BGE 122 II 113 - Agim Ajvazi | |||
| |||
Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: DFR-Server, A. Tschentscher | |||
15. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 16. April 1996 i.S. Agim Ajvazi gegen Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement (Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Art. 18 Abs. 2 und 25 Abs. 1 ANAG sowie Art. 13 lit. h und 28 Abs. 1 lit. a und b BVO; Umwandlung der Saison- in eine Jahresbewilligung; übergangsrechtliche Wirkungen der Änderung der Begrenzungsverordnung vom 19. Oktober 1994. |
Bedeutung sowie Verfassungs- und Gesetzmässigkeit der Neuregelung der Umwandlungsvoraussetzungen; insbes. müssen die vom Umwandlungsstopp betroffenen Ausländer die Umwandlungsvoraussetzungen per 31. Dezember 1994 erfüllen (E. 2). |
Übergangsrecht beim Wechsel von der alten zur neuen Ordnung: Ein Überhang der Saisontätigkeit ins Jahre 1995 kann nicht auf die erforderliche Anwesenheitsdauer gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. a BVO angerechnet werden; weder weist die Begrenzungsverordnung insofern eine echte Lücke auf, noch verstösst sie gegen das Rechtsgleichheitsgebot oder den Grundsatz von Treu und Glauben, noch wirkt sie in unzulässiger Weise zurück (E. 3). |
Die Neuregelung bewirkt bei den vom Umwandlungsstopp betroffenen Ausländern nicht generell einen Härtefall; ein solcher kann aber dann vorliegen, wenn der Überhang ins Jahr 1995 nur ganz kurz ausfällt; Voraussetzungen im vorliegenden Fall verneint (E. 4). | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Sachverhalt | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Zwischen 1991 und 1994 änderte der Bundesrat seine Politik bei der Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte. Im Bericht vom 15. Mai 1991 zur Ausländer- und Flüchtlingspolitik stellte er das sogenannte Dreikreisemodell vor (BBl 1991 III 291, vgl. insbesondere S. 302 ff.). Mit diesem bezweckte er, die Zulassungspolitik gegenüber Angehörigen der EFTA und EG (heute: Europäische Union, EU) zu liberalisieren, gegenüber gewissen anderen Staaten (Vereinigte Staaten von Amerika, Kanada usw.) eine begrenzte Rekrutierung beizubehalten, im übrigen aber Aufenthalts- bzw. Arbeitsbewilligungen nur mehr in Ausnahmefällen zu erteilen. Mit Beschluss vom 23. September 1991 wies der Bundesrat das Gebiet des ehemaligen Jugoslawien mit Wirkung ab 1. November 1991 dem Kreis der nicht-traditionellen Rekrutierungsländer für ausländische Arbeitskräfte zu. Am 13. April 1994 gab er die von ihm geplanten gesetzlichen Schritte in die Vernehmlassung. Das Vorhaben beschrieb er auch in seiner Antwort vom 30. Mai 1994 auf die Einfache Anfrage Rechsteiner zur Regelung des Aufenthalts von Saisonniers aus Ex-Jugoslawien (Amtl.Bull. 1994 N 1266). Dem entsprach alsdann die Änderung der Verordnung vom 6. Oktober 1986 über die Begrenzung der Zahl der Ausländer (Begrenzungsverordnung, BVO; SR 823.21) vom 19. Oktober 1994 (AS 1994 2310).
| 1 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Nach dem revidierten Art. 8 Abs. 3 BVO wird eine Saisonbewilligung grundsätzlich nur noch Angehörigen aus Staaten der EFTA und der EG (heute: EU; vgl. Änderung der Begrenzungsverordnung vom 25. Oktober 1995 [AS 1995 4869, 4870]), und nur ausnahmsweise Angehörigen der übrigen traditionellen Rekrutierungsgebiete, erteilt; als Übergangsregelung ist vorgesehen, dass Saisonniers aus nicht-traditionellen Rekrutierungsgebieten, die zwischen dem 1. November 1993 und dem 31. Oktober 1994 ordnungsgemäss in der Schweiz gearbeitet haben und die Umwandlungsvoraussetzungen nicht erfüllen, in den Kontingentsjahren 1994/95 und 1995/96 letztmals Saisonbewilligungen erhalten können. Der neue Art. 8 Abs. 3 BVO (in der Fassung vom 19. Oktober 1994) sowie die dazugehörige Übergangsbestimmung traten am 1. November 1994 in Kraft. Ebenfalls geändert wurde Art. 28 Abs. 1 BVO. Nach dessen neuer Fassung kann eine Saisonbewilligung nur noch für Angehörige aus Staaten der EFTA und der EG (heute: EU; vgl. Änderung der Begrenzungsverordnung vom 25. Oktober 1995 [AS 1995 4869, 4871]) in eine Jahresbewilligung umgewandelt werden; im übrigen blieben die Voraussetzungen für eine Umwandlung unverändert. Der neue Art. 28 Abs. 1 BVO (in der Fassung vom 19. Oktober 1994) trat am 1. Januar 1995 in Kraft.
