BGE 122 I 130 - Halbseitenlähmung | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
22. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 12. Juni 1996 i.S. U. E. gegen Anwaltskammer und Verwaltungskommission des Kantonsgerichts des Kantons St. Gallen (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Zulassung von Behinderten zum Anwaltsberuf; persönliche Freiheit; Handels- und Gewerbefreiheit (Art. 31 BV). |
Die Handels- und Gewerbefreiheit gibt keinen Anspruch darauf, dass die Fähigkeitsanforderungen an die Zulassung zum Anwaltsberuf für Behinderte gesenkt werden (E. 3). | |
Sachverhalt | |
E., geboren 1967, leidet seit seiner Geburt an einer armbetonten spastischen Halbseitenlähmung links. Damit verbunden ist eine motorische Behinderung und eine "migraine accompagnée", die vor allem bei Prüfungsstress zum Teil höher dosierte medikamentöse Behandlung erforderlich macht. Er unterzog sich am 9. September 1993 der schriftlichen, am 13. September 1993 der mündlichen st. gallischen Anwaltsprüfung. Mit Schreiben vom 29. Oktober 1993 teilte ihm die Prüfungskommission mit, dass seine schriftliche Arbeit ungenügend sei; er erhalte Gelegenheit, diese am 10. März 1994 zu wiederholen.
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Am 10. März 1994 trat E. zur schriftlichen Nachprüfung an. Mit Schreiben vom 29. April 1994 teilte ihm die Prüfungskommission für Anwälte mit, dass seine schriftliche Nachprüfungsarbeit ungenügend sei und er demgemäss die Anwaltsprüfung nicht bestanden habe. Am 27. Mai 1994 reichte E. bei der Prüfungskommission ein Wiedererwägungsgesuch ein mit dem Hauptantrag, die schriftliche Arbeit bzw. schriftliche Nachprüfungsarbeit sei als genügend zu befinden; eventualiter sei ausnahmsweise die schriftliche Prüfung teilweise bzw. die schriftliche Nachprüfung zu erlassen. Zur Begründung führte er an, während der schriftlichen Strafrechtsprüfung am Vormittag des 9. Septembers 1993 aufgrund der durch behinderungsbedingte Kopfschmerzen gesteigerten Empfindlichkeit verstärkt das Wasserplätschern des Brunnens im Innenhof vor dem Prüfungsraum vernommen zu haben. Im Januar und Februar 1994 habe er infolge behinderungsbedingter Sehstörungen, Kopfschmerzen und Schwindel sein Lernen unterbrechen müssen; vor der schriftlichen Nachprüfung habe er gegen aufkommende Kopfschmerzen Medikamente einnehmen müssen.
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Am 1. Juli 1994 trat das neue st. gallische Anwaltsgesetz vom 11. November 1993 in Kraft, welches in Art. 13 die Bewilligung zur Berufsausübung als Rechtsanwalt vom Bestehen einer Prüfung abhängig macht. Gemäss Art. 47 des Anwaltsgesetzes wird, wer nach bisherigem Recht zur Berufsausübung berechtigt ist, ohne neue Bewilligung in das Berufsregister eingetragen.
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Mit Schreiben vom 8. Juli 1994 lehnte die Anwaltsprüfungskommission den im Wiedererwägungsgesuch gestellten Hauptantrag ab und trat auf den Eventualantrag nicht ein, da nach dem neuen Anwaltsgesetz ein Erlass der Prüfung nicht mehr möglich sei. Hingegen erklärte sie sich bereit, einen zweiten Versuch für die Anwaltsprüfung in einem der Behinderung angepassten Ablauf durchzuführen.
