BGE 125 I 127 - V-Personen Basel-Landschaft | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. Dezember 1998 i.S. Demokratische JuristInnen der Schweiz (DJS) und Mitbeteiligte gegen Kanton Basel-Landschaft (staatsrechtliche Beschwerde) | |
Regeste |
Anonymität von V-Personen im Strafverfahren, Revision der Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft, Art. 4 BV und Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. d EMRK. |
Allgemeine Hinweise zum Zeugenschutz (E. 7). |
Schwierigkeiten einer effektiven Verteidigung angesichts von Aussagen anonymer Zeugen (E. 8). Ausgleich durch Verfahrensmassnahmen (E. 9). Abwägung der entgegenstehenden Interessen; verfassungs- und konventionskonforme Anwendung der Bestimmungen über die Aufrechterhaltung der Anonymität von V-Personen (E. 10). | |
Sachverhalt | |
Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft unterbreitete dem Landrat des Kantons Basel-Landschaft im Herbst 1995 eine Vorlage für ein einheitliches neues Polizeigesetz. Diese enthielt einen Abschnitt über den Einsatz von V-Personen, welcher in die Strafprozessordnung eingefügt werden sollte. Der Landrat hat die Änderung der Strafprozessordnung formell von der Vorlage des Polizei-gesetzes abgetrennt. Am 28. November 1996 hat er die Bestimmungen über den Einsatz von V-Personen beschlossen und das Gesetz betreffend die Strafprozessordnung (StPO) verabschiedet. Dieses ist in der Volksabstimung vom 2. März 1997 angenommen worden.
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Das Gesetz betreffend die Strafprozessordnung hat folgenden Wortlaut:
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§ 100e Anordnung, Genehmigung des Einsatzes und Vertraulichkeitszusage
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1 Als V-Person im Sinne dieses Gesetzes gilt, wer:
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a. aufgrund eines besonderen Auftrages im Rahmen der Strafverfolgung zur Aufklärung einer schweren Straftat eingesetzt wird und
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b. konkretisierend auf das Handlungsgeschehen einwirkt, ohne gegenüber Dritten Identität und Funktion offen zu legen.
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2 Der Statthalter oder die Statthalterin kann den Einsatz von V-Personen anordnen. Die Anordnung ist zu begründen und bedarf der Genehmigung durch die präsidierende Person der Überweisungsbehörde.
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3 Die Anordnung bleibt höchstens drei Monate in Kraft. Sie kann durch den Statthalter oder die Statthalterin in begründeten Fällen um jeweils höchstens drei Monate verlängert werden. Die Verlängerung bedarf der Genehmigung durch die präsidierende Person der Überweisungsbehörde.
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4 Die Genehmigung kann auf begründeten Antrag des Statthalters oder der Statthalterin mit der Vertraulichkeitszusage verbunden werden. Die Vertraulichkeit wird zugesagt, wenn zureichende Gründe zur Befürchtung Anlass geben, dass der V-Person oder Dritten bei Bekanntwerden der wahren Identität schwerwiegende Nachteile drohen.
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6 Ungeachtet der Vertraulichkeitszusage teilt die präsidierende Person der Überweisungsbehörde die wahre Identität dem Präsidenten oder der Präsidentin des Strafgerichts beziehungsweise des Obergerichts auf Anfrage hin mit. Diese sind ihrerseits gebunden an die Vertraulichkeitszusage gegenüber Dritten, eingeschlossen die Richterinnen und Richter.
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§ 100f Voraussetzungen des Einsatzes
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1 Der Einsatz von V-Personen ist zulässig, wenn:
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a. die Schwere der Straftat, für die Tatverdacht besteht, diese Massnahme rechtfertigt, und
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b. andere Untersuchungshandlungen erfolglos geblieben sind oder weniger eingreifende Massnahmen wahrscheinlich nicht ausreichen.
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2 Die Straftat wiegt insbesondere schwer, wenn es sich um ein Verbrechen handelt und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie Bezüge zur organisierten Kriminalität aufweist.
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§ 100g Instruktion, Begleitung und Überwachung des Einsatzes von V-Personen
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1 Das Statthalteramt instruiert, begleitet und überwacht die V-Personen.
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2 Die V-Personen berichten dem Statthalteramt regelmässig über ihren Einsatz und über ihre Feststellungen.
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3 Den V-Personen dürfen keine Erfolgsprämien ausgerichtet werden.
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4 Der Einsatz der V-Personen, insbesondere Instruktion, Berichterstattung und Überwachung werden aktenmässig festgehalten.
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5 Die Akten über nichtbeschuldigte Personen werden vernichtet, wenn sie für das Verfahren nicht mehr benötigt werden, spätestens jedoch mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens.
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§ 100h Unzulässiges Verhalten der V-Personen
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1 Die V-Personen dürfen keine Aktivitäten entfalten, die geeignet sind:
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a. den Tatentschluss der verdächtigten Person hervorzurufen;
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b. den bestehenden Tatentschluss zu erweitern.
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2 Überschreiten die V-Personen die Schranken des zulässigen Verhaltens, so dürfen die dadurch unmittelbar gewonnenen Erkenntnisse nicht zum Nachteil der angeschuldigten Person verwendet werden.
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§ 100i Abbruch des Einsatzes der V-Personen
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Der Statthalter oder die Statthalterin bricht den Einsatz von V-Personen unverzüglich ab, wenn
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a. die Voraussetzungen des Einsatzes nicht mehr erfüllt sind,
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b die V-Personen die Grenzen des zulässigen Einsatzes überschritten haben,
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§ 100k Mitteilungspflicht
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1 Spätestens nach Abschluss der Strafuntersuchung ist den betroffenen Personen mitzuteilen, dass die Massnahme des Einsatzes von V-Personen gegen sie ergriffen worden ist.
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2 Die Mitteilung kann jedoch mit Zustimmung des Präsidenten oder der Präsidentin der Überweisungsbehörde unterbleiben, wenn für ein laufendes oder für ein unmittelbar bevorstehendes Strafverfahren schwere Nachteile, die den Verzicht auf die Mitteilung überwiegen, zu befürchten wären.
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3 Der Statthalter oder die Statthalterin informiert die präsidierende Person der Überweisungsbehörde über den Abschluss des Einsatzes der V-Person.
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§ 100l Zufallsfunde
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Werden den V-Personen bei der ordnungsgemässen Auftragserfüllung andere Straftaten als die in der Anordnung aufgeführten bekannt, so können diese mit nachträglicher Genehmigung der präsidierenden Person der Überweisungsbehörde verfolgt werden, wenn auch bezüglich dieser Straftaten die Voraussetzungen des Einsatzes von V-Personen gemäss § 100f erfüllt waren.
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§ 100m Einvernahme als Zeuge oder als Zeugin
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1 Die angeschuldigte Person hat das Recht, die V-Personen vor Gericht als Zeugen oder als Zeuginnen befragen zu lassen.
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2 Das Gericht trifft die für den Schutz der V-Personen und für die Einhaltung der Vertraulichkeitszusage erforderlichen Massnahmen. Es kann zu diesem Zweck:
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a. auf die Bekanntgabe der Personalien der V-Personen verzichten,
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b. die Öffentlichkeit für die Befragung der V-Personen ausschliessen,
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c. durch geeignete Massnahmen wie optische Abschirmung oder Stimmenverzerrung die Identität der V-Personen verbergen.
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3 Bei Vorliegen der Vertraulichkeitszusage ist in jedem Fall auf die Bekanntgabe der Personalien der V-Personen zu verzichten.
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4 In den Fällen von Absatz 2 vergewissert sich der Präsident oder die Präsidentin des Strafgerichts beziehungsweise des Obergerichts, dass die V-Person glaubwürdig ist.
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§ 100n Akteneinsichtsrecht
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1 Die angeschuldigte Person hat das Recht, in die Akten über den Einsatz der V-Personen Einsicht zu nehmen.
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2 Die Akteneinsicht wird verweigert oder eingeschränkt, soweit dies aufgrund der Vertraulichkeitszusage, eines überwiegenden öffentlichen Interesses oder eines überwiegenden Interesses einer Drittperson oder der V-Person erforderlich erscheint.
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Die Regionalgruppe Basel des Vereins Demokratische JuristInnen der Schweiz (DJS) und weitere Mitbeteiligte fechten die Änderung der Strafprozessordnung mit staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht an. Sie machen hinsichtlich der Anonymität von V-Personen eine Verletzung der Grundsätze eines fairen Verfahrens und der Verteidigungsrechte im Strafverfahren geltend und verlangen die Aufhebung von § 100e Abs. 5 und Abs. 6 und § 100m Abs. 4 StPO.
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Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab.
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Aus den Erwägungen: | |
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Die Beschwerdeführer fechten nicht die ganze StPO-Revision an. Insbesondere machen sie nicht geltend, der Einsatz von V-Personen als solcher und die Voraussetzungen hierfür hielten vor Verfassung und Konvention nicht stand. Trotz ihrer Zweifel am Ausnahmecharakter der Vertraulichkeitszusage, an der Wirksamkeit der richterlichen Genehmigung und an den Schutzmassnahmen anlässlich der gerichtlichen Einvernahmen machen sie daraus keine eigenständigen Beschwerdepunkte.
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Zur Hauptsache konzentrieren die Beschwerdeführer ihre Rügen auf die Frage der Vertraulichkeitszusage und die Garantie der Anonymität. Sie sind der Auffassung, die Ordnung der Vertraulichkeitszusage sei mit den Verteidigungsrechten, wie sie sich aus Art. 4 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. d EMRK ergeben, nicht vereinbar, weil der Beschuldigte in Anbetracht der Anonymität die Glaubwürdigkeit der V-Person nicht wirksam in Frage stellen könne. (...)
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6. a) Die Beschwerdeführer berufen sich zur Hauptsache auf Art. 6 Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. d EMRK. Danach hat jedermann allgemein Anspruch auf ein faires Verfahren; der Angeschuldigte hat im Speziellen das Recht, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken.
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Die Garantien von Art. 6 Ziff. 3 EMRK stellen besondere Aspekte des Rechts auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK dar (Urteil Kostovski gegen Niederlande, Serie A Nr. 166, Ziff. 39; Urteil Lüdi gegen die Schweiz, Serie A Nr. 238 = EuGRZ 1992 S. 300, Ziff. 43; Urteil Doorson gegen Niederlande, Recueil 1996 S. 446, Ziff. 66; Urteil van Mechelen gegen Niederlande, Recueil 1997 S. 691, Ziff. 49). Der Gerichtshof betrachtete Beschwerden betreffend die Befragung von Belastungs- und Entlastungszeugen bzw. von anonymen Zeugen unter dem kombinierten Gesichtswinkel von Ziff. 1 und Ziff. 3 des Art. 6 EMRK (vgl. die vorgenannten Urteile). Auch für den vorliegenden Fall sind die spezifischen Aspekte der Befragung von Zeugen am allgemeinen Prinzip des fairen Verfahrens zu messen.
