BGHSt 46, 212 - Volksverhetzung im Internet | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Rainer M. Christmann, A. Tschentscher | |||
StGB § 9 Abs. 1, § 130 |
1. Strafsenat |
Urteil |
vom 12. Dezember 2000 g.T. |
- 1 StR 184/00 - |
Landgericht Mannheim |
Aus den Gründen: | |
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beleidigung in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener in drei Fällen, in einem Fall (II.2) zudem in weiterer Tateinheit mit Volksverhetzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt.
| 1 |
Die Staatsanwaltschaft greift mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten Revision den Schuldspruch in den Internet-Fällen II.1 und II.3 mit der Begründung an, der Angeklagte hätte auch in diesen Fällen wegen Volksverhetzung verurteilt werden müssen. Zudem beanstandet sie die Strafzumessung. Der Angeklagte erhebt eine Verfahrensrüge und die allgemeine Sachrüge. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat insoweit Erfolg, als die Verurteilung auch wegen Volksverhetzung erstrebt wird; die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
| 2 |
A - I. | |
Der Angeklagte ist australischer Staatsbürger. 1996 schloß er sich mit Gleichgesinnten in Australien zum "A. Institute" zusammen, dessen Direktor er ist. Seit 1992 befaßte er sich mit dem Holocaust. Er verfaßte Rundbriefe und Artikel, die er über das Internet zugänglich machte, in denen er "revisionistische" Thesen vertrat. Darin wurde unter dem Vorwand wissenschaftlicher Forschung die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Ermordung der Juden bestritten und als Erfindung "jüdischer Kreise" dargestellt, die damit finanzielle Forderungen durchsetzen und Deutsche politisch diffamieren wollten.
| 3 |
II. | |
Drei Publikationen des Angeklagten sind Gegenstand der Verurteilung:
| 4 |
1. Internet-Fall II.1: Zwischen April 1997 und März 1999 - der genaue Zeitpunkt ist nicht festgestellt - speicherte der Angeklagte Webseiten auf einem australischen Server, die von der Homepage des A. Institutes über dessen Internetadresse abgerufen werden konnten. Diese Seiten enthielten drei englischsprachige Artikel des Angeklagten mit den Überschriften "Über das A. Institut", "Eindrücke von Auschwitz" und "Mehr Eindrücke von Auschwitz". Darin heißt es unter anderem:
| 5 |
"In der Zwischenzeit haben wir festgestellt, daß die ursprüngliche Zahl von vier Millionen Toten von Auschwitz... auf höchstens 800.000 gesenkt wurde. Dies allein ist schon eine gute Nachricht, bedeutet es doch, daß ca. 3,2 Millionen Menschen nicht in Auschwitz gestorben sind - ein Grund zum Feiern."
| 6 |
"Wir erklären stolz, daß es bis heute keinen Beweis dafür gibt, daß Millionen von Menschen in Menschengaskammern umgebracht wurden."
| 7 |
"Keine dieser Behauptungen ist je durch irgendwelche Tatsachen oder schriftliche Unterlagen belegt worden, mit Ausnahme der fragwürdigen Zeugenaussagen, welche häufig fiebrigen Gehirnen entsprungen sind, die es auf eine Rente vom deutschen Staat abgesehen haben."
| 8 |
2. Fall II.2: Im August 1998 verurteilte eine Amtsrichterin G. D., weil dieser M., einen Überlebenden von Auschwitz, beleidigt hatte. Darauf schrieb der Angeklagte aus Australien einen "offenen Brief" an die Richterin und versandte diesen zugleich an zahlreiche weitere Adressaten, auch in Deutschland, unter anderem an die Berliner Zeitschrift "S.". Den englischsprachigen Text des Briefes stellte er in die Homepage des A. Institutes ein. In dem Brief warf er M. vor, Lügen über Auschwitz zu erzählen, und er schrieb unter anderem:
| 9 |
"Ich habe Auschwitz im April 1997 besucht und bin aufgrund meiner eigenen Nachforschungen jetzt zu der Schlußfolgerung gelangt, daß das Lager in den Kriegsjahren niemals Menschengaskammern in Betrieb hatte."