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Am 8. August 1994 stellte E. bei der Anwaltskammer den Antrag, er sei in Anwendung von Art. 47 des Anwaltsgesetzes in das Berufsregister einzutragen und es sei ihm gemäss Art. 13 die Bewilligung zur Berufsausübung zu erteilen. Zur Begründung führte er aus, vor Inkrafttreten des Anwaltsgesetzes habe das auf ihn angewendete Prüfungsreglement für Anwälte vom 22. Dezember 1988 keine genügende Rechtsgrundlage gehabt und sei deshalb nicht geltendes Recht gewesen. Aufgrund der damals geltenden Bestimmung von Art. 59 des Zivilrechtspflegegesetzes vom 20. März 1939 sei die Bewilligung zur Berufsausübung nicht an das Bestehen einer Prüfung, sondern nur daran geknüpft gewesen, dass der Bewerber die nötigen Fähigkeiten besitze. Er, der Gesuchsteller, besitze diese Fähigkeiten; dass die schriftliche Prüfungsarbeit im Strafrecht vom 9. September 1993 als ungenügend bewertet worden sei, sei nur darauf zurückzuführen, dass er durch behinderungsbedingten Stress kognitive Störungen erlitten habe, so dass er im Sachverhalt die Daten nicht richtig habe würdigen können. Im Lichte der Handels- und Gewerbefreiheit müssten diese behinderungsbedingten kognitiven Störungen bei der Prüfungsbewertung Berücksichtigung finden. Eine Wiederholung der Prüfung komme für ihn wegen der damit verbundenen abnormen Stressbelastung nicht in Frage.
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Die Anwaltskammer lehnte mit Entscheid vom 28. November 1994 die Erteilung der Bewilligung zur Berufsausübung ab, gab aber E. die Gelegenheit, die schriftlichen Nachprüfungen 1995 zu wiederholen. Gegen diesen Entscheid erhob E. am 7. Februar 1995 Beschwerde an die Verwaltungskommission des Kantonsgerichts und stellte den Antrag, den Entscheid der Anwaltskammer aufzuheben und die Anwaltskammer anzuweisen, ihn in das Berufsregister einzutragen und ihm die Bewilligung zur Berufsausübung zu erteilen. Die Verwaltungskommission des Kantonsgerichts wies die Beschwerde mit Urteil vom 18. Mai 1995 ab.
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E. erhebt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 und 31 BV, der persönlichen Freiheit, Art. 27 und 30 KV/SG sowie Art. 6 EMRK.
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Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung tritt das Grundrecht der persönlichen Freiheit gegenüber den speziellen Verfassungsrechten zurück (BGE 117 Ia 27 E. 5b S. 30, mit Hinweisen), so dass die Ausübung von Erwerbstätigkeiten nur durch die Handels- und Gewerbefreiheit, nicht aber durch die persönliche Freiheit geschützt ist (BGE 99 Ia 504 E. 3 S. 509; WALTER HALLER, Kommentar zur Bundesverfassung, Rz. 99 zur persönlichen Freiheit). Ob die besondere Bedeutung der Berufswahlfreiheit für die Persönlichkeitsentfaltung eine kumulative Berufung auf beide Grundrechte rechtfertigen kann (so ETIENNE GRISEL, Liberté du commerce et de l'industrie, Berne 1993, vol. I, S. 112), braucht vorliegend nicht entschieden zu werden, da den persönlichkeitsbezogenen Aspekten auch im Rahmen der Handels- und Gewerbefreiheit Rechnung getragen werden kann. Auf die Frage, wie weit infolge der Behinderung des Beschwerdeführers allenfalls ein Anspruch auf weniger strenge Beurteilung von Prüfungsarbeiten besteht, ist demnach im Rahmen der Rüge der Verletzung der Handels- und Gewerbefreiheit einzugehen. Das gilt nicht nur für das bundesverfassungsrechtlich gewährleistete Grundrecht der persönlichen Freiheit, sondern auch für die entsprechende Garantie von Art. 30 der st. gallischen Kantonsverfassung.
