Beschluß | |
des Ersten Senats vom 19. Oktober 1966
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-- 1 BvL 24/65 -- | |
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 54 Abs. 3 Nr. 1 und des § 82 Satz 2 Nr. 3 der Handwerksordnung in der ![]() ![]() | |
Entscheidungsformel:
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§ 54 Absatz 3 Nummer 1 und § 82 Satz 2 Nummer 3 der Handwerksordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Dezember 1965 -- Bundesgesetzbl. 1966 I S. 1 -- (§ 49 Absatz 3 Nummer 1 und § 76 Satz 2 Nummer 3 der Handwerksordnung vom 17. September 1953 -- Bundesgesetzbl. I S. 1411 -) sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
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Gründe: | |
A. -- I. | |
Die Tariffähigkeit bedeutet die Fähigkeit, durch Vereinbarung mit dem sozialen Gegenspieler unter anderem die Arbeitsbedingungen des Einzelarbeitsvertrags mit der Wirkung zu regeln, daß sie für die tarifgebundenen Personen unmittelbar und unabdingbar wie Rechtsnormen gelten. Nach dem Tarifvertragsgesetz vom 9. April 1949 (WiGBl. S. 55, 68) -- TVG -- sind tariffähig "Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern" (§ 2 Abs. 1).
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Die Handwerksordnung vom 17. September 1953 (BGBl. I S. 1411), jetzt in der Fassung der Bekanntmachung vom 28. Dezember 1965 (BGBl. 1966 I S. 1) -- HandwO --, bestimmt in § 54 Abs. 3 Nr. 1 (früher § 49 Abs. 3 Nr. 1):
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"Die Handwerksinnung kann 1. Tarifverträge abschließen, soweit und solange solche Verträge nicht durch den Innungsverband für den Bereich der Handwerksinnung geschlossen sind." | |
§ 82 (früher § 76) lautet:
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"Der Landesinnungsverband kann ferner die wirtschaftlichen und sozialen Interessen der den Handwerksinnungen angehörenden Mitglieder fördern. Zu diesem Zweck kann er insbesondere 1. u. 2. ... 3. Tarifverträge abschließen." ![]() | |
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II.
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1. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens betreibt das Malerhandwerk und ist Mitglied der Maler- und Lackierer-Innung Frankfurt/Main. Sie ist vom Arbeitsgericht zur Zahlung von Restlohn und Aufwendungsersatz an einen früheren Arbeitnehmer, den Kläger, verurteilt worden. Ihre Berufung gegen dieses Urteil hat für sie der Geschäftsführer der Innung eingelegt und begründet, der zugleich Geschäftsführer des Landesinnungsverbandes des Malerhandwerks für Hessen ist.
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2. Die Zulässigkeit dieser Berufung hängt nach der Ansicht des Landesarbeitsgerichts davon ab, ob die Verleihung der Tariffähigkeit an die Innungen und Innungsverbände mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Das Landesarbeitsgericht hält die diese Verleihung aussprechenden Bestimmungen der Handwerksordnung für verfassungswidrig und hat um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hierüber gebeten.
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Nach § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG sind zur Vertretung von einzelnen Arbeitgebern vor den Landesarbeitsgerichten die Vertreter "von Vereinigungen von Arbeitgebern oder von Zusammenschlüssen solcher Verbände" befugt. Das Landesarbeitsgericht legt diese Bestimmung dahin aus, daß darunter nur ![]() ![]() | |
Die Koalitionsfreiheit überlasse die Bildung tariffähiger Vereinigungen dem freien Spiel der Kräfte und verbiete es dem Staat, ihr Zustandekommen zu regeln. Sie werde ausgehöhlt, wenn der Staat den Handwerkern von vornherein einen einzigen, wegen seiner beruflichen und wirtschaftlichen Vorteile ausgezeichneten Verband anbiete und ihnen nur die Möglichkeit lasse, nicht privilegierte Verbände zu bilden. Die Koppelung der Tariffähigkeit mit den allgemeinen Innungsaufgaben sei sachfremd. Im Bereich des Handwerks hätten die Innungen und Innungsverbände das Tarifmonopol; der einzelne Handwerker könne nur wählen, ob er diesem Monopolverband beitrete oder nicht. Im übrigen seien, wie das Landesarbeitsgericht im einzelnen ausführt, weder die Bildung noch die Betätigung der Innungen frei; die Innungen seien also keine Koalitionen. Die Gründe, die der Tariffähigkeit der Innungen im Wege stünden, gälten auch für die Innungsverbände.
