Beschluß | |
des Ersten Senats vom 1. Juli 1964
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-- 1 BvR 375/62 -- | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde der Hausfrau ... -- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt ... -- gegen die Urteile des Landgerichts München II vom 19. Juni 1962 -- 6 S 72/61 -- und des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen vom 29. März 1961 -- 2 C 86/61 --, mittelbar gegen § 32 Absatz 4 Satz 1 Buchstabe c Mieterschutzgesetz.
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Entscheidungsformel:
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Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
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Gründe: | |
A. | |
1. Nach § 1 des Mieterschutzgesetzes (MSchG) vom 1. Juni 1923 (jetzt i.d.F. der Bekanntmachung vom 15. Dezember 1942, ![]() ![]() | |
"Hat jemand mietweise oder auf Grund eines sonstigen Rechtsverhältnisses ein Gebäude oder den Teil eines Gebäudes inne, das im Eigentum oder in der Verwaltung des Reichs oder eines Landes steht und entweder öffentlichen Zwecken oder zur Unterbringung von Angehörigen der Verwaltung des Reichs oder des Landes zu dienen bestimmt ist oder bestimmt wird, so finden die §§ 1-31 keine Anwendung."
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Nach Absatz 2 und 3 des § 32 hat der Mieter unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf Ersatz seiner Umzugskosten. Die Absätze 1 bis 3 des § 32 gelten nach Absatz 4 Satz 1 Buchst. c entsprechend:
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"c) wenn Räume in einem Gebäude, das nicht im Eigentum oder in der Verwaltung des Reichs, eines Landes oder einer Gemeinde (Gemeindeverbandes) steht, für Beamte des Reichs, eines Landes oder einer Gemeinde oder für Angestellte oder Arbeiter im öffentlichen Dienst zur Verfügung zu halten sind und benötigt werden."
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2. Die Beschwerdeführerin ist Mieterin einer Wohnung in einem Häuserblock in Garmisch-Partenkirchen, der im Eigentum eines Immobilienmaklers steht. Dieser bestellte im Jahre 1960 zugunsten der Bundesrepublik Deutschland -- Bundesfinanzverwaltung -- eine beschränkt-persönliche Dienstbarkeit des Inhalts, daß eine größere Anzahl von Wohnungen auf die Dauer von zehn Jahren nur von Bundesbediensteten, die die Bundesrepublik Deutschland dem Eigentümer benenne, bewohnt werden dürfen. Unter Vorlage eines Schreibens der Bundesvermögensstelle, wonach ein dringender Bedarf an der Wohnung der Beschwerdeführerin zur Unterbringung von Angehörigen der Bundesverwal ![]() ![]() | |
3. Mit der Verfassungsbeschwerde gegen die gerichtlichen Urteile rügt die Beschwerdeführerin Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG; zugleich begehrt sie die Feststellung, daß § 32 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c des Mieterschutzgesetzes mit dem Grundgesetz nicht vereinbar sei. Zur Begründung führt sie aus: § 32 MSchG sei eine aus der Zeit vor 1945 stammende Bestimmung, die erkennbar von der damaligen Auffassung über das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern geprägt sei. Es könne aus rechtsstaatlicher Sicht schon nicht eingesehen werden, daß Mieter in Wohnungen, die im Eigentum der öffentlichen Hand stehen, ohne Bestandsschutz sein sollten. Das Fiskusprivileg in der besonders manipulierbaren Form des § 32 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c MSchG bevorzuge aber darüber hinaus ohne einleuchtenden Grund die Angehörigen des öffentlichen Dienstes und die Hauseigentümer, die sich auf dem Umweg über die Einräumung von Wohnungsnutzungsrechten der lästigen Fesseln des Mieterschutzgesetzes entledigen und sich dadurch persönliche Vorteile bei der Mietpreisgestaltung verschaffen könnten. Unter der Herrschaft des Grundgesetzes könne die Tatsache, daß ein Wohnungseigentümer sich nachträglich entschließe, der öffentlichen Hand ein Vergabe- oder Nutzungsrecht an ihm gehörenden Wohnungen einzuräumen, nicht derartig weitreichende Folgen nach sich ziehen, wie sie der Wegfall des Mieterschutzes zur Zeit bedeute.