| 10 |
3. Internet-Fall II.3: Ende Dezember 1998/Anfang Januar 1999 stellte der Angeklagte eine weitere Webseite in die Homepage des A. Institutes ein. Diese Seite enthielt einen englischsprachigen Artikel des Angeklagten mit der Überschrift "F. Ts. Neujahrsgedanken 1999". Darin heißt es unter anderem.
| 11 |
"In diesem ersten Monat des vorletzten Jahres der Jahrtausendwende können wir auf eine fünfjährige Arbeit zurückblicken und mit Sicherheit feststellen: die Deutschen haben niemals europäische Juden in todbringenden Gaskammern im Konzentrationslager Auschwitz oder an anderen Orten vernichtet. Daher können alle Deutschen und Deutschstämmigen ohne den aufgezwungenen Schuldkomplex leben, mit dem sie eine bösartige Denkweise ein halbes Jahrhundert lang versklavt hat."
| 12 |
"Auch wenn die Deutschen jetzt aufatmen können, müssen sie sich doch darauf gefaßt machen, daß sie weiterhin diffamiert werden, da Leute wie J. von den organisierten Juden Australiens sich nicht über Nacht grundlegend ändern. Ihre Auschwitz-Keule war ein gutes Instrument für sie, das sie gegen alle diejenigen geschwungen haben, die mit ihrer politischen Überzeugung nicht einverstanden sind, um sie 'funktionsfähig zu machen', wie J. sich äußerte."
| 13 |
Das Landgericht konnte bei den Internet-Fällen weder feststellen, daß der Angeklagte von sich aus Online-Anschlußinhaber in Deutschland oder anderswo angewählt hätte, um ihnen die genannten Webseiten zu übermitteln (zu "pushen"), noch daß - außer dem ermittelnden Polizeibeamten - Internetnutzer in Deutschland die Homepage des A. Institutes angewählt hatten.
| 14 |
III. | |
Die Publikationen des Angeklagten hat das Landgericht wie folgt rechtlich gewürdigt:
| 15 |
1. In allen drei Fällen hat das Landgericht den Angeklagten wegen Beleidigung (der überlebenden Juden) in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener verurteilt.
| 16 |
2. In allen drei Fällen habe der Angeklagte das Verfolgungsschicksal der ermordeten und überlebenden Insassen des Konzentrationslagers Auschwitz geleugnet. In den Fällen II.1 und II.3 habe er den Holocaust als erfundenes Druckmittel zur Erlangung politischer Vorteile und im Fall II.3 zusätzlich auch zur Erlangung finanzieller Vorteile bezeichnet.
| 17 |
Durch das von vornherein beabsichtigte öffentliche Zugänglichmachen dieser die Menschenwürde verletzenden Beleidigungen und Verunglimpfungen habe der Angeklagte zugleich auch die Gefahr begründet, daß dadurch der öffentliche Friede gestört würde. Seine ins Internet gestellten Artikel seien geeignet gewesen, das Sicherheitsempfinden und das Vertrauen in die Rechtssicherheit insbesondere der jüdischen Mitbürger empfindlich zu stören.
| 18 |
Das erfülle zwar den Tatbestand der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Aber lediglich im Fall II.2 (offener Brief) könne eine Verurteilung auch wegen Volksverhetzung erfolgen. Nur hier liege eine Inlandstat vor, für die deutsches Strafrecht gelte. Für die Internet-Fälle (II.1 und II.3) gelte das deutsche Strafrecht indessen nicht, soweit es die Volksverhetzung betrifft (§ 3 StGB). Insoweit sei kein inländischer Ort der Tat (§ 9 StGB) gegeben, denn gehandelt (§ 9 Abs. 1, 1. Alt. StGB) habe der Angeklagte nur in Australien, und einen zum Tatbestand gehörenden Erfolg (§ 9 Abs. 1, 3. Alt. StGB) könne es bei einem abstrakten Gefährdungsdelikt wie der Volksverhetzung nicht geben. Auch sonst (§§ 5 bis 7 StGB) gelte das deutsche Strafrecht nicht.
| 19 |
B. | |
20 | |
C. | |
Revision des Angeklagten:
| 21 |
Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg (wird ausgeführt).
| 22 |
D. | |
Revision der Staatsanwaltschaft:
| 23 |
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge überwiegend Erfolg; auch für die in den Internet-Fällen II.1 und II.3 tateinheitlich begangene Volksverhetzung gilt das deutsche Strafrecht.
