BVerfGE 90, 255 - Briefüberwachung | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher | |||
Beschluß |
des Ersten Senats vom 26. April 1994 |
-- 1 BvR 1968/88 [Druckfehler; richtig ist: 1 BvR 1689/88] -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Frau K... - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Klaus Berger, Ungererstraße 58, München - gegen a) den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 17. November 1988 - RReg. 2 St 253/88 -, b) das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14. April 1988 - 4 Ns 283 Js 4207/88 -, c) den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 20. Januar 1988 - RReg. 2 St 396/87 -, d) das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 25. Juni 1987 - 1 Ns 3 Js 9665/86 -, e) den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 29. April 1987 - RReg. 2 St 385/85 -, f) das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 26. August 1986 - 2 Ns 3 Js 9665/85 -. |
Entscheidungsformel: |
Die Beschlüsse des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 29. April 1987 - RReg. 2 St 385/85, 20. Januar 1988 - RReg. 2 St 396/87 - und 17. November 1988 - RReg. 2 St 253/88 - sowie die Urteile des Landgerichts Ansbach vom 26. August 1986 - 2 Ns 3 Js 9665/85 - und vom 25. Juni 1987 - 1 Ns 3 Js 9665/86 - und das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 14. April 1988 - 4 Ns 283 Js 4207/88 - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes). Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung an eine andere Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth zurückverwiesen. |
Der Freistaat Bayern hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten. |
Gründe: | |
A. | |
Die Beschwerdeführerin ist aufgrund eines Briefes, den sie an ihren in Strafhaft sitzenden Bruder gerichtet hatte, wegen Beleidigung von Strafvollzugsbeamten verurteilt worden.
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I. | |
1. Die Beschwerdeführerin, damals Studentin der Rechtswissenschaft, war von ihrem in der Justizvollzugsanstalt Heilbronn inhaftierten Bruder brieflich über Vorkommnisse in der Haftanstalt informiert worden, die ihn so belasteten, daß er Selbstmordabsichten andeutete. Die Beschwerdeführerin antwortete ihm mit einem Brief, in dem es unter anderem hieß:
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"Vergiß auch nicht, daß Du fast ausschließlich mit Kretins (Schwachsinnigen) zu tun hast, die auf Beförderung geil sind oder ganz einfach Perverse sind. Denk dabei an die KZ-Aufseher und Du weißt, welche Menschengruppe Dich umgibt. Versuche damit, Dein doch sonst immer lebensbejahendes Denken und Dein fröhliches Wesen aufrecht zu erhalten."
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Zu dieser Zeit befand sich der Bruder auf dem Transport von der Justizvollzugsanstalt Heilbronn in die Justizvollzugsanstalt Ansbach. Diese hielt den Brief der Beschwerdeführerin an und stellte wegen der darin enthaltenen Äußerungen über die Bediensteten der Justizvollzugsanstalt Heilbronn Strafantrag gegen die Beschwerdeführerin wegen Beleidigung. Ebenso stellte die Justizvollzugsanstalt Heilbronn Strafantrag, nachdem ihr der Brief zur Kenntnis gegeben worden war.
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2. Mit Urteil des Amtsgerichts Ansbach wurde die Beschwerdeführerin wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe verurteilt. Die beanstandete Äußerung setze die Vollzugsbediensteten der Justizvollzugsanstalt Heilbronn in ihrer Ehre herab. Das habe die Beschwerdeführerin billigend in Kauf genommen, denn es sei ihr bekannt gewesen, daß der Brief von Vollzugsbeamten gelesen werden könne. Aus demselben Grund könne sie sich auch nicht auf die Vertraulichkeit des Worts berufen.
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Auf die Revision der Beschwerdeführerin hob das Bayerische Oberste Landesgericht das Berufungsurteil auf. Der Tatbestand der Beleidigung sei zwar vollendet. Auch habe es sich wegen der der Beschwerdeführerin bekannten Briefkontrolle nicht um eine vertrauliche Äußerung gehandelt. Das Berufungsgericht sei jedoch nicht darauf eingegangen, ob sich die Beschwerdeführerin in einem Verbotsirrtum befunden habe.
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Das Landgericht Ansbach verwarf daraufhin die Berufung der Beschwerdeführerin erneut. Die durch die Briefüberwachung erlangten Kenntnisse seien gemäß § 34 Abs. 1 Nr. l StVollzG verwertbar. Die Einlassung der Beschwerdeführerin, sie habe den Brief für eine Mitteilung im engsten Familienkreis gehalten und sich auf seine Vertraulichkeit verlassen, sei widerlegt, weil die Beschwerdeführerin von der Briefkontrolle gewußt habe.
