort schuldig, woher sie das Wissen nimmt und worauf sie ihre Einschätzung stützt, die Schilderung gebe Erlebtes wieder. Dies mag ein subjektiver Eindruck aus richterlicher Leserbrille sein, kann aber auch ganz anders gesehen werden, insbesondere bei kunst

BVerfGE 119, 1 (44):

spezifischer Betrachtungsweise, die hier aber nicht vorgenommen wird. Und hinsichtlich der intimen Szenen ebenso wie der Passagen, in denen das Kind der Klägerin zu 1) als Vorbild erkennbar erscheint, soll es noch nicht einmal mehr auf den "Wahrheitsgehalt" des Erzählten ankommen. Hier belässt man es bei den kategorischen Imperativen, dies sei nicht hinzunehmen und habe in der Öffentlichkeit nichts zu suchen, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung anzunehmen und das Verbot des Romans zu bestätigen. Moral allein ohne einen Anhaltspunkt, ob das Geschilderte so oder überhaupt geschehen ist, ob es nicht lediglich dichterisches Ausdrucksmittel für Gefühle und Konflikte ist oder vielleicht doch der Portraitierung der Klägerin zu 1) diente, ist aber keine Messlatte, die an die Kunst angelegt werden darf, wenn sie frei sein soll, wie es Art.  5 Abs.  3 GG fordert.
3. Betrachtet man zudem das Entscheidungsergebnis der Senatsmehrheit in seiner Gesamtheit, ist schwer nachvollziehbar, weshalb in ein und demselben Roman bei ähnlich vielen Anknüpfungspunkten, die sich in ihm aus dem Leben der Klägerinnen wiederfinden, die Schilderungen und Charakterdarstellungen der einen dem Fiktiven, die der anderen dagegen dem Realen zugeordnet werden. Ein Roman ist ein Gesamtwerk, das sich schwerlich in einzelne Passagen sezieren lässt. Entweder ist das Werk insgesamt ein Roman und erzählt Fiktives, oder es ist gar kein Roman. Dass es sich bei dem Buch "Esra" um einen Roman handelt, wird aber zu Recht von der Senatsmehrheit gar nicht in Abrede gestellt. Deshalb kann sein Inhalt auch nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Nur wenn es Anhaltspunkte gäbe, die deutlich machten, dass die Form eines Romans benutzt wird, um eine bestimmte Person mit Schmähungen zu überziehen, gäbe dies Anlass für eine differenzierende Betrachtung. Dies aber ist gerade auch bei vergleichender Betrachtung der beiden Romanfiguren bei Esra nicht der Fall. Im Übrigen wird die Notwendigkeit einer Gesamtschau des Werks auch deutlich, blickt man auf die Konsequenzen der Entscheidung. Denn was nutzt es dem Autor und seinem Verleger, dass sie im Hinblick auf die Romanfigur Lale Recht bekommen, dennoch aber das Buch vollständig verboten bleibt und die Befol

BVerfGE 119, 1 (45):

gung des Rats der Senatsmehrheit, andere Stilmittel zu wählen und mehr zu verfremden, wo die Romanfigur Esra auftaucht, das Schreiben eines anderen, neuen Romans erforderlich machte? Und was bewirkt die teilweise Zurückverweisung der Sache an den Bundesgerichtshof mehr als ein Glasperlenspiel? Denn wenn das Gericht nun entsprechend der schon von der Senatsmehrheit vorgezeichneten Argumentationslinie zu dem Ergebnis gelangt, die Klägerin zu 2) sei durch die Schilderung der Romanfigur Lale nicht in ihrem Persönlichkeitsrecht verletzt, ändert das nichts an dem Verbot des Romans. Wenn es aber doch glaubt, Passagen im Roman zu finden, in denen der Autor den Lesern "nahegelegt" hat, hier die "Wahrheit" über die Klägerin zu 2) zu entdecken und dabei ehrrührig Falsches erzählt hat, dann gereicht diese Mühe nur dazu, das Verbot des Romans zu bestätigen und eine der Klägerin zu 2) günstige Kostenentscheidung zu treffen.
III.
Will man der Maßgabe folgen, Literatur um der Kunstfreiheit willen einer kunstspezifischen Betrachtung zu unterziehen, wie dies eigentlich auch die Senatsmehrheit zu Recht verlangt, dann reicht es nicht aus, nur die Gattung festzustellen, in die das Erzählte sich einordnet, auch wenn hiervon Signale ausgehen, wie ein Text zu verstehen ist. Das Buch "Esra" ist auch nach Auffassung der Senatsmehrheit als Roman einzustufen, was darauf hinweist, dass die darin enthaltene Geschichte Fiktion ist, auch wenn sie an realen Personen oder Begebenheiten anknüpft. Doch damit ist noch nicht abschließend geklärt, ob der Inhalt der Erzählung auch dem Romanhaften entspricht und in ihr Reales und Fiktives eine Symbiose eingegangen sind, aus der eine eigene Geschichte entstanden ist. Dies aber zu beurteilen kann man nicht allein dem vielzitierten Leser mit seiner jeweils mehr oder weniger ausgeprägten Literaturkenntnis und seiner jeweils eigenen Sichtweise auf den Roman überlassen. Auch ein fiktiver Leser, den man sich zurechtlegt und ihm unterstellt, wie er den Roman beurteilt und versteht, führt hier nicht weiter. Vielmehr ist dafür auf literaturwissenschaftlichen Sachverstand zurückzugreifen.