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Dabei ist der Begriff des Zeugen entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofs autonom und ohne formelle Bindung an das nationale Recht auszulegen. Als Aussagen von Zeugen werden all jene betrachtet, die formell zugelassen sind, dem Gericht zur Kenntnis kommen und von ihm verwendet werden können; auch in der Voruntersuchung gemachte Aussagen vor Polizeiorganen werden als Zeugenaussagen betrachtet (Urteil Unterpertinger gegen Österreich, Serie A Nr. 110 = EuGRZ 1987 S. 147, Ziff. 31; Urteil Windisch gegen Österreich, Serie A Nr. 186, Ziff. 23; Urteil Delta gegen Frankreich, Serie A Nr. 191-A, Ziff. 34; Urteil Lüdi, a.a.O., Ziff. 44; Urteil Artner gegen Österreich, Serie A Nr. 242-A = EuGRZ 1992 S. 476, Ziff. 19; Urteil Asch gegen Österreich, Serie A Nr. 203 = EuGRZ 1992 S. 474, Ziff. 25; Urteil Vidal gegen Belgien, Serie A Nr. 235-B = EuGRZ 1992 S. 440, Ziff. 33; Urteil Pullar gegen Grossbritannien, Recueil 1996 S. 783, Ziff. 45).
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b) Allgemein spricht der Gerichtshof davon, dass alle Beweise normalerweise in Anwesenheit des Angeklagten in einer öffentlichen Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung vorgebracht werden müssen. Das bedeutet indessen nicht, dass ein Zeuge stets vor Gericht und öffentlich auszusagen hätte. Daher ist die Verwendung von Aussagen, die im Vorverfahren gemacht worden sind, als solche nicht unvereinbar mit den Garantien von Art. 6 EMRK, sofern die Rechte der Verteidigung respektiert worden sind. In der Regel erfordern diese Rechte, dass der Angeklagte eine angemessene und ausreichende Gelegenheit zur Widerlegung und Befragung eines Belastungszeugen entweder zu dem Zeitpunkt, zu dem dieser seine Aussage macht, oder in einem späteren Verfahrensstadium erhält (Urteil Unterpertinger, a.a.O., Ziff. 31; Urteil Kos-tovski, a.a.O., Ziff. 41; Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 26; Urteil Asch, a.a.O., Ziff. 27; Urteil Lüdi, a.a.O., Ziff. 47; Urteil Isgrò gegen Italien, Serie A Nr. 194-A, Ziff. 34; Urteil Ferrantelli gegen Italien, Recueil 1996 S. 937, Ziff. 51; Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 51).
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Das Bundesgericht hat sich in seiner Rechtsprechung verschiedentlich zur Garantie von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK ausgesprochen (BGE 124 I 274 E. 5 S. 284; BGE 116 Ia 289 E. 3 S. 291; BGE 118 Ia 327; BGE 118 Ia 457 E. 2 S. 458; BGE 118 Ia 462 E. 5 S. 468; BGE 120 Ia 48 E. 2b/aa S. 50 und E. 2e S. 54; BGE 121 I 306 E. 1 S. 307). Es hat in Anlehnung an die Urteile des Gerichtshofes ausgeführt, dass Beweise im Hinblick auf ein kontradiktorisches Verfahren grundsätzlich in Anwesenheit des Beschuldigten zu erheben seien, indessen auch ein Abstellen auf Aussagen aus der Voruntersuchung zulässig sei. Voraussetzung für ein rechtsstaatliches Verfahren sei, dass der Beschuldigte belastende Aussagen bestreiten und den Zeugen in kontradiktorischer Weise Fragen stellen kann. Eine einmalige Gelegenheit hierfür genüge. Erforderlich sei dabei, dass die Befragung tatsächlich wirksam ausgeübt werden kann.
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In gleicher Weise wie der Gerichtshof stellt auch das Bundesgericht den Anspruch auf Befragung von Belastungszeugen in den Zusammenhang mit dem Anspruch auf ein faires Verfahren und der Wahrung der Verteidigungsrechte (BGE 116 Ia 289 S. 292; BGE 114 Ia 179 E. a S. 180). Es soll ausgeschlossen werden, dass ein Strafurteil auf Aussagen von Zeugen abgestützt wird, ohne dass dem Beschuldigten wenigstens einmal angemessene und hinreichende Gelegenheit gegeben wird, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an den Zeugen zu stellen (BGE 104 Ia 314 E. 4c S. 318; BGE 116 Ia 289 E. 3a S. 291; BGE 118 Ia 462 E. 5c/bb S. 472). Dieser Anspruch wird heute auch als Teilgehalt aus Art. 4 BV abgeleitet (BGE 114 Ia 179 E. a S. 180; BGE 103 Ia 490 S. 491; BGE 120 Ia 48 E. b/aa S. 50; die frühere Rechtsprechung hielt dafür, dass der Anspruch aus Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK über den Gehalt von Art. 4 BV hinausgehe, BGE 104 Ia 314 E. 4c S. 317; BGE 105 Ia 396 E. 3b S. 396; ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 141 und 246).
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c) Diese allgemeinen Ausführungen von Gerichtshof und Bundesgericht zu Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK sind im Folgenden auf ihre einzelnen Elemente (E. c) und die Problematik der Anonymität (E. d) hin zu analysieren, um hernach die angefochtenen Bestimmungen daran messen zu können.
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aa) Gerichtshof und Bundesgericht führen aus, dass Beweise in öffentlicher Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung vor dem Richter vorzubringen seien, das Abstellen auf Aussagen aus der Voruntersuchung aber mit Konvention und Bundesverfassung unter Vorbehalt der Wahrung der Verteidigungsrechte vereinbar sei (vgl. die obenstehenden Hinweise in E. 6b). Das Bundesgericht hat ausdrücklich festgehalten, dass weder Bundesverfassung noch Menschenrechtskonvention einen Anspruch auf schrankenlose Geltung des Unmittelbarkeitsprinzips im Beweisverfahren einräumten und daher kein Anspruch auf Einvernahme von Zeugen vor dem Richter in der Hauptverhandlung bestehe (BGE 113 Ia 412 S. 419 f.; BGE 116 Ia 289 E. 3a S. 291; BGE 115 II 129 E. 6a S. 133; ARTHUR HAEFLIGER, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Bern 1993, S. 153 und 195). Die Unmittelbarkeit ist kein eigenständiger Verfassungsgrundsatz, wird im Einzelnen durch das Verfahrensrecht umschrieben (BGE 119 Ib 311 E. 7a S. 331; BGE 113 Ia 412 E. 2c S. 417) und steht mit dem Anspruch des Beschuldigten auf Zeugenbefragung nicht in direktem Zusammenhang. Wesentlich im vorliegenden Zusammenhang ist einzig die Wahrung der Verteidigungsrechte und die Möglichkeit des Beschuldigten, in angemessener und tatsächlich wirksamer Weise Fragen an die Zeugen zu stellen.
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bb) Nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts untersteht das Recht, Belastungs- und Entlastungszeugen zu befragen, dem (kantonalen) Verfahrensrecht. Entsprechende Gesuche um Zeugenbefragungen sind daher den Behörden formgerecht einzureichen. Der Beschuldigte kann den Behörden grundsätzlich keinen Vorwurf machen, gewisse Zeugen nicht vorgeladen zu haben, wenn er es unterlässt, rechtzeitig und formgerecht die entsprechenden Beweisanträge zu stellen (BGE 121 I 306 E. 1b S. 309; BGE 120 Ia 48 E. 2e/aa S. 54; BGE 118 Ia 462 E. 5b S. 470; BGE 105 Ia 396 E. 3b S. 397; BGE 104 Ia 314 E. 4c S. 319). In ähnlicher Weise verneinte der Gerichtshof trotz Fehlens der Anhörung eines Zeugen durch das Gericht eine Verletzung der Konvention, weil der Rechtsvertreter die erforderlichen Schritte nicht unternommen und insbesondere die Anhörung nicht verlangt hatte (Urteil Bricmont gegen Belgien, Serie A Nr. 158, Ziff. 87 f.; Urteil Pullar, a.a.O., Ziff. 46; vgl. zusätzlich Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Auflage 1996, Rz. 99 zu Art. 6 a.E. mit Fn. 444).
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cc) Die Bestimmung von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK nennt die Befragung sowohl von Belastungs- als auch von Entlastungszeugen in einem Zuge und hebt die Verbindung durch den Hinweis auf «dieselben Bedingungen» speziell hervor. Dennoch sind Ladung und Befragung von Belastungszeugen und von Entlastungszeugen voneinander zu trennen.
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Dem Anspruch, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, kommt ein absoluter Charakter zu. Es soll garantiert werden, dass keine Verurteilung sich auf Aussagen stützt, zu denen sich der Beschuldigte nicht hat äussern und deren Urheber er nicht hat befragen können. Dies gehört zu den Grundzügen des fair trial und des rechtsstaatlichen Verfahrens nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 4 BV. Die Bestimmung von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK wurde daher mangels Gelegenheit zur Befragung von Belastungszeugen in verschiedenen Urteilen als verletzt erachtet (Urteil Delta, a.a.O., Ziff. 32-37; Urteil Vidal, a.a.O., Ziff. 34; Urteil Bricmont, a.a.O., Ziff. 78-85; Urteil Unterpertinger, a.a.O., Ziff. 28 ff.; BGE 118 Ia 327; BGE 118 Ia 457; BGE 121 I 306).
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Demgegenüber ist das Recht, Entlastungszeugen zu laden und zu befragen, nur von relativer Natur. Der Richter hat nur solche Beweisbegehren, Zeugenladungen und Fragen zu berücksichtigen und zuzulassen, die nach seiner Würdigung rechts- und entscheidungserheblich sind. Der Gerichtshof verlangt gestützt auf Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK nicht die Befragung jedes Entlastungszeugen; die Bestimmung bezweckt, wie der Hinweis auf «dieselben Bedingungen» zeigt, die Herstellung der vollen Waffengleichheit auch im Bereiche der Entlastungszeugen (Urteil Engel gegen Niederlande, Serie Nr. 22, Ziff. 91 = EuGRZ 1976 S. 221; Urteil Vidal, a.a.O., Ziff. 33; Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 82; vgl. auch Sondervotum Trechsel zum Bericht der Kommission i.S. Unterpertinger, EuGRZ 1987 S. 153; FROWEIN/PEUKERT, a.a.O., Rz. 99 und 202 zu Art. 6). In diesem Sinne lässt auch das Bundesgericht die Abweisung von Beweisbegehren und Zeugenbefragungen wegen Untauglichkeit oder in antizipierter Beweiswürdigung zu (ohne dies explizit auf Entlastungszeugen zu beschränken, BGE 121 I 306 E. 2b S. 308; BGE 103 Ia 490 S. 491; vgl. aus der nicht publizierten Rechtsprechung Urteil i.S. O. vom 24. November 1997; vgl. HAEFLIGER, Die EMRK und die Schweiz, a.a.O., S. 150 und 196).