| 24 |
I. | |
Die Äußerungen in den Internet-Fällen II.1 und II.3 haben einen volksverhetzenden Inhalt, und zwar sowohl nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB als auch nach § 130 Abs. 3 StGB.
| 25 |
1. In beiden Internet-Fällen liegt die sog. qualifizierte Auschwitzlüge (BGH NStZ 1994, 140; BGHSt 40, 97) vor, die den Tatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB (Beschimpfungs-Alternative) und des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB (Aufstachelungs-Alternative) erfüllt.
| 26 |
a) Mit offenkundig unwahren Tatsachenbehauptungen (BVerfGE 90, 241; BGH NStZ 1994, 140; 1995, 340) wird nicht nur das Schicksal der Juden unter der Herrschaft des Nationalsozialismus als Lügengeschichte dargestellt, sondern diese Behauptung wird auch mit dem Motiv der angeblichen Knebelung und Ausbeutung Deutschlands zugunsten der Juden verbunden. Im Fall II.1 wird die Qualifizierung insbesondere deutlich durch die Formulierung: "... häufig fiebrigen Gehirnen entsprungen sind, die es auf eine Rente vom deutschen Staat abgesehen haben.". Im Fall II.3 insbesondere durch die Formulierungen "Schuldkomplex", "versklavt" und "Auschwitz-Keule".
| 27 |
b) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht deshalb angenommen, daß der Äußerungstatbestand des § 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB, zumindest in der Form des Beschimpfens (vgl. von Bubnoff in LK 11. Aufl. § 130 Rn. 22), gegeben ist. Es liegt eine besonders verletzende Form der Mißachtung vor. Im Fall II.1 insbesondere durch die Formulierung "ein Grund zum Feiern" und im Fall II.3 insbesondere durch die Formulierung "mit dem sie eine bösartige Denkweise ein halbes Jahrhundert lang versklavt hat". Da die Behauptungen darauf ausgingen, feindliche Gefühle gegen die Juden im allgemeinen und gegen die in Deutschland lebenden Juden zu erwecken und zu schüren, liegt auch ein Angriff gegen die Menschenwürde vor (BGH NStZ 1981, 258; vgl. auch BGHSt 40, 97 [100], von Bubnoff a.a.O. § 130 Rn. 12, 18; Lenckner in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 130 Rn. 7).
| 28 |
c) Nach den Feststellungen liegt aber auch - was dem Angeklagten bereits in der Anklage vorgeworfen wurde - eine Volksverhetzung im Sinne des § 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB vor (vgl. dazu BGHSt 31, 226 [231]; 40, 97 [100]; BGH NStZ 1981, 258; 1994, 140; von Bubnoff a.a.O. § 130 Rn. 18; Lenckner a.a.O. § 130 Rn. 5a; Lackner/Kühl, StGB 23. Aufl. § 130 Rn. 4; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 130 Rn. 5, 20b). Die Feststellungen belegen, daß die Äußerungen dazu bestimmt waren, eine gesteigerte, über die bloße Ablehnung und Verachtung hinausgehende feindselige Haltung gegen die in Deutschland lebenden Juden zu erzeugen (vgl. BGHSt 40, 97 [102]).
| 29 |
2. Zugleich wird - was gleichfalls angeklagt ist - eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 220a Abs. 1 StGB bezeichneten Art geleugnet und verharmlost (§ 130 Abs. 3 StGB). Die vom Angeklagten persönlich verfaßten Internetseiten waren für einen nach Zahl und Individualität unbestimmten Kreis von Personen unmittelbar wahrnehmbar und damit öffentlich (Lackner/Kühl a.a.O. § 80a Rn. 2). Der Leugnungstatbestand des § 130 Abs. 3 StGB steht in Tateinheit zum Äußerungstatbestand des § 130 Abs. 1 StGB (von Bubnoff a.a.O. § 130 Rn. 50).
| 30 |
3. Soweit daneben der Schriftenverbreiterungstatbestand des § 130 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b StGB erfüllt sein sollte, wird er von § 130 Abs. 1 StGB verdrängt, wenn sich - wie hier - die Äußerung gegen Teile der (inländischen) Bevölkerung richtet (Lenckner a.a.O. § 130 Rn. 27; für Tateinheit auch insoweit wohl von Bubnoff a.a.O. § 130 Rn. 50).