BVerfGE 119, 1 (46):

Tut man dies aber, dann stößt man auf die einhellige Meinung, dass der Roman "Esra" zwar von der Beziehung des Ich-Erzählers, der übereinstimmende Daten mit dem Autor aufweist, mit der Romanfigur Esra handelt, die in einigen Bezügen an die Klägerin zu 1) angelehnt ist, doch diese Beziehung vom Autor aus eigener Sichtweise erzählt und als Mittel benutzt wird, um nicht nur subjektive Befindlichkeiten hierin zum Ausdruck zu bringen, sondern um mit dieser Rahmengeschichte zugleich in vielschichtiger Weise Themen anzusprechen, die sich wiederum in den Reden und Verhaltensweisen der Romanfiguren niederschlagen und diese prägen wie leiten. So wird darauf verwiesen, dass im Roman selbst in Dialogen zwischen Esra und dem Ich-Erzähler die Realitätswahrnehmung thematisiert und die Frage aufgeworfen wird, ob Literatur, die Reales verarbeitet, als Wirklichkeit missverstanden werden kann, und der Autor damit sich selbst und sein Wirken provozierend hinterfragt, weshalb ein Kritiker das Buch "Esra" als verschlüsselten Roman über das Problem des Schlüsselromans bezeichnet hat (vgl. Bernhard von Becker, a.a.O., S. 84). Aufgezeigt wird, dass die realen Bezüge des Romans im Hinblick auf Personen und Örtlichkeiten dem Autor nur dazu dienen, in nahegehender Weise auf Konflikte hinzuweisen, die aus der Individualisierung, Vereinsamung und aus kulturellen Differenzen herrühren, um damit Zustände im Gemeinwesen wiederzuspiegeln, weshalb der Roman beispielhaft für die nicht nur in Deutschland wachsende Literaturrichtung des "Subjektiven Realismus" sei (vgl. Anja Ohmer, Literaturwissenschaftliches Gutachten zu Esra von Maxim Biller, 2004, unveröffentlicht, S. 31). Und anhand der jeweiligen Romanpassagen wird schließlich nachgezeichnet, wie der Roman die Suche nach Identität in einer multikulturellen Welt thematisiert, wie er das Thema des heutigen Umgangs mit Medien zur Sprache bringt, wie der Autor selbstreflexiv seine Rolle und sein Handeln betrachtet und dabei in die Geschichte durch Zitate und Anspielungen literarische Bezüge einflicht, wobei die jeweiligen Botschaften des Texts ganz unabhängig und losgelöst von der Kenntnis der Klägerinnen seien (vgl. Michael Ansel, Buddenbrooks, Bilse und Biller. Thomas Mann, der Schlüsselroman und

BVerfGE 119, 1 (47):

die Kunstfreiheit, Überarbeitete Fassung eines Vortrags, gehalten 2007 an der Evangelischen Akademie Tutzing, S. 24). Bei alledem kommt man aus literaturwissenschaftlicher Sicht übereinstimmend zu dem Schluss, dass der Roman "Esra" weder Erfahrungswelten reproduziert noch Autobiographisches darstellt, sondern einer literaturästhetischen Programmatik folgt und eine narrative Konstruktion, ein Roman ist (vgl. Christian Eichner, York-Gothart Mix, Ein Fehlurteil als Maßstab? Zu Maxim Billers Esra, Klaus Manns Mephisto und dem Problem der Kunstfreiheit in der Bundesrepublik, unveröffentlichtes Gutachten, Düsseldorf, Marburg 2007, S. 5).
Dies bestätigt nicht nur unser Verständnis des Buchs, sondern führt dazu, dass auch im Hinblick auf die Klägerin zu 1) eine Persönlichkeitsverletzung weder ersichtlich ist noch angenommen werden kann. Für uns bleibt richtig, was die Richterin Rupp-v. Brünneck in ihrem damaligen Sondervotum zur Mephisto-Entscheidung zu der Grenze ausgeführt hat, die um des Persönlichkeitsschutzes willen auch der Kunstfreiheit gezogen ist. Wird bei einer Gesamtbetrachtung eines Romans offensichtlich, dass diese Kunstform missbraucht wurde und lediglich eine Mogelpackung, ein Transportmittel ist, um bestimmte Personen zu beleidigen, zu verleumden oder verächtlich herabzuwürdigen, dann ist dies nicht mehr von der Kunstfreiheit gedeckt (vgl. BVerfGE 30, 218 [224]). Eine solche Intention des Autors ist für uns in dem Buch "Esra" nicht erkennbar und wird auch von literaturwissenschaftlicher Seite nicht gesehen. Ist das Buch "Esra" demnach ein Roman, dann hat sich in ihm Reales in Kunst aufgelöst. Damit kann aber nicht mehr unterschieden werden, was Dichtung und was Wahrheit ist. "Denn alles, was die Kunstwerke an Form und Materialien, an Geist und Stoff in sich enthalten, ist aus der Realität in die Kunstwerke emigriert und in ihnen seiner Realität entäußert"; dieser Aussage von Adorno (Ästhetische Theorie, Hrsg. Rolf Tiedemann, Frankfurt 1990, S. 158) schließen wir uns an. Das sich auf eine Persönlichkeitsverletzung der Klägerinnen zu 1) und 2) stützende, von den Gerichten in den angegriffenen Entscheidungen ausgesprochene Verbot des Buchs "Esra" ist deshalb ein