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dd) Das strenge Erfordernis des Anspruchs auf Befragung von Belastungszeugen erfährt in der Praxis eine gewisse Abschwächung: Es gilt uneingeschränkt nur in all jenen Fällen, in denen dem streitigen Zeugnis ausschlaggebende Bedeutung zukommt, das Zeugnis also den einzigen oder einen wesentlichen Beweis darstellt (vgl. Urteil Unterpertinger, a.a.O., Ziff. 33; Urteil Vidal, a.a.O., Ziff. 34; Urteil Delta, a.a.O., Ziff. 37; Urteil Bricmont, a.a.O., Ziff. 83 f.). In diesem Sinne hat der Gerichtshof trotz der absoluten Natur des Rechts des Beschuldigten auf Befragung von Belastungszeugen Konventionsverletzungen in verschiedenen Konstellationen verneint. Er führte aus, es sei nicht in allen Fällen möglich, dem Anspruch auf Konfrontation praktisch gerecht zu werden. Wenn der Zeuge aus äusseren Umständen, die die Behörden nicht zu vertreten haben, nicht einvernommen und dem Beschuldigten nicht gegenübergestellt werden konnte, hat der Gerichtshof unter den besondern Umständen des Einzelfalles eine Konventionsverletzung verneint: Im Fall Ferrantelli war der Zeuge verstorben (a.a.O., Ziff. 52), im Fall Artner und Doorson war ein Zeuge trotz angemessener Nachforschungen unauffindbar (Urteil Artner, a.a.O., Ziff. 21 f.; Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 79) und im Fall Asch berief sich die Anzeigerin und Zeugin auf ihr Aussageverweigerungsrecht (a.a.O., Ziff. 30 f.; vgl. immerhin das Urteil Unterpertinger, in dem die Berufung auf das Zeugnisverweigerungsrecht nicht vor der Feststellung einer Konventionsverletzung bewahrte, weil das Zeugnis ausschlaggebend war, a.a.O., Ziff. 30 ff.). In all diesen Fällen war von Bedeutung, dass das belastende Zeugnis nicht den einzigen oder den ausschlaggebenden Beweis darstellte.
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Im gleichen Sinne führte auch das Bundesgericht aus, unter besondern Umständen wie dem Tod eines Zeugen oder dessen vorübergehenden oder dauernden Einvernahmeunfähigkeit müsse vom Grundsatz der direkten Befragung abgewichen werden können und dürfe auf ein früheres Zeugnis abgestellt werden. Denn es könne nicht dem Sinn der Konvention entsprechen, den Angeklagten in einem Mordprozess freizusprechen und eine Zeugenaussage unberücksichtigt zu lassen, wenn der Tatzeuge vor der Konfrontation, aber nach der polizeilichen Befragung stirbt. Ferner könne unter Umständen von einer direkten Konfrontation abgesehen werden, wenn sich der Zeuge vor dem Beschuldigten fürchtet, wenn sich der Zeuge in erheblicher Entfernung befindet oder bei Sexualdelikten; diesfalls könne es bei schriftlichen Ergänzungsfragen sein Bewenden haben (BGE 105 Ia 396 S. 397 f.).
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ee) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Bundesgerichts genügt grundsätzlich eine einmalige Gelegenheit des Beschuldigten, einen Belastungszeugen zu befragen; es besteht grundsätzlich kein Anspruch auf eine weitere Befragung (vgl. oben E. 6b). Die Befragung kann im Zeitpunkt des Zeugnisses selbst (etwa dadurch, dass der Beschuldigte der Zeugenbefragung direkt beiwohnt) oder später erfolgen. Erforderlich zur Wahrung der Verteidigungsrechte ist, dass die Gelegenheit der Befragung angemessen und ausreichend ist und die Befragung tatsächlich wirksam ausgeübt werden kann. Diesen Anforderungen genügte in einem konkreten Fall die Befragung eines ausschlaggebenden Belastungszeugen ohne Beisein des Rechtsvertreters nicht; der Beschuldigte hatte seine Verteidigungsrechte im Ermittlungsverfahren nicht gleich wirksam ausüben können, wie dies bei Anwesenheit eines Rechtsbeistandes der Fall gewesen wäre (BGE 116 Ia 289 E. 3c S. 293, mit Verweis auf den Kommissionsbericht im Fall Isgrò, in dem der Gerichtshof in der Folge eine Verletzung verneinte). Sachliche Gründe, welche eine persönliche Konfrontation mit dem Belastungszeugen zumindest erschweren können, liegen vor, wenn die Einvernahme von Personen im Ausland kommissarisch vorgenommen werden muss. Der Beschuldigte hat diesfalls Anspruch darauf, Einsicht in das Protokoll zu nehmen und nachträglich schriftliche Ergänzungsfragen zu stellen, auch wenn er im konkreten Fall Gelegenheit zum Erstellen eines Fragenkataloges hatte und sein Rechtsvertreter bei der Einvernahme im Ausland zugegen war (BGE 118 Ia 462 E. 5b S. 470).
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ff) Zur Wahrung der Verteidigungsrechte ist erforderlich, dass die Gelegenheit der Befragung eines Belastungszeugen angemessen und ausreichend ist und die Befragung tatsächlich wirksam ausgeübt werden kann. Der Beschuldigte muss in der Lage sein, die Glaubhaftigkeit einer Aussage prüfen und den Beweiswert auf die Probe und in Frage stellen zu können. Grundsätzlich muss es ihm auch möglich sein, die Identität eines Zeugen zu erfahren, um dessen persönliche Glaubwürdigkeit sowie allfällige Zeugenausschluss- und Ablehnungsgründe (Verwandtschaftsverhältnisse, persönliche Beziehungen) überprüfen zu können (BGE 118 Ia 457 E. 3b-c S. 461). Dies führt zur Problematik der Aussagen von anonymen Zeugen.
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d) In diesem Sinne stellt sich die Frage nach der Verwertbarkeit von Aussagen, die von Personen stammen, die anonym bleiben wollen. Solche Personen können zufällig oder im Rahmen eines V-Personen-Einsatzes Zeugen von Ereignissen geworden sein und aus verschiedenen Gründen ihre Anonymität bewahren wollen.
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aa) Wie oben dargelegt (E. 6c/aa), ist das Abstellen auf Aussagen aus der Voruntersuchung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Bundesgerichts mit Konvention und Bundesverfassung unter Vorbehalt der Wahrung der Verteidigungsrechte vereinbar. Dies verhält sich grundsätzlich nicht anders, wenn es sich um anonyme Aussagen aus der Voruntersuchung handelt; ihre Verwendung steht nicht in jedem Falle mit der Konvention im Widerspruch (Urteil Kostovski, a.a.O., Ziff. 44; Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 30; Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 69; Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 52). Ihre Verwendung zur Begründung eines Schuldspruches wirft indessen besondere Probleme in Bezug auf die Wahrung der Verteidigungsrechte auf (Urteil Kostovski, a.a.O., Ziff. 44; Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 30; Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 69; Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 52 ff.).
| 73 |
bb) Gegenüber anonymen Aussagen ist die Verteidigung mit besondern und unüblichen Problemen konfrontiert (Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 54; Urteil Kostovski, a.a.O., Ziff. 42). Diese werden in der Strassburger Rechtsprechung als «handicap presque insurmontable» bezeichnet (Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 28). Der Beschuldigte ist nach der Auffassung des Gerichtshofes durch die Aufrechterhaltung der Anonymität des Anzeigers oder Zeugen in seinem Befragungsrecht beschränkt. Er verfügt nicht über die notwendigen Kenntnisse, um die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Zweifel zu ziehen, dessen Befangenheit oder feindliche Einstellung darzulegen oder eigentliche Verwechslungen oder gar falsche Anschuldigungen aufzudecken (Urteil Kostovski, a.a.O., Ziff. 42; Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 28). Nur in Kenntnis der Identität des Zeugen können persönliche Glaubwürdigkeit sowie allfällige Zeugenausschluss- und Ablehnungsgründe (wie Verwandtschaftsverhältnisse oder persönliche Beziehungen) überprüft werden (BGE 118 Ia 457 E. 3c S. 461).
| 74 |
cc) Die Rechtsprechung anerkennt die Interessen für die Geheimhaltung der Identität von Zeugen. Zum einen können diese in ihrer persönlichen Freiheit gefährdet werden, wenn sie selbst oder ihre Familien bedroht werden oder entsprechende Repressalien befürchten müssen. Gleichen Befürchtungen können Opfer von Straftaten aus dem Umfeld des organisierten Verbrechens und des Terrorismus bzw. im Bereiche von Sittlichkeitsdelikten ausgesetzt werden. Es handelt sich dabei um Interessen, die sowohl durch die Konvention als auch durch die Verfassung geschützt werden. Ebenso ist ein Schutzbedürfnis von V-Personen anerkannt, damit sie auch nach abgeschlossenem Verfahren noch weiterhin im Dienste der Polizei eingesetzt werden können (Urteil Lüdi, a.a.O., Ziff. 49; Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 70; Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 53 und 57; BGE 118 Ia 457 E. 3b S. 461; BGE 116 Ia 85 S. 89; BGE 112 Ia 18 E. 5 S. 24; 103 Ia 490 E. 8 S. 493; Urteil i.S. E. vom 21. März 1995, in: EuGRZ 1995 S. 250 E. 3d S. 253 f. und Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107; vgl. auch 105 Ia 396 S. 397 f.). Ganz allgemein hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass die Mitarbeit der Bevölkerung beim Kampf gegen die (organisierte) Kriminalität von grosser Bedeutung sei (Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 30; Urteil Kostovski, a.a.O., Ziff. 44).
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dd) Der Zeugenschutz darf nicht zu einer untragbaren Schmälerung elementarer Verteidigungsrechte führen (BGE 118 Ia 457 E. 3b S. 461). Die gegenläufigen Interessen der Verteidigung und der anonymen Zeugen sind im Einzelfall gegeneinander abzuwägen. Die Schwierigkeiten der Verteidigung müssen gewissermassen durch das Verfahren und dessen Ausgestaltung im Einzelfall kompensiert werden (Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 70 und 72; Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 54). Dabei stellt sich insbesondere die Frage, ob die Umstände aus der Sicht der Verteidigung eine hinreichend effektive Befragung erlauben und daher die Beeinträchtigung in den Verteidigungsrechten auszugleichen vermögen.
| 76 |
Von einer Kompensation in diesem Sinne kann zum Vornherein nicht gesprochen werden, wenn überhaupt keine direkte Befragung durchgeführt wird. In der Sache Windisch konnte der Beschuldigte unmittelbar nur die Untersuchungsbeamten und diejenigen Polizeibeamten befragen, welche die Anzeige von zwei Frauen entgegengenommen hatten; angesichts dieser Umstände wurden dem Beschuldigten seine Verteidigungsrechte übermässig beschränkt (Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 27 f.; BGE 118 Ia 327 E. 2b/aa S. 330; ähnliche Umstände führten im Fall Kostovski zu einer Konventionsverletzung, a.a.O., Ziff. 42). Das Bundesgericht hat Verfassungs- und Konventionsverletzungen festgestellt, wenn eine blosse Befragung derjenigen Person, welche eine Anzeige entgegennahm, bzw. lediglich eine schriftliche Befragung des anonymen Zeugen gewährt wurde (BGE 118 Ia 327 E. 2b/aa S. 330; BGE 118 Ia 457 E. 3c S. 462) und keine Befragung stattfand (BGE 121 I 306 E. 1 S. 307).
| 77 |
Im Fall Doorson erblickte der Gerichtshof eine hinreichende Kompensation in folgenden Umständen: Die beiden anonymen Zeugen wurden zwar in Abwesenheit des Beschuldigten, hingegen in Anwesenheit des Rechtsvertreters von einem Instruktionsrichter der urteilenden Appellationsinstanz befragt, welcher die Identität der Zeugen kannte; der Rechtsvertreter konnte jegliche Fragen stellen.