| 31 |
4. Die Voraussetzungen der Tatbestandsausschlußklausel des § 130 Abs. 5 StGB i.V.m. § 86 Abs. 3 StGB (vgl. dazu BGHSt 46, 36) liegen nicht vor. Die Äußerungen dienen nicht der Wissenschaft, Forschung oder Lehre (BVerfG - Kammer - Beschl. vom 30. November 1988 - 1 BvR 900/88 -; BVerwG NVwZ 1988, 933); sie sind auch nicht durch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung geschützt (BVerfGE 90, 241; BVerfG - Kammer - Beschl. vom 6. September 2000 - 1 BvR 1056/95).
| 32 |
5. Die Eignung zur Friedensstörung ist gemeinsames Tatbestandsmerkmal von § 130 Abs. 1 und Abs. 3 StGB, die zusätzlich zu der Äußerung hinzutreten muß.
| 33 |
a) Mit der Eignungsformel wird die Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 und Abs. 3 StGB zu einem abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikt (vgl. Senat in BGHSt 39, 371 zum Freisetzen ionisierender Strahlen nach § 311 Abs. 1 StGB und in NJW 1999, 2129 zur Straftat nach § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG); teilweise wird diese Deliktsform auch als "potentielles Gefährdungsdelikt" bezeichnet (BGH NJW 1994, 2161; vgl. auch Sieber NJW 1999, 2065, 2067 m.w.N.). Dabei ist die Deliktsbezeichnung von untergeordneter Bedeutung; solche Gefährdungsdelikte sind jedenfalls eine Untergruppe der abstrakten Gefährdungsdelikte (Senat NJW 1999,2129).
| 34 |
b) Für die Eignung zur Friedensstörung ist deshalb zwar der Eintritt einer konkreten Gefahr nicht erforderlich (so aber Rudolphi in SK-StGB 6. Aufl. § 130 Rn. 10; Roxin, Strafrecht AT Bd. 1, 3. Aufl. § 11 Rn. 28; Schmidhäuser, Strafrecht BT 2. Aufl. S. 147; Gallas in FS für Heinitz S. 181). Vom Tatrichter verlangt wird aber die Prüfung, ob die jeweilige Handlung bei genereller Betrachtung gefahrengeeignet ist (vgl. BGH NJW 1999, 2129 zu § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG).
| 35 |
Notwendig ist allerdings eine konkrete Eignung zur Friedensstörung; sie darf nicht nur abstrakt bestehen und muß - wenn auch aufgrund generalisierender Betrachtung - konkret festgestellt sein (HansOLG Hamburg MDR 1981, 71; OLG Koblenz MDR 1977, 334; OLG Köln NJW 1981, 1280; von Bubnoff a.a.O. § 130 Rn. 4; Tröndle/Fischer a.a.O. § 130 Rn. 2; Lenckner a.a.O. § 130 Rn. 11; Lackner/Kühl a.a.O. § 130 Rn.19 i.V.m. § 126 Rn.4; Streng in FS für Lackner S.140). Deshalb bleibt der Gegenbeweis der nicht gegebenen Eignung zur Friedensstörung im Einzelfall möglich.
| 36 |
c) Dieses Verständnis von der Eignung zur Friedensstörung entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu vergleichbaren Eignungsdelikten wie dem Freisetzen ionisierender Strahlen nach § 311 Abs. 1 StGB (BGHSt 39, 371; NJW 1994, 2161) oder der Straftat nach § 34 Abs. 2 Nr. 3 AWG (BGH NJW 1999, 2129). Ähnliches gilt für den unerlaubten Umgang mit gefährlichen Abfällen nach § 326 Abs. 1 Nr. 4 StGB (vgl. BGHSt 39, 381 [385]; BGH NStZ 1994, 436; 1997, 189).
| 37 |
d) Für die Eignung zur Friedensstörung genügt es danach, daß berechtigte - mithin konkrete - Gründe für die Befürchtung vorliegen, der Angriff werde das Vertrauen in die öffentliche Rechtssicherheit erschüttern (BGHSt 29, 26; 46, 36 = NStZ 2000, 530; BGH NStZ 1981, 258).