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Das Bayerische Oberste Landesgericht hob auch das zweite Berufungsurteil auf. Das Landgericht hätte sich mit der Möglichkeit auseinandersetzen müssen, daß die Beschwerdeführerin trotz Kenntnis der Briefkontrolle ihr Tun als erlaubt angesehen habe, weil nach ihrer Vorstellung der Brief seinen vertraulichen Charakter durch die Postüberwachung nicht verloren habe.
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Im dritten Berufungsdurchgang verwarf das Landgericht Nürnberg-Fürth, an das die Sache zurückverwiesen worden war, die Berufung. Es stellte ergänzend fest, die Beschwerdeführerin sei über den Brief ihres Bruders beunruhigt gewesen und habe befürchtet, er könne "durchdrehen" und einen Selbstmordversuch unternehmen. Sie habe billigend in Kauf genommen, daß der Briefinhalt den Vollzugsbeamten in Heilbronn bekannt würde. Über die Erlaubtheit ihres Tuns habe sie sich in einem vermeidbaren Verbotsirrtum befunden. Sie hätte erkennen können, daß aufgrund der Briefkontrolle keine vertrauliche und deshalb straflose Äußerung im engsten Familienkreis mehr vorgelegen habe. Die Verwertbarkeit des Briefes ergebe sich aus § 34 Abs. 1 Nr. 1 StVollzG.
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II. | |
Gegen diesen Beschluß sowie die vorangegangenen Entscheidungen der Landgerichte und des Bayerischen Obersten Landesgerichts richtet sich die Verfassungsbeschwerde. Die Beschwerdeführerin rügt Verstöße gegen Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 10 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.
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Bei dem Brief habe es sich um eine Mitteilung im engsten Familienkreis gehandelt. Die Briefkontrolle ändere daran nichts. Mit dem Bruder sei ein Gedankenaustausch unter Ausschluß Dritter nicht möglich gewesen. Besuche fänden im Beisein eines Beamten statt; Briefe würden überwacht. Die familiäre Vertraulichkeit könne daher nur gewahrt werden, wenn der mit der Briefkontrolle befaßte Beamte nicht als Dritter angesehen werde. Andernfalls würden die Vertraulichkeit des Worts durchbrochen und das Briefgeheimnis ausgehöhlt. Jedenfalls beanspruche die freie Meinungsäußerung bei Mitteilungen im engsten Familienkreis den Vorrang vor dem Ehrenschutz. Der Brief hätte schon nicht angehalten, geschweige denn verwertet werden dürfen. Insoweit könne für § 31 Abs. 1 Nr. 4 StVollzG nichts anderes gelten als für § 119 Abs. 3 StPO, hinsichtlich dessen das Bundesverfassungsgericht den Vorrang der Meinungsfreiheit bei Äußerungen im engsten Familienkreis bereits festgestellt habe (BVerfGE 35, 35).
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III. | |
Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Der Brief habe angehalten und im Strafverfahren verwertet werden dürfen. Die Äußerung der Beschwerdeführerin werde von Art. 5 Abs. 1 GG nicht mehr gedeckt, weil es sich um eine gravierende Kundgabe der Mißachtung der Vollzugsbediensteten handele. Auf den Briefverkehr von Strafgefangenen könnten die zur Untersuchungshaft herausgearbeiteten Grundsätze nicht übertragen werden. Die Verurteilung verletze deshalb auch nicht den von Art. 2 Abs. 1 GG erfaßten Anspruch auf Achtung der Privatsphäre.
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B. | |
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
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I. | |
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG).
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1. Die Beschwerdeführerin ist wegen einer Äußerung bestraft worden. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Würdigung von Äußerungen und die Zulässigkeit von Beschränkungen ergeben sich aus dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit. Da es sich um eine Äußerung in der von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Privatsphäre handelt, tritt dieses Grundrecht jedoch ergänzend hinzu.
