Beschluß | |
des Ersten Senats vom 22. Juni 1982
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-- 1 BvR 1376/79 -- | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Dr. Sch. ... gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 19. November 1979 -- 5 U 128/79 -- und vorangegangene Entscheidungen.
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Entscheidungsformel:
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Das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 19. November 1979 -- 5 U 128/79 -- verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes. Es wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
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Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
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Gründe: | |
A. | |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, welche Bedeutung dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung für die Entscheidung eines Zivilrechtsstreits wegen Unterlassung herabsetzender Äußerungen über eine politische Partei in einem Wahlkampf zukommt.
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I.
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1. Der Beschwerdeführer, der inzwischen Mitglied des Europäischen Parlaments ist, kandidierte für die Wahl zu diesem Parlament auf der Bundesliste der SPD; auf Wahlveranstaltungen äußerte er unter anderem, die CSU sei "die NPD von Europa". Die CSU, die der Auffassung war, diese Äußerung enthalte eine unwahre und überdies herabsetzende Tatsachenbehauptung, erwirkte gegen den Beschwerdeführer beim Landgericht eine einstweilige Verfügung, durch die ihm unter Androhung eines Ordnungsgeldes untersagt wurde, zu behaupten, die CSU sei die NPD Europas. Diese zunächst ohne mündliche Verhandlung ergangene Entscheidung wurde durch Urteil des Landgerichts bestätigt; die Berufung des Beschwerdeführers blieb erfolglos.
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2. Das Oberlandesgericht führte im wesentlichen aus:
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Die beanstandete Äußerung sei ihrem Wortlaut nach eine Tatsachenbehauptung. Für die rechtliche Beurteilung sei hierbei nicht nur der Text allein, sondern vor allem der in ihm zum Ausdruck kommende erkennbare Sinn maßgeblich. Dieser bestehe darin, der Verfügungsklägerin vorzuwerfen, ihre geistigen, weltanschaulichen und gesellschaftlichen Grundlagen, Leitgedanken, Wertvorstellungen und politischen Methoden entsprächen denen der NPD; die CSU vertrete und verfolge die von der NPD innerhalb des Bundesgebiets vertretenen Auffassungen auf der "Ebene des europäischen Parlaments". Diese Behauptung sei jedoch offensichtlich unwahr. Die CSU stehe voll auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, während die NPD als Partei gelte, die dieser Ordnung entgegenwirke und sie gefährde. Daß diese allgemeine Meinung über die NPD zutreffe, ergebe sich insbesondere aus dem bundesamtlichen Bericht "Verfassungsschutz 73". Unter diesen Umständen stelle jedoch die vom Beschwerdeführer gebrauchte Wendung eine schwere Herabwürdigung in der öffentlichen Meinung und damit eine grobe Ehrverletzung dar. Dessen sei sich der Beschwerdeführer auch bewußt gewesen. Auf den Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen und auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung könne er sich nicht berufen. Zweifelhaft sei bereits, ob derartige Wahlkampfmethoden überhaupt noch in die Schutzbereiche dieser Vorschriften fallen könnten. Selbst wenn man jedoch der in diesem Punkt sehr weit gehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung folge, könne im Ergebnis nichts anderes gelten. Denn die Wertung der CSU als rechtsradikal, neofaschistisch und verfassungsfeindlich enthalte zugleich eine die Voraussetzungen des § 185 StGB erfüllende Schmähkritik, die auch bei Berücksichtigung des Art. 5 Abs. 1 GG grundsätzlich unzulässig sei.
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II.
