Beschluß | |
des Ersten Senats vom 15. Januar 1969
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-- 1 BvL 3/66 -- | |
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung des § 14 Abs. 2 Satz 2 des Niedersächsischen Deichgesetzes vom 1. März 1963 (Nieders. GVBl. S. 81) - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 2. Dezember 1965 - III A 227/65 -.
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Entscheidungsformel:
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§ 14 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 14 Absatz 2 Satz 2 des Niedersächsischen Deichgesetzes vom 1. März 1963 (Nieders. GVBl. S. 81) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
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A. | |
§ 14 Abs. 1 und 2 des Niedersächsischen Deichgesetzes vom 1. März 1963 (Nds. GVBl. S. 81) -- NDG -- lauten:
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(1) Jede Benutzung des Deiches (Nutzen und Benutzen), außer zum Zweck der Deicherhaltung durch ihren Träger, ist verboten. Das gilt entsprechend für natürliche Bodenerhebungen, die im Zuge eines Deiches liegen und dessen Zweck erfüllen.
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(2) Die untere Deichbehörde kann zur Befreiung vom Verbot des Absatzes 1 Ausnahmen genehmigen. Die Errichtung oder Erweiterung von Gebäuden darf sie nur in besonderen Fällen öffentlicher oder allgemein wirtschaftlicher Belange mit Zustimmung der oberen Deichbehörde zulassen, wenn die Sicherheit des Deiches gewährleistet bleibt ...
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(3) bis (7) ...
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Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist Eigentümer eines im Deichbereich liegenden Grundstücks an der Mitteldeichstraße in Brake. Auf einem Teil des Grundstücks steht ein Wohnhaus, in dem er seine zahnärztliche Praxis ausübt. Er beabsichtigt, das Haus durch einen Anbau zu erweitern. Seinen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung lehnte der Beklagte des Ausgangsverfahrens mit der Begründung ab, es liege die in § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG geforderte Voraussetzung nicht vor.
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Das vom Kläger angerufene Verwaltungsgericht hat das Verfahren ausgesetzt und gemäß Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG mit Art. 14 Abs. 3 GG vereinbar sei. Es sieht sich durch diese Vorschrift an einer Entscheidung zugunsten des Klägers gehindert, da kein Fall "öffentlicher oder allgemein wirtschaftlicher Belange" gegeben sei. Wenn die Vorschrift verfassungsmäßig sei, müsse die Klage abgewiesen werden; werde sie dagegen als grundgesetzwidrig erkannt, seien die angefochtenen Bescheide aufzuheben und die Behörde müsse eine Ermessensentscheidung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 NDG treffen.
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Die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG sei keine Bestimmung von Inhalt und Schranken im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, sondern eine Enteignung. Sie verstoße gegen Art. 14 Abs. 3 GG, weil das Gesetz eine Entschädigung nicht vorsehe. Die durch das Niedersächsische Deichgesetz außer Kraft gesetzte Deichordnung für das Herzogtum Oldenburg vom 8. Juni 1855 (Old.GBl. Bd. 14 S. 765) habe zwar die Benutzung der Deiche im Interesse der Deichsicherheit eingeschränkt, das Recht der privaten Eigentümer, ihre Deichgrundstücke zu bebauen, sei aber grundsätzlich erhalten geblieben. Die bisherigen Beschränkungen hätten nur den offenkundigen Sinn gehabt, die Sicherheit der Deiche auf jeden Fall zu gewährleisten. So seien in Brake und in anderen Städten an der Weser viele Häuser im Deichbereich erbaut worden. Während die Beschränkungen nach altem Recht nicht als Enteignung zu beurteilen seien, sei dies bei § 14 NDG der Fall. Diese Vorschrift nehme ausnahmslos jedem privaten Eigentümer von Deichländereien, der sich nicht auf öffentliche oder allgemein wirtschaftliche Belange berufen könne, das dem Grundeigentum immanente Recht, sein Grundstück nach den geltenden Bauvorschriften zu bebauen. Die Regelung führe zu einer Aushöhlung des formal bestehen gebliebenen Eigentumsrechts.
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Der Niedersächsische Ministerpräsident hält die Vorlage für unzulässig. Auf jeden Fall sei § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG verfassungsmäßig. Ein Vergleich mit dem bisherigen Rechtszustand zeige, daß den privaten Eigentümern eines Deichgrundstücks durch das Niedersächsische Deichgesetz Bebauungsrechte nicht genommen worden seien. Schon nach der oldenburgischen Deichordnung habe kein privater Eigentümer von Grundstücken im Deichbereich das Recht zur Bebauung gehabt; vielmehr habe nur eine jederzeit zurücknehmbare Baubefugnis erlangt werden können. Daran habe das Deichgesetz nichts geändert.
