des Zweiten Senats vom 25. Juni 1969
| |
- 2 BvR 128/66 - | |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 1. des Herrn ..., 2. des Herrn ..., 3. des Herrn ... - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt ... - gegen das Gesetz zum Schutze der Berufsbezeichnung -Ingenieur- (Ingenieurgesetz) vom 7. Juli 1965 (BGBl. I S. 601)
| |
Entscheidungsformel:
| |
§ 1 des Gesetzes zum Schutze der Berufsbezeichnung "Ingenieur" (Ingenieurgesetz) vom 7. Juli 1965 (Bundesgesetzbl. I S. 601) verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Das Gesetz zum Schutze der Berufsbezeichnung "Ingenieur" (Ingenieurgesetz) vom 7. Juli 1965 (Bundesgesetzbl. I S. 601) ist nichtig.
| |
Gründe | |
A. - I. | |
Das Gesetz zum Schutze der Berufsbezeichnung "Ingenieur" (Ingenieurgesetz) vom 7. Juli 1965 (BGBl. I S. 601) - im folgenden: IngG - bestimmt in § 1 folgendes:
| |
(1) Die Berufsbezeichnung "Ingenieur" dürfen Personen, die in der Wirtschaft, insbesondere in Gewerbebetrieben oder sonstigen wirtschaftlichen Unternehmungen, selbständig oder unselbständig berufstätig sind und nicht das Studium einer überwiegend technisch-naturwissenschaftlichen Fachrichtung an einer deutschen wissenschaftlichen Hochschule mit Erfolg abgeschlossen, die Abschlußprüfung an einer deutschen staatlichen oder staatlich anerkannten Ingenieurschule oder bis zum 31. Dezember 1970 die Abschlußprüfung eines Betriebsführerlehrganges einer deutschen staatlich anerkannten Bergschule bestanden haben, nur führen, wenn sie 1. vor der Verkündung des Gesetzes eine Tätigkeit unter dieser Berufsbezeichnung ausgeübt haben und die Absicht, die Berufsbezeichnung weiterzuführen, der zuständigen Behörde oder Stelle innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes angezeigt haben oder 2. eine Genehmigung nach § 3 erhalten haben. | |
Nach § 2 IngG ist das Führen der Berufsbezeichnung "Ingenieur" auf Grund der Anzeige nach § 1 IngG zu untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß die erforderlichen fachlichen Kenntnisse fehlen und Leben oder Gesundheit von Menschen erheblich gefährdet sind. § 3 IngG sieht eine Sonderregelung für Personen vor, die das Abschlußzeugnis einer ausländischen Hochschule oder einer sonstigen ausländischen Schule über eine Ingenieurausbildung besitzen. Sie bedürfen zur Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" einer staatlichen Genehmigung, die zu erteilen ist, wenn das Zeugnis dem der in § 1 genannten deutschen Schulen oder Hochschulen gleichwertig ist.
| |
Der Bundeswirtschaftsminister wird in § 4 IngG ermächtigt, durch Rechtsverordnung für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eine abweichende Regelung zu treffen, soweit dies zur Durchführung der Richtlinien der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft erforderlich ist. Nach § 5 IngG bestimmen die Landesregierungen die für die Durchführung des Gesetzes zuständigen Behörden; § 6 IngG stellt der Berufsbezeichnung "Ingenieur" alle Berufsbezeichnungen gleich, die das Wort "Ingenieur" in Wortverbindungen enthalten in § 7 IngG wird bestimmt, daß besondere Rechtsvorschriften über das Führen der Berufsbezeichnung "Ingenieur" unberührt bleiben. Nach § 8 IngG werden Verstöße gegen das Gesetz als Ordnungswidrigkeiten mit einer Geldbuße geahndet.
| |
II.
| |
Die Beschwerdeführer haben die private, von einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung getragene "Ingenieurschule für Wirtschaft und Betriebstechnik" in Neunkirchen/Saar, und zwar den als Ergänzungsschule geführten Zweig, besucht. Im Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde (28. Februar 1966) standen sie im 5. Studiensemester. Sie haben nach Ablauf des 6. Semesters im Sommer 1966 eine Prüfung abgelegt und sind seither in der Wirtschaft berufstätig.