BVerfGE 119, 1 (48):

verfassungswidriger Eingriff in die von Art.  5 Abs.  3 GG geschützte Kunstfreiheit des Autors und des Beschwerdeführers.
Hohmann-Dennhardt Gaier
 
Abweichende Meinung des Richters Hoffmann-Riem zum Beschluss des Ersten Senats vom 13. Juni 2007 -- 1 BvR 1783/05 --
Die Entscheidung des Senats trägt der Kunstfreiheit stärker Rechnung als die sogenannte Mephisto-Entscheidung (BVerfGE 30, 173). Diese forderte zwar bei der rechtlichen Bewertung der Wirkungen eines Kunstwerks die Berücksichtigung kunstspezifischer Gesichtspunkte, ließ dies aber nicht hinreichend folgenreich werden; insbesondere die jetzt vom Senat anerkannte Vermutung für die Fiktionalität eines literarischen Textes wurde nicht zugrundegelegt. Der Senat macht jetzt ferner deutlich, dass die Erkennbarkeit einer Person im Roman selbst dann, wenn der Person negative Züge zugeschrieben werden, nicht als Grundlage einer Persönlichkeitsverletzung ausreicht. Vielmehr muss unter Berücksichtigung der Vermutung der Fiktionalität nachgewiesen sein, dass der Autor dem Leser nahelegt, die dargestellten Ereignisse seien tatsächlich geschehen oder die dieser Person zugeschriebenen Eigenschaften kämen ihr tatsächlich zu.
Ungeachtet dieser anzuerkennenden Fortentwicklungen des Schutzes durch Art.  5 Abs.  3 GG überzeugen mich einzelne Elemente der rechtsdogmatischen Argumentation (1) sowie die Anwendung der Grundsätze auf den konkreten Fall nicht (2). An meine Fragen und Kritik anschließend versuche ich zu erläutern, warum die Mehrheit von ihrem Ausgangspunkt aus Gefahr läuft, die Besonderheit von Kunstwerken und ihres Schutzes zu verfehlen (3).
Zutreffend sieht die Mehrheit des Senats in dem gerichtlichen Verbot der Veröffentlichung des Romans einen Eingriff in die Kunstfreiheit. Demgegenüber überzeugen die Ausführungen da

BVerfGE 119, 1 (49):

zu, dass dieser Eingriff teilweise gerechtfertigt ist, mich verfassungsrechtlich nicht. Ergänzend zu der abweichenden Meinung der Richterin Hohmann-Dennhardt und des Richters Gaier merke ich an:
1. a) Anders als der Bundesgerichtshof, dem die Erkennbarkeit einer bestimmten Person als Vorbild für eine Romanfigur für die Bejahung einer Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts (er spricht von einem "Eingriff") ausreicht, geht die Mehrheit zutreffend davon aus, dass die Erkennbarkeit zunächst nur die Betroffenheit einer Person ergibt. Betroffenheit -- als erste Stufe der Prüfung -- ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung der Möglichkeit einer Persönlichkeitsverletzung.
b) Wird die Erkennbarkeit bejaht, fordert die Senatsmehrheit für die zweite Stufe die Feststellung, die Betroffenheit dürfe nicht so geringfügig sein, dass das Persönlichkeitsrecht von vornherein hinter die Kunstfreiheit zurücktreten muss. Dies deutet auf einen Bagatellvorbehalt hin: nur eine Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts von einer gewissen Schwere kommt überhaupt als Grundlage einer Beschränkung der Kunstfreiheit in Betracht.
c) Da die Mehrheit im konkreten Fall davon ausgeht, dass die Bagatellhürde genommen ist, wird auf der dritten Stufe die Wechselwirkung zwischen Kunstfreiheit und Persönlichkeitsschutz thematisiert. Hier wird erneut die gleiche Formel wie auf der zweiten Stufe genutzt: Die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts müsse so schwerwiegend sein, dass die Freiheit der Kunst zurückzutreten habe. Insoweit ist allerdings offenbar eine schwerere Beeinträchtigung als auf der zweiten Stufe gemeint: Sie soll durch die Abwägung mit der Kunstfreiheit im konkreten Fall bestimmt werden, ist also grundsätzlich variabel.
Auf dieser dritten Stufe wird eine kunstspezifische Betrachtung gefordert (C II 3 a). Sie soll insbesondere dazu dienen, den Bereich des Fiktionalen zu bestimmen. Dementsprechend lässt die Mehrheit eine Vermutung für die Fiktionalität sprechen, wenn ein literarisches Werk sich als Roman ausweist und dieser -- ungeachtet der Nutzung realer Personen als Vorbilder -- erkennbar keinen Faktizitätsanspruch erhebt, also nicht etwa ein bloßer Sachbericht

