1. Die Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat; in den Grundrechtsbestimmungen des Grundgesetzes verkörpert sich aber auch eine objektive Wertordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gilt.
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2. Im bürgerlichen Recht entfaltet sich der Rechtsgehalt der Grundrechte mittelbar durch die privatrechtlichen Vorschriften. Er ergreift vor allem Bestimmungen zwingenden Charakters und ist für den Richter besonders realisierbar durch die Generalklauseln.
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3. Der Zivilrichter kann durch sein Urteil Grundrechte verletzen (§ 90 BVerfGG), wenn er die Einwirkung der Grundrechte auf das bürgerliche Recht verkennt. Das Bundesverfassungsgericht prüft zivilgerichtliche Urteile nur auf solche Verletzungen von Grundrechten, nicht allgemein auf Rechtsfehler nach.
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4. Auch zivilrechtliche Vorschriften können "allgemeine Gesetze" im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG sein und so das Grundrecht auf Freiheit der Meinungsäußerung beschränken.
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5. Die "allgemeinen Gesetze" müssen im Lichte der besonderen Bedeutung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung für den freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt werden.
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6. Das Grundrecht des Art.5 GG schützt nicht nur das Äußern einer Meinung als solches, sondern auch das geistige Wirken durch die Meinungsäußerung.
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7. Eine Meinungsäußerung, die eine Aufforderung zum Boykott enthält, verstößt nicht notwendig gegen die guten Sitten im Sinne des § 826 BGB; sie kann bei Abwägung aller Umstände des Falles durch die Freiheit der Meinungsäußerung verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. ![]() | |
des Ersten Senats vom 15. Januar 1958
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-- 1 BvR 400/51 -- | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Senatsdirektors Erich L. in Hamburg gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. November 1951 - Az. 15. O. 87/51 -.
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Entscheidungsformel: | |
Das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. November 1951 - Az. 15. O. 87/51 - verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes und wird deshalb aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Hamburg zurückverwiesen.
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Gründe: | |
A. | |
Der Beschwerdeführer - damals Senatsdirektor und Leiter der Staatlichen Pressestelle der Freien und Hansestadt Hamburg- hat am 20. September 1950 anläßlich der Eröffnung der "Woche des deutschen Films" als Vorsitzender des Hamburger Presseklubs in einer Ansprache vor Filmverleihern und Filmproduzenten u. a. folgendes erklärt:
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"Nachdem der deutsche Film im Dritten Reich seinen moralischen Ruf verwirkt hatte, ist allerdings ein Mann am wenigsten von allen geeignet, diesen Ruf wiederherzustellen: das ist der Drehbuchverfasser und Regisseur des Films "Jud Süß". Möge uns weiterer unabsehbarer Schaden vor der ganzen Welt erspart bleiben, der eintreten würde, indem man ausgerechnet ihn als Repräsentanten des deutschen Films herauszustellen sucht. Sein Freispruch in Hamburg war nur ein formeller. Die Urteilsbegründung war eine moralische Verdammung. Hier fordern wir von den Verleihern und Theaterbesitzern eine Haltung, die nicht ganz billig ist, die man sich aber etwas kosten lassen sollte: Charakter. Und diesen Charakter wünsche ich dem deutschen Film. Beweist er ihn und führt er den Nachweis durch Phantasie, optische Kühnheit und durch Sicherheit im Handwerk, dann verdient er jede Hilfe und dann wird er eines erreichen, was er zum Leben braucht: Erfolg beim deutschen wie beim internationalen Publikum." ![]() | |
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"Das Schwurgericht hat ebensowenig widerlegt, daß Veit Harlan für einen großen Zeitabschnitt des Hitler- Reiches der "Nazifilm Regisseur Nr. 1" und durch seinen "Jud Süß"-Film einer der wichtigsten Exponenten der mörderischen Judenhetze der Nazis war . . . Es mag im In- und Ausland Geschäftsleute geben, die sich an einer Wiederkehr Harlans nicht stoßen. Das moralische Ansehen Deutschlands in der Welt darf aber nicht von robusten Geldverdienern erneut ruiniert werden. Denn Harlans Wiederauftreten muß kaum vernarbte Wunden wieder aufreißen und abklingendes Mißtrauen zum Schaden des deutschen Wiederaufbaus furchtbar erneuern. Es ist aus allen diesen Gründen nicht nur das Recht anständiger Deutscher, sondern sogar ihre Pflicht, sich im Kampf gegen diesen unwürdigen Repräsentanten des deutschen Films über den Protest hinaus auch zum Boykott bereitzuhalten."
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Die Domnick-Film-Produktion GmbH und die Herzog-Film GmbH (diese als Verleiherin des Films "Unsterbliche Geliebte' für das Bundesgebiet) erwirkten nun beim Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen den Beschwerdeführer, durch die ihm verboten wurde,
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1. die deutschen Theaterbesitzer und Filmverleiher aufzufordern, den Film "Unsterbliche Geliebte" nicht in ihr Programm aufzunehmen, 2. das deutsche Publikum aufzufordern, diesen Film nicht zu besuchen. | |
Das Oberlandesgericht Hamburg wies die Berufung des Beschwerdeführers gegen das landgerichtliche Urteil zurück.
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"Der Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung einer gerichtsseitig festzusetzenden Geld- oder Haftstrafe zu unterlassen, 1. die deutschen Theaterbesitzer und Filmverleiher aufzufordern, den bei der Klägerin zu 1 ) produzierten und von der Klägerin zu 2) zum Verleih im Bundesgebiet übernommenen Film "Unsterbliche Geliebte" nicht in ihr Programm aufzunehmen, 2. das deutsche Publikum aufzufordern, diesen Film nicht zu besuchen. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110 000 DM vorläufig vollstreckbar." | |
Das Landgericht erblickt in den Äußerungen des Beschwerdeführers eine sittenwidrige Aufforderung zum Boykott. Ihr Ziel sei, ein Wiederauftreten Harlans "als Schöpfer repräsentativer Filme" zu verhindern. Die Aufforderung des Beschwerdeführers laufe sogar "praktisch darauf hinaus, Harlan von der Herstellung normaler Spielfilme überhaupt auszuschalten, denn jeder derartige Film könnte durch die Regieleistung zu einem repräsentativen Film werden". Da Harlan aber in dem wegen seiner Beteiligung an dem Film " Jud Süß" gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren rechtskräftig freigesprochen worden sei und auf Grund der Entscheidung im Entnazifizierungsverfahren in der Ausübung seines Berufes keinen Beschränkungen mehr unterliege, verstoße dieses Vorgehen des Beschwerdeführers gegen "die demokratische Rechts- und Sittenauffassung des deutschen Volkes". Dem Beschwerdeführer werde nicht zum Vorwurf gemacht, daß er über das Wiederauftreten Harlans eine ablehnende Meinung geäußert habe, sondern daß er die Öffentlichkeit aufgefordert habe, durch ein bestimmtes Verhalten die Aufführung von Harlan-Filmen und damit das Wiederauftreten Harlans als Filmregisseur unmöglich zu machen. Diese Boykottaufforderung richte sich auch gegen die klagenden Filmgesellschaften; denn wenn der in der Herstellung befindliche Film keinen Ab ![]() ![]() | |
Der Beschwerdeführer legte gegen dieses Urteil Berufung zum Oberlandesgericht Hamburg ein. Gleichzeitig hat er Verfassungsbeschwerde erhoben, in der er die Verletzung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) rügt. Er habe am Verhalten Harlans und der Filmgesellschaften politische und moralische Kritik geübt. Dazu sei er berechtigt, denn Art. 5 GG verbürge nicht nur die Freiheit der Rede ohne Wirkungsabsicht, sondern gerade auch die Freiheit des Wirkens durch das Wort. Seine Äußerungen stellten Werturteile dar. Das Gericht habe irrigerweise geprüft, ob sie inhaltlich richtig seien und gebilligt werden könnten, während es nur darauf ankomme, ob sie rechtlich zulässig seien. Das aber seien sie, denn das Grundrecht der Meinungsfreiheit habe sozialen Charakter und gewähre ein subjektives öffentliches Recht darauf, durch geistiges Handeln die öffentliche Meinung mitzubestimmen und an der "Gestaltung des Volkes zum Staat" mitzuwirken. Dieses Recht finde seine Grenze ausschließlich in den "allgemeinen Gesetzen" (Art. 5 Abs. 2 GG). Soweit durch die Meinungsäußerung in das öffentliche, politische Leben hineingewirkt werden solle, könnten als "allgemeine Gesetze" nur solche angesehen werden, die öffentliches Recht enthielten, nicht aber die Normen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über unerlaubte Handlungen. Was dagegen in der Sphäre des bürgerlichen Rechts sonst unerlaubt sei, könne durch Verfassungsrecht in der Sphäre des öffentlichen Rechts gerechtfertigt sein; die Grundrechte als subjektive Rechte mit Verfassungsrang seien für das bürgerliche Recht "Rechtfertigungsgründe mit Vorrang".