| |
Da die von den Beschwerdeführern besuchte Schule nicht staatlich anerkannt ist, dürfen sie, solange sie in der Wirtschaft berufstätig sind, nach § 1 IngG die Berufsbezeichnung "Ingenieur" nicht führen. Sie fühlen sich hierdurch in ihren Grundrechten, insbesondere aus Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 14 GG verletzt und halten das Ingenieurgesetz für verfassungswidrig. Sie begründen die Verfassungsbeschwerde wie folgt:
| |
1. Das Ingenieurgesetz, das sie unmittelbar betreffe, ohne daß es eines weiteren Vollziehungsakts bedürfe, sei nichtig, weil dem Bund die Gesetzgebungszuständigkeit fehle. Insbesondere könne eine Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers nicht aus Art. 74 Nr. 11 GG ("Recht der Wirtschaft") hergeleitet werden, da das Ingenieurgesetz das Recht der Wirtschaft nur am Rand berühre. Der Schwerpunkt des Gesetzes liege auf kulturpolitischem Gebiet. Es enthalte - ebenso wie das als Landesrecht fortgeltende Gesetz über die Führung akademischer Grade - lediglich Regelungen über einen Titel sowie mittelbar Bestimmungen über das Ingenieurschulwesen. Das Gesetz lege erstmals das Erfordernis einer staatlich anerkannten Abschlußprüfung für Ingenieure fest und mache dadurch ein Studium an einer nicht staatlich anerkannten privaten Ingenieurschule praktisch unmöglich. Der schulrechtliche Charakter des Ingenieurgesetzes komme in § 3 IngG besonders deutlich zum Ausdruck, der die Anerkennung ausländischer Zeugnisse betreffe. Dies sei der typische Inhalt einer schulrechtlichen Regelung, für die allein die Länder zuständig seien.
| |
2. Auch Art. 12 Abs. 1 GG sei verletzt. Das Gesetz schränke die freie Wahl des Berufes und der Ausbildungsstätte ein, ohne daß hierfür ein rechtfertigender Grund vorliege. Zur Abwendung von Gefahren sei der Schutz der Berufsbezeichnung unnötig und ungeeignet, da die Tätigkeit des Ingenieurs als solche vom Gesetz nicht geregelt werde. Zum Zweck der Angleichung an einen internationalen Status sei die Regelung nicht erforderlich gewesen, da die deutsche Ingenieurausbildung schon bisher derjenigen in anderen Industrieländern mindestens gleichwertig gewesen sei. Die dem Gesetz zugrunde liegende standespolitische Zielsetzung reiche als Rechtfertigungsgrund nicht aus.
| |
3. Dem Außenseiterproblem sei das Gesetz nicht gerecht geworden. Diesem Personenkreis bleibe nur der Weg, sich der sogenannten Fremdenprüfung als Externer an einer staatlichen Anstalt zu unterziehen. Das sei jedoch schon aus psychologischen Gründen keine zumutbare Lösung. Das Gesetz verstoße gegen den Gleichheitssatz, weil es nur für die Absolventen ausländischer Schulen eine Ausnahmeregelung vorsehe, die noch nicht einmal zwingend vom Bestehen einer Prüfung abhängig gemacht werde.
| |
4. Auch das Rechtsstaatsprinzip und Art. 14 GG seien verletzt, weil das Gesetz für den großen Personenkreis der Studierenden an privaten, nicht staatlich anerkannten Ingenieurschulen keine Übergangsregelung getroffen habe. Diese Personen, zu denen auch die Beschwerdeführer gehörten, hätten ihr Studium in der Annahme begonnen, daß sie nach Ablauf der vorgeschriebenen Zeit an ihrer Anstalt die Ingenieurprüfung ablegen könnten und damit zur Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" berechtigt seien. Diese Anwartschaft, zu deren Erlangung die Beschwerdeführer Geld und Arbeitskraft aufgewandt hätten, sei ihnen nun ersatzlos genommen worden.
| |
III.
| |
1. Der Bundesminister für Wirtschaft hält die Verfassungsbeschwerde für unzulässig, weil die Beschwerdeführer durch das angefochtene Gesetz nicht gegenwärtig betroffen seien. Da sie erst nach Abschluß ihres Studiums im Juli 1966 eine berufliche Tätigkeit hätten aufnehmen können, habe das Gesetz sie im Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde noch gar nicht in ihren Grundrechten verletzen können.