BVerfGE 119, 1 (50):

ist, der fälschlicherweise als Roman etikettiert wird. Auch wenn der Roman "neben seiner ästhetischen Realität zugleich in den Realien" wirke, dürfe nicht allein auf die möglichen Wirkungen in diesen Realien abgestellt werden; vielmehr müsse eine Lösung in einer Abwägung gefunden werden. Dabei bezieht sich die Vermutung der Fiktionalität nicht nur auf die dargestellten Personen, sondern auch auf die geschilderten Geschehnisse, Charaktereigenschaften oder ähnliches.
d) Die Bedeutung einer Zuordnung zum Fiktionalen wird von der Senatsmehrheit allerdings auf einer vierten Prüfungsstufe teilweise wieder zurückgenommen (C II 3 c). Bei einer hohen Intensität der Persönlichkeitsverletzung -- im konkreten Fall werden die Darstellungen zum Intim- und Sexualbereich sowie über die Krankheit des Kindes hier eingeordnet (C II 4 b) -- greift die Vermutung des Fiktionalen nicht mehr. Stattdessen gilt ein Gebot, sich umso mehr um die Fiktionalisierung des Vorbilds zu bemühen, je stärker die betroffene Persönlichkeitsdimension geschützt ist. Allerdings soll die Darstellung des Sexuallebens einer durch Tatsachen als Vorbild erkennbaren Person, die "mehr oder weniger unmittelbar der Wirklichkeit entnommen" sind, stets unzulässig sein, weil die Person es nicht hinzunehmen habe, "dass sich Leser die durch den Roman nahegelegte Frage stellen, ob sich die dort berichteten Geschehnisse auch in der Wirklichkeit zugetragen haben". Für solche Inhalte gibt es also praktisch keine Vermutung des Fiktionalen, sondern ein grundsätzliches Verbot, wenn nicht hinreichend sicher ist, dass es um Fiktionalität geht. Auch das Bemühen um Fiktionalisierung (die Mehrheit spricht auch von "Verfremdung") -- hinsichtlich der Person oder hinsichtlich der geschilderten Geschehnisse -- reicht insofern nicht, wie die weitere Argumentation der Mehrheit für den Fall ergibt, dass es sich um eine vom Autor aus "unmittelbarem Erleben stammende, realistische und detaillierte Erzählung der Geschehnisse" handelt, insbesondere um die genaue Schilderung intimster Details der Frau, die deutlich als tatsächliche Intimpartnerin des Autors erkennbar sei.
2. Ich habe zwar keinen Zweifel, dass es das Persönlichkeits

BVerfGE 119, 1 (51):

recht verletzt, wenn jemand -- einerlei, ob aus unmittelbarem Erleben oder nicht -- realistisch und detailliert intimste Details des Verhaltens seiner Sexualpartnerin anderen oder gar der Öffentlichkeit zugänglich macht. Vorliegend aber ist gerade zweifelhaft und wird vom Autor bestritten, dass er vergangenes Sexualgeschehen beschreiben wollte oder gar einen Sachbericht darüber verfasst hat. Darauf geht die Mehrheit m. E. nicht in angemessener Weise ein und erklärt die tatsächlichen Feststellungen der Fachgerichte schlicht als zutreffend, die ihrerseits jedoch nicht von einer Vermutung des Fiktionalen ausgegangen sind.
a) Wenn Art.  5 Abs.  3 GG gebietet, dass für die Kunstform des Romans die Vermutung des Fiktionalen auch bei Erkennbarkeit eines konkreten Vorbilds spricht und dies auch für die konkret geschilderten Ereignisse, Verhaltensweisen oder Charaktereigenschaften gilt, ist nicht nachvollziehbar, warum dies nicht auch Darstellungen über den Sexualbereich umfasst. Kommt die Vermutung hier letztlich aber gar nicht zum Tragen, bedeutet dies, dass die kunstspezifische Betrachtung insoweit aufgegeben wird. Anders formuliert: Darstellungen von Sexualität sind nur als Kunst geschützt, wenn ihre Fiktionalität -- ohne dass insoweit eine darauf gerichtete Vermutung angewandt wird -- stärker nachgewiesen ist als sonst. Dafür verwendet der Senat die in Leitsatz 4 enthaltene Je-desto-Formel (Je mehr die künstlerische Darstellung besonders geschützte Dimensionen des Persönlichkeitsrechts berührt, desto stärker muss die Fiktionalisierung sein, um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung auszuschließen). Bei Geltung einer solchen Je-desto-Formel ist es schwer, ein Geschehen mit Anklängen an reale Vorgänge durch die künstlerische Transformation auf "eine zweite Ebene" zu heben und dadurch in den Genuss der Kunstfreiheit zu kommen. Ein Autor, der, wie vorliegend, die betroffene Person aus eigenem sexuellen Erleben kennt, hat nach den Maßgaben der Mehrheit praktisch keine Möglichkeit, die Darstellung von Sexualität so zu fiktionalisieren, dass der verfassungsrechtliche Schutz greift.
Würde die mit der Notwendigkeit einer kunstspezifischen Betrachtung begründete Vermutung der Fiktionalität demgegenüber

