"Worin die eigenständige Bedeutung der Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns (Art. 5 BV) liegen könnte -- eine Bedeutung, die neben dem konkretisierenden Wiederaufgreifen dieser Grundsätze im Grundrechtsteil und im Staatsorganisationsteil der Verfassung relevant wird --, gehört auch am Ende dieser Berichtsperiode weiterhin zu den ungelösten Rätseln des Verfassungsrechts (fragend bereits Ulrich Zimmerli, in: ZBJV 138 [2002] 607 ff. [610 f.]; kritisch hinsichtlich fehlender dogmatischer Reflexion Markus Mül...
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     "Worin die eigenständige Bedeutung der Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns (Art. 5 BV) liegen könnte -- eine Bedeutung, die neben dem konkretisierenden Wiederaufgreifen dieser Grundsätze im Grundrechtsteil und im Staatsorganisationsteil der Verfassung relevant wird --, gehört auch am Ende dieser Berichtsperiode weiterhin zu den ungelösten Rätseln des Verfassungsrechts (fragend bereits Ulrich Zimmerli, in: ZBJV 138 [2002] 607 ff. [610 f.]; kritisch hinsichtlich fehlender dogmatischer Reflexion Markus Müller, in: ZBJV 142 [2006] 743). Zwei extreme Verhältnisbestimmungen, die beide nicht gewollt sind, kommen in Betracht. Einerseits kann man das Rechtsstaatsgebot des Eingangstitels als normativ weitestgehende und vorrangige Anordnung verstehen, wodurch jedem Wiederaufgreifen nur noch deklaratorischer Charakter zukommt. Andererseits kann man dem Verfassungsgeber für diese Bestimmung bloss programmatische Absicht unterstellen, ihr jedes normative Plus gegenüber den konkretisierenden Einzelanordnungen absprechen und sie dadurch zur weitgehenden Bedeutungslosigkeit verdammen. In letztere Richtung geht die Auffassung des Bundesrats, dass Treu und Glauben im Eingangsartikel (nur) "im Sinn einer grundlegenden Handlungsmaxime verankert" werden sollten, während der "spezifische grundrechtliche Schutz" (erst) dem Grundrechtskatalog zu entnehmen sei (Botschaft BV, BBl. 1997 I 1-587 [134]). Unvereinbar damit ist die Praxis der undifferenzierten Gesamtprüfung von Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV (etwa in BGer-E 2C.345/2007 vom 15. Februar 2008 E. 3.10 -- Transparenz des Lebensversicherungsgeschäfts). Gegen den bloss programmatischen Charakter spricht unter anderem, dass die Grundsätze teilweise weiter gehen als der Grundrechtsschutz, weil sie beispielsweise auch das verwaltungsinterne Rechtsverhältnis erfassen (Andreas Lienhard, Staats- und verwaltungsrechtliche Grundlagen für das New Public Management in der Schweiz. Analysen -- Anforderungen -- Impulse, Bern 2005, S. 206).
     Der eidgenössische Kompromiss zwischen Alleingeltung und Bedeutungslosigkeit liegt darin, den rechtsstaatlichen Grundsätzen die objektiv-rechtliche Verbindlichkeit zuzuerkennen, eine subjektiv-rechtliche Einforderbarkeit aber erst zusammen mit ihrer Konkretisierung, insbesondere durch den Grundrechtskatalog, beginnen zu lassen. Diese Verbindung von -- als unselbständig angesehenen -- Verfassungsgrundsätzen mit Grundrechten hat das Bundesgericht von Anfang an in seiner Rechtsprechung zur neuen Bundesverfassung eingefordert (BGE 127 I 60 E. 3a S. 67 -- Griechische Botschaft in Muri; zustimmend insoweit Ulrich Zimmerli, in: ZBJV 139 [2003], S. 683 f.; bestätigt in BGE 129 I 161 E. 2.1 S. 162 f. -- Kindergartenstellvertretung; ausserdem BGE 128 I 113 E. 3c S. 121 -- Psychiatrische Dienste Graubünden, BGE 130 I 1 E. 3.1 S. 5 -- Asylverordnung Basel-Landschaft, BGer-E 2C.212/2007 vom 11. Dezember 2007 E. 3.1 -- Gebäudeversicherung Luzern; BGE 131 I 91 E 3.3 S. 99 -- Zwangsfusion Walliser Gemeinden). Die Kompromissformel wurde mit fragwürdiger Begründung sogar auf das Willkürverbot ausgeweitet (BGE 126 I 81 E. 3-6 S. 85 ff. -- Willkürverbot; kritisch dazu Regina Kiener, in: ZBJV 138 [2002], S. 699 ff. m.w.N.).
