BGE 132 I 92 |
11. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung i.S. X. gegen Bezirksrichterin A., Y. und Obergericht des Kantons Zürich (Staatsrechtliche Beschwerde) |
1P.83/2006 vom 27. März 2006 |
Regeste |
Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde, Erschöpfung der kantonalen Rechtsmittel; Nichtigkeitsbeschwerde im Zürcher Zivilprozessrecht. |
Sachverhalt |
Die Ehe von X. und Y. wurde am 6. Juli 1989 geschieden. Mit Klage vom 3. Januar 2005 hat X. die Abänderung des Scheidungsur teils verlangt. Die für den Zivilprozess zuständige Einzelrichterin am Bezirksgericht Zürich ordnete auf Gesuch des Klägers die Durchführung des schriftlichen Verfahrens für Klagebegründung und Klageantwort an. Nach Eingang der Klageantwort beantragte der Kläger am 27. Oktober 2005 die Anordnung vorsorglicher Massnahmen. Das Begehren enthielt lediglich eine Kurzbegründung, die der Kläger mit Eingabe vom 24. November 2005 ergänzte. Im Rahmen dieser Eingabe lehnte der Kläger unter anderem die Richterin als befangen ab. |
Die Einzelrichterin am Bezirksgericht unterbreitete den Entscheid über das gegen sie gerichtete Ausstandsbegehren am 9. Dezember 2005 der Verwaltungskommission des Zürcher Obergerichts. Diese wies das Ausstandsbegehren mit Beschluss vom 6. Januar 2006 ab.
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Mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 8. Februar 2006 beantragt X., der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben. Er rügt eine Verletzung von Art. 8, 9, 29 Abs. 2 und Art. 30 Abs. 1 BV bzw. Art. 6 Ziff. 1 EMRK.
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Das Bundesgericht überweist die Eingabe dem Kassationsgericht des Kantons Zürich zur Behandlung.
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Aus den Erwägungen: |
Erwägung 1 |
Gemäss der angeführten Lehre und Praxis geht es beim Entscheid über den Ausstand, trotz der entsprechenden Wortwahl in § 101 des Gerichtsverfassungsgesetzes des Kantons Zürich vom 13. Juni 1976 (GVG/ZH; LS 211.1), nicht um einen Entscheid einer Aufsichtsbehörde im Sinne von § 284 Ziff. 2 der Zürcher Zivilprozessordnung vom 13. Juni 1976 (ZPO/ZH; LS 271). Vielmehr handelt es sich dabei um einen prozessleitenden Entscheid im Sinne von § 282 ZPO/ZH, der selbständig mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden kann. Im Übrigen bestimmt § 285 Abs. 2 ZPO/ZH, im Verhältnis zum Weiterzug an das Bundesgericht, dass die Nichtigkeitsbeschwerde stets zulässig ist, wenn eine Verletzung von Art. 8, 9, 29 oder 30 BV bzw. Art. 6 EMRK geltend gemacht wird. |
Die Ablehnungsbegehren wurden hier im Rahmen des Gesuchs um vorsorgliche Massnahmen in einem Zivilprozess gestellt. Nach § 284 Ziff. 7 ZPO/ZH in der Fassung vom 27. Januar 2003 sind Nichtigkeitsbeschwerden gegen Rekursentscheide betreffend vorsorgliche Massnahmen ausgeschlossen. Diese Ausschlussbestimmung ist vorliegend offensichtlich nicht betroffen, handelt es sich doch beim angefochtenen Beschluss nicht um einen Rekursentscheid über vorsorgliche Massnahmen. Im Übrigen sind die Ablehnungsbegehren nicht nur im Hinblick auf den - ausstehenden - Entscheid über die vorsorglichen Massnahmen, sondern für den gesamten hängigen Zivilprozess vor Bezirksgericht gestellt worden.
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1.5 Das Bundesgericht verzichtet in konstanter Praxis auf das Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges, wenn an der Zulässigkeit eines Rechtsmittels ernsthafte Zweifel bestehen (BGE 125 I 394 E. 3 S. 396, BGE 125 I 412 E. 1c S. 416, je mit Hinweisen). Solche Zweifel sind hier angesichts der dargelegten kantonalen Verfahrensbestimmungen und der Praxis des Kassationsgerichts an sich nicht angebracht (E. 1.4).