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4. Der Bundesminister der Justiz und der Bayerische Justizminister halten § 32 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c MSchG für vereinbar mit dem Grundgesetz. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat mitgeteilt, daß der Bundesgerichtshof die Vorschriften des § 32 Abs. 1 und 2 sowie Abs. 4 Satz 1 Buchst. c MSchG angewandt habe, ohne ihre Verfassungsmäßigkeit in Frage zu stellen.
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5. Während des Verfahrens ist im Zusammenhang mit der Aufhebung der Wohnraumbewirtschaftung (Erstes Gesetz zur Änderung mietrechtlicher Vorschriften; Gesetz über Wohnungsbeihilfen; Gesetz zur Änderung von Fristen des Gesetzes über ![]() ![]() | |
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
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I.
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§ 32 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c MSchG verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG.
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1. Die Beschwerdeführerin sieht einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in der verschiedenen Behandlung der von § 32 MSchG betroffenen Mietverhältnisse einerseits, der unbeschränkt unter Mieterschutz stehenden Mietverhältnisse andererseits.
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Art. 3 Abs. 1 GG verbietet dem Gesetzgeber eine willkürlich ungleiche Behandlung des in den wesentlichen Punkten Gleichen. Art. 3 Abs. 1 GG ist daher verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung nicht finden läßt. Dabei ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Gesetzgeber weitgehende Gestaltungsfreiheit zuzuerkennen. Nur die Einhaltung der äußersten Grenzen der gesetzgeberischen Freiheit ist vom Bundesverfassungsgericht nachzuprüfen; die Unsachlichkeit der getroffenen Regelung muß evident sein, wenn Art. 3 Abs. 1 GG verletzt sein soll (BVerfGE 12, 326 [333, 337 f.]; 12, 341 [348]; 9, 124 [130]; 2, 118 [119]; 1, 264 [276]).
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2. § 32 Abs. 1 MSchG betrifft Mietverhältnisse über Gebäude ![]() ![]() | |
Daß diese Sonderregelung durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist, liegt auf der Hand. Die öffentliche Verwaltung kann ihre Aufgaben nur erfüllen, wenn ihr die erforderlichen personellen und sachlichen Mittel zur Verfügung stehen. Dazu gehört nicht nur die Beschaffung der notwendigen Diensträume, sondern auch die Unterbringung der erforderlichen Bediensteten am Dienstort. Eine Regelung, die dies erleichtert, dient der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung und liegt deshalb im Interesse aller Staatsbürger. Die Bestimmung der betroffenen Räume für diese Zwecke rechtfertigt die Ausnahmebestimmung des § 32 Abs. 1 MSchG.
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3. Verletzt § 32 MSchG den Gleichheitssatz an sich nicht, so bedarf doch der Mieter, dessen Mietverhältnis zugunsten des öffentlichen Bedarfs beendet wird, zum Ausgleich eines besonderen Schutzes seiner Interessen. Die Differenzierung in § 32 MSchG überschreitet aber weder die durch die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit gezogenen Grenzen, noch ist sie dem Mieter gegenüber übermäßig oder unzumutbar. Auch in anderer Richtung stellt des Gesetz die Interessen des Mieters gegenüber den Interessen des Vermieters zurück, so im Falle des überwiegenden Eigenbedarfs (§ 4 MSchG) und noch ausgeprägter bei Werk- und Betriebswohnungen (§§ 20 ff.); in dieser Linie liegt auch die Ausnahme des § 32 Abs. 1 MSchG. ![]() | |
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b) Die verfahrensrechtliche Erleichterung -- Beendigung des Mietverhältnisses durch privatrechtliche Erklärung (Kündigung) statt gerichtlicher Aufhebung -- verschlechtert zwar die Rechtsstellung des Mieters erheblich. Jedoch darf vom Fiskus erwartet werden, daß er nicht willkürlich kündigt, sondern nur, "wenn die Beendigung des Mietverhältnisses im dienstlichen Interesse aus besonders zwingenden Gründen erforderlich erscheint" (vgl. die Amtliche Begründung zum Entwurf von 1921, Reichsarbeitsblatt 1921, Amtlicher Teil S. 960 ff.). Zugunsten dieser Regelung läßt sich auch anführen, daß hier weder -- wie in den Fällen der §§ 2 f. MSchG -- ein vertragswidriges Verhalten des Mieters festgestellt noch -- wie bei § 4 MSchG -- eine Abwägung der beiderseitigen Interessen vorgenommen werden soll. Daher ist es vertretbar, daß das Gesetz in diesem Falle von einer präventiven Kontrolle durch den Richter absieht.
