BVerfGE 69, 174 - Getränkesteuer | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: A. Tschentscher, Marcel Schröer | |||
Beschluß |
des Zweiten Senats vom 26. Februar 1985 |
-- 2 BvL 14/84 -- |
in dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung, ob § 1 des Hamburgischen Gesetzes über die Erhebung einer Getränkesteuer (Art. 4 des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur der Freien und Hansestadt Hamburg vom 22. Dezember 1983 - GVBl. S. 343 -) insoweit gegen Artikel 105 Abs. 2 a des Grundgesetzes verstößt, als die entgeltliche Abgabe von Bier zum Verzehr an Ort und Stelle einer Getränkesteuer unterworfen wird, - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Finanzgerichts Hamburg vom 16. Mai 1984 (IV 14/84 H) -. |
Entscheidungsformel: |
Gründe: | |
A. | |
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob § 1 des Hamburgischen Gesetzes über die Erhebung einer Getränkesteuer (Art. 4 des Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltsstruktur der Freien und Hansestadt Hamburg vom 22. Dezember 1983, GVBl. S. 343) insoweit gegen Art. 105 Abs. 2 a GG verstößt, als die entgeltliche Abgabe von Bier zum Verzehr an Ort und Stelle einer Getränkesteuer unterworfen wird.
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I. | |
Steuergegenstand, Steuerschuldner, Steuersatz und Entstehung des Steueranspruchs werden in folgenden Vorschriften des Gesetzes über die Erhebung einer Getränkesteuer geregelt:
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§ 1 Steuergegenstand | 3 |
Die entgeltliche Abgabe von Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle unterliegt einer Steuer nach den Vorschriften dieses Gesetzes.
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§ 3 Steuerschuldner | 5 |
Steuerschuldner ist, wer Getränke gemäß § 1 abgibt.
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§ 4 Steuersatz | 7 |
Die Steuer beträgt 10 vom Hundert des Preises, der dem Verbraucher für das Getränk ausschließlich der Getränkesteuer berechnet wird.
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§ 5 Entstehung des Steueranspruchs | 9 |
Der Steueranspruch entsteht mit der Abgabe der Getränke.
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II. | |
1. Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist Inhaber eines Restaurants, in dem die üblichen Getränke, u.a. Bier, ausgeschenkt werden. Mit der Steueranmeldung vom 31. Januar 1984 meldete er eine Steuer in Höhe von 638,70 DM an. Gegen die Steueranmeldung erhob der Kläger am 1. Februar 1984 Klage.
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2. Nach Ansicht des Klägers verstößt die Getränkesteuer gegen Art. 105 Abs. 2 a GG. Der Freien und Hansestadt Hamburg stehe das Gesetzgebungsrecht für die Getränkesteuer nicht zu. Sie sei mit der Umsatzsteuer gleichartig, weil sie an die entgeltliche Lieferung einer Ware anknüpfe. Anders als bei den herkömmlichen Getränkesteuern würden nicht einzelne Arten von Getränken, sondern die Gattung Getränke besteuert; Milch und Bier seien früher nicht besteuert worden; das Bedienungsgeld sei nicht in die Besteuerungsgrundlage einbezogen worden.
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Das beklagte Finanzamt sieht das Gesetzgebungsrecht der Freien und Hansestadt Hamburg für die Getränkesteuer als gegeben an. Nach seiner Ansicht handelt es sich um eine herkömmliche Getränkesteuer, für die den Ländern die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz verblieben sei. Daran ändere auch die Tatsache nichts, daß Milch und Bier sowie das Bedienungsgeld in die Steuer einbezogen worden seien.
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3. Das Finanzgericht Hamburg hat das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 1 des Hamburgischen Gesetzes über die Erhebung einer Getränkesteuer insoweit gegen Art. 105 Abs. 2 a GG verstößt, als die entgeltliche Abgabe von Bier zum Verzehr an Ort und Stelle einer Getränkesteuer unterworfen wird.
