BGE 116 Ia 359 - Frauenstimmrecht Appenzell | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
56. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 27. November 1990 i.S. Theresa Rohner und Mitbeteiligte gegen Kanton Appenzell I.Rh. (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Art. 85 lit. a OG; Art. 4 Abs. 2, Art. 6 Abs. 2 und Art. 74 Abs. 4 BV; Art. 16 KV/AI; Gleichberechtigung bei den politischen Rechten. |
2. Legitimation zur Stimmrechtsbeschwerde (E. 3). |
3. Überprüfung kantonaler Verfassungsbestimmungen durch das Bundesgericht (E. 4). |
4. Grundsätze für die Verfassungsauslegung (E. 5). |
5. Auslegung von Art. 74 Abs. 4 und Art. 4 Abs. 2 BV (E. 6). |
6. Ist Art. 74 Abs. 4 BV ein echter Vorbehalt gegenüber Art. 4 Abs. 2 BV? Hinweise auf die Materialien und die Lehre (E. 7 und 8). Frage verneint. Art. 4 Abs. 2 BV gilt auch für die politischen Rechte (E. 9a und b). |
7. Die bisherige Auslegung von Art. 16 KV/AI verstösst gegen Art. 4 Abs. 2 BV und Art. 6 Abs. 2 BV (E. 9c und 10a). |
8. Verfassungskonforme Auslegung von Art. 16 KV/AI (E. 10c). |
9. Die Feststellung, dass den Frauen im Kanton Appenzell I.Rh. die politischen Rechte zustehen, gilt ab Eröffnung des bundesgerichtlichen Entscheides (E. 10d). | |
Sachverhalt | |
Am 5. April 1989 stellte Theresa Rohner bei der Standeskommission des Kantons Appenzell I.Rh. das Gesuch, es sei ihr die aktive Teilnahme an der Landsgemeinde vom 30. April 1989 zu bewilligen. Am 18. April 1989 wies die Standeskommission dieses Gesuch ab. Sie hielt fest, dass gemäss Art. 16 der Verfassung für den Eidgenössischen Stand Appenzell I.Rh. (KV) den Frauen das Stimmrecht in kantonalen Angelegenheiten, insbesondere die Teilnahme an der Landsgemeinde und an Bezirksgemeinden, nicht zustehe.
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Gegen diesen Entscheid wandte sich Theresa Rohner am 22. Mai 1989 mit Stimmrechtsbeschwerde gemäss Art. 85 lit. a OG an das Bundesgericht. Sie beantragt, die Verfügung der Standeskommission vom 18. April 1989 sei aufzuheben, und macht im wesentlichen geltend, Art. 16 KV verstosse gegen Art. 4 Abs. 2 BV. Die Verweigerung des Stimmrechts für die Frauen in kantonalen Angelegenheiten stelle eine verfassungswidrige Diskriminierung dar. Der Vorbehalt des kantonalen Rechts gemäss Art. 74 Abs. 4 BV für Abstimmungen und Wahlen der Kantone und Gemeinden schliesse die Verfassungswidrigkeit nicht aus, da Art. 4 Abs. 2 BV als neueres Verfassungsrecht dem Art. 74 BV vorgehe.
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Mit Verfügung vom 10. Oktober 1989 sistierte der Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung das staatsrechtliche Beschwerdeverfahren im Einvernehmen mit der Beschwerdeführerin bis zur Landsgemeinde 1990. Am 29. April 1990 lehnte die Landsgemeinde den ihr von der Standeskommission und vom Grossen Rat unterbreiteten Antrag betreffend Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechts im Verhältnis 6:4 ab. Mit der entsprechenden Vorlage wurde eine Änderung des Art. 16 KV beantragt, indem "alle im Kanton wohnhaften Schweizerbürgerinnen und Schweizerbürger" an Landsgemeinden und an Gemeindeversammlungen als stimmberechtigt erklärt werden sollten. Die geltende Fassung dagegen spricht in diesem Zusammenhang von den "Landleuten" und den "übrigen Schweizern".
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Am 29. Mai 1990 erhoben Ursula Baumann und weitere 52 im Kanton Appenzell I.Rh. wohnhafte Frauen gegen den erwähnten Landsgemeindebeschluss vom 29. April 1990 staatsrechtliche Beschwerde gemäss Art. 85 lit. a OG wegen Verletzung von Art. 4 Abs. 1 und 2 BV. Ebenfalls am 20. Mai 1990 reichten Mario Sonderegger und 48 weitere Männer, die im Kanton Appenzell I.Rh. ihren Wohnsitz haben, eine im wesentlichen gleichlautende staatsrechtliche Beschwerde ein. In beiden Beschwerden wird beantragt, den Landsgemeindebeschluss vom 29. April 1990 aufzuheben und den Kanton Appenzell I.Rh. anzuweisen, Art. 16 KV im Sinne der Revisionsvorlage abzuändern.
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Zur Begründung wiederholen die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer im wesentlichen, dass Art. 4 Abs. 2 BV der Vorschrift von Art. 74 Abs. 4 BV vorgehe. Diese sei als Vorbehalt zu Art. 74 Abs. 1 BV zu verstehen und habe übrigens keine eigenständige rechtliche Bedeutung. Als im Jahre 1981 Art. 4 Abs. 2 BV in der Bundesverfassung verankert worden sei, hätten zwar der Bundesrat und die Mehrheit des Parlaments die gegenteilige Auffassung vertreten. Indessen sei dem Verfassungsgeber - Volk und Ständen der Eidgenossenschaft - nicht dargelegt worden, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen für die politische Stimmberechtigung in den Kantonen nicht gelten solle. Hätte man dies gewollt, so hätte Art. 4 Abs. 2 BV ein ausdrücklicher Vorbehalt beigefügt werden müssen.
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Die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer machen weiter geltend, selbst wenn dem Vorbehalt von Art. 74 Abs. 4 BV derogatorische Bedeutung zukomme, so wäre eine solche Tragweite gegenüber Art. 4 Abs. 2 BV als befristet anzusehen. Diese Frist für die Einführung des Frauenstimmrechts im Kanton wäre heute abgelaufen. Die Verweigerung des Frauenstimmrechts käme einer Rechtsverweigerung gleich.
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Nachdem im Kanton Appenzell I.Rh. eine neue Initiative für die Einführung des Frauenstimmrechts eingereicht worden ist, hat der Präsident der I. öffentlichrechtlichen Abteilung die Standeskommission am 25. September 1990 um Auskunft über den Stand der Behandlung dieses Initiativbegehrens ersucht. Am 24. Oktober 1990 hat die Standeskommission mitgeteilt, der Grosse Rat habe es abgelehnt, eine ausserordentliche Landsgemeinde durchzuführen. Verfassungsgemäss sei somit diese neue Initiative der Landsgemeinde 1991 zu unterbreiten. Die Standeskommission begrüsse es, wenn der Entscheid des Bundesgerichts über die hängigen Beschwerden so bald als möglich gefällt werden könne.
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Das Bundesgericht zieht in Erwägung: | |
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 88 OG, die auch für Stimmrechtsbeschwerden gemäss Art. 85 lit. a OG gilt (BGE 114 Ia 431 E. c; BGE 104 Ia 229 E. 1b mit Hinweisen), muss der Beschwerdeführer grundsätzlich ein aktuelles praktisches Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids bzw. an der Überprüfung der von ihm erhobenen Rügen haben, damit auf die Beschwerde eingetreten werden kann. Dieses Erfordernis soll sicherstellen, dass das Gericht konkrete und nicht bloss theoretische Fragen entscheidet, und es dient damit der Prozessökonomie (BGE 114 Ia 131 mit Hinweisen). Das Interesse an der Beschwerdeführung ist aktuell und praktisch, wenn der erlittene Nachteil im Zeitpunkt der Beurteilung durch das Bundesgericht noch besteht und durch die beantragte Aufhebung des angefochtenen Hoheitsaktes beseitigt würde (WALTER KÄLIN, Das Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde, Bern 1984, S. 244). Im vorliegenden Fall ist die Landsgemeinde, an welche die Beschwerdeführerin eingeladen werden wollte, am 30. April 1989 durchgeführt worden, weshalb die Ablehnung der Einladung mit der verlangten Aufhebung des Beschlusses der Standeskommission vom 18. April 1989 nicht mehr beseitigt werden kann. Die Voraussetzung des aktuellen praktischen Interesses ist daher nicht erfüllt.
