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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Rainer M. Christmann | |||
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1. Strafsenat |
Urteil |
vom 30. Mai 2001 g.C. |
- 1 StR 42/01 - |
Landgericht Augsburg |
Aus den Gründen: | |
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Haschisch) sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Heroin) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Sie macht insbesondere geltend, der Angeklagte sei von einer durch die Polizei geführten Vertrauensperson (VP) in unzulässiger Weise zum Handeltreiben mit Heroin provoziert worden.
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I. | |
1. Der Angeklagte lernte in einem Lokal durch einen Bekannten eine sog. Vertrauensperson (VP) der Polizei kennen. Diese gab zu verstehen, daß sie Haschisch konsumiere. Während eines Toilettenaufenthaltes der VP folgte ihr der Angeklagte und bot ihr Haschisch an. Die VP ging auf das Angebot ein und es kam zu einem Verkauf von etwa 70 g (4,5 g THC) zum Preise von 700 DM. Bei einem weiteren Treffen - an diesem Tage wurde auch ein weiteres Haschischgeschäft zwischen beiden abgewickelt (22,55 g bei 1,4 g THC) - äußerte nun die VP gegenüber dem Angeklagten, sie sei stark am Erwerb von Heroin guter Qualität interessiert. Der Angeklagte - gegen den nicht der Verdacht bestand, Heroingeschäfte vorgenommen zu haben oder solche vornehmen zu wollen - antwortete zunächst abwehrend sinngemäß, daß solche Geschäfte gefährlich seien. Zwei Tage darauf, als die VP über vermeintliche Bezugsprobleme klagte, versuchte er indessen telefonisch Kontakt zu dem Heroinhändler Be. herzustellen. Im weiteren Verlauf gelang ihm dies und er arrangierte ein Treffen der VP mit Be., an dem er teilnahm. Es kam dann zu drei Geschäften. Zu ![]() ![]() | 2 |
2. Die Strafkammer hat einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verneint. Zwar habe gegen den Angeklagten vor dem Einsatz der VP kein Verdacht dahin bestanden, daß er gerade Heroingeschäfte vornehmen wolle. Auch könne letztlich nicht ausgeschlossen werden, daß der Angeklagte durch die VP zum Handeltreiben mit Heroin provoziert worden sei. Eine "eventuelle Provokation" sei dem Staat aber nicht zuzurechnen, da jedenfalls das von dem Wissen und der Kenntnis der Polizei umfaßte Verhalten der VP keine Tatprovokation darstelle.
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II. | |
Die Revision hat Erfolg, soweit sie den Strafausspruch im Falle B. II. der Urteilsgründe angreift (Heroingeschäfte). Die Begründung, mit der das Landgericht das Recht des Angeklagten auf ein faires Verfahren im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK als nicht verletzt erachtet, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Vorgehen der VP der Polizei, durch welches der Ange ![]() ![]() | 4 |
1. Der Senat hat in seinem Urteil vom 18. November 1999 (BGHSt 45, 321) in Anwendung des Grundsatzes des fairen Verfahrens (gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) und im Blick auf dessen Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR EuGRZ 1999, 660 = StV 1999, 127 = NStZ 1999, 47) für den Fall eines konventionswidrigen Lockspitzeleinsatzes entschieden, daß ein solcher Verstoß in den Urteilsgründen festzustellen und bei Festsetzung der Rechtsfolgen - genau bemessen - zu kompensieren ist. Eine Konventionsverletzung liegt nach der genannten Senatsentscheidung vor, wenn eine unverdächtige und zunächst nicht tatgeneigte Person durch die von einem Amtsträger geführte VP in einer dem Staat zuzurechnenden Weise zu einer Straftat verleitet wird und dies zu einem Strafverfahren führt (BGHSt 45, 321 [335]).Der Senat hat diesen Maßstab weiter dahin konkretisiert, daß eine Tatprovokation nicht schon dann vorliegt, wenn eine VP einen Dritten ohne sonstige Einwirkung lediglich darauf anspricht, ob dieser Betäubungsmittel beschaffen könne. Ebenso liegt keine Provokation vor, wenn die VP nur die offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung oder Fortsetzung von Straftaten ausnutzt. Dagegen ist die VP als tatprovozierender Lockspitzel tätig, wenn sie über das bloße "Mitmachen" hinaus in die Richtung auf eine Weckung der Tatbereitschaft oder eine Intensivierung der Tatplanung mit einiger Erheblichkeit stimulierend auf den Täter einwirkt (BGHSt 45, 321 [338]).Erreicht die Intensität der Einwirkung durch den polizeilichen Lockspitzel das Maß einer Tatprovokation, so ist diese nur zuläs ![]() ![]() | 5 |
Eine unzulässige Tatprovokation ist dem Staat im Blick auf die Gewährleistung des fairen Verfahrens dann zuzurechnen, wenn diese Provokation mit Wissen eines für die Anleitung der VP verantwortlichen Amtsträgers geschieht oder dieser sie jedenfalls hätte unterbinden können. Erteilt die Polizei einen Auftrag an eine VP, hat sie die Möglichkeit und die Pflicht, diese Person zu überwachen. Eine Ausnahme von der sich daraus ergebenden Zurechnung kann nur dann gelten, wenn die Polizei mit einem Fehlverhalten der VP nicht rechnen konnte (BGHSt 45, 321 [336]).