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Dem Bundesminister der Justiz, dem Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und den beiden Filmgesellschaften wurde Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Der Senat hat mitgeteilt, daß er sich den Ausführungen der Verfassungsbeschwerde an ![]() ![]() | |
In der mündlichen Verhandlung waren der Beschwerdeführer und die beiden Filmgesellschaften vertreten.
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Die Akten des Landgerichts Hamburg 15 Q 35/50 und 15 O 87/51 sowie das Urteil des Schwurgerichts I in Hamburg vom 29. April 1950 - (50) 16/50 // 14 Ks 8/49 - waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
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Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig; die Voraussetzungen für die Anwendung des § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG (Entscheidung vor Erschöpfung des Rechtsweges) liegen vor.
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Der Beschwerdeführer behauptet, das Landgericht habe durch das Urteil sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt.
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1. Das Urteil des Landgerichts, ein Akt der öffentlichen Gewalt in der besonderen Erscheinungsform der rechtsprechenden Gewalt, kann durch seinen Inhalt ein Grundrecht des Beschwerdeführers nur verletzen, wenn dieses Grundrecht bei der Urteilsfindung zu beachten war.
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Das Urteil untersagt dem Beschwerdeführer ;Äußerungen, durch die er andere dahin beeinflussen könnte, sich seiner Auffassung über das Wiederauftreten Harlans anzuschließen und ihr Verhalten gegenüber den von ihm gestalteten Filmen entsprechend einzurichten. Das bedeutet objektiv eine Beschränkung des Beschwerdeführers in der freien Äußerung seiner Meinung. Das Landgericht begründet seinen Ausspruch damit, daß es die Äußerungen des Beschwerdeführers als eine unerlaubte Handlung nach § 826 BGB gegenüber den Klägerinnen betrachtet und diesen daher auf Grund der Vorschriften des bürgerlichen ![]() ![]() | |
Die grundsätzliche Frage, ob Grundrechtsnormen auf das bürgerliche Recht einwirken und wie diese Wirkung im einzelnen gedacht werden müsse, ist umstritten (über den Stand der Meinungen siehe neuestens Laufke in der Festschrift für Heinrich Lehmann, 1956, Band I S. 145 ff., und Dürig in der Festschrift für Nawiasky, 1956, S. 157 ff.). Die äußersten Positionen in diesem Streit liegen einerseits in der These, daß die Grundrechte ausschließlich gegen den Staat gerichtet seien, andererseits in der Auffassung, daß die Grundrechte oder doch einige und jedenfalls die wichtigsten von ihnen auch im Privatrechtsverkehr gegen jedermann gälten. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann weder für die eine noch für die andere dieser extremen Auffassungen in Anspruch genommen werden; die Folgerungen, die das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 10. Mai 1957 - NJW 1957, S. 1688 - aus den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 17. und 23. Januar 1957 (BVerfGE 6, 55 und 6, 84) in dieser Hinsicht zieht, gehen zu weit. Auch jetzt besteht kein Anlaß, die Streitfrage der sogenannten "Drittwirkung" der Grundrechte in vollem Umfang zu erörtern. Zur Gewinnung eines sachgerechten Ergebnisses genügt folgendes:
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Ohne Zweifel sind die Grundrechte in erster Linie dazu bestimmt, die Freiheitssphäre des einzelnen vor Eingriffen der öffentlichen Gewalt zu sichern; sie sind Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat. Das ergibt sich aus der geistesgeschichtlichen Entwicklung der Grundrechtsidee wie aus den geschichtlichen ![]() ![]() | |
Ebenso richtig ist aber, daß das Grundgesetz, das keine wertneutrale Ordnung sein will (BVerfGE 2, 1 [12]; 5, 85 [134 ff., 197 ff.]; 6, 32 [40 f.]), in seinem Grundrechtsabschnitt auch eine objektive Wertordnung aufgerichtet hat und daß gerade hierin eine prinzipielle Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte zum Ausdruck kommt (Klein-v. Mangoldt, Das Bonner Grundgesetz, Vorbem. B III 4 vor Art. 1 S. 93). Dieses Wertsystem, das seinen Mittelpunkt in der innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde findet, muß als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelten; Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung empfangen von ihm Richtlinien und Impulse. So beeinflußt es selbstverständlich auch das bürgerliche Recht; keine bürgerlich-rechtliche Vorschrift darf in Widerspruch zu ihm stehen, jede muß in seinem Geiste ausgelegt werden.
