Urteil | |
des Ersten Senats vom 29. November 1961
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- 1 BvR 148/57 - | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Apothekers Bertrand H... gegen § 8 Abs. 3 des Gesetzes über den Ladenschluß vom 28. November 1956 (BGBl. I S. 875) i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß vom 14. November 1960 (BGBl. I S. 845).
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Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
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Gründe: | |
1. Der Beschwerdeführer betreibt seit 1952 eine Apotheke im Hauptbahnhof von Frankfurt/Main. Er wendet sich gegen § 8 Abs. 3 des Gesetzes über den Ladenschluß vom 28. November 1956 (BGBl. I S. 875) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß vom 17. Juli 1957 (BGBl. I S. 722) und des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß vom 14. November 1960 (BGBl. I S. 845 - LSchG -). § 8 LSchG lautet:
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"Verkaufsstellen auf Personenbahnhöfen
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(1) Abweichend von den Vorschriften des § 3 dürfen Verkaufsstellen auf Personenbahnhöfen 1. der Deutschen Bundesbahn, soweit sie Nebenbetriebe dieser Bahn im Sinne des § 41 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 (Bundesgesetzbl. I S. 955) sind, 2. der nichtbundeseigenen Eisenbahnen, soweit sie den Bedürfnissen des Betriebs und Verkehrs dieser Bahnen zu dienen bestimmt sind (Nebenbetriebe der nichtbundeseigenen Eisenbahnen), an allen Tagen während des ganzen Tages geöffnet sein, am 24. Dezember jedoch nur bis siebzehn Uhr. | |
(2) Der Bundesminister für Verkehr wird ermächtigt, im Einvernehmen mit den Bundesministern für Wirtschaft und für Arbeit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Ladenschlußzeiten für die Verkaufsstellen auf Personenbahnhöfen der nichtbundeseigenen Eisenbahnen vorzuschreiben, die sicherstellen, daß die Dauer der Offenhaltung nicht über das von den Bedürfnissen des Reiseverkehrs geforderte Maß hinausgeht; er kann ferner die Abgabe von Waren in den genannten Verkaufsstellen während der allgemeinen Ladenschlußzeiten (§ 3) auf bestimmte Waren beschränken.
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(3) Für Apotheken bleibt es bei den Vorschriften des § 4."
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Der Beschwerdeführer ist der Ansicht, daß § 8 Abs. 3 LSchG gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße. Seine Apotheke sei ebenso ein Nebenbetrieb der Bundesbahn wie andere Verkaufsstellen auf Personenbahnhöfen und müsse infolgedessen ebenso behandelt werden wie diese. Demzuwider benachteilige ihn das Ladenschlußgesetz ungerechtfertigt, indem es seine Apotheke der nach § 4 Abs. 2 LSchG anzuordnenden wechselweisen Schließung der Apotheken unterwerfe, während alle anderen Verkaufsstellen auf Personenbahnhöfen den für die übrigen Geschäfte ihrer Branche geltenden Ladenschlußbestimmungen nicht unterlägen. § 8 Abs. 3 LSchG sei zudem ein unzulässiges Einzelfallgesetz. Seine Apotheke sei die einzige Bahnhofsapotheke im Bundesgebiet, so daß sich die Vorschrift ausschließlich gegen ihn richte. Außerdem sei Art. 14 GG verletzt. § 8 Abs. 3 LSchG enthalte einen Eingriff in sein Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, der nicht dem Wohl der Allgemeinheit diene und entschädigungslos erfolge. Die Unterwerfung unter die für alle Apotheken geltenden Bestimmungen werde den Umsatz seiner Apotheke um 60% verringern. Das komme einer Existenzvernichtung gleich, zumal er erst im Jahre 1957 auf Verlangen der Bundesbahn seine Betriebsräume mit hohen Kosten habe umbauen und erweitern müssen.
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Die Bundesregierung hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
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Der Richter Dr. Heiland ist vor der Beschlußfassung verstorben.
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2. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Der Beschwerdeführer wird durch § 8 Abs. 3 LSchG selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen. Zwar gebietet diese Bestimmung nicht unmittelbar, daß der Beschwerdeführer seinen Betrieb zu bestimmten Tageszeiten schließen müsse, doch hat sie zur Folge, daß er die Vergünstigung, seine Apotheke ständig offenhalten zu können, verliert und der für alle Apotheken geltenden Regelung unterworfen wird, also die Apotheke turnusmäßig schließen muß.
