BVerfGE 81, 298 - Nationalhymne | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Djamila Strößner, Marcel Schröer, A. Tschentscher | |||
1. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG schließt eine Bestrafung nach § 90 a Abs. 1 Nr. 2 StGB wegen Verunglimpfung der Hymne der Bundesrepublik Deutschland nicht generell aus. |
2. Als staatliches Symbol geschützt ist nur die dritte Strophe des Deutschlandliedes. |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 7.März 1990 |
- 1 BvR 1215/87 - |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn B... - Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Rudolf Gerber und Uwe Schreiner, Gartenstraße 13, Roth - gegen den Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 31. August 1987 - Rreg.5 St 153/87 -. |
Entscheidungsformel: |
Der Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 31. August 1987 - RReg.5 St 153/87 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 5 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes. Er verletzt ihn darüber hinaus in seinem Recht aus Artikel 103 Absatz 2 des Grundgesetzes, soweit die Verurteilung die Verunglimpfung der ersten beiden Strophen des Deutschlandliedes betrifft. Der Beschluß wird aufgehoben. Die Sache wird an das Bayerische Oberste Landesgericht zurückverwiesen. |
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten. |
Gründe | |
A. | |
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen seine Bestrafung wegen Verunglimpfung der Hymne der Bundesrepublik Deutschland (§ 90a Abs. 1 Nr. 2 StGB).
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I. | |
Ende August 1986 wurde in dem in Nürnberg erscheinenden Stadtmagazin "plärrer", dessen verantwortlicher Redakteur der Beschwerdeführer war, folgender Text veröffentlicht:
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Deutschlandlied '86 Text: Anonym/Musik: Joseph Haydn Deutschland, Deutschland over allos Auf der Straße liegt das Geld Wenn es gegen Los Krawallos Gnadenlos zusammenhält Von Beethoven bis Bergen Belsen Von Wackersdorf bis Asylantenzelt Deutschland, Deutschland, hyper alles Du schönstes Biotop auf der Welt | 3 |
Deutsche Türken, deutsche Pershings Deutscher Bigmäc, deutscher Punk Sollen in der Welt behalten Ihren alten schönen Klang Deutsche Cola, deutsche Peepshow Deutsche Mark und deutsche Samenbank Solln zu edler Tat begeistern Uns das ganze Leben lang | 4 |
Schleimigkeit und Frust und bleifrei Für das deutsche Tartanland Darauf laßt uns einen heben Vorneweg und hinterhand Schlagstockfrei und Krebs und Gleitcreme Deutschland, wuchert mit dem Pfund Kopulier'n im deutschen Stalle Mutterschaf und Schäferhund | 5 |
Neben diesem Text war ein Artikel unter der Überschrift "Tomayers deutsche Hitparade, heute: Das Deutschlandlied 1986" abgedruckt, in dem satirische Erläuterungen zum Inhalt und zu den Verwendungsmöglichkeiten des Liedes gegeben wurden.
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Aufgrund dieser Veröffentlichung beschlagnahmte das Amtsgericht diese Ausgabe der Zeitschrift. Der Beschwerdefahrer nahm dies zum Anlaß, eine "Presseerklärung" drucken zu lassen, die in Nürnberger Buchhandlungen ausgelegt wurde. Darin schilderte und kommentierte er die Beschlagnahme und den ihr zugrunde liegenden Sachverhalt unter wörtlicher Wiedergabe des Liedes.