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b) Das Bundesgericht verzichtet jedoch ausnahmsweise auf das Erfordernis des aktuellen praktischen Interesses, wenn diese Voraussetzung dazu führt, dass eine Kontrolle der Verfassungsmässigkeit eines Entscheids faktisch verhindert würde. Es prüft demnach Beschwerden materiell trotz Wegfall dieses Interesses, wenn sich die aufgeworfenen Fragen jederzeit unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen können, an deren Beantwortung wegen der grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht und sie im Einzelfall kaum je rechtzeitig verfassungsgerichtlich überprüft werden könnten (BGE 114 Ia 90 f. mit Hinweisen). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Wie die nachstehenden Erwägungen zeigen, ist es durchaus möglich, dass das Bundesgericht die von der Beschwerdeführerin aufgeworfene grundsätzliche Frage, ob der Ausschluss der Frauen an der Landsgemeinde und den Gemeindeversammlungen gegen die Bundesverfassung, insbesondere gegen Art. 4 Abs. 2 BV, verstosse, rechtzeitig verfassungsgerichtlich überprüft.
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c) Doch fragt es sich, ob auf die Beschwerde einzutreten sei, weil das Bundesgericht Beschwerden gegen Vorbereitungsmassnahmen, die erst nach der Abstimmung beurteilt werden, so versteht, dass sinngemäss der Antrag auf Aufhebung der Abstimmung gestellt wird (BGE 113 Ia 50 E. 1c). Auch diese Frage ist im vorliegenden Fall zu verneinen. Die Beschwerdeführerin, die ihre Stimmrechtsbeschwerde am 22. Mai 1989, d.h. erst nach dem Landsgemeindesonntag, eingereicht hat, stellt keinen Antrag auf Aufhebung des entsprechenden Beschlusses vom 30. April 1989, obwohl dies in zeitlicher Hinsicht durchaus möglich gewesen wäre. Daraus folgt aber, dass sie diesen Beschluss gar nicht anfechten will. Auf die Beschwerde von Theresa Rohner kann daher nicht eingetreten werden.
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Zur Stimmrechtsbeschwerde im Sinne von Art. 85 lit. a OG ist grundsätzlich nur befugt, wer stimm- und wahlberechtigt ist (BGE 114 Ia 264 E. 1b; BGE 113 Ia 44, je mit Hinweisen). Da die Beschwerdeführerinnen aber geltend machen, nach Art. 4 Abs. 2 BV hätten sie Anspruch darauf, dass ihnen das Stimmrecht gewährt werde, mit anderen Worten, ihnen seien in Missachtung dieser Verfassungsbestimmung die politischen Rechte zu Unrecht verweigert worden, genügt es für ihre Legitimation, dass sie als im Kanton Appenzell I.Rh. wohnhafte Frauen durch den Landsgemeindebeschluss, der ihnen das Stimmrecht weiterhin abspricht, betroffen sind (BGE 114 Ia 264 E. 1b mit Hinweisen). Auf ihre Beschwerde ist daher einzutreten.
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b) Zur Legitimation von Mario Sonderegger und den 48 weiteren Beschwerdeführern ist festzuhalten, dass ihnen die politischen Rechte nicht verweigert wurden. Ihre Beschwerde richtet sich jedoch dagegen, dass die Landsgemeinde es abgelehnt hat, den im Kanton wohnhaften Schweizerbürgerinnen in kantonalen Wahlen und Abstimmungen das Stimmrecht zu gewähren. Damit machen sie geltend, die Landsgemeinde als Organ der Stimmberechtigten sei inskünftig nicht richtig zusammengesetzt, wenn die Frauen daran nicht teilnehmen dürften.
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Zu dieser Rüge sind die Beschwerdeführer befugt, da sie mit dem politischen Stimm- und Wahlrecht nicht nur ein Individualrecht, sondern gleichzeitig eine Organkompetenz und damit öffentliche Funktionen ausüben (BGE 104 Ia 229 E. 1b). Das vom Verfassungsrecht des Bundes gewährleistete politische Stimmrecht gibt dem Bürger allgemein Anspruch darauf, dass kein Abstimmungsergebnis anerkannt wird, das nicht den freien Willen der Stimmbürger zuverlässig und unverfälscht zum Ausdruck bringt (BGE 115 Ia 206 mit Hinweisen). Dazu gehört unter anderem, dass das verfassungsmässige Organ "Volk", d.h. die Aktivbürgerschaft, richtig zusammengesetzt ist (BGE 114 Ia 43; BGE 113 Ia 45 E. b; BGE 109 Ia 46 E. 3a). Dieselbe Garantie gilt auch für Abstimmungen an Landsgemeinden (BGE 104 Ia 431). Wäre die Landsgemeinde wegen eines nach eidgenössischem Recht verfassungswidrigen Ausschlusses der Frauen nicht richtig zusammengesetzt, so würde demnach auch das Stimmrecht der Männer im Kanton Appenzell I.Rh. verletzt. Auf die Beschwerde der stimmberechtigten Männer ist daher ebenfalls einzutreten.
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a) In den vorliegenden Fällen geht es in erster Linie um die Auslegung und Anwendung von Art. 16 KV. Dessen Absatz 1 lautet wie folgt:
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"An Landsgemeinden und an Gemeindeversammlungen sind alle im Kanton wohnhaften Landleute sowie die übrigen Schweizer stimmberechtigt, sofern sie das 20. Altersjahr vollendet haben und im Stimmregister eingetragen sind."
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Gemäss der bisher unangefochtenen kantonalen Praxis zu Art. 16 KV sind nur die Männer als stimmberechtigte Landleute und Schweizer an der Landsgemeinde und den Gemeindeversammlungen zugelassen. Dabei gilt als Stimmrechtsausweis das Seitengewehr (Verordnung vom 21. November 1924 betreffend die Landsgemeinde und die Gemeindeversammlungen). Diese Praxis wird auch aus Art. 16 Abs. 4 KV hergeleitet, der die Möglichkeit vorsieht, den Frauen das Stimm- und Wahlrecht in den Kirch- und Schulgemeinden zu erteilen.
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b) Die dargelegte kantonale Praxis war auch den eidgenössischen Räten bekannt, die Art. 16 KV zu gewährleisten hatten. Der heutige Absatz 4 wurde in der Landsgemeinde vom 25. April 1971 angenommen und vom Bund am 16. Dezember 1971 gewährleistet (BBl 1971 II 2014). Die Absätze 1 - 3 wurden in der Landsgemeinde vom 29. April 1979 angenommen. Der Gewährleistungsbeschluss der Bundesversammlung datiert vom 13. Dezember 1979 (BBl 1979 III 1153).