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III.
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Die Bundesregierung hält die Vorlage für unzulässig, da die zur Prüfung vorgelegten Bestimmungen für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung unerheblich seien, jedenfalls aber für unbegründet. Die Innungen seien echte Koalitionen im Sinne des Art. 9 Abs. 3 GG und seit der Entwicklung des modernen Tarifvertragsrechts tariffähig gewesen. Diese Vorschrift verbiete dem Gesetzgeber nicht, anderen als den in § 2 Abs. 1 TVG bezeichneten Vereinigungen die Tariffähigkeit zu verleihen; die Tariffähigkeit der Innungen und Innungsverbände beeinträchtige nicht die Bestandsgarantie eines rechtlich geregelten Tarifvertragssystems, sondern trage zur Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens bei. ![]() | |
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Der Zentralverband des Deutschen Handwerks und die Bundesvereinigung der Fachverbände des deutschen Handwerks haben ausgeführt: Das Reichsgericht und das Reichsarbeitsgericht hätten sogar die Tariffähigkeit der Zwangsinnungen anerkannt. Die aus der Zwangsmitgliedschaft hergeleiteten Bedenken gegen eine Tariffähigkeit der Innungen habe den Gesetzgeber der jetzt geltenden Handwerksordnung davon abgehalten, die Handwerker zum Beitritt zur Innung zu verpflichten. Auch anderen Zusammenschlüssen als "Koalitionen" könnte der Gesetzgeber die Tariffähigkeit verleihen, jedenfalls erfüllten die Innungen und die Innungsverbände entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts die Erfordernisse einer echten Koalition. Die Tariffähigkeit der Innungen und der Innungsverbände habe sich bewährt. Durch rund 1200 Tarifverträge für mehr als 400 000 Handwerksbetriebe und etwa 2 Millionen in ihnen beschäftigte Arbeitnehmer seien seit Jahren angemessene Arbeitsbedingungen festgelegt worden. Neben den Innungen gebe es auch besondere Arbeitgeberverbände für das Handwerk, z.B. für das Baugewerbe.
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Diesen Ausführungen hat sich die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände angeschlossen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat sich einer Stellungnahme enthalten.
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Die Vorlage ist zulässig.
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Für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Berufung kommt es unmittelbar nur auf die Bestimmung des § 11 Abs. 2 Satz 2 ArbGG an. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts, die dort erwähnten Vereinigungen und Verbände müßten tariffähig sein, ist nicht offensichtlich unhaltbar. Danach kommt es mittel ![]() ![]() | |
Auch die Ansicht des Landesarbeitsgerichts, der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten habe die Berufung gleichzeitig in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer des Landesinnungsverbandes des Malerhandwerks eingelegt, läßt einen offenbaren Rechtsirrtum nicht erkennen. Es kann also für die Zulässigkeit der Berufung auch auf die Verfassungsmäßigkeit der Tariffähigkeit der Innungsverbände ankommen.
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Die Verleihung der Tariffähigkeit an die Handwerksinnungen und die Innungsverbände verstößt nicht gegen das Grundgesetz.
