Beschluß | |
des Zweiten Senats vom 23. Januar 1995 gemäß § 24 BVerfGG
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-- 2 BvE 6, 7/94 -- | |
in den Verfahren 1. über den Antrag festzustellen, daß der Antragsgegner Rechte der Antragstellerin gemäß Art. 3 Abs. 1, 21 Abs. 1 Satz 2 und 38 Abs. 1 GG verletzt habe, indem er es unterlassen habe, § 6 Abs. 5 des Bundeswahlgesetzes (BWahlG) um eine Bestimmung zu ergänzen, die die durch Überhangmandate eintretende Verletzung der Wahlrechtsgleichheit beseitige, Antragstellerin: Partei Bündnis 90/DIE GRÜNEN, vertreten durch den Bundesvorstand, Ehrental 2-4, Bornheim -- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Uwe Günther, Brandenburger Straße 40, Bielefeld --, Antragsgegner: Deutscher Bundestag, vertreten durch die Präsidentin, Bundeshaus, Görresstraße 15, Bonn -- 2 BvE 7/94 -- ; 2. über den Antrag festzustellen, daß der Antragsgegner als Wahlgesetzgeber mit den §§ 6 Abs. 5 und 7 Abs. 3 Satz 2 BWahlG gegen Art. 38 Abs. 1 GG verstoßen habe, Antragsteller: BÜRGERBUND, vertreten durch den ersten Vorsitzenden Dr. Michael Kanno, bei Firma Werner Sicherheitstechnik, Kantstraße 83, Berlin, Antragsgegner: Deutscher Bundestag, vertreten durch die Präsidentin, Bundeshaus, Görresstraße 15, Bonn -- 2 BvE 6/94 -- .
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Entscheidungsformel: | |
Die Anträge werden verworfen.
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Gründe: | |
A. | |
Die zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Organstreitverfahren betreffen die Frage, ob der Deutsche Bundestag mit der Beibehaltung der im Bundeswahlgesetz enthaltenen Bestimmungen über Überhangmandate Rechte der Antragsteller verletzt hat.
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I.
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1. Der Deutsche Bundestag besteht gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 BWahlG, vorbehaltlich der sich aus dem Bundeswahlgesetz ergebenden Abweichungen, aus 656 Abgeordneten. Von ihnen werden die Hälfte nach Kreiswahlvorschlägen in den Wahlkreisen und die anderen 328 nach Landeswahlvorschlägen (Landeslisten) gewählt (§ 1 Abs. 2 BWahlG). Jeder Wähler hat zwei Stimmen, eine Erststimme für die Wahl eines Wahlkreisabgeordneten und eine Zweitstimme für die Wahl einer Landesliste. Gewählt ist im Wahlkreis derjenige Bewerber, der die meisten Stimmen auf sich vereinigt (§ 5 Satz 2 BWahlG).
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Die im Wahlgebiet aufgestellten Landeslisten derselben Partei gelten -- vorbehaltlich zu erklärender Ausnahmen -- kraft Gesetzes als miteinander verbunden. Sie sind daher bei der Sitzverteilung im Verhältnis zu den übrigen Listen als eine Liste anzusehen (§ 7 Abs. 1 und 2 BWahlG). Die für die (verbundenen) Landeslisten der einzelnen Parteien abgegebenen gültigen Zweitstimmen werden zusammengezählt. Die Gesamtzahl der im Deutschen Bundestag zu vergebenden Sitze (656) wird sodann verhältnismäßig auf die verbundenen Landeslisten der Parteien verteilt. Anschließend werden gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 BWahlG diese Sitze auf die jeweiligen Landeslisten der Parteien aufgeteilt. Von der so für jede Landesliste ermittelten Sitzzahl wird die Zahl der von der Partei in den Wahlkreisen des Landes errungenen Direktmandate abgezogen (§ 7 Abs. 3 Satz 2, § 6 Abs. 4 Satz 1 BWahlG). Die übrigen ihr zugefallenen Sitze werden aus der Landesliste besetzt. Hat die Partei in den Wahlkreisen des Landes mehr Direktmandate erzielt, als ihr Sitze für ihre Landesliste zustehen, so verbleiben ihr diese Sitze gemäß § 6 Abs. 5 BWahlG (Überhangmandate). Die Gesamtzahl der Sitze im Deutschen Bundestag erhöht sich entsprechend; ein Ausgleich für andere Parteien findet nicht statt.