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Die Vorlage ist zulässig.
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Das Verwaltungsgericht hat dargelegt, weshalb es § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG für verfassungswidrig hält und daß es im Falle der Gültigkeit der Norm die Klage abweisen, im Falle ihrer Ungültigkeit der Klage mit der Maßgabe stattgeben will, daß die Behörde eine Ermessensprüfung nach § 14 Abs. 2 Satz 1 NDG vornehmen müsse. Da seine Auffassung nicht als offensichtlich unhaltbar angesehen werden kann, war die Zulässigkeit der Vorlage zu bejahen.
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In der verfassungsrechtlichen Beurteilung kann der Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht gefolgt werden.
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I.
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Art. 14 Abs. 3 Satz 2 GG läßt eine Enteignung durch Gesetz nur zu, wenn das Gesetz Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Der vom Verwaltungsgericht angenommene Verstoß des § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG gegen diese Junktim-Klausel würde also voraussetzen, daß es sich bei dieser Vorschrift um einen Enteignungstatbestand handelt. Das ist jedoch zu verneinen:
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Die vom vorlegenden Gericht beanstandete Vorschrift steht in einem sachlich unlösbaren Zusammenhang mit § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 NDG. Es handelt sich um ein Verbot mit Befreiungsvorbehalt: Den materiellen Verbotstatbestand regelt § 14 Abs. 1 Satz 1, die Voraussetzungen für die Erteilung einer Ausnahme § 14 Abs. 2. Ohne § 14 Abs. 1 Satz 1 hätte Abs. 2 -- einschließlich seines Satzes 2 -- keine rechtliche Bedeutung.
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Seinem Inhalt nach bedeutet das Verbot, daß das Eigentumsrecht an einem zum Deich gehörenden Grundstück nicht die Befugnis umfaßt, den Deich im privaten Interesse zu nutzen, also auch, ihn zu bebauen. Dieses Verbot gilt jedoch nicht unabdingbar. § 14 Abs. 2 Satz 1 NDG ermächtigt die Behörde, das Verbot im einzelnen Fall außer Wirksamkeit zu setzen und eine andere Benutzung des Deiches "außer zum Zwecke der Deicherhaltung" zu erlauben. Auf die Bewilligung einer solchen Ausnahme besteht jedoch kein Rechtsanspruch, die Behörde kann von dem Verbot eine Ausnahme gestatten; sie hat also nach ihrem Ermessen zu handeln. Im Rahmen dieses allgemeinen Befreiungsvorbehaltes legt § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG die besonderen Voraussetzungen fest, unter denen eine Ausnahme von dem Verbot zulässig sein soll, wenn es um die Errichtung oder Erweiterung eines Gebäudes auf einem Deich geht. Die Behörde darf von dem Verbot nur befreien, wenn öffentliche oder allgemein wirtschaftliche Belange vorliegen. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so hat die Behörde nach § 14 Abs. 2 Satz 1 NDG im Rahmen ihres Ermessens zu entscheiden, ob sie von dem Verbot befreien will; liegen diese Voraussetzungen dagegen nicht vor, so ist auch für eine Ermessensentscheidung kein Raum; es bleibt bei dem Verbot des § 14 Abs. 1 Satz 1 NDG.
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Muß hiernach § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG im Zusammenhang mit dem Verbot des § 14 Abs. 1 Satz 1 NDG gesehen werden, ergibt sich, daß die erstgenannte Vorschrift ihrem Wesen und Inhalt nach kein Enteignungsgesetz ist. Gleichgültig nach welchen sonstigen Kriterien eine Rechtsnorm als Enteignungsgesetz zu qualifizieren ist, in jedem Fall ist erforderlich, daß durch die Norm ein Eingriff in bestehende Eigentümerbefugnisse erfolgt. Läßt die Vorschrift die dem Eigentümer eingeräumten Befugnisse unberührt, so kann ein Enteignungstatbestand nicht vorliegen. Einen solchen Eingriffstatbestand regelt § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG nicht. Diese Vorschrift bestimmt lediglich, bei welchem Sachverhalt die Behörde im Rahmen ihres Ermessens dem Eigentümer die Baubefugnis -- die ihm nach § 14 Abs. 1 NDG nicht zusteht -- dennoch einräumen darf. § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG ermöglicht in Verbindung mit § 14 Abs. 2 Satz 1 NDG dem Eigentümer durch öffentlich-rechtlichen Akt eine Vergünstigung zu gewähren, auf die er nach dem Grundtatbestand der Norm keinen Rechtsanspruch hat. Wird diese Vergünstigung versagt, weil die Befreiungsvoraussetzungen nicht vorliegen, so bleibt es bei der durch § 14 Abs. 1 Satz 1 geregelten Eigentumslage. Fraglich kann daher nur sein, ob diese Vorschrift einen Enteignungstatbestand darstellt.