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Eine gerichtliche Nachprüfung der Kündigung (repressive Kontrolle) gewährt dem Mieter in den Fällen des § 32 MSchG der Räumungsprozeß. Gegenüber der Räumungsklage kann er geltend machen, die ausgesprochene Kündigung sei unwirksam, weil ihre Voraussetzungen, insbesondere der öffentliche Bedarf, nicht gegeben seien. Der vorliegende Fall zeigt, daß diese Möglichkeit durchaus praktische Bedeutung hat; der Mieter kann damit erreichen, daß die Behörde dem Gericht ihren Bedarf nachweisen muß.
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c) Die von 1923 bis 1933 geltende Fassung des Mieterschutzgesetzes schrieb für den Fall der Eigenbedarfsklage wie für den des § 32 MSchG vor, daß im Urteil die Vollstreckung der Räu ![]() ![]() | |
d) Der auf Eigenbedarfsklage zur Räumung verurteilte Mieter hat Anspruch auf Ersatz seiner Umzugskosten (§ 4 Abs. 3); dasselbe gilt im Falle der Kündigung nach § 32 MSchG (Abs. 2, Abs. 4 Satz 2 ebenda). Dagegen besteht kein Anspruch auf Ersatz weiter gehenden Schadens; der ideelle Wert des Heimes wird also nicht entschädigt. Bei einem grundsätzlich auf Zeit geschlossenen Mietverhältnis mag das nicht unberechtigt scheinen, jedenfalls aber gilt es in allen Fällen; eine Verletzung des Gleichheitssatzes kommt insoweit nicht in Betracht.
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§ 32 Abs. 1 MSchG ist daher in dem bisher erörterten Umfang mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.
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4. Nach § 32 Abs. 1 MSchG braucht die Bestimmung für öffentliche Zwecke nicht schon bei Beginn des Mietverhältnisses vorgelegen zu haben; sie kann auch erst während der Dauer eines schon ![]() ![]() | |
Auch insoweit ist § 32 Abs. 1 MSchG nicht willkürlich und ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG nicht gegeben. Dabei kann dahinstehen, ob sich aus dem Mietverhältnis eine privatrechtliche Pflicht des Vermieters ergibt, den Mieter von dem Entschluß, die Räume für öffentliche Zwecke zu bestimmen, so bald als möglich zu verständigen, damit er für eine anderweite Unterbringung sorgen kann.
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5. Über die Fälle des § 32 Abs. 1 MSchG geht Abs. 4 Satz 1 Buchst. c zum Nachteil des Mieters noch hinaus: Den Räumen in Gebäuden, die im Eigentum oder in der Verwaltung der öffentlichen Hand stehen, werden gleichgestellt Räume in privaten Gebäuden, wenn sie für öffentliche Bedienstete zur Verfügung zu halten sind und benötigt werden.