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2. Im März 1992 leitete die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag den Bericht der gemäß § 3 Abs. 2 BWahlG tätigen Wahlkreiskommission zu (BTDrucks 12/2276). Die Kommission schlug -- auch zur Verhinderung von Überhangmandaten -- vor, den Ländern Baden-Württemberg und Bayern auf Kosten der Länder Nordrhein-Westfalen und Brandenburg jeweils einen weiteren Bundestagswahlkreis zuzuteilen und die Wahlkreise 144 (Odenwald), 203 (München-Mitte) und 243 (Ostallgäu) neu abzugrenzen, weil deren Einwohnerzahl mehr als 33 1/3 vom Hundert nach oben oder unten vom Bundesdurchschnitt aller Wahlkreise abwich. Außerdem sollten einige weitere Wahlkreise, deren Bevölkerungszahl um 25 vom Hundert über oder unter dem Bundesdurchschnitt lag, neu zugeschnitten werden.
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Der Deutsche Bundestag folgte den Vorschlägen nicht vollständig. Durch das am 27. Juli 1993 im Bundesgesetzblatt verkündete Elfte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 21. Juli 1993 (BGBl I S. 1217) nahm er eine Neuabgrenzung der Wahlkreise nur dort vor, wo die Abweichung der Bevölkerungszahl mehr als 33 1/3 vom Hundert betrug. Die Verteilung der Wahlkreise auf die Länder wurde nicht geändert.
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3. Am 16. Oktober 1994 fand die Wahl zum 13. Deutschen Bundestag statt. Von den 656 Sitzen im Bundestag erhielten aufgrund ihrer Zweitstimmenergebnisse die CDU 232, die SPD 248, die F.D.P. 47, die CSU 50, die GRÜNEN 49 und die PDS 30. Außerdem gewann die CDU insgesamt zwölf Überhangmandate, so daß sich die Gesamtzahl ihrer Abgeordneten im 13. Deutschen Bundestag auf 244 erhöht. Die SPD erzielte vier Überhangmandate und erreichte damit insgesamt 252 Sitze.
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II.
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1. a) Die Antragstellerin zu 1. hat am 30. November 1994 Organklage erhoben, mit der sie dem Deutschen Bundestag vorwirft, sie in ihren Rechten auf Chancengleichheit (Art. 3 Abs. 1, 21 Abs. 1 Satz 2 GG) und auf Wahlgleichheit (Art. 38 Abs. 1 GG) verletzt zu haben. Der Deutsche Bundestag habe mögliche Korrekturen der durch die Regelung des § 6 Abs. 5 BWahlG entstehenden Ungleichheiten unterlassen. Er habe Ausgleichsmandate vorsehen oder bestimmen können, daß Überhangmandate in einem Land bei der Zuteilung von Listenplätzen in einem anderen Land anzurechnen seien.
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Außerdem habe der Wahlgesetzgeber es bei der Novellierung des Bundeswahlgesetzes im Jahre 1993 unterlassen, das zur Vermeidung von Überhangmandaten Notwendige zu tun; er habe nicht in dem gebotenen Umfang veränderte Bevölkerungszahlen in den Wahlkreisen und ungleiche Wahlkreiseinteilungen berücksichtigt.
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b) Die sechsmonatige Antragsfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG sei gewahrt. Das Bundeswahlgesetz sei zwar bereits seit 1956 in Kraft. Die Wirkung des § 6 Abs. 5 BWahlG in Form von Überhangmandaten habe sich für die Antragstellerin jedoch "erst bei der Bundestagswahl 1990 bzw. der Bundestagswahl 1994 gezeigt".
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Der Lauf der Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG habe nicht mit der Bundestagswahl 1990 begonnen. Damals habe die Antragstellerin mangels Verletzung ihrer Rechte kein Organstreitverfahren beginnen können. Sie sei nicht im Deutschen Bundestag vertreten gewesen und wäre dort auch bei anderweitiger gesetzlicher Regelung der Überhangmandate nicht vertreten gewesen. Überdies sei 1990 unklar geblieben, ob die in bisher nie dagewesenem Umfang entstandenen Überhangmandate lediglich -- einmalige -- Folge der kurz zuvor erfolgten Vereinigung Deutschlands gewesen seien oder andere -- dauernde -- Ursachen hätten.