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Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG. Zur Begründung trägt er vor:
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Landgericht und Oberlandesgericht hätten bei ihren Entscheidungen die Einwirkung der Grundrechte auf die Auslegung und Anwendung der Vorschriften des bürgerlichen Rechts verkannt. Ihm - dem Beschwerdeführer - sei es darauf angekommen, im Kampf der politischen Meinungen deutlich zu machen, daß die CSU, die in Bayern geradezu übermächtig erscheine, im europäischen Maßstab eine kleine Partei am rechten Rand des Spektrums des politischen Geschehens sei und nicht genügend Abstand zu den äußersten rechten Strömungen in Europa halte. Entgegen der in den angefochtenen Entscheidungen vertretenen Auffassung sei die beanstandete Äußerung deshalb nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Meinungsäußerung in der politischen Auseinandersetzung anzusehen. Dieser Auslegungsfehler unterliege auch der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht, denn schon beim Ausgangspunkt "Tatsache" oder "Werturteil" entscheide sich, ob das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG leerlaufe oder nicht. Darüber hinaus habe das Oberlandesgericht der beanstandeten Äußerung auch einen Inhalt und Hintergrund gegeben, der nicht einmal von der Gegenseite vorgetragen worden sei. Darin liege zugleich eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG, denn einem Redner dürfe nicht mehr unterstellt werden, als er tatsächlich geäußert habe. Auch die Würdigung seiner Äußerung als "Schmähkritik" verletze Verfassungsrecht. Ihm sei es nicht um vorsätzliche Kränkung der CSU gegangen; Äußerungen dieser Art seien vielmehr im politischen Tageskampf üblich und würden von der SPD, für die er kandidiert habe, in aller Regel ohne Inanspruchnahme von Gerichten hingenommen. Landgericht und Oberlandesgericht hätten völlig übersehen, daß die CSU im vorangehenden Landtagswahlkampf, im darauf folgenden Europawahlkampf wie auch im Bundestagswahlkampf 1980 grobe und schwere Angriffe auf die Sozialdemokratie geführt habe. Bei dieser Sachlage müsse ein Kandidat angemessen und hart erwidern können. Seine Meinungsäußerung dürfe unter Berücksichtigung der Ausstrahlung des Art. 21 Abs. 1 GG auf Art. 5 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG nicht isoliert bewertet werden.
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III.
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1. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Dem Beschwerdeführer sei die Äußerung bestimmter Gedankeninhalte für die Zukunft untersagt worden. Dieses Verbot verletze ihn nicht in seinem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fänden ihre Schranken unter anderem in den Vorschriften der "allgemeinen Gesetze" und im Recht der persönlichen Ehre, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Lichte der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit zu sehen seien. Die Gerichte hätten diese "Rückwirkung" nicht verkannt. Die beanstandete Äußerung des Beschwerdeführers sei auslegungsfähig und auslegungsbedürftig. Die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene Auslegung erscheine sachgerecht; es könne davon ausgegangen werden, daß zumindest weite Teile der Adressaten diese Aussage dahin verstanden hätten, der Beschwerdeführer wolle behaupten, daß die CSU, bezogen auf Europa, dieselben Ziele verfolge wie die NPD im Bundesgebiet. Da für die Auslegung derartiger Äußerungen ihr objektiver Sinngehalt maßgeblich sei, komme es nicht darauf an, daß der Beschwerdeführer nicht die Behauptung habe aufstellen wollen, die CSU sei eine Partei mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung. Für eine Äußerung mit dem dargestellten Sinngehalt könne sich der Beschwerdeführer nicht auf den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Es könne offenbleiben, ob es sich um eine Tatsachenbehauptung oder aber um ein Werturteil gehandelt habe; im übrigen seien die Übergänge in diesem Bereich fließend, und eine klare Abgrenzung erscheine gerade bei Äußerungen der hier streitigen Art nur schwer möglich. Jedenfalls habe sich das Oberlandesgericht im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums gehalten. Die weitere Würdigung des Oberlandesgerichts, die beanstandete Äußerung enthalte eine schwere Herabwürdigung in der öffentlichen Meinung und eine gröbliche Ehrverletzung, begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Einwand des Beschwerdeführers, angesichts der heutigen Reizüberflutung müßten, um eine bessere Wirkung erzielen zu können, einprägsame und starke Formulierungen zulässig sein, könne eine andere Beurteilung ebensowenig rechtfertigen wie der Hinweis auf das Recht zum "Gegenschlag". Dieser Gesichtspunkt könne von Bedeutung sein, soweit (auch) eine inhaltliche Beschränkung der Meinungsfreiheit in Frage stehe. Es gebe jedoch kein grundrechtlich verbürgtes Recht, Formulierungen, deren ehrverletzender Charakter nach Ansicht der ordentlichen Gerichte feststehe, nur deshalb weiterhin verwenden zu können, weil sich der Gegner einer ähnlichen Sprache bediene oder weil im Rahmen der öffentlichen Auseinandersetzung die "Reizschwelle" gestiegen sei. Art. 2 Abs. 1 GG sei schon deshalb nicht verletzt, weil es in der Sache ausschließlich um den Schutzbereich des - spezielleren - Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gehe.