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a) Die Handels- und Gewerbefreiheit gewährleistet das Recht, einen bestimmten Beruf, unter anderem auch den Anwaltsberuf, zu ergreifen oder auszuüben (BGE 103 Ia 394 E. 2c S. 401; BGE 116 Ia 237 E. 2d S. 240; BGE 119 Ia 41 E. 4a S. 42, 374 E. 2a S. 375; GRISEL, a.a.O., S. 120 f.; RENÉ RHINOW, Kommentar zur Bundesverfassung, Rz. 79 zu Art. 31; CHRISTOPH ANDREAS ZENGER, Die Bedeutung der Freiheit wirtschaftlicher Entfaltung für eine freie Berufswahl, Diss. Bern 1985, S. 381 ff.). Einschränkungen müssen auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen und die Grundsätze der Verhältnismässigkeit sowie der Rechtsgleichheit beachten (BGE 119 Ia 374 E. 2a S. 375; BGE 120 Ia 126 E. 4a S. 132; BGE 121 I 129 E. 3b S. 131 f., 326 E. 2b, S. 329).
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b) Der Beschwerdeführer bestreitet das Vorliegen einer genügenden gesetzlichen Grundlage für das Erfordernis, eine Anwaltsprüfung abzulegen.
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aa) Art. 59 des bis zum 30. Juni 1994 geltenden Gesetzes vom 20. März 1939 über die Zivilrechtspflege (ZP) lautete wie folgt:
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"Das Kantonsgericht erteilt die Bewilligung zur Ausübung des Berufs eines
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Anwaltes oder Rechtsagenten an Personen, welche die nötigen Fähigkeiten
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besitzen, Schweizerbürger sind und in bürgerlichen Ehren und Rechten
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stehen. Es kann die Bewilligung zur Berufsausübung nach Anhören der
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Aufsichtskommission dauernd oder zeitweise zurückziehen.
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Regierungsrat untersteht... ."
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Gestützt darauf erliess das Kantonsgericht am 2. Juni 1958 eine (vom Regierungsrat am 24. Juni 1958 genehmigte) Anwaltsordnung, deren Art. 1 wie folgt lautete:
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"Die Bewilligung zur Ausübung des Anwalts- oder Rechtsagentenberufs wird
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Schweizerbürgern und Schweizerbürgerinnen erteilt, die handlungsfähig, gut
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beleumdet und zutrauenswürdig sind und in bürgerlichen Ehren und Rechten
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stehen.
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Der Bewerber muss vor der st. gallischen Prüfungskommission mit Erfolg
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eine Fähigkeitsprüfung bestanden haben oder einen Fähigkeitsausweis im
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Sinne von Art. 5 der Übergangsbestimmungen zur Bundesverfassung besitzen.
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Die Fähigkeitsprüfung kann dem Bewerber ausnahmsweise ganz oder teilweise
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erlassen werden, wenn die Fähigkeit zur Berufsausübung in anderer Weise
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einwandfrei festgestellt ist... ."
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bb) Eine Bewilligungspflicht für die Ausübung eines Berufes ist ein schwerer Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit und bedarf einer formell-gesetzlichen Grundlage (BGE 104 Ia 196 E. 3b S. 200; vgl. BGE 115 Ia 277 E. 7a S. 288). Das schliesst nicht aus, dass das formelle Gesetz sich auf die Regelung der Grundzüge beschränkt und die nähere Ausgestaltung der Einzelheiten einer nachgeordneten Instanz überlässt (BGE 115 Ia 277 E. 7a S. 288). Vorliegend legt das formelle Gesetz als Voraussetzung für die Bewilligung u.a. das Erfordernis der nötigen Fähigkeiten fest und beauftragt das Kantonsgericht, eine (der regierungsrätlichen Genehmigung unterliegende) Anwaltsordnung zu erlassen. Diese gesetzliche Bestimmung kann nicht anders verstanden werden, als dass das Kantonsgericht in der von ihm zu erlassenden Anwaltsordnung auch die Anforderungen an die nachzuweisenden "nötigen Fähigkeiten" präzisiert. Das Bundesgericht hat wiederholt entschieden, dass das st. gallische Staatsrecht eine Rechtsetzungsdelegation nicht verbietet (BGE 88 I 31, S. 33 ff.; BGE 118 Ia 305 E. 2b/3a S. 310 f.; Urteil i.S. B. vom 22. März 1996, E. 5a). Es ist nicht ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht dargetan, inwiefern die Delegation nur an den Regierungsrat, nicht aber an das Kantonsgericht zulässig sein soll, oder inwiefern Art. 27 der st. gallischen Kantonsverfassung, wonach "die Gesetzgebung" Beschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit trifft (vgl. auch Art. 21 KV), eine solche Delegation verbieten würde. Es ist nicht zu beanstanden, sondern dient im Gegenteil dem Anliegen der Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit, wenn das Kantonsgericht die Kriterien, welche es seiner Bewilligungserteilung zugrundelegt, in generell-abstrakter Form festlegt.