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Die Frist sei aber auch nicht durch das Elfte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 21. Juli 1993 in Gang gesetzt worden. Zwar habe der Gesetzgeber hierbei darauf verzichtet, bei den Wahlkreisen in dem gebotenen Umfang veränderte Bevölkerungszahlen und ungleiche Einteilungen zu berücksichtigen und insofern den Bericht der Wahlkreiskommission mißachtet. Mit der Verabschiedung des Elften Änderungsgesetzes sei somit wahrscheinlich geworden, daß es bei der Bundestagswahl 1994 zu Überhangmandaten kommen werde. "Maßnahme" im Sinne des § 64 Abs. 3 BVerfGG sei jedoch erst die auf der Grundlage des Bundeswahlgesetzes durchgeführte Bundestagswahl 1994. Erst durch sie habe sich die Bestimmung des § 6 Abs. 5 BWahlG gegenüber der Antragstellerin ausgewirkt und zu ihrer aktuellen rechtlichen Betroffenheit geführt (Hinweis auf BVerfGE 80,188 [209]).
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c) Der Grundsatz der Wahlgleichheit verlange beim Verhältniswahlrecht, daß nicht nur der gleiche Zählwert, sondern grundsätzlich auch der gleiche Erfolgswert jeder Stimme gewährleistet sei. Differenzierungen seien dabei nur zulässig, sofern ein "zwingender Grund" (BVerfGE 82, 322 [338]) oder eine "besondere Rechtfertigung" (BVerfGE 4, 375 [383]) vorlägen. Der Ermessensspielraum des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Wahlrechts werde außerdem durch den Grundsatz gleicher Wettbewerbschancen der Parteien eingeengt. Auch deswegen müßten die für die verschiedenen Parteien abgegebenen Stimmen grundsätzlich für deren Wahlerfolg das gleiche Gewicht haben. Dem Ermessen des Gesetzgebers seien in diesem Bereich besonders enge Grenzen gezogen. Ihm sei jede unterschiedliche Behandlung der Parteien, die sich nicht durch einen zwingenden Grund rechtfertigen lasse, untersagt (Hinweis auf BVerfGE 82, 322 [337 f.]).
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Nicht zwingend sei der Grund, aus dem das Bundesverfassungsgericht Überhangmandate zulasse. Es rechtfertige bei annähernd gleich großen Wahlkreisen eine durch § 6 Abs. 5 BWahlG bewirkte Durchbrechung des Proportionalitätsgrundsatzes mit dem Zweck des personalisierten Verhältniswahlrechts, der Herstellung einer engeren persönlichen Beziehung des Abgeordneten zum Wahlkreis. Dieses Ziel des personalisierten Verhältniswahlrechts könne jedoch ohne Herbeiführung von Ungleichheiten verfolgt werden, indem entweder Ausgleichsmandate gewährt oder die Überhangmandate auf die Listenplätze der jeweiligen Partei in anderen Ländern angerechnet würden.
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Jedenfalls der Erwerb von Überhangmandaten bei der Wahl zum 13. Deutschen Bundestag stelle eine verfassungswidrige Verletzung der Rechte der Antragstellerin dar. Eine Wahlrechtsbestimmung könne zu einem bestimmten Zeitpunkt unter bestimmten Bedingungen gerechtfertigt sein und zu einem anderen Zeitpunkt zu anderen Bedingungen nicht (Hinweis auf BVerfGE 82,322 [338 f.]). Als Ursachen von Überhangmandaten kämen im wesentlichen in Betracht:
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-- unterschiedliche Größe der Wahlkreise -- unterbevölkerte Wahlkreise -- Stimmensplitting -- Wahlabsprachen zwischen Parteien -- annähernd gleich große Anteile an den Erststimmen bei mehreren Parteien und dadurch bedingte Senkung der für die Mehrheit erforderlichen Stimmenzahl. | |
Es ließen sich bereits jetzt einige Faktoren feststellen, die bei der Bundestagswahl 1994 mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Überhangmandaten geführt hätten:
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Bereits bei der Bundestagswahl 1990 habe die Bevölkerungszahl der Wahlkreise in den neuen Ländern zwischen l vom Hundert und 25 vom Hundert unter dem Bundesdurchschnitt gelegen. Bei der Wahlkreiseinteilung für die Bundestagswahl 1994 sei an diesem Zustand nichts verändert worden, obwohl sich die Bevölkerungszahl in den neuen Ländern gegenüber 1990 noch weiter verringert haben dürfte. Der Gesetzgeber sei auch nicht den Vorschlägen der Wahlkreiskommission gefolgt. Bei der Bundestagswahl 1994 habe es deswegen eine Vielzahl ungleicher Wahlkreise gegeben. Spätestens seit dem Bericht der Wahlkreiskommission im Jahre 1992 sei daher ein vermehrter Anfall von Überhangmandaten vorhersehbar gewesen. Im Wissen über diese Umstände sei der Gesetzgeber untätig geblieben.
