1. Die Pflicht zur umfassenden und frühestmöglichen Unterrichtung nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG erstreckt sich auf Initiativen und Positionen der Bundesregierung. Dabei ist ihr die Verhandlungsposition eines ihrer Mitglieder zurechenbar, wenn dieses die Bundesrepublik Deutschland auf europäischer Ebene vertritt und erkennbar als deren Repräsentant auftritt.
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2. Grenzen der Unterrichtungspflicht ergeben sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG), der der Bundesregierung einen nicht ausforschbaren Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zuweist. Dieser endet, wenn und soweit die Bundesregierung Zwischenergebnisse erreicht oder Positionierungen ausgearbeitet hat und schon diese zur Grundlage ihres nach außen gerichteten Handelns macht. Die Willensbildung der Bundesregierung ist in derartigen Fällen jedenfalls abgeschlossen, wenn sie mit ihrer Initiative aus dem Bereich der regierungsinternen Abstimmung hinaustreten und mit einer eigenen, auch nur vorläufigen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten will.
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Beschluss | |
des Zweiten Senats vom 27. April 2021
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- 2 BvE 4/15 - | |
in dem Verfahren über den Antrag festzustellen, dass die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag in seinem Unterrichtungs-und Mitwirkungsrecht aus Artikel 23 Absatz 2 des Grundgesetzes verletzt hat, indem sie es unterlassen hat, ihn vor der Sitzung der Euro-Gruppe am 11. und 12. Juli 2015 und dem Euro-Gipfel am 12. und 13. Juli 2015 umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über ihre Verhandlungslinie zum Verbleib oder vorübergehenden Ausscheiden der Hellenischen Republik aus dem Euro-Währungsgebiet zu unterrichten und insbesondere ein auf den 10. Juli 2015 datiertes Positionspapier des Bundesministeriums der Finanzen rechtzeitig zuzuleiten; Antragstellerin: Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag, vertreten durch die Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Dr. Anton Hofreiter, Platz der Republik 1, 11011 Berlin,- Bevollmächtigte: 1. Prof. Dr. Andreas von Arnauld, Danziger Straße 40, 20099 Hamburg 2. Prof. Dr. Ulrich Hufeld - Stratenbarg 40a, 22393 Hamburg --. Antragsgegnerin: Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, Bundeskanzleramt, Willy-Brandt-Straße 1, 10557 Berlin, -- Bevollmächtigter: Prof. Dr. Heiko Sauer, Burbacher Str. 211 d, 53129 Bonn -
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Entscheidungsformel | |
Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag in seinem Recht aus Artikel 23 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, ihn vor der Sitzung der Euro-Gruppe am 11. und 12. Juli 2015 und vor dem Euro-Gipfel am 12. und 13. Juli 2015 umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt über ihre Verhandlungslinie zum Verbleib oder vorübergehenden Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone zu unterrichten.
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Gründe: | |
A. | |
Die Antragstellerin wendet sich gegen die verspätete Unterrichtung des Deutschen Bundestages über die Verhandlungslinie der Bundesregierung zum Verbleib oder vorübergehenden Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone im Juli 2015. Sie macht im Wege des Organstreits die Verletzung parlamentarischer Unterrichtungsrechte gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG geltend.
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I.
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Zur Bewältigung der Staatsschulden-Krise verhandelten die Finanzminister der Eurozone (im Folgenden: Euro-Gruppe) sowie weitere Teilnehmer auf einer Tagung vom 11. bis zum 12. Juli 2015 über ein drittes Hilfsprogramm für Griechenland und bereiteten den hierzu stattfindenden Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Eurozone (im Folgenden: Euro-Gipfel) am 12. und 13. Juli 2015 vor.
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Die Bundesregierung wies ab Juni 2015 wiederholt darauf hin, dass ihre Bemühungen auf eine Verhandlungslösung und einen Verbleib Griechenlands in der Eurozone gerichtet seien, weitere Finanzhilfen jedoch nicht bedingungslos gewährt werden dürften. Bei einer Unterrichtung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages am 30. Juni 2015 führte der Bundesfinanzminister aus, dass Griechenland nicht ohne Programm im Euro bleiben könne, sondern im äußersten Fall vom Zahlungssystem der Europäischen Zentralbank (im Folgenden: EZB) abgeschnitten werden müsse und sich in diesem Fall die Notwendigkeit einer vorübergehenden Parallelwährung ergeben könnte.
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Am 5. Juli 2015 lehnte die griechische Bevölkerung in einem Referendum die von den beteiligten Institutionen (EZB, Europäische Kommission und Internationaler Währungsfonds -- im Folgenden: IWF) vorgeschlagenen Reform-, Spar- und Finanzierungsmaßnahmen ab.
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Ein Fraktionsmitglied der Antragstellerin und auf dessen Bitte auch die Europa-Dokumentationsstelle des Deutschen Bundestages fragten aufgrund entsprechender Berichte in den griechischen Medien und der vorherigen Äußerungen des Bundesfinanzministers am 7. Juli 2015 beim Bundesministerium der Finanzen an, ob der deutsche Finanzminister gegenüber den Finanzministern der anderen Eurostaaten einen Vorschlag zur Einführung einer Parallelwährung in Griechenland gemacht habe, und baten um Übersendung des entsprechenden Schriftstücks. Das Bundesministerium der Finanzen teilte am 9. Juli 2015 mit, dass ein solcher Vorschlag nicht bekannt sei.
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Nachdem der griechische Ministerpräsident am 8. Juli 2015 ein neues Hilfspaket beantragt hatte, fand nach von der Antragstellerin nicht in Frage gestellten Angaben der Antragsgegnerin am 9. Juli 2015 ein Gespräch zwischen der Bundeskanzlerin, dem Vizekanzler (und zugleich Wirtschaftsminister) sowie dem Finanzminister statt. Darin wurde festgehalten, dass die Bundesrepublik Deutschland weiterhin eine Verhandlungslösung mit Griechenland anstrebe und alle Anstrengungen zu unternehmen seien, damit Griechenland in der Eurozone verbleiben könne. Für den Fall der Nichteinigung wurde lediglich "am Rande" als Reservemöglichkeit das Angebot an Griechenland zu einem freiwilligen, temporären Ausscheiden aus der Eurozone thematisiert, um Griechenland eine Reduzierung der Staatsschulden zu ermöglichen, ohne an die restriktiven Bestimmungen innerhalb der Eurozone gebunden zu sein.
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Am späten Abend des 9. Juli 2015 übermittelte Griechenland seine Reformvorschläge, die dem Deutschen Bundestag am frühen Morgen des 10. Juli 2015 weitergeleitet wurden.
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2. In Vorbereitung auf die Verhandlungen der Euro-Gruppe und des Euro-Gipfels vom 11. bis zum 13. Juli 2015 erstellte das Bundesministerium der Finanzen am Freitag, dem 10. Juli 2015, gegen 14:00 Uhr ein in englischer Sprache abgefasstes Dokument.
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Darin wurden zunächst die von Griechenland am 9. Juli 2015 übermittelten Reformvorschläge als unzureichend zurückgewiesen: Es fehlten zentrale Reformbereiche, um das Land zu modernisieren sowie langfristig dessen Wirtschaftswachstum und nachhaltige Entwicklung voranzubringen. Unzulänglich seien insbesondere die Vorschläge zur Arbeitsmarktreform, zur Reform des öffentlichen Sektors, zu Privatisierungen, zum Bankensektor sowie zu Strukturreformen. Deshalb könnten diese Vorschläge nicht, wie von Griechenland gefordert, die Grundlage für ein neues, auf drei Jahre angelegtes Programm des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) bilden. Erforderlich sei vielmehr eine bessere, tragfähige Lösung unter Einbeziehung des IWF. Hierfür kämen zwei Wege in Betracht:
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a) Griechenland verbessere mit voller Unterstützung des griechischen Parlaments seine Vorschläge schnell und signifikant, was unter anderem die Übertragung griechischer Vermögenswerte in Höhe von 50 Milliarden Euro an einen externen Fonds erfordere, um diese Vermögenswerte dann nach und nach zu privatisieren und den Abbau von Schulden voranzutreiben. Darüber hinaus müssten die Verbesserungsvorschläge einen Kapazitätsaufbau und eine Entpolitisierung griechischer Verwaltungsaufgaben unter Aufsicht der Europäischen Kommission sowie automatische Ausgabenkürzungen im Falle der Verfehlung von Defizitzielen umfassen. Parallel dazu würde für die Überbrückungszeit ein Paket von Finanzierungselementen zusammengestellt. Dies bedeute, dass das bestehende Risiko der Nichtauflage eines neuen ESM-Programms bei Griechenland liegen solle, nicht aber bei den anderen Mitgliedstaaten der Eurozone.
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b) Für den Fall, dass Griechenland ein tragfähiges Schuldenniveau und eine glaubhafte Umsetzungsperspektive nicht im Vorfeld sicherstellen könne, sollten dem Land zügige Verhandlungen über eine Auszeit aus der Eurozone angeboten werden. Dies könne mit einer Umschuldung binnen der nächsten fünf Jahre einhergehen. Nur dieser Weg ermögliche eine ausreichende Schuldenrestrukturierung, welche mit der Mitgliedschaft in der Währungsunion nicht vereinbar wäre. Die Auszeitlösung solle von einer Unterstützung Griechenlands durch wachstumsfördernde, humanitäre und technische Hilfen begleitet werden. Außerdem solle die Auszeitlösung einhergehen mit einer Konsolidierung aller Säulen der Wirtschafts- und Währungsunion sowie mit konkreten Maßnahmen zur Stärkung der Steuerungsstrukturen innerhalb der Eurozone.
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3. Die Bundesregierung tauschte sich zwischen dem 9. und dem 11. Juli 2015 in intensiven Beratungen mit den Regierungen der anderen Mitgliedstaaten der Eurozone aus. Dabei stellte der Bundesfinanzminister die Frage in den Raum, welche Optionen im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen bestünden. Ausweislich der Schilderung des damaligen Vorsitzenden der Euro-Gruppe Dijsselbloem wurde das Dokument vom 10. Juli 2015 am selben Abend um circa 18:00 Uhr per E-Mail vom Bundesministerium der Finanzen an dessen Büro, eine kleine Gruppe von Spitzenbeamten des Euroraumes sowie unter anderem an den damaligen Präsidenten der Europäischen Kommission Juncker, an den damaligen Präsidenten des Europäischen Rates Tusk und an den damaligen Präsidenten der EZB Draghi gesendet (vgl. Dijsselbloem, in: Die Eurokrise, 2018, S. 216 f.).
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Während der Tagung der Euro-Gruppe am 11. und 12. Juli 2015 stellte der Bundesfinanzminister die Frage, wie bei einem Scheitern der Verhandlungen mit der griechischen Regierung vorzugehen sei, erneut in den Raum. Dabei lag ihm das Dokument vom 10. Juli 2015 vor. Die Vertreter anderer Mitgliedstaaten nahmen auf die vom Bundesfinanzminister aufgezeigten Vorschläge und Optionen im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen inhaltlich Bezug und diskutierten diese.