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Das Verwaltungsgericht hat nach dem Tenor seines Vorlagebeschlusses ausschließlich § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG zur verfassungsgerichtlichen Prüfung gestellt. Diese Beschränkung der Vorlagefrage wird aber dem zur Entscheidung stehenden Sachverhalt nicht gerecht: Es geht zwar im Ausgangsverfahren darum, ob die Behörde das Gesuch des Klägers um Genehmigung einer Ausnahme zu Recht abgelehnt hat. Diese Entscheidung erfordert aber die Beantwortung der Vorfrage, ob das Bauverbot des § 14 Abs. 1 Satz 1 NDG mit der Verfassung in Einklang steht. Müßte die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift verneint werden, so wäre die Ausnahmeregelung des § 14 Abs. 2 NDG gegenstandslos.
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III.
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Das Bauverbot des § 14 Abs. 1 Satz 1 NDG ist eine zulässige Inhaltsbestimmung des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG.
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1. Der Gesetzgeber steht bei der Erfüllung des ihm in Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG erteilten Auftrages, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen, vor der Aufgabe, den Freiheitsraum des Einzelnen im Bereich der Eigentumsordnung und die Belange der Allgemeinheit in einen gerechten Ausgleich zu bringen. Hierzu hat das Grundgesetz selbst in Art. 14 Abs. 2 GG dem Gesetzgeber ausdrücklich eine verbindliche Richtschnur gegeben (BVerfGE 21, 73 [83]). Er muß bei der Regelung des Eigentumsinhalts das Wohl der Allgemeinheit beachten und die Befugnisse und Pflichten des Eigentümers am Sozialstaatsprinzip orientieren. Das gilt -- wie in der vorgenannten Entscheidung ausgeführt ist -- vor allem bei Vorschriften, die den Grund und Boden betreffen. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß die Regelungsbefugnis des Gesetzgebers nicht schrankenlos ist: Der Gesetzgeber muß den grundlegenden Gehalt der Eigentumsgarantie wahren, sich aber auch mit allen übrigen Verfassungsnormen in Einklang halten. Daher müssen gesetzliche Eigentumsbindungen vom geregelten Sachbereich her geboten und in ihrer Ausgestaltung selbst sachgerecht sein. Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weitergehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient (BVerfGE 21, 73 [82 f., 86]; 21, 150 [155]; vgl. auch Urteil vom 18. Dezember 1968 betr. Hamburgisches Deichordnungsgesetz, S. 33). Die grundlegende Wertentscheidung der Verfassung im Sinne eines sozial gebundenen Privateigentums gebietet also, bei der Regelung des Eigentumsinhaltes die Belange der Gemeinschaft und die Individualinteressen in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen. Das Wohl der Allgemeinheit ist Orientierungspunkt, aber auch Grenze für die Beschränkung des Eigentümers. Mit diesen Grundsätzen steht § 14 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 NDG in Einklang.
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2. Das Bauverbot des § 14 Abs. 1 Satz 1 NDG gilt nach Wortlaut und Sinn nur für Deiche, d.h. für Grundstücke, auf oder an denen sich Einrichtungen befinden, die dem Schutz eines Gebietes vor Sturmflut oder vor Hochwasser zu dienen bestimmt sind (§ 2 NDG). Sie erhalten diese Eigenschaft durch Widmung; Deiche, die beim Inkrafttreten des Niedersächsischen Deichgesetzes bereits dem Schutz vor Wassergefahren dienten und unter staatlicher Schau standen, haben diese Eigenschaften auch ohne Widmung (§ 3 Abs. 1 und 2 NDG); bei ihnen wird die Widmung unterstellt. Durch die Widmung wird der Deich zu einer öffentlichen Sache mit einer besonderen Zweckbindung. Abgesehen von ihren sonstigen Rechtswirkungen -- auf die es hier nicht ankommt -- begrenzt sie im öffentlichen Interesse die Sachherrschaft des Eigentümers von Deichgrundstücken. Das führt zwar nicht dazu, daß privatrechtliche Verfügungen über die Grundfläche und den Deichkörper schlechthin ausgeschlossen wären (vgl. § 3 Abs. 3 NDG); Die Widmung sichert aber den Deich entsprechend seiner Bestimmung vor störenden Einwirkungen. In diesem Zusammenhang steht § 14 Abs. 1 NDG, der die Nutzung des Deiches im privaten Interesse generell verbietet.