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2. a) Der Antragsteller zu 2. ist eine am 27. Januar 1994 gegründete politische Vereinigung mit -- nach eigenen Angaben -- 546 Mitgliedern. Der Bundeswahlausschuß hatte die Vereinigung für die letzte Bundestagswahl als Partei anerkannt. An der Bundestagswahl hat sie sich dann aber doch nicht beteiligt.
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b) Mit seiner am 26. Oktober 1994 eingegangenen Organklage macht der Antragsteller geltend, er werde bei künftigen Bundestagswahlen durch § 6 Abs. 5 und § 7 Abs. 3 Satz 2 BWahlG in seinem sich aus Art. 38 Abs. 1 GG ergebenden Recht auf Wahlgleichheit verletzt. Auch wenn eine Partei erst anläßlich der nächsten Bundestagswahl im Falle einer erfolgreichen Teilnahme von der angegriffenen Norm unmittelbar betroffen werde, könne sie nicht darauf verwiesen werden, erst danach ein verfassungsrechtliches Verfahren einzuleiten.
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In der Sache rügt der Antragsteller, daß Überhangmandate in einzelnen Bundesländern nicht auf die Gesamtzahl der Sitze einer Partei im Wahlgebiet angerechnet und auch nicht durch zusätzliche Mandate für die anderen Parteien ausgeglichen würden. Der notwendig gleiche Erfolgswert jeder Stimme sei damit nicht mehr gewährleistet. Das Bundeswahlgesetz berücksichtige nicht, daß bei den letzten beiden Bundestagswahlen das Stimmensplitting zugenommen habe; dieses sei in erster Linie die Ursache für das Auftreten einer größeren Zahl von Überhangmandaten.
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Die Organklagen sind unzulässig. Beide Antragsteller haben jedenfalls die in § 64 Abs. 3 BVerfGG bestimmte Frist versäumt.
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I.
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Der Klageantrag der Antragstellerin zu 1. richtet sich gegen ein "Unterlassen" des Deutschen Bundestages als Wahlgesetzgeber, das sie in der Beibehaltung der Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes über die Überhangmandate sowie in ungenügender Berücksichtigung der Bevölkerungszahlen bei der Änderung von Wahlkreisen durch das Elfte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 21. Juli 1993 erblickt. Inwieweit sich die Antragstellerin damit in Wahrheit gegen dieses Gesetz -- und somit gegen eine Maßnahme im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG -- wendet und nicht nur ein Unterlassen rügt, kann hier ebenso offenbleiben wie die bisher vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschiedene Frage, ob bloße Unterlassungen des Gesetzgebers im Wege des Organstreitverfahrens angreifbar sind (bejahend allerdings VerfGH NW, Urteil vom 29. September 1994, Umdruck S. 11 ff. für den Landesorganstreit). Es kommt ferner nicht darauf an, ob die Antragstellerin hier -- wie es § 64 Abs. 2 BVerfGG für die Zulässigkeit eines Antrags fordert -- eine Verletzung oder unmittelbare Gefährdung eigener Rechte schlüssig behauptet hat. Denn selbst wenn jede dieser Fragen in dem für die Antragstellerin jeweils günstigsten Sinne entschieden werden müßte, wäre ihre Klage unzulässig, weil die Antragstellerin in allen Fallgestaltungen die Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG nicht eingehalten hat. Diese Vorschrift enthält eine gesetzliche Ausschlußfrist, nach deren Ablauf im Organstreitverfahren Rechtsverletzungen nicht mehr geltend gemacht werden können (vgl. BVerfGE 71, 299 [304]; 80, 188 [210]). Sie gilt nach der ausdrücklichen Regelung des § 64 Abs. 3 BVerfGG unabhängig davon, ob Angriffsgegenstand eine Maßnahme oder ein Unterlassen ist.