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Zur Begründung der Vorlage hat das Gericht im wesentlichen ausgeführt:
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a) Die Vorlagefrage sei entscheidungserheblich. Die Klage sei abzuweisen, wenn das Hamburgische Getränkesteuergesetz gültig sei. Sei das Gesetz in dem in der Vorlagefrage bezeichneten Umfang ungültig, dann sei der Klage teilweise stattzugeben. Das Getränkesteuergesetz verstoße nicht bereits gegen vorrangiges Recht der Europäischen Gemeinschaften. Jedenfalls neige der Senat zu der Ansicht, daß örtliche Getränkesteuern den Harmonisierungsbestimmungen der Europäischen Gemeinschaften im Bereich der Umsatzsteuer nicht entgegenständen. Selbst wenn dies aber der Fall sein sollte, bleibe die Vorlagefrage entscheidungserheblich. Denn die Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes durch das Bundesverfassungsgericht habe weiterreichende Folgen als der Ausspruch der Fachgerichte, daß Gesetze wegen eines Verstoßes gegen vorrangiges Gemeinschaftsrecht unanwendbar seien.
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b) Die Verfassungswidrigkeit des Hamburgischen Gesetzes über die Erhebung einer Getränkesteuer in dem in der Vorlagefrage bezeichneten Umfang ergebe sich aus folgenden Erwägungen:
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(1) Art. 105 Abs. 2 a GG sei dahin auszulegen, daß die Länder die Gesetzgebungsbefugnis für örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern herkömmlicher Art, d. h. für im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Finanzreformgesetzes vom 12. Mai 1969 (BGBl. I S. 359) vorhandene örtliche Verbrauch- und Aufwandsteuern, hätten. Dies ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift: Diese habe den bis dahin bestehenden kompetenzrechtlichen Zustand (Art. 105 Abs. 2 Nr. 1 GG a.F.) aufrechterhalten wollen, nach welchem die Länder das Gesetzgebungsrecht über Verbrauchsteuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis gehabt hätten, auch wenn sie mit bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig gewesen seien. Der Sinn des Art. 105 Abs. 2 a GG liege darin, das ausschließliche Gesetzgebungsrecht der Länder für Verbrauch- und Aufwandsteuern mit örtlichem Wirkungskreis bei herkömmlichen Steuern solcher Art nicht zu beschränken und nur neue Steuern dem Gleichartigkeitsverbot zu unterwerfen.
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Gleichartigkeit im Sinne des Art. 105 Abs. 2 a GG sei im Sinne des Gleichartigkeitsbegriffes zu verstehen, der zur Kompetenzabgrenzung zwischen Bundes- und Landesgesetzgebung diene. Es könne nicht darauf ankommen, ob nur sehr kleine Teilbereiche von bundesgesetzlich geregelten Steuern, z. B. der Umsatz von bestimmten Waren, erfaßt würden oder ob die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern in ihrer Höhe und Belastungswirkung den Bundesgesetzgeber in seinem Spielraum bei einer bundeseinheitlichen "gleichartigen" Steuer im Sinne der konkurrierenden Gesetzgebungszuständigkeit wesentlich einengen würden. Daraus ergäbe sich kein rechtlich hinreichend klares Abgrenzungskriterium. Die Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden erfordere gerade im Bereich der Finanzverfassung ein festes Schema, das es ausschließe, daß ein Land unter Umgehung der im politischen Willensbildungsprozeß gefundenen Kompromißlösung für sich mehr von der begrenzten Steuerkraft des Bürgers in Anspruch nehme, als ihm nach dem Grundgesetz und den einschlägigen Finanzausgleichsbestimmungen zustehe.
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(2) Die Hamburgische Gemeindegetränkesteuer auf Bier sei eine neue Steuer im Sinne der vorstehenden Ausführungen.
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Vom 1. Januar 1939 bis zum Inkrafttreten des Art. 105 Abs. 2 a GG am 1. Januar 1970 habe es eine Getränkesteuer auf Bier nicht gegeben. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob das Verbot einer Gemeindegetränkesteuer auf Bier aufgrund des Art. IV des Gesetzes zur Änderung des Biersteuergesetzes vom 21. Dezember 1938 bereits mit Inkrafttreten des Grundgesetzes oder erst am 31. Dezember 1968 aufgrund des Gesetzes über den Abschluß der Sammlung des Bundesrechts außer Kraft getreten sei. Entscheidend sei, daß beim Inkrafttreten des Art. 105 Abs. 2 a GG eine über Jahrzehnte bestehende, jedenfalls zeitweise rechtlich abgesicherte Praxis der Ausklammerung von Bier aus der Gemeindegetränkesteuer bestanden habe und für eine Absicht des Gesetzgebers, davon abzuweichen, keine Anhaltspunkte vorlägen.