| |
a) Die Kompetenz des Bundesgesetzgebers ergebe sich aus Art. 74 Nr. 11 GG. Das Gesetz diene der Klarheit und Wahrheit im geschäftlichen Verkehr und regle damit Modalitäten der Berufsausübung in der Wirtschaft. Jedermann solle darauf vertrauen können, daß ein Geschäftspartner, der sich Ingenieur nenne, eine bestimmte fachliche Vorbildung habe. Daß solche Vorschriften, die die Staatspraxis seit langem kenne, unter Art. 74 Nr. 11 GG fielen, habe das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach anerkannt. Die Tatsache, daß das Ingenieurgesetz aus Zweckmäßigkeitsgründen kein umfassendes Berufsrecht geschaffen habe, sondern nur eine Teilregelung enthalte, ändere nichts an seinem wirtschaftsordnenden Charakter. Es knüpfe zwar an Tatsachen an, die im Schulrecht ihre Wurzel hätten, werde jedoch dadurch nicht zu einer Norm des Schulrechts. Es regle auch nicht etwa die Führung eines Titels, was schon daraus hervorgehe, daß es für den Bereich außerhalb der Wirtschaft, zum Beispiel im öffentlichen Dienst, nicht gelte und auch die Führung der Bezeichnung "Ingenieur" im privaten Bereich nicht verbiete.
| |
b) Art. 12 Abs. 1 GG sei nicht verletzt. Der § 1 IngG enthalte, indem er anderen als den dort bezeichneten Personen die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" verbietet, nichts anderes als eine Einschränkung der Werbemöglichkeiten. Dies stelle eine Berufsausübungsregelung dar. Sie sei zulässig, weil sie aus vernünftigen Erwägungen des Gemeinwohls (Vertrauensschutz, Verhinderung von Mißbrauch, Förderung des Berufsstandes, Angleichung im EWG-Bereich) zweckmäßig sei und niemand übermäßig belaste. Die freie Wahl der Ausbildungsstätte werde durch das Gesetz nicht beeinträchtigt. Das Gesetz enthalte auch keine Bevorzugung von Absolventen ausländischer Schulen, da es Gleichwertigkeit der Zeugnisse verlange.
| |
c) Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet gewesen, auch für Schüler, die ihr Studium vor Inkrafttreten des Gesetzes an einer nicht staatlich anerkannten Ingenieurschule begonnen hatten, eine Übergangsregelung entsprechend § 1 Abs. 1 Nr. 1 IngG zu treffen. Denn das Vertrauen desjenigen, der seine Ausbildung noch nicht beendet habe, darauf, künftig bei seiner beruflichen Tätigkeit in der Wirtschaft die Berufsbezeichnung "Ingenieur" führen zu dürfen, sei nicht schutzwürdig. Ihm sei es zuzumuten, die sogenannten Fremdenprüfung vor einer staatlichen Prüfungskommission abzulegen.
| |
Die Beseitigung der Möglichkeit, nach Ablegung einer Prüfung an einer nicht staatlich anerkannten privaten Schule die Bezeichnung "Ingenieur" zu führen, verstoße auch nicht gegen Art. 14 GG.
| |
2. Die hessische Landesregierung ist der Meinung, daß dem Bundesgesetzgeber zum Erlaß des Ingenieurgesetzes die Kompetenz gefehlt habe. Das Gesetz ordne nicht den Ingenieurberuf, sondern regle nur die Führung einer durch eine bestimmte Ausbildung zu erwerbenden Berufsbezeichnung. Die Gesetzgebungskompetenz hierfür stehe allein den Ländern zu.
| |
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Die Beschwerdeführer sind durch § 1 IngG selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen.
| |
1. Die Beschwerdeführer haben zur Zeit der Erhebung der Verfassungsbeschwerde eine nicht staatlich anerkannte Privatschule besucht. Nach Abschluß ihrer Ausbildung an dieser Schule dürfen sie nach § 1 IngG, sofern sie in der Wirtschaft tätig sind, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" nicht führen. Diese Wirkung tritt ein, ohne daß es eines weiteren Vollzugsaktes der Exekutive bedürfte.