| 2 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Der 1965 geborene Agim Ajvazi, Staatsangehöriger des ehemaligen Jugoslawien, hielt sich vom 29. Oktober 1990 bis zum 14. April 1991 als Kurzaufenthalter in der Schweiz auf und arbeitete vom 16. Juli 1991 an regelmässig als Saisonnier. Am 28. Oktober 1994 beantragte er bei der Fremdenpolizei des Kantons St. Gallen die Umwandlung der Saison- in eine Jahresbewilligung. Die Fremdenpolizei leitete das Gesuch am 9. Dezember 1994 an das Bundesamt für Ausländerfragen weiter zum Entscheid über die Ausnahme von den Höchstzahlen der Begrenzungsverordnung gemäss Art. 13 lit. h in Verbindung mit Art. 28 BVO. Am 3. Januar 1995 lehnte das Bundesamt das Gesuch ab und verweigerte die Ausnahme von den Höchstzahlen.
| 3 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Dagegen führte Agim Ajvazi Beschwerde beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement. Dieses wies die Beschwerde am 5. September 1995 ab.
| 4 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde vom 4. Oktober 1995 an das Bundesgericht beantragt Agim Ajvazi, der Entscheid des Departements sei aufzuheben und er sei in Anwendung von Art. 13 lit. h BVO in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1 lit. a BVO, eventuell Art. 28 Abs. 1 lit. b BVO, von den Höchstzahlen der Begrenzungsverordnung auszunehmen. Er macht geltend, die Saisontätigkeit im Jahre 1995 sei mit anzurechnen. Jedenfalls begründeten die Auswirkungen der Verordnungsnovelle einen schwerwiegenden persönlichen Härtefall.
| 5 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
In seiner Vernehmlassung vom 8. November 1995 schliesst das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement auf Abweisung der Beschwerde.
| 6 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab
| 7 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
aus folgenden Erwägungen: | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
8 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
2. a) Nach der alten Fassung von Art. 28 Abs. 1 BVO (AS 1986 1802) konnten die Saisonbewilligungen aller Saisonniers unabhängig von der nationalen Herkunft auf Gesuch hin in eine Jahresbewilligung umgewandelt werden, wenn diese sich in den letzten vier aufeinanderfolgenden Jahren während insgesamt 36 Monaten ordnungsgemäss als Saisonniers zur Arbeit in der Schweiz aufgehalten hatten (lit. a der Bestimmung) oder ein schwerwiegender persönlicher Härtefall vorlag (lit. b der Bestimmung). Nach der neuen Fassung der gleichen Bestimmung ist dasselbe seit dem 1. Januar 1995 unter im übrigen unveränderten Voraussetzungen nur noch für Angehörige der Staaten der EFTA und der EG bzw. EU möglich. Betroffen sind in erster Linie, wenn auch nicht ausschliesslich, die Angehörigen der Staaten des ehemaligen Jugoslawien; sie konnten früher, da Jugoslawien bis zum 31. Oktober 1991 als traditionelles Rekrutierungsland galt, als Saisonniers rekrutiert werden und bis zum 31. Dezember 1994 von der Möglichkeit der Umwandlung der Saisonbewilligung nach Art. 28 BVO profitieren. Nunmehr sind sie von der Umwandlungsmöglichkeit ausgeschlossen. Die Novelle enthält keine Übergangsregelung für die Umwandlung von Saisonbewilligungen.
| 9 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
b) Nach Art. 25 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) steht dem Bundesrat die Oberaufsicht über die Handhabung der fremdenpolizeilichen Vorschriften des Bundes zu. Er bestimmt die Ausländerpolitik, die er unter anderem mit der Begrenzungsverordnung umsetzt. Wie das Bundesgericht bereits früher entschieden hat, ist es mit dem Gesetz und der Verfassung vereinbar, wenn der Bundesrat die Handhabung seiner Kompetenz, die Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen im Einzelfall zu genehmigen bzw. zu verweigern, in allgemeiner Weise durch Verordnung regelt (BGE 118 Ib 81 E. 3c). Soweit er sodann ein Saisonnierstatut schaffen (vgl. dazu Art. 18 Abs. 2 lit. c sowie Art. 25 Abs. 1 lit. e ANAG) und insofern auch Voraussetzungen für die Umwandlung von Saison- in Jahresbewilligungen festlegen kann, darf er die entsprechenden Anforderungen unter Beachtung der gesetzlichen und verfassungsmässigen Schranken auch nachträglich abändern bzw. verschärfen. Dabei hat er unter anderem den Grundsatz der Rechtsgleichheit nach Art. 4 BV zu wahren.
