des Zweiten Senats vom 29. Oktober 1975 gem. § 24 BVerfGG
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-- 2 BvE 1/75 -- | |
in dem Verfahren betreffend den Antrag auf die Feststellung, der Bundesminister des Innern habe dadurch gegen Art. 21 Abs. 1 GG verstoßen, daß er in dem Bericht "Verfassungsschutz '73", veröffentlicht im August 1974, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands - NPD - als eine Partei mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung und Betätigung, als rechtsradikal, als rechtsextrem, als Feindin der Freiheit, als Gefahr für die freiheitliche Grundordnung beschrieben habe, Antragstellerin: Nationaldemokratische Partei Deutschlands -- NPD --, Stuttgart 1, Rötestraße 4, vertreten durch das Parteipräsidium - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Huber, München 2, Sonnenstraße 14 -, Antragsgegner: Der Bundesminister des Innern, Bonn, Rheindorfer Straße 198.
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Entscheidungsformel: | |
Der Antrag wird verworfen.
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Gründe: | |
A. -- I. | |
Das Bundesinnenministerium gibt seit einigen Jahren in regelmäßigen zeitlichen Abständen sogenannte Verfassungsschutzberichte zur Information der Öffentlichkeit heraus.
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1. Der Bericht "Verfassungsschutz '73 " ist in Form einer Broschüre im August 1974 als Nr. 21 der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesinnenministeriums erschienen. Er gliedert sich in die vier Hauptteile "Rechtsradikale Bestrebungen 1973" (Seite 11 bis 38), "Linksradikale Bestrebungen im Jahre 1973" (Seite 39 bis 97), "Spionageabwehr 1973" (Seite 98 bis 111) und "Sicherheitsgefährdende Bestrebungen von Ausländern 1973" (Seite 112 bis 150). Berichtszeitraum ist jeweils das Jahr 1973. In jedem der Hauptteile enthält der Bericht in erster Linie Zahlenmaterial über die Mitglieder- und Sympathisantenentwicklung der verschiedenen Gruppen und ihrer Gliederungen, über die Publikationsorgane und deren Auflagen und Aufmachung, ferner Angaben über Strategie und Taktik der Gruppen sowie Zahlenmaterial über verübte Gewalttaten und deren Aufklärung und Aburteilung. Daran schließt sich jeweils eine kurze Beurteilung der Sicherheitslage an.
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In dem vom Bundesminister des Innern, Prof. Dr. Maihofer, unterzeichneten Vorwort des Berichts heißt es unter anderem:
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Wie in den Vorjahren gibt auch in diesem Jahr der Verfassungsschutzbericht ein klares Bild von der Lage auf dem Gebiet der inneren Sicherheit. Die nüchternen, durch Zahlenangaben und Belegstellen gestützten Feststellungen des Berichtes verhindern eine Überzeichnung der Gefahren, die vom politischen Radikalismus, besser gesagt: Extremismus, oder von anderen politisch motivierten Störungen der öffentlichen Sicherheit ausgehen. Sie verhindern aber auch jede Verharmlosung tatsächlich feststellbarer Gefährdungen.