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Dasselbe gilt auch für das vom Kantonsgericht selbständig erlassene Prüfungsreglement. Art. 5 Abs. 2 der (vom Regierungsrat genehmigten) Anwaltsordnung ermächtigt das Kantonsgericht ausdrücklich, die Prüfungsbestimmungen zu erlassen, ohne hiefür eine Genehmigung durch den Regierungsrat vorzuschreiben. Selbst wenn darin nicht eine Konkretisierung eines Vollzugsauftrags, sondern eine Ermächtigung zu gesetzesvertretender Rechtsetzung erblickt wird (in diesem Sinne BERNHARD NOTTER, Die st. gallische Rechtsetzung in der Form des Gesetzes und der Verordnung, Diss. Freiburg 1967, S. 134 f.), so ist jedenfalls nicht dargetan, inwiefern eine solche Subdelegation nach st. gallischem Staatsrecht unzulässig sein soll (vgl. BGE 118 Ia 245 E. 3 S. 247 ff.). Der blosse Einwand des Beschwerdeführers, die Prüfungsordnung von 1988 sei vom Regierungsrat nicht genehmigt worden, ist nach dem Gesagten unbehelflich.
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cc) Freilich darf die Verordnung keine neuen Rechtsnormen enthalten, sondern muss sich darauf beschränken, diejenigen Bestimmungen, die im Gesetz bereits angelegt sind, auszuführen (BGE 114 Ia 286 E. 5a S. 288; BGE 115 Ia 277 E. 7a S. 288; vgl. auch Art. 65 KV). Aus der gesetzlichen Formulierung in Art. 59 des Gesetzes über die Zivilrechtspflege ergibt sich, dass das Kantonsgericht die Möglichkeit haben muss, das Vorhandensein der nötigen Fähigkeiten zu überprüfen. Die Durchführung einer Anwaltsprüfung ist ein geeignetes Mittel, um festzustellen, ob diese Fähigkeiten vorhanden sind. Das Erfordernis, eine Prüfung abzulegen, entspricht somit dem Sinn und Zweck des Gesetzes.
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Für die Beurteilung der Frage, ob eine Ausführungsmassnahme vom Gesetz abgedeckt ist, kann auch darauf abgestellt werden, ob sie dem allgemein üblichen Standard entspricht oder völlig neue, bisher ungewohnte Anforderungen stellt (Urteil des Bundesgerichts vom 22. März 1996 i.S. B., E. 5d aa/dd; BGE BGE 121 I 22 E. 4a S. 27, 273 E. 5a S. 277 f.). Die meisten Kantone verlangen das Bestehen einer Anwaltsprüfung als Voraussetzung für die Berufszulassung (DOMINIQUE DREYER, L'avocat dans la société actuelle, ZSR 115/1996 II S. 395-519, 420; FELIX WOLFFERS, Der Rechtsanwalt in der Schweiz, Diss. Bern 1986, S. 64). Das Bundesgericht hat sogar entschieden, dass im Normalfall das Ablegen einer Prüfung als Standardanforderung für die interkantonale Anerkennung von Anwaltspatenten gilt (BGE 111 Ia 108 E. 2 S. 112).