BVerfGE 119, 1 (52):

auch hier zum Zuge kommen können, wäre die Vermutung nicht schon dadurch widerlegt, dass Geschlechtsverkehr detailliert und realistisch beschrieben wird -- das kann auch in einer fiktionalen Darstellung geschehen. Dass ein Autor, der auch nach Auffassung der Mehrheit eine konkrete Person als Vorbild einer Romanfigur nehmen darf, über das Verhalten oder die Eigenschaften einer Person aus eigenem Erleben schreibt, indiziert selbst dann, wenn sie als Intimpartner erkennbar ist, für sich allein nicht den Anspruch oder auch nur eine Vermutung, dass das jeweils konkret Dargestellte ein Sachbericht über ausgeübte Sexualpraktiken ist. Gleichwohl geht die Mehrheit dem Ergebnis nach von der unwiderleglichen Vermutung des "Realen" aus, wenn ein Autor in einem Roman einer erkennbaren Person, die er aus eigenem Intimleben kennt, Intimszenen zuschreibt. Wie er die von der Mehrheit eröffnete Möglichkeit, die Persönlichkeitsrechtsverletzung durch "Fiktionalisierung des Vorbilds" auszuschließen, nutzen könnte, ist unerfindlich. Ist das Vorbild erkennbar, käme nur eine Fiktionalisierung des dargestellten Geschehens in Betracht. Das müsste vom Gericht gegebenenfalls überprüft werden. Angesichts der Beweisschwierigkeiten hinsichtlich von Geschehnissen im Intimbereich erscheint dies kaum möglich. Ein Weg wäre, jedenfalls die Vermutung des Fiktionalen gelten zu lassen. Der Senat wendet sie vorliegend aber nicht an.
Im Gegensatz zum Vorgehen hinsichtlich Esra nutzt die Mehrheit die Vermutung des Fiktionalen hinsichtlich der Schilderung von Lale und wendet sich gegen den Einwand des Bundesgerichtshofs, die Beschwerdeführerin habe keinen Wahrheitsbeweis angetreten, mit der Aussage, damit werde dem Künstler etwas zugemutet, was er nach seinem Selbstverständnis nicht könne, weil er selbst von der Fiktionalität der Schilderung ausgehe.
b) Warum dies in dem einen Fall gilt, in dem anderen aber nicht, ist nicht nachvollziehbar. Dass der Autor bei Lale "mit Distanz" fremde Erzählungen, Gerüchte und Eindrücke wiedergebe, bei Esra aber aus eigenem Erleben schildere, kann -- selbst wenn dieser Einschätzung der Mehrheit zu folgen wäre -- nicht den Ausschlag geben. Dass diese Differenz der Figur der "kunstspezi

BVerfGE 119, 1 (53):

fischen Betrachtung" geschuldet sei, ist kaum anzunehmen. Da für die Mehrheit von dieser Weichenstellung die Frage des Schutzes durch die Kunstfreiheit abhängt, könnte die Differenz allenfalls im Zuge der Abwägung mit der Schwere der Persönlichkeitsverletzung begründbar sein. Diese wird aber -- nach der sonstigen Rechtsprechung des Senats für Konflikte zwischen Persönlichkeitsschutz und Meinungsfreiheit -- üblicherweise nicht davon abhängig gemacht, ob etwas die Persönlichkeit Verletzendes aus eigenem Erleben oder als Resultat aus Erzählungen Dritter dargestellt wird.
c) Maßgebend soll offensichtlich sein, welcher Teil des Persönlichkeitsrechts nachteilig betroffen ist. Dass die über Lale aufgestellten Behauptungen -- so unter anderem die, sie sei eine depressive, psychisch kranke Alkoholikerin, die ihre Kinder vernachlässige, ihre Familie tyrannisiere, von ihrem Mann geschlagen worden sei -- die Persönlichkeit weniger schwer betreffen als die Darstellung von Sexualpraktiken, liegt jedenfalls nicht in einer Weise auf der Hand, dass der Unterschied es rechtfertigt, in dem einen Fall die Garantie der Kunstfreiheit in Form der Vermutung des Fiktionalen durchschlagen zu lassen, im anderen durch Nichtanwendung der Vermutung aber nicht.
3. Die Schwierigkeiten der Mehrheit, der kunstspezifischen Betrachtung Konturen zu geben und bei der Rechtsanwendung in eine in sich stimmige rechtsdogmatische Konstruktion einzubinden, scheinen mir in dem begründet zu sein, was die Mehrheit als Beschreibung von Wirklichkeit (Realien) und was sie als Verarbeitung zu Kunst versteht. Dabei scheint sie von der Vorstellung der Unterscheidbarkeit oder gar eines Gegenüber von Empirie und künstlerischer Fiktion auszugehen. Die gleichwohl aus Abwägungsschwierigkeiten entstehenden Dilemmata durch die Vermutung zugunsten des Fiktionalen bewältigen zu wollen, mag in vielen Fällen tragfähige Ergebnisse begründen helfen, taugt aber, wie die vorliegende Konstellation zeigt, nicht immer, insbesondere dann nicht, wenn der Künstler nicht ein Phantasieprodukt beschreibt, sondern intersubjektiv beobachtbares Geschehen künstlerisch verarbeitet.