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2. Die Verfügungsklägerin des Ausgangsverfahrens schließt sich der Stellungnahme des Bayerischen Ministeriums der Justiz an.
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Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig (vgl. BVerfGE 42, 163 [167 f.] m. w. N.) und begründet.
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Sie richtet sich gegen Entscheidungen über einen bürgerlichrechtlichen Unterlassungsanspruch. Die hierfür maßgeblichen Bestimmungen auszulegen und anzuwenden, ist Aufgabe der ordentlichen Gerichte, die bei ihrer Entscheidung dem Einfluß der Grundrechte auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts Rechnung zu tragen haben. Dem Bundesverfassungsgericht obliegt lediglich, zu entscheiden, ob die Gerichte die Reichweite und Wirkkraft der Grundrechte im Gebiet des bürgerlichen Rechts zutreffend beurteilt haben (BVerfGE 7, 198 [206 f.] - Lüth; st. Rspr.; vgl. noch BVerfGE 60, 234 [239]). Hierbei lassen sich die Grenzen seiner Eingriffsmöglichkeiten nicht starr und gleichbleibend ziehen. Sie hängen namentlich von der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung ab: Je mehr eine zivilgerichtliche Entscheidung grundrechtsgeschützte Voraussetzungen freiheitlicher Existenz und Betätigung verkürzt, desto eingehender muß die verfassungsgerichtliche Prüfung sein, ob eine solche Verkürzung verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist (BVerfGE 54, 129 [135] - Kunstkritik - m. w. N.). Eine solche weiterreichende Nachprüfung wäre veranlaßt, wenn das angegriffene Berufungsurteil - wie das Bayerische Staatsministerium der Justiz ausführt - dahin zu verstehen ist, daß dem Beschwerdeführer nicht nur der Gebrauch einer Formulierung, sondern auch die Äußerung bestimmter Gedankeninhalte für die Zukunft untersagt werden soll (BVerfGE 42, 163 [168 f.]). Ob dies der Fall ist, kann indessen offenbleiben, weil die Entscheidung Auslegungsfehler erkennen läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung des in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und bereits damit die Schwelle eines Verstoßes gegen objektives Verfassungsrecht erreicht ist, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat (vgl. BVerfGE 18, 85 [93]).
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Das Oberlandesgericht ist in den Gründen seiner Entscheidung zwar auf das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit eingegangen. Es hat aber die beanstandete Äußerung in Verkennung dieses Grundrechts zu Unrecht nicht als grundsätzlich geschützte Meinungsäußerung, sondern als - unrichtige - Tatsachenbehauptung angesehen und in seinen Ausführungen zur Einschränkung der Meinungsfreiheit Grundsätze unberücksichtigt gelassen, die für die Zuordnung der Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 GG und seiner Schranken maßgeblich sind.
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1. Entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts durfte bei der Beurteilung der beanstandeten Äußerung als Tatsachenbehauptung nicht von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG abgesehen werden.
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a) Dieses Grundrecht gewährleistet, ohne ausdrücklich zwischen "Werturteil" und "Tatsachenbehauptung" zu unterscheiden, jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern: Jeder soll frei sagen können, was er denkt, auch wenn er keine nachprüfbaren Gründe für sein Urteil angibt oder angeben kann (BVerfGE 42, 163 [170 f.]); zugleich ist es der Sinn von Meinungsäußerungen, geistige Wirkung auf die Umwelt ausgehen zu lassen, meinungsbildend und überzeugend zu wirken. Deshalb sind Werturteile, die immer eine geistige Wirkung erzielen, nämlich andere überzeugen wollen, vom Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Der Schutz des Grundrechts bezieht sich in erster Linie auf die eigene Stellungnahme des Redenden (BVerfGE 7, 198 [210]). Unerheblich ist, ob seine Äußerung "wertvoll" oder "wertlos", "richtig" oder "falsch", emotional oder rational begründet ist (BVerfGE 33, 1 [14 f.]). Handelt es sich im Einzelfall um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfGE 7, 198 [212]). Auch scharfe und übersteigerte Äußerungen fallen, namentlich im öffentlichen Meinungskampf, grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerfGE 54, 129 [139]); die Frage kann nur sein, ob und inwieweit die Vorschriften der allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre (Art. 5 Abs. 2 GG) hier Grenzen ziehen können.