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Im Hinblick auf die Funktion der finanzverfassungsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes, die finanziellen Basen der Gebietskörperschaften zu sichern und voneinander abzugrenzen, sei der Begriff der neuen Steuer weniger unter formalen Gesichtspunkten als nach dem wirtschaftlichen Gehalt einer Steuer zu bestimmen. Deshalb sei es unerheblich, daß die Hamburgische Getränkesteuer die Gattung Getränke und nicht nur einzelne Arten von Getränken erfasse und auch das Bedienungsgeld in die Steuer einbeziehe. Denn das Aufkommen werde durch die Einbeziehung von Milch und Bedienungsgeld nicht wesentlich erhöht. Dagegen habe die Einbeziehung des Biers in die Steuer erhebliches wirtschaftliches Gewicht. Nach Angaben des Landesverbandes des Gaststätten- und Hotelgewerbes entfielen 68% des Getränkeumsatzes auf Bier, während die Finanzbehörde den Bierumsatz auf ein Drittel bis zur Hälfte des Getränkeumsatzes schätze.
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Die Getränkesteuer auf Bier sei mit der Umsatzsteuer und der Biersteuer gleichartig. Diese drei Steuern schöpften dieselbe Quelle wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit aus. Sie knüpften an die Verwendung des Einkommens an und seien ihrer Art nach auf Abwälzung auf den Endverbraucher angelegt. Gegenstand der Steuer sei dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die sich in der Verwendung des Einkommens zum Kauf von Bier ausdrücke. Die Verwendung des Einkommens zum Erwerb von Bier an einer bestimmten Stelle, nämlich in einer Gaststätte oder an einem Imbißstand, sei dabei kein Moment gesteigerter wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit. Es gebe keine Regel des Inhalts, daß jemand, der sein Bier an Ort und Stelle zu sich nehme, wirtschaftlich leistungsfähiger sei als jemand, der sein Bier zu Hause oder sonstwo außerhalb der von der Getränkesteuer erfaßten Örtlichkeiten trinke.
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Über die Ausschöpfung derselben Quelle wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit bei allen drei Steuerarten hinaus sei zwischen der Getränkesteuer auf Bier und der Umsatzsteuer auch eine Gleichartigkeit in wesentlichen Punkten des steuerbegründenden Tatbestandes gegeben. Beide Steuerarten knüpften an die entgeltliche Lieferung von Waren an. Die Steuer bemesse sich nach einem Vomhundertsatz des Entgelts. Steuerpflichtiger und Steuerträger seien verschiedene Personen.
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III. | |
Zu dem Vorlagebeschluß haben sich der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg und das Bundesverwaltungsgericht geäußert.
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1. Der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg hält die Getränkesteuer für verfassungsgemäß.
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a) Die Getränkesteuer auf die entgeltliche Abgabe von Bier sei keine neuartige, sondern eine herkömmliche Steuer. Die Geschichte der gemeindlichen Besteuerung des örtlichen Verbrauchs von Bier neben der Erhebung einer Biersteuer durch den Gesamtstaat bis zur zentralisierenden "Verreichlichung" durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber zeige, daß die Erhebung einer Steuer auf den örtlichen Verbrauch von Bier -- sei es generell oder beschränkt auf die entgeltliche Abgabe zum Verzehr an Ort und Stelle -- eine herkömmliche Art der Besteuerung durch die Gemeinden darstelle. Die Entscheidung des nationalsozialistischen Gesetzgebers aus dem Jahre 1938, die Besteuerung des Bierkonsums nur noch dem Reich zu gestatten, könne einer klassischen Art der Besteuerung nicht den Charakter der Herkömmlichkeit nehmen.
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b) Selbst wenn es sich jedoch um eine neuartige Steuer handele, sei diese Steuer nicht verfassungswidrig. Die Hamburgische Getränkesteuer sei eine einheitliche Steuer, die grundsätzlich jede entgeltliche Abgabe von Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle steuerpflichtig mache. Sie sei örtlich radizierbar und stelle somit als Ganzes eine herkömmliche örtliche Verbrauchsteuer dar, die nicht gegen das eigenständige Gleichartigkeitsverbot des Art. 105 Abs. 2 a GG verstoße. Es sei nicht sachgerecht, eine solche einheitliche Steuer hinsichtlich ihrer Gleichartigkeit mit bundesgesetzlich geregelten Steuern nach dem jeweils abgegebenen Getränk unterschiedlich zu behandeln. Das hätte die Folge, daß die Besteuerung der Abgabe gewisser Getränke als mit der Umsatzsteuer gleichartig angesehen werden würde, die Besteuerung bestimmter anderer Getränke hingegen nicht.
