BGHSt 41, 247 - Rechtsbeugung in der DDR | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Brian Valerius | |||
Zur Rechtsbeugung von Richtern und Staatsanwälten der DDR bei Anwendung "politischen Strafrechts" (im Anschluß an BGHSt 40, 30; 40, 169; 40, 272; BGH, Urteil vom 5. Juli 1995 - 3 StR 605/94 -). |
StGB § 336 |
5. Strafsenat |
Urteil |
vom 15. September 1995 g.A. |
- 5 StR 713/94 - |
Landgericht Berlin |
Aus den Gründen: | |
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Rechtsbeugung in zehn Fällen, jeweils in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren - als Hauptstrafe (§ 64 Abs. 1 StGB-DDR) - verurteilt.
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A. | |
Die 1932 geborene Angeklagte studierte bis 1957 in der DDR Rechtswissenschaft. Danach war sie als Staatsanwältin tätig, seit 1974 in der Abteilung I a des Generalstaatsanwalts von Berlin, zuletzt beim Stadtbezirksgericht Berlin-Marzahn. Seit Mai 1990 ist sie Rentnerin.
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Gegenstand des Verfahrens ist die Tätigkeit der Angeklagten in Strafverfahren in den Jahren 1976 bis 1985 als Vertreterin der Anklagebehörde in der Abteilung I a des Generalstaatsanwalts von Berlin. Hier war die Angeklagte mit der Verfolgung von "Staatsverbrechen" sowie von "Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung" (§§ 212 - 224 StGB-DDR) befaßt.
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In zehn Fällen hat das Landgericht das Vorgehen der Angeklagten als Rechtsbeugung gewertet und sie angesichts der Inhaftierung der Betroffenen jeweils auch wegen tateinheitlicher Freiheitsberaubung verurteilt.
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B. | |
Für die sachlichrechtliche Beurteilung von Fällen der vorliegenden Art gilt allgemein folgendes:
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I. | |
Richter oder Staatsanwälte der DDR können in der Bundesrepublik Deutschland wegen Rechtsbeugung verfolgt werden (vgl. BGHSt 40, 30; 40, 169; 40, 272; 41, 157).
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1. Sowohl § 244 StGB-DDR als auch § 336 StGB dienen dem Schutz des überindividuellen Rechtsguts der innerstaatlichen Rechtspflege, so daß trotz der tiefgreifenden Unterschiede zwischen der Justiz der DDR und der Justiz der Bundesrepublik Deutschland zwischen beiden Tatbeständen der Rechtsbeugung die von Art. 315 EGStGB und § 2 StGB vorausgesetzte Unrechtskontinuität besteht. Dabei kommt ein Schuldspruch wegen Rechtsbeugung gegen einen Richter oder Staatsanwalt der DDR nur in Betracht, wenn er die im Verhältnis zu § 336 StGB engeren Voraussetzungen des subjektiven Tatbestandes des § 244 StGB-DDR erfüllt hat (§ 2 Abs. 3 StGB).
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2. Verfolgungsverjährung ist insgesamt nicht eingetreten. Die Verjährung hat mit Rücksicht auf ein in der Staatspraxis der DDR wurzelndes quasigesetzliches Verfolgungshindernis geruht (vgl. BGHSt 40, 48, 55 ff.; 40, 113, 115 ff.; BGH, Urt. vom 26. April 1995 - 3 StR 93/95). Die Verfolgung der Taten ist auch nicht durch in der DDR erlassene Amnestien ausgeschlossen (vgl. BGHSt 39, 353, 358 ff., 360; BGH NJW 1994, 3238, 3239 - insoweit nicht in BGHSt 40, 169 abgedruckt).
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a) Nicht jede Entscheidung der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren stellt eine "Entscheidung einer Rechtssache" im Sinne des § 336 StGB dar. In einer Rechtssache entscheidet nur, wer wie ein Richter in einem rechtlich vollständig geregelten Verfahren zu entscheiden hat und dabei einen gewissen Grad sachlicher Unabhängigkeit genießt (BGHSt 40, 169, 177 m.w.N.). Diese Voraussetzungen hat der Bundesgerichtshof für staatsanwaltschaftliche Einstellungsverfügungen bejaht. Für Anklageerhebungen (§ 170 Abs. 1 StPO, § 154 StPO-DDR) kann nichts anderes gelten (so auch Kammergericht, Beschl. vom 10. April 1995 - 5 Ws 111/94). Auch in diesem Fall wird ein gesetzlich geregeltes Verfahren, das Ermittlungsverfahren, durch eine - von einer gerichtlichen Entscheidung unabhängige - Abschlußverfügung seinem Ende zugeführt und in das gerichtliche Verfahren (§§ 199 ff. StPO, §§ 156 ff. StPO-DDR) übergeleitet. Der Prüfungsmaßstab ("genügender Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage" bzw. "hinreichender Tatverdacht") ist derselbe (§ 170 Abs. 1, § 203 StPO; § 154, § 187 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3, § 193 StPO-DDR). Dabei kommt der Anklage eine entscheidende Bedeutung zu. Sie bewirkt die weitere Zuständigkeit des Gerichts für die Beurteilung der Tat des Beschuldigten und ist damit Voraussetzung für eine mögliche spätere justizförmige Verurteilung. Dadurch greift die Anklage auch mit unmittelbarer Außenwirkung in die Rechtsstellung des Beschuldigten ein und verbringt ihn in ein möglicher Bestrafung näheres Stadium.
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b) Auch vor (Einstellung oder) Anklageerhebung kommt im Ermittlungsverfahren täterschaftliche Rechtsbeugung durch einen Staatsanwalt in Frage. Hier kann sich der Staatsanwalt anläßlich einer Entscheidung "bei der Durchführung eines Ermittlungsverfahrens" (§ 244 StGB-DDR) bzw. "bei der Leitung einer Rechtssache" (§ 336 StGB) wegen Rechtsbeugung strafbar machen. Dies kommt für den Antrag auf Erlaß eines Haftbefehls in Betracht. Hinsichtlich der Haftfrage kommt die Stellung des Staatsanwalts als "Herr des Ermittlungsverfahrens" im Strafverfahrensrecht sowohl der Bundesrepublik Deutschland als auch der DDR besonders deutlich zum Ausdruck. Im Ermittlungsverfahren erfolgt die Verhaftung eines Beschuldigten "auf Antrag des Staatsanwalts" (§ 128 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 124 StPO-DDR). Ein Haftbefehl ist aufzuheben, wenn die Staatsanwaltschaft es vor Anklageerhebung beantragt; eine Entlassungsanordnung kann bereits durch den Staatsanwalt ergehen (§ 120 Abs. 3 StPO, § 133 StPO-DDR).
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c) Ob und in welchem Umfang Handlungen eines Staatsanwalts zwischen Erhebung der öffentlichen Klage und Aburteilung noch als täterschaftliche Rechtsbeugung angesehen werden können, braucht der Senat aus Anlaß des vorliegenden Falles nicht abschließend zu entscheiden. Hier wird nur eine Strafbarkeit wegen Teilnahme im Blick darauf in Betracht kommen, daß die Herrschaft über das weitere Verfahren mit Anklageerhebung auf das Gericht übergegangen ist. Insbesondere gilt solches für die Mitwirkung des Staatsanwalts als Sitzungsvertreter in der Hauptverhandlung.
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d) Soweit der Staatsanwalt als Herr des Ermittlungsverfahrens zugleich mit einer Rechtsbeugung (§ 336 StGB, § 244 StGB-DDR) verantwortlich für eine Inhaftierung des Beschuldigten ist, kommt tateinheitliche Freiheitsberaubung (§ 239 StGB, § 131 StGB-DDR) in Betracht. Liegt die Rechtsbeugung im Maß der vom Staatsanwalt in der Hauptverhandlung beantragten Freiheitsstrafe, wird der mitwirkende Staatsanwalt insoweit wegen tateinheitlicher (Anstiftung oder) Beihilfe zur Rechtsbeugung und zur Freiheitsberaubung zu verurteilen sein.
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e) Mehrfache Rechtsbeugungshandlungen eines Staatsanwalts in demselben Strafverfahren mit identischer Zielrichtung (zugunsten oder) zuungunsten desselben Beschuldigten - oder auch mehrerer zusammenhängend Beschuldigter - bilden regelmäßig eine einheitliche Tat (vgl. BGHSt 40, 169, 188).
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Die einheitliche Rechtsbeugung verbindet insoweit regelmäßig auch Freiheitsberaubungen zum Nachteil mehrerer im selben Strafverfahren Verfolgter zu einer einheitlichen Tat.
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II. | |
Zum Maßstab der Beurteilung gelten die folgenden Grundsätze.
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1. Der Bundesgerichtshof hat bereits in früheren Entscheidungen unabhängig von der Problematik strafrechtlicher Bewertung der Rechtsprechung in einem totalitären System hervorgehoben, daß nicht jede unrichtige Rechtsanwendung eine Beugung des Rechts darstellt (BGHSt 32, 357, 363 f.; 34, 146, 149; 38, 381, 383). Diese im Begriff der Rechtsbeugung angelegte Einschränkung des Tatbestandes hat sich auch bei der Beurteilung von Richtern und Staatsanwälten der DDR-Justiz ausgewirkt (vgl. BGHSt 40, 30, 40; 40, 169, 178). Nur der Rechtsbruch als elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege soll unter Strafe gestellt sein. Rechtsbeugung begeht daher nur der Amtsträger, der sich bewußt in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt (vgl. zuletzt BGHSt 40, 272, 283).