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Für Tatsachenbehauptungen gilt dies nicht in gleicher Weise. Unrichtige Information ist unter dem Blickwinkel der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Gut (BVerfGE 54, 208 [219]). Die bewußte Behauptung unwahrer Tatsachen ist durch Art. 5 Abs. 1 GG nicht mehr geschützt; gleiches gilt für unrichtige Zitate (BVerfG, a.a.O.). Im übrigen bedarf es der Differenzierung, wobei es namentlich darum geht, die Anforderungen an die Wahrheitspflicht nicht so zu bemessen, daß darunter die Funktion der Meinungsfreiheit leiden kann (BVerfGE, a.a.O. [219 f.]). Der Satz, die Vermutung spreche für die Zulässigkeit der freien Rede, gilt infolgedessen für Tatsachenbehauptungen nur eingeschränkt; soweit unrichtige Tatsachenbehauptungen nicht schon von vornherein außerhalb des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verbleiben, sind sie Einschränkungen auf Grund von allgemeinen Gesetzen leichter zugänglich als das Äußern einer Meinung.
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Konstitutiv für die Bestimmung dessen, was als Äußerung einer "Meinung" vom Schutz des Grundrechts umfaßt wird, ist mithin das Element der Stellungnahme, des Dafürhaltens, des Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung; auf den Wert, die Richtigkeit, die Vernünftigkeit der Äußerung kommt es nicht an. Die Mitteilung einer Tatsache ist im strengen Sinne keine Äußerung einer "Meinung", weil ihr jenes Element fehlt. Durch das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit geschützt ist sie, weil und soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen ist, welche Art. 5 Abs. 1 GG in seiner Gesamtheit gewährleistet. Was dagegen nicht zur verfassungsmäßig vorausgesetzten Meinungsbildung beitragen kann, ist nicht geschützt, insbesondere die erwiesen oder bewußt unwahre Tatsachenbehauptung. Im Gegensatz zur eigentlichen Äußerung einer Meinung kann es also für den verfassungsrechtlichen Schutz einer Tatsachenmitteilung auf die Richtigkeit der Mitteilung ankommen.
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Von hier aus ist der Begriff der "Meinung" in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, fällt sie in den Schutzbereich des Grundrechts. Das muß auch dann gelten, wenn sich diese Elemente, wie häufig, mit Elementen einer Tatsachenmitteilung oder - behauptung verbinden oder vermischen, jedenfalls dann, wenn beide sich nicht trennen lassen und der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung in den Hintergrund tritt. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden.
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b) Nach diesen Maßstäben enthält der Satz "Die CSU ist die NPD von Europa" als Bestandteil einer Wahlrede eine durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich geschützte Meinungsäußerung. Wird der Satz wörtlich genommen, so ist er als Behauptung einer Tatsache offensichtlich falsch, weil die CSU nicht mit einer (nicht existenten) NPD Europas identisch sein kann. Eine derart absurde Aussage zu machen, lag erkennbar nicht in der Absicht des Beschwerdeführers; auch wird niemand sie in dieser Bedeutung verstehen. Sobald jedoch versucht wird, den Sinn des Satzes zu ermitteln, wird unvermeidlich die Grenze zu dem Bereich des Dafürhaltens und Meinens und damit auch des Kampfes der Meinungen überschritten.
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Das folgt aus der Substanzarmut der Äußerung (vgl. BGHZ 45, 296 [304] - Höllenfeuer). Die Behauptung wenigstens einer konkret-greifbaren Tatsache läßt sich ihr nicht entnehmen; es handelt sich vielmehr um ein pauschales Urteil. Dies zeigt sich mit besonderer Deutlichkeit, wenn der Zweck der Äußerung in Betracht gezogen wird: Es ging darum, die Zuhörer dazu zu bewegen, bei der Wahl zum Europäischen Parlament ihre Stimme der SPD zu geben. Um dies zu erreichen, wurde ein typisches Mittel verwendet, nämlich Polemik gegen den politischen Gegner in der Absicht, sich einprägsam von ihm abzugrenzen, wofür allgemeine, unsubstantiierte Formeln als besonders geeignet angesehen werden. Das sind Grundformen jedes Wahlkampfes, die prinzipiell in den Bereich des Meinungsmäßigen und damit in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gehören. Allen Beteiligten einer Wahlversammlung ist klar, daß der Redner seine Ansicht äußert und die Zuhörer mit ihr überzeugen oder überreden will. Zwar mögen sich aus dem beanstandeten Satz Elemente des Tatsächlichen heraushören lassen, etwa daß die CSU ultrarechts stehe. Aber auch dann überwiegt das wertende Element das tatsächliche; der tatsächliche Gehalt der substanzarmen Äußerung tritt gegenüber der Wertung zurück, so daß sich an dem Charakter des Satzes als Meinungsäußerung nichts ändert.