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Der Rechtsgehalt der Grundrechte als objektiver Normen entfaltet sich im Privatrecht durch das Medium der dieses Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften. Wie neues Recht im Einklang mit dem grundrechtlichen Wertsystem stehen muß, so wird bestehendes älteres Recht inhaltlich auf dieses Wertsystem ausgerichtet; von ihm her fließt ihm ein spezifisch verfassungsrechtlicher Gehalt zu, der fortan seine Auslegung bestimmt. Ein Streit zwischen Privaten über Rechte und Pflichten aus solchen grundrechtlich beeinflußten Verhaltensnormen des bürgerlichen Rechts bleibt materiell und prozessual ein bürgerlicher Rechtsstreit. Ausgelegt und angewendet wird bürgerliches ![]() ![]() | |
Der Einfluß grundrechtlicher Wertmaßstäbe wird sich vor allem bei denjenigen Vorschriften des Privatrechts geltend machen, die zwingendes Recht enthalten und so einen Teil des ordre public - im weiten Sinne - bilden, d. h. der Prinzipien, die aus Gründen des gemeinen Wohls auch für die Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen den einzelnen verbindlich sein sollen und deshalb der Herrschaft des Privatwillens entzogen sind. Diese Bestimmungen haben nach ihrem Zweck eine nahe Verwandtschaft mit dem öffentlichen Recht, dem sie sich ergänzend anfügen. Das muß sie in besonderem Maße dem Einfluß des Verfassungsrechts aussetzen. Der Rechtsprechung bieten sich zur Realisierung dieses Einflusses vor allem die "Generalklauseln", die, wie § 826 BGB, zur Beurteilung menschlichen Verhaltens auf außer-zivilrechtliche, ja zunächst überhaupt außerrechtliche Maßstäbe, wie die "guten Sitten", verweisen. Denn bei der Entscheidung darüber, was diese sozialen Gebote jeweils im Einzelfall fordern, muß in erster Linie von der Gesamtheit der Wertvorstellungen ausgegangen werden, die das Volk in einem bestimmten Zeitpunkt seiner geistig-kulturellen Entwicklung erreicht und in seiner Verfassung fixiert hat. Deshalb sind mit Recht die Generalklauseln als die "Einbruchstellen" der Grundrechte in das bürgerliche Recht bezeichnet worden (Dürig in Neumann-Nipperdey- Scheuner, Die Grundrechte, Band II S. 525).
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Der Richter hat kraft Verfassungsgebots zu prüfen, ob die von ihm anzuwendenden materiellen zivilrechtlichen Vorschriften in der beschriebenen Weise grundrechtlich beeinflußt sind; trifft das zu, dann hat er bei Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften die sich hieraus ergebende Modifikation des Privatrechts zu beachten. Dies ist der Sinn der Bindung auch des Zivilrichters an die Grundrechte (Art. 1 Abs. 3 GG). Verfehlt er diese Maßstäbe und beruht sein Urteil auf der Außerachtlassung dieses verfassungsrechtlichen Einflusses auf die zivilrechtlichen Normen, so verstößt er nicht nur gegen objektives Verfassungsrecht, in ![]() ![]() | |
Das Verfassungsgericht hat zu prüfen, ob das ordentliche Gericht die Reichweite und Wirkkraft der Grundrechte im Gebiet des bürgerlichen Rechts zutreffend beurteilt hat. Daraus ergibt sich aber zugleich die Begrenzung der Nachprüfung: es ist nicht Sache des Verfassungsgerichts, Urteile des Zivilrichters in vollem Umfange auf Rechtsfehler zu prüfen; das Verfassungsgericht hat lediglich die bezeichnete "Ausstrahlungswirkung" der Grundrechte auf das bürgerliche Recht zu beurteilen und den Wertgehalt des Verfassungsrechtssatzes auch hier zur Geltung zu bringen. Sinn des Instituts der Verfassungsbeschwerde ist es, daß alle Akte der gesetzgebenden, vollziehenden und richterlichen Gewalt auf ihre "Grundrechtmäßigkeit" nachprüfbar sein sollen (§ 90 BVerfGG). Sowenig das Bundesverfassungsgericht berufen ist, als Revisions- oder gar "Superrevisions"-Instanz gegenüber den Zivilgerichten tätig zu werden, sowenig darf es von der Nachprüfung solcher Urteile allgemein absehen und an einer in ihnen etwa zutage tretenden Verkennung grundrechtlicher Normen und Maßstäbe vorübergehen.
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2. Die Problematik des Verhältnisses der Grundrechte zum Privatrecht scheint im Falle des Grundrechts der freien Meinungsäußerung (Art. 5 GG) anders gelagert zu sein. Dieses Grundrecht ist - wie schon in der Weimarer Verfassung (Art. 118) - vom Grundgesetz nur in den Schranken der "allgemeinen Gesetze" gewährleistet (Art. 5 Abs. 2). Ohne daß zunächst untersucht wird, welche Gesetze "allgemeine" Gesetze in diesem Sinne sind, ließe sich die Auffassung vertreten, hier habe die Verfassung selbst durch die Verweisung auf die Schranke der all ![]() ![]() | |
Dies ist indessen nicht der Sinn der Verweisung auf die "allgemeinen Gesetze". Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt (un des droits les plus precieux de l'homme nach Artikel 11 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789). Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend, denn es ermöglicht erst die ständige geistige Auseinandersetzung, den Kampf der Meinungen, der ihr Lebenselement ist (BVerfGE 5, 85 [205]). Es ist in gewissem Sinn die Grundlage jeder Freiheit überhaupt, "the matrix, the indispensable condition of nearly every other form of freedom" (Cardozo).
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Aus dieser grundlegenden Bedeutung der Meinungsäußerungsfreiheit für den freiheitlich- demokratischen Staat ergibt sich, daß es vom Standpunkt dieses Verfassungssystems aus nicht folgerichtig wäre, die sachliche Reichweite gerade dieses Grundrechts jeder Relativierung durch einfaches Gesetz (und damit zwangsläufig durch die Rechtsprechung der die Gesetze auslegenden Gerichte) zu überlassen. Es gilt vielmehr im Prinzip auch hier, was oben allgemein über das Verhältnis der Grundrechte zur Privatrechtsordnung ausgeführt wurde: die allgemeinen Gesetze müssen in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung ihrerseits im Lichte der Bedeutung dieses Grundrechts gesehen und so interpretiert werden, daß der besondere Wertgehalt dieses Rechts, der in der freiheitlichen Demokratie zu einer grundsätzlichen Vermutung für die Freiheit der Rede in allen Bereichen, namentlich aber im öffentlichen Leben, führen muß, auf jeden Fall gewahrt bleibt. Die gegenseitige Beziehung zwischen Grund ![]() ![]() | |
Das Bundesverfassungsgericht, das durch das Rechtsinstitut der Verfassungsbeschwerde zur Wahrung der Grundrechte letztlich berufen ist, muß demgemäß auch hier die rechtliche Möglichkeit besitzen, die Rechtsprechung der Gerichte dort zu kontrollieren, wo sie in Anwendung eines allgemeinen Gesetzes den grundrechtlich bestimmten Raum betreten und damit möglicherweise den Geltungsanspruch des Grundrechts im Einzelfall unzulässig beschränken. Es muß zu seiner Kompetenz gehören, den spezifischen Wert, der sich in diesem Grundrecht für die freiheitliche Demokratie verkörpert, allen Organen der öffentlichen Gewalt, also auch den Zivilgerichten, gegenüber zur Geltung zu bringen und den verfassungsrechtlich gewollten Ausgleich zwischen den sich gegenseitig widerstreitenden, hemmenden und beschränkenden Tendenzen des Grundrechts und der "allgemeinen Gesetze" herzustellen.