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An dieser Einschränkung des Rechtsbeugungstatbestandes ist festzuhalten (vgl. dagegen Seebode JR 1994, 1; Spendel JR 1994, 221, 222 f.; ders. JR 1995, 214, 215 f.; Schulz StV 1995, 206, 208 f.). Einen Maßstab, der auf die (bloße) Unvertretbarkeit von Entscheidungen abstellte, lehnt der Senat ab. Im Vordergrund stehen dabei weniger der Schutz richterlicher Unabhängigkeit oder das Bedürfnis, Sachverhalte auszugrenzen, die mit dem Verbrechensverdikt des § 336 StGB überbewertet wären. Ausschlaggebend ist vielmehr, daß im Interesse der Rechtssicherheit eine neuerliche Überprüfung von Rechtsprechungsakten durch die Staatsanwaltschaft - und gegebenenfalls auch das Gericht - im Rahmen von Strafverfahren wegen des Vorwurfs der Rechtsbeugung von hohen Schranken abhängig sein muß, da sich aus Schranken im eigentlichen subjektiven Tatbestand mit Blick auf die eigene besondere Rechtskundigkeit der so Beschuldigten kaum taugliche Grenzen ableiten lassen (vgl. Rautenberg NJ 1994, 88, 89). Vor dem Hintergrund, daß die Annahme von Unvertretbarkeit bei der gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen nicht etwa auf extreme Ausnahmefälle beschränkt ist - beispielsweise bei revisionsgerichtlicher Überprüfung von Strafaussprüchen (vgl. BGHSt 40, 272, 283; dazu Spendel JR 1995, 214, 216) und bei Annahme "objektiver Willkür" im Verfassungsbeschwerdeverfahren -, sind gesteigerte Anforderungen an den Rechtsbeugungstatbestand ein notwendiges Korrektiv gegen die andernfalls drohende Konsequenz, Gerichtsentscheidungen allzu häufig nochmals wegen des Vorwurfs der Rechtsbeugung erneuter Sachprüfung durch die Justiz zu unterstellen.
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2. Die Beantwortung der Frage, wann sich ein Richter oder Staatsanwalt der DDR in strafbarer Weise von Recht und Gesetz entfernt hat, ist durch den infolge der Vereinigung Deutschlands eingetretenen Systemwechsel in mannigfaltiger Weise erschwert.
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Dabei steht die Rechtsprechung zum Teil vor ähnlichen Rechtsproblemen, wie sie sich auch bei der Verfolgung nationalsozialistischen Justizunrechts gestellt haben.
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a) Freilich kann das staatlich verübte Unrecht in der DDR mit Rücksicht auf die unterschiedliche Dimension nicht mit dem im nationalsozialistischen Regime begangenen gleichgesetzt werden (vgl. - in anderem Zusammenhang - BGHSt 40, 113, 117). Gleichwohl sind auch in den Fällen der hier zu beurteilenden politisch motivierten Strafverfolgung Menschen auf vielfältige Weise - namentlich durch gravierende Eingriffe in ihre persönliche Freiheit mit schwer oder gar nicht wiedergutzumachenden Folgeschäden - zu Opfern einer rechtsstaatswidrigen Strafjustiz (vgl. Art. 17 Satz 2 Einigungsvertrag) geworden. Dabei kamen Gesetze zum Tragen, die schon für sich, erst recht aber in ihrer konkreten Anwendung mit rechtsstaatlichen Anforderungen unvereinbar und nicht an der Wahrung von Menschenrechten ausgerichtet waren. Auf solches Unrecht muß ein der Idee der Gerechtigkeit verpflichteter Rechtsstaat in angemessener Weise reagieren.
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b) Das Fehlschlagen der Verfolgung nationalsozialistischen Justizunrechts (vgl. BGHSt 40, 30, 40) darf auf der anderen Seite nicht dazu führen, daß Justizangehörige der DDR ohne Rücksicht auf ihre individuelle Schuld und unter Hintanstellung rechtsstaatlicher Gebote für ihre dienstliche Tätigkeit zur Rechenschaft gezogen werden. Dabei verdient es Beachtung, daß die Richter und Staatsanwälte, die das seiner selbst unsichere und mit ausufernder Kriminalisierung weiter Bevölkerungskreise reagierende System gestützt haben, ihrerseits durch dieses System vorgeprägt waren, und zwar vielfach grundlegend stärker als Richter während der nationalsozialistischen Diktatur. Die im hiesigen Tatzeitraum in der DDR tätige Juristengeneration hatte im wesentlichen nichts anderes als den Sozialismus, wie ihn die DDR verstand, und seine "Gesetzlichkeit" kennengelernt. Rechtsstaatliches Denken und die Achtung individueller Menschenrechte sind ihnen weitgehend nicht vermittelt worden.
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3. Der Bundesgerichtshof hat folgende Leitlinien zur Strafbarkeit von Unrechtsakten der DDR-Justiz entwickelt:
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a) In seinem Urteil vom 13. Dezember 1993 (BGHSt 40, 30) hat der Senat - anhand eines Arbeitsrechtsfalles - die für die Behandlung von DDR-Justizunrecht geltenden Grundsätze erstmals entwickelt. Er hat sie in seinem Urteil vom 9. Mai 1994 (BGHSt 40, 169) bekräftigt und auf die Beurteilung von Rechtsbeugungen durch DDR-Staatsanwälte erstreckt. Im Einklang mit diesen Grundsätzen steht auch das Urteil des 3. Strafsenats vom 5. Juli 1995 (BGHSt 41, 157) zur Behandlung fristlos entlassener Ausreiseantragsteller durch DDR-Arbeitsrichter.
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Zum Prüfungsmaßstab muß gelten, daß schon bei der Prüfung des objektiven Tatbestandes der Rechtsbeugung, im übrigen im Hinblick auf die innere Tatseite, zu berücksichtigen ist, daß es um die Beurteilung von Handlungen geht, die in einem anderen Rechtssystem vorgenommen worden sind; die besonderen Züge dieses Rechtssystems müssen bei der Prüfung der Frage, ob die Handlung "gesetzwidrig" im Sinne des § 244 StGB-DDR gewesen ist, beachtet werden (BGHSt 40, 30, 40 f.). Dieser Maßstab ist an Beschränkungen orientiert, die sich aus Grundprinzipien des Schuldstrafrechts ergeben, entspricht der Struktur des Rechtsbeugungstatbestandes und trägt insbesondere dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes Rechnung, der im Rechtsstaatsprinzip, speziell auch in Art. 103 Abs. 2 GG, verankert ist (vgl. BGHSt 41, 157; s. auch BVerfG NJW 1995, 1811, 1813). Eine Bestrafung von Richtern der DDR wegen Rechtsbeugung ist danach, abgesehen von Einzelexzessen, auf Fälle zu beschränken, in denen die Rechtswidrigkeit der Entscheidung so offensichtlich war und in denen insbesondere die Rechte anderer, hauptsächlich ihre Menschenrechte, derart schwerwiegend verletzt worden sind, daß sich die Entscheidung als Willkürakt darstellt (BGHSt 40, 30, 41).
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Namentlich drei Fallgruppen hat der Senat im Urteil vom 13. Dezember 1993 (BGHSt 40, 30) - damals nicht tragend - als mögliche Rechtsbeugungstatbestände aufgezeigt: Fälle, in denen Straftatbestände unter Überschreitung des Gesetzeswortlauts oder unter Ausnutzung ihrer Unbestimmtheit bei der Anwendung derart überdehnt worden sind, daß eine Bestrafung, zumal mit Freiheitsstrafe, als offensichtliches Unrecht anzusehen ist; ferner Fälle, in denen die verhängte Strafe in einem unerträglichen Mißverhältnis zu der abgeurteilten Handlung gestanden hat, so daß die Strafe, auch im Widerspruch zu Vorschriften des DDR-Strafrechts (Art. 4, Art. 5 Satz 3, § 61 Abs. 1 und 2 StGB-DDR), als grob ungerecht und schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte erscheinen muß; des weiteren schwere Menschenrechtsverletzungen durch die Art und Weise der Durchführung von Verfahren, namentlich Strafverfahren, in denen die Strafverfolgung und die Bestrafung überhaupt nicht der Verwirklichung von Gerechtigkeit (Art. 86 der DDR-Verfassung), sondern der Ausschaltung des politischen Gegners oder einer bestimmten sozialen Gruppe gedient haben (BGHSt 40, 30, 42 f.).
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b) An diesen Grundsätzen ist vom 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 6. Oktober 1994 (BGHSt 40, 272) auch ein Fall der Anwendung "politischen Strafrechts" durch Richter und Staatsanwälte der DDR gemessen worden. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in dieser - die Anwendung des § 214 StGB-DDR betreffenden - Entscheidung ausgesprochen, daß weder in der Ausreisegesetzgebung der DDR als solcher noch in der Pönalisierung öffentlicher Kritik an jener Gesetzgebung für sich genommen bereits eine offensichtliche schwere Menschenrechtsverletzung zu erblicken sei (BGHSt 40, 272, 278). Folglich konnte die bloße Anwendung dieser Bestimmungen den Vorwurf der Rechtsbeugung in dem vom 4. Strafsenat entschiedenen Fall noch nicht begründen.
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c) Auch der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs geht in seinem Urteil vom 29. April 1994 (BGHSt 40, 125) im Zusammenhang mit der möglichen Bestrafung wegen der Anzeige einer geplanten "Republikflucht" davon aus, daß die Anwendung der gegen die Ausreisefreiheit gerichteten Strafvorschrift des § 213 StGB-DDR durch das DDR-Gericht für sich genommen noch keine Rechtsbeugung darstellt. Eine auf jenen Tatbestand gestützte Verurteilung ist zwar regelmäßig rechtsstaatswidrig; eine Bestrafung der für eine deshalb erfolgte Inhaftierung Verantwortlichen kommt indes nach den Gründen dieser Entscheidung nur in Betracht, wenn eine noch darüber hinausgehende offensichtliche schwere Menschenrechtsverletzung vorliegt (BGHSt 40, 125, 133 und 136). Gleiche Erwägungen liegen dem Beschluß des erkennenden Senats in NStZ 1995, 288 zugrunde. In demselben Sinne verhält sich der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in seinem Urteil vom 11. Oktober 1994 (zum Abdruck in BGHZ bestimmt = NJW 1995, 256).