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Der Instruktionsrichter gab einen Bericht zur Glaubwürdigkeit der Zeugen zuhanden des Gerichts ab. Es bestanden keine Zweifel darüber, dass sich die Zeugen in der Person des Beschuldigten nicht irrten. Das Gericht würdigte die Aussagen der Zeugen mit grosser Sorgfalt. Unter diesen Umständen erschienen die Interessen der Verteidigung hinreichend gewahrt (Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 72-76).
| 79 |
Das Bundesgericht verneinte eine Verfassungs- und Konventionsverletzung in einem Fall betreffend ein Drogendelikt. Der Beschuldigte wurde in der Untersuchung mit dem maskierten V-Mann «Markus» konfrontiert. Anlässlich der Hauptverhandlung wurde «Markus» ohne Bekanntgabe seiner Personalien in einem Nebenzimmer in der Weise einvernommen, dass ihn der Beschuldigte, sein Rechtsvertreter, die Geschworenen und das Publikum nicht sahen, die Richter hingegen Sichtkontakt hatten. Die akustische Übertragung erfolgte mit technischen Mitteln ohne Stimmveränderung. Der anonyme V-Mann wurde von seinen Vorgesetzten identifiziert und auf Grund der über ihn geführten Kontrolle beurteilt. Ein Polizeibeamter stellte sicher, dass «Markus» allein im Nebenraum war. Der V-Mann konnte auf Grund von Stimmenvergleichen und Tonbändern in seiner dienstlichen Identität klar identifiziert werden. Bei dieser Sachlage konnte er den V-Mann hinreichend befragen und die Überzeugungskraft von dessen Aussagen erschüttern, sodass die Verteidigungsrechte nicht verletzt waren (Urteil vom 21. März 1995 i.S. E., in: EuGRZ 1995 S. 250 und Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107).
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Demgegenüber genügten im Fall van Mechelen die folgenden Massnahmen zur hinreichenden Wahrung der Verteidigungsrechte nicht: Die anonymen Zeugen wurden von einem Instruktionsrichter einvernommen; der Beschuldigte und sein Rechtsvertreter konnten der Einvernahme nur mittels technischer Übertragung beiwohnen; der Instruktionsrichter überprüfte die Identität der Zeugen und gab in einem ausführlichen Bericht seine Beurteilung zur Zuverlässigkeit der Aussagen und zur Glaubwürdigkeit der Zeugen sowie über die Gründe der gewünschten Anonymität ab (Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 59-62).
| 81 |
Bisweilen stellt der Gerichtshof auch darauf ab, ob das urteilende Gericht die unmittelbaren Reaktionen der Zeugen wahrnehmen und sich damit ein Bild über die Glaubwürdigkeit machen kann (Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 29; Urteil Kostovski, a.a.O., Ziff. 43).
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83 | |
ee) Allgemein hält der Gerichtshof dafür, dass auch dort, wo Verfahrensumstände die Schwierigkeiten der Verteidigung kompensieren können, eine Verurteilung nicht ausschliesslich auf anonyme Aussagen abgestellt werden könne (Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 76; Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 55). Die Anonymität scheint damit zu einer absoluten Grenze zu werden wie das oben (E. 6c/dd) beschriebene Erfordernis der Befragung von Belastungszeugen überhaupt. Damit steht allerdings das Urteil des Gerichtshofes i.S. Lüdi in einem gewissen Gegensatz. Danach hätten eine Befragung und Konfrontation mit entsprechender optischer Abschirmung oder unter Einsatz technischer Mittel durchgeführt werden können, welche den Verteidigungsrechten gerecht geworden wären und insbesondere erlaubt hätten, das Zeugnis des V-Mannes ohne Aufdeckung der Identität in Zweifel zu ziehen (Urteil Lüdi, a.a.O., Ziff. 49; im gleichen Sinne BGE 118 Ia 327 S. 331). Desgleichen hat der Gerichtshof im Urteil Doorson die Aufrechterhaltung der Anonymität der beiden (aus der Drogenszene stammenden) Zeugen Y.15 und Y.16 gebilligt (Urteil Doorson, a.a.O., Ziff. 68-76). Im gleichen Sinn entschied das Bundesgericht in einer Angelegenheit, in der der V-Mann «Markus» vor dem Geschwornengericht Bern ausgesagt hatte; der V-Mann wurde in seiner Funktion identifiziert und brauchte daher seine private Identität nicht preiszugeben (Urteil vom 21. März 1995 i.S. E., in: EuGRZ 1995 S. 250 und Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107). Allgemein hat das Bundesgericht festgehalten, es müsse grundsätzlich möglich sein, die Anonymität von Zeugen, Auskunftspersonen, Anzeigern und andern Gewährspersonen im Falle von überwiegenden schutzwürdigen Interessen zu wahren (BGE 118 Ia 457 E. 3b S. 461).
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7. a) Die Frage nach dem Schutz von Zeugen - unter gleichzeitiger Wahrung der berechtigten Interessen an einer wirksamen Verteidigung - hat in neuerer Zeit grössere Aufmerksamkeit gefunden. Sie steht u.a. im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten der Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung im Bereiche des organisierten Verbrechens und des Terrorismus. Diese Schwierigkeiten veranlassen die Strafverfolgungsbehörden, zu ungewöhnlichen Methoden Zuflucht zu nehmen. Sie erfordern auch ein vermehrtes Abstützen auf Aussagen von Opfern, Personen aus der entsprechenden Umgebung und von Gewährspersonen. Mit deren zunehmender Gefährdung steigt das Bedürfnis nach einem wirksamen Schutz (vgl. KLAUS ZACHARIAS, Der gefährdete Zeuge im Strafverfahren, Berlin 1997, S. 87 ff.; REINHARD BÖTTCHER, Der gefährdete Zeuge im Strafverfahren, in: Festschrift für Horst Schüler-Springorum, Köln etc. 1993, S. 543 f.; RAINER GRIESBAUM, Der gefährdete Zeuge - Überlegungen zur aktuellen Lage des Zeugenschutzes im Strafverfahren, NStZ 1998 S. 434; KURT REBMANN/HEINZ SCHNARR, Der Schutz des gefährdeten Zeugen im Strafverfahren, NJW 1989 S. 1187). Es gilt, diese Personen - als Korrelat zu der als Bürgerpflicht bezeichneten Zeugnispflicht - allgemein in ihrer Persönlichkeit und speziell vor Belästigung, Einschüchterung, Repressalien, Bedrohungen und langfristigen Nachteilen zu schützen. Gleichermassen soll mit einem derartigen Schutz die zuverlässige Wahrheitsfindung im Strafverfahren - entsprechend der grossen Bedeutung des Zeugenbeweises - sichergestellt werden. Schliesslich ist dem Beschuldigten unter Wahrung der Verteidigungsrechte ein faires Verfahren zu garantieren (vgl. GÜNTER HEINE, Der Schutz des gefährdeten Zeugen im schweizerischen Strafprozess, ZStrR 109/1992 S. 53 ff.; THOMAS HUG, Zeugenschutz im Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen der Verfahrensbeteiligten, ZStrR 116/1998 S. 404 ff.; ROBERT ROTH, Protection procédurale de la victime et du témoin: enjeux et perspectives, ZStrR 116/1998 S. 384 f.; Expertenkommission «Vereinheitlichung des Strafprozessrechts», «Aus 29 mach 1», Bern 1997, S. 61 ff.; STEFAN WEHRENBERG, Schutz von Zeugen und Opfern im Militärstrafverfahren, Gutachten für den Oberauditor 1996, S. 5 f. und 7; THOMAS WEIGEND, Empfehlen sich gesetzliche Änderungen, um Zeugen und andere nicht beschuldigte Personen im Strafprozessrecht besser vor Nachteilen zu bewahren? Gutachten für den 62. Deutschen Juristentag, Teil C, München 1998, S. 13 ff; ZACHARIAS, a.a.O., S. 35 ff., 44 ff., 103 ff. und 111 ff.; GRIESBAUM, a.a.O., S. 433 ff; BÖTTCHER, a.a.O., S. 541 ff.; HEIKE JUNG, Zeugenschutz, GA 1998 S. 313; speziell zum V-Personen-Einsatz Hans Baumgartner, Zum V-Mann-Einsatz unter besonderer Berücksichtigung des Scheinkaufs im Betäubungsmittelverfahren und des Zürcher Strafprozesses, Diss. Zürich 1990; ERNST ROLAND GNÄGI, Materiellstrafrechtliche und strafprozessuale Fragen des Betäubungsmittelscheinkaufs - Ein Beitrag zur V-Mann-Problematik, Diss. Bern 1991; EUGEN THOMANN, Verdeckte Fahndung aus der Sicht der Polizei, ZStrR 111/1993 S. 285; PIERRE JOSET/NIKLAUS RUCKSTUHL, V-Mann-Problematik aus der Sicht der Verteidigung, ZStrR 111/1993 S. 355).
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Beim Problemkreis des Zeugenschutzes können verschiedene Kategorien von Zeugen unterschieden werden (vgl. Expertenkommission, a.a.O., S. 61 f.; kritisch dazu JUNG, a.a.O., S. 317; Wehrenberg, a.a.O., S. 9 ff.; REBMANN/SCHNARR, a.a.O., S. 1186). Berufsmässige Zeugen wie z.B. V-Personen, tatbeteiligte Zeugen wie Kronzeugen, Opferzeugen und schliesslich Zufallszeugen. Das Schutzbedürfnis unterscheidet sich entsprechend den einzelnen Kategorien von Zeugen (vgl. ROTH, a.a.O., S. 397 ff). Als Zeugenschutzmassnahmen werden etwa genannt: Zeugnisverweigerungsrechte (u.a. zum Schutz vor Selbstbezichtigung und vor Eingriffen in Privatsphäre), polizeilicher Personenschutz vor, während und nach dem Verfahren, prozessuale Schutzmassnahmen wie Anonymitätsgarantie und optische oder akustische Abschirmung, Ausschluss der Öffentlichkeit, Schutzmassnahmen zu Gunsten von Opfern (vgl. Art. 5 und 7 OHG), rechtliche Beratung und schliesslich ausserprozessuale Zeugenschutzprogramme bei hochgradig gefährdeten Zeugen durch Verhelfen einer neuen Identität in einem örtlich und sozial veränderten Umfeld (vgl. allgemein WEIGEND, a.a.O.; ZACHARIAS, a.a.O., S. 117 ff., 217 ff., 284 ff., 354 ff.; GRIESBAUM, a.a.O., S. 436 ff.; WEHRENBERG, a.a.O., S. 62 ff.).
