BGE 101 Ia 67 - Diskont- und Handelsbank AGBGE | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
13. Urteil |
vom 19. März 1975 |
i.S. Diskont- und Handelsbank AG und Mitbeteiligte gegen Fides Treuhand-Vereinigung, Tino AG und Handelsgericht des Kantons Zürich. | |
Regeste |
Europäische Menschenrechtskonvention; Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges. |
Das Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges gilt auch für alle Fälle, wo die Verletzung von solchen Rechten der Konvention gerügt wird, die den verfassungsmässigen Rechten der Bürger im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. a OG entsprechen (E. 2). | |
Sachverhalt | |
A.- Am 4. Dezember 1974 hat das Handelsgericht des Kantons Zürich eine Klage der Diskont- und Handelsbank AG und Mitbeteiligten gegen die Fides Treuhand-Vereinigung und die Tino AG abgewiesen. Die Kläger haben gegen diesen Entscheid eine Nichtigkeitsbeschwerde an das Kassationsgericht des Kantons Zürich und zugleich die vorliegende staatsrechtliche Beschwerde eingereicht, mit der sie eine Verletzung von Art. 4 BV und zugleich der Art. 6 Ziff. 1, 13 und 17 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im folgenden kurz: Konvention) geltend machen. Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde nicht ein, aus folgenden
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Erwägungen:
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Erwägung 1 | |
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Erwägung 2 | |
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b) Die Menschenrechtskonvention ist mit ihrer Ratifikation am 28. November 1974 für die Schweiz in Kraft getreten. Da es sich um einen Staatsvertrag handelt, könnte aus Art. 86 Abs. 3 OG (in Verbindung mit Art. 84 Abs. 1 lit. c OG) der Schluss gezogen werden, die staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung der Konvention setze nicht die Erschöpfung des Instanzenzuges voraus. Eine solche Auslegung der geltenden Verfahrensvorschriften trüge indessen der besonderen Natur der Konvention nicht Rechnung und hätte gewichtige Nachteile zur Folge.
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d) Wenn sich diese Auslegung auch vom Wortlaut des Art. 86 Abs. 3 OG entfernt, so widerspricht sie doch nicht der grundsätzlichen Systematik des Gesetzes. Der Verzicht auf das Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges im Falle der Verletzung von Staatsverträgen gilt ja nicht in jenen Fällen, wo für die Anfechtung des Mangels die Berufung oder die Kassationsbeschwerde in Betracht kommt - nämlich bei einer Verletzung zivil- oder strafrechtlicher Bestimmungen von Staatsverträgen (Art. 84 Abs. 1 lit. 1 OG) - oder wo die behauptete Verletzung mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde gerügt werden kann (Art. 104 lit. a OG in Verbindung mit Art. 98 lit. g OG; vgl. BGE 99 Ia 83 E. 1a, mit Hinweisen). Diese Ordnung bringt offenkundig zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber und - vor der Revision des OG von 1943 - auch die Praxis des Bundesgerichts (vgl. BIRCHMEIER, Handbuch des OG, S. 345 f.) in solchen Fällen mehr dem inneren Wesen der Bestimmungen selbst Rechnung getragen haben, als dem Umstand, dass diese in einem Staatsvertrag enthalten sind.
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f) Die gefundene Lösung drängt sich schliesslich auch aus praktischen Gründen auf. Der Katalog der Konventionsrechte ist so weit, dass ihre Verletzung in der Mehrzahl der Fälle, wo die Verletzung eines verfassungsmässigen Rechts im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. a OG behauptet wird, gleichzeitig angerufen werden könnte: Wenn sich ein solches doppeltes Vorgehen einbürgerte, käme die Regel der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges praktisch nicht mehr zur Anwendung. Verzichtete aber der Staatsgerichtshof auf dieses Erfordernis, so setzte er sich der Gefahr aus, nicht mehr die ihm eigene Funktion wahrnehmen zu können. Er wäre zudem wegen der grundsätzlich kassatorischen Natur der staatsrechtlichen Beschwerde nicht in der Lage, den vom Beschwerdeführer gerügten Mangel unmittelbar zu beheben, was hingegen den mit voller Überprüfungsbefugnis ausgestatteten und in der Hauptsache entscheidenden oberen kantonalen Instanzen in der Regel möglich ist. Endlich hinge die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen den von einer unteren Instanz getroffenen Entscheid letztlich von einem Zufallsmoment ab - nämlich vom Umstand, ob der Beschwerdeführer neben der Verletzung des verfassungsmässigen Rechtes auch jene des entsprechenden Rechtes der Konvention gerügt hat.
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g) Es ist somit der Schluss zu ziehen, dass die Regel der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges für alle Fälle gilt, wo die Beschwerdeführer die Verletzung von solchen Rechten der Konvention rügen, die den verfassungsmässigen Rechten der Bürger im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. a OG entsprechen. Da diese Folgerung sich aus dem Wortlaut des Organisationsgesetzes nicht direkt entnehmen lässt, behält sich das Bundesgericht vor, in jenen Fällen Ausnahmen zu machen, wo das Nichteintreten auf die staatsrechtliche Beschwerde mangels Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges den Beschwerdeführer in ungerechtfertigter Weise jeder ordentlichen Anfechtungsmöglichkeit berauben würde. Eine solche Ausnahmesituation ist im vorliegenden Fall offensichtlich nicht gegeben.
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