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d) Bei alledem billigt die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - in Anlehnung an Radbruch (SJZ 1946, 105, 108) - die als notwendige Konsequenz aus der speziellen Regelung für eine eingeschränkte strafrechtliche Verantwortung von Richtern hergeleitete "Sperrwirkung" des Rechtsbeugungstatbestandes (BGHSt 10, 294; 32, 357, 364) auch den Richtern und Staatsanwälten der DDR zu. Zwar kommt einer solchen Auslegung bei § 336 StGB auch die Funktion eines Schutzes für die Unabhängigkeit der Rechtspflege zu. Dies führt aber nicht dazu, sie für § 244 StGB-DDR im Blick auf das andersartige Justizsystem der DDR zu verwerfen. Denn sie ist unabhängig von mit der Regelung geschützten und schützenswerten Rechtsgütern vornehmlich als Folge einer Spezialregelung systematisch geboten (vgl. Schroeder GA 1993, 389, 394 f.; Letzgus in FS für Helmrich S. 73, 86 f.).
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4. An der restriktiven und im Ausgangspunkt an der geschriebenen Rechtsordnung der DDR orientierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hält der Senat auch für den besonders sensiblen Bereich des "politischen Strafrechts" fest.
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a) Der Senat verkennt hierbei nicht, daß insbesondere die politisch motivierte Strafjustiz und ihre menschenrechtsverachtende Praxis ein wesentlicher Teil des auf Aufrechterhaltung des totalitären Systems gerichteten Regimes waren. Rechtsstaatlichen Anforderungen genügte diese Justiz in keiner Weise, wie der Senat bereits dargelegt hat (vgl. BGHSt 40, 30, 35 ff.; 40, 169, 174 f. m.N.).
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Die Mitwirkung an rechtsstaats- und menschenrechtswidrigen Maßnahmen, denen die Opfer der DDR-Justiz ausgesetzt waren, fordert insbesondere auch jenseits strafrechtlicher Verfolgung Konsequenzen gegenüber den dafür verantwortlichen Richtern und Staatsanwälten der DDR, etwa die kritische Prüfung, inwieweit solche Juristen für den Beruf eines Rechtsanwalts als unwürdig erscheinen (vgl. § 7 Nr. 5 BRAO, § 7 Nr. 2 RAG-DDR; dazu BGH NJ 1995, 332). Daß sie keine Verwendung als Richter oder Staatsanwalt mehr finden können, wird sich regelmäßig von selbst verstehen.
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b) Auf der anderen Seite ist es unerläßlich, die strafrechtliche Bewertung der Tätigkeit von DDR-Justizangehörigen unter strikter Beachtung rechtsstaatlicher Prinzipien vorzunehmen, die für das Strafrecht entwickelt worden sind und seiner Anwendung Grenzen setzen. Nicht jede rechtsstaatswidrige oder mit Grundsätzen des Menschenrechtsschutzes als unvereinbar zu wertende Entscheidung von Richtern oder Staatsanwälten, die auf der Grundlage des DDR-Rechts erging, kann nachträglich als eine Beugung des Rechts aufgefaßt werden. Das rechtsstaatlich verankerte Prinzip des Vertrauensschutzes verlangt grundsätzlich, auch im Blick auf Art. 103 Abs. 2 GG, das geschriebene DDR-Recht bei der Prüfung der Gesetzwidrigkeit einer Entscheidung im Sinne des § 244 StGB-DDR als wirksam zu betrachten, soweit es um die Strafbarkeit des Amtsträgers geht, der sein Handeln von diesem DDR-Recht gedeckt sehen konnte. Aus demselben Grund darf das geschriebene Recht der DDR nicht nach einer am Grundgesetz orientierten Auslegung interpretiert und damit das Handeln eines Täters an ihm fremden Maßstäben, nämlich denen eines Rechtsstaats und seiner Wertordnung, gemessen werden (vgl. BGHSt 41, 157).
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aa) Zur Unbeachtlichkeit geschriebenen Rechts hat sich der Senat in seinem Urteil vom 3. November 1992 (BGHSt 39, 1, 15 ff.) im Zusammenhang mit der Beurteilung vorsätzlicher Tötungshandlungen an der innerdeutschen Grenze geäußert; er hat seine Auffassung im Urteil vom 20. März 1995 (BGHSt 41, 101) abschließend bekräftigt; danach gilt:
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Fälle, in denen ein zur Tatzeit angenommener Rechtfertigungsgrund als unbeachtlich anzusehen ist, müssen mit Rücksicht auf die hohe Bedeutung der Rechtssicherheit auf extreme Ausnahmen beschränkt bleiben. Ein zur Tatzeit angenommener Rechtfertigungsgrund kann nur dann wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unbeachtet bleiben, wenn in ihm ein offensichtlich grober Verstoß gegen Grundgedanken der Gerechtigkeit und Menschlichkeit zum Ausdruck kommt; der Verstoß muß so schwer wiegen, daß er die allen Völkern gemeinsamen, auf Wert und Würde des Menschen bezogenen Rechtsüberzeugungen verletzt. Der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit muß so unerträglich sein, daß das Gesetz als unrichtiges Recht der Gerechtigkeit zu weichen hat. Bei der Beurteilung von Taten, die in staatlichem Auftrag begangen worden sind, ist darauf zu achten, ob der Staat die äußerste Grenze überschritten hat, die ihm nach allgemeiner Überzeugung in jedem Land gesetzt ist.
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Diese äußerste Grenze hat der Senat bei den staatlich verfügten Tötungshandlungen an der Berliner Mauer als überschritten angesehen. In nunmehr ständiger Rechtsprechung (zuletzt NStZ 1995, 401) hat er ausgesprochen, daß ein Rechtfertigungsgrund, der einer Durchsetzung des Verbots, die DDR zu verlassen, Vorrang vor dem Lebensrecht von Menschen gab, indem er die vorsätzliche Tötung unbewaffneter Flüchtlinge gestattete, wegen offensichtlichen, unerträglichen Verstoßes gegen elementare Gebote der Gerechtigkeit und gegen völkerrechtlich geschützte Menschenrechte unwirksam ist.
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bb) Einen solchen schlechthin unerträglichen Verstoß gegen elementare Gebote der Gerechtigkeit und gegen die Menschenrechte, mithin gegen den "Kernbereich des Rechts" (vgl. BGHSt 40, 272, 276 f.), vermag der Senat in den Vorschriften des politisch motivierten Strafrechts der DDR nicht zu erblicken. Die Anwendung dieser Strafvorschriften durch Richter und Staatsanwälte der DDR begründet deshalb für sich allein noch nicht den Vorwurf einer gesetzwidrigen Entscheidung zuungunsten eines Beteiligten.
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(1) Allerdings kann es keinen Zweifel an der Rechtsstaatswidrigkeit der Heranziehung der einschlägigen Strafbestimmungen in Fällen der vorliegenden Art geben (vgl. auch § 1 Abs. 1 Nr. 1 StrRehaG). Die jeweiligen Strafvorschriften führten, namentlich wenn sie zur Verurteilung zu Freiheitsstrafen herangezogen wurden, zu schweren Eingriffen in die persönliche Freiheit. Wie die hier zu beurteilenden Sachverhalte erweisen, wurden sie insbesondere im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Verfolgung von Menschen angewandt, die von Ausreisefreiheit und Meinungsfreiheit, auch Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Gebrauch machen wollten.
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Die Ausreisefreiheit, gegen die sich namentlich der Straftatbestand des ungesetzlichen Grenzübertritts (§ 213 StGB-DDR) richtete, ist in völkerrechtlichen Konventionen und Abkommen, etwa in Art. 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 und in Art. 12 IPbürgR, als Menschenrecht anerkannt. Dieses Recht darf zwar gesetzlichen Einschränkungen unterworfen werden, diese müssen aber Ausnahmecharakter haben, und sie dürfen keinesfalls die Substanz des Rechts zerstören. Die einengende Handhabung dieses Rechts durch die Gesetze und die Behörden der DDR, die einen Ausreiseanspruch nur in eng begrenzten Ausnahmefällen anerkannten, entsprach nicht dem Geist jener auch von der DDR anerkannten völkerrechtlichen Abkommen (hierzu eingehend BGHSt 39, 1, 16 ff.; 40, 272, 278).
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Die Meinungsfreiheit stellt ein völkerrechtlich anerkanntes, in Art. 19 IPbürgR unter Schutz gestelltes, auch in der Verfassung der DDR in Art. 27 bezeichnetes Menschenrecht dar. Sie gilt zwar nicht schrankenlos, sondern steht auch nach völkerrechtlichen Übereinkünften unter einem weitreichenden Gesetzesvorbehalt. Die Bestrafung einer - auch provokativen - Kritik an der menschenrechtswidrigen Ausreiseregelung wird man jedoch nach rechtsstaatlichen Grundsätzen als unzulässig anzusehen haben (vgl. BGHSt 40, 272, 278). Dasselbe muß für Versammlungen von Menschen gelten, die derartige berechtigte Kritik gemeinsam zum Ausdruck bringen wollten (vgl. auch Art. 28 DDR-Verfassung), sowie für Vereinigungen, welche der effektiven Durchsetzung gemeinsamer Bestrebungen nach mehr Ausreisefreiheit dienen sollten (vgl. Art. 29 DDR-Verfassung).