| 38 |
6. Die Taten waren geeignet, den öffentlichen Frieden zu stören.
| 39 |
a) Eine solche Eignung wird durch die bisherigen Feststellungen belegt. Im Hinblick auf die Informationsmöglichkeiten des Internets, also aufgrund konkreter Umstände, mußte damit gerechnet werden - und darauf kam es dem Angeklagten nach den bisherigen Feststellungen auch an -, daß die Publikationen einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland bekannt werden.
| 40 |
b) Der Angeklagte verfolgte das Ziel, revisionistische Thesen zu verbreiten, und er wollte auch, daß jedermann weltweit und damit auch in Deutschland die Artikel lesen konnte. Er wollte damit auch aktiv in die Meinungsbildung bei der Verbreitung der Thesen in Kreisen deutscher "Revisionisten" eingreifen, wie der "offene Brief" mit seinem Verteilerkreis im Fall II.2 zeigt.
| 41 |
c) Es ist offenkundig, daß jedem Internet-Nutzer in Deutschland die Publikationen des Angeklagten ohne weiteres zugänglich waren. Die Publikationen konnten zudem von deutschen Nutzern im Inland weiter verbreitet werden. Daß gerade deutsche Internet-Nutzer - unbeschadet der Abfassung in englischer Sprache - zum Adressatenkreis der Publikationen gehörten und gehören sollten, ergibt sich insbesondere auch aus ihrem Inhalt, der einen nahezu ausschließlichen Bezug zu Deutschland hat (etwa: "untersuchen wir die Behauptung, daß die Deutschen systematisch sechs Millionen Juden umgebracht haben"; "Die Jagdsaison auf die Deutschen ist eröffnet"; "Daher können alle Deutschen und Deutschstämmigen ohne den aufgezwungenen Schuldkomplex leben"; "Die Deutschen können wieder stolz sein").
| 42 |
d) Das Landgericht hat daher zu Recht angenommen, daß der Angeklagte eine Gefahrenquelle schuf, die geeignet war, das gedeihliche Miteinander zwischen Juden und anderen Bevölkerungsgruppen empfindlich zu stören und die Juden in ihrem Sicherheitsgefühl und in ihrem Vertrauen auf Rechtssicherheit zu beeinträchtigen.
| 43 |
II. | |
Das deutsche Strafrecht gilt für das abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikt der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 und Abs. 3 StGB auch in den Internet-Fällen. Seine Anwendbarkeit ergibt sich aus § 3 StGB in Verbindung mit § 9 StGB. Denn hier liegt eine Inlandstat (§ 3 StGB) vor, weil der zum Tatbestand gehörende Erfolg in der Bundesrepublik eingetreten ist (§ 9 Abs. 1, 3. Alt. StGB).
| 44 |
1. Die Auslegung des Merkmals "zum Tatbestand gehörender Erfolg" muß sich an der ratio legis des § 9 StGB ausrichten. Nach dem Grundgedanken der Vorschrift soll deutsches Strafrecht - auch bei Vornahme der Tathandlung im Ausland - Anwendung finden, sofern es im Inland zu der Schädigung von Rechtsgütern oder zu Gefährdungen kommt, deren Vermeidung Zweck der jeweiligen Strafvorschrift ist (BGHSt 42, 235 [242]; Gribbohm in LK 11. Aufl. § 9 Rn. 24). Daraus folgt, daß das Merkmal "zum Tatbestand gehörender Erfolg" im Sinne des § 9 StGB nicht ausgehend von der Begriffsbildung der allgemeinen Tatbestandslehre ermittelt werden kann.
| 45 |
2. Die Vorverlagerung der Strafbarkeit kann der Gesetzgeber durch verschiedene Ausgestaltungen eines Gefährdungsdelikts vornehmen. Er kann konkrete Gefährdungsdelikte schaffen (wie § 315c StGB), oder aber abstrakt-konkrete (wie § 130 Abs. 1 und Abs. 3, § 311 Abs. 1 StGB, § 34 AWG) und rein abstrakte Gefährdungstatbestände (wie § 316 StGB). Wie der Gesetzgeber den Deliktscharakter bestimmt, hängt häufig vom Rang des Rechtsguts und der spezifischen Gefährdungslage ab.