| 86 |
In der Schweiz wird dem allgemeinen Zeugenschutz in den Strafprozessordnungen nur geringe Bedeutung beigemessen; immerhin kennen einzelne Verfahrensordnungen entsprechende Bestimmungen (vgl. Art. 124 Abs. 3 StrV/BE, § 47 StPO/BS, Art. 81 f. und 90 StPO/FR). Mit dem Opferhilfegesetz sind gewisse Schutzmechanismen vorgesehen, die das Opfer auch in seiner Eigenschaft als Zeuge betreffen (vgl. Art. 5 und 7 OHG). Im Übrigen richtet sich das Augenmerk in erster Linie auf den Schutz von V-Personen und die Aufrechterhaltung von deren Anonymität (vgl. Expertenkommission, a.a.O., S. 61 ff.). In diesem Sinne hat der Bundesrat eine Botschaft zu einem Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung verabschiedet und im Entwurf die Anonymitätsgarantie gegenüber V-Personen umschrieben (BBl 1998 4241 sowie Art. 20 des Entwurfs). Ähnlich haben der Kanton Wallis (Art. 103k StPO/VS) und der Kanton Bern (Art. 124 StrV/BE) Bestimmungen über den Einsatz und Schutz von V-Personen erlassen. Deutschland hat im Jahre 1992 (Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Formen der organisierten Kriminalität) allgemeine Zeugenschutzmassnahmen und insbesondere eine Regelung des Einsatzes von Verdeckten Ermittlern mit der Möglichkeit von deren Identitätsgeheimhaltung in die Strafprozessordnung aufgenommen (§ 110a-110e StPO/D; vgl. Volker Krey, Rechtsprobleme des strafprozessualen Einsatzes Verdeckter Ermittler, Bundeskriminalamt Wiesbaden, 1993); neuestens ist diese durch das Zeugenschutzgesetz ergänzt worden (BGBl 1998 I 820; vgl. GRIESBAUM, a.a.O., S. 438; BERND SCHÜNEMANN, Der deutsche Strafprozess im Spannungsfeld von Zeugenschutz und materieller Wahrheit, StV 1998 S. 391 ff.).
| 87 |
b) Das Ministerkomitee des Europarats hat im Jahre 1997 die Empfehlung «La protection des témoins contre toute manoeuvre d'intimidation et les droits de la défense» verabschiedet (Recommandation no R(97)13 du 10 septembre 1997, avec Exposé des motifs, veröffentlicht in: RUDH 1997 S. 298). Diese geht davon aus, dass Zeugen vermehrt eingeschüchtert würden und deshalb nicht mehr bereit seien, wahrheitsgemäss und vollständig auszusagen. Zeugenaussagen gehörten aber zur Bürgerpflicht und unterstützten die Strafverfolgungsbehörden bei der wirksamen Strafverfolgung. Aus diesen Gründen sollen die Staaten effiziente Massnahmen zum Schutze von Zeugen treffen, gleichzeitig die unverzichtbaren Rechte auf wirksame Strafverteidigung, wie sie sich aus der EMRK und der Rechtsprechung ergeben, wahren.
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Im Einzelnen werden allgemeine gesetzgeberische Massnahmen gefordert, welche einerseits der Wahrung der Verteidigungsrechte gerecht werden und andererseits durch den Schutz von Zeugen vor Beeinträchtigungen die Strafverfolgung unterstützen. Das eine Kapitel bezieht sich auf besonders schutzbedürftige Zeugen aus dem Familienkreis wie Kinder, Frauen und ältere Leute (Ziff. 17 ff.). Das andere hat die Massnahmen im Bereiche des organisierten Verbrechens zum Gegenstand: Aussagen aus der Untersuchung sollen vermehrt mit technischen Mitteln aufgenommen und auch vor dem Gericht als (formelles) Zeugnis anerkannt werden (Ziff. 9). Die Zusage der Anonymität an Zeugen soll nur als ausserordentliche Massnahme im Falle wichtiger Zeugnisse bei ernstlicher Gefährdung von Leib und Leben verwendet werden; ein Verfahren der Überprüfung des entsprechenden Zeugen (procédure de vérification) soll dem Beschuldigten ermöglichen, die Gründe für die Geheimhaltung, die Glaubwürdigkeit und den Ursprung der Kenntnisse des Zeugen in Zweifel zu ziehen (Ziff. 10 f.). Allenfalls fällt die Veränderung von Bild und Stimme bei technischen Übertragungen in Betracht (Ziff. 12). Verurteilungen sollen nicht ausschliesslich oder in der Hauptsache auf anonymen Zeugenaussagen beruhen (Ziff. 13). Dies hat beim Festhalten an der Anonymität des Zeugen schliesslich zur Konsequenz, dass unter Umständen auf eine Anklage verzichtet werden oder ein Angeklagter mangels anderwertiger Beweise freigesprochen werden muss (Ziff. 79 der Motive). Spezielle Programme wie etwa Polizeischutz oder Hilfen zur Veränderung der Identität und des Lebens- und Arbeitsfeldes bei sog. Kronzeugen («collaborateur de justice») können den Zeugenschutz ergänzen (Ziff. 14-16).
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Diese Richtlinien des Ministerkomitees beziehen sich in erster Linie auf Zufallszeugen, Opferzeugen und tatbeteiligte Zeugen, die oftmals als Einzige Zeugnis von einem Ereignis ablegen können und wegen ihrer schwachen Position und ihrer ausgesetzten Stellung eines besondern Schutzes bedürfen. Sie umfassen auch V-Personen, deren Schutzbedürfnis durch ihren Dienst für die Strafverfolgungsbehörden und die Exponiertheit ihrer Tätigkeit nicht geringer ist. Hinsichtlich einzelner Schutzmassnahmen gilt es den spezifischen Schutzbedürfnissen der Zeugen Rechnung zu tragen (vgl. WEHRENBERG, a.a.O., S. 10 f.).
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c) Empfehlungen des Ministerkomitees stellen keine bindenden Regeln dar, deren Missachtung für sich allein als Verstoss gegen verfassungsmässige Rechte oder als Verletzung eines Staatsvertrages angefochten werden könnte. Sie haben vielmehr den Charakter von Richtlinien. Da sie aber die gemeinsame Rechtsüberzeugung der Mitgliedstaaten des Europarates zum Ausdruck bringen, werden sie vom Bundesgericht bei der Konkretisierung der Grundrechtsgewährleistungen von Bundesverfassung und Menschenrechtskonvention gleichwohl mitberücksichtigt (BGE 124 I 231 E. 2b/aa S. 236; BGE 123 I 112 E. 4d/bb S. 121; BGE 123 I 221 E. II/2b S. 236; BGE 122 I 222 E. 2a/aa S. 226; BGE 118 Ia 64 E. 2a S. 70; BGE 111 Ia 341 E. 3a 345; BGE 109 Ia 146 S. 151, mit Hinweisen). In diesem Sinne sind die Empfehlungen auch für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde zu beachten.
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92 | |
Hierfür sind als Erstes die Ausgestaltung der Vertraulichkeitszusage und die Art und das Ausmass der Schwierigkeiten, die sich der Verteidigung in Folge der Anonymität stellen, aufzuzeigen (E. 8 a-e). Hernach ist zu prüfen, inwiefern diese Schwierigkeiten durch das Verfahren ausgeglichen werden (E. 9). Dies wird die Gesamtbeurteilung der Beschwerde erlauben (E. 10).
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a) § 100e Abs. 4 und 5 StPO umschreiben die Vertraulichkeitszusage. Diese bedeutet, dass die «wahre Identität» der V-Person (in den Akten sowie gegenüber der Verteidigung und den Richtern) geheimgehalten wird. Nach § 100m Abs. 2 und 3 StPO werden die «Personalien» nicht bekanntgegeben.
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Zweck der Vertraulichkeitszusage ist die Geheimhaltung der Identität der V-Personen. Alle Angaben und Hinweise über die Personalien (Name und Adresse), die Familie und das Privatleben, welche entsprechende Schlüsse auf die Person zulassen könnten, sollen vertraulich behandelt werden. Ebenso sind all jene Angaben, welche Aufschluss über dienstliche Stellung und Funktion der V-Person geben, entsprechend geheim zu halten.
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Mit dem Institut der Vertraulichkeitszusage bejaht der Gesetz-geber das öffentliche Interesse am Schutz von V-Personen. Dieses Interesse wird mit der Beschwerde nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Allgemein wird in der Rechtsprechung des Bundesgerichts und des Gerichtshofes sowie in den genannten Empfehlungen des Ministerkomitees anerkannt, dass Zeugen in einem veränderten Umfeld der Kriminalität und der staatlichen Strafverfolgungsmassnahmen eines vermehrten Schutzes vor Repressalien aller Art bedürfen und dieser Umstand einschränkende Massnahmen rechtfertigen kann. Der Zeugenschutz steht im Dienste der Wahrheitsfindung und ist Korrelat zur Zeugnispflicht (oben E. 6d/cc und 7). Dies betrifft die Zeugen im Allgemeinen und die V-Personen im Dienste der Polizei im Speziellen. Für Letztere steht als Schutzmassnahme die Anonymitätsgarantie im Vordergrund. Die V-Personen sollen in ihrem privaten Bereich vor Repressalien und Druckausübung ebenso geschützt werden wie ein späterer Einsatz im Dienste der Strafverfolgungsbehörden nicht gefährdet oder verunmöglicht werden soll. In diesem Sinne ist für die Beurteilung der angefochtenen Strafprozess-Revision vom Bestehen eines hinreichenden öffentlichen Interesses am Schutz von V-Personen und an der Aufrechterhaltung der Anonymität im Falle der Vertraulichkeitszusage auszugehen (vgl. die in E. 6d/cc zitierten Urteile).
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b) Für die Beurteilung der StPO-Revision ist ferner davon auszugehen, dass sie die Einvernahme und Befragung von V-Personen vor dem urteilenden Gericht in der Hauptverhandlung tatsächlich vorsieht. Es ist geradezu der Zweck der Vorlage, die V-Personen im Sinne des Unmittelbarkeitsprinzips in Anwesenheit des Beschuldigten und seines Rechtsvertreters einvernehmen zu lassen, auch wenn gewisse Schutzmassnahmen getroffen werden. Der Gesetzgeber verzichtet insofern auf ein blosses Abstellen auf Beweisergebnisse aus der Voruntersuchung. Die Strafprozessordnung verpflichtet die beamteten V-Personen (im Rahmen der Vertraulichkeitszusage) direkt zur Aussage vor dem Gericht (vgl. Art. 320 Ziff. 2 StGB); auch wenn die V-Person nicht Beamter ist, wird sie unmittelbar zur Aussage angehalten (vgl. JOSET/RUCKSTUHL, a.a.O., S. 372). Der Beschuldigte und sein Vertreter haben damit im Sinne von Art. 4 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK die Möglichkeit, der belastenden V-Person direkt vor dem Gericht im Rahmen der Vertraulichkeitszusage Fragen zu stellen bzw. stellen zu lassen. Damit unterscheidet sich die angefochtene Regelung zum Vornherein von jenen Fällen aus der Rechtsprechung, wo eine solche Fragemöglichkeit gerade nicht gegeben war (vgl. oben E. 6c/cc mit Hinweisen auf die Urteile Delta, Vidal, Bricmont und Unterpertinger sowie BGE 118 Ia 327, 457 und BGE 121 I 306).