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Der Bericht enthält u. a. folgende Aussagen:
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Der Rechtsextremismus bedeutet derzeit keine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung. Im Bereich des Linksextremismus sind Mitgliederzugänge zu verzeichnen ... Der Verfassungsschutz ist in einer freiheitlich rechtsstaatlichen Demokratie wie der unseren, die selbst der verfassungsfeindlichen politischen Betätigung einen äußersten Freiheitsspielraum läßt, die notwendige Kehrseite einer solchen liberalen Demokratie. Denn hier gibt es um der Selbstverteidigung dieser freiheitlichen Demokratie willen gegen alle Feinde der Freiheit nur die politische Alternative: alle verfassungsfeindlichen Bestrebungen, die gegen Bestand und Ordnung dieser freiheitlich rechtsstaatlichen Demokratie gerichtet sind, schon im Ansatz zu verbieten. Oder aber, und dies ist die Grundentscheidung unserer Verfassung: solche verfassungsfeindlichen Betätigungen solange unverboten zuzulassen, wie sie nicht den staatlichen Bestand und die freiheitliche Ordnung gefährden. Um die Überschreitung dieser Linie feststellen zu können, von der an verfassungsfeindliche Betätigungen zu einer Gefahr für unsere freiheitlich demokratische Grundordnung werden, der nicht mehr mit politischen Mitteln, sondern nurmehr mit juristischen Mitteln begegnet werden kann, muß man dieses Vorfeld notwendig beobachten. Unser Verfassungsschutz ist so der Preis, den wir zahlen für die innere Sicherheit in einem Staat der äußersten Freiheit, auch und gerade der politischen Betätigung, bis hin zur politischen Betätigung selbst der Ausländer. ... | |
2. Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) wird in dem Bericht als Erscheinung des "organisierten Rechtsradikalismus" bezeichnet und gewürdigt (Seite 11 ff., Darstellung der Mitgliederbewegung und der Publikationsorgane), und zwar als eine der Repräsentanten der sogenannten "Alten Rechten" (Seite 20 ff.). Als Belege für den nach Auffassung des Berichts rechtsradikalen Charakter der NPD werden unter anderem das Düsseldorfer Programm der NPD -- Neufassung 1973 -- und programmatische Schriften des stellvertretenden Parteivorsitzenden Prof. Anrich herangezogen und auszugsweise zitiert. Ferner wird auf die "publizistische Polemik" des Parteiorgans der NPD, der "Deutschen Nachrichten" (DN), Bezug genommen, insbesondere durch Anführung von Zitaten, die sich mit der Ostpolitik der Regierung Brandt/Scheel befaßt haben.
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II.
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Mit der am 13. Januar 1975 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Organklage wendet sich die NPD gegen den Bericht "Verfassungsschutz '73". Sie beantragt,
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festzustellen, der Bundesminister des Innern habe dadurch gegen Art. 21 Abs. 1 GG verstoßen, daß er in dem Bericht "Verfassungsschutz '73" die NPD als eine Partei mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung und Betätigung, als rechtsradikal, als rechtsextrem, als Feindin der Freiheit, als Gefahr für die freiheitliche Grundordnung beschrieben habe.
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Zur Begründung führt sie aus, durch die genannten Qualifizierungen, die sämtlich rechtlich, politisch und in der Sache falsch seien, werde unmittelbar in ihre Rechte aus Art. 21 Abs. 1 GG eingegriffen. Durch die "Abstempelung" als Feindin der freiheitlichen Grundordnung solle ihr das Recht auf ungehinderte Mitwirkung bei der Staats Willensbildung bestritten werden.
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Aus dem Düsseldorfer Programm ergebe sich, daß die NPD nicht nur nicht verfassungsfeindlich sei, sondern in besonderem Maße für die freiheitliche Grundordnung eintrete. Es stelle eine Beeinträchtigung ihrer Rechte dar, wenn sie mit den "alleinigen Verfassungsfeinden des Berichts, nämlich den Kommunisten und Anarchisten aller Schattierungen", "in einen Topf geworfen werde. Die "Einseitigkeit der Darstellungen" zeige sich auch darin, daß "die große Zahl gesellschaftsverändernder gegen die freiheitliche Grundordnung gerichteter Aktivitäten insbesondere aus den Reihen der Bonner Regierungsparteien" verschwiegen würden. Der Bericht erweise sich als "einseitige Diffamierungsschrift der Regierenden gegen die nationale Opposition", sei eine "ungeheuerliche ungesetzliche Schmähschrift", sei selbst ein Angriff gegen die Prinzipien der freiheitlichen Grundordnung. Das "legale Handeln" der verfassungstreuen nationalen Vereinigungen und der nationalen Publizistik solle "offenbar aus sozialistischer Intoleranz verfassungswidrig streitig" gemacht werden. Der Bericht zitiere aus den herangezogenen Quellen nur bruchstückhaft; schon aus ihnen ergebe sich aber die Verfassungstreue der NPD.
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Die Frage, ob der Antrag zulässig ist, kann im summarischen Verfahren nach § 24 BVerfGG dahingestellt bleiben; denn der Antrag ist jedenfalls offensichtlich unbegründet.