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Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen zweier sachlich zusammentreffender Vergehen der Verunglimpfung der Symbole des Staates zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten. Die Berufung des Beschwerdeführers verwarf das Landgericht als unbegründet. Es führte aus: Im "Deutschlandlied '86" würden bewußt und gezielt Worte und Begriffe verwendet, die den Eindruck erwecken sollten, bei der Bundesrepublik Deutschland handele es sich um einen Staat, dessen wesentliche Merkmale brutale Gewaltausübung der Staatsgewalt, Krankheit und primitive Sexualität seien. Das Sammelsurium negativer Begriffe sei kein Zufall, sondern zeige Methode. Eingebaut in den Text der Hymne ließen sie erkennen, daß der Zweck ihrer Verwendung sei, die Hymne der Bundesrepublik Deutschland und damit die Bundesrepublik Deutschland selbst anzugreifen und in den Schmutz zu ziehen. Das Grundrecht der Kunstfreiheit stehe der Bestrafung des Beschwerdeführers nicht entgegen. Nach dem weit gefaßten Kunstbegriff des Bundesverfassungsgerichts müsse davon ausgegangen werden, daß auch das "Deutschlandlied '86" für sich in Anspruch nehmen könne, als Kunst eingestuft zu werden. Freilich unterliege auch die Kunstfreiheit Einschränkungen nach den Grundsätzen der Grundrechtskollision. Als begrenzendes Schutzgut der Verfassung komme hier der Bestand der Bundesrepublik Deutschland und ihrer freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Betracht. Die Kunstfreiheit habe jedoch nur gegenüber einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Grundsätze zurückzutreten, welche die freiheitliche demokratische Grundordnung ausmachten. Diese Voraussetzung sei erfüllt. Durch die Anhäufung von negativen Metaphern werde die Bundesrepublik mit ihrer Staatsordnung gezielt Verunglimpft und lächerlich gemacht. Zweck dieser Bestrebungen sei es, das Staatsgefühl der Bürger, die sich zu diesem Staat bekennen und in ihm heimisch fühlen, der Lächerlichkeit preiszugeben. Werde jedoch das Staatsbewußtsein der Bürger untergraben, gerate auch die freiheitliche demokratische Grundordnung in Gefahr. Durch die hat der Verbreitung - Publizierung in einem Presseorgan mit nicht unbeträchtlicher Auflage und Auslegung von ,Presseerklärungen" in Nürnberger Buchhandlungen - werde eine große Breitenwirkung angestrebt und erreicht.
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Die Revision das Beschwerdeführers verwarf das Bayerische Oberste Landesgericht mit dem angegriffenen Beschluß gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig als offensichtlich unbegründet.
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II. | |
Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 und Art. 103 Abs. 2 GG.
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Durch die Veröffentlichung des "Deutschlandliedes '86" habe er nicht die der Kunstfreiheit immanenten Schranken überschritten. Das "Lächerlichmachen einer Hymne" sei nicht geeignet, die freiheitliche demokratische Grundordnung in ihrem Bestand zu erschüttern; denn es dürfe nicht übersehen werden, wie verfestigt das Bekenntnis zu diesen Werten bei der Mehrheit der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland sei. Selbst wenn es seine Intention gewesen wäre, das Staatsgefühl der Bürger der Bundesrepublik Deutschland der Lächerlichkeit preiszugeben, sei es doch überaus fraglich, ob dies durch die Veröffentlichung überhaupt möglich gewesen sei. Keinesfalls wäre dadurch das Staatsbewußtsein der Bürger der Bundesrepublik Deutschland untergraben worden und somit die freiheitliche demokratische Grundordnung in Gefahr geraten.
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Art. 103 Abs. 2 GG sei verletzt worden, weil das Deutschlandlied den Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt nicht genüge. Bereits der Streit, ob alle drei Strophen oder lediglich die dritte als Nationalhymne anzusehen seien, sei sicheres Indiz für die Unklarheit der Rechtslage. Bei § 90 a StGB handele es sich um ein Blankettgesetz, weil in ihm nicht geregelt sei, was die Farben, die Flagge, das Wappen oder die Hymne der Bundesrepublik Deutschland seien. Insoweit verweise die Strafvorschrift notwendigerweise auf andere Rechtsnormen. Auch hier müsse wie überall sonst im Strafrecht gefordert werden, daß der Blankettatbestand durch Gesetz ausgefüllt werde. Diesen Anforderungen sei hinsichtlich der Bestimmung des Deutschlandliedes zur Nationalhymne nicht genügt.