| 46 |
Daß konkrete Gefährdungsdelikte - als Untergruppe der Erfolgsdelikte - dort, wo es zur konkreten Gefahr gekommen ist, einen Erfolgsort haben, ist weitgehend unbestritten (vgl. nur Gribbohm a.a.O. § 9 Rn. 20 und Hilgendorf NJW 1997, 1873, 1875 m.w.N.). Abstrakt-konkrete Gefährdungsdelikte stehen zwischen konkreten und rein abstrakten Gefährdungsdelikten. Sie sind unter dem hier relevanten rechtlichen Gesichtspunkt des Erfolgsorts mit konkreten Gefährdungsdelikten vergleichbar, weil der Gesetzgeber auch hier eine zu vermeidende Gefährdung - den Erfolg - im Tatbestand der Norm ausdrücklich bezeichnet. Ob bei rein abstrakten Gefährdungsdelikten ein Erfolgsort jedenfalls dann anzunehmen wäre, wenn die Gefahr sich realisiert hat, braucht der Senat nicht zu entscheiden.
| 47 |
3. Bei abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten ist ein Erfolg im Sinne des § 9 StGB dort eingetreten, wo die konkrete Tat ihre Gefährlichkeit im Hinblick auf das im Tatbestand umschriebene Rechtsgut entfalten kann. Bei der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 und Abs. 3 StGB ist das die konkrete Eignung zur Friedensstörung in der Bundesrepublik Deutschland (Collardin CR 1995, 618: speziell zur Auschwitzlüge, wenn der Täter in Deutschland wirken will; Kuner CR 1996,453,455: zu Äußerungen im Internet; Beisel/Heinrich JR 1996, 95; Heinrich mit beachtlichen Argumenten in GA 1999, 72; ähnlich Martin ZRP 1992, 19: zu grenzüberschreitenden Umweltdelikten).
| 48 |
a) Dies entspricht auch der Intention des Gesetzgebers bei Schaffung des Volksverhetzungstatbestands im Jahre 1960 (vgl. dazu Streng a.a.O.). Schon im Vorfeld von unmittelbaren Menschenwürdeverletzungen wollte er dem Ingangsetzen einer historisch als gefährlich nachgewiesenen Eigendynamik entgegenwirken und schon den Anfängen wehren (Streng a.a.O. S. 508: "Klimaschutz").
| 49 |
Mit der Einfügung des Leugnungstatbestands des § 130 Abs. 3 StGB im Jahre 1994 betonte der Gesetzgeber nochmals die Intention, "eine Vergiftung des politischen Klimas durch die Verharmlosung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft zu verhindern" (Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags, BTDrucks. 12/8588 S. 8; vgl. auch Bundesministerium der Justiz bei der 1. Beratung des Gesetzentwurfs zur Strafbarkeit der Leugnung des nationalsozialistischen Völkermordes - BTDrucks. 12/7421 - am 18. Mai 1994, Plenarprotokoll der 227. Sitzung des Deutschen Bundestags, S. 19671).
| 50 |
Der Gesetzgeber wollte somit den strafrechtlichen Schutz vorverlagern; schon die "Vergiftung des politischen Klimas" sollte unterbunden werden. Die Vorverlagerung der Strafbarkeit war - wie das Abstellen auf das "politische Klima" zeigt - auch davon bestimmt, daß eine konkrete Gefährdung oder gar eine individuelle Rechtsgutverletzung nur sehr selten unmittelbar auf eine einzelne Äußerung zurückgeführt werden könne (vgl. Streng a.a.O. S. 512, der zusätzlich darauf hinweist, daß die Menschenwürde anderer nur angegriffen, nicht aber verletzt werden muß).
| 51 |
b) Auch sonst wird der Begriff des Erfolgsorts nicht im Sinne der allgemeinen Tatbestandslehre verstanden.
| 52 |
So hat der Bundesgerichtshof bei abstrakten Gefährdungsdelikten einen "zum Tatbestand gehörenden Erfolg" im Sinne des § 78a Satz 2 StGB (Verjährungsbeginn) durchaus für möglich gehalten: "Bei diesen Delikten [§ 326 Abs. 1 StGB, abstraktes Gefährdungsdelikt] tritt mit der Begehung zugleich der Erfolg der Tat ein, der in der eingetretenen Gefährdung, nicht in einer aus der Gefährdung möglicherweise später erwachsenden Verletzung besteht" (BGHSt 36, 255 [257]; siehe auch Jähnke in LK 11. Aufl. § 78a Rn. 11).