BVerfGE 119, 1 (54):

a) In Anlehnung an Ausführungen des Richters Stein im Minderheitenvotum der Mephisto-Entscheidung meint die Mehrheit, die "Welt der Realität" sei durch einen Maßstab zu erschließen, der sich grundlegend von dem "kunstspezifischen, ästhetischen Maßstab" unterscheide, mit dem der Künstler auf die Realität sehe. Diese Aussage lässt sich in dem vor allem im Konstruktivismus (mit Unterschieden in seinen verschiedenen Varianten) näher analysierten Umstand fundieren, dass die beobachtbare (Um)Welt erst durch die Wahrnehmung des Beobachters "Realität" gewinnt, das heißt durch seine Verarbeitung des Beobachteten, die er unter anderem auf der Grundlage eigener Einsichten und Erfahrungen, früherer Beobachtungen und unter Nutzung kultureller Werte vornimmt. Dabei sowie bei der Übersetzung des Beobachteten in Sprache kommen ihm gesellschaftliche Konventionen zur Hilfe, die Wirklichkeitsbilder kommunizierbar machen. Empirisches Wissen ist insofern Wissen über das Erleben in der Welt. Alltagsweltliche Konventionen erlauben ebenso wie spezifische professionelle Konventionen -- wie beispielsweise die in der Rechtsordnung anerkannten Regeln über das, was Tatsachen sind und wie sie gerichtlich festgestellt werden und dann "gelten" -- die intersubjektive Verständigung über wechselseitig kompatible "Realitätskonstruktionen", kurz: über "die Realität".
Wenn Richter Stein unter Billigung der Mehrheit davon spricht, dass ein Kunstwerk eine "wirklichere Wirklichkeit" anstrebt, nämlich eine, "in der die reale Wirklichkeit auf der ästhetischen Ebene zu einem neuen Verhältnis zum Individuum bewusster erfahren wird" (BVerfGE 30, 200 [204]), dann spielt dies auf den Umstand an, dass die für den jeweiligen Künstler maßgebenden Konstruktionen von Realität üblicherweise anderen Konventionen, etwa den als "ästhetisch" bezeichneten, folgen als die der alltagsweltlich kommunizierenden Bürger und dass Künstler mit je eigenen Werten, Erfahrungen, Perspektiven oder Selektivitäten beobachten und beschreiben und das Beobachtete in Form eines Kunstwerks kommunizierbar zu machen suchen.
Wenn Art.  5 Abs.  3 GG die Freiheit der Kunst besonders schützt, dann bedeutet dies Schutz der Freiheit zur "kunstspezifischen"

BVerfGE 119, 1 (55):

Konstruktion von Wirklichkeit. Insoweit gibt es allerdings keine allgemeingültigen Regeln oder Konventionen über das, was Kunst oder Kunstspezifisches ist. Kunst erfindet die Art der Konstruktion von Realität immer neu, stellt den Maßstab des Ästhetischen immer wieder in Frage und bestimmt ihn variierend. Viele Kunstwerke zielen auf Überschreitungen bisher anerkannter Grenzen und die Künstler beteiligen sich an Entgrenzungen und Vermischungen hinsichtlich tradierter oder neu entwickelter Kategorien.
b) Wird die auch von der Mehrheit grundsätzlich akzeptierte Notwendigkeit einer kunstspezifischen Betrachtung auf die Art der Wirklichkeitskonstruktionen durch Künstler in Kunstwerken bezogen, so können davon verschiedene der für Juristen wichtigen Phänomene betroffen sein. So können Erscheinungen, die jedermann, also auch ein "Alltagsbeobachter", wahrnehmen und sich über sie mit anderen Alltagsbeobachtern intersubjektiv verständigen kann, von einem Künstler in seinem Referenzfeld völlig anders beobachtet und beschrieben werden. Eine derartige Art der Beobachtung und Beschreibung meint die Mehrheit offenbar, wenn sie -- hinsichtlich Lale -- davon spricht, die Schilderung besitze "eine zweite Ebene" hinter "der realistischen Ebene", der Schilderung des Verhaltens von realen Personen an realen Schauplätzen.
Davon graduell (nicht prinzipiell) zu trennen ist eine künstlerische Darstellung, die gar nicht ein auch von anderen beobachtbares Geschehen beschreiben oder nach ästhetischen Prinzipien kunstspezifisch abbilden will, sondern die sich -- gewissermaßen als Produkt von Phantasie des Künstlers -- von konkret Beobachtbarem ablöst, wenn auch gegebenenfalls in der Verarbeitung und Beschreibung auf Einsichten und Erfahrungen aus früheren Beobachtungen zurückgreift und den Eindruck erweckt, das Beschriebene könne einem Geschehen gelten, das auch durch andere beobachtbar war. Jedenfalls dieser zweite Typ ist gemeint, wenn von Fiktionalem gesprochen wird. Der Charakter des Fiktionalen entfällt selbst dann nicht, wenn dem Autor bescheinigt wird, er habe mit seinem fiktionalen Produkt "die Wahrheit" getroffen. Ge