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III. | |
1. Der Bundesminister der Justiz, der namens der Bundesregierung Stellung genommen hat, hält die Verfassungsbeschwerde nicht für begründet: Da die Nationalhymne durch den Briefwechsel zwischen Bundeskanzler Adenauer und Bundespräsident Heuss vom 29. April 1952 und 3. Mai 1952 verbindlich festgelegt worden sei, sei dem Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG Genüge getan. Aus dem Wortlaut des Schriftwechsels ergebe sich, daß das aus drei Strophen bestehende Deutschlandlied die Nationalhymne bilde. Hiervon zu unterscheiden sei die Einschränkung, bei staatlichen Anlässen nur die dritte Strophe zu singen.
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Der Beschwerdeführer werde auch nicht in seinem Recht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verletzt. Es sei bereits zweifelhaft, ob das von ihm veröffentlichte "Deutschlandlied '86" als Kunst im Sinne dieses Grundrechts angesehen werden könne. Die angegriffenen Entscheidungen seien aber selbst dann mit der Kunstfreiheitsgarantie vereinbar, wenn die Kunstqualität des Liedes unterstellt werde. Die in der Nachdichtung zum Ausdruck kommende Beschreibung der Bundesrepublik Deutschland verletze das allgemeine Persönlichkeitsrecht ihrer Bürger und deren Empfinden als Staatsbürger. Die Nationalhymne, die ebenso wie die Bundesflagge identitätsstiftende Bedeutung habe, werde zum Objekt plumper Verhöhnung. Das Motiv, die Form und der äußere Rahmen der Verunglimpfung seien so schwerwiegend, daß die Kunstfreiheit zurücktreten müsse.
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2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz sieht ebenfalls keine Verletzung von Rechten des Beschwerdeführers: Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG liege nicht vor. Aus dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot strafrechtlicher Normen folge, daß deren Anwendungsbereich und Tragweite aufgrund der konkreten Umschreibung durch Tatbestandsmerkmale erkennbar und durch Auslegung ermittelbar sein müßten. Verfassungsrechtlich unbedenklich sei die Verwendung eines Begriffs, wenn mit Hilfe der üblichen Auslegungsmethoden das Verbot eines bestimmten Verhaltens erkennbar und die Reaktion des Staates vorhersehbar seien. Ausgehend von diesen Grundsätzen entspreche es der Normenbestimmtheit, das Deutschlandlied in allen Strophen als Hymne der Bundesrepublik Deutschland anzusehen.
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Auch Art 5 Abs. 3 Satz 1 GG werde nicht verletzt. Das Landgericht habe zutreffend darauf abgestellt, daß die Gefährdung des Bestandes der Bundesrepublik Deutschland und ihrer freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Einzelfall die Kunstfreiheit überwiegen könne. Seine Feststellung, die Verbreitung der Nachdichtung könne das Staatsbewußtsein der Bürger untergraben, begegne keinen Bedenken.
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B. | |
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
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Die angegriffene Entscheidung verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG (I.). Die auf Art. 103 Abs. 2 GG zielende Rüge greift demgegenüber nur insoweit durch, als es um die Bestrafung wegen Verunglimpfung der ersten beiden Strophen des Deutschlandliedes geht (II.).
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I. | |
1. Da der Beschwerdeführer seine Bestrafung für unvereinbar mit der Kunstfreiheit hält, muß das Bundesverfassungsgericht nicht nur prüfen, ob die angegriffene Entscheidung auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von Bedeutung und Tragweite des in Anspruch genommenen Grundrechts beruht. Es muß die Auslegung des einfachen Rechts vielmehr auch in ihren Einzelheiten auf ihre Vereinbarkeit mit der Kunstfreiheit untersuchen (vgl. BVerfGE 75, 369 [376]; 77, 240 [250 f.]; Beschluß vom heutigen Tage - 1 BvR 266/86 und 1 BvR 913/87).