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Auch wenn man davon ausgehe, daß die Getränkesteuer auf Bier dieselbe Quelle wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ausschöpfe wie die Umsatz- und die Biersteuer, fehle es gleichwohl an einer Gleichartigkeit im Sinne von Art. 105 Abs. 2 a GG. Eine Gleichartigkeit im Sinne dieser Vorschrift sei nur dann gegeben, wenn eine örtliche Steuer dieselbe Quelle wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit nicht nur in einem kleinen Teilbereich, sondern in ganzer Breite oder zumindest weitgehend in Anspruch nehme. Die Getränkesteuer auf Bier erfasse aber nur einen verhältnismäßig sehr kleinen Teilbetrag der von der Umsatz- und der Biersteuer erfaßten Steuergegenstände und habe gegenüber diesen beiden Steuern wirtschaftlich nur ein geringes Gewicht.
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2. a) Das Bundesverwaltungsgericht verweist auf sein Urteil vom 28. Juni 1974, in dem es die traditionelle Getränkesteuer als mit Art. 105 Abs. 2 a GG vereinbar angesehen hat (BVerw- GE 45, 264). Es könne nicht zweifelhaft sein, daß die Getränkesteuer zu den örtlichen Verbrauchsteuern zu rechnen sei, weil ihre Erhebung an die entgeltliche Abgabe von Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle anknüpfe, sie auf Abwälzbarkeit angelegt sei und wirtschaftlich vom Verbraucher getragen werde. Auch soweit die Abgabe von Bier besteuert werde, handele es sich um die Erhebung einer herkömmlichen Steuer. Das gelte selbst dann, wenn im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Finanzreformgesetzes am 1. Januar 1970 oder vor diesem Zeitpunkt eine Gemeindegetränkesteuer auf Bier nicht erhoben worden sein sollte.
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b) Sehe man dagegen die Gemeindegetränkesteuer auf Bier nicht als herkömmliche Steuer, d. h. nicht als eine bei Inkrafttreten des Finanzreformgesetzes üblicherweise bestehende örtliche Verbrauchsteuer an, so dürfte sie gleichartig im Sinne des traditionellen Gleichartigkeitsbegriffs mit der Umsatzsteuer sein. Der Steuergegenstand, nämlich die entgeltliche Abgabe von Bier zum Verzehr an Ort und Stelle, entspreche den von § 1 Abs. 1 UStG besteuerten unternehmerischen "Lieferungen und sonstigen Leistungen". Der Steuermaßstab des Entgelts entspreche der Steuerbemessung nach dem Umsatz (§ 12 Abs. 1 UStG). Beide Steuern hätten im Prinzip dieselben wirtschaftlichen Auswirkungen (Steuersatz: 10 vom Hundert gegenüber 14 vom Hundert).
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Dagegen hat das Bundesverwaltungsgericht Zweifel, ob die Gemeindegetränkesteuer auf Bier als gleichartig auch mit der Biersteuer anzusehen ist. Die Gemeindegetränkesteuer entspreche zwar in mehreren der vorerwähnten Beziehungen der Biersteuer. Das gelte indessen nicht für den Steuergegenstand und den Steuermaßstab. Gegenstand der Biersteuer sei nicht die entgeltliche Abgabe von Bier, sondern dessen Herstellung im Geltungsbereich des Gesetzes oder dessen Einführung in das Erhebungsgebiet (§ 1 BierStG); Steuermaßstab sei nicht das Entgelt, sondern die Biermenge.
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B. -- I. | |
Die Vorlage ist zulässig.
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Das Finanzgericht brauchte nicht den gesamten § 1 des Hamburgischen Getränkesteuergesetzes zur Überprüfung zu stellen, sondern konnte die Vorlagefrage auf den Teil der Vorschrift beschränken, den es für verfassungswidrig hielt. Das Bundesverfassungsgericht hat in ähnlichen Fällen schon mehrfach eine zu weit gehende Vorlagefrage eingeschränkt (vgl. BVerfGE 13, 31 [39]; 14, 42 [50]; 14, 76 [87]).