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Für dieses Ergebnis ist es unerheblich, ob diese Zusammenschlüsse den rechtlichen Erfordernissen einer Koalition im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG voll genügen und schon aus diesem Grunde tariffähig sind oder ob sie erst aufgrund der zur Prüfung gestellten Bestimmungen die Tariffähigkeit erlangt haben. Entscheidend ist allein, ob gerade Art. 9 Abs. 3 GG die Verleihung der Tariffähigkeit an die Innungen und die Innungsverbände durch den einfachen Gesetzgeber ausschließt. Diese Frage ist zu verneinen.
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I.
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Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistet mit der Koalitionsfreiheit auch die sog. Tarifautonomie und damit den Kernbereich eines Tarifvertragssystems, weil sonst die Koalitionen ihre Funktion, in dem von der staatlichen Rechtsetzung frei gelassenen Raum das Arbeitsleben im einzelnen durch Tarifverträge zu ordnen, nicht sinnvoll erfüllen könnten (BVerfGE 4, 96 [108]; 18, 18 [28]). Eine solche Gewährleistung ist aber ganz allgemein und umfaßt nicht die besondere Ausprägung, die das Tarifvertragssystem in dem zur Zeit des Inkrafttretens des Grundgesetzes geltenden Tarifvertragsgesetz erhalten hat. Sie läßt dem einfachen Gesetzgeber einen weiten Spielraum zur Ausgestaltung der Tarifautonomie. ![]() | |
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Auch die Verleihung der Tariffähigkeit an die Innungen und die Innungsverbände ist geeignet, der Tarifautonomie zu dienen. Erfahrungsgemäß gelingt es schwer, die zahlreichen kleinen Handwerker mit nur einem oder wenigen Arbeitnehmern zum Beitritt zu einem besonderen Arbeitgeberverband zu bewegen. Da dann ein den Gewerkschaften entsprechender umfassender Tarifpartner nicht vorhanden wäre, würden die Ordnung der Arbeitsbedingungen und die Befriedung des Arbeitslebens im Bereich des Handwerks unvollständig bleiben. Seiner Innung beizutreten, ist dagegen auch der kleine Handwerker wegen der ![]() ![]() | |
Auch die Gewerkschaften haben dadurch, daß sie in der Praxis die Innungen und Innungsverbände als geeignete Tarifpartner angesehen haben, zum Ausdruck gebracht, daß die zur Prüfung gestellte Regelung jedenfalls mit ihrer eigenen Koalitionsfreiheit nicht im Widerspruch steht.
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Schließlich widerlegt die frühere und die jetzige gesellschaftliche Wirklichkeit die Ansicht, die Tariffähigkeit der Innungen sei mit der Koalitionsfreiheit unvereinbar. Die Innungen sind in der Zeit bis 1933, obgleich sie Zwangscharakter hatten, als tariffähig angesehen worden und betätigen sich seit 1953 wiederum als Tarifvertragsparteien; dadurch ist die den Koalitionen obliegende Aufgabe der Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens nie behindert worden.
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2. Daher ist der Gesetzgeber durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht gehindert, auch anderen als den in § 2 Abs. 1 TVG genannten Verbänden von Arbeitgebern die Tariffähigkeit zu verleihen. Auch das Landesarbeitsgericht entnimmt seine Rechtsansicht, die Tariffähigkeit der Innungen sei verfassungswidrig, nicht einem Tarifmonopol der Koalitionen. Dann sind aber seine Ausführungen unerheblich, die Innungen hätten deshalb nicht den Charakter einer Koalition, weil sie hinsichtlich ihrer Bildung und Betätigung von möglichen Einflüssen anderer Stellen, insbesondere des Staates, nicht völlig frei seien.
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II.
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Der Befugnis des Gesetzgebers, anderen Zusammenschlüssen als "Koalitionen" die Tariffähigkeit zu verleihen, sind gewisse Grenzen gesetzt. Die Koalitionsfreiheit ist nur dann sinnvoll, wenn die Rechtsordnung den Koalitionen auch die Erreichung ihres in Art. 9 Abs. 3 GG bezeichneten Zweckes, nämlich die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer Mitglieder zu wah ![]() ![]() | |
Rechtlich bleibt die Bildung und die Betätigung von Arbeitgeberverbänden im Bereiche des Handwerks frei. Auch der einzelne Handwerker ist rechtlich nicht gehindert, der Innung fernzubleiben und sich einem Arbeitgeberverband anzuschließen.