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Die Gewährleistung des Art. 16 KV durch die Bundesversammlung wirft die Frage auf, ob das Bundesgericht zuständig ist, ihn auf seine Übereinstimmung mit dem Bundesrecht zu prüfen. Bekanntlich hat es das Bundesgericht bis zum Jahre 1985 abgelehnt, die von der Bundesversammlung gewährleisteten kantonalen Verfassungsbestimmungen auf ihre Bundesrechtskonformität zu überprüfen, wobei es sich freilich bereits 1978 mit der gewichtigen Kritik, welche die Lehre gegenüber dieser Rechtsprechung vorbrachte, auseinandersetzte (BGE 104 Ia 219 E. 1b - c). In seinem den Kanton Appenzell I.Rh. betreffenden Urteil vom 27. November 1985 änderte das Bundesgericht seine Rechtsprechung (BGE 111 Ia 239 ff.; vgl. auch BGE 112 Ia 218 E. 3a). Es stellte fest, soweit übergeordnetes Recht erst nach der Gewährleistung kantonaler Verfassungsnormen in Kraft trete, entfalle die sonst von der Bundesversammlung vorzunehmende Prüfung. Daher präzisierte es, dass die Überprüfung kantonaler Verfassungsbestimmungen auf ihre Vereinbarkeit mit den von der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleisteten Rechten verfassungsrechtlichen Inhalts und mit dem übrigen Bundesrecht jedenfalls dann mit staatsrechtlicher Beschwerde verlangt werden könne, wenn das übergeordnete Recht im Zeitpunkt der Gewährleistung durch die Bundesversammlung noch nicht in Kraft getreten und deshalb bei der vorgängigen Überprüfung nicht zu berücksichtigen gewesen sei (BGE 111 Ia 242).
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Zu beachten ist, dass sich diese neue Umschreibung der Praxis nicht nur auf die Berücksichtigung späteren Staatsvertragsrechts wie der EMRK bezieht.
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Folgerichtig gilt der Grundsatz für das gesamte spätere übergeordnete Recht. Im vorliegenden Fall war der am 14. Juni 1981 angenommene Art. 4 Abs. 2 BV im Zeitpunkt der Gewährleistung von Art. 16 KV durch die eidgenössischen Räte in den Jahren 1971 und 1979 noch nicht in Kraft und konnte daher nicht berücksichtigt werden. Die Frage, ob Art. 16 KV, wie er bisher von der kantonalen Praxis verstanden wurde, mit dem späteren, die Gleichstellung von Mann und Frau ausdrücklich verankernden Verfassungsrecht vereinbar ist, kann und muss daher geprüft werden.
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a) Art. 74 BV hat das Frauenstimmrecht auf eidgenössischer Ebene eingeführt. Er wurde von Volk und Ständen in der Volksabstimmung vom 7. Februar 1971 angenommen. Die Absätze 1 - 3 beziehen sich auf die Regelung der Stimm- und Wahlberechtigung im Bund. Absatz 4, um dessen Tragweite es geht, lautet:
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"Für Abstimmungen und Wahlen der Kantone und Gemeinden bleibt das kantonale Recht vorbehalten."
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b) Art. 4 Abs. 2 BV wurde unter dem Titel "Gleiche Rechte für Mann und Frau" in der Volksabstimmung vom 14. Juni 1981, somit rund zehn Jahre später, von Volk und Ständen klar angenommen, und zwar als Gegenentwurf zu einer in der Folge zurückgezogenen Volksinitiative. Die Verfassungsbestimmung lautet:
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"Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit."
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c) Die Auslegung einer Verfassungsbestimmung hat grundsätzlich nach denselben methodischen Regeln zu erfolgen, wie sie für die Auslegung der einfachen Gesetze entwickelt wurden (BGE 115 Ia 130 E. 3a; BGE 112 Ia 212 E. 2a mit Hinweisen). Das Bundesgericht lässt sich von einem Methodenpluralismus leiten (BGE 110 Ib 8). Es geht zunächst vom Wortlaut der Bestimmungen aus (BGE 114 Ia 28, 196; BGE 111 Ia 209 E. 6a) und ermittelt den Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung nach allen anerkannten Auslegungsmethoden (BGE 114 Ib 162 E. 5a; BGE 109 Ia 301 E. 12c). Dabei ist zu beachten, dass sich der Sinn einer Norm ändern kann (BGE 115 Ia 133 E. dd; BGE 104 Ia 291). Der Richter muss sich bemühen, eine Norm in einer Weise anzuwenden, die den gegenwärtigen Gegebenheiten und Auffassungen möglichst entspricht. Er wird daher oft dazu kommen, eine hergebrachte Auslegung aufzugeben, die zur Zeit der Entstehung des Gesetzes zweifellos gerechtfertigt war, sich aber angesichts der Änderung der Verhältnisse oder auch nur wegen der Entwicklung der Anschauungen nicht mehr halten lässt (BGE 105 Ib 60 E. 5a mit Hinweisen). So hat sich denn auch das Verständnis von Art. 4 BV in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gewandelt. Das Bundesgericht hat in BGE 103 Ia 519 festgehalten, allgemein werde angenommen, dass der Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 BV, wonach "alle Schweizer" vor dem Gesetze gleich seien, zu eng sei. Die Garantie der Gleichheit gelte auch für die Frauen im allgemeinen. In Erwägung 2 dieses Entscheides hat das Bundesgericht einige Beispiele angeführt, die auf den stetigen Wandel des Verfassungsverständnisses hinweisen, und es kommt zum Schluss, der Grundsatz der rechtlichen Gleichheit zwischen Mann und Frau sei so tief im Rechtsgefühl verwurzelt, dass es heute als Verletzung dieses Grundsatzes empfunden werde, wenn beispielsweise ein Mann und eine Frau, die in einem öffentlichen Amt tätig seien, nicht gleich bezahlt werden, sofern sie die gleiche Arbeit leisten (BGE BGE 103 Ia 527 E. 6; vgl. auch BGE 109 Ib 87 E. 4b).
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Bei der Auslegung einer gesetzlichen Bestimmung zieht das Bundesgericht auch die Gesetzesmaterialien bei und berücksichtigt den Willen des historischen Verfassungs- und Gesetzgebers, soweit dieser im Gesetzestext seinen Ausdruck gefunden hat (BGE 115 Ia 130 E. 3a; BGE 112 Ib 470; BGE 109 Ia 303 E. 12c, je mit Hinweisen). Die Entstehungsgeschichte einer Norm kann ein wertvolles Hilfsmittel sein, deren Sinn zu erkennen und damit falsche Auslegungen zu vermeiden (BGE 114 II 407 E. 3; BGE 100 Ib 386). Die Vorarbeiten sind aber weder verbindlich noch für die Auslegung unmittelbar entscheidend; insbesondere sind Äusserungen von Amtsstellen oder Personen, die bei der Vorbereitung mitwirkten, nicht massgebend, wenn sie im Gesetzestext nicht zum Ausdruck kommen (BGE 115 II 99; BGE 113 Ia 314; BGE 103 Ia 290 E. c, je mit Hinweisen).
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Bei der Prüfung der Verfassungsmässigkeit einer kantonalen Norm ist überdies zu fragen, ob der betreffenden Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn zugemessen werden kann, der sie mit den angerufenen Verfassungsgarantien vereinbar erscheinen lässt (BGE 109 Ia 277 E. 2a). Die Verfassung ist die rechtliche Grundordnung, aus der sich alles staatliche Recht ableitet. Dem entspricht das Anliegen, alle Rechtssätze bei ihrer Auslegung auf die übergeordneten Wertentscheidungen der Verfassung auszurichten. Die verfassungskonforme Auslegung betont demnach den inneren Zusammenhang, der zwischen allen staatlichen Rechtsnormen besteht (ULRICH HÄFELIN/WALTER HALLER, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, Zürich 1988, N 127).