| 53 |
Auch kann ein abstraktes Gefährdungsdelikt durch Unterlassen begangen werden. Dabei setzt § 13 StGB gleichfalls einen Erfolg voraus, "der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört" (vgl. BGH NStZ 1997, 545: Tatbestandsverwirklichung des § 326 Abs. 1 StGB durch Unterlassung, die lediglich nicht fahrlässig war; BGHSt 38, 325 [338]: die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 326 Abs. 1 Nr. 3 StGB waren durch Unterlassen erfüllt, dieser Tatbestand wurde allerdings von § 324 StGB verdrängt). Das entspricht auch der überwiegenden Auffassung in der Literatur (Tröndle/Fischer a.a.O. § 13 Rn. 2; Lackner/Kühl a.a.O. § 13 Rn. 6; Stree in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 13 Rn. 3; a.A. Jescheck in LK 11. Aufl. § 13 Rn. 2, 15).
| 54 |
c) Soweit von einer verbreiteten Meinung die Auffassung vertreten wird, abstrakte Gefährdungsdelikte könnten keinen Erfolgsort im Sinne des § 9 StGB haben (OLG München StV 1991, 504: zur Hehlerei als schlichtem Tätigkeitsdelikt; KG NJW 1999, 3500; Gribbohm a.a.O. § 9 Rn. 20; Tröndle/Fischer a.a.O. § 9 Rn. 3; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl. § 9 Rn. 6; Lackner/Kühl a.a.O. § 9 Rn. 2; Jakobs, Strafrecht AT 2. Aufl. S. 117; Horn/Hoyer JZ 1987, 965, 966; Tiedemann/Kindhäuser NStZ 1988, 337, 346; Cornils JZ 1999, 394: speziell zur Volksverhetzung im Internet), wird nicht immer hinreichend zwischen rein abstrakten und abstrakt-konkreten Gefährdungsdelikten differenziert. Aber auch dort, wo die Auffassung vertreten wird, daß abstrakt-konkrete bzw. potentielle Gefährdungsdelikte - als Unterfall der abstrakten Gefährdungsdelikte - keinen Erfolgsort hätten (Hilgendorf NJW 1997, 1873; Satzger NStZ 1998, 112), vermag das nicht zu überzeugen.
| 55 |
Die Verneinung eines Erfolgsorts bei abstrakten Gefährdungsdelikten wird zumeist nicht näher begründet, stützt sich aber ersichtlich auf den geänderten Wortlaut des § 9 StGB. Durch das 2. StrRG vom 4. Juli 1969 (BGBl. I 717), in Kraft getreten am 1. Januar 1975 (BGBl. 1973 I 909), wurde der Erfolgsort nicht mehr nur mit dem "Erfolg", sondern mit dem "zum Tatbestand gehörenden Erfolg" umschrieben. Da eine konkrete Gefahr oder gar eine Gefahrverwirklichung gerade nicht zum Tatbestand eines abstrakten Gefährdungsdelikts gehöre, könne auch der Ort der Gefährdung nicht Tatort sein.
| 56 |
Allerdings war das Ziel der Gesetzesänderung nicht, eine Begrenzung des § 9 Abs. 1, 3. Alt. StGB auf Erfolgsdelikte vorzunehmen, wie Sieber (NJW 1999, 2065, 2069) überzeugend dargelegt hat. Das Merkmal "zum Tatbestand gehörender Erfolg" sollte lediglich klarstellen, daß der Eintritt des Erfolges in enger Beziehung zum Straftatbestand zu sehen ist (Kielwein in: Niederschriften über die Sitzung der Großen Strafrechtskommission IV, AT 38. bis 52. Sitzung 1958 S. 20).
| 57 |
Mit der Aufnahme der (konkreten) Eignung zur Friedensstörung in den Tatbestand des § 130 Abs. 1 und Abs. 3 StGB hat der Gesetzgeber indes die enge Beziehung des Eintritts des Erfolgs zum Straftatbestand umschrieben und damit den zum Tatbestand gehörenden Erfolg selbst bestimmt.