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(2) Die Unvereinbarkeit der Bestimmungen im politischen Strafrecht der DDR mit Menschenrechten, insbesondere die damit verbundene, rechtsstaatlichen Anforderungen zuwiderlaufende Einschränkung von Ausreisefreiheit, Meinungsfreiheit sowie Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, geht indes nicht so weit, daß sie jenes Maß der Unerträglichkeit erreichte, das im Sinne von Radbruchs Konzept zur Annahme der Unverbindlichkeit gesetzten Rechts führt. Solches muß wegen des hohen Wertes der Rechtssicherheit auf extreme Ausnahmefälle beschränkt bleiben (zuletzt BGHSt 41, 157).
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Im Einklang mit dem 4. Strafsenat (BGHSt 40, 272, 278) sieht der Senat weder in der Ausreisegesetzgebung der DDR als solcher, einschließlich der zugehörigen Strafvorschriften, noch in einer Pönalisierung öffentlicher Kritik an dieser Gesetzgebung eine offensichtliche schwere Menschenrechtsverletzung, deren Anwendung zu einer Strafbarkeit wegen Rechtsbeugung führt. Unbeschadet der völkerrechtlichen Verankerung der von der DDR insoweit verletzten Menschenrechte und ungeachtet des Gewichts möglicher Eingriffe in die persönliche Freiheit (vgl. Art 9 IPbürgR, Art. 30 DDR-Verfassung) durch die Verhängung und Vollstreckung von Freiheitsstrafen wegen entsprechender Zuwiderhandlungen kommt den betroffenen Rechtspositionen nicht die elementare Bedeutung der Unantastbarkeit menschlichen Lebens zu, die in der allen zivilisierten Völkern gemeinsamen Grundüberzeugung vom allgemeinen Tötungsverbot wurzelt, und das Maß der Rechtsbeeinträchtigungen geht nicht bis zum unwiederbringlichen Verlust eines höchsten Rechtsguts. Das menschliche Leben ist die Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte (BVerfGE 39, 1, 42). Anders als eine Legalisierung der Tötung unbewaffneter Flüchtlinge ist ein Gesetz, auch wenn es in der genannten Weise zu empfindlicher Bestrafung politisch Andersdenkender führen kann, bei der erforderlichen Gesamtabwägung der widerstreitenden Gebote von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit noch kein schlechthin unerträgliches Unrecht.
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5. Nach den genannten Grundsätzen kommt die Annahme einer Rechtsbeugung durch Staatsanwälte - abgesehen von möglichen schweren Mißbräuchen bei der Gestaltung des Verfahrens in den einzelnen Fällen - insbesondere dann in Betracht, wenn die Staatsanwälte Straftatbestände unter Überschreitung des Gesetzeswortlauts oder unter Ausnutzung ihrer Unbestimmtheit derart überdehnt haben, daß eine Anklageerhebung als offensichtliches Unrecht anzusehen ist. Ferner kann eine willkürliche Menschenrechtsverletzung anzunehmen sein, wenn eine vom Staatsanwalt als Täter zu vertretende Maßnahme im Ermittlungsverfahren in einem unerträglichen Mißverhältnis zu der nach DDR-Recht strafbaren Handlung gestanden hat. Schließlich ist jedenfalls eine Strafbarkeit des Staatsanwalts als Teilnehmer denkbar, wenn die Höhe einer vom Gericht erkannten Strafe, auf deren Verhängung er hingewirkt hat, als grob ungerecht und schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte im Sinne willkürlicher Rechtsanwendung erscheint. Dies ist für jeden Einzelfall zu prüfen.
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a) An einer gesetzwidrigen Entscheidung bei der Auslegung von Strafvorschriften hat es grundsätzlich gefehlt, wenn die Handlung des Richters oder Staatsanwalts vom Wortlaut des Rechts der DDR gedeckt war; das muß auch gelten, soweit der Wortlaut des Gesetzes wegen seiner Unschärfe mehrdeutig war (BGHSt 40, 30, 41). Dabei ist auch eine weite Interpretation von Straftatbeständen hinzunehmen. Die Unschärfe von Gesetzen und die daraus resultierende Problematik der Abgrenzung zulässiger Auslegung von verbotener Analogie mag ein in der Gesetzgebung totalitärer Staaten besonders häufiges Phänomen sein (vgl. BGHSt 40, 272, 279), ist indes nicht etwa auf diese beschränkt.
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b) Der Senat hat ferner darauf hingewiesen, daß es bei der Auslegung von DDR-Gesetzen auf die Auslegungsmethoden der DDR, nicht auf die der Bundesrepublik Deutschland ankommt (BGHSt 40, 30, 41; 40, 169, 179). Dieser Ansatz erscheint dem Senat nach wie vor zwingend.
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Dabei ist insbesondere beachtlich, daß es im "demokratischen Zentralismus" der DDR keine Gewaltenteilung im Sinne westlicher Demokratien gab. Dementsprechend kam dem förmlichen Gesetz nicht die für einen Rechtsstaat konstitutive Bedeutung zu. Der Gesetzesbegriff in der DDR wurde vielmehr von Theorie und Praxis der "sozialistischen Gesetzlichkeit" (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 DDR-Verfassung) nachhaltig verdunkelt. Vor diesem Hintergrund erlangen die für den Rechtsanwender in der DDR verbindlichen Beschlüsse und Richtlinien des Obersten Gerichts (§ 20 Abs. 2 GVG-DDR), aber auch sonstige Verlautbarungen, namentlich unter Beteiligung des Obersten Gerichts herausgegebene "Standpunkte" und "Orientierungen" (vgl. BGHSt 40, 30, 37 f., 41; vgl. dazu im einzelnen Rottleuthner, Steuerung der Justiz in der DDR S. 33 f.; Behlert ebenda S. 287, 323 ff.; ferner - auch zur "Anleitungstätigkeit" des Ministeriums der Justiz - BGHSt 41, 157) besondere Bedeutung.
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Allerdings kannte auch das Strafrecht der DDR den Grundsatz "nullum crimen, nulla poena sine lege" (Art. 4 Abs. 3 StGB-DDR); er war auch in der Verfassung der DDR verankert (Art. 99). Dieser auch in der DDR gültige Gesetzesvorbehalt im engeren Sinne verbietet es, Bestimmungen, die keine Gesetzesqualität besitzen, eine das förmliche Gesetz verdrängende, strafbarkeitsbegründende Kraft zukommen zu lassen. Beschlüsse und Richtlinien des Obersten Gerichtes der DDR oder sonstige Verlautbarungen von Staatsorganen können damit für das Merkmal der Gesetzwidrigkeit in § 244 StGB-DDR nur insoweit Bedeutung erlangen, als sie mit der - unter Umständen extensiven - Auslegung eines gesetzlichen Straftatbestandes noch vereinbar sind. Anders als im nationalsozialistischen Führerstaat gab es in der DDR keine Doktrin, wonach der bloße Wille der Inhaber staatlicher Macht Recht schaffen konnte (BGHSt 39, 1, 24; 40, 30, 35; 40, 113, 116).
| 48 |
c) Soweit Strafnormen extensiv ausgelegt wurden, sind die Grenzen zur bereits den objektiven Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllenden "Überdehnung" fließend. Bei einem Einklang der Rechtsanwendung mit üblicher Praxis oder mit obergerichtlicher Orientierung ist es auch denkbar, daß es selbst in Fällen objektiver "Überdehnung" - bei nicht grotesker Entfernung von Gesetzeswortlaut, -sinn und -systematik - an direktem Vorsatz gefehlt hat. Für diejenigen Fälle, in denen die Auslegung einer Strafnorm zum Nachteil des Beschuldigten offensichtlich die äußersten Grenzen hinnehmbarer Rechtsanwendung berührt, wird bei gleichzeitiger Verhängung einer im vorgesehenen Strafrahmen besonders schwerwiegenden Rechtsfolge - bzw. beim Hinwirken des Staatsanwalts hierauf - jedenfalls die Annahme eines (vom entscheidenden Richter oder Staatsanwalt erkannten) unerträglichen Mißverhältnisses der Strafe zu der abgeurteilten Handlung in Betracht kommen (vgl. bereits BGHSt 40, 30, 43). Dies ist nicht auf absolut besonders schwere Strafen beschränkt. Nicht zuletzt auch im Blick auf die besondere Härte des DDR-Strafvollzuges (vgl. BGHSt 38, 71, 73) kann allein die Verhängung einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe für einen offensichtlichen Grenzfall im Einzelfall als Rechtsbeugung zu werten sein.
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d) Bei der Prüfung der Gesetzwidrigkeit einer durch einen DDR-Justizangehörigen getroffenen Entscheidung ist schließlich zu berücksichtigen, daß die DDR-Verfassung und die Staatsrechtspraxis der DDR von einem Grundrechtsverständnis ausgingen, das dem Charakter der Grundrechte unter der Herrschaft des Grundgesetzes nicht entspricht. Insoweit erwachsen aus dem staatsrechtlichen Begriff der "sozialistischen Gesetzlichkeit" (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 der DDR-Verfassung) und dem daraus folgenden großen Gewicht der Positionen des "sozialistischen Staates" gleichsam "verfassungsimmanente Schranken" für garantierte Grundrechte. Die Auslegung von Straftatbeständen oder die Beurteilung der Rechtswidrigkeit des Verhaltens von strafrechtlich verfolgten DDR-Bürgern darf mithin nicht im Lichte der Wertvorstellungen des Grundgesetzes und orientiert an seinem Menschenbild erfolgen. Vielmehr ist zu berücksichtigen, daß die Rechtspflege von Verfassungs wegen vorrangig dem Schutz und der Entwicklung der DDR und ihrer Staats- und Gesellschaftsordnung dienen sollte (Art. 90 Abs. 1 Satz 1 der DDR-Verfassung).