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a) Der am 7. Februar 1971 in die Verfassung aufgenommene Art. 74 BV hatte die Einführung des Frauenstimmrechts auf eidgenössischer Ebene zum Inhalt. Er befasst sich nicht mit dem Stimmrecht in den Kantonen und Gemeinden und enthält insbesondere keine Verpflichtung der Kantone, die Gleichheit der Frauen beim Stimmrecht einzuführen. Dies ergibt sich unmissverständlich sowohl aus dem Wortlaut, insbesondere aus Abs. 4, als auch dem Sinn der Vorschrift und wird durch die Gesetzesmaterialien bestätigt. Es sollte nicht "ohne zwingende Gründe ... in die althergebrachte Organisationsautonomie der Kantone" eingegriffen werden, sagte die bundesrätliche Botschaft (BBl 1970 I/1 95). Verfassungsrechtlich heisst dies, dass Abs. 4, welcher für Abstimmungen und Wahlen der Kantone und Gemeinden das kantonale Recht vorbehält, den für den Bund geltenden Grundsatz von Art. 3 BV bestätigt, wonach die Kantone souverän sind, soweit ihre Souveränität nicht durch die Bundesverfassung beschränkt ist.
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b) Bei dem rund zehn Jahre später angenommenen Art. 4 Abs. 2 BV geht es um das gleiche Anliegen der Beseitigung einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Mann und Frau. Doch betrifft diese Bestimmung nicht nur die bessere Verwirklichung der demokratischen Staatsform im Bund. Sie bezieht sich als Grundrecht auf die gesamte Rechtsordnung von Bund und Kantonen (JÖRG PAUL MÜLLER, Kommentar zur BV, Einleitung zu den Grundrechten, N 3 ff., N 39). Sowohl der Gesamtstaat als auch die Gliedstaaten haben grundsätzlich die Gleichberechtigung von Mann und Frau in allen Bereichen zu respektieren und durch Gesetz für ihre Gleichstellung zu sorgen, soweit nicht Differenzierungen sachlich begründet sind oder sich sogar aufdrängen, etwa aus biologischen Gründen (GEORG MÜLLER, Kommentar zur BV, N 133 ff. zu Art. 4 Abs. 2 BV; BGE 114 Ia 330 E. 2; BGE 108 Ia 29 E. 5a).
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Der Wortlaut des Verfassungsgebotes sowie dessen Sinn und Zweck sind klar. Die Gesetzesmaterialien bestätigen, dass das Gebot umfassend zu verstehen ist, wie der Bundesrat in der einleitenden Übersicht zur Botschaft über die Volksinitiative "Gleiche Rechte für Mann und Frau" betonte. Wenn einzelne Bereiche wie Familie, Ausbildung und Arbeit besonders angesprochen werden, so ändert dies nichts daran, dass mit dem Gegenvorschlag zur Initiative - dem geltenden Art. 4 Abs. 2 BV, der in der Folge angenommen wurde - das Anliegen der Gleichberechtigung verfassungsrechtlich umfassend verwirklicht werden sollte. Das Bundesgericht hat denn auch klar festgehalten, Art. 4 Abs. 2 BV stelle unzweideutig den Grundsatz auf, dass Mann und Frau in allen Rechts- und Lebensbereichen sowie auf allen staatlichen Ebenen (Bund, Kanton und Gemeinde) gleich zu behandeln seien. Ausnahmen von diesem Grundsatz seien nur zulässig, wenn geschlechtsbegründete biologische oder funktionelle Unterschiede eine Gleichbehandlung schlechthin ausschlössen (BGE 108 Ia 29 E. 5a; Entscheide des Bundesgerichts vom 10. Oktober 1986 in ZBl 88/1987 S. 308 und vom 8. November 1985 in ZBl 87/1986 S. 483). Art. 4 Abs. 2 BV entspricht übrigens der Fassung von Art. 9 Abs. 3 des Expertenentwurfs für eine totalrevidierte Bundesverfassung, die - wie die Botschaft darlegte - "mit dem hauptsächlichen Instrument des Gesetzgebungsauftrages eine der Initiative ebenbürtige Chance in sich birgt, das Gleichberechtigungsziel zu erreichen, ohne mit den Mängeln der Initiative behaftet zu sein" (BBl 1980 I 71). Als Mangel wurde u.a. die in der - später zurückgezogenen - Initiative vorgesehene Frist von fünf Jahren für die Erfüllung des Gesetzgebungsauftrages bezeichnet; diese Frist unterschätze die Konkretisierungsaufgabe des Gesetzgebers.
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c) Stellt man in Befolgung der für die Auslegung der Verfassung massgebenden Regeln den klaren Wortlaut der beiden Bestimmungen von Art. 74 und Art. 4 BV einander gegenüber, so ist bei dem von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung allgemein betonten ganzheitlichen Verfassungsverständnis (BGE 105 Ia 336 E. 3c, vgl. auch BGE 114 Ia 197 E. cc; BGE 114 Ib 162 E. 5a) ein Widerspruch in dem Sinne, dass Art. 74 BV die Gleichberechtigung der Frau im Bereich der politischen Rechte in Angelegenheiten der Kantone und der Gemeinden ausschliesse, nicht zu erkennen (vgl. auch ANDREAS AUER, Die Bundesverfassung und das Frauenstimmrecht, in ZSR NF 108/1989 I S. 148 ff.). Art. 74 BV ordnet - wie dargelegt - das Frauenstimmrecht auf eidgenössischer Ebene an; Art. 4 Abs. 2 BV regelt demgegenüber in allen Bereichen der Rechtsordnung von Bund und Kantonen die Gleichstellung von Mann und Frau, wobei das Gesetz für diese Gleichstellung zu sorgen hat, soweit sich ein durchsetzbarer Anspruch nicht unmittelbar aus der Verfassung ergibt, wie dies für den Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit zutrifft (BGE 114 Ia 331 E. 2b; BGE 113 Ia 110 E. 1a). Art. 74 Abs. 4 BV, der aus Anlass der Einführung des Frauenstimmrechts im Bunde in Übereinstimmung mit dem Grundsatz von Art. 3 BV die Respektierung der kantonalen Organisationsautonomie betont, behält auch dann seine Berechtigung, wenn Mann und Frau hinsichtlich der Ausübung der politischen Rechte gleichzustellen sind. Zu denken ist etwa an die Festlegung des Stimmrechtsalters oder die Gewährung des Stimmrechts an ausländische Bürger mit Wohnsitz im Kanton - Fragen, welche die Kantone weiterhin eigenständig regeln können.
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a) Der Bundesrat hielt in seiner Botschaft über die Volksinitiative "Gleiche Rechte für Mann und Frau" (BBl 1980 I 69 ff.) im Kapitel "Verhältnis eines Geschlechtergleichheitssatzes zum übrigen Bundesverfassungsrecht" fest, einem Geschlechtergleichheitsartikel komme nicht - nach dem Grundsatz der lex posterior - absoluter Vorrang gegenüber allem bisherigen Verfassungsrecht zu (S. 125). Im Zusammenhang mit Art. 74 Abs. 4 BV wurde folgendes ausgeführt (S. 129):
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"Hätte ein neuer Geschlechtergleichheitsartikel zur Folge, dass die noch bestehenden Ausschlüsse der Frauen von der politischen Mitsprache bundesverfassungswidrig wären und das Frauenstimmrecht auf kantonaler und kommunaler Ebene entweder kraft Bundesverfassungsrecht in allen Kantonen und Gemeinden eingeführt oder aufgrund verfassungsrichterlicher Urteile von den betroffenen Kantonen und Gemeinden einzuführen wäre? Das ist sehr zu bezweifeln... Es muss angenommen werden, dass sich Art. 74 Abs. 4 BV als Garantie kantonaler Selbstbestimmung über die Trägerschaft politischer Rechte in Kantonen und Gemeinden auch gegenüber einem bundesverfassungsrechtlichen Geschlechtergleichheitsgebot durchsetzen würde. Wollte man dieses Ergebnis vermeiden, so müsste man den Vorbehalt wohl ausdrücklich aufheben."