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Wenn das Kantonsgericht von den Bewerbern um eine Berufsausübungsbewilligung das Ablegen einer Prüfung verlangt, so bewegt es sich deshalb innerhalb des Gesetzes. Das gilt um so mehr, als in der Anwaltsordnung das Bestehen einer Prüfung nicht zwingend vorgeschrieben ist; vielmehr ist vorgesehen, dass die Prüfung erlassen werden kann, wenn die Fähigkeit auf andere Weise festgestellt ist. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass, wie der Beschwerdeführer vorbringt, das Vorhandensein der nötigen Fähigkeiten auch auf andere Weise als durch das Bestehen einer Prüfung nachgewiesen werden kann. Es kann deshalb nicht gesagt werden, dass die vom Kantonsgericht erlassene Anwaltsordnung den Rahmen des Gesetzes sprengen und neue, vom Gesetz nicht abgedeckte Bestimmungen enthalten würde. Art. 1 der Anwaltsordnung von 1958 hält sich im Rahmen dessen, was in einer Vollziehungsverordnung zulässig ist, ohne dass dafür auf Gewohnheitsrecht zurückgegriffen werden müsste.
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c) Ist es somit nicht zu beanstanden, dass das Kantonsgericht im Normalfall die Berufsausübungsbewilligung nur aufgrund einer bestandenen Prüfung erteilte, bleibt zu prüfen, ob, wie der Beschwerdeführer vorbringt, aufgrund seiner Behinderung an die Prüfungsarbeit ein weniger strenger Beurteilungsmassstab anzulegen sei.
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aa) Verfassungsmässige Rechte schützen in erster Linie gegen staatliche Eingriffe. Darüberhinaus enthalten sie eine konstitutive oder programmatische Komponente (JÖRG PAUL MÜLLER, Elemente einer schweizerischen Grundrechtstheorie, Bern 1982, S. 8 ff.). Das kann allerdings nichts daran ändern, dass die Menschen aufgrund ihrer faktischen Ungleichheit (Vermögen, Gesundheit, Begabung) in unterschiedlichem Masse in der Lage sind, von den ihnen rechtlich zustehenden Möglichkeiten und Rechten Gebrauch zu machen. Der Staat ist weder aufgrund der Rechtsgleichheit noch aufgrund spezifischer Grundrechte verpflichtet, sämtliche faktischen Ungleichheiten zu beheben. Das schlägt sich zwangsläufig auch in der Möglichkeit nieder, bestimmte Berufe zu ergreifen. Viele Berufe erfordern besondere Eigenschaften und Fähigkeiten, die nicht alle Menschen im gleichen Masse besitzen. Der blosse Umstand, dass einzelne Personen ohne eigenes Verschulden diese Fähigkeiten nicht besitzen, kann nicht dazu führen, dass die Anforderungen reduziert werden müssten. So können körperlich behinderte Personen bestimmte Berufe, die eine volle körperliche Leistungsfähigkeit verlangen (z.B. Polizist, Bergführer, Turnlehrer), nicht ergreifen. Die Handels- und Gewerbefreiheit kann keinen Anspruch darauf geben, dass solche Berufe von allen Personen ungeachtet ihrer individuellen Fähigkeiten ergriffen und ausgeübt werden dürfen.
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bb) Aus der menschenrechtlichen Komponente, die der Handels- und Gewerbefreiheit insbesondere in der Ausgestaltung der Berufswahlfreiheit innewohnt (ZENGER, a.a.O., S. 140 ff.), ergibt sich hingegen, dass der Staat die Berufszulassung nicht unnötigerweise von Voraussetzungen abhängig machen darf, die Behinderte nicht erfüllen können. Solange jedoch polizeilich gerechtfertigte Anforderungen zur Diskussion stehen, kann der blosse Umstand, dass einzelne Personen diese nicht zu erfüllen vermögen, noch kein Grund sein, die Anforderungen zu senken. So können zum Beispiel Personen, die infolge eines Gebrechens nicht in der Lage sind, ein Motorfahrzeug sicher zu führen, keinen Führerausweis erwerben, auch wenn sie dadurch in ihrem beruflichen Fortkommen behindert werden (BGE 103 Ib 29 E. 1a S. 32). Dasselbe gilt auch für gewerbepolizeilich begründete Anforderungen an bestimmte Berufe.