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In das von der Euro-Gruppe erstellte Abschlussdokument wurde am 12. Juli 2015 an dessen Ende in Klammern, welche eine fehlende Übereinstimmung in Bezug auf den Textinhalt anzeigen, ein Satz zu einer möglichen Auszeit Griechenlands aus der Eurozone aufgenommen, der große Ähnlichkeit mit einem Satz aus dem Dokument des Bundesministeriums der Finanzen vom 10. Juli 2015 aufwies. Auch eine ebenfalls in Klammern gesetzte Formulierung des Abschlussdokuments zur Übertragung griechischer Vermögenswerte zeigte eine erhebliche sprachliche und inhaltliche Nähe zur entsprechenden Textpassage im Dokument des Bundesministeriums der Finanzen vom 10. Juli 2015. Das Abschlussdokument der Euro-Gruppe wurde einschließlich der Klammern dem anschließenden Euro-Gipfel übermittelt und dort in die Beratungen miteinbezogen.
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4. Das Dokument des Bundesministeriums der Finanzen vom 10. Juli 2015 lag verschiedenen Medien spätestens am 11. Juli 2015 vor. Die deutsche Presse berichtete an diesem Tag über den Inhalt des Dokuments und insbesondere über die darin enthaltene Option eines Austritts Griechenlands aus der Eurozone. Über die Homepage eines Nachrichtenmagazins war das Dokument zudem im Originalwortlaut abrufbar. Auch in der Folgezeit stieß die Option eines vorübergehenden oder dauerhaften Austritts Griechenlands auf großes mediales Interesse und wurde von Politikern aus dem In- und Ausland kommentiert.
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5. Die Antragsgegnerin leitete dem Deutschen Bundestag das Dokument vom 10. Juli 2015 am Sonntag, dem 12. Juli 2015, gegen 16:00 Uhr im Anschluss an die Sitzung der Euro-Gruppe zu. Zugleich übermittelte sie dem Deutschen Bundestag die Stellungnahmen der Europäischen Kommission, der EZB, des IWF sowie des geschäftsführenden Direktors des ESM, die ihr am 11. Juli 2015 um circa 8:15 Uhr kurz vor Beginn der Euro-Gruppen-Sitzung zugegangen waren. Den anderen Ressorts der Bundesregierung wurden die Dokumente am 13. Juli 2015 übersandt.
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Über die Ergebnisse des anschließenden Euro-Gipfels vom 12. und 13. Juli 2015 wurde der Deutsche Bundestag durch die Bundesregierung am 14. und 16. Juli 2015 unterrichtet. Auf diesem Euro-Gipfel erzielten die Staats- und Regierungschefs eine Grundsatzeinigung im Hinblick auf ein drittes Hilfspaket für Griechenland und das entsprechende Reformprogramm.
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6. In einer Sitzung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages am 16. Juli 2015 gab der Bundesfinanzminister an, dass seine inhaltliche Position bei der Tagung der Euro-Gruppe innerhalb der Bundesregierung abgestimmt gewesen sei. Das Bundesministerium der Finanzen habe mit Hochdruck daran gearbeitet, dem Deutschen Bundestag alle Dokumente so schnell wie möglich zur Verfügung zu stellen. Jedoch habe der Bundesfinanzminister kein Papier in die Euro-Gruppe "eingebracht", weswegen man auch keine diesbezügliche Unterrichtungspflicht gegenüber dem Parlament gesehen habe. Ebenso wenig bestehe eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, jeden Satz eines Abschlussdokuments zuvor mit dem Deutschen Bundestag abzustimmen. Gleichwohl habe die Antragsgegnerin das Dokument auf Nachfrage trotz nicht bestehender Unterrichtungspflicht übersandt, da sie nichts zu verbergen habe.
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7. Daraufhin stellte ein Fraktionsmitglied der Antragstellerin eine schriftliche Anfrage an die Antragsgegnerin zu den konkreten Umständen der Erstellung und Verwendung des Dokuments vom 10. Juli 2015. Insbesondere bat der Abgeordnete um Auskunft, ob die Antragsgegnerin die Rechtsauffassung der Antragstellerin teile, wonach der Bundesfinanzminister den Deutschen Bundestag vorab über den Vorschlag eines zeitweisen Austritts Griechenlands aus der Eurozone hätte informieren müssen, und wie eine Verneinung dieser Frage mit Art. 23 GG und der diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu vereinbaren sei. Zudem wollte der Abgeordnete wissen, ob der Bundesfinanzminister während oder am Rande der Tagung der Euro-Gruppe formell oder informell einen Vorschlag zur Einführung von Schuldscheinen in Griechenland eingebracht habe und weshalb der Deutsche Bundestag bei Bejahung dieser Frage nicht, wie es Art. 23 GG verlange, hierüber vorab informiert worden sei.
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Das Bundesministerium der Finanzen teilte hierauf mit Schreiben vom 29. Juli 2015 mit, dass es sich bei dem am 10. Juli 2015 erstellten Dokument um keinen Vorschlag an die Euro-Gruppe gehandelt habe und dieses in der Euro-Gruppe auch nicht vorgelegt worden sei. Das Dokument habe als Kommentierung der griechischen Vorschläge der internen Vorbereitung sowie dem individuellen Austausch mit Blick auf die Euro-Gruppe gedient. Der Bundesfinanzminister habe am 11. Juli 2015 Gespräche innerhalb der Bundesregierung geführt, die Optionen für Griechenland zum Inhalt gehabt hätten.
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Mit einem an das Bundesministerium der Finanzen gerichteten Schreiben vom 30. Juli 2015 hielt der Abgeordnete "für seine Fraktion" fest, dass die Antragsgegnerin -- entgegen der Rechtsauffassung seiner Fraktion -- keine vorherige Übermittlungspflicht im Hinblick auf das Dokument vom 10. Juli 2015 annehme und im Übrigen seine Fragen nicht beziehungsweise nur sehr ausweichend beantwortet habe.
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II.
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Die Antragstellerin rügt die verspätete Unterrichtung des Deutschen Bundestages über die Verhandlungslinie der Bundesregierung vor der Sitzung der Euro-Gruppe am 11. und 12. Juli 2015 und vor dem Euro-Gipfel am 12. und 13. Juli 2015. Hierdurch habe die Antragsgegnerin eine informierte Mitwirkung des Deutschen Bundestages beeinträchtigt.
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Nach ihrer Auffassung ist ihr am 13. November 2015 eingegangener Antrag zulässig (1.) und begründet (2.).
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1. Der Antrag sei zulässig.
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Das Rechtsschutzbedürfnis entfalle nicht deshalb, weil die beanstandete Rechtsverletzung in der Vergangenheit liege und bereits abgeschlossen sei. Zum einen sei ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse in Fallgestaltungen wie der vorliegenden entbehrlich, zum anderen lägen jedenfalls ein objektives Klarstellungsinteresse sowie eine konkrete Wiederholungsgefahr vor. Es deute sich eine grundsätzlich unterschiedliche Auffassung der Beteiligten zum Umfang der Unterrichtungspflichten an, nachdem die Antragsgegnerin offenbar der Meinung sei, dass ein die Unterrichtungspflicht auslösender "Vorschlag" der Bundesregierung nur dann vorliege, wenn ein Dokument förmlich in ein Gremium der Europäischen Union eingebracht werde, und eine Unterrichtungspflicht jedenfalls bei enger Zeittaktung entfalle. Diese Rechtsauffassung der Antragsgegnerin entziehe die besonders bedeutsame Politikformungsphase, alle (Vor-)Entscheidungsprozesse sowie die Abstimmungsprozesse mit Dritten und damit die Schlüsselphasen der politischen Willensbildung der informierten Mitwirkung des Deutschen Bundestages. Dem trete die Antragstellerin entgegen und befürchte in Zukunft ähnliche Konflikte.
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Bestätigt sieht sich die Antragstellerin durch einen Bericht des Deutschen Bundestages vom 19. Juli 2017, wonach die Bundesregierung im Allgemeinen ihren Unterrichtungspflichten nachkomme, jedoch unter anderem in Bezug auf die Vorberichterstattung zu Ratstagungen sowie in Bezug auf eigene Initiativen und Aktivitäten wiederholt eine verspätete beziehungsweise gänzlich unterbliebene Unterrichtung zu konstatieren sei.
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2. Der Antrag sei auch begründet.
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a) Eine informierte Mitwirkung des Parlaments setze zur Ermöglichung einer frühzeitigen und effektiven Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung die rechtzeitige und umfassende Unterrichtung des Parlaments voraus. Insofern werde Art. 23 Abs. 2 GG durch § 4 Abs. 2 Nr. 1 des Gesetzes über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) konkretisiert, wonach der Deutsche Bundestag auch über "Stellungnahmen, Konsultationsbeiträge, Programmentwürfe und Erläuterungen der Bundesregierung" zu unterrichten sei. Den Unterrichtungspflichten komme eine besondere Relevanz zu, wenn besonders bedeutsame Primärrechtsfragen, die Grundausrichtung der Integration oder erhebliche Rückwirkungen auf den Bundeshaushalt im Raum stünden.
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b) Im vorliegenden Verfahren könne sich die Antragsgegnerin insbesondere nicht darauf berufen, dass das Dokument vom 10. Juli 2015 dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zuzurechnen sei.
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Das Positionspapier des Bundesfinanzministers sei innerhalb der Bundesregierung, insbesondere mit der Bundeskanzlerin und dem Vizekanzler, abgestimmt worden. Auch wenn vielleicht nicht alle Mitglieder der Regierung seinen Inhalt unterstützt hätten, gelte insoweit das Ressortprinzip. Damit sei die Willensbildung innerhalb der Bundesregierung abgeschlossen gewesen.
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Der Bundesfinanzminister sei anschließend in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eingetreten, ohne zuvor den Deutschen Bundestag unterrichtet zu haben. Ein individueller Austausch mit anderen Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe stelle einen Abstimmungsprozess dar, der außerhalb des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung liege. Eine Unterrichtungspflicht bestehe auch dann, wenn noch keine endgültig abgestimmte Position vorliege. Dies gelte erst recht, wenn die Abstimmungen unmittelbar vor Sitzungen stattfänden und in erster Linie dazu dienten, Mehrheiten zu organisieren oder zu sondieren, wie die eigene Position von anderen Mitgliedstaaten aufgenommen werde. Zudem sei es bei einem bloßen Austausch mit anderen Mitgliedstaaten nicht geblieben, sondern der deutsche Vorschlag habe Eingang in das Ergebnisdokument der Euro-Gruppe gefunden. Es habe sich daher um einen vorab erarbeiteten Formulierungsvorschlag der deutschen Delegation für das noch abzustimmende Abschlusspapier gehandelt, weswegen das Dokument auch in englischer Sprache abgefasst worden sei.