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c) Diese Verfassungsrechtslage hat das Oberlandesgericht grundsätzlich verkannt. Das Gericht konnte sich der Notwendigkeit, bei der Würdigung des beanstandeten Satzes Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu beachten, nicht dadurch entziehen, daß es die Äußerung des Beschwerdeführers zivilrechtlich als unrichtige Tatsachenbehauptung qualifizierte, bei der eine Rechtfertigung ausgeschlossen ist. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Freiheit der Meinungsäußerung kann durch Auslegung und Anwendung einfachen Rechts nicht beiseitegeschoben werden; dies wäre mit dem Vorrang der Verfassung (Art. 20 Abs. 3, Art. 1 Abs. 3 GG) unvereinbar (BVerfGE 60, 234 [242]).
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2. Soweit das Oberlandesgericht trotz der Einstufung des beanstandeten Satzes als unrichtige Tatsachenbehauptung davon ausgeht, daß ein Einfluß des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auf die anzuwendenden Vorschriften in Betracht komme, daß der Beschwerdeführer aber die durch "allgemeine Gesetze" und den Schutz der persönlichen Ehre gezogenen Schranken dieses Grundrechts (Art. 5 Abs. 2 GG) überschritten habe, hat es die Rückwirkung der grundrechtlichen Gewährleistung auf die hier in Betracht kommenden "allgemeinen Gesetze" der §§ 823, 1004 BGB verkannt. Diese müssen im Lichte der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit gesehen werden; sie sind ihrerseits aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und so in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung selbst wieder einzuschränken (BVerfGE 7, 198 [208 f.]; st. Rspr.; vgl. etwa noch BVerfGE 60, 234 [240]).
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a) Maßgeblich für diese Einschränkung ist vor allem der Zweck der Meinungsäußerung. Wird von dem Grundrecht nicht zum Zwecke privater Auseinandersetzung Gebrauch gemacht, sondern will der Äußernde in erster Linie zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, dann sind Auswirkungen seiner Äußerung auf den Rechtskreis Dritter zwar unvermeidliche Folge, nicht aber eigentliches Ziel der Äußerung. Der Schutz des betroffenen Rechtsguts kann und muß um so mehr zurücktreten, je weniger es sich um eine unmittelbar gegen dieses Rechtsgut gerichtete Äußerung im privaten, namentlich im wirtschaftlichen Verkehr und in Verfolgung eigennütziger Ziele handelt, sondern um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage durch einen dazu Legitimierten; hier spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfGE 7, 198 [212]), weil sonst die Meinungsfreiheit, die Voraussetzung eines freien und offenen politischen Prozesses ist, in ihrem Kern betroffen wäre.
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In besonderem Maße hat dies zu gelten, wenn es sich - wie hier - um Auseinandersetzungen in einem Wahlkampf handelt, also einer Situation, in welcher der politische Meinungskampf auf das höchste intensiviert ist. Nach Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit; dies geschieht namentlich durch Beteiligung an Wahlen, die in der parlamentarischen Demokratie die wichtigste Form jener Willensbildung sind (vgl. BVerfGE 52, 63 [82]). Da das geltende Wahlrecht für die Vorbereitung und Durchführung von Wahlen politische Parteien voraussetzt, sind diese vor allem auch Wahlvorbereitungsorganisationen (vgl. BVerfGE 8, 51 [63]). Sie nehmen die ihnen durch Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG gestellte, von § 1 Abs. 1 Satz 2 des Parteiengesetzes als "öffentliche" bezeichnete Aufgabe wahr, indem sie den eigentlichen Wahlakt als Akt demokratischer Legitimation der das Volk repräsentierenden Organe vorbereiten (vgl. auch § 1 Abs. 2, § 2 PartG). Diese Aufgabe verträgt als eine wesensgemäß politische prinzipiell keine inhaltlichen Reglementierungen, wenn anders sie nicht um eine ihrer Grundvoraussetzungen gebracht werden soll. Soweit es sich um Auseinandersetzungen zwischen politischen Parteien in einem Wahlkampf handelt, ist deshalb Art. 21 Abs. 1 Satz 1 GG für die Zuordnung von Meinungsfreiheit und beschränkenden Gesetzen von wesentlicher Bedeutung: Er verstärkt die Vermutung für die Zulässigkeit freier Rede mit der Folge, daß gegen das Äußern einer Meinung nur in äußersten Fällen eingeschritten werden darf.
