BGE 127 I 38 - Kaschmir - Wollstoff |
4. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes |
vom 7. Dezember 2000 |
i.S. W. gegen Staatsanwaltschaft und Kassationsgericht des Kantons Zürich |
(staatsrechtliche Beschwerde) |
Regeste |
Art. 9 und 32 Abs. 1 BV, Art. 4 aBV, Art. 6 Ziff. 2 EMRK, Art. 14 Abs. 2 UNO-Pakt II; Unschuldsvermutung. |
Die Beschränkung der Kognition auf Willkür durch das Kassationsgericht des Kantons Zürich verletzt die Unschuldsvermutung nicht (E. 2c) und ist mit § 430 Abs. 1 Ziff. 4 StPO/ZH vereinbar (E. 3a). |
Auch im Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde führt die Geltendmachung einer Verletzung der Unschuldsvermutung nicht zu einer freien Überprüfung des Sachverhaltes durch das Bundesgericht (E. 4). |
Sachverhalt |
Am 2. Juni 1987 gewährte die S. Bank in Zug der J. Co. Ltd., mit Sitz in Hong Kong, ein Darlehen über 5 Mio. US$, rückzahlbar am 25. November 1987. Als Sicherheit stellte die R. AG in Vaduz, mit welcher die J. Co. Ltd. vor allem Geschäftsbeziehungen pflegte, einen Eigenwechsel über 6 Mio. US$ aus. Mit dem Darlehen sollte angeblich der Kauf von 300'000 Yard Kaschmir-Wollstoff finanziert werden. Dem Abschluss gingen verschiedene Gespräche und Korrespondenzen mit der S. Bank in Zug und London voraus, an welchen unter anderem I.M., welche die J. Co. Ltd. beherrschte, und einer der Verwaltungsräte und Direktoren dieser Gesellschaft beteiligt waren. Im Rahmen der Vertragsverhandlungen wurde der S. Bank auch der Jahresabschluss der J. Co. Ltd. per 31. Oktober 1986 samt Kontrollstellenbericht vorgelegt. Das darin festgehaltene Nettovermögen von 36 Mio. US$ entsprach nicht der wahren Sachlage. Die in Hong Kong ansässige Revisionsgesellschaft K. & Co. hatte am 2. Februar 1987 als Kontrollstelle der J. Co. Ltd. deren Jahresabschluss ohne Vorbehalt genehmigt. Zuvor hatte ihr W., Sitzleiter der N. Treuhand AG, welche als Kontrollstelle der R. AG fungierte, bestätigt, dass die aus den gegenseitigen Geschäftsbeziehungen J. Co. Ltd. - R. AG stammenden Forderungen in den Geschäftsbüchern der R. AG ausgewiesen seien. Die S. Bank ersuchte W. um weitere Auskünfte über die Bonität der R. AG, welche er jeweils wahrheitswidrig erteilte, so dass diese annahm, die J. Co. Ltd. habe eine finanzstarke Schuldnerin und deren Eigenwechsel sei gedeckt. Zudem veranlassten die Angaben von W. betreffend die zu finanzierende Handelsware (Eigenschaft, Versicherung, Aufbewahrung) die S. Bank zur Annahme, einen allfälligen Forderungsausfall durch den Verkauf derselben decken zu können. Das Darlehen der S. Bank wurde in der Folge nicht zurückbezahlt, der Eigenwechsel der R. AG war nicht gedeckt und über die Ausstellerin wurde am 8. Oktober 1988 auf eigenes Begehren der Konkurs eröffnet.
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Das Bezirksgericht Zürich erklärte W. mit Urteil vom 7. März 1996 der Gehilfenschaft zum Betrug schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von fünf Monaten (Probezeit zwei Jahre). Von der Anklage der mehrfachen Urkundenfälschung sprach es ihn frei. Eine vom Verurteilten hiegegen erhobene Berufung wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 14. Juli 1998 ab. Im Weiteren stellte es eine Verletzung des Beschleunigungsgebotes fest.