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c) Die Anonymität des zu befragenden Zeugen stellt die Verteidigung vor besondere Probleme und bedeutet für diese, wie sich der Gerichtshof ausdrückt, ein «handicap presque insurmontable» (oben E. 6d/bb mit Hinweisen auf die Urteile Windisch, van Mechelen und Kostovski). Diese Aussage ist allerdings zu differenzieren. Besondere Schwierigkeiten bietet die Anonymität nur im Hinblick auf die Person des Zeugen selber und die Überprüfung von dessen Glaubwürdigkeit. Hingegen erfährt das Fragerecht wegen der Anonymität keine (wesentlichen) Einschränkungen in Bezug auf den Tathergang selber und die Frage, wie sich die einzelnen Ereignisse abgespielt haben und ob die V-Person über ihren Auftrag hinaus anstiftend aufgetreten ist. Die Glaubhaftigkeit der belastenden Aussagen der V-Person kann trotz Aufrechterhaltung der Anonymität wirksam in Zweifel gezogen werden. Der Beschuldigte und sein Rechtsvertreter können jegliche Fragen zum Tathergang stellen bzw. stellen lassen, auf Antworten reagieren und auf allfällige Widersprüche hinweisen, auch wenn der Beschuldigte den V-Mann nur unter dessen Pseudonym kennt.
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Anders verhält es sich mit der Glaubwürdigkeit der Person des Zeugen. Soweit der Beschuldigte die Identität der belastenden V-Person nicht kennt bzw. auf entsprechende Fragen keine Antworten erhält, ist er kaum in der Lage, deren Glaubwürdigkeit unter allen möglichen Aspekten wirksam in Zweifel zu ziehen. Hierfür bedürfte er unter Umständen Kenntnisse über Familienverhältnisse, Werdegang und Ausbildung, allgemeine Persönlichkeit (mit Neigungen, Schwächen und krankhaften Seiten), Lebensverhältnisse oder Beziehungen in privater und beruflicher Hinsicht. Nur in Kenntnis solcher Umstände kann der Angeschuldigte Unglaubwürdigkeitsgründe ableiten, auf Beziehungen zu bestimmten Personen oder Kreisen und entsprechende Interessenkonstellationen hinweisen oder Ablehnungsgründe vorbringen. Von Interesse könnte die Motivation sein, weshalb sich die (auch nicht beamtete) V-Person als verdeckter Ermittler zur Verfügung stellt. Die Verteidigung kann nicht selbst Erkundigungen über die Person des Zeugen einziehen (vgl. WEHRENBERG, a.a.O., S. 51; BAUMGARTNER, a.a.O., S. 324 f.; WEIGEND, a.a.O., S. 39 Fn. 103). Eine Verwechslung, weil die V-Person zu einem bestimmten Zeitpunkt andernorts war, kann nicht nachgewiesen werden. Speziell im Hinblick auf den Einsatz von V-Personen können auch funktionale und berufsspezifische Angaben (Laufbahn, Qualifikationen, Disziplinierungen etc.) für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Bedeutung sein, etwa bei Behauptung eines provozierenden, anstiftenden Verhaltens des V-Mannes (vgl. zum Ganzen oben E. 6d/bb mit Hinweisen auf die Urteile Kostovski, Windisch und van Mechelen; BGE 118 Ia 457 E. 3c S. 461; vgl. Empfehlungen des Ministerkomitees, a.a.O., Ziff. 36 der Motive; BERNARD CORBOZ, L'agent infiltré, in ZStrR 111/1993, S. 332 und Fn 138; GNÄGI, a.a.O., S. 135 ff).
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Dies alles zeigt, dass der Beschuldigte - trotz eines weitgehenden Befragungsrechts - in seinen Verteidigungsrechten hinsichtlich der Bestreitung von belastenden V-Personen-Aussagen wesentlich eingeschränkt sein kann.
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d) Nach § 100m Abs. 2 StPO trifft das Gericht bei der Einvernahme von V-Personen die für ihren Schutz und die Einhaltung der Vertraulichkeitszusage erforderlichen Massnahmen. Die Einvernahme kann insbesondere unter Ausschluss der Öffentlichkeit oder unter optischer und akustischer Abschirmung erfolgen.
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102 | |
Er steht indessen nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit den spezifischen Verteidigungsinteressen des Beschuldigten. Der Ausschluss der Öffentlichkeit für die Dauer der Einvernahme der V-Person wirkt sich für die Verteidigung nicht negativ aus - vermag aber auch nur einen beschränkten Schutz der V-Person zu bieten (GNÄGI, a.a.O., S. 133 ff.).
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Heikler ist die optische Abschirmung, bei der der Zeuge in einem Nebenzimmer sitzt und entweder mittels technischer Übertragung (vgl. Urteile Doorson und van Mechelen sowie Lüdi) oder gewissermassen durch die offene Türe (vgl. Urteil vom 21. März 1995 in: EuGRZ 1995 S. 250 und Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107) einvernommen wird (vgl. WEHRENBERG, a.a.O., S. 67 f.). Sie kann etwa angezeigt sein, wenn sich Beschuldigter und V-Person nur vom Telefon oder von weit zurückliegenden Begegnungen kennen (anders JOSET/RUCKSTUHL, a.a.O., S. 372 f.), fällt indessen weniger in Betracht, wenn sich Beschuldigter und V-Person auf Grund enger Kontakte gut kennen und die Begegnungen nicht weit zurückliegen. Die optische Abschirmung kann auch auf einzelne Personen beschränkt werden (vgl. Urteil vom 21. März 1995 in: EuGRZ 1995 S. 250, wo die Richter die einvernommene V-Person beobachten konnten, und den Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107; Urteil Doorson, wo der anonyme Zeuge mit dem Rechtsvertreter ohne Beisein des Beschuldigten konfrontiert wurde).
| 104 |
Die optische Abschirmung erschwert die unmittelbare Wahrnehmung von Reaktionen des einvernommenen Zeugen (BGE 92 I 259 E. 3c S. 262). Insbesondere können Gesichtsausdruck und Körpersprache nicht nachvollzogen werden; es kann nicht bemerkt werden, ob der Zeuge «einen roten Kopf bekommt» oder «ins Schwitzen gerät» (vgl. Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 59; JOSET/RUCKSTUHL, a.a.O., S. 373). Unmittelbar wahrgenommen werden können immerhin etwa Räuspern, Zögern, Pausen vor Beantwortung einer Frage, Unsicherheit und Nervosität in der Stimme sowie allgemein der Ausdruck der Stimme. Mit einer Video-Übertragung ist es unter Umständen möglich, lediglich das Gesichtsfeld unkenntlich zu machen, aber die Körperhaltung doch erkennbar zu lassen. Bei der technischen Übertragung verhält es sich nicht wesentlich anders als bei Telefongesprächen oder einer Radiosendung, die es durchaus erlauben, den Ausdruck des Gegenübers wahrzunehmen. Trotz der Erschwerung bildet daher der Umstand der optischen Abschirmung - je nach den konkreten Umständen - über die Anonymität der einvernommenen V-Person hinaus für den Angeschuldigten keine wesentliche zusätzliche Schwierigkeit bei der Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte.
| 105 |
Die akustische Abschirmung besteht darin, dass der Zeuge in einem andern Raum einvernommen wird und die Übertragung der Stimme technisch so verändert und verzerrt wird, dass ein Erkennen des Sprechers erschwert bzw. verunmöglicht wird. Sie dürfte nur selten, meist in Kombination mit der optischen Abschirmung zum Einsatz kommen. Denkbar ist sie bei Zeugen mit ganz besondern Spracheigenschaften oder -fehlern und in speziellen Fällen wie der eigentlichen Änderung der Identität des Zeugen (vgl. WEHRENBERG, a.a.O., S. 68 f.). Eine derartige akustische Abschirmung erschwert die Wahrnehmung des Zeugen und seiner Reaktionen zusätzlich. Doch auch bei dieser Methode sind gewisse durchaus typische Verhaltensweisen wie Zögern, Räuspern, Nervosität und Verhaspeln durchaus noch erkennbar.
| 106 |
Gesamthaft gesehen bringen optische und akustische Abschirmung des Zeugen für die Verteidigung über die Anonymität hinaus zusätzliche Erschwernisse. Diese sind in die Gesamtbeurteilung der Vertraulichkeitszusage einzubeziehen und mögen zu entsprechender Zurückhaltung mahnen. Sie stellen indessen keine Einschränkungen von grossem Gewicht dar. Auch solche Abschirmungen ermöglichen noch immer eine Zeugenbefragung mit den Vorteilen der unmittelbaren Beweisabnahme.
| 107 |
e) Die Beschwerdeführer bringen unter dem Titel der Erschwernisse der Verteidigung weitere Rügen vor.
| 108 |
aa) Sie machen geltend, dass die Vertraulichkeitszusage nicht die Ausnahme bilden werde, in der Praxis vielmehr meist gewährt würde. Denn die Voraussetzung von § 100.f Abs. 1 lit. a StPO, wonach die Schwere der Straftat den V-Personen-Einsatz überhaupt erst rechtfertigen muss, deute bereits auf die besonders gefährlichen Umstände hin, die ihrerseits nach § 100e Abs. 4 StPO die Vertraulichkeitszusage begründen könnten; überdies sei die gerichtliche Prüfung durch das Präsidium der Überweisungsbehörde mit Bezug auf V-Personen-Einsätze im Allgemeinen und auf die Vertraulichkeitszusage im Speziellen nur eine sehr summarische Kontrolle (vgl. GNÄGI, a.a.O., S. 84 f.).
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Diese Einwände sind insofern nachvollziehbar, als der genehmigende Richter meist nur wenig Unterlagen zur Verfügung hat und rasch entscheiden muss. Wesentlich ist indessen, dass die Beschwerdeführer die Möglichkeit von V-Personen-Einsätzen und deren formelle und materielle Voraussetzungen nicht anfechten (oben E. 3). Für die Frage der Verletzung der Verteidigungsrechte im gerichtlichen Verfahren ist nicht entscheidend, ob statistisch gesehen die Vertraulichkeit zu häufig zugesichert wird und ob die genehmigende Überweisungsbehörde eine unzureichende Prüfung vornimmt. Von Bedeutung im Verfahren der abstrakten Normkontrolle ist allein, dass auf Grund der angefochtenen Bestimmungen die Anonymität im Einzelfall zugesichert werden kann, was auf die Verteidigungsrechte hin zu prüfen ist.
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bb) Die Beschwerdeführer beanstanden ferner, dass ausser dem Gerichtsvorsitzenden keiner der übrigen Richter Kenntnis von der Identität der V-Person erlangen (§ 100e Abs. 5 und 6 StPO) und sich daher kein eigenes Bild von der Glaubwürdigkeit des Zeugen machen kann. Dieser Einwand ist unter dem Gesichtswinkel der Verteidigungsrechte unbeachtlich. Der Umstand, dass die Richter die V-Person nicht kennen, führt zu keiner Verletzung von Art. 58 BV (E. 5). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer können sich die Richter auf Grund der Einvernahme der V-Person vor den Schranken ein eigenes Bild von der Glaubwürdigkeit machen. Der Richter hat angesichts einer unvollständigen Beweislage nach pflichtgemässem Ermessen zu entscheiden. Diese wirkt sich nicht einseitig zu Gunsten oder zu Lasten des Beschuldigten aus (vgl. Urteil van Mechelen, a.a.O., Ziff. 56 sowie abweichende Meinung von Richter van Dijk, Ziff. 7). Vielmehr gilt der Grundsatz «in dubio pro reo» und die Unschuldsvermutung im Sinne von Art. 4 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK (BGE 120 Ia 31 E. 2 S. 33 ff.). Der Beschuldigte erfährt daher durch die Regelung keinen Nachteil in der Wahrung der Verteidigung.