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Die beanstandete Äußerung des Beschwerdeführers stellt sich als öffentliche Kritik des Repräsentanten einer Partei an einer anderen politischen Partei dar; es handelt sich um einen Beitrag zur öffentlichen Auseinandersetzung, darüber hinaus zur Auseinandersetzung zwischen politischen Parteien in einem Wahlkampf. Diesen Umstand hat das Oberlandesgericht nicht berücksichtigt. Das Berufungsurteil befaßt sich zwar mit dem Einwand des Beschwerdeführers, seine Äußerung sei durch Art. 5 Abs. 1 GG und § 193 StGB (Wahrnehmung berechtigter Interessen) gedeckt, und räumt ein, die Rechtsprechung, nach der ehrverletzende politische Kritik durch diese Vorschriften gerechtfertigt sein könne, gehe sehr weit. Es geht jedoch nicht der Frage nach, was dies für die Auslegung der im Ausgangsverfahren maßgeblichen "allgemeinen Gesetze" bedeute, und verfehlt damit ein für diese Auslegung wesentliches Verfassungsgebot. Dessen Beachtung wurde auch nicht durch die Qualifizierung des beanstandeten Satzes als Schmähkritik entbehrlich; hierzu hätte es der Nennung von Anhaltspunkten dafür bedurft, daß es dem Beschwerdeführer nicht um die Sache, sondern in erster Linie um vorsätzliche Kränkung der Verfügungsklägerin des Ausgangsverfahrens gegangen sei.
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b) Das Oberlandesgericht hat ferner außer Betracht gelassen, daß es für die Zuordnung von Meinungsfreiheit und beschränkendem Gesetz wesentlich darauf ankommt, ob und in welchem Ausmaß der von herabsetzenden Äußerungen Betroffene seinerseits an dem von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Prozeß öffentlicher Meinungsbildung teilgenommen, sich damit aus eigenem Entschluß den Bedingungen des Meinungskampfes unterworfen und sich durch dieses Verhalten eines Teils seiner schützenswerten Privatsphäre begeben hat (BVerfGE 54, 129 [138]). Dieser im Blick auf natürliche Personen entwickelte Grundsatz muß für politische Parteien um so mehr gelten, als deren Existenz und Wirken, anders als bei einem Privatmann oder auch einem Politiker, von vornherein und ausschließlich dem politischen Leben zuzuordnen sind. Daß die Verfügungsklägerin des Ausgangsverfahrens sich als politische Partei auf die Bedingungen des politischen Meinungskampfes eingelassen hat, bedarf keiner Darlegung. Bei dieser Sachlage spricht vieles dafür, daß sie auch scharfe, von einer demokratischen Partei mit Recht als herabsetzend empfundene, im politischen Tageskampf allerdings nicht ungewöhnliche Polemik hinnehmen mußte, zumal sie die Möglichkeit hatte, sich politisch zu wehren (vgl. BVerfGE 7, 198 [219]).
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3. Unter den dargelegten Gesichtspunkten hat das Oberlandesgericht mithin die Reichweite und Wirkkraft des Grundrechts der freien Meinungsäußerung unzureichend bestimmt. Auf diesen Fehlern beruht das Berufungsurteil: Es läßt sich nicht ausschließen, daß das Gericht zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre, wenn es Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG in seiner Tragweite für die zu entscheidenden Fragen berücksichtigt hätte. Das Urteil war daher aufzuheben. Die Sache war gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen.
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