BVerfGE 28, 51 - Flugblätter | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Johannes Rux, A. Tschentscher | |||
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 18. Februar 1970 |
- 2 BvR 481/68 - |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Gefreiten Reinhard J... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Heinrich Hannover und Dr. Rudolf Monnerjahn, Bremen, Unser Lieben Frauen Kirchhof 24/25 - gegen die vom Kommandeur des Panzergrenadierbataillons 191 am 25. Juni 1968 verhängte Arreststrafe und den Beschluß des Truppendienstgerichts E vom 10. Juli 1968 - E 3 BLb 80/68 -. |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen. |
Gründe | |
I. | |
1. Der Beschwerdeführer wurde am 3. April 1967 als Wehrpflichtiger zum Wehrdienst einberufen. Am 31. Mai 1968 war er als Gefreiter in einer Ausbildungskompanie in der Westfalen- Kaserne in Altahlen stationiert. An diesem Tage verteilte er in Zivil außerhalb des Sicherheitsbereichs der Kaserne an Soldaten etwa 100 Flugblätter. Darin bekannte er sich als Mitglied der "Sozialistischen Deutschen Arbeiter-Jugend" und nahm gegen die Notstandsgesetze Stellung. Er behauptete, die durch das Siebzehnte Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl. I S. 709) beschlossene Neufassung von Art. 87 a Abs. 3 GG diene dem Zweck, den Einsatz der Bundeswehr gegen den "inneren Feind", das seien "die Arbeiter und Studenten", vorzubereiten. Er forderte seine Kameraden auf, den Befehl zur Ausbildung im Straßenkampf künftig zu verweigern.
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2. Wegen dieses Vorfalls bestrafte der Bataillonskommandeur den Beschwerdeführer nach richterlicher Bestätigung am 25. Juni 1968 mit 14 Tagen Arrest. Die Strafformel lautete:
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Der Bestrafte hat am 31. Mai 1968 in Altahlen gegen 16.55 Uhr vor der Kaserneneinfahrt der Westfalen-Kaserne selbst hergestellte Flugblätter des aus der beigefügten Abschrift ersichtlichen Inhalts an Kameraden verteilt, in denen er unter Bezugnahme auf die Verabschiedung der Notstandsgesetze mit Formulierungen, wie: "Wenn diese Herren in Bonn Angst bekommen, weil die Arbeiter und Studenten auf die Straße gehen - dann können diese Herren in Bonn die Bataillone der Bundeswehr gegen Arbeiter und Studenten hetzen!", seine Kameraden aufzuhetzen versucht und mit Formulierungen wie "Wenn sie morgen befehlen, Häuserkampf und Straßenschlachten zu üben - sagt Nein!" zum Ungehorsam aufgefordert hat.
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Die dagegen gerichtete Beschwerde des Beschwerdeführers wurde vom Truppendienstgericht E nach mündlicher Verhandlung durch Beschluß vom 10. Juli 1968 als unbegründet zurückgewiesen. In den Gründen der Entscheidung ist u. a. folgendes ausgeführt:
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Der Beschwerdeführer habe schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt. Durch den Satz: "Wenn diese Herren in Bonn Angst bekommen, weil die Arbeiter streiken und die Studenten auf die Straße gehen - dann können diese Herren in Bonn die Bataillone der Bundeswehr gegen Arbeiter und Studenten hetzen. Das, Kameraden, müssen wir verhindern!" habe der Beschwerdeführer versucht, seine Kameraden aufzuhetzen. Er habe bewußt nur den Text von Art. 87 a Abs. 3 GG zitiert und den Text von Art. 87 a Abs. 4 GG weggelassen. Dadurch habe er seine Kameraden mit irreführenden Behauptungen zum Widerstand gegen die demokratische Grundordnung aufgehetzt. Durch den Satz: "Wenn sie morgen befehlen, Häuserkampf und Straßenschlachten zu üben - sagt Nein!" habe der Beschwerdeführer seine Kameraden offen zum Ungehorsam aufgefordert. Das Verteidigungsvorbringen des Beschwerdeführers, er habe seine Kameraden nur an ihre Staatsbürgerpflicht zur Wachsamkeit gegenüber verbrecherischen Befehlen erinnern wollen, werde durch den von ihm veröffentlichten Text eindeutig widerlegt.
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Der Beschwerdeführer habe also gegen die Grundpflichten des Soldaten, seinem Dienstherrn treu zu dienen (§ 7 des Soldatengesetzes vom 19. März 1956 - BGBl. I S. 114 - im folgenden: SG) und für die Erhaltung der freiheitlichen Grundordnung einzutreten (§ 8 SG), verstoßen. Sein Verhalten sei auch nicht dem Ansehen der Bundeswehr und dem Vertrauen gerecht geworden, das sein Dienst als Soldat erfordere (§ 17 Abs. 2 SG).