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3. Das vorlegende Gericht sieht darin, daß der Gesetzgeber des Niedersächsischen Deichgesetzes das Bebauen des Deiches im privaten Interesse generell verboten hat, eine übermäßige Beschränkung der Rechtsstellung der Eigentümer. Nach dem Zusammenhang seiner Ausführungen ist es offenbar der Auffassung, daß die Errichtung von Bauwerken grundsätzlich zulässig sein müsse und nur dann verboten werden dürfe, wenn im konkreten Fall eine Gefahr für die Deichsicherheit eintrete. Verfassungsrechtlich geht es also um die Frage, ob es mit Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG vereinbar ist, daß der Gesetzgeber ein allgemeines Bauverbot und nicht lediglich einen Verbotsvorbehalt für den Fall der konkreten Gefährdung der Deichsicherheit angeordnet hat. Der Auffassung des vorlegenden Gerichts kann nicht gefolgt werden.
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4. Deiche dienen der Gefahrenabwehr (vgl. § 2 NDG). Diese Zweckbestimmung muß notwendigerweise auf die Rechtsstellung der einzelnen Eigentümer einwirken, deren Grundstücke zu einem Deich gehören. Das jeweilige Grundstück ist gewissermaßen in den Dienst dieser Aufgabe gestellt. Die Größe der zu bannenden Gefahr und die Bedeutung der Abwehr für das allgemeine Wohl machen es weitgehend unmöglich, die Gefahrenabwehr vom Willen des verfügungsberechtigten Eigentümers abhängig zu machen. Daher ist es sachgerecht, die Befugnisse am Grund und Boden zu begrenzen. Wenn der Gesetzgeber zur Sicherstellung einer sachgerechten und wirksamen Gefahrenabwehr dem Eigentümer Nutzungsbeschränkungen auferlegt, spricht er nur aus, was sich aus der besonderen öffentlichen Aufgabenstellung und Lage des Grundstücks ergibt.
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Da es Aufgabe der Deiche ist, von der Allgemeinheit Wassergefahren abzuwehren, müssen die öffentlichen Interessen den Vorrang vor den Belangen des Einzelnen haben. Daher halten sich jedenfalls solche Beschränkungen der Eigentümerbefugnisse im Rahmen der Verfassung, die zur Erhaltung der Deichsicherheit und damit zur Abwehr von Gefahren für die Menschen erforderlich sind. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch das Verbot, den Deich im privaten Interesse zu bebauen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es fragt sich jedoch, ob es gerechtfertigt ist, das Bebauen des Deiches generell zu verbieten oder ob eine auf den Einzelfall abstellende Regelung als ausreichend angesehen werden müßte.
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5. Der Auffassung des vorlegenden Gerichts, das allgemeine Bauverbot gehe zu weit, kann nicht gefolgt werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist nicht verletzt.
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Der Gesetzgeber kann einen als gefährlich erkannten Umstand nicht ohne weiteres zum Anlaß nehmen, Eigentümerbefugnisse schlechthin auszuschließen. Das zur Abwehr der Gefahr eingesetzte Mittel muß der Gefahr angepaßt sein, der es begegnen soll. Die tatsächliche Situation bestimmt hiernach weitgehend den Gestaltungsbereich für eine sachgerechte gesetzgeberische Lösung.