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cc) Das Erfordernis eines Fähigkeitsnachweises für Rechtsanwälte dient namentlich dem Schutz des rechtsuchenden Publikums (Ioanna Coveris, Certificat de capacité et liberté du commerce et de l'industrie, Thèse Lausanne 1988, S. 128 f.; WOLFFERS, a.a.O., S. 65 f.). Zu diesem Zweck ist es gerechtfertigt, hohe Anforderungen an die Fachkenntnisse eines Anwaltes zu stellen (BGE 113 Ia 286 E. 4c S. 290; vgl. MICHAEL PFEIFER, Der Rechtsanwalt in der heutigen Gesellschaft, ZSR 115/1996 II S. 253-393, 356). Die blosse Bestätigung über ein absolviertes Praktikum kann in der Regel nicht als genügender Nachweis der Befähigung anerkannt werden (BGE 111 Ia 108 E. 3 S. 112 f). Im Lichte dieser Überlegungen wäre es nicht zu rechtfertigen, mit Rücksicht auf bestimmte Eigenschaften einzelner Kandidaten weniger strenge Anforderungen zu stellen. Das rechtsuchende Publikum muss sich darauf verlassen können, dass der Anwalt über die notwendigen Fähigkeiten verfügt, um seinen Beruf richtig auszuüben. Dazu gehört auch die Fähigkeit, unter Stressbedingungen richtig entscheiden und Sachverhalte zutreffend würdigen zu können. Es verletzt daher die Handels- und Gewerbefreiheit nicht, wenn die kantonalen Behörden es abgelehnt haben, mit Rücksicht auf die Behinderung des Beschwerdeführers die zu stellenden Anforderungen zu senken.
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dd) Die kantonalen Behörden haben erwogen und berücksichtigt, dass die Wiederholung der ganzen Prüfung unter den gegebenen Umständen unzumutbar wäre, und aus diesem Grunde nicht die Wiederholung der gesamten Prüfung, sondern nur der schriftlichen Nachprüfung verlangt. Zudem haben sie sich bereit erklärt, den Prüfungsablauf der spezifischen Situation des Beschwerdeführers anzupassen. Sie haben damit durchaus auf die besondere Lage des Beschwerdeführers und seine individuelle Belastbarkeit Rücksicht genommen. Auch soweit sich aus der Handels- und Gewerbefreiheit ein Anspruch auf individuelle Gestaltung des Prüfungsablaufs ableiten lassen sollte, ist dieser Anspruch vorliegend jedenfalls nicht verletzt. Die Anforderungen, welche die kantonalen Behörden gestellt haben, können nicht als unverhältnismässig betrachtet werden. Die Rüge des Beschwerdeführers, eine Prüfung, die länger als acht Stunden dauere, sei im Reglement nicht vorgesehen und wäre für ihn mit zu grossem Stress verbunden, geht von vornherein fehl, weil die kantonalen Behörden den anzupassenden Prüfungsablauf noch gar nicht festgelegt haben. Vielmehr weigert sich der Beschwerdeführer grundsätzlich, überhaupt noch einmal eine schriftliche Nachprüfung abzulegen. Diese Weigerung erscheint um so weniger verständlich, als nach den von ihm nicht beanstandeten Feststellungen des Kantonsgerichts im Wiedererwägungsverfahren sein Vater vertretungsweise den Subeventualantrag gestellt hatte, eine Wiederholung der Prüfung mit einem angepassten Ablauf durchzuführen. Zwar hat die Prüfungskommission in ihrem Wiedererwägungsentscheid vom 8. Juli 1994 diesen Antrag abgelehnt; hingegen entspricht der Entscheid der Anwaltskammer vom 28. November 1994 im Ergebnis dem vom Beschwerdeführer selber (bzw. vertretungsweise von seinem Vater) gestellten Subeventualantrag.
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d) Der angefochtene Entscheid verletzt nach dem Gesagten auch nicht die Rechtsgleichheit. Die kantonalen Behörden haben, indem sie dem Beschwerdeführer das Absolvieren nur der schriftlichen Nachprüfung mit angepasstem Ablauf zugestanden haben, seiner besonderen Situation Rechnung getragen und das verfassungsrechtliche Gebot, Ungleiches ungleich zu behandeln, beachtet. Dass sie die zu stellenden Anforderungen nicht reduziert haben, ist auch im Lichte der Rechtsgleichheit nicht zu beanstanden.
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