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3. Der Begriff des "allgemeinen" Gesetzes war von Anfang an umstritten. Es mag dahinstehen, ob der Begriff nur infolge eines Redaktionsversehens in den Artikel 118 der Reichsverfassung von 1919 gelangt ist (siehe dazu Häntzschel im Handbuch des deutschen Staatsrechts, 1932, Band II S. 658). Jedenfalls ist er bereits während der Geltungsdauer dieser Verfassung dahin ausgelegt worden, daß darunter alle Gesetze zu verstehen sind, die "nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten", die vielmehr "dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen", dem Schutze eines ![]() ![]() | |
Wird der Begriff "allgemeine Gesetze" so verstanden, dann ergibt sich zusammenfassend als Sinn des Grundrechtsschutzes:
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Die Auffassung, daß nur das Äußern einer Meinung grundrechtlich geschützt sei, nicht die darin liegende oder damit bezweckte Wirkung auf andere, ist abzulehnen. Der Sinn einer Meinungsäußerung ist es gerade, "geistige Wirkung auf die Umwelt" ausgehen zu lassen, "meinungsbildend und überzeugend auf die Gesamtheit zu wirken" (Häntzschel, Hdb. DStR II, S. 655). Deshalb sind Werturteile, die immer eine geistige Wirkung erzielen, nämlich andere überzeugen wollen, vom Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt; ja der Schutz des Grundrechts bezieht sich in erster Linie auf die im Werturteil zum Ausdruck kommende eigene Stellungnahme des Redenden, durch die er auf andere wirken will. Eine Trennung zwischen (geschützter) Äußerung und (nicht geschützter) Wirkung der Äußerung wäre sinnwidrig.
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Die - so verstandene - Meinungsäußerung ist als solche, d.h. in ihrer rein geistigen Wirkung, frei; wenn aber durch sie ein gesetzlich geschütztes Rechtsgut eines anderen beeinträchtigt wird, dessen Schutz gegenüber der Meinungsfreiheit den Vorrang verdient, so wird dieser Eingriff nicht dadurch erlaubt, daß er mittels einer Meinungsäußerung begangen wird. Es wird deshalb eine "Güterabwägung" erforderlich: Das Recht zur Meinungsäußerung muß zurücktreten, wenn schutzwürdige Interessen eines anderen von höherem Rang durch die Betätigung der Meinungsfreiheit verletzt würden. Ob solche überwiegenden ![]() ![]() | |
4. Von dieser Auffassung aus bestehen keine Bedenken dagegen, auch Normen des bürgerlichen Rechts als "allgemeine Gesetze" im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG anzuerkennen. Wenn das bisher in der Literatur im allgemeinen nicht geschehen ist (worauf auch Klein-v. Mangoldt, a.a.O., S. 251, hinweist), so kommt darin nur zum Ausdruck, daß man die Grundrechte lediglich in ihrer Wirkung zwischen Bürger und Staat gesehen hat, so daß folgerichtig als einschränkende allgemeine Gesetze nur solche in Betracht kamen, die staatliches Handeln gegenüber dem einzelnen regeln, also Gesetze öffentlich-rechtlichen Charakters. Wenn aber das Grundrecht der freien Meinungsäußerung auch in den Privatrechtsverkehr hineinwirkt und sein Gewicht sich hier zugunsten der Zulässigkeit einer Meinungsäußerung auch dem einzelnen Mitbürger gegenüber geltend macht, so muß auf der andern Seite auch die das Grundrecht unter Umständen beschränkende Gegenwirkung einer privatrechtlichen Norm, soweit sie höhere Rechtsgüter zu schützen bestimmt ist, beachtet werden. Es wäre nicht einzusehen, warum zivilrechtliche Vorschriften, die die Ehre oder andere wesentliche Güter der menschlichen Persönlichkeit schützen, nicht ausreichen sollten, um der Ausübung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung Schranken zu setzen, auch ohne daß zu dem gleichen Zweck Strafvorschriften erlassen werden.
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Der Beschwerdeführer befürchtet, daß durch Beschränkung der Redefreiheit einem einzelnen gegenüber die Gefahr heraufgeführt werden könnte, der Bürger werde in der Möglichkeit, durch seine Meinung in der Öffentlichkeit zu wirken, allzusehr beengt und die unerläßliche Freiheit der öffentlichen Erörterung gemeinschaftswichtiger Fragen sei nicht mehr gewährleistet. Diese Gefahr besteht in der Tat (vgl. dazu Ernst Helle, Der Schutz der persönlichen Ehre und des wirtschaftlichen Rufes im Privatrecht, 1957, S. 65, 83-85, 153). Um ihr zu begegnen, ist es aber nicht erforderlich, das bürgerliche Recht aus der Reihe der allgemeinen ![]() ![]() | |
Es ergibt sich also: Auch Urteile des Zivilrichters, die auf Grund "allgemeiner Gesetze" bürgerlich-rechtlicher Art im Ergebnis zu einer Beschränkung der Meinungsfreiheit gelangen, können das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzen. Auch der Zivilrichter hat jeweils die Bedeutung des Grundrechts gegenüber dem Wert des im "allgemeinen Gesetz" geschützten Rechtsguts für den durch die Äußerung angeblich Verletzten abzuwägen. Die Entscheidung kann nur aus einer Gesamtanschauung des Einzelfalles unter Beachtung aller wesentlichen Umstände getroffen werden. Eine unrichtige Abwägung kann das Grundrecht verletzen und so die Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht begründen.
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III.
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Die Beurteilung des Falles auf Grund der vorstehenden allgemeinen Darlegungen ergibt, daß die Rüge des Beschwerde ![]() ![]() | |
1. In der mündlichen Verhandlung ist erörtert worden, ob das Bundesverfassungsgericht an die tatsächlichen Feststellungen, die das Landgericht seinem Urteil zugrunde gelegt hat, gebunden ist. Das ist nicht lediglich mit dem Hinweis zu beantworten, daß nach § 26 BVerfGG im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht der Grundsatz der materiellen Wahrheitsfindung gilt, denn der hier angegriffene Akt der öffentlichen Gewalt ist in einem Verfahren zustande gekommen, das seinerseits von der "Dispositionsmaxime" beherrscht wird. Die Frage braucht jedoch hier nicht grundsätzlich entschieden zu werden. Die äußeren Tatsachen, namentlich der Wortlaut der Äußerungen des Beschwerdeführers, sind unbestritten; unbestritten ist auch, daß der Beschwerdeführer als Privatmann, nicht als Vertreter des hamburgischen Staates, gesprochen hat. In der Deutung der Äußerungen kann dem Landgericht jedenfalls soweit gefolgt werden, als es darin eine "Aufforderung zum Boykott", auch in Richtung gegen die Filmgesellschaften, sieht. Der Beschwerdeführer selbst hat insoweit keine Bedenken erhoben. Was das Ziel der Äußerungen anlangt, so ist es unbedenklich, wenn das Landgericht feststellt, daß der Beschwerdeführer "ein Wiederauftreten Harlans als Schöpfer repräsentativer Filme" habe ver ![]() ![]() | |
Für die rechtliche Beurteilung ist davon auszugehen, daß "Boykott" kein eindeutiger Rechtsbegriff ist, der als solcher schon eine unerlaubte (sittenwidrige) Handlung bezeichnet. In der Rechtsprechung ist mit Recht darauf hingewiesen worden (so besonders RGZ 155, 257 [276 f.]), daß es keinen fest umgrenzten Tatbestand des sittenwidrigen Boykotts gibt, daß es vielmehr immer darauf ankommt, ob ein Verhalten in seinem konkreten Zusammenhang als "sittenwidrig" anzusehen ist. Auch aus diesem Grunde ist es unbedenklich, die Deutung des Landgerichts zu übernehmen; denn sie sagt über die rechtlichen Folgen dieser Beurteilung noch nichts Entscheidendes aus. Man muß sich von der Suggestivkraft des Begriffs "Boykott" freihalten und das Verhalten des Beschwerdeführers im
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Zusammenhang mit allen seinen Begleitumständen sehen.