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C. | |
Danach muß die Revision teilweise Erfolg haben.
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I. | |
Die Prüfung von sieben im vorliegenden Verfahren behandelten Fällen durch den Senat hat ergeben, daß die Verurteilung der Angeklagten wegen Rechtsbeugung insoweit entweder bereits nach der objektiven Sach- und Rechtslage wegen fehlender Gesetzwidrigkeit ausscheidet oder nicht in Betracht kommt, weil es an einer tragfähigen Feststellung wissentlich gesetzwidrigen Handelns fehlt und deren Nachholung sicher auszuschließen ist. Aus der Verfahrensgestaltung - neben der Anordnung und Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft namentlich der Ausschluß der Öffentlichkeit oder eine nur eingeschränkte Überlassung von Anklageschriften, Eröffnungsbeschlüssen sowie schriftlichen Urteilen - läßt sich in diesen Fällen der Vorwurf der Rechtsbeugung nicht ableiten. Die Art und Weise der Durchführung von Strafverfahren mag insoweit rechtsstaatswidrig erscheinen; sie entsprach aber den Verfahrensvorschriften der DDR und stellte - zumindest aus Sicht der Angeklagten - keine schwere Menschenrechtsverletzung dar (vgl. BGHSt 40, 272, 284).
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Der Senat entscheidet danach in diesen Fällen gemäß § 354 Abs. 1 StPO in der Sache selbst und erkennt auf Freispruch.
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1. Das Verhalten der Angeklagten im Fall der gegen den Diplom-Chemiker H. erhobenen Anklage wegen "staatsfeindlicher Hetze" (§ 106, teilweise i.V.m. § 108 StGB-DDR, in der Neufassung vom 19. Dezember 1974, GBl. 1975 I 13) war noch keine Rechtsbeugung. H. wurde vorgeworfen, vor fünf Schülern der 11. Klasse einer Oberschule, die er im Rahmen eines Betriebspraktikums zu unterrichten hatte, die DDR, ihre Repräsentanten und mit ihr verbündete Staaten herabgewürdigt zu haben. Er wurde deshalb vom Stadtgericht Berlin zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.
| 54 |
a) Die von dem Betroffenen gewählten Formulierungen konnten als "Diskriminierung" im Sinne der Tatbestände jedenfalls im Blick darauf angesehen werden, daß hier in scharfem Ton gehaltene Äußerungen eines Unterrichtenden vor jugendlichen Schülern in Rede standen.
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Die Auffassung des Landgerichts, daß der Verfolgte "die Wahrheit gesagt und damit sein von der DDR-Verfassung verbürgtes Grundrecht der Meinungsfreiheit ausgeübt" habe, berücksichtigt nicht, daß die Meinungsfreiheit nach Art. 27 der DDR-Verfassung den aus dem "sozialistischen" Verfassungsverständnis folgenden Beschränkungen im Sinne einer Orientierung auf staatlich erwünschte Bekundungen unterlag (Sorgenicht u.a., Verfassung der DDR Art. 27 Anm. 1 ff.). Um die Freiheitsrechte des Bürgers gegenüber dem Staat ging es dabei nicht. Dementsprechend galten auch nur die von der SED gewünschten Meinungsäußerungen als geschützt. Daß eine solche Reduzierung der Wirkkraft der Meinungsäußerungsfreiheit nach rechtsstaatlichem Verständnis den Wesensgehalt dieses Menschenrechts bis zur Unkenntlichkeit einengt, vermag weder die Annahme der Ungültigkeit der hier herangezogenen Strafvorschriften zu rechtfertigen noch ihre Anwendung durch die Angeklagte auf den vorliegenden Fall als Rechtsbeugung erscheinen zu lassen.
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b) Auch die Strafzumessung erfüllt hier nicht die Voraussetzungen einer gesetzwidrigen Entscheidung im Sinne des § 244 StGB-DDR, so daß auch im Blick darauf eine Strafbarkeit der Angeklagten, hier etwa wegen Durchsetzung der Anordnung oder Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft, nicht in Betracht kommt.
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aa) Allerdings ist eine Beugung des Rechts durch das Verhängen einer überhöhten Strafe möglich (vgl. schon BGHSt 3, 110, 118 ff.; 4, 66, 69 ff.; 10, 294, 300 f.; BGH GA 1958, 241; BGH NJW 1960, 974, 975). Eine gesetzwidrige Entscheidung im Sinne des § 244 StGB-DDR liegt dann vor, wenn die Sanktion in krassem Widerspruch zum Verhältnismäßigkeitsprinzip steht, das insbesondere Eingriffe in die Freiheit eines Menschen auch bei strafrechtlichen Verfehlungen begrenzt. Angesichts der Beschränkung des Rechtsbeugungstatbestandes auf offensichtliche schwere Menschenrechtsverletzungen durch überhöhte Bestrafung kann dies - entgegen der Ansicht von Buchholz (ZAP-Ost 1994, 187, 192) - auch bei Anwendung des § 244 StGB-DDR keinen Bedenken unterliegen (vgl. BGHSt 40, 272, 283 f.).
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bb) Die gegen den Betroffenen verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren war zweifellos unverhältnismäßig. Als grob ungerecht und schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte im Sinne willkürlicher Rechtsanwendung erscheint sie jedoch im Blick auf Tatumstände und Strafrahmen noch nicht.
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2. Das Verhalten der Angeklagten im Fall der gegen D. erhobenen Anklage wegen vorbereiteten und versuchten "ungesetzlichen Grenzübertritts" (§ 213 StGB-DDR, in der Neufassung vom 19. Dezember 1974, GBl. 1975 I 13) war ebenfalls noch keine Rechtsbeugung. Frau D. wurden fünf näher bezeichnete gescheiterte Vorhaben der Flucht aus der DDR oder der unerlaubten Nichtrückkehr vorgeworfen. Sie wurde vom Stadtbezirksgericht Berlin-Pankow - entsprechend dem von der Angeklagten in der Hauptverhandlung gestellten Antrag - zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
| 60 |
a) Der Tatrichter vernachlässigt mit seinem Hinweis, die Betroffene habe ihr Menschenrecht, zu ihrem Verlobten zu ziehen, wahrnehmen wollen, den Umstand, daß für DDR-Bürger jedenfalls nach der in der DDR vertretenen Auffassung kein Rechtsanspruch auf Ausreise bestand (BGHSt 40, 272, 281; vgl. auch BGHSt 39, 1, 17 m.N.). Auch an dieser Stelle legt die Strafkammer der Beurteilung der Strafbarkeit des Handelns der Angeklagten als Maßstab in unzulässiger Weise die Wertvorstellungen einer rechtsstaatlichen Verfassung zugrunde.
| 61 |
b) Eine Rechtsbeugung unter Beteiligung der Angeklagten ist auch hier nicht im Hinblick auf das Strafmaß anzunehmen. Der Bundesgerichtshof hat bislang nicht entschieden, wann eine Freiheitsentziehung wegen Vorbereitung (oder Versuchs) der Republikflucht eine schwere und offensichtliche Menschenrechtsverletzung ist (vgl. Senat NStZ 1995, 288). Der Senat neigt zu der Auffassung, daß die Verhängung einer Freiheitsstrafe in Höhe der hier verhängten zwei Jahre und sechs Monate ohne sonst gravierende Erschwerungsgründe aus Sicht der DDR-Justiz häufig bereits als unerträglicher Willkürakt angesehen werden müßte. Angesichts der Mehrzahl der geplanten Fluchtvorhaben nimmt der Senat die Strafe im vorliegenden Fall aber als noch nicht rechtsbeugerisch überhöht hin.
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3. Im Falle der gegen N. erhobenen Anklage wegen "Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit" (§ 214 Abs. 1 StGB-DDR i.d.F. des 2. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 7. April 1977, GBl. I 100) scheitert eine Verurteilung der Angeklagten wegen Rechtsbeugung jedenfalls aus subjektiven Gründen. N. wurde zur Last gelegt, am 4. Oktober 1977 gegen 17.30 Uhr im Fußgängertunnel am Berliner Alexanderplatz ein selbstgefertigtes Plakat zur Schau gestellt zu haben, das von rund fünfzig Passanten wahrgenommen worden sei; das Plakat habe die Aufschrift getragen: "Seit 12 Monaten werde ich am legalen Verlassen der DDR gehindert". Er wurde vom Stadtbezirksgericht Berlin-Lichtenberg - entsprechend dem von der Angeklagten in der Hauptverhandlung gestellten Antrag - zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt.
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a) Die Bekundung einer "Mißachtung der Gesetze" oder die Aufforderung dazu "in einer die öffentliche Ordnung gefährdenden Weise" im Sinne des § 214 Abs. 1 StGB-DDR wurde entsprechend den "Gemeinsamen Standpunkten" des Obersten Gerichts der DDR und des Generalstaatsanwalts der DDR vom 17. Oktober 1980 (OG-Inf. Sonderdruck/1980 S. 17) angenommen für "Fälle, in denen der Täter in der Öffentlichkeit oder gegenüber staatlichen Organen und deren Vertretern in demonstrativer Weise, kategorisch und provokatorisch die Gesamtheit oder einzelne Gesetze der DDR herabwürdigt und z.B. ankündigt, sie als ungültig oder für ihn als nicht verbindlich zu betrachten". Eine solche Erklärung konnte "auch in demonstrativen Handlungen zum Ausdruck kommen" (Kommentar zum StGB-DDR, hrsg. vom Ministerium der Justiz und von der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft der DDR, 5. Aufl. 1987 § 214 Anm. 4). Auch wenn diese Auslegungsrichtlinien zu § 214 Abs. 1 StGB-DDR erst in einem späteren Zeitpunkt (1980) veröffentlicht wurden, kann ihnen für die Gesetzesinterpretation zur hier in Rede stehenden Tatzeit (1977/1978) die Bedeutung nicht abgesprochen werden.