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Die Antragstellerin wird durch die in dem Antrag beanstandeten Äußerungen des Bundesministers des Innern weder in ihren Rechten aus Art. 21 Abs. 1 GG verletzt noch unmittelbar gefährdet.
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1. Der Umfang der Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht wird im Verfahren der Organklage durch den -- frist- und formgerechten -- Antrag des Antragstellers bestimmt (vgl. BVerfGE 24, 252 [257 f.]). Dieser begrenzt den Streitgegenstand. Zu prüfen sind mithin im vorliegenden Verfahren die im Antragstenor beanstandeten Äußerungen des Bundesministers des Innern.
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In dem Bericht "Verfassungsschutz '73" wird die NPD zwar nicht direkt als "Feindin der Freiheit", als "Gefahr für die freiheitliche Grundordnung" und als "rechtsextrem" bezeichnet. Indessen ergibt der Gesamtzusammenhang des Berichts und seines Vorworts, daß diese Kennzeichnungen auch auf sie gemünzt sind.
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2. Die verbindliche Feststellung, daß eine Partei verfassungswidrig ist, kann nach Art. 21 Abs. 2 Satz 2 GG nur das Bundesverfassungsgericht indem dafür vorgesehenen Verfahren (§§ 43 ff. BVerfGG) treffen. Das Entscheidungsmonopol des Gerichts schließt ein administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin aus, mag sie sich gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung noch so feindlich verhalten (BVerfGE 5, 85 [140]; vgl. ferner BVerfGE 17, 155 [166]). Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann deshalb niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen (BVerfGE 12, 296 [304]); das heißt, gegen die Partei, ihre Funktionäre, Mitglieder und Anhänger dürfen wegen ihrer mit allgemein erlaubten Mitteln arbeitenden parteioffiziellen Tätigkeiten keine rechtlichen Sanktionen angedroht oder verhängt werden. An dieser Bestands- und Schutzgarantie ("Parteienprivileg") des Grundgesetzes hat auch die NPD vollen Anteil.
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3. Der Antrag auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, ob eine Partei verfassungswidrig ist (Art. 21 Abs. 2 GG), kann vom Bundestag, dem Bundesrat oder von der Bundesregierung gestellt werden (§ 43 Abs. 1 BVerfGG). Eine Landesregierung kann den Antrag nur gegen eine Partei stellen, deren Organisation sich auf das Gebiet ihres Landes beschränkt (§ 43 Abs. 2 BVerfGG). Diese Verfassungsorgane haben nach pflichtgemäßem Ermessen, für das allein sie politisch verantwortlich sind, zu prüfen und zu entscheiden, ob sie den Antrag stellen wollen (BVerfGE 5, 85 [113]) oder ob die Auseinandersetzung mit einer von ihnen für verfassungswidrig gehaltenen Partei im politischen Felde geführt werden soll. Unbeschadet dessen, daß sich die Bundesrepublik Deutschland als streitbare Demokratie versteht und kraft ihrer Verfassung auch verstehen muß (BVerfGE 5, 85 [139]; 25, 88 [100]; 28, 36 [48]), bleibt sie doch primär auf die freie, selbstbestimmte (Art. 1 Abs. 1 GG) Integration aller politischen Meinungen und Kräfte im Rahmen und durch die Grundwerte der Verfassung angelegt. Es ist daher verfassungsrechtlich legitim, wenn die mit dem Recht zum Verbotsantrag ausgestatteten obersten Verfassungsorgane, statt von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, zunächst versuchen, eine Partei, die sie für verfassungswidrig im Sinne von Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG halten, durch eine mit Argumenten geführte politische Auseinandersetzung in die Schranken verweisen zu lassen und dadurch ein Verbotsverfahren überflüssig zu machen. Auch damit erfüllen sie in aller Regel ihren Auftrag, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu wahren und zu verteidigen.