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2. Das Landgericht hat die Verurteilung des Beschwerdeführers auf § 826 BGB gestützt. Es nimmt an, daß das Verhalten des Beschwerdeführers im Sinne dieser Bestimmung gegen die guten Sitten, gegen die "demokratische Rechts- und Sittenauffassung des deutschen Volkes", verstoßen habe und deshalb eine unerlaubte Handlung darstelle, da ein Rechtfertigungsgrund nicht erkennbar sei. Dabei brauche derjenige, dessen Recht sittenwidrig beeinträchtigt werde, nicht mit dem Geschädigten identisch zu sein.
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Nach dem oben zu II 4 Ausgeführten muß § 826 BGB, der grundsätzlich alle Rechte und Güter gegen sittenwidrige Angriffe schützt, als ein "allgemeines Gesetz" im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG angesehen werden. Die Prüfung des Bundesverfassungsgerichts beschränkt sich danach auf die Frage, ob das Landgericht bei der Anwendung dieser Generalklausel Bedeutung ![]() ![]() | |
§ 826 BGB verweist auf den Maßstab der "guten Sitten". Es handelt sich hier nicht um irgendwie vorgegebene und daher (grundsätzlich) unveränderliche Prinzipien reiner Sittlichkeit, sondern um die Anschauungen der "anständigen Leute" davon, was im sozialen Verkehr zwischen den Rechtsgenossen "sich gehört". Diese Anschauungen sind geschichtlich wandelbar, können daher - in gewissen Grenzen - auch durch rechtliche Gebote und Verbote beeinflußt werden. Der Richter, der das hiernach sozial Geforderte oder Untersagte im Einzelfall ermitteln muß, hat sich, wie aus der Natur der Sache folgt, ihm aber auch in Art. 1 Abs. 3 GG ausdrücklich vorgeschrieben ist, dabei an jene grundsätzlichen Wertentscheidungen und sozialen Ordnungsprinzipien zu halten, die er im Grundrechtsabschnitt der Verfassung findet. Innerhalb dieser Wertordnung, die zugleich eine Wertrangordnung ist, muß auch die hier erforderliche Abwägung zwischen dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und den seine Ausübung beschränkenden Rechten und Rechtsgütern vorgenommen werden.
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Für die Entscheidung der Frage, ob eine Aufforderung zum Boykott nach diesen Maßstäben sittenwidrig ist, sind zunächst Motive, Ziel und Zweck der Äußerungen zu prüfen; ferner kommt es darauf an, ob der Beschwerdeführer bei der Verfolgung seiner Ziele das Maß der nach den Umständen notwendigen und angemessenen Beeinträchtigung der Interessen Harlans und der Filmgesellschaften nicht überschritten hat.
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a) Sicherlich haftet den Motiven, die den Beschwerdeführer zu seinen Äußerungen veranlaßt haben, nichts Sittenwidriges an. Der Beschwerdeführer hat keine eigenen Interessen wirtschaftlicher Art verfolgt; er stand namentlich weder mit den klagenden Filmgesellschaften noch mit Harlan in Konkurrenzbeziehungen. Das Landgericht hat selbst bereits in seinem Urteil im Verfahren der einstweiligen Verfügung festgestellt, die mündliche Verhand ![]() ![]() | |
b) Das Ziel der Äußerungen des Beschwerdeführers war, wie er selbst angibt, Harlan als repräsentativen Vertreter des deutschen Films auszuschalten; er wollte verhindern, daß Harlan wieder als Schöpfer repräsentativer deutscher Filme herausgestellt werde und damit der Anschein entstehe, als sei ein neuer Aufstieg des deutschen Films notwendig mit der Person Harlans verbunden. Die Gerichte haben nicht zu beurteilen, ob diese Zielsetzung sachlich zu billigen ist, sondern nur, ob ihre Bekundung in der vom Beschwerdeführer gewählten Form rechtlich zulässig war.
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Die Äußerungen des Beschwerdeführers müssen im Rahmen seiner allgemeinen politischen und kulturpolitischen Bestrebungen gesehen werden. Er war von der Sorge bewegt, das Wiederauftreten Harlans könne - vor allem im Ausland - so gedeutet werden, als habe sich im deutschen Kulturleben gegenüber der nationalsozialistischen Zeit nichts geändert; wie damals, so sei Harlan auch jetzt wieder der repräsentative deutsche Filmregisseur. Diese Befürchtungen betrafen eine für das deutsche Volk sehr wesentliche Frage, im Grunde die seiner sittlichen Haltung und seiner darauf beruhenden Geltung in der Welt. Dem deutschen Ansehen hat nichts so geschadet wie die grausame Verfolgung der Juden durch den Nationalsozialismus. Es besteht also ein entscheidendes Interesse daran, daß die Welt gewiß sein kann, das deutsche Volk habe sich von dieser Geisteshaltung abgewandt und verurteile sie nicht aus politischen Opportunitätsgründen, sondern aus der durch eigene innere Umkehr gewonnenen Einsicht in ihre Verwerflichkeit.