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1. Wendet die Antragstellerin sich gegen das Elfte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 21. Juli 1993, so greift sie eine Maßnahme im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG an. Eine solche ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch der Erlaß eines Gesetzes (vgl. BVerfGE 1, 208 [220]; 4, 144 [148]; zuletzt BVerfGE 82, 322 [335]). Die Sechsmonatsfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG beginnt dann grundsätzlich mit der Verkündung des Gesetzes. Mit ihr gilt das Gesetz als allgemein bekanntgeworden (vgl. BVerfGE 13, 1 [10]; 24,252 [258]; 64,301 [316]). Das Elfte Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes wurde am 27. Juli 1993 im Bundesgesetzblatt verkündet. Die in § 64 Abs. 3 BVerfGG bestimmte Frist lief deshalb am 27. Januar 1994 ab. Die Antragsschrift ist aber erst am 30. November 1994 beim Bundesverfassungsgericht eingegangen.
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Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 13. Juni 1989 (BVerfGE 80, 188 [209 ff.]) eine Vorschrift der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages erst von dem Zeitpunkt an als Maßnahme im Sinne von § 64 Abs. 1 BVerfGG gewertet, in dem sie beim Antragsteller eine aktuelle rechtliche Betroffenheit auszulösen vermag. Dieser Zeitpunkt könne mit dem Erlaß der Vorschrift zusammenfallen. Er könne aber auch erst danach eintreten. Das sei dann der Fall, wenn die Bestimmung an rechtliche Voraussetzungen anknüpfe, die sich in der Person des Antragstellers erst später verwirklichten. Von da an laufe auch die Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG.
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Der vorliegende Fall nötigt nicht zu entscheiden, ob diese Grundsätze auch für den Erlaß formeller Gesetze gelten. Selbst wenn man dies annimmt, wäre hier kein späterer Zeitpunkt für den Fristbeginn anzusetzen; insbesondere scheidet entgegen der Auffassung der Antragstellerin die Durchführung der Bundestagswahl 1994 als Maßnahme -- und damit zugleich als Anknüpfungspunkt für den Fristbeginn -- aus.
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Nicht erst die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl haben zu einer aktuellen rechtlichen Betroffenheit der Antragstellerin geführt. Unmittelbar rechtlich betroffen wurde sie als politische Partei vielmehr schon durch die Vorschriften der Wahlgesetze selbst. Zum Begriff der politischen Partei im Sinne des Art. 21 GG gehört ihr grundsätzlicher Wille, an Wahlen im Bund oder in den Ländern teilzunehmen (vgl. auch § 2 PartG, der nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts den verfassungsrechtlichen Parteibegriff konkretisiert -- vgl. BVerfGE 24,260 [263 f.]; 79,379 [384]; 89,266 [269 f.] --). Wahlgesetze betreffen daher als solche den verfassungsrechtlichen Status der Parteien. Sehen diese sich durch das Wahlrecht in ihrem Recht auf Gleichheit verletzt oder unmittelbar gefährdet, so können sie dies im Organstreit geltend machen, ohne daß ein konkreter Zusammenhang mit einer bestimmten Wahl bestehen müßte (vgl. dazu etwa BVerfGE 1, 208; 4, 31; 4, 375; 6, 84; 6, 99; 27,10; 67, 65; 82,322; 82,353). Die Durchführung der Wahl berührt den Status der Parteien nicht, sie bringt lediglich im Wahlrecht angelegte Vor- und Nachteile zur Wirkung.
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2. Wird die Zulässigkeit eines Organstreits gegen ein (bloßes) Unterlassen des Gesetzgebers unterstellt, hat die Antragstellerin die Antragsfrist nach ausdrücklicher Regelung des § 64 Abs. 3 BVerfGG gleichfalls zu wahren. Dies muß auch dann gelten, wenn das von dem Gesetzgeber verlangte Handeln nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erfüllen war, sondern der Gesetzgeber einer Verpflichtung zum Handeln über eine längere Zeit hinweg nicht nachkam (fortdauerndes Unterlassen). Mit der Ausschlußfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG sollen im Organstreitverfahren angreifbare Rechtsverletzungen nach einer bestimmten Zeit im Interesse der Rechtssicherheit außer Streit gestellt werden (vgl. BVerfGE 80,188 [210]). Dies rechtfertigt eine Befristung für die Einleitung eines Organstreits auch dann, wenn Angriffsziel ein Unterlassen des Antragsgegners ist, das über eine gewisse Zeit fortbesteht. Wann unter solchen Umständen die Frist für die Erhebung einer Organklage beginnt, läßt sich nicht generell und für alle Fallgestaltungen einheitlich festlegen. Sie wird spätestens aber dadurch in Lauf gesetzt, daß sich der Antragsgegner erkennbar eindeutig weigert, in der Weise tätig zu werden, die der Antragsteller zur Wahrung der Rechte aus seinem verfassungsrechtlichen Status für erforderlich hält (vgl. BVerfGE 4, 250 [269]; 21, 312 [319]; 71, 299 [303 f.] für das Unterlassen von Verwaltungsorganen oder Untersuchungsausschüssen; Urteil des VerfGH NW a.a.O. für gesetzgeberisches Unterlassen). In einer derartigen Weigerung liegt damit zugleich ein Geschehen, das -- im Sinne von § 64 Abs. 3 BVerfGG -- als Bekanntwerden des Unterlassens zu werten ist und an das deshalb trotz fortdauernden Unterlassens -- für den Fristbeginn anzuknüpfen ist.