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4. Der Bundesminister des Innern stellt schon im Vorwort klar, daß der Bericht von der Absicht der Bundesregierung getragen ist, die Auseinandersetzung mit der Antragstellerin als politischer Partei mit politischen und nicht mit juristischen Mitteln zu führen. Die Auseinandersetzung soll also im freien Wettbewerb um die Stimmen der Wähler ausgetragen werden. Damit wird der NPD die Funktion, die auch sie im Parteienstaat des Grundgesetzes hat, und um deretwillen die politischen Parteien in den Rang einer verfassungsrechtlichen Institution erhoben (vgl. BVerfGE 20, 56 [100, 108]; 24, 260 [264]) und mit der Bestands- und Schutzgarantie des Art. 21 GG ausgestattet worden sind, nicht bestritten. Im Gegenteil, die Herausforderung der NPD, "nationale Opposition" zu sein, wird politisch angenommen. Das Recht und die faktische Möglichkeit, sich wie jede andere Partei zur Wahl zu stellen, bleiben unberührt. Nicht in Frage gestellt wird auch ihr Recht, zwischen und unabhängig von den jeweiligen Wahlen sich dem Bürger so darzustellen (vgl. BVerfGE 24, 300 [348]), wie es ihrem Selbstverständnis entspricht.
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Bei dieser Sachlage kann hier von einer Verletzung oder Gefährdung des der Antragstellerin durch Art. 21 GG verliehenen Status nicht die Rede sein. Der im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesinnenministeriums publizierte Bericht "Verfassungsschutz '73" stellt weder ein administratives "Einschreiten" gegen die NPD dar, noch wird durch die Veröffentlichung dieses Berichts eine Verfassungswidrigkeit der NPD rechtlich geltend gemacht. Bei den von der Antragstellerin beanstandeten Äußerungen des Berichts, die NPD sei "eine Partei mit verfassungsfeindlicher Zielsetzung und Betätigung", sei "rechtsradikal, rechtsextrem, eine Feindin der Freiheit und eine Gefahr für die freiheitliche Grundordnung", handelt es sich vielmehr um Werturteile, die der Bundesminister des Innern in Erfüllung seiner verfassungsrechtlichen Pflicht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu schützen, und im Rahmen seiner daraus fließenden Zuständigkeit für die Beobachtung verfassungsfeindlicher Gruppen und Aktivitäten abgegeben hat. An diese Werturteile sind keinerlei rechtliche Auswirkungen geknüpft. Soweit daraus für eine Partei faktische Nachteile entstehen, ist sie dagegen nicht durch Art. 21 GG geschützt (BVerfGE 39, 334 [360]).
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Dies bedeutet indessen nicht, daß der Befugnis der Staatsorgane, negative Werturteile über Ziele und Betätigung nicht verbotener politischer Parteien kundzutun, keinerlei verfassungsrechtliche Schranken gesetzt wären. Das Recht solcher politischer Parteien auf Chancengleichheit als ein wesentlicher Bestandteil der demokratischen Grundordnung verbietet vielmehr jede staatliche Maßnahme, die den Anspruch der Partei auf die Gleichheit ihrer Wettbewerbschancen willkürlich beeinträchtigt. Danach wäre es der Regierung untersagt, eine nicht verbotene politische Partei in der Öffentlichkeit nachhaltig verfassungswidriger Zielsetzung und Betätigung zu verdächtigen, wenn diese Maßnahme bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich wäre und sich daher der Schluß aufdrängte, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruhte. Das ist hier indessen nicht der Fall. Vielmehr erschöpfen sich die vom Bundesminister des Innern abgegebenen Werturteile -- auch soweit sie zum Zwecke, die Öffentlichkeit über die Lagebeurteilung des Bundesinnenministeriums zu informieren (vgl. dazu BVerfGE 20, 56 [100]), allgemein zugänglich gemacht worden sind -- in sachlich gehaltenen Meinungsäußerungen. Als solche sind sie verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 13, 123 [125 f.]). Sie müssen von der Antragstellerin, die auch ihrerseits in der Abgabe von Werturteilen nicht gerade zurückhaltend ist, als Teil der ständigen geistigen Auseinandersetzung, die für die freiheitliche demokratische Staatsordnung schlechthin konstituierend ist, hingenommen werden.
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