| |
2. Die Beschwerdeführer waren schon im Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde durch das Gesetz gegenwärtig betroffen.
| |
Zwar hatten sie zu diesem Zeitpunkt ihre Ausbildung noch nicht abgeschlossen - sie standen im 5. Semester des sechssemestrigen Studienganges -, und es war deshalb auch noch nicht sicher, ob sie nach Abschluß ihres Studiums überhaupt in der Wirtschaft tätig sein würden. Immerhin waren die Beschwerdeführer vor Aufnahme ihres Studiums an der Ingenieurschule für Wirtschaft und Betriebstechnik in Neunkirchen/Saar als Techniker in der Wirtschaft tätig. Allein die gewählte Schulart deutet darauf hin, daß sie beabsichtigten, nach erfolgreichem Abschluß ihrer Ausbildung zu einer Berufstätigkeit in der Wirtschaft zurückzukehren. Sie erwarteten, daß sie die Berufsbezeichnung "Ingenieur" führen dürften und dadurch bessere berufliche Aufstiegsmöglichkeiten haben würden. Diese Erwartung, die bei Beginn ihres Studiums berechtigt war, ist durch das Inkrafttreten des Ingenieurgesetzes hinfällig geworden. Die bis dahin bestehende Rechtslage hat sich zu ihrem Nachteil entscheidend geändert.
| |
Auch wenn man die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer gegen ein Gesetz gerichteten Verfassungsbeschwerde eng auslegt, ist hier davon auszugehen, daß die Beschwerdeführer schon bei der Erhebung der Verfassungsbeschwerde, vor Abschluß ihrer Ausbildung, durch das angefochtene Gesetz gegenwärtig betroffen waren.
| |
Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet.
| |
I.
| |
Das Ingenieurgesetz bestimmt, daß Personen, die in der Wirtschaft selbständig oder unselbständig berufstätig sind, die bisher nicht geschützte Berufsbezeichnung "Ingenieur" in Zukunft nur führen dürfen, wenn sie entweder
| |
1. das Studium einer überwiegend technisch-naturwissenschaftlichen Fachrichtung an einer deutschen wissenschaftlichen Hochschule mit Erfolg abgeschlossen haben (§ 1 Abs. 1) oder
| |
2. die Abschlußprüfung an einer deutschen staatlichen oder staatlich anerkannten Ingenieurschule oder bis 31. Dezember 1970 die Abschlußprüfung eines Betriebsführerlehrgangs einer deutschen staatlich anerkannten Bergschule abgelegt haben (§ 1 Abs. 1) oder
| |
4. ein Abschlußzeugnis einer ausländischen Hochschule oder einer sonstigen ausländischen Schule über eine Ingenieurausbildung besitzen und von der zuständigen Behörde die Genehmigung zum Führen der Berufsbezeichnung "Ingenieur" erhalten haben (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3) oder
| |
5. ihnen als Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft durch Rechtsverordnung des Bundesministers für Wirtschaft das Führen der Berufsbezeichnung "Ingenieur" oder einer entsprechenden ausländischen Berufsbezeichnung gestattet worden ist (§ 4) oder
| |
6. sie nach besonderen Rechtsvorschriften über das Führen der Berufsbezeichnung "Ingenieur" zum Führen dieser Berufsbezeichnung berechtigt sind (§ 7).
| |
Personen, die außerhalb des Bereichs der Wirtschaft, zum Beispiel im öffentlichen Dienst, tätig sind, dürfen die Berufsbezeichnung "Ingenieur" führen, auch wenn sie nicht zu einer der oben angeführten Gruppen gehören.
| |
II.
| |
1. Das Ingenieurgesetz regelt nicht die Ausübung des Ingenieurberufs, sondern will nur die Berufsbezeichnung "Ingenieur" als "Titel" schützen.
| |
Die Beschränkung dieser Regelung auf "Personen, die in der Wirtschaft, insbesondere in Gewerbebetrieben oder sonstigen wirtschaftlichen Unternehmungen, selbständig oder unselbständig berufstätig sind", geht auf Bedenken zurück, die während des Gesetzgebungsverfahrens im Bundesrat gegen die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes geltend gemacht worden sind. Mit der Beschränkung der Regelung auf diesen Personenkreis glaubte der Gesetzgeber, für die Regelung die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 74 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft) in Anspruch nehmen zu können.