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Diese Gleichstellung ist erst durch eine Novelle vom 31. August 1938 (§ 5 der Zweiten Verordnung zur Ausführung der Verordnung über Kündigungsschutz für Miet- und Pachträume, RGBl. I S. 1070) herbeigeführt worden. Es läßt sich jedoch nicht sagen, daß die Vorschrift so eindeutig totalitärem Staatsdenken entstamme, daß sie schon deshalb verfassungsrechtlich beanstan ![]() ![]() ![]() ![]() | |
Allerdings bringt die Zwischenschaltung eines privaten Vermieters Gefahren für den Mieter. Der private Hauseigentümer bietet nicht dieselbe Gewähr für eine vorsichtige, sachlichen und sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragende Handhabung des Kündigungsrechts wie der Fiskus; persönliche Zu- und Abneigungen, finanzielle Interessen können seine Entscheidung beeinflussen. Trotzdem trägt die Vorschrift die Gefahr einer "Manipulierbarkeit" nicht in einem solchen Maße in sich, daß sie verfassungsrechtlich beanstandet werden müßte. Zwar kann die Zweckbindung zugunsten der öffentlichen Verwaltung, wie aus der Verweisung auf Absatz 1 folgt, jederzeit herbeigeführt werden und sich dann, wie im vorliegenden Falle, auch gegenüber bereits bestehenden Mietverhältnissen auswirken. Der zwischengeschaltete private Unternehmer hat es jedoch nicht in der Hand, sich auf dem Wege über § 32 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c MSchG unberechtigte persönliche Vorteile auf Kosten des Mieters zu verschaffen. Der Umstand, daß Wohnungen unter § 32 MSchG fallen, ist ohne Einfluß auf die Preisbindung von Mieten nach den allgemeinen Mietpreisvorschriften. Sodann liegt es nicht im Belieben eines privaten Hauseigentümers, die Zweckbindung einer Wohnung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c herbeizuführen; er kann zwar der öffentlichen Hand ein Mieterbenennungsrecht anbieten, aber ob sein Angebot angenommen und ob davon Gebrauch gemacht wird, entscheidet die beteiligte Behörde nach Maßgabe des dienst ![]() ![]() | |
Hiernach verstößt die Schlechterstellung des Mieters im Falle des § 32 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c gegenüber der Stellung des durch Mieterschutz Geschützten weder an sich noch nach Art und Ausmaß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Ob andere Regelungen zweckmäßiger sein könnten (vgl. Roquette, JZ 1952, 71 und Kommentar zum Mieterschutzgesetz 1956, Anm. 1 zu § 32; Bettermann, Randziffer 98 a, 118, 380, 404 aaO), hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu prüfen.
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II.
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Wenngleich die Verfassungsbeschwerde ausdrücklich nur Art. 3 Abs. 1 GG als verletzt bezeichnet, könnte ihr Vorbringen auch als Rüge einer Verletzung von Art. 14 GG verstanden werden. Auch dieser Gesichtspunkt vermag ihr jedoch nicht zum Erfolg zu verhelfen.
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1. Der Mieterschutz ist keine selbständige Rechtsposition, die als solche durch Art. 14 GG geschützt sein könnte, sondern eine Verstärkung der vertraglichen Rechte des Mieters. Ob diese -- besonders etwa unter dem Gesichtspunkt des Besitzschutzes -- als Eigentum im Sinne des Art. 14 GG angesehen werden können, kann dahingestellt bleiben. Nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG wäre der Gesetzgeber jedenfalls befugt, Inhalt und Schranken dieses Rechts zu bestimmen. Dabei tritt das Recht des Mieters in Konflikt mit dem seinerseits durch Art. 14 GG geschützten Eigentum des Vermieters; gerade in einem solchen Fall ist die Abgrenzung der beiderseitigen Befugnisse Sache des Gesetzgebers.
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Bei dieser Abgrenzung muß er auch der durch Art. 14 Abs. 2 GG ausgesprochenen Sozialbindung des Eigentums des Vermieters Rechnung tragen. Bei der Bedeutung, die die Wohnung als ![]() ![]() | |
In Ausübung der in Art. 14 Abs. 1 GG ihm erteilten Ermächtigung muß der Gesetzgeber sowohl die Wertentscheidung des Grundgesetzes zugunsten des Privateigentums beachten wie auch alle übrigen Normen und Wertentscheidungen der Verfassung; er darf Inhalt und Schranken des Eigentums nicht in einer Weise bestimmen, die grob sachwidrig ist und in die Interessen der Beteiligten ohne Grund oder übermäßig eingreift (vgl. BVerfGE 14, 263 [277 f.]). Daß diese Voraussetzungen gewahrt sind, ist bereits anläßlich der Prüfung an Hand des allgemeinen Gleichheitssatzes dargelegt worden. Auch wenn man eine eigentumsähnliche Rechtsposition des Mieters nach Art. 14 Abs. 1 GG unterstellt, ist die seine Stellung beschränkende Regelung des § 32 Abs. 1 und besonders des § 32 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c MSchG zulässig, weil -- wie ausgeführt -- berechtigte Gründe des öffentlichen Interesses hierfür gegeben sind, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht verletzt ist und die rechtsstaatliche Kontrolle erhalten bleibt.
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III.
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Ist die Vorschrift des § 32 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c MSchG als solche verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, so bleibt zu prüfen, ob ihre Anwendung durch die Gerichte in vorliegendem Falle Verfassungsrecht verletzt.
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