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Das Finanzgericht geht zu Recht davon aus, daß die Möglichkeit eines Verstoßes des § 1 Getränkesteuergesetz gegen vorrangiges Recht der Europäischen Gemeinschaften einer Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht nicht entgegensteht. Diese Auffassung wird in der Literatur einhellig vertreten (Tomuschat, Die gerichtliche Vorabentscheidung nach den Verträgen über die europäischen Gemeinschaften, Köln/ Berlin 1964, S. 132 ff. m.w.N.). In dem Fall, daß neben einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht auch eine Vorlage an ein Landesverfassungsgericht in Betracht kommt, weil eine Norm nach Auffassung des vorlegenden Gerichts sowohl gegen das Grundgesetz als auch gegen die betreffende Landesverfassung verstößt, hat das Bundesverfassungsgericht es für zulässig erklärt, daß ein Fachgericht sich zunächst an das Bundesverfassungsgericht wendet (BVerfGE 2, 380 [388 f.]; 17, 172 [180]; 55, 207 [224 f.]). Dementsprechend ist eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auch dann zulässig, wenn das Fachgericht zugleich befugt wäre, sich gemäß Art. 177 des EWG-Vertrages an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu wenden. Dieser entscheidet nicht über die Vereinbarkeit einer Norm mit dem Grundgesetz.
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II. | |
§ 1 des Hamburgischen Gesetzes über die Erhebung einer Getränkesteuer ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
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1. Entscheidend für die Beantwortung der Vorlagefrage ist das Verständnis des Gleichartigkeitsbegriffes in Art. 105 Abs. 2 a GG. Das Bundesverfassungsgericht hat bisher offengelassen, wie der Begriff "gleichartig" in Art. 105 Abs. 2 a GG im einzelnen zu definieren ist. Dies wäre erst dann geboten, wenn das Gericht zu prüfen hätte, ob eine von einem Land erfundene neue örtliche Steuer gegen das Gleichartigkeitsverbot verstößt (BVerfGE 40, 56 [64]). Die herkömmlichen örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern gelten jedenfalls als nicht mit bundesrechtlich geregelten Steuern gleichartig im Sinne des Art. 105 Abs. 2 a GG. Zu den herkömmlichen Steuern gehören die bei Inkrafttreten des Finanzreformgesetzes am 1. Januar 1970 üblicherweise bestehenden örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern (BVerfGE 40, 52 [55]). Die traditionelle Gemeindegetränkesteuer, deren Erhebung an die entgeltliche Abgabe von Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle anknüpft, die auf Abwälzbarkeit angelegt ist und wirtschaftlich vom Verbraucher getragen wird, erfüllt diese Voraussetzungen (BVerfGE 44, 216 [226 f.]).
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2. Der vorliegende Fall macht es nicht erforderlich, den Gleichartigkeitsbegriff des Art. 105 Abs. 2 a GG näher zu bestimmen. Bei der Hamburgischen Getränkesteuer handelt es sich auch insoweit um die traditionelle Gemeindegetränkesteuer, als die entgeltliche Abgabe von Bier zum Verzehr an Ort und Stelle einer Getränkesteuer unterworfen wird.
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a) Das Bundesverfassungsgericht hat die traditionelle Gemeindegetränkesteuer generell über die Anknüpfung der Steuererhebung an die entgeltliche Abgabe von Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle definiert, ohne auf die Art der abgegebenen Getränke abzustellen (BVerfGE a.a.O.). Es kann hierbei auch nicht danach differenziert werden, auf welche Getränke diese Steuer erhoben und für welche sie über eine bestimmte Zeit nicht erhoben wurde. Es wäre nicht sachgerecht, eine solche einheitliche, durch den Bezug auf einen Gattungsbegriff definierte Steuer hinsichtlich ihrer Gleichartigkeit mit bundesgesetzlich geregelten Steuern nach dem jeweils abgegebenen Getränk unterschiedlich zu behandeln. Das liefe letztlich darauf hinaus, die Gesetzgebungsbefugnis der Länder aus Art. 105 Abs. 2 a GG nach Getränken statt nach der Steuerart abzugrenzen.
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b) Die Steuerart wird gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der traditionellen Gemeindegetränkesteuer durch folgende drei Merkmale bestimmt: Die Steuererhebung knüpft an die entgeltliche Abgabe von Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle an, sie ist auf Abwälzbarkeit angelegt und wird wirtschaftlich vom Verbraucher getragen (BVerfGE a.a.O.). Diese Merkmale werden von der Hamburgischen Getränkesteuer allesamt erfüllt. Demgemäß ist sie auch insoweit, als sie auf den Verzehr von Bier erhoben wird, den herkömmlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern mit örtlichem Wirkungskreis zuzurechnen, die als nicht gleichartig mit bundesgesetzlich geregelten Steuern im Sinne des Art. 105 Abs. 2 a GG gelten.
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