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Die Subsumtion des von dem Betroffenen gezeigten Verhaltens unter die zweite Variante des § 214 Abs. 1 StGB-DDR hielt sich noch in den äußersten Grenzen möglicher Auslegung. Mit dem Plakattext bezeichnete der Betroffene zwar nicht ausdrücklich Gesetze, die von ihm nicht anerkannt wurden. Aus den Umständen konnte die Angeklagte jedoch den - wenngleich nicht zwingenden, so doch möglichen - Schluß ziehen, daß er die gesamte mit der Grenzregelung zusammenhängende Gesetzgebung der DDR, die auch einer Bewilligung seines Ausreisegesuchs entgegenstand, als illegal in Frage stellen wollte. Der Namhaftmachung eines bestimmten Gesetzes bedurfte es nicht; ebenso kommt es nicht darauf an, daß es in keinem Gesetz der DDR eine umfassende Ausreiseregelung gab (vgl. BGHSt 40, 272, 281). Die Wertung des Vorgehens des Verfolgten als "demonstrativ und provokatorisch" läßt sich angesichts von Zeit und Ort der Handlung nicht als rechtsbeugende Rechtsauslegung werten. Die - in den Begleitumständen der Handlung, jedenfalls in der immerhin noch nachvollziehbaren Betrachtungsweise der Angeklagten, zum Ausdruck kommende - "provokatorische" Tendenz ist für den Senat in Übereinstimmung mit dem 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHSt 40, 272, 282) in Fällen der vorliegenden Art das maßgebliche Kriterium dafür, ob die Begriffe "Gefährdung der öffentlichen Ordnung" und "Mißachtung der Gesetze" in § 214 StGB-DDR noch in den Grenzen des möglichen Wortsinns ausgelegt worden sind. Nach diesen Grundsätzen ist hier - naheliegend anders als in Fällen, in denen Personen lediglich ihren Wunsch nach Ausreise öffentlich bekundet haben - die Wortlautschranke unter Zugrundelegung der Wertmaßstäbe der DDR noch nicht überschritten.
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b) Die gegen N. verhängte Strafe von einem Jahr und drei Monaten grenzt bereits an einen Willkürakt, gerade weil das Verhalten des Betroffenen den Straftatbestand nur bei extensiver Auslegung erfüllte. Auch wenn die Tat "nur wenige Minuten dauerte und höchstens 50 Passanten erreichte", scheitert eine Verurteilung der Angeklagten wegen Rechtsbeugung durch Veranlassung der Untersuchungshaft oder wegen Beihilfe zur Rechtsbeugung durch ihren Strafantrag in der Hauptverhandlung letztlich doch aus subjektiven Gründen. Auch das Zusammenspiel von tendenzieller Überdehnung einer Norm auf der Tatbestandsseite und gleichzeitiger Verhängung einer hohen vollstreckbaren Freiheitsstrafe (oben B II 5 c) begründet hier noch nicht den Vorwurf der Rechtsbeugung (vgl. BGHSt 40, 272, 283 f.). Immerhin hatte sich der Betroffene nach wiederholter Ablehnung von Ausreiseanträgen und nach ausdrücklicher Vorwarnung, folglich in voller Kenntnis ihm drohender massiver strafrechtlicher Konsequenzen, zur Durchführung seiner Aktion entschlossen. Im Verfahren hat er ausdrücklich seinen Willen zur Wiederholung ähnlicher Taten bekundet.
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c) Die Tatsache, daß eine Bestrafung, wie sie N. erfahren hat, nicht als Rechtsbeugung gewertet wird, verdeutlicht beispielhaft den unbefriedigenden Aspekt, daß massive Reaktionen der DDR-Justiz gerade auf besonders mutiges und aktiv auf die Durchsetzung von Freiheitsrechten gerichtetes Verhalten wegen des nach rechtsstaatlichen Prinzipien gebotenen Abstellens auf die Sicht des DDR-Rechts eher selten zur Annahme von Rechtsbeugung führen werden. Letztlich geht dies darauf zurück, daß die DDR-Justiz gerade solches Verhalten von Menschen mit Zivilcourage - wie die Ereignisse vom November 1989 belegen - aus ihrer Sicht zu Recht besonders fürchten mußte.
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4.-7. folgen Ausführungen zu weiteren Fällen
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II. | |
Die Prüfung der verbleibenden drei Fälle hat hingegen ergeben, daß hier der objektive Tatbestand einer gesetzwidrigen Entscheidung vorliegt (nachfolgend 1 bis 3). Hierfür fehlt es auch nicht an den subjektiven Voraussetzungen für eine Verurteilung wegen Rechtsbeugung (nachfolgend 4). Diese Fälle betreffend ist die Revision der Angeklagten zum Schuldspruch mithin zu verwerfen.
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1. Die von der Angeklagten mit Antrag auf Aufrechterhaltung des Haftbefehls gegen L. erhobene Anklage wegen "öffentlicher Herabwürdigung" (§ 220 Abs. 1 StGB-DDR i.d.F. des 2. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 7. April 1977, GBl. I 100) war gesetzwidrig im Sinne des § 244 StGB-DDR. Die 43jährige Sekretärin L. hatte am Morgen des 5. April 1979 in einer Nachrichtensendung des Senders Freies Berlin von einer Anordnung des Ministeriums für Außenhandel über die Einführung von "Wertschecks" für Einkäufe im Intershop erfahren. Um ihr Westgeld vor Wirksamwerden dieser Anordnung noch zu verwenden, begab sie sich am Nachmittag desselben Tages zu einem Intershop in der Berliner Friedrichstraße. Dort befragte der ARD-Korrespondent Le. die vor dem Geschäft in einer Schlange wartenden DDR-Bürger. Unter anderem sprach er unter Vorhalt eines Mikrofons auch Frau L. auf eine Stellungnahme zu der beabsichtigten Einführung der Wertgutscheine an. Sie äußerte daraufhin: "Warum darf man nicht mit Geld im Laden bezahlen, wenn schon solche Läden existieren? Das ist etwas, also es tut mir leid, da, also, da habe ich kein Verständnis für. Ich bin ein mündiger Bürger, auch hier in der DDR. Und wenn ich dann mit Geld, was ich ja bisher haben durfte in den letzten Jahren, nicht mehr offiziell im Laden bezahlen muß, sondern mir nen Gutschein geben lassen muß, dann ist das ne Entmündigung in meinen Augen, denn Geld ist Geld in der ganzen Welt." Die Äußerung von Frau L. wurde am selben Abend in der ARD-Sendung "Tagesthemen" ausgestrahlt.
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L. wurde deshalb nach ihrer Identifizierung durch das MfS am 23. Mai 1979 verhaftet. Sie wurde vom Stadtbezirksgericht Berlin-Lichtenberg - wie von der Angeklagten in der Hauptverhandlung beantragt - zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und befand sich bis zum 7. November 1979 in Haft.
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a) Der Tatbestand der Strafnorm des § 220 Abs. 1 StGB-DDR (dazu Kommentar zum StGB-DDR a.a.O. § 220 Anm. 2) konnte allerdings bei extensiver Auslegung aus Sicht der Angeklagten im Blick darauf als gegeben angesehen werden, daß die Betroffene ihre kritischen Äußerungen gegenüber einem westlichen Journalisten machte und damit ihre Kritik in einem für die DDR besonders sensiblen Bereich der Öffentlichkeit zum Ausdruck brachte.
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b) Der Haftbefehl gegen die Betroffene, dessen Aufrechterhaltung die Angeklagte beantragte, und die - ebenfalls von ihr beantragte - Verhängung einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe von einem Jahr stellen sich indes wegen offensichtlicher Willkür im Gewand eines justizförmigen Strafverfahrens als Rechtsbeugung dar.
| 73 |
Die Betroffene machte ihre Äußerungen gegenüber dem ARD-Korrespondenten, die den Tatbestand der öffentlichen Herabwürdigung ohnehin nur bei extensiver Auslegung der Vorschrift erfüllen, spontan, dementsprechend ohne vorangegangene Überlegung und, was der festgestellte Gesamtinhalt der Äußerungen nahelegt, aus einer gewissen Erregung heraus. Sie hatte die Kritik auch nicht auf eigene Initiative vorgebracht, sondern war von dem Reporter unter Vorhalten des Mikrofons zu einer Stellungnahme aufgefordert worden. Diese Umstände bildeten offensichtliche gravierende Strafmilderungsgründe. Bei gesetzmäßiger Entscheidung konnte innerhalb des vorgegebenen Strafrahmens - selbst eingedenk der Annahme eines aus Sicht der Angeklagten gewichtigen Erschwerungsgrundes durch den Kontakt zu einem Reporter der Westmedien, ohne dessen Vorliegen indes schon die tatbestandlichen Voraussetzungen nur schwerlich anzunehmen gewesen wären - für das unüberlegte Spontanverhalten der gänzlich unbestraften, eingeordnet lebenden Frau nur eine der in § 220 StGB-DDR vorgesehenen verschiedenen Rechtsfolgen unterhalb der Freiheitsstrafe (Verurteilung auf Bewährung, Haftstrafe, Geldstrafe oder öffentlicher Tadel) in Betracht kommen. Diese bei Anwendung der Strafzumessungsgrundsätze des § 61 Abs. 2 StGB-DDR zwingende Ermessenseinschränkung bestand auch angesichts des Gebots, bei der Strafzumessung "Grundsätze der sozialistischen Gerechtigkeit zu verwirklichen" (§ 61 Abs. 1 StGB-DDR). Sie entspricht im übrigen den Grundsätzen des Berichts des Präsidiums an die 17. Plenartagung des Obersten Gerichts vom 25. September 1980 "über die Wirksamkeit der Rechtsprechung der Gerichte bei Verbrechen gegen die Deutsche Demokratische Republik und bei Straftaten gegen die staatliche und öffentliche Ordnung" (OG-Inf. 6/1980 S. 2 ff.). In diesem (freilich erst nach dem hiesigen Tatzeitraum verfaßten) Bericht heißt es mit Blick auf § 220 StGB-DDR: "Insoweit wird richtig mit Freiheitsstrafen reagiert, wenn aus einer verfestigten negativen Haltung entsprechend schwere Straftaten begangen werden.... Auch sind hartnäckige Begehungsweisen sowie der konkrete Inhalt der Äußerungen wichtige Gesichtspunkte für den Ausspruch von Freiheitsstrafen. Der überwiegenden Zahl der Fälle kann jedoch wirksam mit Strafen ohne Freiheitsentzug begegnet werden" (a.a.O. S. 12).