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Die Befürchtungen des Beschwerdeführers sind von ihm nicht nachträglich konstruiert, sie entsprechen der Sachlage, wie sie sich damals für ihn darstellte. Das ist später unter anderem dadurch bestätigt worden, daß z.B. in der Schweiz der Versuch, ![]() ![]() | |
Das Landgericht hält es für zulässig, daß der Beschwerdeführer über das Wiederauftreten Harlans eine Meinung geäußert hat, macht ihm aber zum Vorwurf, daß er die Öffentlichkeit aufgefordert habe, durch ein bestimmtes Verhalten das Wiederauftreten Harlans unmöglich zu machen. Bei dieser Unterscheidung wird übersehen, daß der Beschwerdeführer, wenn man ihm schon gestatten will, über das Wiederauftreten Harlans eine (ablehnende) Meinung zu äußern, kaum über das hinausging was in diesem Werturteil bereits enthalten war. Denn die Aufforderung, Harlan-Filme nicht abzunehmen und nicht zu besuchen, ergab sich als Wirkung des negativen Werturteils über das Wiederauftreten Harlans geradezu von selbst. Das sachliche anliegen des Beschwerdeführers war es, die Gefahr nationalsozialistischer Einflüsse auf das deutsche Filmwesen von vornherein abzuwehren; von da her hat er folgerichtig das Wiederauftreten Harlans bekämpft. Harlan erscheint hier als persönlicher Exponent einer bestimmten, vom Beschwerdeführer abgelehnten kulturpolitischen Entwicklung. Der zulässige Angriff gegen diese führte mit einer gewissen Notwendigkeit zu einem Eingriff in die persönliche Rechtssphäre Harlans. ![]() | |
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Das Verlangen, der Beschwerdeführer hätte bei dieser Sachlage von der Kundgabe seiner Auffassung, daß Harlan von der Mitwirkung an repräsentativen Filmen ausgeschaltet werden solle, mit Rücksicht auf die beruflichen Interessen Harlans und die wirtschaftlichen Interessen der ihn beschäftigenden Filmgesellschaften trotzdem absehen müssen, ist unberechtigt. Die Filmgesellschaften mögen bei ihrem Entschluß, Harlan wieder zu beschäftigen, formal korrekt verfahren sein. Wenn sie dabei aber die darüber hinaus verbleibende moralische Problematik des Falles nicht berücksichtigt haben, dann kann das nicht dazu führen, das Vorgehen des Beschwerdeführers, der gerade diese Proble ![]() ![]() | |
In diesem Zusammenhang hat das Landgericht auf Art. 2 GG hingewiesen Es geht davon aus, Harlan dürfe seinen Beruf als Filmregisseur wieder aufnehmen und ausüben, da er vom Schwurgericht, vor dem er wegen eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 angeklagt war, freigesprochen, im Entnazifizierungsverfahren als " Entlasteter" eingestuft worden sei und die Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (Spio) alle Tätigkeitsbeschränkungen gegen ihn aufgehoben habe. Artikel 2 wirke allerdings nur gegen die öffentliche ![]() ![]() | |
Die Ausführungen des Landgerichts könnten auch so gedeutet werden, daß es in den Äußerungen des Beschwerdeführers einen Eingriff in den Kern der künstlerischen Persönlichkeit Harlans erblickt, den "letzten unantastbaren Bereich menschlicher Freiheit" (BVerfGE 6, 32 [41]), einen Eingriff also, der durch keine ![]() ![]() | |
c) Die Gegner des Beschwerdeführers haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht besonderes Gewicht darauf gelegt, daß die vom Beschwerdeführer bei der Boykottaufforderung angewandten Mittel jedenfalls in einer Hinsicht in sich schon sittenwidrig gewesen seien. Der Beschwerdeführer habe nämlich die objektiv unwahre Behauptung aufgestellt, Harlan sei vom Schwurgericht nur formell freigesprochen worden, die Urteilsgründe seien eine moralische Verdammung gewesen.
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Es mag dahinstehen, ob dieser Vorwurf, wenn er gerechtfer ![]() ![]() | |
Aus dem Inhalt des Schwurgerichtsurteils ist festzustellen: Das Urteil schildert den Lebensgang Harlans, insbesondere seine Laufbahn als Filmregisseur, die nach 1933 begann und ihn alsbald zum "Prestigeregisseur" (so kennzeichnet Harlan selbst seine Stellung in der Schrift: "Meine Beziehung zum Nationalsozialismus", S. 21) aufsteigen ließ. Das Urteil stellt dann die Entstehungsgeschichte des Films "Jud Süß" und die Beteiligung Harlans an diesem Film als Regisseur und Drehbuchmitautor im einzelnen dar. Es schreibt dem Film "klare antisemitische Tendenz" zu, würdigt ihn im Zusammenhang mit den allgemeinen Umständen zur Zeit seiner Entstehung und ersten Aufführung (1940) dahin, daß er durch die tendenziöse Beeinflussung der öffentlichen Meinung im judenfeindlichen Sinn mitursächlich für die Judenverfolgung gewesen sei, und kennzeichnet ihn deshalb in objektiver Hinsicht als ein "Angriffsverhalten", wie es nach der Rechtsprechung für den Begriff des Verbrechens gegen die Menschlichkeit im Sinne des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 erfordert werde. Da Harlan als Mitgestalter des Drehbuchs und Regisseur objektiv zum Kreis der Angriffstäter gehöre und da er auch die mit dem Film verfolgten Absichten erkannt sowie mit den voraussichtlichen Wirkungen des Films gerechnet habe, kommt das Urteil zur Feststellung, daß er durch seine maßgebende Mitwirkung bei der Schaffung dieses Films "in objektiver und subjektiver Hinsicht den Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfüllt" habe. Es spricht ihn trotzdem frei, weil es ihm den Schuldausschließungsgrund des sogenannten Nö ![]() ![]() | |
"Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, daß Harlan sich nicht um die Mitwirkung an der Herstellung des Films "Jud Süß" bemüht hat, sondern im Gegenteil erst auf Grund des ihm vom Propagandaminister Goebbels erteilten Befehls tätig geworden ist. Zur Beurteilung der Frage, wie Goebbels sich im Fall der offenen oder versteckten Ablehnung Harlans verhalten haben würde, war zunächst auf Grund allgemeiner gerichtsnotorischer Tatsachen festzustellen, daß im November 1939 bereits der Kriegszustand zwischen Deutschland und Polen und die Möglichkeit der weiteren Ausdehnung des Krieges auf andere Staaten bestand. Goebbels vertrat die These, daß im Kriege jeder Deutsche seine Aufgabe an dem Platz zu erfüllen habe, an den er gestellt sei, und daß jeder Deutsche "Soldat des Führers" sei. Goebbels selbst betrachtete sich in seiner Eigenschaft als Propagandaminister als General des Führers und die unter ihm arbeitenden Beamten des Propagandaministeriums und alle seinem Ministerium unterstellten Personen, auch Filmproduzenten, Regisseure, Schauspieler usw. als unter seinem Befehl stehende Soldaten. Die Nichtausführung eines von Goebbels gegebenen Befehles wurde seit Beginn des Krieges von ihm als Verweigerung eines kriegsdienstlichen Befehles angesehen und es bedarf keiner Erörterung darüber, daß eine solche von den damaligen Machthabern mit den schärfsten Strafen, auch mit der Todesstrafe, belegt worden wäre. In derartigen Fällen bewies Goebbels eine unmenschliche Härte und Skrupellosigkeit zur Durchführung seiner Absichten, so daß die Möglichkeit einer offenen Ablehnung von vornherein ausgeschlossen war. Darüber hinaus bewiesen die angeführten Einzelbeispiele, wie unberechenbar und gefährlich Goebbels in seinen Handlungen sein konnte. Weiter zeigt die Tatsache, daß Goebbels als Propagandaminister jahrelang zugesehen hat, wie deutsche Menschen, deutsche Städte durch einen sinnlosen Krieg zugrunde gerichtet wurden und wie Millionen unschuldiger Menschen durch die Willkürmaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes in einer jeder Menschlichkeit Hohn sprechenden Art und Weise gequält, gedemütigt, ja sogar gemordet wurden, und daß Goebbels alle diese Taten durch seine Propaganda zu rechtfertigen suchte, wie skrupellos und ohne moralische Hemmungen dieser Propagandadiktator war. Unter dem nationalsozialistischen Gewaltsystem sind ferner eine große Anzahl bedeutender und im Volke außerordentlich angesehener Männer aus den einflußreichsten Stellungen entfernt worden, in Konzentrationslager verbracht, zum ![]() ![]() | |