BVerfGE 119, 1 (56):

meint ist dann meist, dass er etwas Typisches oder Allgemeingültiges erfasst hat.
Die Kunstfreiheit erstreckt sich aber unstreitig nicht nur auf Darstellungen derartiger "Phantasieprodukte", sondern auch auf künstlerische Verarbeitungen von intersubjektiv beobachtbarem und kommunizierbarem Realgeschehen. Darüber hinaus erstreckt sie sich auch auf Zwischenformen, also Kombinationen und Vermischungen von künstlerischen Bearbeitungen der intersubjektiv beobachtbaren Sachverhalte mit "Produkten der Phantasie".
c) Diese Vielfalt künstlerischen Schaffens und die Notwendigkeit der Herausarbeitung sie berücksichtigender Schutzdimensionen drohen aus dem Blick zu geraten, wenn der Schutz des Künstlerischen letztlich auf das Fiktionale begrenzt und ein Kunstwerk rechtlich unter der Annahme eines Entweder-Oder von Fiktion oder Empirie (Realien) bewertet wird. Damit droht die Eigenständigkeit des Umgangs mit Beobachtbarem in der Kunst -- der künstlerischen Konstruktion von Wirklichkeit -- verloren zu gehen. Dieses Risiko wird auch nicht vermieden, wenn die Intensität und Reichweite des Schutzes der Kunstfreiheit -- wie es die Mehrheit befürwortet -- von dem Grad der Fiktionalität abhängig gemacht wird. Eine Operationalisierung unter Rückgriff auf das Überwiegen des Fiktionalen mag als juristisches Hilfsmittel taugen, um intersubjektiv Beobachtbares von "Phantasieprodukten" unterscheiden zu können, nicht aber, um die besondere Art der künstlerischen Verarbeitung eines intersubjektiv beobachtbaren Geschehens zu berücksichtigen. Die künstlerische Verarbeitung eines solchen Geschehens in einer romanhaften Darstellung -- in der Sprache der Mehrheit unter Herausarbeitung einer "zweiten Ebene" -- macht es nicht zur Fiktion, wohl aber zum Kunstwerk. Dann muss auch insoweit eine Vermutung zugunsten des Künstlerischen gelten. Die Redeweise von der Vermutung der "Fiktionalität" droht diese Dimension des Schutzbedarfs zu verschütten, es sei denn, sie werde im weiten Sinne verstanden, der auch den künstlerischen Umgang mit intersubjektiv beobachtbarem Geschehen umfasst. Dann darf vom Künstler aber nicht verlangt werden, das Geschehen zu "fiktionalisieren", wenn dies

BVerfGE 119, 1 (57):

so zu verstehen sein sollte, dass er die von ihm künstlerisch verarbeiteten Fakten verändern oder unkenntlich machen, "falsche Fährten" legen soll oder ähnliches. Was die Mehrheit unter Fiktionalisierung versteht, wird jedenfalls nicht so deutlich, dass ein Autor handhabbare Maßstäbe vorfindet. Die Mehrheit meint, er könne "die Identifizierbarkeit verringern" -- sie bleibt dann aber offenbar bestehen -- und er könne die persönlichkeitsrechtsverletzenden Teile des Romans wegfallen lassen: Wann aber kann eine "ästhetische Realität" (verstanden als kunstspezifische Konstruktion von Wirklichkeit) Persönlichkeitsrechte überhaupt verletzen?
d) Wenn der Schutz durch die Kunstfreiheit trotz dieser Einwände vom Grad der Fiktionalität abhängig gemacht wird, müsste es jedenfalls darauf bezogene Beweisgrundsätze oder Grundsätze der Widerlegung der Vermutung geben. Die Mehrheit erkennt insoweit die Untauglichkeit der Grundsätze juristischer Beweisbarkeit, als sie hinsichtlich der Darstellung von Lale würdigt, der Autor habe Grenzen verwischen lassen und mit der Verschränkung von Wahrheit (offenbar gemeint im Sinne eines intersubjektiv beobachtbaren Geschehens) und Fiktion (offenbar gemeint als Zugaben der Phantasie) gespielt, und wenn die Mehrheit zusätzlich meint, es sei dem Autor nicht zumutbar, dann, wenn er keine Reportage habe schreiben wollen, etwas beweisen zu müssen, was er als fiktional ansieht. Es kann hinzugefügt werden: Was den Anspruch des Fiktionalen erhebt, kann auch Persönlichkeitsrechte anderer nicht verletzen.
Schwieriger ist die Zuordnung, wenn der Künstler ein auch von Dritten beobachtbares Geschehen als Ausgangspunkt seiner Beschreibung wählt, aber aufgrund seiner besonderen Sichtweise als Künstler und/oder aufgrund des Hinzufügens weiterer, "der Phantasie" entsprungener, aber wie beobachtbares Geschehen dargestellter Handlungen oder Charaktereigenschaften nicht im Einzelnen erkennen lässt, inwieweit er Beobachtbares abbildet und wie weit er künstlerische "Zugaben" durch die Art der Beobachtung und Beschreibung oder gar durch frei Erdachtes vornimmt.
Die Senatsmehrheit hat hinsichtlich der Darstellung von Esra