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Es sei ausdrücklich zu betonen, daß der Beschwerdeführer nicht wegen seiner politischen Überzeugung zur Verantwortung gezogen werde, auch nicht deshalb, weil er Gegner der Notstandsgesetze sei und Flugblätter politischen Inhalts verteilt habe. Das sei außerhalb der dienstlichen Unterkünfte geschehen.
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Wegen Art und Schwere des Dienstvergehens sei die Verhängung einer Arreststrafe geboten.
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Am 13. September 1968 wurde der Beschwerdeführer fristlos aus dem Wehrdienst entlassen.
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3. Mit seiner am 10. August 1968 eingelegten und am 19. August 1968 noch rechtzeitig begründeten Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen den ihm am 18. Juli 1968 zugestellten Beschluß des Truppendienstgerichts vom 10. Juli 1968. Er rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, 5 Abs. 1, 17 a Abs. 1 GG und führt aus:
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Durch das Verteilen von Flugblättern, in denen er seine Auffassung zu den Notstandsgesetzen dargelegt habe, habe er von seinem Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht. Die restriktive Auslegung der §§ 7, 8, 15 und 17 SG in dem angefochtenen Beschluß taste den Wesensgehalt des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG an. Nicht der Beschwerdeführer habe seine Kameraden irregeführt, vielmehr mache sich das Truppendienstgericht eine irreführende Interpretation zu eigen, mit der die Öffentlichkeit darüber getäuscht worden sei, daß nach Art. 87 a Abs. 4 GG ein Einsatz der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei beim Schutz von zivilen Objekten zulässig sei, ohne daß es sich bei den zu bekämpfenden Personen um organisierte und militärisch bewaffnete Aufständische handeln müsse. In Art. 87 a Abs. 4 GG sei tatsächlich die Möglichkeit angelegt, demonstrierende Studenten und Arbeiter von der Bundeswehr zusammenschießen zu lassen. Diese Bestimmung der Notstandsverfassung halte der Beschwerdeführer mit gutem Grund für verfassungswidrig. Gerade aus seiner Verpflichtung nach § 8 SG folge sein Recht und seine Pflicht zum Widerstand. Wegen der zitierten Äußerung habe der Beschwerdeführer deshalb nicht bestraft werden dürfen.
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II. | |
Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich unbegründet.
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Die angefochtene Entscheidung verletzt nicht das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
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1. Nach den Feststellungen des Truppendienstgerichts hat der Beschwerdeführer durch seine Flugblattaktion versucht, Kameraden gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung aufzuhetzen. Der Beschwerdeführer hat seine Kameraden zum Ungehorsam aufgefordert. Er hat damit gegen seine Pflicht zu treuem Dienen (§ 7 SG), zum Eintreten für die freiheitliche Grundordnung (§ 8 SG) und zu soldatenwürdigem Verhalten (§ 17 Abs. 2 SG) verstoßen. Diese Vorschriften sind mit dem Grundgesetz vereinbar. Sie greifen nicht durch Verbot einer bestimmten Meinung in das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ein, sondern dienen dem Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland und der Aufrechterhaltung der notwendigen Disziplin innerhalb der Streitkräfte. Sie genügen den Anforderungen, die Art. 103 Abs. 2 GG an die gesetzliche Bestimmtheit disziplinarrechtlicher Straftatbestände stellt (BVerfGE 26, 186 [203 f.]). Die durch sie normierten Pflichten sind jedem Soldaten selbstverständlich.
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2. Bedeutung und Tragweite des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG für Art und Umfang der sich aus §§ 7, 8, 17 Abs. 2 SG ergebenden Pflichten sind vom Truppendienstgericht nicht verkannt worden (BVerfGE 7, 198 [208 f.]; 12, 113 [124 f.]; 21, 271 [281]). Es war nach den Feststellungen des Truppendienstgerichts nicht die Absicht des Beschwerdeführers, seine Kameraden an ihre Rechte gegenüber einem rechtswidrigen Befehl zu erinnern. Mit seiner Aufforderung, den Befehl zur Ausbildung im Straßenkampf zu verweigern, hat der Beschwerdeführer seine Dienstpflicht verletzt. Solche Umtriebe können in einem Gemeinwesen, das sich auf das Prinzip der streitbaren Demokratie gründet (BVerfG, Beschluß vom 18. Februar 1970 - 2 BvR 531/68 - B II 1 b) S. 14 f.) nicht hingenommen werden. Sie können durch Disziplinarmaßnahmen unterbunden werden.
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Die Entscheidung des Truppendienstgerichts ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nicht zu beanstanden.
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