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Eine Ausschlusskategorie der vorbereitenden Abstimmungsprozesse, des Informellen, Unfertigen und Volatilen auf Unionsebene existiere nicht, da sonst just in jenen Phasen, in denen "Politik gemacht" werde, die Bedeutung des Deutschen Bundestages als Akteur drastisch beschnitten würde. Es gehöre zum Wesen von Abstimmungsprozessen und der Politikformung innerhalb der Europäischen Union, mit Leitlinien und Optionen in Verhandlungen zu gehen, die Raum für Flexibilität ließen. Die Phase der Abstimmung mit anderen Mitgliedstaaten dürfe daher nicht gleichgesetzt werden mit der vorgelagerten Willensbildung innerhalb der Bundesregierung.
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Keine Rolle spiele es ferner, ob ein Dokument zur Vorbereitung einer Sitzung vorab verteilt oder sonst mittelbar in die Sitzung eingebracht werde oder ob dies in Papierform oder mündlich geschehe. Ansonsten könnten die Unterrichtungspflichten leicht umgangen werden. Entscheidend sei vielmehr der Eintritt in einen Abstimmungsprozess mit Dritten.
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c) Ebenso bestehe kein Ermessen der Antragsgegnerin hinsichtlich des Zeitpunktes der Weiterleitung. Der Deutsche Bundestag müsse Gelegenheit zur informierten Stellungnahme bekommen, noch bevor die Bundesregierung sich im Namen der Bundesrepublik Deutschland an Beratungen, Verhandlungen und Beschlüssen auf europäischer Ebene beteilige. Dies gelte auch dann, wenn die regierungsinterne Vorbereitung der Verhandlungslinie und der Verhandlungsbeginn in der Euro-Gruppe zeitlich nahe beieinanderlägen. Es werde nicht in Abrede gestellt, dass dies der Antragsgegnerin in organisatorischer Hinsicht einiges abverlange, insbesondere wenn der Abstimmungsprozess wie vorliegend eine große Dynamik besitze. Gleichwohl müsse auch in dynamischen Situationen dafür Sorge getragen werden, dass der Deutsche Bundestag von wichtigen Entwicklungen nicht abgekoppelt werde. Insofern sei in zeitlicher Hinsicht die Beeinflussbarkeit der Entscheidungsprozesse das ausschlaggebende Kriterium, gerade auch in der Politikformungsphase.
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d) Verstärkend trete im vorliegenden Fall hinzu, dass es sich bei den Verhandlungen um Weichenstellungen im unmittelbaren Zusammenhang mit zentralen Fragen der integrationspolitischen Verantwortung des Deutschen Bundestages gehandelt habe, die ihrerseits an parlamentarische Zustimmungsvorbehalte gekoppelt seien. Die Idee einer Auszeit eines Mitglieds der Eurozone stelle eine grundsätzliche Richtungsfrage dar, die den Stand der Integration zur Disposition stelle und im unmittelbaren Zusammenhang mit der Gewährung von haushaltspolitisch bedeutsamen Finanzhilfen stehe. Zu beachten sei auch die besondere Bedeutung der Euro-Gruppe, welche sich personenidentisch und umstandslos als ESM-Gouverneursrat formieren könne, Tagungen des Euro-Gipfels vorbereite und ein Machtzentrum im Euroraum darstelle. Es gehe insoweit um die Möglichkeit des Deutschen Bundestages, in europapolitischen Fragen informiert zu sein und rechtzeitig Stellung beziehen zu können, um politisch Einfluss zu nehmen und nicht auf bloßen Nachvollzug einer Kabinettspolitik angewiesen zu sein.
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III.
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Die Antragsgegnerin hält den Antrag für unzulässig (1.), hilfsweise für unbegründet (2.).
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1. Der Antrag sei unzulässig, da ein Rechtsschutzbedürfnis fehle. Er sei in besonderer Weise zeitgebunden und auf ein Handeln der Antragsgegnerin gerichtet, das sich bereits vor der Antragstellung erledigt habe. Insoweit fehle es an dem erforderlichen Fortsetzungsfeststellungsinteresse.
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Ein objektives Klarstellungsinteresse genüge als Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht, da der Organstreit eine kontradiktorische Parteistreitigkeit im Sinne eines subjektiven Rechtsschutzverfahrens und keine objektive Beanstandungsklage sei. Im Übrigen bestehe im vorliegenden Fall auch kein über den konkreten Fall hinausgehendes objektives Klarstellungsinteresse, da keine zwischen den Beteiligten umstrittene verfassungsrechtliche Frage bestehe. Der Streit erschöpfe sich lediglich in einer abweichenden Bewertung des gleichen Geschehensablaufs und insbesondere in einer unterschiedlichen rechtlichen Einordnung des Dokuments vom 10. Juli 2015, welches die Antragstellerin als Fixierung der Verhandlungslinie der Antragsgegnerin und letztere als internes Arbeitspapier bewerte.
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Auch an einer konkreten Wiederholungsgefahr fehle es. Der Streit um die Bewertung des Geschehensablaufs und die Einordung des Dokuments vom 10. Juli 2015 als bloßes Arbeitspapier oder aber als Verhandlungsleitlinie sei singulär und eine Wiederholung in der Praxis nicht erkennbar. Die Beratungen über ein drittes Hilfspaket für Griechenland seien aus einer ganzen Reihe von Gründen präzedenzlos im Hinblick auf die Natur des zu lösenden politischen Problems, namentlich wegen der extremen zeitlichen Verdichtung und wegen des bei Beginn der internationalen Verhandlungen noch nicht abgeschlossenen internen Abstimmungsprozesses.
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2. Hilfsweise hält die Antragsgegnerin den Antrag für unbegründet.
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a) Für den Deutschen Bundestag sei auch ohne spezielle Unterrichtung offensichtlich gewesen, dass die Antragsgegnerin einerseits weiterhin alles daransetzen würde, einen Konsens zu einem dritten Hilfspaket zu erzielen, dass dies andererseits jedoch nicht um jeden Preis geschehen würde. Der Deutsche Bundestag habe sich hierzu anhand der ihm übermittelten Berichte und Nachrichten zu den vorherigen Beratungen der Staats- und Regierungschefs vom 7. Juli 2015 und durch einen Vorbericht zu den Beratungen ab dem 11. Juli 2015 ein klares Bild machen können. Darüber hinaus habe die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag auch den Antrag Griechenlands auf weitere Hilfen trotz der extremen zeitlichen Zuspitzung noch am 8. Juli 2015 und dessen Reformvorschläge am Morgen des 10. Juli 2015 übermittelt. Zudem habe der Bundesfinanzminister bei der Unterrichtung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages bereits am 30. Juni 2015 ausgeführt, dass Griechenland nicht ohne Programm in der Euro-zone bleiben könne. Da nicht nur in den griechischen Medien, sondern auch im Rahmen der Äußerungen mehrerer Abgeordneter des Deutschen Bundestages über einen möglichen Austritt Griechenlands aus der Währungsunion nachgedacht worden sei, hätte er die Möglichkeit gehabt, der Antragsgegnerin vor Beginn der Beratungen am 11. Juli 2015 seine diesbezügliche Einschätzung zu übermitteln. Es sei daher nicht überzeugend, dass die Antragsgegnerin den Deutschen Bundestag an der Wahrnehmung seiner Integrationsverantwortung gehindert habe und dieser im Unklaren über den Gegenstand der Beratungen und Verhandlungen gewesen sei.
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b) Das Dokument vom 10. Juli 2015 habe man dem Deutschen Bundestag deshalb nicht vorab übermittelt, weil es sich um ein vorbereitendes, internes Arbeitspapier des Bundesministeriums der Finanzen gehandelt habe.
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Als solches gebe es keine abschließend vereinbarte Verhandlungsposition der Antragsgegnerin wieder. Eine endgültige Verhandlungsposition sei innerhalb der 34 Stunden zwischen dem Eingang der griechischen Vorschläge und dem Tagungsbeginn der Euro-Gruppe bereits aus zeitlichen Gründen nicht abzustimmen gewesen. Es sei auch schwer vorstellbar, dass die ganze Bundesregierung allein auf Grundlage erster Überlegungen des Bundesministeriums der Finanzen ihre grundsätzliche Haltung zum Verbleib Griechenlands in der Währungsunion geändert hätte, bevor überhaupt die ebenfalls vorläufigen Bewertungen der Europäischen Kommission, der EZB und des IWF vorgelegen hätten. Dies zeige auch der Umstand, dass man den anderen Ressorts der Bundesregierung die Dokumente erst am 13. Juli 2015 und damit sogar einen Tag später als dem Deutschen Bundestag übermittelt habe. Die Willensbildung der Antragsgegnerin insbesondere zu den Folgen eines Scheiterns der Verhandlungen habe sich insoweit bis zum Beginn der Verhandlungen im Fluss befunden, ohne dass sie sich den Kommentar des Bundesministeriums der Finanzen zu eigen gemacht habe.
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Solange keine Vorentscheidung falle, sei die Antragsgegnerin auch im Falle eines intensiven Austauschs mit den anderen Mitgliedern der Eurozone nicht verpflichtet, den Deutschen Bundestag an ihren Gedanken zu den Konsequenzen eines Scheiterns der Verhandlungen zu weiteren Hilfspaketen teilhaben zu lassen. Volatile Willensbildungsprozesse seien vielmehr dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zuzuordnen, solange die Antragsgegnerin ihre Willensbildung nicht so weit konkretisiert habe, dass sie mit Zwischen- oder Teilergebnissen an die Öffentlichkeit gehe.
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Die Antragsgegnerin habe in Bezug auf bloße Überlegungen zum temporären Ausscheiden Griechenlands nie ein feststehendes Zwischenergebnis erzielt und sei auch nie an die Öffentlichkeit gegangen. Insbesondere habe der Bundesfinanzminister bei allen notwendigen Gedankenspielen nicht versucht, eine Zustimmung der anderen Mitgliedstaaten zu einem "Grexit" auf Zeit zu erwirken, sondern habe nur Optionen im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen beraten wollen.
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c) Aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ergebe sich jedenfalls im vorliegenden Fall auch keine Verpflichtung der Antragsgegnerin, rechtzeitig vor Beginn von Beratungen und Verhandlungen mit Organen oder Einrichtungen der Europäischen Union ihre Verhandlungslinie festzulegen.
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Eine Festlegung auf eine endgültige Position zum temporären Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone sei der Antragsgegnerin angesichts der äußerst knappen, in Stunden bemessenen zeitlichen Abläufe, der Komplexität und politischen Brisanz des Verhandlungsgegenstandes und nicht zuletzt angesichts der bis wenige Stunden vor Verhandlungsbeginn fehlenden ausreichenden Informationsgrundlage nicht möglich gewesen. Im Falle langwieriger Verhandlungs- und Abstimmungsprozesse könne sich ergeben, dass die Antragsgegnerin in informellen Beratungen mit den Regierungen anderer Mitgliedstaaten Ideen entwickele oder Vorschläge mache, zu denen sie noch keine eigene Position festgelegt habe. Im Hinblick auf ihre Integrationsverantwortung seien derartige Gespräche mit anderen Mitgliedstaaten sogar verfassungsrechtlich geboten. Jedenfalls angesichts der außergewöhnlichen zeitlichen Verknappung habe von der Antragsgegnerin nicht erwartet werden können, dass sie eine abschließende Position zum zeitweisen Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone festlege, bevor sie ausgelotet habe, ob in den anderen Mitgliedstaaten der Eurozone ähnliche Vorstellungen bestünden. Der Abstimmungsprozess mit den anderen Mitgliedstaaten sei daher der Festlegung der eigenen Verhandlungsposition vorausgegangen.