| |
2. Die vom Ingenieurgesetz geregelte Materie gehört nicht zum Recht der Wirtschaft nach Art. 74 Nr. 11 GG.
| |
a) Im Gegensatz zur Reichsverfassung von 1871 und zur Weimarer Verfassung verbietet die Systematik des Grundgesetzes eine extensive Interpretation der Zuständigkeitsvorschriften zugunsten des Bundes. Art. 30 GG geht von dem Primat der Länderzuständigkeit aus. Art. 70 Abs. 1 GG präzisiert diese Regel für den Bereich der Gesetzgebung dahin, daß die Länder das Recht der Gesetzgebung haben, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Hieraus ergibt sich eine allgemeine Schranke für die in Art. 73 bis 75 GG aufgeführten Bundeskompetenzen.
| |
b) Unter "Recht der Wirtschaft" im Sinne von Art. 74 Nr. 11 GG sind alle das wirtschaftliche Leben und die wirtschaftliche Betätigung als solche regelnden Normen zu begreifen und vor allem diejenigen Vorschriften dazuzurechnen, die sich in irgendeiner Form auf die Erzeugung, Herstellung und Verteilung von Gütern des wirtschaftlichen Bedarfs beziehen (BVerfGE 8, 143 [148 f.]).
| |
aa) Zum Recht der Wirtschaft gehören zunächst Bestimmungen über den wirtschaftlichen Wettbewerb und den Verbraucherschutz. Hierauf stellt der Bundesminister für Wirtschaft mit seinem Hinweis ab, das Ingenieurgesetz diene der Klarheit und Wahrheit im geschäftlichen Verkehr; jedermann solle darauf vertrauen können, daß sein Geschäftspartner, der sich Ingenieur nenne, eine bestimmte fachliche Vorbildung habe.
| |
Das Ingenieurgesetz kann aber weder verhindern, daß nichtqualifizierte Kräfte beim Angebot von Ingenieurleistungen mit qualifizierten weiterhin in Wettbewerb treten, noch kann es bewirken, daß der Verbraucher darauf vertrauen kann, daß sein Geschäftspartner, der sich Ingenieur nennt, eine bestimmte fachliche Vorbildung hat. Schon die Besitzstandswahrungsklausel des § 1 Abs. 1 Nr. 1 IngG schließt eine solche Wirkung aus. Denn sie hat zur Folge, daß noch auf Jahrzehnte hinaus Personen, die nicht die in § 1 Abs. 1 IngG vorgeschriebene Ausbildung haben, die Berufsbezeichnung "Ingenieur" führen dürfen. Sie brauchen nur vor Verkündung des Gesetzes bereits eine Tätigkeit unter dieser Berufsbezeichnung ausgeübt zu haben und die Absicht, die Berufsbezeichnung weiterzuführen, der zuständigen Behörde innerhalb einer Ausschlußfrist von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes angezeigt zu haben. In der amtlichen Begründung zu dem Entwurf eines Gesetzes betreffend Änderung des Ingenieurgesetzes (BTDrucks. V/4053), das die Frist des § 1 Abs. 1 Nr. 1 von zwei auf fünf Jahre verlängern soll, wird mitgeteilt, daß innerhalb der bisherigen Zweijahresfrist 110 000 Anzeigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 IngG bei den zuständigen Stellen eingegangen seien.
| |
Hiervon abgesehen bestimmt das Ingenieurgesetz nirgends, was als Ingenieurleistung angesehen werden soll. Es verbietet auch nicht das Anbieten und die Ausführung von Ingenieurleistungen durch nicht genügend qualifizierte Personen.