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2. Die Äußerung der Beschwerdeführerin genießt als Werturteil den Schutz der Meinungsfreiheit, ohne daß es dabei auf die Begründetheit oder Grundlosigkeit der Äußerung ankäme (vgl. BVerfGE 61, 1 [7]; 85, 1 [15]; st. Rspr.). Allerdings unterliegt die Meinungsfreiheit denjenigen Schranken, die sich aus den Vorschriften zum Schutz der persönlichen Ehre ergeben. Zu diesen zählt auch § 185 StGB, auf den die Verurteilung gestützt worden ist. Bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschrift muß aber der Bedeutung und Tragweite von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Rechnung getragen werden (vgl. BVerfGE 7, 198 [208]; st. Rspr.). Das erfordert eine im Rahmen der Anwendung des einfachen Rechts vorzunehmende fallbezogene Abwägung zwischen dem eingeschränkten Grundrecht und dem Rechtsgut, dem das grundrechtsbeschränkende Gesetz dient. Dabei beansprucht jedenfalls bei schweren und haltlosen Kränkungen im privaten Bereich der Ehrenschutz regelmäßig den Vorrang vor der Meinungsfreiheit (vgl. BVerfGE 54, 129 [137]).
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3. Diese Abwägungsregel gilt aber nicht ausnahmslos. Sie beruht auf der unausgesprochenen Voraussetzung, daß die kränkende Äußerung gegenüber dem Betroffenen oder Dritten getan wird und dort ihre herabsetzende Wirkung entfaltet. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn die Äußerung in einer Sphäre fällt, die gegen Wahrnehmung durch den Betroffenen oder Dritte gerade abgeschirmt ist.
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Eine solche Sphäre wird durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht begründet. Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die freie Entfaltung der Persönlichkeit. Zu den Bedingungen der Persönlichkeitsentfaltung gehört es, daß der Einzelne einen Raum besitzt, in dem er unbeobachtet sich selbst überlassen ist oder mit Personen seines besonderen Vertrauens ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhaltenserwartungen und ohne Furcht vor staatlichen Sanktionen verkehren kann. Aus der Bedeutung einer solchen Rückzugsmöglichkeit für die Persönlichkeitsentfaltung folgt, daß der Schutz des Art. 2 Abs. l in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG auch die Privatsphäre umfaßt (vgl. BVerfGE 27, 1 [6]; st. Rspr.).
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Am Schutz der Privatsphäre nimmt auch die vertrauliche Kommunikation teil. Gerade bei Äußerungen gegenüber Familienangehörigen und Vertrauenspersonen steht häufig weniger der Aspekt der Meinungskundgabe und die damit angestrebte Einwirkung auf die Meinungsbildung Dritter als der Aspekt der Selbstentfaltung im Vordergrund. Nur unter den Bedingungen besonderer Vertraulichkeit ist dem Einzelnen ein rückhaltloser Ausdruck seiner Emotionen, die Offenbarung geheimer Wünsche oder Ängste, die freimütige Kundgabe des eigenen Urteils über Verhältnisse und Personen oder eine entlastende Selbstdarstellung möglich. Unter solchen Umständen kann es auch zu Äußerungsinhalten oder -formen kommen, die sich der Einzelne gegenüber Außenstehenden oder in der Öffentlichkeit nicht gestatten würde. Gleichwohl verdienen sie als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung den Schutz des Grundrechts.
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Die vertrauliche Kommunikation erschöpft sich aber nicht in solchen auf Selbstentfaltung gerichteten Äußerungen. Äußerungen in der Privatsphäre oder im engsten Familienkreis dienen nicht nur dazu, dem eigenen Empfinden unverstellt Ausdruck zu geben oder einem Unmut befreiend Luft zu machen. Sie können auch auf Familienmitglieder oder andere Vertraute bezogen sein und diesen in einer Persönlichkeitskrise oder Existenzbedrohung Hilfe bieten oder Erleichterung verschaffen und so zur seelischen Stabilisierung oder gesellschaftlichen Integrationsfähigkeit beitragen (vgl. BVerfGE 57, 170 [178]). Auch unter solchen Umständen kann es zu Äußerungsinhalten oder -formen kommen, die in Normalsituationen vermieden würden, aber ebenfalls den grundrechtlichen Schutz des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. l Abs. 1 GG verdienen.
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Die strafrechtliche Judikatur und die Literatur tragen dem Rechnung, indem sie bei ehrverletzenden Äußerungen über nicht anwesende Dritte in besonders engen Lebenskreisen eine beleidigungsfreie Sphäre zugestehen, wenn die Äußerung Ausdruck des besonderen Vertrauens ist und wenn keine begründete Möglichkeit ihrer Weitergabe besteht (vgl. Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, 24. Aufl., Vorbem. zu §§ 185 ff., Rdnr. 9 m.w.N.). Auf die umstrittene Frage, ob es sich dabei um einen Tatbestandsausschluß oder einen Rechtfertigungsgrund handelt, kommt es für die verfassungsrechtliche Beurteilung nicht an.