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d) Das Arbeitspapier führe mithin lediglich als interne, kurze und vorläufige Ideenskizze auf, wo aus Sicht der Fachabteilungen des Bundesministeriums der Finanzen die griechischen Vorschläge unzureichend seien. Insofern markiere es damit wichtige Merkposten für die deutsche Verhandlungsdelegation. Anlässlich derartiger Sitzungen der Euro-Gruppe entwickelten die Delegationen der Mitgliedstaaten regelmäßig Formulierungsvorschläge für das Abschlusspapier, über welche dann Satz für Satz abgestimmt werde. Deshalb sei das Dokument -- trotz seines internen Charakters -- in englischer Sprache abgefasst worden. Für die ausgehandelte Formulierung zum möglichen zeitweisen Austritt Griechenlands aus der Währungsunion hätten sich bis auf drei Länder sämtliche Mitgliedstaaten der Eurozone ausgesprochen; mangels Einstimmigkeit sei der Satz jedoch in Klammern gesetzt worden. Demgegenüber sei das Arbeitspapier nicht zum Gegenstand der Beratungen der Euro-Gruppe oder des Euro-Gipfels gemacht worden.
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Vom parlamentarisch nicht ausforschbaren Willensbildungsprozess der Antragsgegnerin verbliebe nur sehr wenig, wenn man selbst kurze und bewusst vage bleibende Papiere wie das streitgegenständliche Dokument noch am Tag seiner Abfassung als übermittlungspflichtig ansehen würde.
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IV.
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Der Antrag ist gemäß § 65 Abs. 2 BVerfGG dem Bundespräsidenten, dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat zugestellt worden. Der Deutsche Bundestag sowie der Bundesrat haben beschlossen, in dem Organstreitverfahren von einer Äußerung und einem Beitritt abzusehen.
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V.
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Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin haben auf eine mündliche Verhandlung verzichtet.
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Der Antrag ist zulässig.
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I.
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Als Fraktion des Deutschen Bundestages ist die Antragstellerin parteifähig (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5, § 63 BVerfGG) und kann im Organstreitverfahren Rechte des Deutschen Bundestages im Wege der Prozessstandschaft geltend machen (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 2. März 2021 - 2 BvE 4/16 -, Rn. 56; BVerfGE 131, 152 [190]; 152, 8 [18 Rn. 25]; stRspr). Die Bundesregierung ist als Verfassungsorgan des Bundes taugliche Antragsgegnerin.
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II.
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Das Unterlassen der Antragsgegnerin, die Antragstellerin bereits vor dem Tagungsbeginn der Euro-Gruppe über ihre Verhandlungslinie zum Verbleib oder vorübergehenden Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone zu unterrichten, ist zulässiger Gegenstand eines Organstreitverfahrens (§ 64 Abs. 1 BVerfGG).
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Die Antragstellerin ist antragsbefugt (§ 64 Abs. 1 BVerfGG) und hat ihren Antrag den Anforderungen des § 64 Abs. 2 BVerfGG entsprechend begründet. Auf der Grundlage ihres Sachvortrags erscheint es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Bundesregierung durch eine verspätete oder unzureichende Information das von der Antragstellerin geltend gemachte Recht des Deutschen Bundestages aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG auf umfassende und frühestmögliche Unterrichtung verletzt hat.
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Soweit sich die Antragstellerin dagegen auch auf einfaches Recht -- hier insbesondere auf §§ 3 f. EUZBBG -- beruft, ist dies im Organstreit nur insoweit relevant, als das Gesetz unmittelbar aus der Verfassung selbst folgende Rechte und Pflichten widerspiegelt. Eine Verletzung einfachen Rechts kann im Organstreit nicht geltend gemacht werden (vgl. BVerfGE 104, 151 [193 f.]; 118, 277 [319]; 131, 152 [191]; stRspr).
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III.
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Das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis liegt vor. Dieses ist nicht deshalb entfallen, weil die Antragsgegnerin dem Deutschen Bundestag das Dokument vom 10. Juli 2015 am 12. Juli 2015 gegen 16:00 Uhr im Anschluss an die Sitzung der Euro-Gruppe zuleitete.
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Selbst wenn man in derartigen Fällen ein besonderes Fortsetzungsfeststellungsinteresse fordern wollte, läge dieses hier wegen einer bestehenden Wiederholungsgefahr und in Form eines objektiven Klarstellungsinteresses vor (vgl. BVerfGE 119, 302 [308 f.]; 121, 135 [152]; 131, 152 [193 f.]; 137, 185 [230 Rn. 127]; 147, 50 [124 Rn. 187]; 148, 11 [22 Rn. 35]). Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Unterrichtungsrechte des Deutschen Bundestages gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt worden sind, indem die Antragsgegnerin ohne vorherige Unterrichtung des Deutschen Bundestages vor und während einer Sitzung der Euro-Gruppe und eines Euro-Gipfels in den Austausch mit ihren europäischen Partnern trat und dabei gegenüber ihren Verhandlungspartnern neue -- wenn auch nicht "endgültige" -- Handlungsoptionen in den Raum stellte. Die Antragsgegnerin hält insofern an ihrer bereits vorprozessual geltend gemachten Auffassung fest, dass sie wegen der zeitlich eng getakteten Abläufe, der rechtlichen Einordnung des Dokuments vom 10. Juli 2015 als internes Arbeitspapier des Bundesministeriums der Finanzen und der fehlenden Festlegung auf eine endgültige, gemeinsame Verhandlungsposition nicht zu einer Unterrichtung verpflichtet gewesen sei. Die spätere Unterrichtung des Deutschen Bundestages durch Übermittlung des Dokuments erfolgte dementsprechend ohne Anerkennung einer Rechtspflicht.
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Folglich ist hier nicht lediglich die tatsächliche und rechtliche Einordnung des Dokuments vom 10. Juli 2015 zwischen den Beteiligten streitig. Es kommt vorliegend auch nicht entscheidend auf die tatsächliche Frage an, ob das Dokument den anderen Mitgliedstaaten der Eurozone -- beispielsweise vorab per E-Mail, als Tischvorlage oder auf anderem Wege -- "vorgelegt" oder in die Verhandlungen "eingebracht" wurde. Vielmehr wird die grundsätzliche Rechtsfrage aufgeworfen, ob nur eine "endgültige", in Kenntnis der Verhandlungspositionen der übrigen Mitgliedstaaten getroffene Positionierung der Bundesregierung im Rahmen von Verhandlungen auf europäischer Ebene dem Deutschen Bundestag mitzuteilen ist und ob insbesondere der Inhalt eines Dokuments, das vom Bundesminister der Finanzen im Rahmen einer Verhandlungsrunde der Euro-Gruppe als Diskussions- und Argumentationsgrundlage gegenüber Dritten verwendet wird, noch dem Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zugeordnet werden kann. Insofern macht die Antragsgegnerin geltend, dass sich ihre endgültige Festlegung auf eine Position erst im Laufe des Austausches mit den europäischen Partnern in der Euro-Gruppe herausgebildet habe. Dieser Austausch stelle sich als eine Art Verlängerung des internen Willensbildungsprozesses der Antragsgegnerin dar und gehöre daher zum Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Dem tritt die Antragstellerin mit dem Argument entgegen, dass die inhaltliche Position der Antragsgegnerin, dokumentiert durch das Positionspapier vom 10. Juli 2015, bereits nach außen gelangt und Grundlage für die Vorgehensweise der Antragsgegnerin in den Beratungen mit ihren Verhandlungspartnern gewesen sei.
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Für die Antragstellerin besteht ein erhebliches Interesse an der Klärung der Frage, ob der Deutsche Bundestag in derartigen Fällen von der Antragsgegnerin auf einen bloßen Nachvollzug -- zumal ohne Rechtsanspruch -- verwiesen werden darf oder nicht. Den gerügten Unterlassungen der Antragsgegnerin liegt eine Rechtsauffassung zugrunde, die zukünftig in zu erwartenden, vergleichbaren Fällen auf europäischer Ebene zu ähnlichen Reaktionen der Antragsgegnerin führen kann (vgl. BVerfGE 131, 152 [194]).
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Der Antrag ist begründet. Die Antragsgegnerin hat den Deutschen Bundestag entgegen Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (I.) nicht umfassend und frühestmöglich, mithin noch vor Beginn der Sitzung der Euro-Gruppe am 11. Juli 2015, über ihre Verhandlungslinie in der Euro-Gruppe und beim anschließenden Euro-Gipfel zum Verbleib oder Austritt Griechenlands aus der Eurozone und insbesondere über von ihr in die Verhandlungen eingebrachte Lösungsoptionen informiert und damit gegen die ihr obliegenden Unterrichtungspflichten verstoßen (II.).
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I.
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Gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG wirken der Deutsche Bundestag und durch den Bundesrat die Länder in Angelegenheiten der Europäischen Union mit. Dabei hat die Bundesregierung gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG den Bundestag und den Bundesrat umfassend und zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu unterrichten.
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1. Für den Bereich der Europäischen Union hat Art. 23 GG das Spannungsverhältnis zwischen exekutiver Außenvertretung und parlamentarischer Verantwortung auf spezifische Weise ausgestaltet und dem Deutschen Bundestag in Ansehung der mit der Europäisierung des Gewaltengefüges verbundenen Gewichtsverlagerung zugunsten der Exekutive weitreichende Mitwirkungsrechte zugestanden (vgl. BVerfGE 131, 152 [196]).
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Mit Art. 23 GG hat der verfassungsändernde Gesetzgeber auf mit der europäischen Integration verbundene Verschiebungen im nationalen Gewaltengefüge reagiert. Die Europäische Union besitzt aufgrund der Übertragung von Hoheitsrechten (Art. 23 Abs. 1 GG) die Kompetenz, selbst Recht zu setzen, das unmittelbar gilt und in vielfältiger Weise Rechte und Pflichten für die Bürger der Mitgliedstaaten begründet. Bei seinem Erlass agieren über den Europäischen Rat und den Rat der Europäischen Union nicht primär die nationalen Gesetzgebungsorgane, sondern die mitgliedstaatlichen Exekutiven. Das stellt die parlamentarische Demokratie auf nationaler Ebene vor besondere Herausforderungen, weil das Parlament aus der Rolle der zentralen Entscheidungsinstanz teilweise verdrängt wird. Eine stärkere Einbindung der nationalen Parlamente in den Integrationsprozess kann deren Kompetenzverluste gegenüber der jeweiligen nationalen Regierung mindern (vgl. BVerfGE 131, 152 [197 m.w.N.]; vgl. auch BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 2. März 2021 - 2 BvE 4/16 -, Rn. 76 ff.).