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2. Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall zunächst, daß die Bewertung des Landgerichts, das Verhalten der VP sei hier dem Staat nicht zuzurechnen, von Rechts wegen keinen Bestand haben kann. Dem Zusammenhang der Urteilsgründe kann der Senat entnehmen, daß die VP eng geführt wurde und deren Treffen mit dem Angeklagten und Be. überwacht wurden. Das Verhalten der VP bewegte sich im wesentlichen auf der Linie des ihr erteilten Auftrags.
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3. Die rechtsfehlerhafte Verneinung einer Zurechnung des Verhaltens der VP würde allerdings eine Verwerfung der Revision nicht hindern, wenn sich aus den Feststellungen des Landgerichts im übrigen ohne weiteres ergäbe, daß hier keine unzulässige Tatprovokation vorlag. Das ist indessen nicht der Fall.
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a) Das Landgericht geht selbst davon aus, daß die VP den Angeklagten zum Handeltreiben gerade mit Heroin in größer werdenden Mengen provoziert hat. Auf der Grundlage des vom Landgericht angenommenen Sachverhalts liegt eine Tatprovokation ![]() ![]() | 9 |
b) Die Tatprovokation, von der das Landgericht ausgeht, kann hier unzulässig gewesen sein, weil der Angeklagte bis dahin lediglich des Handeltreibens mit Haschisch verdächtig war. In dem Verleiten zum Handeltreiben mit Heroin lag eine erhebliche Steigerung des Unrechtsgehalts der Tat. Zwar steht insoweit grundsätzlich ein und derselbe Tatbestand in Rede (unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln). Die provozierte Tat erhält aber durch Art und Menge des Rauschgiftes ein besonderes Gepräge. Der Unrechtsgehalt ist von erheblich größerem Gewicht, wenn ein des Handeltreibens mit sog. weichen Drogen Verdächtiger zum Handeltreiben mit sog. harten Drogen in großer Menge veranlaßt wird ("Quantensprung").
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Wird Jemand auf solche Weise gleichsam unter staatlicher Verantwortung weiter in die Kriminalität gedrängt, so liegt darin dann eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens, wenn das im Rahmen einer Tatprovokation angesonnene Drogengeschäft nach Art und Menge der Drogen nicht mehr in einem angemessenen, deliktsspezifischen Verhältnis zu dem jeweils individuell gegen den Provozierten bestehenden Tatverdacht steht. Die Qualität des Tatverdachts, der sich im Verlaufe des Einsatzes der VP hinsichtlich Intensität und Unrechtscharakter auch verändern kann, begrenzt so den Unrechtsgehalt derjenigen Tat, zu der der Verdächtige in zulässiger Weise provoziert werden darf. ![]() | 11 |
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Das Mittel der Tatprovokation muß sich aber auch im Einzelfall noch mit dem Ziel der Aufklärung schwerwiegender Straftaten rechtfertigen lassen. Wird - über den bestehenden Tatverdacht hinausgehend - eine Steigerung der Verstrickung des Tatverdächtigen in qualitativ deutlich höheres Unrecht mit dem Mittel einer Provokation bewirkt, diese also durch die bestehende Verdachtslage nicht mehr getragen, so steht das nicht mehr im Einklang mit dem generellen Auftrag der dem Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) verpflichteten Strafrechtspflege. Das schließt eine bloße Nachfrage, ob der Tatverdächtige sich auf ein erheblich unrechtsgesteigertes Drogengeschäft einläßt, oder ein schlichtes Mitwirken der VP an einem solchermaßen gesteigerten Unrecht nicht aus, wenn dadurch die Schwelle zur Provokation nicht überschritten wird. ![]() | 13 |
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Ist jemand unter diesen Umständen "nur" des Handeltreibens mit Haschisch verdächtig, so erweist sich ein aufklärungsorientiertes Aufgreifen einer vorhandenen Tatbereitschaft im Sinne einer Veranlassung zu einem Heroingeschäft nicht schon deshalb als Tatprovokation, weil ein individueller Verdacht in diesem Sinne bis dahin nicht manifest geworden ist. Es kommt dann vielmehr darauf an, ob sich der Täter auf die ihm angesonnene Intensivierung der Tatplanung ohne weiteres einläßt, sich also geneigt zeigt, auch die Tat mit dem höheren Unrechtsgehalt zu begehen und an ihr mitzuwirken. Geht die qualitative Steigerung der Verstrickung des Täters indessen mit einer Einwirkung durch die VP einher, die von einiger Erheblichkeit ist (Tatprovokation), so liegt ein Fall der unzulässigen Tatprovokation vor. Nur in diesem Fall kann ein Konventionsverstoß angenommen werden, dem entsprechend Rechnung zu tragen ist (nach den Maßstäben von BGHSt 45, 321). In allen anderen Fällen erweist sich die Tatveranlassung durch eine polizeilich geführte VP als Umstand, der bei der konkreten Strafzumessung zugunsten des Täters berücksichtigt werden kann. ![]() | 15 |
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