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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Jens Krüger, A. Tschentscher | |||
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2. Auch eine Eheverfehlung des klagenden Ehegatten, die keine schwere Verfehlung im Sinne des § 43 Satz 1 EheG ist, kann dazu führen, daß sein Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt ist. |
EheG § 43 |
IV. Zivilsenat |
Urteil |
vom 6. April 1960 |
i. S. Ehemann E. (Bekl.) w. Ehefrau E. (Kl.) |
- IV ZR 276/59 - |
I. Landgericht Ansbach |
II. Oberlandesgericht Nürnberg | |
Die Klägerin ist Ende Juli 1957 von der evangelischen Kirche, der auch der Beklagte angehört, zur Neuapostolischen Kirche (NAK) übergetreten. Dieser Übertritt führte zu einem Zerwürfnis zwischen den Parteien und schließlich zu ihrer Trennung. Im November 1957 hat die Klägerin Klage auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden des Beklagten erhoben. Sie hat behauptet, der Beklagte habe durch schwere Eheverfehlungen die ursprünglich glückliche Ehe zerrüttet. Er habe sie, die Klägerin, wie auch die beiden Töchter, wiederholt schikaniert, sie mit Schimpfworten belegt und geäußert, sie sollten sich zum Teufel scheren, er hätte die Klägerin längst totgeschlagen, wenn er nicht Angst hätte, eingesperrt zu werden. Weiter habe er gedroht, sie aus dem Hause zu werfen und an den Haaren hinauszuziehen, wenn sie noch einmal in diese Kirche gehe. Die NAK und die Klägerin habe er als Hurenpack und Teufelsbrut bezeichnet. Den Obertritt zur NAK habe er der Klägerin, obwohl er zunächst damit einverstanden gewesen sei, mit dem Hinweis verboten, sie seien geschiedene ![]() ![]() | 1 |
Der Beklagte hat das Vorbringen der Klägerin zum großen Teil bestritten und Abweisung der Klage beantragt. Er hat Widerklage auf Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Klägerin erhoben und behauptet, die Ehe der Parteien sei bis zum Übertritt der Klägerin in die NAK im wesentlichen gut verlaufen. Alle Zerwürfnisse und die nachfolgende Zerrüttung der Ehe seien auf diesen Schritt der Klägerin zurückzuführen. Er habe zwar nichts dagegen eingewendet, daß die Klägerin seit Jahren auch mit den Kindern die Gotteschenste der NAK besucht habe, gegen einen Glaubenswechsel aber habe er sich gewehrt und diesem Schritt nie zugestimmt. Die Klägerin könne sich nicht ohne sein Einverständnis einfach über all die sittlichen und moralischen Pflichten hinwegsetzen, die sie mit der Ehe übernommen habe. Dazu gehöre auch die Erhaltung der geistlichen und religiösen Grundlage der Ehe. Besonders erschwerend komme hinzu, daß die Klägerin auch die beiden Töchter beeinflußt habe, zur NAK überzutreten, obwohl sie im gemeinsamen evangelischen Bekenntnis der Eltern hätten erzogen werden sollen. Seit ihrem Eintritt in die NAK habe die Klägerin das Hauswesen vernachlässigt, sie habe auch die Kinder gegen ihn aufgehetzt und ihn mit Schimpfworten beleidigt.
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Das Landgericht hat die Ehe der Parteien auf Klage und Widerklage aus beiderseitigem Verschulden geschieden und dabei ausgesprochen, daß das Verschulden des Beklagten überwiege. Es hat eine schwere Eheverfehlung der Klägerin darin erblickt, daß sie gegen den Willen ihres Mannes der NAK beigetreten ![]() ![]() | 3 |
Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Ehe auf die Klage aus dem alleinigen Verschulden des Beklagten geschieden. Die Widerklage hat es abgewiesen und die vom Beklagten eingelegte Anschlußberufung zurückgewiesen.
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Die Revision des Beklagten führte zur Zurückverweisung.
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Aus den Gründen: | |
Der Beklagte wendet sich mit der Revision in erster Linie gegen die Abweisung seiner auf § 43 EheG gestützten Widerklage, mit der er die Scheidung der Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin beantragt hat. Er hat dieses Begehren vor allem damit begründet, daß die Klägerin sich durch den gegen seinen ausdrücklichen Willen vollzogenen Übertritt zur NAK einer schweren Eheverfehlung schuldig gemacht und dadurch die Ehe zerrüttet habe.