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W. führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
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Auszug aus den Erwägungen: |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 1 |
Erwägung 2 |
2.- a) Gemäss dem in Art. 32 Abs. 1 BV und in Art. 6 Ziff. 2 EMRK verankerten Grundsatz "in dubio pro reo" ist bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld zu vermuten, dass der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist. Als Beweislastregel bedeutet die Maxime, dass es Sache der Anklagebehörde ist, die Schuld des Angeklagten zu beweisen, und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist verletzt, wenn der Strafrichter einen Angeklagten (einzig) mit der Begründung verurteilt, er habe seine Unschuld nicht nachgewiesen. Ebenso ist die Maxime verletzt, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt, dass der Strafrichter von der falschen Meinung ausging, der Angeklagte habe seine Unschuld zu beweisen, und dass er ihn verurteilte, weil ihm dieser Beweis misslang. Ob der Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweislastregel verletzt ist, prüfte das Bundesgericht unter Geltung der alten Bundesverfassung mit freier Kognition (BGE 120 Ia 31 E. 2c und d). Es besteht kein Anlass, diese Praxis nach Inkrafttreten des neuen Art. 32 Abs. 1 BV zu überdenken. Als Beweiswürdigungsregel besagt die Maxime, dass sich der Strafrichter nicht von der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat. Inwiefern dieser Grundsatz verletzt ist, prüfte das Bundesgericht bisher unter dem Gesichtspunkt der Willkür, d.h. es griff nur ein, wenn der Sachrichter den Angeklagten verurteilte, obgleich bei objektiver Würdigung des Beweisergebnisses offensichtlich erhebliche bzw. schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an dessen Schuld fortbestanden (BGE 120 Ia 31 E. 2; 124 IV 86 E. 2a, je mit Hinweisen). Willkür in der Beweiswürdigung liegt vor, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen, auf einem offenkundigen Fehler beruhen oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen. Dabei genügt es nicht, wenn der angefochtene Entscheid sich nur in der Begründung als unhaltbar erweist; eine Aufhebung rechtfertigt sich erst, wenn er auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 124 IV 86 E. 2a). An diesem aus Art. 4 aBV abgeleiteten Willkürbegriff hat sich durch den am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen Art. 9 BV inhaltlich nichts geändert. Im Übrigen hatte das Bundesgericht das Willkürverbot - im Gegensatz etwa zum Legalitätsprinzip und dem Verhältnismässigkeitsprinzip - schon früher als eigenständiges Grundrecht verstanden (BGE 126 I 81 E. 5a). |
b) Was der Beschwerdeführer gegen die Kognition des Bundesgerichts bei der Beweiswürdigung vorbringt, ist nicht geeignet, die bisherige Rechtsprechung hiezu grundsätzlich in Frage zu stellen. Nicht nur galt diese Praxis schon vor dem Beitritt der Schweiz zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK; SR 0.101), sondern beschränken sich auch die Konventionsorgane gestützt auf Art. 6 Ziff. 2 EMRK jeweils nur auf die Prüfung, ob der Richter grobe oder willkürliche Schlussfolgerungen aus den ihm unterbreiteten Tatsachen gezogen hat (BGE 120 Ia 31 E. 2d mit Hinweis; HAEFLIGER/SCHÜRMANN, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, 2. Aufl., Bern 1999, S. 212). Entscheidend ist vor allem, dass die Revision der Bundesverfassung von 1874 in Bezug auf den Schutz des Bürgers vor staatlicher Willkür keine inhaltlichen Neuerungen gebracht hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 4 aBV, die als eine seiner bedeutendsten Leistungen anerkannt ist (vgl. schon PETER SALADIN, Das Verfassungsprinzip der Fairness, Die aus dem Gleichheitsprinzip abgeleiteten Verfassungsgrundsätze, in: Festgabe der schweizerischen Rechtsfakultäten zur Jahrhundertfeier des Bundesgerichts, Basel 1975, S. 41 ff.), umfasste die genannte Verfassungsbestimmung in einem weiten Sinn alle prozessualen Garantien eines rechtmässigen fairen Verfahrens. In der neuen Bundesverfassung sind diese Garantien in verschiedene Artikel eingeflossen (so etwa in Art. 8, 9, 29, 31 und 32 BV), ohne dass sich ihre Bedeutung dadurch grundsätzlich verändert hätte. Im Wesentlichen wurden die gestützt auf Art. 4 aBV, Art. 6 EMRK und Art. 14 UNO-Pakt II sowie die dazu ergangene Rechtsprechung in Kraft stehenden allgemeinen Verfahrensgarantien lediglich konkretisiert (Botschaft über eine neue Bundesverfassung vom 20. November 1996, BBl 1997 I 141 ff., S. 181 f.; Botschaft über die Inkraftsetzung der neuen Bundesverfassung, BBl 1999 VII 7937 f.; JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl., Bern 1999, S. 494). Weder Art. 9 BV noch Art. 32 Abs. 1 BV stellen daher neue "spezifische verfassungsmässige Rechte" dar, deren Einhaltung das Bundesgericht als Hüter der Verfassung frei überprüfen müsste, wie dies neuerdings teilweise gefordert wird (so etwa ESTHER TOPHINKE, Das Grundrecht der Unschuldsvermutung, Diss. Bern 2000, S. 348). |
Erwägung 3 |
b) Zudem soll es nach Auffassung des Beschwerdeführers nach § 430 Abs. 2 StPO/ZH genügen, in der Beschwerdeschrift lediglich den Nichtigkeitsgrund zu bezeichnen, ohne dass im Einzelnen darzulegen sei, weshalb die Beschwerde gutzuheissen sei. Werde die Verletzung der Unschuldsvermutung gerügt, sei es dem Kassationsgericht überlassen, die vorhandenen Fakten auf allfällige erhebliche Zweifel hin zu prüfen, die auf eine Unschuld hinweisen könnten. Weshalb die gegenteilige Praxis des Kassationsgerichts und dessen Rechtsauffassung, auf eine blosse appellatorische Kritik sei nicht einzutreten (vgl. hiezu vgl. DONATSCH/SCHMID, a.a.O., N. 32), zu einer formellen Rechtsverweigerung führen soll, legt der Beschwerdeführer indes nicht dar. |
Erwägung 4 |
4.- Die Rüge, das Bundesgericht habe die bisherige Praxis aufzugeben und die Beweiswürdigung im Rahmen der Unschuldsvermutung frei zu überprüfen, erweist sich nach dem Gesagten als unbegründet. Demzufolge genügt die Eingabe des Beschwerdeführers, mit welcher er den angefochtenen Entscheid auf weiter Strecke - aus seiner Sicht folgerichtig - rein appellatorisch kritisiert, den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung einer staatsrechtlichen Beschwerde nicht (Art. 90 Abs. 1 lit. b OG). Soweit er bei den einzelnen Beanstandungen des Beweisergebnisses vorrangig die Verletzung der Unschuldsvermutung geltend macht und die seiner Ansicht nach unhaltbare Würdigung des Sachverhaltes als darin eingeschlossen betrachtet, sind diese unter dem Vorbehalt der genügenden Begründung als reine Willkürrügen zu behandeln.
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