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Diese Auffassung wurde auf S. 141 der Botschaft bei der Umschreibung der Tragweite des Geschlechtergleichheitssatzes wiederholt. Der Bundesrat verwies in diesem Zusammenhang auf die beiden Botschaften zum Frauenstimmrecht von 1957 und 1970, die eine allfällige bundesrechtliche Verpflichtung der Kantone, das Frauenstimmrecht einzuführen, als "mit einem fundamentalen Prinzip unserer Staatsordnung ..., nämlich mit der föderativen Struktur unseres Staates" (BBl 1957 I 775) unvereinbar erklärt hatten. Weiter hielt der Bundesrat fest:
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"Wir möchten auch heute nicht davon abgehen und es trotz dem Geschlechtergleichheitsgebot nach wie vor den Kantonen überlassen, ob sie den Frauen die politische Gleichberechtigung in Kantons- und in Gemeindeangelegenheiten gewähren wollen oder nicht. Allerdings hat uns diesen Entscheid der Umstand wesentlich erleichtert, dass in den beiden Kantonen AR und AI, die das Frauenstimmrecht auf kantonaler Ebene noch nicht eingeführt haben, die Vorarbeiten für die politische Gleichberechtigung von Mann und Frau schon sehr weit gediehen sind und vom neuen Geschlechtergleichheitsgebot zusätzliche Impulse erhalten dürften."
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In den parlamentarischen Beratungen gab das Verhältnis zu Art. 74 Abs. 4 BV nicht viel zu reden, was aber kaum von Bedeutung und wohl damit zu erklären ist, dass die Einführung des Frauenstimmrechts auf kantonaler Ebene im damaligen Zeitpunkt schon erfolgt oder in die Wege geleitet war.
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b) In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass in den an den Verfassungsgeber - Volk und Stände - gerichteten Abstimmungserläuterungen zur Volksabstimmung vom 14. Juni 1981 in allen drei Landessprachen nirgends erwähnt wurde, das Gleichheitsgebot solle bei den politischen Rechten in kantonalen Angelegenheiten nicht gelten. Vielmehr wurde betont, "die Gleichstellung von Mann und Frau würde eindeutig und für alle Rechtsbereiche festgelegt", "Abweichungen von diesem Grundsatz soll es nur noch dort geben, wo biologische Unterschiede eine Gleichbehandlung nicht zulassen... Abgesehen davon sind Mann und Frau in allen Lebensbereichen und von allen Gemeinwesen (Bund, Kantone und Gemeinden) gleich zu behandeln". Angesichts des klaren Abstimmungsergebnisses ist auch nicht anzunehmen, Art. 4 Abs. 2 BV wäre verworfen worden, wenn ausdrücklich dargelegt worden wäre, das Gleichheitsgebot müsse auch bei den politischen Rechten respektiert werden.
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a) So schlossen sich J.F. AUBERT (Traité de droit constitutionnel suisse, supplément, Neuchâtel 1982, N 1071 - 1100), YVO HANGARTNER (Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, 1982, S. 191 und 234), HANS HUBER (Gleiche Rechte für Mann und Frau, ZBJV 118/1982, S. 177), ARTHUR HAEFLIGER (Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 78), ROLAND HENNINGER (Gleichberechtigung von Mann und Frau im Wandel, Diss. Freiburg, 1984, S. 140 f.), JÖRG PAUL MÜLLER und STEFAN MÜLLER (Grundrechte, besonderer Teil, Bern 1985, S. 201) und BÉATRICE WEBER-DÜRLER (Auf dem Weg zur Gleichberechtigung von Mann und Frau, ZSR NF 104/1985 I S. 1 ff., S. 6) mehr oder weniger ausdrücklich der dargelegten Auffassung des Bundesrates an.
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Im Jahre 1986 äusserte sich WERNER MOSER in seiner in den Beiheften zur ZSR erschienenen Arbeit "Unterschätzte Bundesverfassung" in differenzierter Weise. Zwar schloss er sich der herrschenden Auffassung an, vertrat jedoch die Ansicht, die Weitergeltung von Art. 74 Abs. 4 BV bedeute seit der Aufnahme von Art. 4 Abs. 2 BV nicht mehr wie vorher völlige Freiheit der Kantone, ihren Frauen die politischen Rechte zuzuerkennen oder vorzuenthalten. Der Gesetzgebungsauftrag von Art. 4 Abs. 2 Satz 2 BV richte sich auch an sie und verpflichte sie, die politische Gleichstellung ihrer Frauen innert tunlicher Frist zu verwirklichen (S. 16).
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Ebenfalls differenziert äusserten sich die Kommentatoren zur Bundesverfassung, nämlich GEORG MÜLLER zu Art. 4 Abs. 2 BV (Stand Juni 1987) und ETIENNE GRISEL zu Art. 74 Abs. 4 BV (Stand Juni 1988). GEORG MÜLLER hielt nach einem Hinweis auf die dargelegten Ansichten in einer Anmerkung abweichende Meinungen fest und warf die Frage auf, ob die Kantone auch berechtigt wären, die Männer auszuschliessen, oder ob eine solche Regelung gegen das Willkürverbot verstossen würde. ETIENNE GRISEL führte aus, es bleibe im Interesse der Gerechtigkeit zu hoffen, dass die Verfassungen der beiden Appenzell - heute geht es nur noch um Inner-Rhoden - in Bälde revidiert würden. Andernfalls wäre Art. 74 Abs. 4 BV zu ändern. "Vorstellbar wäre auch, das Problem auf dem Weg der Interpretation zu lösen und zu argumentieren, dass der historische Wille des Verfassungsgebers die staatlichen Organe nicht für unbeschränkte Zeit binden könne" (N 35 zu Art. 74 BV).
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Als deutlicher Vorbehalt gegenüber diesen Lehrmeinungen ist die kurze Äusserung von ULRICH HÄFELIN und WALTER HALLER in der 2. Auflage des Schweizerischen Bundesstaatsrechts, 1988, zu verstehen. Sie stellten fest, dass nach Auffassung des Bundesrates die politische Gleichberechtigung der Frau in Kantonen und Gemeinden weiterhin Sache des kantonalen Rechts sein solle. Es frage sich allerdings, ob der Ausschluss der Frauen vom Stimm- und Wahlrecht heute überhaupt noch sachlich gerechtfertigt werden könne (N 1559 S. 465). Auch PETER SALADIN verwies im Kommentar zur Bundesverfassung (Stand April 1986) auf die herrschende Lehrmeinung, gab jedoch zu bedenken, der Vorbehalt von Art. 74 Abs. 4 BV vertrage sich schlecht mit dem jüngeren Art. 4 Abs. 2 BV (N 74 zu Art. 6). In seinem Bericht zum Juristentag 1984 hielt er fest, dass Gewährung und Ausgestaltung der Volksrechte grundsätzlich den Kantonen überlassen seien, fügte jedoch in Klammern bei: Abgesehen von den Minimalforderungen des Art. 6 Abs. 2 BV sowie vom Gleichbehandlungs-Prinzip des Art. 4 BV (ZSR NF 103/1984 II S. 468).
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b) Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass - entsprechend der zeitlichen Nähe zur Meinungsäusserung des Bundesrates - die ersten Stimmen die Ansicht zum Ausdruck brachten, Art. 74 Abs. 4 BV bedeute einen Vorbehalt gegenüber Art. 4 Abs. 2 BV. Mit zunehmender zeitlicher Distanz liessen die Stimmen der Wissenschaft jedoch Zweifel erkennen und zeigten zum Teil sogar trotz der Anerkennung der bundesrätlichen Ausführungen einen Weg auf, der ohne Verfassungsrevision zu dem allseits als richtig erkannten Ziel der Gewährung des Frauenstimmrechts auch in den Halbkantonen Appenzell führen könnte (so ETIENNE GRISEL, GEORG MÜLLER und HÄFELIN/HALLER).