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Das Berufungsgericht hat zu der Frage, ob das Verhalten der Klägerin im Zusammenhang mit ihrem Übertritt zur NAK eine schwere Eheverfehlung darstelle, u. a. folgendes ausgeführt:
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Das Wesen der Ehe verlange keine Übereinstimmung der Meinung beider Ehegatten, auch nicht in Fragen des Glaubens und der Religion. Die eigene Persönlichkeit eines Ehegatten mit dem Recht zur selbstverantwortlichen Bestimmung gemäß dem eigenen Glauben und Gewissen werde durch die Eingehung der Ehe nicht beeinträchtigt, kein Ehegatte habe also das Recht, dem anderen seine Meinung aufzuzwingen oder den Partner daran zu hindern, eine bisher vertretene Meinung um ![]() ![]() | 8 |
Bei dieser Lage sei es nur noch ein formaler Schritt gewesen, wenn die Klägerin die Konsequenzen gezogen und unter Austritt aus der evangelischen Kirche in die NAK eingetreten sei. Entsprechend seinem bisherigen Verhalten sei das Verständnis des Beklagten für diesen Schritt der Klägerin zu erwarten gewesen. Es sei deshalb überzeugend, wenn der als Zeuge gehörte Seelsorger der NAK berichtet habe, der Beklagte habe ihm gegenüber in Gegenwart der Klägerin gesagt, seine Frau könne ![]() ![]() | 9 |
In diesen Ausführungen hat das Berufungsgericht mit Recht die Auffassung abgelehnt, daß schon der Übertritt eines Ehegatten zu einer anderen als der bisher beiden Ehegatten gemeinsamen Glaubensgemeinschaft als solcher in jedem Falle eine Eheverfehlung darstelle. Nach Art. 4 Abs. 1 GG ist die Freiheit des Glaubens und des religiösen Bekenntnisses unverletzlich. Dieses Grundrecht der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit ist zwar, wie die Grundrechte überhaupt, in erster Linie ein Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat (BVerfGE 7, 198 - NJW 1958, 257). Als solches begründet es vor allem für diesen die verfassungsmäßige Verpflichtung, sich aller Maßnahmen zu enthalten, die sich als eine Einschränkung und Beeinträchtigung der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit des Staatsbürgers auswirken würden. Dieser Verpflichtung entspricht das Recht des Bürgers, sich gegen solche Maßnahmen durch Anrufung des Schutzes der zuständigen staatlichen Organe zu wehren. In diesem Schutz erschöpft sich jedoch die Bedeutung ![]() ![]() | 10 |
Das bedeutet für die Organe des Staates, mögen sie der gesetzgebenden, der rechtsprechenden oder der vollziehenden Gewalt angehören, daß sie nicht nur den Bürger in sei nein so geschützten Rechtsgut vor Übergriffen des Staates zu schützen haben, sondern darüber hinaus verpflichtet sind, die das Rechtsgut schützende Grundsatznorm auch bei der ihnen übertragenen Beurteilung und Regelung menschlicher Verhältnisse, soweit sie die Beziehungen der Staatsbürger zueinander betreffen, zu beachten und zur Geltung zu bringen.