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a) Der Gleichheitssatz wird nicht dadurch verletzt, daß die Apotheke des Beschwerdeführers der für alle Apotheken geltenden Regelung unterworfen wird. Die vom Gesetzgeber einheitlich zu ordnenden Lebensverhältnisse sind nie in allen, sondern stets nur in einzelnen Elementen gleich. Es muß deshalb nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich dem Gesetzgeber überlassen werden, die Merkmale zu bestimmen, nach denen Sachverhalte als hinreichend gleich anzusehen sind, um sie gleich zu regeln (vgl. BVerfGE 6, 273 [280]). Er ist lediglich gehalten, Gesetzlichkeiten zu berücksichtigen, die in der Sache selbst liegen, und darf die fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen nicht mißachten (vgl. BVerfGE 9, 338 [349]). Die Apotheke des Beschwerdeführers hat zwar mit den Verkaufsstellen auf Personenbahnhöfen gemein, daß auch sie ein Bundesbahnnebenbetrieb im Sinne des § 41 des Bundesbahngesetzes vom 13. Dezember 1951 (BGBl. I S. 955) ist und der Deckung von Reisebedarf dienen soll; zugleich unterscheidet sie sich jedoch wesentlich von diesen durch ihre spezifische Aufgabe als Apotheke, die Bevölkerung mit Arzneimitteln zu versorgen. Diese Sonderstellung der Apotheken gegenüber Einzelhandelsgeschäften, die das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen umrissen hat (BVerfGE 7, 377; 9, 73), erlaubt es dem Gesetzgeber, eine Bahnhofsapotheke der allgemein für Apotheken geltenden Regelung zu unterwerfen und sie anders zu behandeln als andere Verkaufsstellen auf Personenbahnhöfen.
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b) § 8 Abs. 3 LSchG ist auch nicht deshalb verfassungswidrig, weil bei Erlaß des Ladenschlußgesetzes nur die Apotheke des Beschwerdeführers von dieser Vorschrift betroffen wurde und dies den gesetzgebenden Organen bekannt war. Bereits bei Beratung des Regierungsentwurfs eines Ladenschlußgesetzes hatte der Bundesrat die Einfügung einer dem § 8 Abs. 3 LSchG entsprechenden Vorschrift vorgeschlagen und hierbei auf die Bahnhofsapotheke des Beschwerdeführers hingewiesen - vgl. BR Drucks. 310/54 (Beschluß). Die jetzige Fassung des § 8 Abs. 3 LSchG geht auf den federführenden 27. Ausschuß des Bundestags zurück. Bei den Ausschußberatungen wurde die Apotheke des Beschwerdeführers als einzige Bahnhofsapotheke ausdrücklich genannt, zugleich jedoch erwähnt, daß eine weitere Bahnhofsapotheke in Nürnberg geplant sei (vgl. Prot. der 106. Sitzung am 5. Oktober 1956).
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Hieraus ist jedoch nicht zu folgern, daß § 8 Abs. 3 LSchG ein mit dem Grundsatz der Allgemeinheit des Gesetzes (Art. 19 Abs. 1 GG) unvereinbares Einzelfallgesetz sei. Vielmehr hat die Existenz der Bahnhofsapotheke des Beschwerdeführers nur den Anstoß gegeben, eine generelle Regelung für Bahnhofsapotheken zu treffen. Dementsprechend sind die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale so abstrakt gefaßt, daß sie nicht nur im Fall der Apotheke des Beschwerdeführers erfüllt sind, daß also nicht nur ein einmaliger Eintritt der vorgesehenen Rechtsfolge möglich ist; § 8 Abs. 3 LSchG ist vielmehr auf alle Bahnhofsapotheken anzuwenden, die etwa in Zukunft noch gegründet werden. Auch hat der Gesetzgeber nicht nur deshalb, um ein unzulässiges Einzelfallgesetz zu "tarnen", die allgemeine Fassung gewählt. Denn es war in der Tat mit der Möglichkeit zu rechnen, daß auch auf anderen größeren Bahnhöfen Apotheken als Bundesbahnnebenbetriebe errichtet werden, worauf der bei den Verhandlungen im Bundestagsausschuß erwähnte Plan hinweist, eine Bahnhofsapotheke in Nürnberg zu errichten (vgl. BVerfGE 2, 213 [222]; 7, 129 [150 f.]; 8, 332 [361]; 10, 234 [243 f.]).
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c) Art. 14 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Rechtsprechung wie Rechtslehre nehmen an, daß der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb den Eigentumsschutz des Art. 14 GG genieße. Ein solcher Eigentumsschutz kann sich jedoch nur auf den Gewerbebetrieb als Sach- und Rechtsgesamtheit beziehen, so daß grundsätzlich nur ein Eingriff in die Substanz dieser Sach- und Rechtsgesamtheit Art. 14 GG verletzen könnte. Regelungen, die nicht in die Substanz des Betriebs eingreifen, sondern lediglich Auflagen für die Ausübung des Gewerbes machen, sind ähnlich wie Vorschriften, die die Nutzung von Eigentum betreffen, in der Regel nur als Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu werten, die grundsätzlich dem Gesetzgeber anheimgegeben ist.
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Das Ladenschlußgesetz hindert den Beschwerdeführer nur, seinen Betrieb an allen Tagen während des ganzen Tages geöffnet zu halten. Damit wird nicht in die Substanz des Betriebs eingegriffen. Es würde sich allenfalls um eine Bestimmung von Inhalt und Grenzen des Eigentums handeln, die sich nicht dadurch, daß sie eine gewisse Minderung der Rentabilität zur Folge hat, in eine unzulässige Enteignung verwandelt. Daran wird auch dadurch nichts geändert, daß der Beschwerdeführer noch im Jahre 1957 von der Bundesbahn veranlaßt wurde, die Betriebseinrichtungen zu erweitern. Hierauf kann es schon deswegen nicht ankommen, weil der Betrieb erst nach Inkrafttreten des Ladenschlußgesetzes erweitert wurde.
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