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Im Übrigen bestehen gute Gründe für die vom Gesetzgeber getroffene Regel. Die Vertraulichkeit kann - entsprechend einem allgemeinen Erfahrungssatz - umso besser gewahrt werden, je enger der Kreis der Eingeweihten gezogen wird. Umso geringer ist auch die Gefahr, dass auf die (vollamtlichen oder nicht vollamtlichen) Richter von aussen Druck ausgeübt wird und sie gar Repressalien ausgesetzt werden.
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113 | |
a) Anonyme V-Personen sind bei ihrer Einvernahme im Rahmen der Vertraulichkeitszusage als Zeugen zu identifizieren. Insbesondere ist zu prüfen, ob sie gegen den Beschuldigten im Einsatz waren, um Verwechslungen auszuschliessen. Hierfür kann mit dem Beizug von Telefonabhörungen und Stimmenvergleichen ein eigentliches Beweisverfahren durchgeführt werden (vgl. Urteil vom 21. März 1995 E. 3c, in: EuGRZ 1995 S. 251 f. und Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107). Gleichermassen ist es möglich, für die Identifizierung des Zeugen von Seiten der Einsatzbehörden eine verantwortliche Person anzuhören. Schliesslich könnte auch der Präsident oder die Präsidentin des Gerichts, welche über die V-Personen Bescheid wissen, eine Identifizierung vornehmen.
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Gleichermassen können die V-Personen bei einer Befragung mit optischer Abschirmung identifiziert werden. Zusätzlich ist sicher zu stellen, dass der Zeuge allein im entsprechenden Nebenraum ist, selber auf die Fragen antwortet und von niemandem beeinflusst wird. Auch dies ist im Einzelfall zu bewerkstelligen.
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Daraus ergibt sich die Möglichkeit, dass die V-Personen identifiziert und Verwechslungen ausgeschlossen werden. Das ist für die Verteidigung und die Beweiswürdigung durch das Gericht von entscheidender Bedeutung. Es ist die Voraussetzung, damit eine Verwertung von entsprechenden Aussagen überhaupt in Betracht fällt. Solche Massnahmen der Identifizierung stellen indessen keine Kompensation der Probleme dar, die sich aus dem Umstand der Anonymität ergeben. Der Angeschuldigte sieht sich trotz dieser Massnahmen der Schwierigkeit gegenüber, die Glaubwürdigkeit der V-Person wirksam in Zweifel zu ziehen.
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b) Nach § 100g StPO instruiert, begleitet und überwacht das Statthalteramt die V-Person und erstattet diese regelmässig über ihren Einsatz und ihre Feststellungen Bericht. Beides ist aktenmässig festzuhalten. Vorbehältlich der Vertraulichkeitszusage und überwiegender öffentlicher oder privater Interessen kann der Beschuldigte nach § 100n StPO in diese Akten Einsicht nehmen. Nach Abschluss der Strafuntersuchung ist dem Beschuldigten (und weitern betroffenen Personen) vom Einsatz einer V-Person Kenntnis zu geben (§ 100k Abs. 1 StPO).
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Dieser Zugang zum Dossier über den V-Personen-Einsatz gibt dem Angeschuldigten wertvolle Aufschlüsse. Er erhält Kenntnisse über Instruktionen und über Planung und Durchführung des Einsatzes. Das ermöglicht dem Beschuldigten, unter Hinweis auf allfällige Widersprüche die Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen und die Glaubwürdigkeit der V-Person wirksam anzuzweifeln oder zu bestreiten. Die Einsicht vermag daher die Schwierigkeiten, die sich der Verteidigung aus dem Umstand der Anonymität stellen, teilweise auszugleichen.
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Das Ausmass der Kompensation hängt allerdings stark von den Umständen ab. Zum einen enthält das Dossier den Standpunkt der Polizei und muss entsprechend sorgfältig gewürdigt werden (vgl. zur Aktenführung GNÄGI, a.a.O., S. 82 ff; BAUMGARTNER, a.a.O., S. 234). Zum andern ist das Dossier tatsächlich gemäss § 100g Abs. 1, 2 und 4 StPO zu führen. Es bedarf einer hinreichenden Ausführlichkeit, damit es wirklich aussagekräftig ist. Die vertraulich zu behandelnden Elemente wie die Personalien der V-Person sind so von den Berichten über den Einsatz und die Ergebnisse zu trennen, dass dem Beschuldigten tatsächlich eine repräsentative Einsicht gewährt werden kann. Es wäre nicht angängig, die Einsicht in allen Fällen erfolgter Vertraulichkeitszusagen grundsätzlich zu verweigern. Auch wenn gewisse Angaben im Rahmen der Vertraulichkeitszusage abgedeckt werden, stellt die Einsicht in das Einsatz-Dossier für den Beschuldigten eine Massnahme dar, welche das «handicap presque insurmontable» teilweise ausgleicht.
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c) Die Identität der V-Person wird dem Präsidenten und der Präsidentin der befassten Gerichte nach § 100e Abs. 6 StPO (auf Verlangen) mitgeteilt. Diese haben damit volle Kenntnisse von den Personalien und können volle Einsicht in das Einsatz-Dossier im Sinne von § 100n StPO nehmen. Ferner ist nicht ausgeschlossen, dass der Gerichtsvorsitzende die V-Person ohne Zuzug von weiteren Personen einvernimmt. Es ist insbesondere möglich, die V-Personen auf diese Weise über alle Punkte zu befragen, welche für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit relevant sein können, insbesondere über persönliche und familiäre Verhältnisse, über Bekanntschaften und persönliche Beziehungen, über den beruflichen Werdegang und die aktuelle Berufsausübung, über die Motivation des V-Personen-Einsatzes und weiteres mehr. Auf Grund dieser Informationen vermag sich der Vorsitzende selber ein Bild von der Glaubwürdigkeit der V-Personen zu machen. Er kann dies zusätzlich in einem (schriftlichen oder mündlichen) Bericht zu Handen des Gerichts (Richter, Verteidigung und allfällige andere Parteien) festhalten, seine Beurteilung abgeben und die Gründe hierfür im Einzelnen - unter Respektierung der Vertraulichkeitszusage - darlegen, etwa durch eine verall-gemeinernde Beschreibung der privaten und beruflichen Verhältnisse.
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Die Materialien zeigen, dass die Gerichtspräsidenten die Identität und die Glaubwürdigkeit der einzuvernehmenden V-Personen sollen überprüfen können (Bericht der Justiz- und Polizeikommission an den Landrat vom 26. August 1996, Landrat 95/180 S. 6). Sie verfügen über eine volle Einsicht in die Einsatz-Akten, da sie von der Vertraulichkeitszusage ausdrücklich ausgenommen sind (§ 100n i.V.m. § 100e Abs. 6 StPO). Eine eigentliche Einvernahme der V-Personen durch die Präsidenten der Gerichte ist zwar nicht ausdrücklich vorgesehen, wird indessen auch nicht ausgeschlossen und entspricht der zu Grunde liegenden Idee der Glaubwürdigkeitsüberprüfung. Die Präsidenten bedürfen für eine derartige Einvernahme keiner Zustimmung der vorgesetzten Behörde; die V-Personen sind ohne Gefahr der Amtsgeheimnisverletzung tatsächlich zur vollständigen Auskunft verpflichtet (vgl. Art. 320 Ziff. 2 StGB). Ein solches Vorgehen entspricht den Empfehlungen des Ministerkomitees, in denen in ähnlichem Sinne eine «procédure de vérification» verlangt wird, um ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der V-Personen an ihrem Schutz und denjenigen des Beschuldigten an einer wirksamen Verteidigung im Sinne von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK zu schaffen (EMPFEHLUNGEN, a.a.O., Ziff. 10 und 76). In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sind solche Berichte zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit von anonymen Zeugen tatsächlich verwendet worden. Im Urteil Doorson kam dem Protokoll des einvernehmenden Instruktionsrichters, in dem er seine Beurteilung der Glaubwürdigkeit der ihm bekannten Zeugen festhielt, Bedeutung zu (a.a.O., Ziff. 73). Umgekehrt hat ein analoges Vorgehen eines Instruktionsrichters in der Angelegenheit van Mechelen zur Kompensation der Beeinträchtigung in den Verteidigungsrechten nicht ausgereicht (a.a.O., Ziff. 62).
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Derartige Abklärungen und Berichte vermitteln dem Beschuldigten wesentliche Informationen, um die Glaubwürdigkeit der einvernommenen V-Personen in Zweifel zu ziehen. Auch wenn es sich lediglich um eine indirekte Beweisführung handelt, vermag ein solches Vorgehen gewisse Probleme der Anonymität auszugleichen und die Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten zu verbessern. Erforderlich für eine wirksame Kompensation ist allerdings, dass die Gerichtspräsidenten einen hinreichend aussagekräftigen Bericht über die Person des verdeckten Ermittlers abgibt.
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d) Schliesslich ist als Kompensationsmassnahme denkbar, dass der Einsatzleiter vom Gericht einvernommen und unter Wahrung der Anonymität zur V-Person befragt wird. Dieser Einsatzleiter kennt die Identität des verdeckten Ermittlers sowie dessen persönlichen und beruflichen Hintergrund. Er ist in der Lage, Hinweise zum beruflichen Umfeld und zur Ausübung des Berufes (inkl. des beruflichen Leumunds) abzugeben und insbesondere bei nicht beamteten Personen über die Umstände der Auftragserteilung Aufschluss zu geben. Darüber hinaus kann er über den eigentlichen Einsatz der V-Person befragt werden.
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Eine solche Anhörung des unmittelbaren Einsatzleiters ver-spricht wertvolle Hinweise zur Glaubwürdigkeit der V-Person und zur Glaubhaftigkeit von deren Aussagen. Sie ist nicht ver-gleichbar mit den vom Europäischen Gerichtshof beurteilten Fällen Windisch und Kostovski: Dort haben Zeugen, die anonym bleiben wollten, den Polizeibeamten Anzeigen erstattet; die Einvernahme dieser Polizeibeamten als Gewährsleute vermochte die Hindernisse für die Verteidigung nicht zu kompensieren, da diese keinerlei eigene Kenntnisse vom Tatgeschehen und von den Anzeigern hatten (Urteil Windisch, a.a.O., Ziff. 28; Urteil Kostovski, a.a.O., Ziff. 42). Der Einsatzleiter verfügt indessen über detaillierte Kenntnisse über die V-Person und den Ablauf des Einsatzes. Seine Befragung ist indessen abhängig von der Kooperation der Polizeiorgane. Der Einsatzleiter muss im Sinne von Art. 320 Ziff. 2 StGB von der vorgesetzten Stelle zur Aussage ermächtigt werden. Die Verweigerung einer solchen Ermächtigung kann von Seiten des Gerichts oder des Beschuldigten kaum rechtzeitig und wirksam angefochten werden (vgl. hierzu Urteil vom 21. März 1995 in: EuGRZ 1995 S. 250 E. 3c/cc S. 253; GNÄGI, a.a.O., S. 121 ff.; CORBOZ, a.a.O., S. 325 f.).