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Anders als die Strafgerichte angenommen haben, geht der Schutz der Vertrauenssphäre aber auch dann nicht verloren, wenn sich der Staat Kenntnis von vertraulich gemachten Äußerungen verschafft. Das gilt auch für die Briefkontrolle bei Strafgefangenen nach §§ 29 Abs. 3, 31 StVollzG. Zwar ist die Überwachung zum Schutz anderer bedeutsamer Rechtsgüter verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Sie soll Gefahren für das Vollzugsziel und die Sicherheit und Ordnung der Anstalt abwehren sowie die Vertuschung begangener und die Begehung neuer Straftaten verhindern. Es ist auch unvermeidlich, daß der Vollzugsbeamte bei Gelegenheit einer solchen Kontrolle Kenntnis vom gesamten Inhalt des überprüften Schriftstücks erlangt. Die Kenntnisnahme von der Äußerung ändert aber nichts an deren Zugehörigkeit zu der grundrechtlich geschützten Privatsphäre. Durch die Kontrollbefugnis kann diese zwar rechtmäßig durchbrochen, nicht aber in eine öffentliche Sphäre umdefiniert werden. Vielmehr wirkt sich der Grundrechtsschutz gerade darin aus, daß der vertrauliche Charakter der Mitteilung trotz der staatlichen Überwachung gewahrt bleibt. Er entfällt folglich nicht schon deswegen, weil der Verfasser von der Briefkontrolle weiß (vgl. BVerfGE 35, 35 [40]).
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Etwas anderes gilt nur, wenn der sich Äußernde selber die Vertraulichkeit aufhebt, so daß die Gelegenheit für Dritte, seine Äußerungen wahrzunehmen, ihm zuzurechnen ist und nicht erst durch den staatlichen Eingriff geschaffen wird. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn der sich Äußernde die nötige Vorsicht gegen Kenntnisnahme Dritter außer acht läßt oder Übermittlungswege wählt, die der Überwachung unterliegen, obwohl er ohne weiteres auch unüberwacht Kontakt aufnehmen könnte. Erst recht ist es der Fall, wenn eine Mitteilung an Vertrauenspersonen nur genutzt wird, um den Briefkontrolleur oder durch ihn Dritte zu treffen. Dazu bedarf es dann aber der Feststellung tatsächlicher Umstände, die diese Annahme rechtfertigen können.
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Die hier entwickelten Grundsätze gelten unabhängig davon, ob es sich um Mitteilungen handelt, die in der Haftanstalt eingehen oder sie verlassen. Ebensowenig kommt es darauf an, ob Verfasser oder Empfänger sich in Strafhaft oder Untersuchungshaft befinden. Schließlich ist der Kreis möglicher Vertrauenspersonen nicht auf Ehegatten (BVerfGE 35, 35; 42, 234) oder Eltern (BVerfGE 57, 170) beschränkt. Gerade die Ausführungen in dem letztgenannten Beschluß (a.a.O., S. 178) zeigen, daß von der Funktion des Persönlichkeitsschutzes her die Übertragung auf ähnlich enge Vertrauensverhältnisse geboten ist.
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4. Gemessen daran halten die angegriffenen Entscheidungen einer verfassungsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
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Es ist zwar von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß die Strafgerichte in dem Brief der Beschwerdeführerin eine schwere und jeder sachlichen Grundlage entbehrende Kränkung der Vollzugsbeamten der Justizvollzugsanstalt Heilbronn erblickt haben. Die Verurteilung beruht aber auf der Annahme der Strafgerichte, daß die Briefüberwachung die Vertraulichkeit der Äußerung aufhebt, weil ihr Urheber infolge der Kontrolle damit rechnen muß, daß seine Äußerung Dritten zur Kenntnis gelangt. Das ist mit dem die Meinungsfreiheit ergänzenden Grundrechtsschutz der Privatsphäre aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar. Feststellungen, wonach die Vertraulichkeit der Äußerung nicht erst durch die staatliche Briefkontrolle, sondern schon durch die Beschwerdeführerin selbst aufgehoben worden wäre, haben die Strafgerichte nicht getroffen. Die festgestellten Tatsachen ergeben auch keinen Anlaß zu einer solchen Annahme.
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II. | |
Da bereits die Bewertung des Briefes als strafbare Beleidigung verfassungsrechtlich zu beanstanden ist, bedarf es keiner Prüfung, ob auch die Verwertung des Briefes im Strafverfahren Grundrechte der Beschwerdeführerin verletzt hat.
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Herzog, Henschel, Seidl, Grimm, Söllner, Kühling, Seibert, Jaeger | |
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