| |
bb) Die Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes nach Art. 74 Nr. 11 GG erstreckt sich auch darauf, Berufe "in der Wirtschaft" rechtlich zu ordnen und ihre Berufsbilder rechtlich zu fixieren. In diesem Rahmen kann der Gesetzgeber sowohl den Inhalt der beruflichen Tätigkeit wie auch die Voraussetzungen für die Berufsausübung (Ausbildung, Prüfungen) normieren (z. B. Gesetz zur Ordnung des Handwerks - Handwerksordnung - i.d.F. vom 28. 12. 1965, BGBl. 1966 I S. 2; Gesetz über eine Berufsordnung der Wirtschaftsprüfer - Wirtschaftsprüferordnung - vom 24. 7. 1961, BGBl. I S. 1049; vgl. hierzu auch BVerfGE 13, 97 [106]; 21, 173 [180]).
| |
Diesen berufsordnenden Gesetzen ist gemeinsam, daß sie bestimmen, worin die berufliche Tätigkeit besteht und welches die Voraussetzungen für ihre Ausübung sind, und daß sie im Zusammenhang damit das Recht zur Führung der jeweiligen Berufsbezeichnung regeln (vgl. § 18 Wirtschaftsprüferordnung, § 51 Handwerksordnung). Dabei knüpfen sie an Tatbestände des Berufsausbildungsrechts an. Hätte der Gesetzgeber den Beruf des Ingenieurs in umfassender Weise geordnet, so könnte er dafür die Kompetenz aus Art. 74 Nr. 11 GG in Anspruch nehmen. Eine solche Regelung enthält das Ingenieurgesetz aber gerade nicht. Es normiert lediglich das Führen der Berufsbezeichnung "Ingenieur", legt aber weder fest, was der Inhalt der beruflichen Tätigkeit des Ingenieurs ist, noch läßt es Ansätze für die Bestimmung eines Berufsbildes "Ingenieur" erkennen.
| |
c) Der Bundesminister für Wirtschaft ist der Meinung, der Umstand, daß das Ingenieurgesetz anders als die Handwerksordnung oder die Wirtschaftsprüferordnung kein umfassendes Berufsrecht schaffe, sondern sich darauf beschränke, Voraussetzungen für die Führung der Berufsbezeichnung aufzustellen, rechtfertige keine abweichende Beurteilung. Vorschriften über die Führung der Berufsbezeichnung "Ingenieur" behielten ihren eindeutig wirtschaftsordnenden Charakter auch dann, wenn der Gesetzgeber aus Zweckmäßigkeitserwägungen auf eine weitere Ausgestaltung des Berufsrechts verzichte.
| |
Wie oben ausgeführt hat aber die bloße Regelung der Befugnis zum Führen der Berufsbezeichnung "Ingenieur" für sich allein keinerlei Bezug zum Recht der Wirtschaft. Dieser Bezug wird auch nicht dadurch hergestellt, daß die Kompetenz zu einer berufsordnenden Gesamtregelung - wenn eine solche erfolgt wäre - auch die Kompetenz zur Regelung der Führung der Berufsbezeichnung einschließen würde.
| |
3. Eine Bundeskompetenz zum Erlaß des Ingenieurgesetzes besteht auch nicht kraft Sachzusammenhangs. Ein solcher könnte eine Zuständigkeit des Bundes nur dann stützen, wenn eine dem Bund ausdrücklich zugewiesene Materie verständigerweise nicht geregelt werden könnte, ohne daß zugleich eine nicht ausdrücklich zugewiesene Materie mitgeregelt würde, wenn also ein Übergreifen in eine nicht ausdrücklich zugewiesene Materie die unerläßliche Voraussetzung wäre für die Regelung einer der Bundesgesetzgebung zugewiesenen Materie (BVerfGE 3, 407 [421]).
| |
4. Auch eine Bundeskompetenz aus der Natur der Sache scheidet aus. Die Erwägung, eine bundesrechtliche und daher einheitliche Regelung für das Führen der Berufsbezeichnung "Ingenieur" sei zweckmäßig, reicht für die Annahme einer solchen Kompetenz nicht aus (vgl. BVerfGE 11, 6 [18]). Das Bundesverfassungsgericht hat im Anschluß an Anschütz, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Band I, S. 367, eine Kompetenz aus der Natur der Sache nur dann angenommen, wenn gewisse Sachgebiete, weil sie ihrer Natur nach eine eigenste, der partikularen Gesetzgebungszuständigkeit a priori entrückte Angelegenheit des Bundes darstellen, vom Bund und nur von ihm geregelt werden können (BVerfGE 3, 407 [421, 427 f.]; 11, 89 [98]; 12, 205 [242]; 15, 1 [24]; 22, 180 [217]).