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Die Anhörung des unmittelbaren Einsatzleiters verspricht wegen seiner detaillierten Kenntnisse wertvolle Aufschlüsse. Sie kann dazu beitragen, das Handicap der Anonymität zu einem Teil auszugleichen. Die Verteidigung erhält Informationen, die es ihr ermöglicht, die Glaubwürdigkeit der V-Person wirksam in Zweifel zu ziehen - auch wenn nicht zu verkennen ist, dass es sich dabei lediglich um eine indirekte Beweisführung handelt.
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Für eine Gesamtbeurteilung der Zulässigkeit der Anonymitätszusicherung ist vom Grundsatz der Strafprozessordnung auszugehen, dass die V-Personen tatsächlich vor dem urteilenden Gericht einvernommen werden. Der Beschuldigte kann demnach direkt Fragen stellen oder Fragen stellen lassen. Er ist grundsätzlich in der Lage, sich ein Bild von der V-Person zu machen und deren Aussagen und Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Erschwerend wirken sich für die Verteidigung allerdings die besondern Schutzmassnahmen der allfälligen optischen und akustischen Abschirmung aus. Dennoch erlaubt die Einvernahme - anders als eine nur schriftliche Befragung - die unmittelbare Wahrnehmung von Reaktionen und trägt damit dazu bei, den Zeugen zu beurteilen.
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Die Anonymität des als Zeuge einvernommenen verdeckten Ermittlers behindert und beschränkt den Beschuldigten in seinem Befragungsrecht. Sie hat zur Folge, dass sich der Beschuldigte kein vollständiges Bild von der Persönlichkeit der V-Person machen und auch nicht danach fragen kann. Es ist ihm daher zum Vornherein erschwert, die Glaubwürdigkeit der V-Person allgemein in Zweifel zu ziehen. Seine Verteidigung muss sich daher im Wesentlichen darauf beschränken, die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen zur Sache selber zu bestreiten. Dies stellt eine wesentliche Beschränkung der Verteidigungsrechte dar.
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Dem stehen Massnahmen gegenüber, die diese Schwierigkeiten teilweise ausgleichen. Die Einsicht des Beschuldigten in die Akten betreffend den V-Personen-Einsatz vermag Aufschluss über die Instruktion und den Ablauf und damit auch wichtige Hinweise über das Verhalten des verdeckten Ermittlers und allfällige Widersprüche zu geben; das wiederum kann Hinweise zur Glaubwürdigkeit ergeben. Von Bedeutung ist ferner, dass der Gerichtsvorsitzende die Person des verdeckten Ermittlers kennt, volle Einsicht in die Spezialakten hat und die V-Person auch einvernehmen kann. Diese Kenntnisse und die in einem Bericht für die Verteidigung festgehaltene Schilderung und Prüfung erlauben eine weitergehende Beurteilung der Glaubwürdigkeit der V-Person und ermöglichen dem Angeschuldigten in zusätzlichem Masse, sich ein eigenes Bild von der Person des verdeckten Ermittlers zu machen. Schliesslich vermag auch die Befragung des Einsatzleiters vor dem Gericht weitere Aufschlüsse zu geben.
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Alle diese Massnahmen können einen Ausgleich zur Aufrechterhaltung der Anonymität schaffen. Sie sind für den Beschuldigten von unterschiedlichem Gewicht. Die Einsicht in das Einsatzdossier der V-Person ist wegen der Vertraulichkeitszusage keine vollständige; zudem sind diese Akten sorgfältig zu prüfen. Die Kundgabe der Gerichtspräsidenten auf Grund ihrer eigenen Kenntnisse und die Befragung von Einsatzleitern stellen indirekte Beweise oder so genannte Beweissurogate dar. Diese können nicht grundsätzlich und abstrakt abgelehnt oder aus dem Verfahren ausgeschlossen werden. Sie erfordern indessen eine sorgfältige Würdigung durch das Gericht und eine Prüfung darauf hin, was im Einzelfall tatsächlich bezeugt werden kann und was subjektive Beurteilung ist (vgl. im Einzelnen dazu GNÄGI, a.a.O., S. 153 ff.; vgl. auch Urteil des BVerfG in: EuGRZ 1981 S. 402 E. III).
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Wie sehr diese Massnahmen im Einzelfall tatsächlich eine ausreichende Kompensation darstellen und eine hinreichend wirksame Befragung im Sinne von Art. 4 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK erlauben, hängt stark von den gesamten Umständen und von der Beweislage ab und lässt sich letztlich abstrakt nicht schlüssig beantworten. Auf der einen Seite lassen sich Konstellationen denken, in denen die Aufrechterhaltung der Anonymität durch die Umstände klar aufgewogen wird und demnach von einem fairen Verfahren gesprochen werden kann. Auf der andern Seite gibt es Fälle, die unter dem Gesichtswinkel des fairen Verfahrens nicht mehr toleriert werden können. Auf zwei solche Konstellationen soll im Folgenden beispielhaft eingegangen werden.
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Es ist denkbar, dass die belastenden Aussagen der V-Person die einzigen oder überwiegend ausschlaggebenden Beweise darstellen. Diesfalls stösst man an eine fast absolute Grenze, bei der auch die genannten Massnahmen keine hinreichende Kompensation bieten können (oben E. 6d/ee). In einer derartigen Situation ist die Konsequenz zu ziehen, dass auf das Zeugnis der anonym bleibenden V-Personen nicht abgestellt werden darf und der Angeschuldigte in Respektierung des Grundsatzes «in dubio pro reo» allenfalls freizusprechen ist.
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Weiter kann sich die Aufrechterhaltung der Anonymität als unverhältnismässig erweisen, wenn beim Einsatz der V-Person und der Zusicherung der Vertraulichkeit von einer gewichtigen und gefährlichen Angelegenheit ausgegangen werden durfte, sich diese im Nachhinein aber als harmlos entpuppt. Auch in einer solchen Situation mag es gute Gründe dafür geben, die Anonymität weiterhin zu bewahren: Die V-Person darf grundsätzlich auf die Zusicherung vertrauen. Und es kann darum gehen, weitere Einsätze nicht zu gefährden und allfällige Pressionen von dritter Seite auf die Eingeweihten zu verhindern. Da die materiellen Voraussetzungen für den V-Personen-Einsatz und für die Vertraulichkeitszusage im Sinne von § 100f und § 100e Abs. 4 StPO nicht (mehr) erfüllt sind, darf auf ein entsprechendes Zeugnis jedenfalls nicht abgestellt werden. Die anonyme Aussage darf nicht verwertet werden (vgl. zur Frage des Beweisverwertungsverbotes im Falle des V-Mann-Exzesses etwa GNÄGI, a.a.O., S. 106 ff.; ROTH, a.a.O., S. 400 f.).
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Gesamthaft gesehen bildet das Abstellen auf Aussagen von ano-nymen V-Personen eine heikle Gratwanderung. Häufig dürfte die Anonymität durch die erwähnten Massnahmen ausgeglichen werden, sodass die Berücksichtigung entsprechender Aussagen mit dem Gebot eines fairen Verfahrens und dem Anspruch auf Befragung belastender Zeugen vereinbar ist. Die Verteidigungsrechte des Beschuldigten ernst nehmen, bedeutet indessen auch, die Grenzen der Verwertung von solchen Aussagen klar anzuerkennen. Gleichermassen gibt es daher Konstellationen, in denen bei Aufrechterhaltung der Anonymität die Garantien auf ein faires Verfahren und ein Fragerecht verletzt werden und deshalb die entsprechenden Aussagen nicht verwertet werden dürfen und der Angeschuldigte allenfalls freizusprechen ist. Diese Konsequenz sehen denn auch die Empfehlungen des Ministerkomitees vor (a.a.O., Ziff. 79). Es ist letztlich Sache der Strafverfolgungs- und Anklagebehörden, solche Situationen zu vermeiden (vgl. BGE 109 Ia 273 E. 12a S. 299). Diese werden auch verhindern können, eine Anklage ausschliesslich oder hauptsächlich auf eine einzige belastende Aussage einer V-Person abzustützen.
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b) Gestützt auf diese materiellen Ergebnisse ist nunmehr darüber zu befinden, wie die vorliegende Beschwerde letztlich zu beurteilen ist. Das Bundesgericht hebt im abstrakten Normkontrollverfahren eine kantonale Vorschrift nur auf, wenn sie sich jeder verfassungs- und konventionskonformen Auslegung entzieht. Für die Frage, ob eine kantonale Norm aufzuheben oder verfassungskonform auszulegen ist, wird auf die Tragweite des Grundrechtseingriffs, die Möglichkeit, bei einer späteren konkreten Normenkontrolle einen hinreichenden verfassungsrechtlichen Schutz zu erhalten, die konkreten Umstände, unter denen die Norm zur Anwendung kommt, sowie die Möglichkeit einer Korrektur und die Auswirkungen auf die Rechtssicherheit abgestellt (BGE 109 Ia 273 E. 12c S. 302; BGE 123 I 112 E. 2a S. 116; BGE 124 I 193 E. 3c S. 196, mit Hinweisen).
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Die Frage der Gewährung eines fairen Verfahrens und des Anspruchs auf hinreichende Befragung von Belastungszeugen bei Aufrechterhaltung der Anonymität hängt stark von den besondern Umständen ab. Von Bedeutung ist die tatsächliche Befragung vor dem Gericht selber mit all den Umständen im Einzelfall. Einzelne Massnahmen können die Schwierigkeiten der Verteidigung, wie aufgezeigt, ausgleichen. Hierfür ist erforderlich, dass die Strafprozessordnung in Bezug auf das Akteneinsichtsrecht des Gerichtspräsidenten und die Befragung des verdeckten Ermittlers durch den Gerichtspräsidenten im dargelegten Sinne ausgelegt wird. Von Seiten der Polizei bedarf es einer gewissen Kooperationsbereitschaft hinsichtlich des Führens des Einsatzdossiers und der Ermächtigung zur Aussage des Einsatzleiters. Diese darf angenommen werden, da es im Interesse der Polizei liegt, dass die Aussagen der V-Personen tatsächlich verwendet werden können. Ferner bedarf es einer sorgfältigen Beweiswürdigung durch das Gericht. Wo eine Kompensation zu den Hindernissen der Anonymität nicht möglich ist, darf auf ein anonymes Zeugnis nicht abgestellt werden und ist ein Angeschuldigter in letzter Konsequenz freizusprechen.
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Diesen schwierigen Weg zu gehen, kann den Gerichten durchaus zugetraut werden. Bei diesen handelt es sich nicht um juristisch wenig geschulte Beamte, die auf eine ausdrückliche und klare Regelung angewiesen sind (BGE 106 Ia 136 E. 3b S. 138). Sie sind vielmehr in der Lage, die angefochtenen Bestimmungen der Strafprozessordnung im oben dargelegten Sinne auszulegen und anzuwenden, damit der Garantie auf ein faires Verfahren und eine hinreichende Befragung von Belastungszeugen zum Durchbruch zu verhelfen und letztlich im Einzelfall auch von einer Verurteilung abzusehen. Im Bewusstsein um die heikle Abwägung darf daher auch davon ausgegangen werden, dass die Gerichte nicht der Gefahr erliegen, nicht verwertbare Beweisergebnisse nur halbherzig bei Seite zu lassen und ein bestimmtes Resultat schliesslich mit anderen, mängelfreien Elementen zu begründen (BGE 118 Ia 462 E. 5c/bb S. 472).
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