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2. Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG bezieht das Mitwirkungsrecht des Parlaments auf Angelegenheiten der Europäischen Union und bestimmt damit zugleich den Gegenstand der Unterrichtungspflicht gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Dabei ist der Begriff der Angelegenheiten der Europäischen Union weit zu verstehen (vgl. BVerfGE 131, 152 [199 ff.]; 153, 74 [145 Rn. 122]). Zu ihnen gehören neben Vertragsänderungen, entsprechenden Änderungen auf der Ebene des Primärrechts und Rechtsetzungsakten auch völkerrechtliche Verträge, wenn sie in einem Ergänzungs- oder sonstigen besonderen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen (vgl. BVerfGE 131, 152 [199 ff., 215]; 153, 74 [146 f. Rn. 124 f.]).
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3. Die Unterrichtung des Deutschen Bundestages hat nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG "umfassend" zu erfolgen.
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a) Anknüpfungspunkt ist dabei das in Art. 23 Abs. 2 Satz 1 GG verankerte Recht des Deutschen Bundestages auf Mitwirkung in Angelegenheiten der Europäischen Union (vgl. BVerfGE 131, 152 [202]). Die Unterrichtung muss dem Deutschen Bundestag in erster Linie eine frühzeitige und effektive Einflussnahme auf die Willensbildung der Bundesregierung eröffnen. Nur auf einer ausreichenden Informationsgrundlage ist der Bundestag in der Lage, den europäischen Integrationsprozess zu begleiten und zu beeinflussen, kann er das Für und Wider einer Angelegenheit diskutieren und Stellungnahmen erarbeiten (vgl. BVerfGE 131, 152 [202 f.]). Durch die Unterrichtung werden zudem Informationsasymmetrien zwischen der Bundesregierung und dem Bundestag ausgeglichen, soweit dies zur Gewährleistung einer effektiven Rechtswahrnehmung und Mitwirkung des Bundestages erforderlich ist. Diesem Zweck läuft eine enge Auslegung zuwider (vgl. BVerfGE 131, 152 [203 f.]).
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Das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gebietet ebenfalls, dass der Deutsche Bundestag an diejenigen Informationen gelangen kann, die er für eine Abschätzung der wesentlichen Grundlagen und Konsequenzen seiner Entscheidungen benötigt. In seinem Kern ist dieser parlamentarische Unterrichtungsanspruch deshalb auch in Art. 79 Abs. 3 GG verankert (vgl. BVerfGE 132, 195 [241 f. Rn. 111]; vgl. auch BVerfGE 131, 152 [204 f.]). Auslegung und Anwendung des Art. 23 Abs. 2 GG haben daher dem Umstand Rechnung zu tragen, dass diese Bestimmung auch dem im Demokratieprinzip verankerten Grundsatz parlamentarischer Öffentlichkeit dient (vgl. BVerfGE 131, 152 [204]). Entscheidungen von erheblicher rechtlicher oder faktischer Bedeutung für die Spielräume künftiger Gesetzgebung muss grundsätzlich ein Verfahren vorausgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, und das die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen zu klären (vgl. BVerfGE 85, 386 [403 f.]; 95, 267 [307 f.]; 108, 282 [312]; 131, 152 [205]). Exemplarisch dafür ist, dass der Deutsche Bundestag auch in einem System intergouvernementalen Regierens die haushaltspolitische Gesamtverantwortung nach diesen Grundsätzen wahrzunehmen hat (vgl. BVerfGE 131, 152 [205]; 135, 317 [402 f. Rn. 166]). Nur eine umfassende Information des Bundestages in Angelegenheiten der Europäischen Union stellt sicher, dass er im Rahmen einer öffentlichen Auseinandersetzung und Entscheidungssuche über eine tragfähige Entscheidungsgrundlage verfügt.
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Auch die Entstehungsgeschichte des Art. 23 Abs. 2 GG zeigt, dass sich der verfassungsändernde Gesetzgeber bewusst für eine weitreichende Unterrichtungspflicht entschieden hat (vgl. BVerfGE 131, 152 [203 f.]). Der Deutsche Bundestag und der Bundesrat sollen demnach über alle Angelegenheiten der Europäischen Union unterrichtet werden, "die für sie von Interesse sein könnten" (BTDrucks 12/6000, S. 21).
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b) Zur Wahrung der Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages ist eine umso intensivere Unterrichtung geboten, je komplexer ein Vorgang ist, je tiefer er in den Zuständigkeitsbereich der Legislative eingreift und je mehr er sich einer förmlichen Beschlussfassung oder Vereinbarung annähert (vgl. BVerfGE 131, 152 [207]). Insbesondere Vereinbarungen und Mechanismen, die erheblich in die Zuständigkeiten des Bundestages und namentlich in seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung eingreifen, lösen vollständige und detaillierte Unterrichtungspflichten aus (vgl. Graf von Kielmansegg, EuR 2012, S. 654 [663]). Die Unterrichtung muss so erfolgen, dass das Parlament nicht in eine bloß nachvollziehende Rolle gerät (vgl. BVerfGE 131, 152 [202 f. m.w.N.]; vgl. auch BVerfGE 123, 267 [420]; 132, 195 [242 Rn. 111]).
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In qualitativer Hinsicht erfasst die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung zunächst Initiativen und Positionen der Bundesregierung selbst (vgl. BVerfGE 131, 152 [207]). Darüber hinaus erstreckt sie sich auf die Weiterleitung amtlicher Unterlagen und Dokumente der Organe sowie sonstiger Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten in Angelegenheiten der Europäischen Union, ist darauf aber nicht beschränkt. Sobald und soweit die Bundesregierung selbst mit einer Angelegenheit befasst ist, können auch ihr vorliegende Informationen über informelle und (noch) nicht schriftlich dokumentierte Vorgänge erfasst sein (vgl. BVerfGE 131, 152 [207]).
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Insbesondere bei bedeutsamen Angelegenheiten erschöpft sich die gebotene umfassende Unterrichtung nicht in einem einmaligen Tätigwerden. Es handelt sich vielmehr um eine auf Dauer angelegte, fortlaufende Pflicht, die jedes Mal aktualisiert wird, wenn sich bei der Behandlung einer Angelegenheit neue politische oder rechtliche Fragen stellen, zu denen sich der Deutsche Bundestag noch keine Meinung gebildet hat (vgl. BVerfGE 131, 152 [209 m.w.N.]). Die Pflicht zur umfassenden Unterrichtung und zum Ausgleich von Informationsungleichgewichten ist daher nicht statisch, sondern dynamisch zu verstehen. Sie verdichtet sich mit zunehmender Komplexität und Bedeutung eines Vorgangs sowie mit der zeitlichen Nähe zu einer förmlichen Beschlussfassung oder zum Abschluss einer Vereinbarung (vgl. BVerfGE 131, 152 [209 f.]). Die Bundesregierung hat die Informationen immer dann zu aktualisieren, wenn sich neue Entwicklungen ergeben haben oder sie ihre Haltung zu einem Dossier ändert (vgl. Brand, Europapolitische Kommunikation zwischen Bundestag und Bundesregierung, 2015, S. 71).
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Dies umfasst zugleich die Pflicht, nicht nur bereits in EU-Gremien unter Mitwirkung der Bundesregierung abschließend beratene oder sogar bereits beschlossene Rechtsetzungsakte sowie sonstige relevante Dokumente zuzuleiten. Vielmehr muss die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag auch ihr vorliegende Zwischenergebnisse und Textstufen übermitteln. Dass sich Entwürfe ändern und daher Aktualisierungen erforderlich werden, solche Informationen mithin schnell überholt sein können, rechtfertigt es nicht, die schriftliche Unterrichtung auf einen Zeitpunkt zu verschieben, in dem die Ergebnisse bereits feststehen (vgl. BVerfGE 131, 152 [222]).
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c) Auch die eventuelle Geheimhaltungsbedürftigkeit einer Information steht ihrer Weiterleitung an den Deutschen Bundestag grundsätzlich nicht entgegen.
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Ein Geheimhaltungsbedürfnis kann sich nach den Umständen des Einzelfalls insbesondere im Hinblick auf mitteilungsbedürftige Initiativen und Positionierungen der Bundesregierung ergeben. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat dem Deutschen Bundestag durch Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG weitreichende Unterrichtungsrechte eingeräumt. Insbesondere in Bezug auf Initiativen der Bundesregierung im Verhältnis zu den übrigen Mitgliedstaaten und zu Organen der Europäischen Union erscheinen Fallkonstellationen nicht ausgeschlossen, in denen ein vorzeitiges Bekanntwerden der Haltung der Bundesregierung in der Öffentlichkeit deren Verhandlungsposition im europäischen Gefüge nachhaltig schwächt. Denn es kann sich für die übrigen Verhandlungsteilnehmer als vorteilhaft erweisen, vorzeitig über die Positionierung der Bundesregierung informiert zu sein, ohne dass die Bundesregierung ihrerseits die Initiativen und Verhandlungspositionen der übrigen Verhandlungspartner kennt. Dadurch können abhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls die Verhandlungsstärke der Bundesregierung und damit die Belange der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt werden.
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In derartigen Fällen, in denen das Wohl des Staates durch das Bekanntwerden vertraulicher Informationen gefährdet werden kann, kann die Unterrichtung vertraulich erfolgen (vgl. BVerfGE 131, 152 [208]). So legt § 10 Abs. 2 Satz 2 EUZBBG fest, dass der Deutsche Bundestag die Sicherheitseinstufung der Organe der Europäischen Union über eine besondere Vertraulichkeit zu beachten hat (vgl. beispielsweise Art. 6 der Geschäftsordnung des Rates, ABl EU 2009 Nr. L 325 vom 11. Dezember 2009, S. 40). Eine eventuell erforderliche nationale Einstufung als vertraulich für diese Dokumente oder für andere im Rahmen dieses Gesetzes an den Bundestag zu übermittelnden Informationen, Berichte und Mitteilungen kann die Bundesregierung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 3 EUZBBG noch vor der Versendung vornehmen und ist vom Deutschen Bundestag ebenfalls zu beachten (vgl. auch BVerfGE 67, 100 [135] zur entsprechenden Regelung in § 3 Abs. 2 Geheimschutzordnung -- im Folgenden: GSO). Auch dem besonderen Schutzbedürfnis laufender Verhandlungen hat der Bundestag durch eine vertrauliche Behandlung Rechnung zu tragen (§ 10 Abs. 3 EUZBBG, § 7 Abs. 3 ESMFinG, § 5 Abs. 3 StabMechG).