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Das generelle Bauverbot ist durch die Erwägung gerechtfertigt, daß jede bauliche Nutzung des Deiches, die nicht seiner Erhaltung dient, potentiell geeignet ist, eine konkrete Gefährdung der Deichsicherheit und damit der Bewohner des geschützten Gebietes herbeizuführen. Das ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden: Deiche sind von ihrer Aufgabe und Konstruktion her nicht dazu bestimmt, im privaten Interesse errichtete Bauwerke zu tragen. Deichgrundstücke sind der Sache nach kein Baugrund. Jede bauliche Anlage im oder auf dem Deich, die nicht seiner Erhaltung dient, ist nicht nur ein Fremdkörper, sie beeinträchtigt auch seine Funktion, führt zu einer Gefährdung seiner Standfestigkeit und erschwert seine Verteidigung im Ernstfall. Das ist eine Erfahrungstatsache, die in einer großen Anzahl älterer deichrechtlicher Regelungen ihren rechtlichen Niederschlag gefunden und sich bei den Hochwasserkatastrophen und Sturmfluten dieses Jahrhunderts erneut und wiederholt erwiesen hat.
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Wenn der Gesetzgeber des Niedersächsischen Deichgesetzes, dem die Katastrophe des Jahres 1962 vor Augen stand, es für erforderlich gehalten hat, in Anknüpfung an den bisherigen Rechtszustand ein generelles Bauverbot auszusprechen, so kann das nicht als sachwidrig oder als eine fehlerhafte Bewertung der Gefahr angesehen werden.
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Hierbei ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber eine auf den Einzelfall abstellende Prüfung nicht schlechthin ausgeschlossen hat. § 14 Abs. 2 Satz 2 NDG ermöglicht gerade bei bereits bebauten Deichen die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung. In der Begründung der Regierungsvorlage (LTDrucks. IV/541, § 13 Abs. 6) ist als Beispiel "für besonders gelagerte Fälle anderer öffentlicher Belange" auf Ortschaften auf Deichen verwiesen. Es entspricht auch der höchstrichterlichen Rechtsprechung, daß bei einem Vorhaben in einer im wesentlichen geschlossenen Ortslage oder bei der Schließung einer Baulücke regelmäßig ein öffentliches Interesse vorliegt (vgl. BVerwGE 4, 185 ff.). Es wird Sache des vorlegenden Gerichts sein zu prüfen, ob unter diesem Gesichtspunkt die Versagung der Ausnahmegenehmigung gerechtfertigt ist.
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IV.
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Hiernach ist davon auszugehen, daß § 14 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 NDG eine mit der Verfassung in Einklang stehende Bestimmung des Inhaltes des Eigentums an Deichgrundstücken darstellt. Die Auffassung des vorlegenden Gerichts, die Regelung enthalte deshalb eine Enteignung, weil der Kläger des Ausgangsverfahrens nach altem Recht eine bessere Rechtsstellung gehabt habe, ist unzutreffend.
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1. Gleichgültig, nach welchen sonstigen Kriterien eine Enteignung zu beurteilen ist, in jedem Fall ist ein Eingriff erforderlich -- sei es durch Gesetz, sei es auf Grund eines Gesetzes durch Verwaltungsakt --, der zum Entzug oder zur Minderung von Rechten oder Befugnissen führt, die dem Eigentümer zur Zeit des Eingriffs zustehen. Die Beurteilung, ob ein Rechtsvorgang enteignende Wirkung hat, setzt hiernach zunächst einen Vergleich der rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse vor dem Eingriff mit denen nach dem Eingriff voraus. § 14 NDG könnte also nur dann eine Enteignung durch Gesetz sein, wenn hierdurch Rechtspositionen der Eigentümer von Deichgrundstücken beseitigt oder wenigstens eingeschränkt worden wären, die ihnen bisher zustanden.
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2. Ein solcher Tatbestand liegt aber nicht vor. § 14 NDG entzieht dem Eigentümer keine konkrete, ihm nach dem bisherigen Recht zustehende Nutzungsmöglichkeit.
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a) Es geht nicht um die Frage, ob die Widmung eines neuen Deiches und die damit verbundene Beschränkung der Eigentümerbefugnisse eine Enteignung ist. Im vorliegenden Verfahren handelt es sich um einen Deich, der bereits bei Inkrafttreten des Niedersächsischen Deichgesetzes dem Schutz vor Wassergefahren diente. Maßgeblich ist daher nur, ob die bei Erlaß des Niedersächsischen Deichgesetzes bestehenden Eigentümerbefugnisse durch die neue Regelung geschmälert worden sind. Daß dies nicht der Fall ist, ergibt ein Vergleich des alten mit dem neuen Recht.