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Die Grundsatznorm des Art. 4 GG bildet davon keine Ausnahme. Der Ansicht von Erdsiek (NJW 1959, 2007), dieses Grundrecht richte sich allein gegen den Staat und solle lediglich gegen eine von ihm ausgehende Intoleranz schützen, vermag der Senat nicht beizutreten. Würde sie zutreffen, so würde das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit auf einem wesentlichen Gebiet des vollen Rechtsschutzes ermangeln, obwohl es, wie in der angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesprochen ist, den Mittelpunkt des Wertsystems bildet, das dem Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes zugrunde liegt. Zugleich würde der Staat seine Aufgabe, im Rahmen seiner Zuständigkeit die echten Möglichkeiten für die Bildung und das Gedeihen menschlicher Gemeinschaften auf religiöser Grundlage offenzuhalten, nur unzulänglich erfüllen können. ![]() | 12 |
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Die religiöse wie überhaupt die geistige Entwicklung eines Menschen ist jedoch in hohem Maße durch das bestimmt, was ihm schicksalhaft widerfährt: Veranlagung, Erziehung, schicksalhafte Begegnungen und Erfahrungen. Wie sie sich auswirken, ist weitgehend menschlicher Planung und Verfügung entzogen. Auch in der Ehe haben es die Ehegatten nicht einfach in der Hand, nach der Eheschließung ihrer religiösen Entwicklung die gleiche Richtung zu geben bzw. sie in der gleichen Richtung zu halten. Jeder von ihnen kann insbesondere von allgemeinen geistigen Strömungen und Bewegungen einer Zeit in ganz verschiedener Weise berührt und erfaßt werden. Dabei geschieht es dann, wie die Erfahrung zeigt nicht selten, daß sich bei einem Ehegatten ein Wandel in seiner religiösen Anschauung und Haltung vollzieht, an der der andere Ehegatte nicht oder nicht in gleichem Maße teilhat, und daß er in seinem religiösen Leben andere Wege beschreitet als die, die bisher beide Ehegatten gemeinsam gegangen sind. Schlägt er demgemäß einen anderen Weg ein, so rechtfertigt die Gefahr, daß es dadurch zu ernsten Spannungen und zur Entfremdung zwischen den Ehegatten kommt, es noch nicht sein Verhalten als ![]() ![]() | 14 |
Die grundsätzliche Freiheit eines Ehegatten, aus innerer Überzeugung die gemeinsame religiöse Grundlage der Ehe um des eigenen religiösen Weges willen zu verlassen, hebt jedoch seine Verantwortung für den anderen Ehegatten und dafür, daß beide trotz dieses Schrittes in gegenseitiger Achtung und Liebe verbunden bleiben, nicht auf. Ob dieses Verbundenbleiben möglich ist, ob insbesondere der in der bisher gemeinsamen Glaubensgemeinschaft zurückgelassene Ehegatte trotz der Trennung seine eheliche Gesinnung zu bewahren oder doch alsbald wiederzugewinnen vermag, hängt in aller Regel entscheidend davon ab, in welcher Weise und zu welchem Zeitpunkt der trennende Schritt vollzogen wird, ob und wie der übertretende Ehegatte sich bemüht, bei seinem Ehepartner Verständnis für seine Lage und seinen Entschluß zu wecken und sowohl in ihm wie auch in sich selbst den Glauben wachzuhalten, daß trotz der Trennung im religiösen Bekenntnis ein inneres Band zwischen ihnen bestehen bleibt, an dem beide in dem Vertrauen festhalten können, daß es sich, wenn auch vielleicht zur Zeit für ihr rationales Begreifen nicht faßbar, auf die Dauer im Lichte einer gereifteren Wert- und Wahrheitserkenntnis auf seiten des einen oder anderen oder beider Ehegatten - stärker und wesentlicher erweisen wird als das, was jetzt in ihrem Bewußtsein trennend und störend zwischen ihnen steht. Hieraus könnte dann beiden Ehegatten die Kraft zuwachsen, das Trennende zu ertragen, um es schließlich in gegenseitiger Achtung zu überwinden oder ihm doch seine ehestörende Macht mehr und mehr zu nehmen.
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Die Verantwortung, die in dieser Hinsicht den übertretenden Ehegatten trifft, wird um so größer sein, je ungewöhnlicher sein Schritt für das Verständnis des anderen Ehegatten ist.
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Betrachtet man das Verhalten der Klägerin, soweit es mit ihrem Übertritt zur NAK im Zusammenhang steht, aus dieser ![]() ![]() | 17 |
Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß die Parteien, bevor die Klägerin sich der NAK zuwandte, auch durch die Gemeinschaft des evangelischen Glaubens und der gemeinsamen Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche miteinander verbunden waren, in deren Lehren beide erzogen waren, deren Gottesdienst beiden von Jugend auf vertraut war, nach deren Ritus sie getraut waren und in deren Lehre sie auch ihre Kinder erzogen hatten. Wieweit freilich dieser überkommene geistige Besitz tatsächlich zu einem gemeinsamen Gut, zu einer lebendigen, das gemeinsame Ehe- und Familienleben mittragenden und mitbestimmenden Kraft geworden war und wieweit das religiöse Leben der Familie von einem bewußt gepflegten lebendigen Kontakt mit dem Leben der evangelischen Gemeinde, zu der die Parteien gehörten, gefördert und genährt wurde, ist aus dem bisher festgestellten Sachverhalt nicht zu entnehmen. Der Beklagte hat sich dem häufigeren Besuch der evangelischen Gotteschenste durch die Klägerin und die Kinder verhältnismäßig selten angeschlossen. Bei einem regeren Interesse an einer gemeinsamen religiösen Betätigung der Familie im Sinne des damals noch gemeinsamen Bekenntnisses hätte er sich ![]() ![]() | 18 |
Die Kluft zwischen den Eheleuten tat sich erst auf, als die Klägerin dem Beklagten eröffnete, da\'ab sie entschlossen sei, schon in wenigen Tagen aus der evangelischen Kirche aus- und in die NAK einzutreten. Die Reaktion des Beklagten auf diese Mitteilung weist darauf hin, daß er durch sie überrascht und betroffen war. Offenbar war ihm erst jetzt klar geworden, daß die religiöse Entwicklung seiner Ehefrau und seiner Kinder, zu der er sich bisher ziemlich gleichgültig verhalten hatte, zu weittragenden Konsequenzen für das Ehe- und Familienleben führen konnte. ![]() | 19 |
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Die Klägerin hatte seit Jahren nur noch - und zwar regelmäßig - die Gotteschenste der NAK besucht. Der Gedanke, dieser Glaubensgemeinschaft auch formell beizutreten, kann ihr deshalb nicht erst zu dem Zeitpunkt gekommen sein, als der Entschluß zum Übertritt von ihr gefaßt und seine Ausführung ins Werk gesetzt wurde. Wenn auch die Klägerin, wie das Berufungsgericht meint, nach dem vorangegangenen Verhalten des Beklagten erwarten konnte, daß dieser einem Übertritt nicht widersprechen würde, so erforderte es doch ihre Pflicht als Ehefrau, diesen wichtigen Schritt, bevor sie sich endgültig dazu entschloß mit ihrem Mann zu besprechen. Gerade weil der Beklagte sich, wie das Berufungsgericht feststellt, der religiösen Betätigung der Klägerin in der NAK bis dahin nicht widersetzt hatte, ist kein Grund ersichtlich, weshalb die Klägerin von einer solchen Aussprache mit dem Beklagten hätte Abstand nehmen sollen und dürfen. Sie konnte trotz alles Vorangegangenen doch keineswegs sicher sein, daß der Beklagte ohne weiteres mit ihrem Vorhaben einverstanden sein würde, zumal auch die Kinder übertreten sollten und der Beklagte nicht sofort übersehen konnte, welche Folgen und Verpflichtungen - möglicherweise auch finanzieller Natur - sich daraus für die Familie ergeben würden.
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Diesem Umstand hat das Berufungsgericht bei seiner Würdigung des Sachverhalts nicht genügend Rechnung getragen, wenn es ausführt, es sei nur noch ein formaler Schritt von seiten der Klägerin gewesen, daß sie, nachdem sie bereits jahrelang regelmäßig den Gottesdienst der NAK besucht habe, nun die Konsequenzen aus ihrer Verbundenheit mit dieser Glaubensgemeinschaft gezogen habe und ihr unter Austritt aus der ![]() ![]() | 22 |
Es ist aber bisher nichts dafür hervorgetreten, daß die Klägerin versucht hat, diese Befürchtungen des Beklagten oder seine sonstigen Bedenken zu zerstreuen, und daß sie dem Beklagten hinreichend Zeit gelassen hat, sich zuvor Gewißheit darüber zu verschaffen, inwieweit seine Bedenken begründet waren und sich auch innerlich auf die neue Lage, die durch den ![]() ![]() | 23 |