| 74 |
Da eine Strafe mit Freiheitsentzug danach jedenfalls im Rahmen der Gesetze nicht zu erwarten war, gab es keinen Haftgrund im Sinne des § 122 StPO-DDR.
| 75 |
Die nach vorangegangener intensiver Wohnungsdurchsuchung erfolgte Inhaftierung der Betroffenen war mithin ein offensichtlicher Willkürakt. Hier sollte an einem Menschen, der auch bei systemimmanenter Betrachtung allenfalls geringe Schuld auf sich geladen hatte, ein Exempel statuiert werden, indem er einer grausamen Strafverfolgung unterworfen wurde, um Bürger von mißliebigen Äußerungen ohne Rücksicht auf deren Gewicht abzuschrecken. Die schwere seelische Belastung der Betroffenen durch die Vorgehensweise der Strafverfolgungsorgane und ihre berufliche Vernichtung belegen beispielhaft, daß die Voraussetzungen menschenrechtswidriger willkürlicher Sanktionen im Einzelfall auch ohne absolut besonders gravierende Strafhöhe vorliegen können (vgl. oben B II 5 c). Im übrigen sprechen hier für eine solche gewollte Schreckensherrschaft das vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) im Fall L. gezeigte massive Interesse am Verfahrensablauf und die Kontakte dieses Ministeriums mit Justizangehörigen während des Ermittlungsverfahrens. Die für den Schuldspruch hier unerhebliche Annahme liegt nicht fern, daß hier eine Einflußnahme des MfS auf das Verhalten der Justiz vorlag, die so gestaltet war, daß sie für sich die Annahme der Rechtsbeugung durch die konkrete Verfahrensgestaltung rechtfertigte (vgl. dazu Werkentin in Rottleuthner, Steuerung der Justiz in der DDR S. 93 ff.).
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2. Auch der Antrag der Angeklagten auf Erlaß eines Haftbefehls gegen die 16jährige Ko. wegen "öffentlicher Herabwürdigung" nach § 220 Abs. 2 StGB-DDR (i.d.F. des 3. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 28. Juni 1979, GBl. I 139) stellte sich als gesetzwidrig im Sinne des § 244 StGB-DDR dar. Der Jugendlichen wurde vorgeworfen, zwischen November 1981 und Januar 1982 jeweils etwa zehn Exemplare einer als "Anklage" und einer als "Aufruf" bezeichneten Schrift auf ihrer Schreibmaschine hergestellt und in Hausbriefkästen geworfen zu haben. In der "allen Jugendlichen, insbesondere den Punks" gewidmeten, in Versform verfaßten "Anklage" hieß es u.a.: "In diesem Staat dürfen wir uns nur mit Arbeit die Zeit vertreiben ... Wir ... leben in einer gefährlichen Mausefalle." Der "Aufruf" bestand aus einer Aufzählung von Imperativen, unter anderem den folgenden: "Jedem eine volle Meinungsfreiheit ... Laßt Unschuldige existieren (z.B. die Punkscene in Ost-Berlin)!" Als Haftgrund gab die Angeklagte in ihrem Antrag "Wiederholungsgefahr" und die Erwartung einer "disziplinierenden Strafmaßnahme" an. Das Mädchen befand sich vom 28. Januar 1982 bis zum 4. März 1982 in Untersuchungshaft. Nach dem Haftbefehlsantrag wirkte die Angeklagte an dem weiteren Verfahren nicht mehr mit.
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a) Allerdings lagen die tatbestandlichen Voraussetzungen der herangezogenen Strafbestimmung vor. Die von der Jugendlichen verfaßten Schriftstücke konnten ohne rechtsbeugende Wertung trotz ihres Bagatellcharakters als zur Beeinträchtigung der staatlichen und öffentlichen Ordnung geeignet angesehen werden; die eher geringe Anzahl und ihr Wortlaut stehen dieser Betrachtung nicht notwendig entgegen.
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b) Der Bagatellcharakter des Falles, der sich bereits in der geringen Anzahl und der unbeholfenen Formulierung der Schriften offenbarte, verbot es aber, eine zudem nicht vorbelastete Jugendliche wegen eines solchen Vergehens mit Untersuchungshaft zu überziehen. Der Antrag der Angeklagten auf Erlaß eines Haftbefehls stellt sich danach objektiv als gesetzwidrige Entscheidung im Sinne des § 244 StGB-DDR dar. Die Inhaftierung des Mädchens konnte sich auf keinen Haftgrund stützen. Die von der Angeklagten hierfür angegebene Begründung war offensichtlich nicht tragfähig.
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aa) Die Annahme von Wiederholungsgefahr setzte nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 StPO-DDR voraus, daß "das Verhalten des Beschuldigten oder des Angeklagten eine wiederholte und erhebliche Mißachtung der Strafgesetze darstellt". Eine solche Erheblichkeit konnte dem Verhalten der Jugendlichen schlechterdings nicht beigemessen werden. Darüber hinaus galt nach dem in der Textausgabe der StPO-DDR insoweit abgedruckten Beschluß des Obersten Gerichts der DDR zu Fragen der Untersuchungshaft vom 20. Oktober 1977 (OG-Inf. Nr. 4/1977 S. 54), daß Wiederholungsgefahr nur vorliege, "wenn das bisherige strafrechtswidrige und damit in Zusammenhang stehende Verhalten, insbesondere der zu Vortaten bestehende Zusammenhang, die erneute Straftat als Ausdruck einer fortbestehenden, negativen Grundeinstellung zur gesellschaftlichen Verantwortung oder als hartnäckige Mißachtung der Strafgesetze kennzeichnet". Ungeachtet der wiederholten Aktivitäten in den beiden Tatkomplexen konnte für die Unterstellung einer derartig verfestigten inneren Haltung ohne zusätzliche konkrete Anhaltspunkte bei einer Jugendlichen, die nicht vorbelastet war und die innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten einige wenige, überwiegend eher schwärmerische Pamphlete in Hausbriefkästen geworfen hatte, kein Raum sein.
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bb) Auch auf § 122 Abs. 1 Nr. 4 StPO-DDR ließ sich die von der Angeklagten gegen die Betroffene beantragte Untersuchungshaft nicht stützen. Nach dieser Vorschrift stellte es einen Haftgrund dar, daß eine Tat "mit Haftstrafe bedroht und eine Strafe mit Freiheitsentzug zu erwarten ist". Dabei schloß der Begriff der Haftstrafe die Jugendhaft nach § 74 StGB-DDR ein (vgl. Kommentar zur StPO-DDR, hrsg. vom Ministerium der Justiz, 3. Aufl. 1989, § 122 Anm. 1.6); es genügte jedoch nicht, daß im verletzten Strafgesetz eine Haftstrafe angedroht war, vielmehr mußte auch für die konkrete Tat eine Strafe mit Freiheitsentzug "real zu erwarten" sein (Kommentar zur StPO-DDR a.a.O.). Eine solche Strafe war hier bei gesetzmäßiger Entscheidung unter Berücksichtigung des Alters der Jugendlichen (vgl. zu den insoweit möglichen Sanktionen §§ 67 ff. StGB-DDR) und der auch sonst offensichtlich ganz überwiegenden mildernden Gesichtspunkte angesichts eines weiten Spektrums vom Gesetz vorgesehener anderer möglicher Rechtsfolgen aus Verhältnismäßigkeitsgründen unzweideutig ausgeschlossen. Der "politische" Bezug der Taten war eindeutig so harmlos und wenig gewichtig, daß auch mit Rücksicht auf eine in diesem Bereich besonders empfindliche und unnachsichtige Betrachtungsweise eines DDR-Staatsanwalts eine andere Interpretation des Haft- und Strafzumessungsrechts nicht ernstlich erwogen werden kann.
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cc) Es kommt hinzu, daß dem Antrag auf Anordnung der Untersuchungshaft trotz der Unbestraftheit der Betroffenen und insbesondere ihres Alters offenbar jede Auseinandersetzung mit dem Unumgänglichkeitserfordernis des § 123 StPO-DDR fehlte. Auf der Hand hätte auch eine Erwägung zum Einsatz der besonderen Aufsicht Erziehungsberechtigter nach § 135 StPO-DDR - als "milderes Mittel" - liegen müssen, sofern, was sich den Urteilsfeststellungen nicht entnehmen läßt, konkrete tatsächliche Verhältnisse dem nicht entgegenstanden.