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c) Zu diesen Stimmen sind jedoch weitere hinzugekommen, die klar die Auffassung vertreten und einlässlich begründen, dass Art. 74 Abs. 4 BV verfassungsrechtlich nicht als echter Vorbehalt gegenüber Art. 4 Abs. 2 BV verstanden werden könne. So betonte MICHEL HOTTELIER in seinem Aufsatz "Egalité des sexes, fédéralisme et droits politiques au plan cantonal" bereits im Jahre 1983, dass mit Art. 74 BV im Jahre 1971 das Frauenstimmrecht im Bunde eingeführt wurde, woraus er folgerte, dass Abs. 4 mit dem an sich selbstverständlichen Vorbehalt der kantonalen Kompetenzen für Abstimmungen und Wahlen der Kantone und Gemeinden keine echte Ausnahme von dem 1981 verfassungsrechtlich verankerten Grundrecht der Gleichberechtigung von Mann und Frau sein könne; die Tragweite der Bestimmung beschränke sich vielmehr auf den Zweck von Art. 74 BV. Er begründete dies zudem damit, dass die Kantone in allen Bereichen ihrer Rechtsordnung an die vom Bund verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte gebunden seien. Hätte man Art. 74 Abs. 4 BV auch dem geschlechtsspezifischen Gleichheitsgebot gegenüber vorbehalten wollen, so hätte dies in Art. 4 Abs. 2 BV ausdrücklich gesagt werden müssen (ZBl 84/1983, S. 116 f.).
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Deutlich sprach PETER HÄNNI in seiner Arbeit "Grenzen richterlicher Möglichkeiten bei der Durchsetzung von Gleichheitsansprüchen gemäss Art. 4 BV" die Hoffnung aus, das Bundesgericht möge sich nicht durch Art. 74 Abs. 4 BV davon abhalten lassen, die Verfassungswidrigkeit der Appenzeller Regelung betreffend Frauenstimmrecht festzustellen (ZSR NF 107/1988 I S. 603 Anm. 22).
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Am gründlichsten äusserten sich schliesslich ANDREAS AUER (Die Bundesverfassung und das Frauenstimmrecht in Appenzell, ZSR NF 108/1989 I S. 141 ff.) und ALEXANDRE BERENSTEIN (L'égalité entre les sexes en matière de droits politiques, in Festschrift für Otto K. Kaufmann, 1989, S. 159 ff.) zum Verhältnis von Art. 74 Abs. 4 BV zu Art. 4 Abs. 2 BV. Beide Autoren, auf welche sich die Beschwerdeführerinnen und Beschwerdeführer mit Nachdruck berufen, gelangten mit zum Teil übereinstimmender Argumentation zum Schluss, Art. 74 Abs. 4 BV sei kein echter Vorbehalt gegenüber Art. 4 Abs. 2 BV. So hielt ANDREAS AUER fest: "Aus dem Wortlaut der betroffenen Verfassungssätze kann der angebliche Widerspruch nicht abgeleitet werden, denn weder erwähnt Art. 74 Abs. 4 BV die Geschlechtergleichheit, noch behält Art. 4 Abs. 2 BV ausdrücklich das kantonale Frauenstimm- und Wahlrecht vor... Es entspricht einem allgemeinen Auslegungsprinzip, dass Erlasse, die einen Grundsatz postulieren, davon aber einen bestimmten Sachverhalt ausnehmen wollen, diesen ausdrücklich erwähnen sollten. Hätte also der Bundesverfassungsgesetzgeber von 1980 die Frauenstimmrechtsfrage ein für allemal aus dem Schutzbereich des Geschlechtergleichheitsprinzipes herausheben wollen, so hätte er dies unmissverständlich und explizit im Text von Art. 4 Abs. 2 BV zum Ausdruck bringen sollen." (S. 149). Er kam daher zum Schluss, die Gleichberechtigung von Mann und Frau müsse auch im Bereich der politischen Rechte gelten (S. 154). Auch ALEXANDRE BERENSTEIN vertrat diese Auffassung, und er fügte bei, die Missachtung der Gleichberechtigung verstosse seit der Verankerung von Art. 4 Abs. 2 BV in der Bundesverfassung auch gegen Art. 6 Abs. 2 lit. b und c BV, welcher die Kantone verpflichte, die politischen Rechte nach republikanischen (repräsentativen oder demokratischen) Formen zu sichern und die Annahme der Verfassung durch das Volk und dessen Revidierbarkeit auf Verlangen der absoluten Mehrheit der Bürger vorzusehen. Diese Bestimmung habe durch Art. 4 Abs. 2 BV einen neuen Inhalt bekommen und könne heute nur noch so verstanden werden, dass das Stimm- und Wahlrecht sowohl auf kantonaler als auch auf eidgenössischer Ebene allen Bürgern - Männern und Frauen - zugestanden werden müsse. Der Ausschluss der Frauen sei daher weder mit Art. 4 BV noch mit Art. 6 BV vereinbar (S. 166 ff.).
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d) Diese Übersicht zeigt, dass von einer bewährten Lehrmeinung, wonach Art. 74 Abs. 4 BV ein echter Vorbehalt gegenüber Art. 4 Abs. 2 BV sei, nicht die Rede sein kann. Es kann höchstens von Meinungsäusserungen gesprochen werden, die sich der Ansicht des Bundesrates anschliessen. Mit zunehmender zeitlicher Distanz zu den bundesrätlichen Ausführungen äussern jedoch die Autoren, die sich mit dem Problem befasst haben, Unbehagen und deuten Wege an, wie das Frauenstimmrecht im Kanton Appenzell I.Rh. ohne Revision der Bundesverfassung eingeführt werden könnte. Zu diesen Lehrmeinungen kommen die abweichenden und zum Teil einlässlich begründeten Auffassungen hinzu, die eindeutig dem Gebot der Gleichberechtigung von Mann und Frau auch für die politischen Rechte Geltungskraft zubilligen (so MICHEL HOTTELIER, PETER HÄNNI, ANDREAS AUER und ALEXANDRE BERENSTEIN).
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9. a) Wendet man die von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung anerkannten Auslegungsgrundsätze (vgl. oben E. 5c) auf die zu lösende Frage an, so ergibt sich, dass der Auffassung, Art. 74 Abs. 4 BV enthalten keinen Vorbehalt gegenüber Art. 4 Abs. 2 BV, beizupflichten ist. Wie erwähnt, wurde Art. 74 Abs. 4 BV im Jahre 1971 im Zusammenhang mit der Einführung des Frauenstimmrechts auf eidgenössischer Ebene in die Bundesverfassung aufgenommen. Doch kann dieser Bestimmung nur die Tragweite eines unechten Vorbehaltes zugunsten der Kantone zugebilligt werden, da sich ein solcher Vorbehalt bereits aus Art. 3 BV, der die Souveränität der Kantone garantiert, ergibt. Art. 74 Abs. 4 BV sollte lediglich klarstellen, dass die Einführung des eidgenössischen Frauenstimm- und Wahlrechts nicht automatisch eine Anerkennung solcher Rechte auf kantonaler Ebene zur Folge hat. Bereits aus diesem Grund kann der unechte Vorbehalt in Art. 74 Abs. 4 BV nicht als Vorbehalt für alles künftige Verfassungsrecht verstanden werden, vor allem nicht für die Änderung von Art. 4 BV im Jahre 1981. Sofern man daher die politischen Rechte vom Geltungsbereich von Art. 4 Abs. 2 BV hätte ausnehmen wollen, hätte dies klar und deutlich im Wortlaut dieser Bestimmung zum Ausdruck gebracht werden müssen; denn es ist offenkundig, dass die Gleichberechtigung einen wesentlichen Teil ihres Gehaltes und ihrer Wirkung verlöre, wenn sie nicht auch für die politischen Rechte gelten würde, bilden doch diese Rechte ein zentrales Element unseres Staates. Art. 74 Abs. 4 BV behält im übrigen weiterhin seinen Sinn, bleibt doch den Kantonen nach wie vor ein beachtlicher Spielraum für die eigenständige Regelung der Stimmberechtigung in kantonalen und kommunalen Angelegenheiten (Stimmrechtsalter, Zulassung von Ausländern).