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Auch die tatsächliche Wirkung, die die Tariffähigkeit der Innungen für sich allein auf die Möglichkeit der Bildung und Betätigung auch das Handwerk umfassender Arbeitgeberverbände ausübt, hat bei richtiger Würdigung der Gesamtheit der rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge nicht die vom Landesarbeitsgericht ihr beigemessene Bedeutung, daß "im Bereich des Handwerks den Innungen ein Tarifmonopol gewährt" worden sei. Die Tariffähigkeit bedeutet lediglich eine rechtliche Möglichkeit, aber keinen rechtlichen Zwang zum Abschluß eines Tarifvertrages. Der Innung ist nicht etwa die Verpflichtung auferlegt, für ihren Handwerkszweig den Abschluß eines Tarifvertrages anzustreben.
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Ob eine Innung von ihrer Tariffähigkeit durch den Abschluß von Tarifverträgen tatsächlich Gebrauch macht oder nicht, hängt also -- abgesehen von der Bereitschaft der zuständigen Gewerkschaft, mit der Innung und nicht mit einem etwaigen besonderen Arbeitgeberverband einen Tarifvertrag für die bei den Innungsmitgliedern beschäftigten Arbeitnehmer abzuschließen -- allein von der Entschließung ihrer Organe, letztlich also ihrer Mitglieder ab.
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Der Kreis der Innungsmitglieder fällt weitgehend mit dem der Arbeitgeber zusammen, die darüber entscheiden, ob ein besonderer Arbeitgeberverband gebildet werden soll. Die Entschei ![]() ![]() | |
III.
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Auch die Koalitionsfreiheit des einzelnen Handwerkers ist durch die Tariffähigkeit der Innungen weder rechtlich noch in einem ins Gewicht fallenden Umfange tatsächlich eingeengt.
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1. Der einzelne Handwerker ist nicht gezwungen, der Innung beizutreten oder in ihr zu verbleiben (§ 52 Abs. 1 Satz 1 HandwO). Die Mitglieder der Innung, die den Abschluß eines Tarifvertrages durch die Innung für nicht wünschenswert erachten, behalten die Möglichkeit, einen besonderen Arbeitgeberverband zu bilden oder sich einem bestehenden anzuschließen und durch ihn einen Tarifvertrag abzuschließen. Gelingt dies einem wesentlichen Teil der Innungsmitglieder rechtzeitig, so wird in der Regel für einen von der Innung selbst abzuschließenden Tarifvertrag kaum noch Raum bleiben.
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2. Es ist jedoch nicht zu verkennen, daß die Tariffähigkeit der Innungen auf die Koalitionsfreiheit des einzelnen Handwerkers einwirkt. Die Tariffähigkeit der Innungen hat für den einzelnen Handwerker die Bedeutung, daß seine Zugehörigkeit zu einem tariffähigen Zusammenschluß aufs engste verbunden ist mit der Teilnahme an den allgemeinen öffentlichen Aufgaben der Innung, insbesondere auch an der Förderung der gemeinsamen beruflichen Interessen. Der einzelne Handwerker, der sich der Tarifmacht der Innung entziehen, etwa einem besonderen Arbeitgeberverband beitreten oder überhaupt nicht sozialpoli ![]() ![]() | |
IV.
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Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes enthält die Tariffähigkeit der Innungen schon wegen der besonderen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Handwerks nicht. Gehört die Bestimmung über die Tariffähigkeit der Innungen zur verfassungsmäßigen Ordnung, so scheidet auch ein Verstoß gegen die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG aus.
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