     In BGE 134 I 153 (Schulausschluss St. Gallen = Entscheid 2C_704/2007 vom 1. April 2008) wird die gleiche Rechtsprechungslinie für das Verhältnismässigkeitsprinzip formuliert. Wegen der allgemeinen Bedeutung dieser Weichenstellung wurde die Vereinigung sämtlicher Abteilungen des Gerichts bemüht (Art. 23 Abs. 2 BGG). Sie hat entschieden, "dass das in Art. 5 Abs. 2 BV als allgemeiner Verfassungsgrundsatz verankerte Verhältnismässigkeitsgebot im Rahmen einer Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten bei der Anwendung kantonalen Rechts ausserhalb des Schutzbereichs spezieller Grundrechte nur unter dem Gesichtswinkel des Willkürverbots angerufen werden kann" (E. 4.3). Die Anrufung des Verhältnismässigkeitsprinzips (Art. 5 Abs. 2 BV) ist dadurch allein genausowenig eine Eintrittskarte für gerichtliche Kontrolle wie die Anrufung des Legalitätsprinzips (Art. 5 Abs. 1 BV).
     Auf die Frage der isolierten Verhältnismässigkeitsprüfung kam es an, weil der Beschwerdeführer, ein durch den Erziehungsrat des Kantons St. Gallen vom Unterricht ausgeschlossener Wirtschaftsmittelschüler, nur Gehörsverletzung, Willkür und Unverhältnismässigkeit gerügt hatte, während eine Verletzung der Wirtschaftsfreiheit unter dem Gesichtspunkt des berufsschädigenden Ausschlusses ungerügt blieb (Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Anrufung des Verhältnismässigkeitsprinzips unabhängig von einem Grundrecht ist neu auch bei der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten möglich (Art. 95 Bst. a BGG). Würde man die isolierte Verhältnismässigkeitsprüfung allerdings inhaltlich vollumfänglich durchführen, so wäre die Systematik des schweizerischen Grundrechtsschutzes gleich zweifach unterlaufen. Erstens käme es nicht mehr darauf an, in welchem Grundrecht der Beschwerdeführer betroffen ist, was den mit spezifischen Schutzbereichen verbundenen Rationalitätsgewinn des Grundrechtsschutzes gefährdet (vgl. dazu die Besprechung von BGE 131 IV 78 in ZBJV 142 [2006], S. 765). Und zweitens wäre der Grundsatz des schweizerischen Grundrechtsschutzes konterkariert, dass nicht automatisch jedes Handeln in den Schutzbereich eines Freiheitsrechts fällt. Eine allgemeine Handlungsfreiheit, wie sie in der deutschen, italienischen und griechischen Verfassung sowie in den Grundrechtsordnungen Frankreichs und der Europäischen Union vorgesehen ist, kennt die Schweiz weder in der Bundesverfassung noch in den Kantonsverfassungen. Der Grundrechtsschutz ist bewusst den für die Persönlichkeit elementarsten Handlungen vorbehalten -- die persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 BV) also mit einer Bagatellgrenze als Einstiegsschwelle versehen. Könnte man die Verhältnismässigkeit des staatlichen Handelns unter Berufung auf Artikel 5 BV unabhängig von grundrechtlichen Schutzbereichen einfordern, käme dies einer Aufhebung der Grenze und damit einer Bagatellisierung des Grundrechtsschutzes gleich, wie sie zwar praktisch möglich, aber nach der Systematik der Bundesverfassung erkennbar nicht gewollt ist. Die entsprechenden Ausführungen des Bundesgerichts (E. 4.2.2) verdienen insoweit Zustimmung. Allerdings darf man gespannt sein, ob das Gericht dauerhaft an seiner Beschränkung dieser Rechtsprechung auf die Anwendung kantonalen Rechts festhalten wird, denn der systematische Widerspruch tritt bei der Anwendung von Bundesverwaltungsrecht (E. 4.2) ebenfalls auf."