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1.5.1 Bei FRANK/STRÄULI/MESSMER, a.a.O., Rz. 3 zu § 284 ZPO/ZH, wird unter Hinweis auf BGE 69 I 15 die Meinung vertreten, Rekusationsentscheide seien ohne Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs mit staatsrechtlicher Beschwerde anfechtbar. Diese Auffassung ist seit der OG-Revision vom 4. Oktober 1991 überholt; Beschwerden wegen Verletzung der Garantie des verfassungsmässigen Richters (Art. 58 aBV bzw. Art. 30 Abs. 1 BV) fallen seit dieser am 15. Februar 1992 in Kraft getretenen Gesetzesrevision nicht mehr unter die Ausnahmen vom Erfordernis eines letztinstanzlichen kantonalen Entscheides. Ergänzend ist Art. 87 OG in der Revision vom 8. Oktober 1999 dahingehend geändert worden, dass gegen selbstständige Vor- und Zwischenentscheide über Ausstandsbegehren die staatsrechtliche Beschwerde zulässig ist (Abs. 1). Dafür können diese Entscheide später nicht mehr angefochten werden (vgl. BGE 126 I 203 E. 1b S. 206). Die Rechtslage auf Bundesebene im Hinblick auf den Grundsatz der relativen Subsidiarität der staatsrechtlichen Beschwerde unterliegt damit keinem Zweifel. |
1.5.3 Eine bundesgerichtliche Praxis ist zu ändern, wenn sich erweist, dass das Recht bisher unrichtig angewendet worden ist oder eine andere Rechtsanwendung dem Sinne des Gesetzes oder veränderten Verhältnissen besser entspricht (BGE 126 I 122 E. 5 S. 129 mit Hinweisen). Vertrauensschutz kann demgegenüber nicht geltend gemacht werden, ausser es seien Rechtsmittelfristen oder Formvorschriften für die Einlegung eines Rechtsmittels betroffen; vielmehr ist die neue Praxis - ohne Vorankündigung - sofort anwendbar, wenn die Zulässigkeit des Rechtsmittels als solche zur Diskussion steht (BGE 122 I 57 E. 3c/bb S. 60). So ist das Bundesgericht in einem Waadtländer Fall auf eine staatsrechtliche Beschwerde wegen fehlender Erschöpfung des kantonalen Instanzenzugs nicht eingetreten, obwohl es in der früheren Rechtsprechung noch an der Zulässigkeit desselben kantonalen Rechtsmittels gezweifelt hatte. Dabei war massgebend, dass das zuständige kantonale Gericht eine Praxisänderung vollzogen und veröffentlicht hatte, wonach das fragliche kantonale Rechtsmittel nun gegeben war (BGE 126 I 257 E. 1b S. 259). Hier ist nach der angeführten Lehre und Rechtsprechung davon auszugehen, dass das Kassationsgericht die Nichtigkeitsbeschwerde in langjähriger, auch in neuerer Zeit bestätigter Praxis in Fällen zugelassen hat, die mit der vorliegenden Konstellation vergleichbar sind (E. 1.4). Umso mehr muss eine entsprechende Anpassung der Eintretenspraxis des Bundesgerichts sofort wirksam werden. |
Der Kontroverse zum richtigen Verständnis von § 188 GVG/ZH kann hier jedoch keine entscheidende Bedeutung zukommen. Der angefochtene Beschluss wurde am 6. Januar 2006 gefällt. Seit 1. Januar 2006 steht die neue Zürcher Kantonsverfassung vom 27. Februar 2005 in Kraft (KV/ZH; LS 101). In Art. 18 Abs. 2 KV/ZH ist unter anderem ein Anspruch auf Rechtsmittelbelehrung verankert; dieses Grundrecht ist nicht der Übergangsbestimmung von Art. 138 KV/ZH unterstellt.
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Der in Art. 18 Abs. 2 KV/ZH verankerte Anspruch hat zur Folge, dass dem Beschwerdeführer aus der Unterlassung der Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil erwachsen darf (vgl. Art. 107 Abs. 3 OG; diese Bestimmung gilt analog auch für die staatsrechtliche Beschwerde [BGE 124 I 255 E. 1a/aa S. 258 mit Hinweisen]). Die Beschwerde ist daher dem Kassationsgericht zur Behandlung zu überweisen (vgl. BGE 125 I 313 E. 5 S. 320). Da der vom Kassationsgericht zu treffende Entscheid an das Bundesgericht weitergezogen werden kann, ist ein Meinungsaustausch über die Zuständigkeitsfrage nicht erforderlich (vgl. BGE 123 II 145 E. 3 S. 152).
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