Als Goebbels im Jahre 1938 die Auflage an die Filmgesellschaften erteilte, je einen antisemitischen Filmstoff herauszubringen, verfolgte er planmäßig die im nationalsozialistischen Programm festgelegten antisemitischen Thesen. Im Jahre 1939 mußte die antisemitische Propaganda nach der Auffassung der damaligen Machthaber eine noch weit größere Bedeutung erlangen, da sie das Weltjudentum als den Feind Europas und als ihren stärksten Gegner betrachteten, wie das auch in den Reden Adolf Hitlers ständig zum Ausdruck gekommen ist. Die Durchführung der von Goebbels erteilten Auflage gewann daher zunehmend größere Bedeutung. Sie mußte sogar von seinem Standpunkt aus von größtem staatspolitischen Wert sein. Goebbels war daher schon aus den hier aufgezeigten Gründen an der Durchführung seiner Befehle auf das heftigste interessiert. Bei dem Film "Jud Süß" kam jedoch hinzu, daß Goebbels auch persönlich durch den von den Schauspielern geleisteten Widerstand gegen das Filmprojekt äußerst gereizt war. Es galt für ihn, seinen Willen in diktatorischer Weise gegenüber jedem Widerstand durchzusetzen. Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände konnte zumindest die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, daß für Harlan im Falle einer offenen oder versteckten Ablehnung, falls diese von Goebbels erkannt wurde, Gefahr für Leib und Leben bestand. Das Schwurgericht ist darüber hinaus sogar der Auffassung, daß diese Lebensbedrohung bei der ,Persönlichkeit Goebbels' durchaus ernsthaft gegeben war und zwar um so mehr, als das Verhältnis zwischen Goebbels und Harlan besonders im Jahre 1939/40 außerordentlich gespannt war. Von der großen Zahl der zu diesem Punkt vernommenen Zeugen hat nicht ein einziger mit Sicherheit sagen können, welche Folgewirkungen für Harlan hätten entstehen können. Sie stimmten jedoch weitgehend darin überein, daß Goebbels in irgendeiner Weise seine furchtbare Macht Harlan hätte spüren lassen. Für die rechtliche Entscheidung kann es jedoch nicht von Bedeutung sein ob Goebbels gegen Harlan als Verweigerer eines kriegsdienstlichen Befehls etwa ein Verfahren vor dem Sondergericht in die Wege geleitet oder ihn der Willkürbehandlung im Konzentrationslager überantwortet hätte, oder ob er schließlich irgendeinen anderen, nicht im Zusammenhang mit dem Filmprojekt stehenden Vorwand gesucht und gefunden hätte, Harlan als politischen Gegner, Saboteur ![]() ![]() | |
Es wird dann geprüft, ob Harlan zu seiner Mitarbeit an dem Film etwa durch andere Beweggründe bestimmt worden sei. Solche Motive lassen sich nach Auffassung des Schwurgerichts nicht feststellen. Es heißt dann weiter:
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"Es ist bereits ausgeführt worden, daß die offene Ablehnung der Mitarbeit an dem Filmprojekt "Jud Süß" für Harlan eine schwere Bedrohung und Lebensgefahr bedeutet hätte. Es war aber weiter zu prüfen, welche Möglichkeiten für ihn bestanden haben, durch verstecktes Ausweichen dieser Gefahr zu entgehen und sich dennoch der Beteiligung an der Filmarbeit zu entziehen. Der Angeklagte hat nun behauptet, er habe alle Möglichkeiten, um den Goebbels'schen Befehl herumzukommen, voll ausgeschöpft, andere Möglichkeiten als die von ihm versuchten hätten ihm nicht zur Verfügung gestanden.
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Dem Angeklagten konnte nicht widerlegt werden, daß er verschiedene Ausweichmanöver versucht hat und zwar, daß er das Drehbuch bei Goebbels gründlich verrissen, sich zur Darstellung rein negativer Personen unfähig erklärt, auf seine dringenden Arbeiten an seinem Film "Pedro soll hängen" und an dem neuen Projekt "Agnes Bernauer" verwiesen hat und daß er sich schließlich freiwillig zum Kriegsdienst gemeldet hat. Soweit es sich bei den von dem Angeklagten behaupteten Ausweichmanövern um Einwendungen künstlerischer Art handelte, konnte seine Haltung ihre Erklärung auch in der Besorgnis eines Regisseurs finden, der auf Grund eines schlechten Drehbuchs einen schlechten Film zu drehen fürchtete. Trotzdem konnte das Gericht nicht mit Sicherheit ausschließen, daß alle diese Maßnahmen Harlans aus einer inneren Ablehnung gegen das Filmprojekt als solche ergriffen wurden. Es war daher die weitere Frage zu prüfen, ob sich Harlan über die von ihm behaupteten Ausweichversuche hinaus weitere Möglichkeiten zum Ausweichen geboten haben könnten. Das Gericht hat solche Möglichkeiten nicht feststellen können."
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Das Urteil legt dann im einzelnen dar, daß zu der Zeit, als Harlan mit der Gestaltung des Films beauftragt wurde, für ihn kaum noch Möglichkeiten bestanden hätten, sich der Mitarbeit zu entziehen, den Film zu sabotieren oder seinen antisemitischen ![]() ![]() | |
"Dem Angeklagten konnte auch nicht zum strafrechtlichen Vorwurf gemacht werden, daß er den Film in einer seinen künstlerischen Fähigkeiten entsprechenden Form gestaltet hat. Es wird wohl zutreffen, daß der Film unter Zugrundelegung des Metzger-Möller'schen Drehbuches oder unter der Regie Dr. Brauers einen weit geringeren Zulauf bei dem Filmpublikum erreicht hätte. Es ist logisch und zwingend, daß in diesem Falle die antisemitische Tendenz des Films keine so weite Verbreitung hätte finden können, wie dies bei dem von Harlan hergestellten Film der Fall war. Es war hierbei zu berücksichtigen, daß Harlan durch eine künstlerisch nicht so hoch zu wertende Gestaltung seinen Ruf als großer Regisseur auf das schwerste hätte gefährden können. Das Schwurgericht ist jedoch der Ansicht, daß ein Künstler - ob er nun freiwillig oder gezwungen an die Erfüllung eines Auftrages geht - gar nicht imstande ist, zu bestimmen, ob er einen guten, zugkräftigen oder einen schlechten Film herstellt. In jedem Falle wird der Film so ausfallen, wie es seiner künstlerischen Begabung entspricht."
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So gelangt das Urteil schließlich zu dem Ergebnis:
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"Zusammenfassend ist zu sagen, daß die Tätigkeit Harlans in objektiver und subjektiver Hinsicht zwar den Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit erfüllt hat, ihm jedoch der Entschuldigungsgrund des § 52 StGB zuzubilligen war."