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Zu klären ist daher, ob die inkriminierten Handlungen des Beschwerdeführers in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG fallen, die angegriffene Entscheidung diesen Schutzbereich richtig erkannt und die der Kunstfreiheit gesetzten Schranken im einzelnen richtig beurteilt hat.
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a) Die Nachdichtung des Deutschlandliedes ist Kunst im Sinne dieses Grundrechts. Dies ergibt sich sowohl bei ausschließlich formaler Betrachtungsweise, weil die Gattungsanforderungen des Werktyps "Dichtung" erfüllt sind, als auch bei einer eher inhaltsbezogenen Definition des Kunstbegriffs. Der Verfasser benutzt die Formensprache des Gedichts, um seine Erfahrungen und Eindrücke zu bestimmten Lebensvorgängen mitzuteilen, die man unter der Überschrift "Deutsches Alltagsleben" zusammenfassen könnte. Da eine wertende Einengung des Kunstbegriffs mit der umfassenden Freiheitsgarantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zu vereinbaren ist, kommt es bei der verfassungsrechtlichen Einordnung und Beurteilung auf die "Höhe" der Dichtkunst nicht an.
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b) Durch die Kunstfreiheit geschützt ist auch die Verbreitung des Liedes, also d. Wirkbereich des Kunstwerks. Damit steht aber noch nicht fest, daß auch die Verbreitung des Flugblatts in den Schutzbereich des Grundrechts fällt. Bei der Zeitungsveröffentlichung ist das unproblematisch, weil es dort um die Weitergabe des Liedes selbst geht. Bei der Presseerklärung ist das nicht so eindeutig. Das Kunstwerk ist hier eingebettet in eine andere Lebensäußerung, nämlich in die unverfremdete Kundgabe einer Meinung zu den Strafverfolgungsmaßnahmen gegen die Verbreitung des Liedes. Die Verteilung des Flugblatts fällt somit grundsätzlich in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß das Lied zitiert wird; denn dies geschieht - jedenfalls unmittelbar - nicht um des Kunstwerks willen, sondern nur, um den kritisierten Geschehensablauf zu erläutern. Die Kunst ist lediglich "Beiwerk" der mitgeteilten Meinung, sie dient nicht deren inhaltlicher Vermittlung.
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Dennoch ist auch dieser staatliche Eingriff an den Anforderungen der Kunstfreiheitsgarantie zu messen. Die Bestrafung des Beschwerdeführers knüpft nicht an das Flugblatt insgesamt und die darin mitgeteilte Meinung an, sie richtet sich im Gegenteil ausschließlich gegen den Abdruck des "Deutschlandliedes '86". Allein vom Angriffsgegenstand her betrachtet bleibt daher der Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG betroffen. Dies gilt auch hinsichtlich d. personellen Geltung dieses Grundrechts. Zwar könnte man an einer auf das Kunstwerk bezogenen Mittlerfunktion des Beschwerdeführers zweifeln. Denn es ging - vordergründig betrachtet - nicht um die in der Mephisto-Entscheidung behandelte notwendige Vermittlung (vgl. BVerfGE 30, 173 [189]); d. Kunstwerk als solches sollte mit dem Flugblatt nicht verbreitet werden. Die Frage, ob auch mittelbare Weitergabehandlungen als Wahrnehmung der Kunstfreiheit aufzufassen sind, braucht jedoch nicht grundsätzlich entschieden zu werden; denn die besonderen Umstände des Falles zwingen jedenfalls hier dazu, dem Beschwerdeführer den Schutz dieses Grundrechts angedeihen zu lassen. Berücksichtigt werden muß, daß es ihm darum ging, mit dem Flugblatt die Freiheit zur Vermittlung des Kunstwerks zu erkämpfen. Benutzt er in diesem Zusammenhang das Kunstwerk selbst zur Verfolgung dieses Ziels, dient auch dieses Handeln dazu, es dem Publikum zugänglich zu machen. Richten sich die staatlichen Maßnahmen in solchen Fällen gezielt und ausschließlich gegen das so verbreitete Kunstwerk, wird der Verantwortliche als sein Vermittler tätig; die Meinungsäußerungsfreiheit tritt insoweit hinter Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zurück.