| 10 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Änderungen von Erlassen bewirken zwangsläufig, dass für die Rechtsunterworfenen unterschiedliche Regelungen gelten je nach dem, ob der rechtlich erfasste Tatbestand für sie vor oder nach der Revision wirksam wird. Damit verbunden sind regelmässig Ungleichbehandlungen, worin an sich kein Verfassungsverstoss liegt. Allein der Umstand, dass ein Rechtsverhältnis schon bestanden hat, bevor das Recht geändert wurde, schliesst die Anwendung des neuen Rechts nicht aus. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung verletzt ein Erlass den Grundsatz der Rechtsgleichheit erst dann, wenn er rechtliche Unterscheidungen trifft, für die ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen nicht ersichtlich ist, oder Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen. Die Rechtsgleichheit ist verletzt, wenn Gleiches nicht nach Massgabe seiner Gleichheit gleich oder Ungleiches nicht nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich behandelt wird; vorausgesetzt ist, dass sich der unbegründete Unterschied oder die unbegründete Gleichstellung auf eine wesentliche Tatsache bezieht. Dieser Massstab gilt grundsätzlich auch bei Rechtsänderungen. Allerdings kann die Frage, ob für eine rechtliche Unterscheidung ein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen ersichtlich ist, zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich beantwortet werden, je nach den herrschenden Anschauungen und Zeitverhältnissen. Dem Gesetzgeber bleibt im Rahmen dieser Grundsätze und des Willkürverbotes ein weiter Spielraum der Gestaltungsfreiheit. Insbesondere in Fragen, deren Lösung in weitem Mass von politischen Wertungen abhängt, ist es nicht Sache des Bundesgerichts, sein Ermessen an die Stelle desjenigen des Gesetzgebers - bzw. im vorliegenden Zusammenhang des Verordnungsgebers - zu setzen (BGE 121 I 102 E. 4a mit Hinweisen; vgl. auch Fritz Gygi, Verwaltungsrecht, Bern 1986, S. 108 f.).
| 11 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Die Revision der Begrenzungsverordnung bezweckte die Umsetzung der Neuausrichtung der bundesrätlichen Ausländerpolitik, die seit dem Jahre 1991 angekündet ist. Schon früher sah die Begrenzungsverordnung, insbesondere bei der Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte, Unterschiede nach der nationalen Herkunft der Ausländer vor. Mit der Änderung von Art. 28 BVO wurde eine entsprechende Unterscheidung nunmehr auch für die Umwandlung von Saisonbewilligungen eingeführt, was weder gegen Gesetzes- noch gegen Verfassungsrecht verstösst. Der Umwandlungsstopp als solcher für Saisonniers, die nicht den Staaten der EFTA und der EG bzw. EU angehören, wird vom Beschwerdeführer im übrigen auch gar nicht angefochten.
| 12 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
c) Nicht von der Neuregelung erfasst wurde Art. 28 Abs. 3 BVO, wonach der Saisonnier das Gesuch um Umwandlung vor Ablauf der letzten Saisonbewilligung bei der kantonalen Fremdenpolizei einreichen muss. Daran hat die Novelle nichts geändert. Anderseits entfaltet sie aber auch nicht bloss Wirkung für den Termin der Gesuchseinreichung. Vielmehr bedeutet sie, dass bis zum 31. Dezember 1994 grundsätzlich alle Voraussetzungen einer Umwandlung erfüllt sein müssen.
| 13 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Nach den gemeinsamen ausführenden Weisungen des Bundesamts für Industrie, Gewerbe und Arbeit und des Bundesamts für Ausländerfragen vom 21. Oktober 1994 werden bei den zeitlichen Voraussetzungen zur Umwandlung einer Saisonbewilligung nach Art. 28 Abs. 1 lit. a BVO nur Aufenthalte im Rahmen einer Saisonbewilligung bis und mit 31. Dezember 1994 berücksichtigt, Aufenthalte nach diesem Datum aber nicht angerechnet. Zwar ist das Bundesgericht an solche Weisungen nicht gebunden (vgl. BGE 119 Ib 33 E. 3d S. 41); im vorliegenden Zusammenhang besteht aber kein Anlass, von den Weisungen abzuweichen, denn inhaltlich entsprechen sie dem einzig einleuchtenden Sinn, der dem Wortlaut der Neuregelung beigemessen werden kann: Saisonniers, die nicht den Staaten der EFTA und der EG bzw. EU angehören, können nur dann umwandeln, wenn sie spätestens am 31. Dezember 1994 sämtliche Voraussetzungen erfüllt haben; ab dem 1. Januar 1995 sind sie zwar nicht endgültig von Saisonarbeit, wohl aber von der Umwandlungsmöglichkeit ausgeschlossen. Da dies sowohl für die ordentliche Umwandlung nach Art. 28 Abs. 1 lit. a BVO wie auch für den Härtefall gemäss Art. 28 Abs. 1 lit. b BVO gilt, ist für beide Tatbestände zeitlich spätestens auf den 31. Dezember 1994 abzustellen. Für die erste Variante bedeutet dies, dass sämtliche zeitlichen Voraussetzungen bis Ende 1994 erfüllt sein müssen; für den Härtefall hat es zur Folge, dass dieser vor dem 1. Januar 1995 eingetreten sein muss.
| 14 | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
15 | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
|