BVerfGE 119, 1 (58):

keinen Versuch unternommen, hierzu differenzierend Feststellungen zu treffen. Vielmehr wird aus Indizien (wie: Schilderung eigenen Erlebens des Ich-Erzählers, realistische und detaillierte Erzählung) geschlossen, der Autor habe ein grundsätzlich auch von Dritten beobachtbares Geschehen geschildert und insofern dem Leser nahegelegt, er schildere tatsächliches Geschehen. Seine im Verfahren erfolgten gegenteiligen Darlegungen werden ebenso wenig einer Erörterung für Wert befunden wie die verschiedenen veröffentlichten literaturwissenschaftlichen Expertisen -- also kunstspezifische Analysen -- des hier streitgegenständlichen Textes. Es drängt sich daher der Eindruck auf, es sei der Gegenstand -- insbesondere die Schilderung von Details aus dem Sexualbereich -- der es ausschließt, Zugang zur Berücksichtigung des Kunstspezifischen einer solchen Darstellung in einem Roman bei der Abwägung zu suchen. Kurzgeschlossen wird die Möglichkeit verworfen, dass der Autor auch bei diesem von ihm gewählten literarischen Gegenstand eine kunstspezifische, ästhetische Realität "konstruiert" habe.
Die Vermutung der Fiktionalität wird ihm nicht zugutegehalten. Diese müsste allerdings in einem weiteren Sinne verstanden werden, um sie auf die hier maßgebende Konstellation erstrecken zu können. Wäre sie anzuwenden, müsste, soweit einzelne Parallelen in dem Geschehen zu intersubjektiv Beobachtbarem bestehen, gefragt werden, ob die künstlerische Verarbeitung dieses Geschehens es derart in die von der Mehrheit als maßgebend betonte "zweite Ebene" gehoben hat, dass der Künstler eine eigene, ästhetischen Regeln folgende "neue Realität" konstruiert hat. Dies bedarf einer sachverständigen Klärung, die auf literaturwissenschaftlichen Beistand grundsätzlich nicht verzichten kann.
Zur Verdeutlichung, dass der Leser nicht von der Faktizität (intersubjektiven Beweisbarkeit) des Erzählten ausgehen soll (C II 3 a), kann es beitragen, wenn der Autor in dem Buch einen entsprechenden "disclaimer" formuliert. Diesem kommt eigenständige Bedeutung zu, wenn sein Inhalt eine Entsprechung in dem Roman selbst hat, er also nicht als Falschdeklaration erscheint. Handelt es sich aber um eine Falschdeklaration, löst der Autor also den durch

BVerfGE 119, 1 (59):

die Wahl der Form des Romans gestellten eigenen Anspruch einer künstlerischen Bearbeitung nicht ein, kommt ihm die Kunstfreiheit als Schutz nicht zugute. Dabei ist es allerdings unglücklich, dass die Mehrheit für das Gegenstück zum Kunstwerk den Begriff der "Schmähung" benutzt. Jedenfalls ist der Begriff der "Schmähkritik" im Rahmen der Dogmatik zu Art.  5 Abs.  1 GG ein terminus technicus, der sich auf die rechtliche Einordnung von Werturteilen bezieht und begrenzt und Fälle erfasst, in denen die Wertung auch vom Standpunkt des Kritikers aus jeglicher Grundlage entbehrt und auf persönliche Diffamierung abzielt. Geht es aber -- wie im vorliegenden Fall -- um die Frage, ob eine Schilderung als intersubjektiv nachvollziehbare Beschreibung tatsächlichen Geschehens oder als Fiktionales oder als kunstspezifische Konstruktion von Realität einzuordnen ist, taugen solche Kategorien nicht oder jedenfalls nur als grobe Indizien.
Hoffmann-Riem