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Die Voraussetzungen für die Wahrung der Vertraulichkeit hat der Deutsche Bundestag mit dem Erlass seiner Geheimschutzordnung geschaffen, welche Bestandteil seiner Geschäftsordnung ist (§ 17 GO-BT) und in detaillierter Weise die Voraussetzungen für die Wahrung von Dienstgeheimnissen bei seiner Aufgabenerfüllung regelt (vgl. BVerfGE 67, 100 [135]; 77, 1 [48]; 130, 318 [362]; 131, 152 [208]; 137, 185 [240 Rn. 149]; vgl. auch BTDrucks 17/12816, S. 12). Die Einhaltung der Geheimschutzordnung ist Pflicht eines jeden Abgeordneten, wobei diese Verschwiegenheitspflicht durch die strafrechtliche Sanktion des § 353b Abs. 2 Nr. 1 StGB abgesichert wird (vgl. BVerfGE 137, 185 [240 Rn. 149]). Durch die detaillierten Regelungen in § 69 Abs. 7 GO-BT in Verbindung mit § 7 GSO wird zudem eine vertrauliche Behandlung von Verschlusssachen der Geheimhaltungsgrade "VS-Vertraulich" oder höher insbesondere auch im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sichergestellt.
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Die Geheimschutzbestimmungen sind Ausdruck der Tatsache, dass das Parlament ohne eine Beteiligung am geheimen Wissen der Regierung weder das Gesetzgebungsrecht noch das Haushaltsrecht noch das parlamentarische Kontrollrecht gegenüber der Regierung auszuüben vermöchte (vgl. BVerfGE 67, 100 [135]; 137, 185 [240 f. Rn. 149]). Auch die Unterrichtungs- und Mitwirkungsrechte nach Art. 23 Abs. 2 GG liefen in vielen Fallkonstellationen leer, wenn sich die Bundesregierung regelmäßig auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit des jeweiligen Ereignisses auf europäischer Ebene berufen könnte. Zudem ist zu berücksichtigen, dass das Staatswohl im parlamentarischen Regierungssystem des Grundgesetzes nicht allein der Bundesregierung, sondern dem Bundestag und der Bundesregierung gemeinsam anvertraut ist (vgl. BVerfGE 67, 100 [136]; 124, 78 [124]; 137, 185 [241 Rn. 149]). Darüber hinaus beschränkt eine Geheimhaltung gegenüber dem Parlament die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten und kann deshalb den notwendigen demokratischen Legitimationszusammenhang beeinträchtigen oder unterbrechen (vgl. BVerfGE 147, 50 [128 Rn. 199 m.w.N.]). Mithin kommt die Berufung auf eine absolute Geheimhaltungsbedürftigkeit gerade gegenüber dem Bundestag in aller Regel dann nicht in Betracht, wenn beiderseits wirksam Vorkehrungen gegen das Bekanntwerden von Dienstgeheimnissen getroffen wurden (vgl. BVerfGE 67, 100 [136]; 137, 185 [241 Rn. 149]).
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Adressat der Unterrichtung gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist grundsätzlich der Bundestag als Ganzer (vgl. BVerfGE 131, 152 [213]). Nur in seltenen Fällen ganz besonderer Geheimhaltungsbedürftigkeit kann der Grund absoluter Vertraulichkeit es rechtfertigen, den Kreis der zu informierenden Abgeordneten auf die Mitglieder eines besonderen Gremiums zu beschränken (vgl. BVerfGE 130, 318 [359, 362 f.]; 137, 185 [242 f. Rn. 152]; 147, 50 [130 f. Rn. 205]; vgl. auch § 7 Abs. 7 ESMFinG, § 5 Abs. 7 StabMechG). Dabei sind die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfGE 130, 318 [363 f.]).
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d) Grenzen der Unterrichtungspflicht ergeben sich aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG). Das Funktionengefüge des Grundgesetzes geht davon aus, dass die Regierung einen Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung besitzt, der einen grundsätzlich nicht ausforschbaren Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich einschließt. Zu diesem Kernbereich gehört jedenfalls die Willensbildung der Regierung, sowohl hinsichtlich der Erörterungen im Kabinett als auch bei der Vorbereitung von Kabinetts- und Ressortentscheidungen, die sich vor allem in ressortinternen und -übergreifenden Abstimmungsprozessen vollzieht (vgl. BVerfGE 67, 100 [139]; 110, 199 [214, 222]; 124, 78 [120]; 131, 152 [206]; 147, 50 [138 f. Rn. 229]). Solange die interne Willensbildung der Bundesregierung nicht abgeschlossen ist, besteht daher kein Anspruch des Parlaments auf Unterrichtung (vgl. BVerfGE 131, 152 [206]).
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Initiativen der Bundesregierung und ihrer Positionierung bei von dritter Seite angestoßenen Vorhaben in Angelegenheiten der Europäischen Union geht ein -- je nach Vorgang -- mehr oder weniger umfangreicher Willensbildungsprozess voraus, in dessen Verlauf sich unter Umständen erst allmählich eine bestimmte Auffassung herausbildet. Bis dahin handelt es sich um einen von verschiedenen innen- und außenpolitischen sowie innerorganschaftlichen Belangen, Erwägungen und Entwicklungen abhängigen und damit volatilen Vorgang, der den Bereich der Bundesregierung noch nicht verlässt und über den der Deutsche Bundestag von Verfassungs wegen grundsätzlich auch noch nicht zu informieren ist (vgl. BVerfGE 131, 152 [210]; 137, 185 [235 Rn. 136]; 147, 50 [139 Rn. 229]). Wenn die Bundesregierung indes ihre Willensbildung selbst so weit konkretisiert hat, dass sie Zwischen- oder Teilergebnisse an die Öffentlichkeit geben kann oder mit einer eigenen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten will, fällt ein Vorhaben nicht mehr in den gegenüber dem Bundestag abgeschirmten Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung (vgl. BVerfGE 131, 152 [210]). Dieser endet daher, wenn und soweit die Bundesregierung Zwischenergebnisse erreicht oder Positionierungen ausgearbeitet hat und schon diese zur Grundlage ihres nach außen gerichteten Handelns macht. Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG gebietet in diesen Fällen eine substantielle Information des Deutschen Bundestages durch die Bundesregierung über ihr Vorhaben (vgl. BVerfGE 131, 152 [210]).
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Der Unterrichtungspflicht steht nicht entgegen, dass es noch keine endgültig abgestimmte Position zum avisierten Inhalt eines Vorschlags innerhalb der Bundesregierung gibt. Gegenstand der Unterrichtungspflicht ist in derartigen Fällen allein die Absicht der Bundesregierung, einen Prozess zu dessen Ausarbeitung anzustoßen. Die Willensbildung der Bundesregierung ist in derartigen Fällen jedenfalls abgeschlossen, wenn sie mit ihrer Initiative aus dem Bereich der regierungsinternen Abstimmung hinaustreten und mit einer eigenen, auch nur vorläufigen Position in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintreten will (vgl. BVerfGE 131, 152 [227]).
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4. Im Hinblick auf die Unterrichtungspflicht bestehen strikte zeitliche Vorgaben. Art. 23 Abs. 2 GG zielt darauf, dem Deutschen Bundestag ausreichend Zeit für eine Entscheidung einzuräumen, ob und gegebenenfalls wie er sich an der nationalen Willensbildung beteiligen möchte (vgl. BVerfGE 131, 152 [201 m.w.N.]; vgl. auch BTDrucks 12/3896, S. 23 f.). Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sich dabei bewusst für die zeitlich enge Vorgabe einer Unterrichtung "zum frühestmöglichen Zeitpunkt" anstelle einer lediglich "rechtzeitigen" oder "regelmäßigen" Unterrichtung entschieden (vgl. BVerfGE 131, 152 [211]). Er wollte damit verhindern, dass sich der Deutsche Bundestag in der Parlamentspraxis vor vollendete Tatsachen gestellt sieht und diese nur noch zur Kenntnis nehmen kann (vgl. Teuber, Parlamentarische Informationsrechte, 2007, S. 70 f. m.w.N.). Dem Zeitpunkt kommt daher eine dem Umfang der Unterrichtung gleichrangige Bedeutung zu. Nur wenn der Deutsche Bundestag frühzeitig von einem Vorhaben erfährt, kann er den regelmäßig durch eine Vielzahl von Akteuren getragenen Entscheidungs-prozess in Angelegenheiten der Europäischen Union noch beeinflussen (vgl. BVerfGE 131, 152 [212]). So muss beispielsweise abgesichert sein, dass der Deutsche Bundestag durch seine Stellungnahmen den Entscheidungsprozess beeinflussen kann, bevor Gremien wie die Euro-Gruppe etwa die Modalitäten von Hilfsprogrammen festlegen (vgl. Wimmel, in: ZG 2016, S. 44 [60]). Eine frühestmögliche Unterrichtung des Deutschen Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist daher in solchen Fällen Voraussetzung für die Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte nach Art. 23 Abs. 3 GG.
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Deshalb muss der Deutsche Bundestag die Informationen der Bundesregierung spätestens zu einem Zeitpunkt erhalten, der ihn in die Lage versetzt, sich fundiert mit dem Vorgang zu befassen und eine Stellungnahme zu erarbeiten, bevor die Bundesregierung nach außen wirksame Erklärungen, insbesondere bindende Erklärungen zu Rechtsetzungsakten der Union und intergouvernementalen Vereinbarungen, abgibt. Das schließt es aus, dass die Bundesregierung ohne vorherige Beteiligung des Bundestages konkrete Initiativen ergreift oder an Beschlussfassungen mitwirkt, und gebietet die Weiterleitung sämtlicher Dokumente, sobald sie zum Gegenstand von Verhandlungen gemacht werden (vgl. BVerfGE 131, 152 [212]).
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Offizielle Dokumente, Berichte und Mitteilungen müssen daher ebenso wie alle inoffiziellen Informationen an den Deutschen Bundestag weitergeleitet werden, sobald sie in den Einflussbereich der Bundesregierung gelangen. Über Sitzungen der Organe und informelle Beratungen, an denen die Bundesregierung beteiligt ist, muss der Bundestag -- auch wenn noch keine förmlichen Vorschläge oder sonstige Beratungsgrundlagen existieren -- bereits im Voraus und so rechtzeitig informiert werden, dass er sich über den Gegenstand der Sitzungen eine Meinung bilden und auf die Verhandlungslinie und das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung Einfluss nehmen kann. Insoweit besteht kein Ermessen der Bundesregierung hinsichtlich des Zeitpunkts (vgl. BVerfGE 131, 152 [212 f. m.w.N.]).
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Spätere mündliche oder schriftliche Informationen und insbesondere eine nachträgliche Übersendung bereits in der Euro-Gruppe oder in sonstigen EU-Gremien beratener Dokumente können eine Verletzung der Unterrichtungspflicht nicht heilen (vgl. BVerfGE 131, 152 [222]).
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5. Aus dem mit der Unterrichtung des Deutschen Bundestages verfolgten Zweck des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG folgen schließlich auch Anforderungen an das Verfahren und die Form der Unterrichtung.