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3. Schließlich war auch die auf "Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit" (§ 214 Abs. 1 StGB-DDR i.d.F. des 3. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 28. Juni 1979, GBl. I 139) gestützte Anklage gegen Le. - in Verbindung mit dem Antrag auf Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft - gesetzwidrig im Sinne des § 244 StGB-DDR. Der DDR-Bürger, der nach seiner Ehescheidung zu seiner kranken Mutter nach Berlin (West) hatte ausreisen wollen, dessen Ausreiseantrag zuvor jedoch abgelehnt worden war, hatte am 28. Mai 1985 gegen 0.25 Uhr an der Grenzübergangsstelle Chausseestraße in Berlin, wie es in der Anklage heißt, "provokatorisch" seinen Personalausweis vorgelegt und die Ausreise nach Berlin (West) gefordert. Er wurde vom Stadtbezirksgericht Berlin-Pankow zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt.
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a) Bereits die Heranziehung der Strafnorm auf einen Fall der schlichten Äußerung eines Ausreisebegehrens unter Vorlage des Personalausweises legt hier die Annahme einer "Überdehnung" des herangezogenen Straftatbestandes nahe.
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Der Vorlage des Personalausweises, verbunden mit dem geäußerten Ausreisebegehren durch eine Person, deren Ausreiseantrag zuvor abgelehnt worden war, mag die Bekundung einer Mißachtung der Gesetze, nämlich der "Grenzregelung" (vgl. oben I 3 a), noch zu entnehmen sein. Mag das Verhalten des Betroffenen zudem zumindest eine gewisse Ähnlichkeit mit einer "demonstrativ-provokatorischen Handlung" nach DDR-Verständnis aufweisen, sprechen die Umstände der Tat insgesamt eindeutig gegen das erforderliche Vorliegen eines Vorgehens "in einer die öffentliche Ordnung gefährdenden Weise": Es ist nach den Feststellungen nicht belegt, daß außer den staatlich Bediensteten am Grenzübergang irgend jemand sonst vom Tun des Betroffenen Kenntnis erlangte. Bei einem parallel gelagerten Fall der schlichten Paßvorlage hatte das Oberste Gericht der DDR entschieden, daß eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung nicht gegeben sei, wenn sich außer den Grenzsicherungskräften keine weiteren Personen an der Grenzübergangsstelle aufhielten; die Gefährdung könne auch nicht allein daraus hergeleitet werden, daß die Mißachtung der Gesetze im Bereich einer Grenzübergangsstelle bekundet worden ist (Urteil vom 7. Januar 1983 - 1 OSB 63/82).
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Die erste Variante des § 214 Abs. 1 StGB-DDR lag offensichtlich nicht vor, da die schlichte Äußerung eines Ausreisebegehrens und die Vorlage des Personalausweises an einer Grenzübergangsstelle unter keiner erkennbaren nachvollziehbaren Betrachtungsweise die Voraussetzungen von "Gewalt oder Drohung" erfüllen. Es bleibt auch unerfindlich, inwieweit durch ein solches Verhalten der Entscheidungsspielraum staatlicher Stellen - auch nur in der Vorstellung des Handelnden - beeinträchtigt sein konnte.
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b) Zu einer offensichtlich schweren Menschenrechtsverletzung wird die gegen den Betroffenen gerichtete Strafverfolgung in diesem Grenzbereich des Tatbestandes - selbst wenn man die Annahme der Voraussetzungen der zweiten Variante des § 214 Abs. 1 StGB-DDR noch nicht für sich als "Überdehnung" ansehen wollte - jedenfalls durch das in einem unerträglichen Mißverhältnis zur "Tat" stehende Strafmaß von einem Jahr und zwei Monaten Freiheitsstrafe. Die Verhängung des schärfsten in § 214 Abs. 1 StGB-DDR vorgesehenen Strafübels konnte keinen auch nur theoretisch an der Verwirklichung von Gerechtigkeit (vgl. Art. 86 DDR-Verfassung) orientierten Rechtsprechungsakt darstellen. § 214 Abs. 1 StGB-DDR sah neben Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren als abgestufte mildere Sanktionen Haftstrafe, Verurteilung auf Bewährung, Geldstrafe und öffentlichen Tadel vor. Dies läßt erkennen, daß auch das SED-Regime den Unterschieden der möglichen tatbestandlichen Begehungsformen Rechnung tragen wollte. Die Beeinträchtigung staatlicher Tätigkeit durch Gewalt oder Drohung und die Bekundung einer Mißachtung der Gesetze waren danach ersichtlich nicht ohne weiteres mit einem hohen Strafbedürfnis verbunden. Vielmehr blieb Raum, auf Bagatell- und Grenzfälle mit abgemilderten Sanktionen zu reagieren. Da hier die Beurteilung eines Verhaltens in Rede stand, das, falls überhaupt, dann nur bei denkbar weitester Auslegung den Tatbestand der Norm im Grenzbereich erfüllen konnte, war die Verhängung von Freiheitsstrafe als der schärfsten Sanktion, zumal da keine Anhaltspunkte für etwa gravierende persönliche Erschwerungsgründe bei dem Betroffenen vorlagen, mit dem Gesetz (vgl. § 61 Abs. 2 StGB-DDR) schlechthin nicht zu vereinbaren.
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Auf diesen offensichtlichen Rechtsbruch, der einen willkürlichen Unterdrückungs- und Gewaltakt gegenüber einem Ausreisewilligen darstellte, hat die Angeklagte mit ihrer Anklage, in der sie die Aufrechterhaltung des Haftbefehls gegen den Betroffenen beantragte (zum Fehlen eines Haftgrundes vgl. oben 1 b), hingewirkt.
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4. Die Angeklagte hat jeweils vorsätzlich gehandelt. Der Tatrichter hat festgestellt, die Angeklagte habe gewußt, daß sie gesetzwidrig gehandelt hat. Damit ist die innere Tatseite der Rechtsbeugung, die das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit voraussetzt, hinreichend belegt. Dies wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, daß der Tatrichter in den drei Fällen, in denen Rechtsbeugung objektiv im Ergebnis mit Recht bejaht wurde, dies noch weitergehend, teilweise bedenklich, insbesondere nach Maßgabe am Grundgesetz orientierter Maßstäbe, begründet hat. Allein das Gewicht der vom Senat in diesen Fällen angenommenen Rechtsbrüche läßt keinen nachvollziehbaren Raum für die Annahme, die Angeklagte könne hier nicht wissentlich gesetzwidrig entschieden haben.
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Unmittelbar im Anschluß an die Feststellung zum Vorsatz der Angeklagten heißt es allerdings in den Urteilsgründen, daß die Angeklagte ihre Handlungsweise für rechtmäßig gehalten habe und daß dies den Vorsatz nicht berühre, weil sich der Vorsatz nicht auf die Rechtswidrigkeit zu beziehen brauche. Diese zusätzliche Wendung stellt die Feststellung des Vorsatzes der Rechtsbeugung indessen nicht in Frage. Der Senat hält es für ausgeschlossen, daß der Tatrichter zwei einander ausdrücklich widersprechende Sätze aneinanderfügen wollte. Vielmehr muß der zweite Satz wie folgt verstanden werden: Der Tatrichter wollte zum Ausdruck bringen, daß die Angeklagte im Bewußtsein der Gesetzwidrigkeit ihrer Handlungen gemeint hat, sie sei befugt, aus politischen Gründen, etwa zum Schutz der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung vor politischen Gegnern, auch solche Anträge zu stellen, die nach Maßgabe des § 244 StGB-DDR gesetzwidrig sind. Auf eine solche Vorstellung trifft die Wendung der Urteilsgründe zu, daß der Vorsatz hiervon unberührt bleibt. Es kann dahinstehen, ob Vorstellungen dieser Art als Verbotsirrtum anzusehen sind. Es würde sich jedenfalls um keinen unvermeidbaren Verbotsirrtum nach § 17 Satz 1 StGB handeln. Angesichts der Schwere der hier festgestellten Rechtsverstöße wäre auch für eine Strafmilderung wegen eines vermeidbaren Verbotsirrtums (§ 17 Satz 2 StGB) kein Raum. Nach dem Recht der DDR wäre die Vorstellung, mit einer ungesetzlichen Handlung "recht getan" zu haben, unbeachtlich (vgl. BGHSt 39, 168, 190 f.; Renzikowski ZStW 106, 93, 136 f.), und zwar auch bei der Strafrahmenbestimmung.
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III. | |
Der Strafausspruch ist wegen der Bildung einer Hauptstrafe nach § 64 Abs. 1 StGB-DDR umfassend aufzuheben.
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Der neue Tatrichter wird bei der Bestimmung der Rechtsfolgen nach den Grundsätzen der strikten Alternativität von StGB und StGB-DDR (vgl. BGH, Urt. vom 26. April 1995 - 3 StR 93/95) zu beachten haben, daß eine Verurteilung auf Bewährung in § 244 StGB-DDR nicht vorgesehen ist und die Anwendung des § 56 StGB auf eine nach DDR-Recht gebildete Freiheitsstrafe nicht in Betracht kommt. Es wird in Anwendung des § 244 i.V.m. §§ 63 f. StGB-DDR eine Hauptstrafe zu bilden sein, welche mit der - nach Verhängung von Einzelstrafen nach § 336, § 239 Abs. 2, § 52 Abs. 2 StGB - zu bildenden Gesamtstrafe nach §§ 53 f. StGB zu vergleichen sein wird. Sollte die letztere nach § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden können, wird sie als mildere Sanktion gemäß Art. 315 Abs. 1 Satz 1 EGStGB, § 2 Abs. 3 StGB zu verhängen sein.
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