Aber auch, wenn man annehmen wollte, daß die Klägerin mit einem Widerspruch ihres Mannes gegen ihr Vorhaben in keiner Weise habe rechnen müssen und auch tatsächlich nicht gerechnet habe - im letzteren Falle ist es erst recht unverständlich, warum sie nicht vorher mit ihm darüber gesprochen hat -, läßt sich die Annahme, daß sie ihre eheliche Pflicht dadurch schuldhaft verletzt hat, daß sie den Widerspruch des Beklagten, obwohl er ihr in aller Deutlichkeit und mit dem Hinweis auf die einschneidenden Folgen für das eheliche Verhältnis erklärt war, unbeachtet ließ, nicht von der Hand weisen. Nach dieser Reaktion des Beklagten konnte auch die Klägerin nicht mehr darüber im Zweifel sein, daß die sofortige Durchführung ihres Entschlusses gegen den Willen ihres Mannes ihre Ehe aufs Schwerste gefährden mußte. Es ist nicht verständlich, warum sie, ebenso wie es dann bei den Kindern geschah, auf den Widerspruch und die Warnung des Klägers hin nicht wenigstens auch ihre Versiegelung zunächst einmal zurückgestellt hat, um noch jetzt dem Beklagten Zeit zu lassen; sich allmählich mit dem Gedanken ihres Übertritts und seinen Auswirkungen auf das Ehe- und Familienleben vertraut zu machen, und um zu versuchen, ihm - gegebenenfalls unter Zuziehung eines berufenen und erfahrenen Seelsorgers oder einer anderen Person, zu der beide Ehegatten Vertrauen hatten - in vertrauensvoller Aussprache ihre Beweggründe darzulegen und ihn davon zu überzeugen, daß sie diesen Schritt nicht mit einer gegen ihn gerichteten, sein Ansehen und seine Stellung als Ehemann verletzenden inneren Einstellung vollzog. Schon ein solcher Aufschub hätte dazu beitragen können, den Beklagten zu überzeugen, daß die Klägerin seine Bedenken nicht leicht nahm, und hätte es ihm so möglicherweise erheblich erleichtert, sich mit ihrem Vorhaben abzufinden. So aber, wie die Klägerin ihren ![]() ![]() | 24 |
Das Berufungsgericht will anscheinend aus der Tatsache, daß zwischen dem Tag, an dem die Klägerin dem Beklagten von ihrer bevorstehenden Versiegelung Mitteilung machte, und dem Tag der Versiegelung noch ehelicher Verkehr stattgefunden hat, folgern, daß der Beklagte von der Mitteilung der Klägerin nicht sehr tief berührt gewesen sei, so daß der Klägerin kein schwerwiegender Vorwurf daraus zu machen sei, daß sie sich über seinen Widerspruch hinweggesetzt habe. Eine solche Folgerung wäre bei einer die Lebenserfahrung berücksichtigenden Betrachtung des Sachverhalts nicht überzeugend. Der Beklagte konnte sich zu einem ehelichen Verkehr in jenen kritischen Tagen auch gerade aus dem Gedanken heraus bereitfinden, daß dadurch die Verbundenheit beider Ehegatten und ihre gegenseitige Verantwortung füreinander noch einmal betont und die Klägerin dadurch mit bestimmt werden könnte, von ihrem Vorhaben abzulassen.
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Die Widerklage des Beklagten kann nur dann Erfolg haben, wenn das Verhalten der Klägerin sich als eine schwere Verletzung der durch die Ehe begründeten Pflichten darstellt. Ob dies der Fall ist, ist eine Frage, die, wie der Senat wiederholt ausgesprochen hat, überwiegend auf tatsächlichem Gebiet liegt (BGHZ 4,186 = LM Nr. 2 zu EheG §§ 43, 48 mit Anmerkung von Lersch). Der Tatrichter hat dabei, wie der Senat hervorgehoben hat, nach Möglichkeit auch aufzuklären, aus welcher inneren Einstellung und aus welchen Beweggründen der ![]() ![]() | 26 |
In diesem Zusammenhang kann die Erfahrungstatsache nicht unberücksichtigt bleiben, daß die Anhänger religiöser Sekten vielfach ein Erwählungsbewußtsein haben, das leicht dazu verleitet, den Mitmenschen, die bestimmte, nach ihren Vorstellungen heilswichtige Voraussetzungen nicht erfüllen, die Würde der Erwählung und damit die nach diesen Vorstellungen letztlich allein in dieser Erwählung begründete Würde als menschliche Person abzusprechen und ihnen demzufolge mit einer mehr oder minder bewußten Gleichgültigkeit oder gar Verachtung zu begegnen. Mit diesem Hinweis soll zwar weder ge ![]() ![]() | 27 |
Das Berufungsgericht wird, wenn es dazu kommt, eine schwere Eheverfehlung der Klägerin zu bejahen, weiterhin zu prüfen haben, ob und in welchem Ausmaß der Übertritt der Klägerin zu einer anderen Religionsgemeinschaft sich auf die eheliche Gesinnung des Beklagten nachteilig ausgewirkt hat und dadurch für die Zerrüttung der Ehe ursächlich geworden ist (wird näher ausgeführt).