| 58 |
d) Auch die vermittelnden Meinungen von Oehler (Internationales Strafrecht 2. Aufl. Rn. 257), Jescheck (Lehrbuch des Strafrechts AT 4. Aufl. S. 160; nicht eindeutig Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT 5. Aufl. S. 178) und Sieber (NJW 1999, 2065), die bei der hier vorliegenden Fallgestaltung zu einer Verneinung des Erfolgsorts führen würden, vermögen in dem gefundenen Ergebnis nichts zu ändern.
| 59 |
4. Für die Anwendung des deutschen Strafrechts bei der Volksverhetzung nach § 130 Abs. 1 und Abs. 3 StGB in Fällen der vorliegenden Art liegt auch ein völkerrechtlich legitimierender Anknüpfungspunkt vor. Denn die Tat betrifft ein gewichtiges inländisches Rechtsgut, das zudem objektiv einen besonderen Bezug auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufweist (vgl. Jescheck/Weigend a.a.O. S. 179; Hilgendorf NJW 1997, 1873, 1876; Derksen NJW 1997, 1878, 1880; Martin ZRP 1992, 19, 22). Auch soll die Verletzung dieses Rechtsguts gerade von dieser Strafvorschrift unterbunden werden.
| 60 |
Das Äußerungsdelikt nach § 130 Abs. 1 StGB schützt Teile der inländischen Bevölkerung schon im Vorfeld von unmittelbaren Menschenwürdeverletzungen und will - wegen der besonderen Geschichte Deutschlands - dem Ingangsetzen einer historisch als gefährlich nachgewiesenen Eigendynamik entgegenwirken. Der Leugnungstatbestand des § 130 Abs. 3 StGB hat aufgrund der Einzigartigkeit der unter der Herrschaft des Nationalsozialismus an den Juden begangenen Verbrechen einen besonderen Bezug zur Bundesrepublik Deutschland (vgl. von Bubnoff a.a.O. § 130 Rn. 45; Lackner/Kühl a.a.O. § 130 Rn. 8 a; Gemeinsame Maßnahme des Rates der Europäischen Union betreffend die Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vom 15. Juli 1996, ABl. der EG vom 24. Juli 1996 Nr. L 185/5).
| 61 |
5. Es kann offen bleiben, ob der Angeklagte auch im Inland gehandelt haben könnte (§ 9 Abs. 1, 1. Alt. StGB), wenn ein inländischer Internet-Nutzer die Seiten auf dem australischen Server aufgerufen und damit die Dateien nach Deutschland "heruntergeladen" hätte. Der Senat hätte allerdings Bedenken, eine auch bis ins Inland wirkende Handlung darin zu sehen, daß der Angeklagte sich eines ihm zuzurechnenden Werkzeugs (der Rechner einschließlich der Proxy-Server, Datenleitungen und der Übertragungssoftware des Internets) zur - physikalischen - "Beförderung" der Dateien ins Inland bedient hätte. Eine Übertragung des im Zusammenhang mit der Versendung eines Briefs (vgl. dazu Gibbohm a.a.O. § 9 Rn. 39) entwickelten Handlungsbegriffs (zu Rundfunk- und Fernsehübertragungen siehe auch KG NJW 1999, 3500) auf die Datenübertragung des Internets liegt eher fern.
| 62 |
III. | |
Das deutsche Strafrecht gilt auch für die Erfolgsdelikte der Beleidigung (vgl. Tröndle/Fischer a.a.O. § 185 Rn. 15; Roxin a.a.O. § 10 Rn. 102; Hilgendorf NJW 1997, 1873, 1876) und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (vgl. Tröndle/Fischer a.a.O. § 189 Rn. 2) in den Internet-Fällen. Die Ehrverletzung (zu den Grenzen der Meinungsfreiheit vgl. BVerfG - Kammer - Beschl. vom 6. September 2000 - 1 BvR 1056/95) trat jedenfalls mit der Kenntniserlangung des ermittelnden Polizeibeamten ein (vgl. BGHSt 9, 17; Tröndle/Fischer a.a.O. § 185 Rn. 15; Lenckner a.a.O. § 185 Rn. 5, 16). Hierbei handelte es sich nicht etwa um vertrauliche Äußerungen, von denen sich der Staat Kenntnis verschafft hat (vgl. BVerfGE 90, 255).
| 63 |
© 1994-2020 Das Fallrecht (DFR). |