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Die anderslautende Auffassung des Bundesrates hinsichtlich des Vorbehaltes kann - obwohl im damaligen Zeitpunkt durchaus verständlich - nicht zu einem anderen Ergebnis führen; zu berücksichtigen ist nämlich wie dargelegt, dass die Materialien nur dann massgebend ins Gewicht fallen, wenn sie angesichts einer unklaren Bestimmung über die Absicht des Gesetz- bzw. Verfassungsgebers zuverlässig Aufschluss geben können (BGE 114 Ia 196; BGE 103 Ia 291). Selbst wenn man annehmen wollte, Art. 4 Abs. 2 BV sei in bezug auf die politischen Rechte nicht ganz klar, so muss davon ausgegangen werden, dass der Wille des Bundesrates das Volk und die Stände, somit den Verfassungsgeber, nicht binden konnte; im Bundesbeschluss über die Volksinitiative "Gleiche Rechte für Mann und Frau" (BBl 1980 III 701) und in den erwähnten, an die Stimmbürger gerichteten Abstimmungsempfehlungen war kein Vorbehalt im Sinne des Ausschlusses des Gleichbehandlungsgebotes bei den politischen Rechten in den Kantonen angebracht worden. Ganz im Gegenteil betonte der Bundesrat in diesen Erläuterungen, dass die Gleichstellung von Mann und Frau eindeutig und für alle Rechtsbereiche festgelegt würde. Auch war es das erklärte Ziel der Volksinitiative "Gleiche Rechte für Mann und Frau", die dank des Gegenvorschlages zurückgezogen wurde, alle nicht gerechtfertigten Rechtsungleichheiten zwischen Mann und Frau abzuschaffen, auch diejenigen, welche vom Bundesgericht gestützt auf Art. 4 BV nicht beseitigt worden waren (Botschaft der Bundesrates zur Initiative, BBl 1980 I 110). Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, der Verfassungsgeber - Volk und Stände - habe die politischen Rechte vom Grundsatz der Gleichheit der Geschlechter ausnehmen wollen. Art. 74 Abs. 4 BV, der bloss die kantonale Zuständigkeit in Erinnerung ruft, entbindet daher die Kantone nicht davon, die Grundrechte, insbesondere die Gleichberechtigung von Mann und Frau, im Bereich der politischen Rechte zu respektieren (ANDREAS AUER, Problèmes fondamentaux de la démocratie suisse, ZSR NF 103/1984 II S. 18 Anm. 15). Die Frage, ob Art. 4 Abs. 2 BV unmittelbar zur Anwendung gelange oder ob den Kantonen ein angemessener Zeitraum einzuräumen sei, um ihre Gesetze entsprechend anzupassen, kann offengelassen werden, da eine allfällige Frist seit dem Inkrafttreten von Art. 4 Abs. 2 BV vor rund zehn Jahren ohnehin abgelaufen wäre.
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b) Für die Beurteilung des Verhältnisses zwischen Art. 74 Abs. 4 BV und Art. 4 Abs. 2 BV sind überdies der Zeitablauf seit der Aufnahme der beiden Bestimmungen in den Jahren 1971 und 1981 sowie der seither eingetretene Wandel des geistigen, sozialen und politischen Entwicklungsstandes mitzuberücksichtigen (BGE 115 Ia 133 E. dd). In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Gleichberechtigung der Frauen in den politischen Rechten seit der Einführung des Frauenstimmrechts auf eidgenössischer Ebene auch in unserem Lande ins allgemeine Bewusstsein getreten ist. In kantonalen Angelegenheiten ist das Frauenstimmrecht - ausgenommen im Kanton Appenzell I.Rh. - in allen Kantonen verwirklicht; desgleichen ist es in allen politischen Einwohnergemeinden gewährleistet. Nach der beim Institut für Föderalismus der Universität Freiburg eingeholten Auskunft ist das Frauenstimmrecht nur in drei Kantonen in Bürgergemeinden und in Korporationsgemeinden durch das kantonale Recht noch nicht durchgehend sichergestellt, doch ist damit nicht gesagt, dass es nicht auch in diesen Gemeinden gewährt sei oder werden müsse.
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c) Allein das Ergebnis, wonach Art. 74 Abs. 4 BV unter den heutigen Verhältnissen keinen Vorbehalt gegenüber Art. 4 Abs. 2 BV enthält, entspricht im übrigen auch einem ganzheitlichen Verfassungsverständnis. Gewiss soll der Bund nicht ohne zwingenden Grund in die kantonale Organisationsautonomie eingreifen. Es geht jedoch nicht nur um die Organisation des Stimmrechts, sondern um dessen Inhalt, der das grundrechtliche Gleichheitsgebot zu respektieren hat. Dies drängt sich nach der Annahme von Art. 4 Abs. 2 BV durch Volk und Stände auch aufgrund von Art. 6 Abs. 2 BV auf, der die Gewährleistung kantonaler Verfassungen durch den Bund betrifft. Hieraus ergibt sich eine bundesrechtlich vorgeschriebene Grundstruktur kantonaler Organisation. Der Wortlaut von Art. 6 Abs. 2 BV ist zwar unverändert geblieben, doch führte die Aufnahme von Art. 4 Abs. 2 BV in die Bundesverfassung ganz allgemein dazu, dass die Frauen als mit allen Rechten ausgestattete Bürgerinnen zu betrachten sind, auch im Bereich der politischen Rechte. Der Ermessensspielraum, der den Kantonen früher im Rahmen von Art. 4 BV aufgrund ihrer föderativen Eigenständigkeit hinsichtlich der rechtlich unterschiedlichen Behandlung von Mann und Frau in der Gesetzgebung zustand, ist mit dem Inkrafttreten von Art. 4 Abs. 2 BV entfallen. Dies gilt für sämtliche gesetzlichen Regelungsmaterien (Entscheid des Bundesgerichts vom 10. Oktober 1986 in ZBl 88/1987 S. 308 E. 3a). Es steht demnach nicht mehr im Belieben der zuständigen Behörden, die Bürgerinnen wegen ihrer Eigenschaft als Frau vom Stimm- und Wahlrecht auszuschliessen. Art. 6 Abs. 2 BV hat daher durch die Änderung von Art. 4 BV eine neue Tragweite bekommen und lässt sich heute nur noch so auslegen, dass auch die Frauen zu den Stimmbürgern zu zählen sind. Zwar durfte die Bundesversammlung im Jahre 1979, als sie Art. 16 der Verfassung des Kantons Appenzell I.Rh. gewährleistete, mit dem damaligen Verfassungsverständnis davon ausgehen, dass der Ausschluss der Frauen vom kantonalen Stimm- und Wahlrecht der Bundesverfassung nicht zuwiderlaufe und insofern die gemäss Art. 6 Abs. 2 BV geltenden Voraussetzungen erfüllt waren. Diese Gewährleistung geschah indessen vor der Verfassungsrevision von 1981, somit unter anderen rechtlichen Bedingungen. Heute könnte eine revidierte kantonale Verfassung, die den Frauen das Stimm- und Wahlrecht abspricht, nicht mehr gewährleistet werden.