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Falls die erneute Prüfung des Sachverhalts zu dem Ergebnis führt, daß die Klägerin sich einer schweren Eheverfehlung schuldig gemacht und dadurch die unheilbare Zerrüttung der Ehe mitverschuldet hat, würde damit noch nicht feststehen, daß das Scheidungsbegehren des Beklagten Erfolg haben muß. Der Beklagte hat sich, wie auch die Revision nicht verkennt, selbst erheblicher Eheverfehlungen schuldig gemacht. Danach könnte er mit seinem Scheidungsbegehren, auch wenn es im Hinblick auf die Verfehlung der Klägerin an sich begründet wäre, gemäß § 43 Satz 2 EheG nicht durchdringen, wenn nach der Art seiner Verfehlungen, insbesondere wegen des Zusammenhangs der Verfehlung der Klägerin mit seinem eigenen Verschulden, sein Scheidungsbegehren bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt wäre. Das Berufungsgericht wird gegebenenfalls auch das gesamte Verhalten des Beklagten unter diesem Gesichtspunkt neu zu prüfen und zu würdigen haben. Schon im Rahmen dieser Prüfung ![]() ![]() | 29 |
Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts in dieser Richtung wird jedoch voraussichtlich für die Beurteilung der Handlungsweise des Beklagten allenfalls nur gewisse Milderungsgründe erbringen können. Diese werden kaum geeignet sein, die Schärfe und Heftigkeit, mit der er - und zwar nachdem bereits mehrere Wochen seit dem Übertritt der Klägerin vergangen waren und inzwischen wieder ehelicher Verkehr stattgefunden hatte - gegen die Klägerin vorgegangen ist, zu rechtfertigen und dieser seiner Handlungsweise den Charakter der schweren Eheverfehlung zu nehmen, wenngleich es für die Frage, ob ein ehewidriges Verhalten eine schwere Eheverfehlung darstellt, auch von maßgebender Bedeutung sein kann, inwieweit es durch ein ehewidriges Verhalten des anderen Ehegatten ausgelöst ist (vgl. dazu die bei LM Nr. 7 zu EheG § 43 veröffentlichte Entscheidung des Senats). Das würde bedeuten, daß die in § 43 Satz 1 EheG umschriebenen Voraussetzungen für eine Scheidung der Ehe auf Grund der von der Klägerin erhobenen Klage gegeben sind. Aber auch ihrem Scheidungsbegehren würde möglicherweise im Hinblick auf ihre eigene Verfehlung die Vorschrift des § 43 Satz 2 EheG entgegenstehen. Der Beklagte hat zwar im Berufungsrechtszuge keinen Hilfsantrag dahin gestellt, daß die Klage der Klägerin abgewiesen werden möge, falls er mit seinem Scheidungsbegehren nicht durchdringen könne. Im Revisionsrechtszuge hat er ![]() ![]() | 30 |
Voraussetzung dafür, daß eine etwaige eigene Verfehlung der Klägerin ihrem Scheidungsbegehren die sittliche Berechtigung nimmt, ist nicht unbedingt, daß es sich bei dieser Verfehlung um eine schwere im Sinne des § 43 Satz 1 EheG handelt. Das Reichsgericht hat zwar eine gegenteilige Auffassung vertreten (RG 158, 203), der sich auch der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone (MDR 1949, 740) und teilweise auch das Schrifttum angeschlossen haben. Der Senat hält jedoch mit von Godin, EheG § 43 Anm. 9 S. 178, und Achilles/Greiff/Eggel, BGB, 20. Aufl. EheG § 43 Anm. 9 S. 1243, diese Auffassung nicht für richtig. Sie läßt sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn des § 43 Satz 2 EheG herleiten. Das Gesetz spricht dort schlechtweg nur von Verfehlungen, ohne diese hinsichtlich ihrer Schwere näher zu charakterisieren. Für die Frage, ob eine Verfehlung des klagenden Ehegatten dazu führen kann, daß sein Scheidungsbegehren sittlich nicht gerechtfertigt ist, kann es nach dem Gesetzeswortlaut u. a. auf die Art seiner eigenen Verfehlung und darauf ankommen, ob zwischen ihr und dem Verschulden des anderen Ehegatten ein Zusammenhang besteht. Naturgemäß kann auch die Schwere der eigenen Verfehlung des klagenden Ehegatten für die sittliche Beurteilung seines Scheidungsbegehrens von Bedeutung sein, und in aller Regel wird sie auch dessen sittliche Berechtigung nur dann ausschließen können, wenn es sich auch bei ihr um eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 43 Satz 1 EheG handelt. Daß aber in jedem Falle nur eine schwere Eheverfehlung in diesem Sinne zu einer solchen Beurteilung des Scheidungsbegehrens führen könne, sagt das Gesetz nicht und wird auch durch die sittliche Ordnung nicht gefordert. Insbesondere ![]() ![]() ![]() | 31 |
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