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Diese Voraussetzungen waren im Streitfall mit der Verabschiedung des Elften Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes durch den Deutschen Bundestag erfüllt. Folgte man der Rechtsauffassung der Antragstellerin, so hätte der Antragsgegner wegen der bereits bei der Bundestagswahl vom 2. Dezember 1990 stark angestiegenen Zahl von Überhangmandaten sowie aufgrund des Hinweises im Bericht der Wahlkreiskommission Anlaß gehabt, die Bestimmungen des Bundeswahlgesetzes über anfallende Überhangmandate erneut zu überprüfen. Wenn der Deutsche Bundestag mit dem Gesetz vom 21. Juli 1993 dennoch Änderungen der Wahlkreisgrenzen lediglich bei denjenigen Wahlkreisen vornahm, deren Bevölkerungszahl mehr als ein Drittel nach oben oder unten vom Bundesdurchschnitt abwich und weitere Neueinteilungen der Wahlkreise ausdrücklich ablehnte (vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses zum Bericht der Wahlkreiskommission, BTDrucks 12/3560, S. 4), kann dies nur dahin verstanden werden, daß er weder weitere gesetzgeberische Regelungen zur Verhinderung von Überhangmandaten treffen noch für den Fall des vermehrten Anfallens von Überhangmandaten Maßnahmen gegen eine dann größere Differenzierung bei der Erfolgsgleichheit der Stimmen ergreifen wollte. Diese Weigerung ist der Antragstellerin mit der Verkündung des Elften Änderungsgesetzes zum Bundeswahlgesetz am 27. Juli 1993 bekanntgeworden. Gleichzeitig begann damit für sie -- auch bei einem Angriff gegen ein ihre Rechte gefährdendes Unterlassen des Antragsgegners -- die sechsmonatige Frist zur Erhebung einer Organklage.
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II.
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Der Antragsteller zu 2. hat schon nicht hinreichend dargelegt, daß er eine politische Partei im Sinne des Art. 21 GG und des § 2 Abs. 1 PartG und demnach im Organstreit parteifähig ist. Das kann jedoch auf sich beruhen. Denn auch der Antragsteller zu 2. hat zumindest die Ausschlußfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG nicht gewahrt. Dabei mag dahinstehen, ob der Fristbeginn für ihn ebenfalls mit Verkündung des Elften Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes am 27. Juli 1993 angenommen werden kann, obwohl er damals noch nicht gegründet war. Mit seiner Gründung am 27. Januar 1994 galten die öffentlich bekanntgemachten Wahlgesetze aber auch für ihn. Er wurde, war er eine politische Partei, von ihnen wie jede andere Partei rechtlich betroffen. Zugleich war für ihn hinreichend deutlich, daß der Deutsche Bundestag davon ausging, mit dem Elften Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes vom 21. Juli 1993 die Rechtsgrundlagen für die im Jahre 1994 stattfindende Bundestagswahl abschließend festgelegt zu haben. Infolgedessen begann die Sechsmonatsfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG für den Antragsteller zu 2. jedenfalls noch vor dem 26. April 1994. Sie war daher beim Eingang der Antragsschrift am 26. Oktober 1994 bereits abgelaufen.
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Daß der Antragsteller eine Teilnahme an der Bundestagswahl 1994 vor dem 26. April 1994 noch nicht und nach späterer Anzeige seiner Wahlteilnahme dann doch nicht mehr beabsichtigte, ist ohne Belang. Zum Begriff der politischen Partei im Sinne des Art. 21 GG gehört, wie ausgeführt (oben I. 1.), ihr grundsätzlicher Wille, an Wahlen im Bund oder in den Ländern teilzunehmen. Wahlrechtlich bedeutsame Maßnahmen oder Unterlassungen des Gesetzgebers betreffen darum alle Parteien unmittelbar, ohne Rücksicht auf ihren Willen zur Beteiligung an den nächsten Wahlen.
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