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Von ihrem verfassungsrechtlichen Ausgangspunkt her ist die angegriffene Entscheidung somit nicht zu beanstanden. Maßgeblich für deren Beurteilung sind die Ausführungen des Landgerichts, weil das Bayerische Oberste Landesgericht die Revision ohne nähere Begründung verworfen hat.
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Bei dem "Deutschlandlied '86" handelt es sich erkennbar um eine Satire. Dennoch bemüht sich das Landgericht nicht einmal ansatzweise darum, den Aussagekern des Liedes zu ermitteln und diesen von der gewählten Einkleidung zu scheiden (vgl. RGSt 62, 183 [184]; BVerfG, a.a.O., S. 377). Es hebt undifferenziert auf das "Sammelsurium" negativer und ehrverletzender Begriffe ab und zieht den Begleittext des Liedes heran, um nachzuweisen, daß die Hymne der Lächerlichkeit preisgegeben werden solle. Diese Art der Interpretation wird dem satirischen Gehalt des Werks nicht gerecht; sie verletzt die Kunstfreiheitsgarantie.
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Erkennbare Absicht des Künstlers ist es, hinsichtlich der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik Widersprüche zwischen Anspruch und Wirklichkeit aufzuzeigen. Eingekleidet wird diese Aussage in eine Nachdichtung des Deutschlandliedes, in der unter Verwendung des Versmaßes, phonetischer Annäherung und Verfremdung des Urtextes dessen Idealisierungen in überspitzt negative Beschreibungen unserer Lebenswirklichkeit umgemünzt, also gerade in ihr Gegenteil verkehrt werden. Diesen denkbaren Aussagekern der Satire - die Anprangerung von Widersprüchen zwischen Anspruch und Wirklichkeit - vernachlässigt das Landgericht vollständig. Es kommt daher auch zwangsläufig zu der Beurteilung, das Lied wolle die Hymne der Bundesrepublik Deutschland und diesen Staat selbst verunglimpfen, ohne zu erwägen, ob durch die drastische Darstellung der Lebenswirklichkeit nicht im Gegenteil den durch Hymne und Verfassungsordnung vertretenen Idealen höhere Geltung verschafft werden sollte. Zumindest die Möglichkeit eines solchen Verständnisses hätte das Landgericht sich vergegenwärtigen müssen, anstatt sich allein für eine strafrechtlich relevante Interpretation zu entscheiden (vgl. BVerfGE 67, 213 [230]).
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4. Auf der Grundlage seiner fehlerhaften Interpretation kommt das Landgericht auch zu einer Grenzziehung zwischen Kunstfreiheit und widerstreitenden Verfassungswerten, die den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht hinreichend Rechnung trägt.
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Zwar läßt sich die in § 90 a Abs. 1 Nr. 2 StGB angeordnete Strafbarkeit der Verunglimpfung der Hymne grundsätzlich mit der Kunstfreiheit vereinbaren (a); die Verhängung der Strafe beruht jedoch auf dem nicht werkgerechten, die Kunstfreiheit mißachtenden Verständnis der Nachdichtung, weil auch die übrige Begründung der Entscheidung die Verurteilung nicht trägt und die Einkleidung der Satire als solche nicht zwangsläufig zur Anwendung der Strafnorm führen muß (b).