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Der Zweck des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verlangt im Grundsatz eine schriftliche Unterrichtung durch die Bundesregierung. Zwar ist die Schriftform in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG nicht ausdrücklich vorgesehen. Angesichts der Anforderungen an Klarheit, Verstetigung und Reproduzierbarkeit, die an eine förmliche Unterrichtung des Parlaments zu stellen sind, erscheint die Schriftform jedoch gegenüber der mündlichen Unterrichtung als das vorrangige Medium zur effektiven Information des Bundestages. Der mündlichen Unterrichtung des Plenums, des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union wie auch der Fachausschüsse kommt vor diesem Hintergrund grundsätzlich nur eine ergänzende und erläuternde Funktion zu (vgl. BVerfGE 131, 152 [214]).
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Ausnahmen vom Schriftlichkeitsgrundsatz sind nur in engen Grenzen und insbesondere im Hinblick auf das Gebot einer Unterrichtung zum frühestmöglichen Zeitpunkt zulässig, unter Umständen aber auch geboten. Das ist etwa der Fall, wenn zu einer Angelegenheit noch keine schriftlichen Unterlagen vorliegen und in vertretbarer Zeit auch nicht beschafft oder hergestellt werden können, eine Unterrichtung des Deutschen Bundestages jedoch im Hinblick auf die effektive Wahrnehmung seiner Mitwirkungsrechte erforderlich ist. Für die Überlassung fremdsprachiger Unterlagen gilt Vergleichbares. Entfällt das Hindernis, ist das entstandene Informationsdefizit unverzüglich auszugleichen (vgl. BVerfGE 131, 152 [214 f. m.w.N.]).
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II.
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Nach diesen Maßstäben ist der Antrag begründet. Die Antragsgegnerin hat die Unterrichtungsrechte des Deutschen Bundestages nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG dadurch verletzt, dass sie das Parlament nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt vor der Tagung der Euro-Gruppe am 11. und 12. Juli 2015 über ihre Verhandlungsposition in der Euro-Gruppe und beim Euro-Gipfel am 12. und 13. Juli 2015 zum Verbleib oder vorübergehenden Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone unterrichtet hat.
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1. Die im Juli 2015 andauernden Verhandlungen der Mitgliedstaaten der Eurozone, der Organe der Europäischen Union und weiterer Akteure zur Gewährung von Finanzhilfen an Griechenland unter Ausweitung der Tätigkeiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus stellten eine Angelegenheit der Europäischen Union gemäß Art. 23 Abs. 2 GG dar und lösten deshalb Mitwirkungs- und Informationsrechte des Deutschen Bundestages aus (vgl. BVerfGE 131, 152 [215 ff.]; 135, 317 [428 Rn. 232]; 153, 74 [145 f. Rn. 123]).
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2. Die Verhandlungsposition der Bundesregierung einschließlich ihrer Lösungsvorschläge unterfiel der Unterrichtungspflicht gemäß Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG, weswegen der Deutsche Bundestag einen Anspruch auf deren Mitteilung noch vor der anstehenden Sitzung der Euro-Gruppe und vor dem Euro-Gipfel hatte.
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a) Verhandlungen über die Gewährung weiterer Finanzhilfen im hohen zweistelligen Milliardenbereich für Griechenland durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus betreffen unmittelbar das Budgetrecht und die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages als unverfügbarer Teil des grundgesetzlichen Demokratieprinzips (vgl. BVerfGE 131, 152 [202]; 154, 17 [87 Rn. 104]). Es handelt sich dabei um einen in tatsächlicher, rechtlicher und politischer Hinsicht höchst komplexen und bedeutsamen Vorgang. Gleiches gilt für die in die Diskussion eingebrachte Option eines vorübergehenden Austritts Griechenlands aus der Eurozone, da auch dieses Szenario mit ganz erheblichen Auswirkungen auf den Integrationsprozess der Europäischen Union sowie auf den Bundeshaushalt verbunden wäre. Die Verhandlungen zu einem dritten Hilfspaket für Griechenland befanden sich in einer entscheidenden Phase, wobei auf dem Euro-Gipfel vom 12. und 13. Juli 2015 absehbar wesentliche Entscheidungen getroffen werden sollten und in Form einer politischen Grundsatzeinigung auch tatsächlich erzielt wurden.
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In Anbetracht dieser herausragenden Bedeutung und der Komplexität der Angelegenheit war eine besonders intensive Beteiligung des Deutschen Bundestages geboten, um sicherzustellen, dass er sich mit der Angelegenheit auseinandersetzen sowie Notwendigkeit und Umfang der zu beschließenden Maßnahmen aus seiner Sicht klären konnte (vgl. BVerfGE 131, 152 [220]). Aus dem Gebot umfassender und frühestmöglicher Information in Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ergaben sich deshalb im konkreten Fall hohe Anforderungen an die Qualität, Quantität, Aktualität und Verwertbarkeit der Unterrichtung über den Verhandlungsstand zu einem dritten Hilfspaket für Griechenland und zu einem etwaigen Austritt Griechenlands aus der Eurozone (vgl. BVerfGE 131, 152 [220]). Entsprechend detailliert hatte die Unterrichtung des Deutschen Bundestages zu erfolgen.
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b) Die Initiative und Positionierung der Antragsgegnerin im Vorfeld der Sitzung der Euro-Gruppe und des Euro-Gipfels umfasste auch den Inhalt des Schriftstücks vom 10. Juli 2015, welcher der Antragsgegnerin als Bestandteil ihrer eigenen Verhandlungsposition in Bezug auf ein drittes Hilfspaket für Griechenland zurechenbar ist (vgl. BVerfGE 131, 152 [207]). Die Antragsgegnerin kann sich nicht darauf berufen, es habe sich insofern lediglich um interne Überlegungen des Bundesministeriums der Finanzen gehandelt, welche sich die Antragsgegnerin nicht zu eigen gemacht habe und welche schon mangels Ressortabstimmung nicht die endgültige Verhandlungsposition der Antragsgegnerin wiedergäben.
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Zum einen steht dieser Vortrag im Widerspruch zu den Ausführungen des Bundesfinanzministers in der Sitzung des Haushaltsausschusses am 16. Juli 2015, in welcher er betonte, dass seine inhaltliche Position bei der Tagung der Euro-Gruppe innerhalb der Bundesregierung abgestimmt gewesen sei. Bereits am 9. Juli 2015 fand nach dem Vortrag der Antragsgegnerin zudem ein Gespräch zwischen der Bundeskanzlerin, dem Vizekanzler sowie dem Bundesfinanzminister statt, in dem jedenfalls am Rande auch ein freiwilliges, temporäres Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone thematisiert wurde.
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Zum anderen ist die Verhandlungsposition des zuständigen deutschen Ministers der Bundesregierung zurechenbar, wenn dieser in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintritt, nachdem die Angelegenheit ohne Befassung des Kabinetts in seinem Ressort abschließend behandelt wurde (vgl. zum Frage- und Informationsrecht von Abgeordneten so schon BVerfGE 139, 194 [231 Rn. 119]). Eine fehlende Unterrichtungspflicht in Fällen, in denen der zuständige Fachminister in einen Abstimmungsprozess mit Dritten eintritt, sich nachträglich aber auf eine fehlende Ressortabstimmung beruft, würde den Informationsanspruch des Deutschen Bundestages in weiten Teilen leerlaufen lassen. Das Unterrichtungsrecht des Parlaments wäre bei einem derartigen Verfassungsverständnis abhängig von der konkreten Ausgestaltung der internen Kommunikation in der Bundesregierung und könnte durch die fehlende Einbeziehung einzelner Ministerien leicht umgangen werden. Auch in besonders eilbedürftigen Fällen, in welchen eine Ressortabstimmung schon aus zeitlichen Gründen nicht mehr möglich ist und der zuständige Minister zeitnah neue Positionen erarbeitet, entfiele ein Informationsanspruch des Deutschen Bundestages gänzlich. Dem stehen Sinn und Zweck des umfassenden Informationsrechts aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG entgegen. Die Bundesregierung muss sich daher in derartigen Fällen das Handeln ihres Mitglieds zurechnen lassen, wenn dieses die Bundesrepublik Deutschland in einem Verhandlungsprozess auf europäischer Ebene vertritt und erkennbar als deren Repräsentant auftritt.
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c) Unerheblich ist auch, in welcher Form und auf welche Art und Weise die Bundesregierung einen Vorschlag in europäische Willensbildungsprozesse einbringt. Abzustellen ist allein darauf, ob der Inhalt einer Überlegung für einen Abstimmungsprozess mit Dritten oder für die Öffentlichkeit bestimmt ist und entsprechend verfahren werden soll.
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Dies war hier der Fall. Die Verhandlungsposition der Bundesregierung beinhaltete auch die im Schreiben vom 10. Juli 2015 dokumentierten Lösungsoptionen, wobei das Schreiben bereits zum Zeitpunkt seiner Erstellung für einen Abstimmungsprozess mit Dritten bestimmt war und eine Verschriftlichung einer mitteilungsbedürftigen Initiative und Positionierung der Bundesregierung darstellte. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin markierte das Dokument Merkposten für die deutsche Verhandlungsdelegation und lag dieser während der Sitzung der Euro-Gruppe als Arbeitsunterlage und "Sprechzettel" vor. Folglich gab der Inhalt des Dokuments diezu diesem Zeitpunktbestehende Verhandlungsposition der Bundesregierung beziehungsweise die aus Sicht der Bundesregierung bestehenden Handlungsoptionen im Außenverhältnis zu Dritten wieder, wurde nach außen hin kommuniziert und den anderen Verhandlungsteilnehmern inhaltlich zur Kenntnis gebracht. Seine Bestimmung für einen Abstimmungsprozess mit Dritten zeigt sich nicht zuletzt darin, dass das Dokument in englischer Sprache angefertigt wurde und einzelne Sätze daraus in leicht abgewandelter Form Eingang in das offizielle Abschlussdokument der Euro-Gruppe fanden.
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Entscheidend ist insofern, dass der Inhalt des Dokuments vom 10. Juli 2015 auf einen Abstimmungsprozess mit Dritten gerichtet war und sich die deutsche Verhandlungsdelegation inhaltlich und als Sprechvorlage auf dieses Dokument stützte. Demgegenüber kommt es nicht darauf an, ob das Dokument selbst Gegenstand der Beratungen wurde oder ob es den anderen Verhandlungsteilnehmern -- beispielsweise als Tischvorlage -- zur Verfügung gestellt wurde. Darüber hinaus hat vorliegend die Antragsgegnerin die Darstellung des damaligen Vorsitzenden der Euro-Gruppe nicht bestritten, dass das Dokument vom 10. Juli 2015 am selben Abend vom Bundesministerium der Finanzen an ihn, weitere Spitzenpolitiker und eine kleine Gruppe von Spitzenbeamten der Eurozone verschickt wurde. Darin liegt der Beginn eines Abstimmungsprozesses auf europäischer Ebene, über dessen inhaltliche Ausrichtung der Deutsche Bundestag vorab hätte informiert werden müssen.