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Die insoweit einschlägige Deichordnung für das Herzogtum Oldenburg vom 8. Juni 1855 -- ODO -- (Old.GBl. Bd. 14 S. 765) bestimmte ursprünglich in Art. 218, daß der Hauptdeich öffentliches Eigentum des "Deichbandes" darstellte und daß hieran keine dauernden Privatrechte erworben werden könnten. Die Hauptdeiche wurden somit als dem Rechtsverkehr entzogene Sachen angesehen. Diese Rechtslage hat § 3 des Gesetzes für das Großherzogtum Oldenburg vom 25. April 1899 betreffend das nutzbare Eigentum an Grundstücken (Old.GBl. Bd. 32 S. 400) dahin geändert, daß die im Grundbuch eingetragenen Besitzer von Deichgründen das "volle Eigentum an den betreffenden Grundstücken" erlangten. Nach seinem Satz 2 bleiben "jedoch alle nach Deichrecht den Deichbänden den eingetragenen Besitzern gegenüber zustehenden Rechte unberührt". Insoweit bestimmte Art. 219 § 1 ODO:
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Jede Benutzung des Hauptdeiches und seiner Zubehörungen, die dem Zwecke desselben zuwider und nachteilig ist, ist verboten.
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Dieser Regelung entspricht § 14 Abs. 1 Satz 1 NDG, nach welchem jede Benutzung des Deiches außer zum Zweck der Deicherhaltung durch ihren Träger verboten ist. Die Vorschrift läßt -- entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts -- sehr wohl die vom Ministerpräsidenten von Niedersachsen vertretene Auslegung zu, daß jedes im privaten Interesse errichtete Bauwerk dem Zweck des Deiches "zuwider und nachteilig" sei und daß es deshalb nicht darauf ankommt, ob ein Bauwerk im konkreten Fall die Deichsicherheit gefährdet. Ein sachlicher Unterschied zwischen beiden Vorschriften kann somit nach Wortlaut und Sinn nicht festgestellt werden.
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Auch die Vorschriften über die Voraussetzungen bei der Errichtung von Gebäuden auf dem Deich ergeben keine wesentlichen Abweichungen: Nach Art. 233 ODO durften
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Neue Gebäude... am Deiche... nur angelegt, vorhandene Gebäude nur erweitert werden, nachdem der Ausschuß und der Deichverbandsvorstand seine Zustimmung und die Regierung eine schriftliche Erlaubnis erteilt hat.
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Daß es sich bei dieser Regelung -- im Sinne der geltenden Terminologie -- nicht um eine präventive Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt, sondern -- wie bei § 14 NDG -- um ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt handelt (vgl. zu dieser Unterscheidung BVerfGE 20, 150 [155, 157]), folgt bereits daraus, daß die "Erlaubnis" zu jeder Zeit zurückgenommen und eine Entschädigung nicht verlangt werden konnte (vgl. Art. 230 § 3; 235 § 1 ODO). Das Recht, auf dem Deich zu bauen, wurde auch hiernach erst durch behördliche Erlaubnis begründet.
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Das neue Recht beeinträchtigt somit den bisherigen Inhalt der Eigentümerstellung nicht, so daß schon aus diesem Grunde keine Enteignung vorliegt.
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Mit Rücksicht auf die hier das Eigentum an Deichgrundstücken regelnden Spezialnormen bedarf es keiner Entscheidung der vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Frage, ob dem Grundeigentum allgemein das Recht immanent ist, es nach den geltenden Bauvorschriften zu bebauen.
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b) Eine entscheidende -- als Enteignung zu qualifizierende -- Verschlechterung der Rechtsstellung der Deicheigentümer sieht das vorlegende Gericht darin, daß eine Ausnahme vom Bauverbot nur erteilt werden darf, wenn sich der Eigentümer auf "öffentliche oder allgemein wirtschaftliche Belange" berufen kann. Selbst wenn die Rechtslage nach dem Niedersächsischen Deichgesetz in diesem Punkt ungünstiger als nach altem Recht wäre, läge darin keine Enteignung. Da die Errichtung oder Erweiterung eines Gebäudes auf einem Deich in verfassungsmäßiger Weise untersagt ist, würde die etwaige Erschwerung der Voraussetzungen, unter denen von dem Verbot befreit werden kann, keine Schmälerung bestehender Eigentümerbefugnisse bedeuten, sondern allenfalls die Einschränkung der Chance, eine solche Befugnis durch behördlichen Akt zu erlangen. Die Verkürzung einer Vergünstigung, auf die kein Rechtsanspruch besteht, ist keine Enteignung.
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