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a) Ebenso wie die Bundesflagge wird die Nationalhymne durch § 90 a Abs. 1 Nr. 2 StGB als Symbol der Bundesrepublik Deutschland geschützt. Dieser Schutz der Hymne ist wie derjenige der Flagge (vgl. den Beschluß vom heutigen Tage 1 BvR 266/86 u. 1 BvR 913/87 unter B II 2 b) in der Verfassung begründet. Da bei Staatlichen Anlässen jedoch nur die dritte Strophe des Deutschlandliedes gesungen wird (vgl. unten B II), kann sich der Schutz des staatlichen Symbols von vorneherein nur auf diese Strophe beziehen.
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b) Das Bestreben des Landgerichts, die gegenläufigen, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Güter durch eine fallbezogene Abwägung zum gerechten Ausgleich zu bringen, mußte - abgesehen von dem nur eingeschränkten verfassungskräftigen Schutz des Deutschlandliedes - zwangsläufig daran scheitern, daß es die Nachdichtung nicht in der erforderlichen Weise interpretiert hat. Solange dies nicht geschehen ist, steht nicht einmal fest, ob es überhaupt notwendig ist, widerstreitende Verfassungsgüter in Konkordanz zu bringen; denn - wie unter 3. dargelegt - könnte bereits ein werkgerechtes Verständnis der Nachdichtung zu der Verneinung einer Verunglimpfung führen. Dem läßt sich nicht entgegenhalten, daß selbst eine Aussagekern und Einkleidung vertretbar würdigende Interpretation zwangsläufig zu der Annahme einer Verunglimpfung hätte führen müssen, weil die Einkleidung der Satire schon für sich gesehen als "formal" verunglimpfend betrachtet worden sei. Eine solche Annahme verbietet sich bereits deshalb, weil die Ausführungen des Gerichts nicht erkennen lassen, ob es in den überspitzten Formulierungen des Liedes auch unabhängig von seiner Grundaussage eine Verunglimpfung sieht.
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Da das Bayerische Oberste Landesgericht in dem Urteil des Landgerichts keine Rechtsfehler hat finden können, genügt sein Beschluß ebenfalls nicht den Anforderungen, die Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG an eine Bestrafung nach § 90 a Abs. 1 Nr. 2 StGB stellt.
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II. | |
Die Rüge, Art. 103 Abs. 2 GG sei verletzt, ist demgegenüber nur zum Teil begründet.
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Der in dieser Vorschrift niedergelegte Bestimmtheitsgrundsatz verpflichtet den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, daß Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen (vgl. BVerfGE 75, 329 [340 f.]). Jedermann soll voraussehen können, welches Verhalten mit Strafe bedroht ist; darüber hinaus soll sichergestellt werden, daß der Gesetzgeber selbst abstrakt- generell über die Strafbarkeit entscheidet (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 341).
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Diese Anforderungen sind hinsichtlich der Frage, welches Lied die "Hymne der Bundesrepublik Deutschland" ist, nur insoweit erfüllt, als es um die dritte Strophe des Deutschlandliedes geht. Der Briefwechsel zwischen dem Bundeskanzler Adenauer und dem Bundespräsidenten Heuss aus dem Jahre 1952 (Bulletin der Bundesregierung Nr. 51 vom 6. Mai 1952, S. 537; abgedruckt auch bei Hellenthal, NJW 1988, S. 1294 [1297]) ist nicht eindeutig. Ihm ist nicht ausdrücklich zu entnehmen, daß dieses Lied nur mit seiner dritten Strophe zur Hymne erklärt werden sollte. Eindeutig ist jedoch darin festgelegt worden, daß bei staatlichen Veranstaltungen die dritte Strophe gesungen werden solle. Dem entspricht mittlerweile eine jahrzehntelange allgemeine Übung. Für den Adressaten des § 90 a Abs. 1 Nr. 2 StGB geht der erkennbare Wortsinn des Begriffs "Hymne der Bundesrepublik Deutschland" daher nicht über die dritte Strophe des Deutschlandliedes hinaus. Bestrafungen wegen einer Verunglimpfung der ersten beiden Strophen verstoßen mithin gegen den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG.,
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