| |
Eine solche Angelegenheit liegt hier nicht vor.
| |
Der Schutz der Berufsbezeichnung "Ingenieur" muß, soweit er notwendig ist, keineswegs durch Bundesgesetz erfolgen. Eine einheitliche Regelung durch inhaltlich übereinstimmende Ländergesetze ist durchaus denkbar und praktikabel.
| |
5. Schließlich kann das Ingenieurgesetz auch nicht unter die Bundeskompetenz aus Art. 74 Nr. 1 GG (Strafrecht) fallen.
| |
Zwar bestimmt § 8 IngG, daß ordnungswidrig handelt, wer ohne nach §§ 1, 3 oder nach einer auf Grund des § 4 erlassenen Rechtsverordnung hierzu berechtigt zu sein oder entgegen einer vollziehbaren Verfügung nach § 2 die Berufsbezeichnung "Ingenieur" führt; die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße geahndet werden. Diese Sanktion dient aber nur der Durchsetzung des in §§ 1 ff. normierten Verbots. Es handelt sich um eine sogenannte unselbständige Strafrechtsnorm. Wie oben ausgeführt, fehlt dem Bund die Gesetzgebungskompetenz zu der Regelung, deren Beachtung § 8 IngG durch die Androhung eines Bußgeldes erzwingen will. Das Bundesverfassungsgericht ist zwar der Auffassung, der Erlaß sogenannter unselbständiger Strafrechtsnormen, die dem Schutz außerstrafrechtlicher Regelungen dienten, gehöre wegen des Sachzusammenhangs zur Kompetenz des Gesetzgebers, dem auch die außerstrafrechtliche Regelung zustehe, nicht gefolgt (BVerfGE 23, 113 [125] mit Nachweisen). Es hat ausgeführt, aus dem Grundgesetz könnten dagegen, daß der Bund Landesrecht mit Strafe bewehre, Bedenken nicht hergeleitet werden. Damit ist aber nur gesagt, daß dem Bund aus Art. 74 Nr. 1 GG die Kompetenz zusteht, Zuwiderhandlungen gegen Landesrecht, die er als strafwürdig ansieht, mit Strafe oder Bußgeld zu bedrohen. Dies kann in der Weise geschehen, daß der Bundesgesetzgeber entweder schon bestehende landesrechtliche Vorschriften mit Sanktionen bewehrt oder in Form eines Blankettstrafgesetzes die Zuwiderhandlung gegen eine vom Landesgesetzgeber jeweils zu erlassende Regelung mit Strafe bedroht. Nicht aber kann der Bundesgesetzgeber auf dem Umweg über die Kompetenz "Strafrecht" eine der Länderkompetenz unterliegende Materie selbst sachlich regeln. Dies stünde in Widerspruch zu den Vorschriften der Art. 30, 70 GG.
| |
III.
| |
Da dem Bundesgesetzgeber die Zuständigkeit zum Erlaß der in § 1 IngG vorgesehenen Regelung fehlt, gehört diese Bestimmung nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung. Sie verletzt deshalb das Grundrecht der Beschwerdeführer aus Art. 2 Abs. 1 GG und ist nichtig.
| |
Die gegen Art. 2 Abs. 1 GG verstoßende zentrale Vorschrift des § 1 IngG ist jedoch Teil einer Gesamtregelung, die ihren Sinn und ihre Rechtfertigung verlöre, nähme man diesen Bestandteil heraus. § 1 IngG ist mit den übrigen Bestimmungen des Ingenieurgesetzes so verflochten, daß sie eine untrennbare Einheit bilden, die nicht in ihre Bestandteile zerlegt werden kann. Die Nichtigkeit des § 1 IngG hat demgemäß die Nichtigkeit des ganzen Ingenieurgesetzes zur Folge (BVerfGE 8, 274 [300 f.]; 9, 305 [333]; 22, 134 [152]).
| |
Diese Entscheidung ist zur Frage der Zulässigkeit einstimmig, im übrigen mit 5 gegen 3 Stimmen ergangen.
| |