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b) Mit der Feststellung, Art. 16 KV verstosse nach seinem bisher unangefochtenen kantonalen Verständnis gegen Art. 4 Abs. 2 BV und Art. 6 Abs. 2 BV, ist noch nichts über die daraus zu ziehenden Folgen gesagt. Es ist zu beachten, dass geltendes Recht, das gegen das Gleichberechtigungsgebot verstösst, mit der Annahme von Art. 4 Abs. 2 BV nicht einfach ausser Kraft gesetzt wurde. Es bleibt vielmehr weiterhin in Geltung, doch kommt der dem Gesetzgeber erteilte Auftrag zum Zuge, für die Gleichstellung von Mann und Frau zu sorgen. Bekanntlich wollte die Volksinitiative für gleiche Rechte für Mann und Frau dem Gesetzgeber hiefür eine Frist von fünf Jahren ansetzen, was der Bundesrat als Mangel bezeichnete. Aus dem Verzicht auf eine Fristansetzung ergibt sich jedoch nicht, dass der Gesetzgeber beliebig lange zuwarten dürfte (Entscheid des Bundesgerichts vom 10. Oktober 1986 in ZBl 88/1987 S. 309 f.; ARTHUR HAEFLIGER, Die Rechtsfolgen der Gutheissung einer staatsrechtlichen Beschwerde, in: Festschrift für Otto K. Kaufmann, 1989, S. 357 ff., S. 363).
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Im vorliegenden Fall sind seit der Annahme von Art. 4 Abs. 2 BV am 14. Juni 1981 bis zur Ablehnung der Vorlage für eine Änderung von Art. 16 KV durch die Landsgemeinde am 29. April 1990 annähernd neun Jahre verstrichen. Auch bei voller Anerkennung der Organisationsautonomie der Kantone und bei Berücksichtigung der Schwierigkeiten einer Änderung der überlieferten Landsgemeindeorganisation ist festzustellen, dass neun Jahre hätten ausreichen sollen, um den Frauen auch im Kanton Appenzell I.Rh. das Stimmrecht zu gewähren.
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c) Es stellt sich die Frage, ob der Beschluss der Landsgemeinde vom 29. April 1990 formell aufzuheben sei, damit der kantonale Verfassungsgeber anstelle von Art. 16 KV eine neue Vorschrift erlasse. Dies ist jedoch nicht erforderlich. Der in Art. 4 Abs. 2 BV enthaltene Auftrag an den Gesetzgeber, für die Gleichstellung von Mann und Frau zu sorgen, hindert den Richter nicht daran, Ungleichheiten, welche in Gesetzen enthalten sind, die der richterlichen Überprüfung unterliegen, anlässlich dieser Kontrolle selbst zu beseitigen, soweit das möglich ist (JEAN-FRANÇOIS AUBERT, a.a.O., N 1783 mit Hinweis auf BGE 103 Ia 517 ff.). Somit kommt der Grundsatz auch hier sinngemäss zur Anwendung, wonach das Bundesgericht eine angefochtene Vorschrift nur dann aufhebt, wenn sie sich jeder verfassungskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich ist (BGE 113 Ia 131; BGE 111 Ia 25; BGE 109 Ia 277, je mit Hinweisen). Der Weg der verfassungskonformen Auslegung stünde nur dann nicht offen, wenn diese dazu führen würde, den klaren Sinn und insbesondere den klaren Wortlaut der in Frage stehenden Norm beiseite zu schieben (BGE 109 Ia 301 f. mit Hinweisen auf Lehre und Praxis). Dies ist hier nicht der Fall. Gemäss Art. 16 Abs. 1 KV sind alle im Kanton wohnhaften "Landleute" sowie die übrigen "Schweizer" an Landsgemeinden und an Gemeindeversammlungen stimmberechtigt. Der Wortlaut dieser Bestimmung steht einer verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Ausser Zweifel steht nämlich, dass zu den Schweizern nach heutigem Verfassungsverständnis Schweizer und Schweizerinnen gehören (BGE 109 Ib 87 E. 4b; BGE 103 Ia 519 E. 2). Auch der Begriff "Landleute", der die Bürger des Kantons Appenzell I.Rh. bezeichnet, kann im Lichte von Art. 4 Abs. 2 BV so verstanden werden, dass er auch die Bürgerinnen einschliesst, umfasst doch die Bezeichnung "Leute" im gewöhnlichen Sprachgebrauch Männer und Frauen. Art. 4 Abs. 2 BV führt demnach zu einer neuen, dem Wortlaut nicht widersprechenden Auslegung von Art. 16 Abs. 1 KV, die mit dem Gebot der Gleichberechtigung der Geschlechter übereinstimmt, genauso wie diese Bestimmung eine neue Sinngebung für Art. 6 Abs. 2 BV gebracht hat (vgl. E. 9c). Eine Änderung von Art. 16 KV ist daher nicht notwendig. Vielmehr genügt es, wenn festgestellt wird, dass Art. 16 Abs. 1 KV bei verfassungskonformer Auslegung für Männer und Frauen anwendbar ist, d.h. dass den Frauen gestützt auf Art. 16 KV in Verbindung mit den Art. 4 Abs. 2 BV und 6 Abs. 2 BV die politischen Rechte zustehen.
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Dieses Ergebnis führt dazu, dass Art. 16 Abs. 4 KV, der die Kirch- und Schulgemeinden ermächtigt, den Frauen das Stimm- und Wahlrecht zu gewähren, keine selbständige Bedeutung mehr hat, da Art. 16 Abs. 1 KV sich nicht nur auf die Landsgemeinde, sondern auch auf die Gemeindeversammlungen bezieht. Den Frauen steht somit auch an den Gemeindeversammlungen und gestützt auf Art. 33 Abs. 1 KV an den Bezirksversammlungen das Stimm- und Wahlrecht zu. Art. 16 Abs. 4 KV stellt daher lediglich noch eine historische Reminiszenz dar.
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d) Die Feststellung, dass den Frauen im Kanton Appenzell I.Rh. die politischen Rechte zustehen, entfaltet ihre Wirkung vom Zeitpunkt der Eröffnung des vorliegenden Entscheides an unmittelbar für die Zukunft und zwar sowohl für die Landsgemeinde als auch für die Bezirke und die Gemeinden des Kantons Appenzell I.Rh. Es wird freilich Aufgabe des Grossen Rates sein, die einschlägigen kantonalen Verordnungen, wie die Verordnung über die politischen Rechte und diejenige über die Landsgemeinde und die Gemeindeversammlungen, im Sinne der von ihm bereits vorgesehenen Änderungen dem neuen Verfassungsverständnis anzupassen. Aus der Feststellung, wonach den Frauen die politischen Rechte ex nunc, d.h. von heute an, zustehen, ergibt sich auch, dass der Bestand der Beschlüsse und Entscheide, die von den staatlichen Organen in ihrer bisherigen Zusammensetzung gefällt wurden, gewährleistet bleibt. In diesen Fällen liegt somit keine Nichtigkeit vor. Der vorliegende Entscheid ändert bis zu den nächsten Wahlen, an welchen sich die Frauen beteiligen können, auch nichts an der Gültigkeit der bisher ohne Frauen vorgenommenen Wahlen, insbesondere an der Gültigkeit der Zusammensetzung des Grossen Rates, der Standeskommission, der Bezirks- und Gemeindebehörden sowie der richterlichen Behörden.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
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Die staatsrechtlichen Beschwerden von Ursula Baumann und Mitbeteiligten sowie Mario Sonderegger und Mitbeteiligten werden im Sinne der Erwägungen gutgeheissen. Es wird festgestellt, dass den Frauen die politischen Rechte im Kanton Appenzell I.Rh. gestützt auf Art. 16 Abs. 1 KV in Verbindung mit den Art. 4 Abs. 2 BV und 6 Abs. 2 BV zustehen.
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