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Das Schwurgericht hat sonach nicht konkrete Tatsachen festgestellt, die für Harlan einen Notstand begründet hätten; es hat die von Harlan in dieser Richtung vorgetragenen Verteidigungsbehauptungen gewürdigt und ist zu dem Schluß gekommen, man müsse annehmen, daß bei Ablehnung einer Mitwirkung an dem Film für Harlan Gefahr für Leib und Leben bestanden habe; die aus allgemeinem geschichtlichen Wissen bekannten Charakterzüge von Goebbels machten eine solche Gefährdung sogar wahrscheinlich.
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Diese Gedankenführung des schwurgerichtlichen Urteils hat der Beschwerdeführer zusammenfassend dahin gewertet, es handle sich hier um einen "formellen Freispruch" und eine "moralische Verdammung". Was der Beschwerdeführer zum Ausdruck brin ![]() ![]() | |
Wenn der Beschwerdeführer seinen Eindruck vom Inhalt des schwurgerichtlichen Urteils in die Worte "formeller Freispruch" und "moralische Verdammung" zusammengefaßt hat, so geht das nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht über die Grenze des in der öffentlichen Diskussion eines Themas von ernstem Gehalt Zulässigen hinaus. Es bedeutet eine unannehmbare Einengung der Redefreiheit in einer freiheitlichen Demokratie, wenn das Landgericht hier von dem Beschwerdeführer, der nicht Jurist ist, die Sorgfalt sogar eines "strafrechtlich geschulten Lesers" fordert, die ihn hätte veranlassen müssen, die Kennzeichnung "formeller Freispruch" zu unterlassen, weil sie nur beim Fehlen objektiver Voraussetzungen der Strafbarkeit angängig sei. Die vom Beschwerdeführer gewählten Bezeichnungen sind keine Tatsachenbehauptungen, deren Wahrheit oder Unwahrheit bewiesen werden könnte; namentlich wird mit der Bezeichnung "formeller Freispruch" kein eindeutiger rechtlicher Tatbestand bezeichnet. Es handelt sich um eine zusammenfassende, wertende Charakterisierung des gesamten Urteilsinhalts, die für zulässig gehalten werden muß, weil sie weder in der Form verletzend ist noch inhaltlich so sehr den gemeinten Sachverhalt verfehlt, daß sie bei Hörern und Lesern ganz irrige Vorstellungen über den Urteilsinhalt erwecken müßte, wie es etwa der Fall wäre, wenn von einem Freigesprochenen ohne nähere Erläuterung behauptet würde, er sei "verurteilt" worden. Es ist hier auch von Bedeutung, daß der Freispruch Harlans in der breiteren Öffentlichkeit und erst recht in den Kreisen der Film ![]() ![]() | |
d) Die vom Beschwerdeführer für seine Meinungsäußerung gewählten Formen der Ansprache vor dem Presseklub und des Offenen Briefes gingen nicht über das nach den Umständen Zulässige hinaus. Die Domnick-Film-Produktion GmbH hat in dem Schreiben, das sie nach der Ansprache des Beschwerdeführers an diesen richtete, hervorgehoben, daß ihr daran gelegen sei, die frühere künstlerische Höhe des deutschen Films wieder zu erreichen. In diesem "Bestreben nach künstlerisch anspruchsvollen Filmen" habe sie Harlan zur Mitarbeit herangezogen. Daraus ergibt sich, daß die Gesellschaft sich gerade von der Mitwirkung Harlans an ihren Filmen viel versprach, und es war selbstverständlich, daß sie diese Mitwirkung in ihrer Werbung entsprechend hervorheben werde. Hiermit war ein starkes Hervortreten Harlans in der Öffentlichkeit auch ohne besonderes Zutun von seiner Seite verbunden. Das Massenunterhaltungsmittel des Films erreicht fast gleichzeitig Millionen von Zuschauern im In- und Ausland und läßt so die Mitwirkenden, namentlich die Darsteller und Regisseure, rasch in der breitesten Öffentlichkeit bekannt werden. Wer aber in dieser Weise vor die Öffentlichkeit tritt und dabei an den früheren Ruf eines Mitwirkenden anknüpft, muß sich gefallen lassen, daß auch die Kritik hieran vor der Öffentlichkeit erfolgt; und je intensiver mit einem Namen und unter Hinweis auf die früheren Leistungen eines Künstlers ![]() ![]() | |
Eine abschließende Gesamtbetrachtung des Falles kann schließlich an folgender Überlegung nicht vorübergehen: Der Beschwerdeführer hat aus lauteren Motiven an das sittliche Gefühl der von ihm angesprochenen Kreise appelliert und sie zu einer nicht zu beanstandenden moralischen Haltung aufgerufen. Das ist in der allgemeinen Volksanschauung nicht verkannt worden. Der Beschwerdeführer hat darauf hinweisen können, daß er sich bei seiner Bewertung des Wiederauftretens Harlans im Einklang mit der Haltung angesehener Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens im Inland und Ausland befinde. Beweise dafür liegen vor; es mag nur auf die in Nr. 3 der Deutschen Universitätszeitung vom 8. Februar 1952 veröffentlichte Stellungnahme von 48 Göttinger Professoren verwiesen werden, ferner etwa auf die Beiträge in der erwähnten Ausgabe der Neuen Zürcher Zeitung. Vor allem aber hat in der 197. Sitzung des Deutschen Bundestags am 29. Februar 1952 der Abgeordnete Dr. Schmid-Tübingen folgendes erklärt (Prot. S. 8474):
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"In Bonn läuft zur Zeit der Film "Immensee" aus der Produktion des Ihnen allen als Hersteller des Films "Jud Süß" bekannten Regisseurs Veit Harlan. Es ist eine Schande, daß die Machwerke dieses Mannes in Deutschland überhaupt gezeigt und besucht werden können. Manche berufen sich darauf, daß es keine Gesetze gebe, die es ermöglichten, die Vorführung von Filmen dieses Mannes zu untersagen. Das ist richtig, und auch der Bundestag kann ihre Vorführung nicht verhindern. Ich glaube aber, daß man dem wahren Rechte dient, wenn in diesem Hause dagegen Protest erhoben wird, daß ausgerechnet am Sitze des deutschen Parlaments, das in diesem Lande in ganz besonderem Maße der Hüter und Herold echter Toleranz zu sein hat, Filme eines Mannes aufgeführt werden, der zumindest ![]() ![]() | |
Das Protokoll verzeichnet hierzu "Beifall links und bei den Regierungsparteien". Für die Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers kann die hier zum Ausdruck gekommene Auffassung des repräsentativen Vertretungsorgans des deutschen Volkes nicht gleichgültig sein. Sie macht es unmöglich, in den Äußerungen des Beschwerdeführers einen Verstoß gegen die "Auffassungen der verständigen, billig und gerecht denkenden Bürger" zu sehen.
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IV.
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Das Bundesverfassungsgericht ist auf Grund dieser Erwägungen zu der Überzeugung gelangt, daß das Landgericht bei seiner Beurteilung des Verhaltens des Beschwerdeführers die besondere Bedeutung verkannt hat, die dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung auch dort zukommt, wo es mit privaten Interessen anderer in Konflikt tritt. Das Urteil des Landgerichts beruht auf diesem Verfehlen grundrechtlicher Maßstäbe und verletzt so das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz I GG. Es ist deshalb aufzuheben. ![]() |