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Im Übrigen wäre die Verhandlungsposition der Bundesregierung dem Deutschen Bundestag unabhängig von einer vorherigen schriftlichen Niederlegung mitzuteilen gewesen, weswegen es letztlich nicht darauf ankommt, wann und wie genau das Dokument vom 10. Juli 2015 an Außenstehende verteilt wurde. Hat die Bundesregierung jedoch -- wie hier -- bereits schriftliche Unterlagen zu einer eigenen Initiative verfasst, so umfasst der Unterrichtungsanspruch aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG auch die Weiterleitung dieser Unterlagen.
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d) Dem Informationsrecht des Deutschen Bundestages steht auch nicht entgegen, dass die Verhandlungsposition der Bundesregierung nach deren Vortrag vor Beginn der Sitzung der Euro-Gruppe nicht endgültig festgelegt und damit "volatil" war. Insofern kommt es nicht darauf an, dass sich die im Schreiben vom 10. Juli 2015 dokumentierte Verhandlungsposition der Antragsgegnerin auf bloße Optionen im Falle eines Scheiterns der Verhandlungen bezog und nach ihrem Vortrag vorrangiges Ziel weiterhin eine Verhandlungslösung und ein Verbleib Griechenlands in der Eurozone blieben.
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Führt die Bundesregierung im Rahmen einer überaus bedeutsamen Angelegenheit neue Optionen und Lösungsvorschläge in die Diskussion mit ihren europäischen Partnern ein, so unterliegt auch dieser nach außen gerichtete Willensentschluss der Unterrichtungspflicht nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Soweit die Bundesregierung den Entschluss gefasst hat, in Angelegenheiten der Europäischen Union mit einer Verhandlungsposition -- hier in Form des Einbringens neuer Handlungsoptionen für den Fall eines Scheiterns einer Verhandlungslösung mit Griechenland -- in Abstimmungsprozesse oder Verhandlungen einzutreten, verlässt sie den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Dass sich die eigene Verhandlungsposition im Rahmen derart komplexer und langwieriger Verhandlungen auf europäischer Ebene nicht als abschließend oder als endgültig darstellt, sondern regelmäßig im Verlauf des Verhandlungsprozesses nach Kenntnis und Auseinandersetzung mit den Standpunkten der anderen Verhandlungsteilnehmer und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Entwicklungen angepasst oder neu justiert wird, ergibt sich aus der Dynamik derartiger Verhandlungen. Würde der Deutsche Bundestag erst dann unterrichtet, wenn endgültige Positionen oder Ergebnisse feststünden, wäre er von einer inhaltlichen Einflussnahme während der besonders relevanten offenen Verhandlungsstadien abgeschnitten und damit auf einen bloßen Nachvollzug verwiesen (vgl. BVerfGE 131, 152 [222 f.]). Gerade hiervor schützt ihn Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG. Die Bundesregierung hat den Bundestag daher auch über ihre eigenen Zwischenpositionen, Zwischenergebnisse und Vorschläge innerhalb eines Abstimmungsprozesses mit Dritten zu unterrichten, selbst wenn diese "eine kurze Halbwertszeit" aufweisen (vgl. BVerfGE 131, 152 [222]).
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Im vorliegenden Verfahren stand spätestens am 10. Juli 2015 um 14:00 Uhr das Zwischenergebnis fest, dass die Bundesregierung in der Euro-Gruppe den Inhalt dieses Dokuments gegenüber den europäischen Verhandlungspartnern vortragen würde. Dazu gehörte auch, das temporäre Ausscheiden Griechenlands aus der Eurozone als eine Handlungsoption in die Debatte einzuführen. Gegenstand der gebotenen Unterrichtung war daher die Absicht der Bundesregierung, auf europäischer Ebene eine Diskussion zu den im Dokument vom 10. Juli 2015 enthaltenen Optionen anzustoßen. Deswegen kommt es nicht darauf an, ob diese Position der Bundesregierung endgültig war oder nicht und ob die Bundesregierung -- wie sie geltend macht -- weiterhin auf eine einvernehmliche Lösung hinarbeitete.
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e) Der Unterrichtung des Deutschen Bundestages steht im vorliegenden Fall auch keine besondere Geheimhaltungsbedürftigkeit entgegen. Eine solche wird von der Antragsgegnerin weder geltend gemacht, noch ist sie sonst ersichtlich. Es obliegt insoweit der Antragsgegnerin, im Rahmen der Übermittlung den Deutschen Bundestag auf eine etwaige Vertraulichkeitseinstufung der Information hinzuweisen und so die vertrauliche Behandlung der Angelegenheit nach der Geheimschutzordnung sicherzustellen.
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f) Die sonstigen dem Deutschen Bundestag unterbreiteten Informationen genügten nicht zur Erfüllung der Unterrichtungspflicht durch die Bundesregierung.
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Soweit die Antragsgegnerin vorträgt, durch die zuvor übermittelten Informationen zu den vorherigen Beratungen der Staats- und Regierungschefs vom 7. Juli 2015, durch Stellungnahmen des Finanzministers im Haushaltsausschuss, durch einen Vorbericht zu den Beratungen ab dem 11. Juli 2015 sowie durch die Weiterleitung der griechischen Anträge und Reformvorschläge habe sich der Deutsche Bundestag ein klares Bild machen können, kommt es hierauf nicht an.
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Nach Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG ist der Deutsche Bundestag "umfassend" über Angelegenheiten der Europäischen Union zu informieren. Dabei hat die Unterrichtung bei besonders bedeutsamen Verhandlungen auf europäischer Ebene vollständig und detailliert zu erfolgen. Der Bundesregierung kommt, soweit eine Unterrichtungspflicht besteht, kein Auswahlermessen zu, welche Dokumente und Informationen sie an den Deutschen Bundestag weiterleitet und welche nicht. Die Unterrichtung hat sich vielmehr in derartigen Fällen ohne Abstriche auch auf die Weiterleitung von Dokumenten über die nach außen getragene Verhandlungsposition der Bundesregierung zu erstrecken (vgl. BVerfGE 131, 152 [220]). Eine nur kursorische, auf die wesentlichen Eckpunkte beschränkte Unterrichtung des Bundestages ist bei erkennbar bedeutsamen Vorhaben und einem hohen Informationsinteresse des Parlaments demgegenüber nicht ausreichend. Es bleibt insofern dem Bundestag überlassen, selbst zu entscheiden, wie er die übermittelten Dokumente und Informationen bewertet und worauf er sein Lagebild stützt. Die Bundesregierung kann sich daher bei bedeutsamen Verhandlungen im Hinblick auf Informationen zu ihrer eigenen, aktualisierten Verhandlungsposition nicht auf ihre eigene Einschätzung berufen, die übrigen übermittelten Dokumente genügten dem Parlament für ein Lagebild, weswegen es keiner Weitergabe neuerer Dokumente und Informationen bedürfe. Mithin waren auch die aktualisierten, an die europäischen Verhandlungspartner adressierten Vorschläge und Lösungsoptionen der Bundesregierung dem Deutschen Bundestag mitzuteilen.
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Im Übrigen waren dem Deutschen Bundestag die Verhandlungsposition der Bundesregierung und insbesondere die Option eines vorübergehenden Austritts Griechenlands aus der Eurozone auch nicht anderweitig bekannt. Zwar hatte der Bundesfinanzminister vor dem Haushaltsausschuss am 30. Juni 2015 bereits vorgetragen, dass Griechenland trotz der fortbestehenden Hilfsbereitschaft der Euro-Gruppe "im äußersten Fall" vom EZB-Zahlungssystem abgekoppelt werden müsse und in diesem Fall auch die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen sowie einer vorübergehenden Parallelwährung erforderlich seien. Auf eine entsprechende Anfrage eines Fraktionsmitglieds der Antragstellerin vom 7. Juli 2015, ob der Bundesfinanzminister im Einklang mit entsprechenden Medienberichten die Vorlage eines "proposals" zur Einführung einer Parallelwährung in Griechenland (über die Ausgabe von Schuldscheinen) plane, antwortete das Bundesministerium der Finanzen indes noch am 9. Juli 2015 (und damit nur einen Tag vor der Fertigstellung des Dokuments vom 10. Juli 2015), dass ein derartiger Vorschlag nicht bekannt sei.
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a) Hinsichtlich des Zeitpunktes der Weiterleitung besteht kein Ermessen der Bundesregierung (vgl. BVerfGE 131, 152 [212]). Eine Mitteilungspflicht besteht, sobald feststeht, dass ein Vorschlag oder eine Initiative der Bundesregierung zum Gegenstand von Verhandlungen auf europäischer Ebene gemacht und damit nach außen kommuniziert werden soll (vgl. BVerfGE 131, 152 [226]). Der Deutsche Bundestag ist mithin zu unterrichten, noch bevor die Bundesregierung nach außen hin konkrete Initiativen ergreift oder an Beschlussfassungen mitwirkt.
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Sobald der für die Bundesregierung handelnde Bundesfinanzminister entschieden hatte, welche Vorschläge er in die Verhandlungen der Euro-Gruppe einbringen würde, bestand die Mitteilungspflicht gegenüber dem Bundestag. Dies war hier spätestens nach Abfassung des Dokuments vom 10. Juli 2015 um 14:00 Uhr der Fall. Denn der Inhalt dieses Dokuments war bereits bei seiner Abfassung darauf gerichtet, auf der anstehenden Tagung der Euro-Gruppe als Verhandlungsposition der deutschen Delegation vorgetragen zu werden. Daher hätte eine entsprechende Information über die Positionierung der Bundesregierung spätestens nach Abfassung des Dokuments vom 10. Juli 2015 und damit vor der Weitergabe an Dritte sowie vor Beginn der Tagung der Euro-Gruppe und des Euro-Gipfels erfolgen müssen.
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b) Eine Unterrichtung über die Verhandlungslinie der Bundesregierung auf der anstehenden Sitzung der Euro-Gruppe und des Euro-Gipfels durfte auch nicht unter Verweis auf die für eine Stellungnahme des Deutschen Bundestages zu kurze Zeitspanne verwehrt werden. Ob und wie der Bundestag in Eilfällen auf eine ihm kurzfristig übermittelte Information reagiert und ob er hierzu Stellung nimmt, bleibt seinem Einschätzungs- und Organisationsspielraum überlassen. Auch insoweit bestehen keine Beurteilungsspielräume der Bundesregierung.
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c) Die spätere Informationsübermittlung nach Abschluss der Sitzung der Euro-Gruppe und nach Beginn des Euro-Gipfels ändert nichts an der Verletzung des Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 131, 152 [222]). Denn diese Vorschrift soll gerade verhindern, dass der Deutsche Bundestag auf einen bloßen Nachvollzug der auf europäischer Ebene getroffenen Entscheidungen beschränkt wird. Dass die Antragsgegnerin das Parlament nachträglich durch Zuleitung des Dokuments vom 10. Juli 2015 am Sonntag, dem 12. Juli 2015, gegen 16:00 Uhr über ihre Lösungsinitiative und Verhandlungsposition informierte, kann den Verstoß gegen ihre Unterrichtungspflicht daher nicht mehr heilen.
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