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Informationen zum Dokument  BGer 1B_78/2022  Materielle Begründung
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BGer 1B_78/2022 vom 02.03.2022
 
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1B_78/2022
 
 
Urteil vom 2. März 2022
 
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung
 
Besetzung
 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident,
 
Bundesrichterin Jametti, Bundesrichter Müller,
 
Gerichtsschreiber Hahn.
 
 
Verfahrensbeteiligte
 
A.________,
 
Beschwerdeführer,
 
vertreten durch Rechtsanwalt Michael Hunziker,
 
gegen
 
Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm, Untere Grabenstrasse 32, Postfach 1475, 4800 Zofingen.
 
Gegenstand
 
Strafverfahren; Gesuch um Haftentlassung,
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 31. Januar 2022 (SBK.2022.10 / va).
 
 
Sachverhalt:
 
 
A.
 
Die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm führt gegen A.________ eine Strafuntersuchung wegen des Verdachts auf Raub. A.________ befand sich deshalb vom 6. Mai bis zum 2. September 2021 ein erstes Mal in Untersuchungshaft. Nach seiner Entlassung wurde er am 29. Oktober 2021 erneut festgenommen. Im Anschluss ordnete das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau mit Verfügung vom 30. Oktober 2021 Untersuchungshaft bis zum 29. Januar 2022 an. Eine von A.________ dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 26. November 2021 ab.
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B.
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A.________ stellte am 16. Dezember 2021 ein Haftentlassungsgesuch, welches das Zwangsmassnahmengericht mit Verfügung vom 5. Januar 2022 abwies. Hiergegen erhob A.________ am 14. Januar 2022 Beschwerde beim Obergericht. Mit Entscheid vom 31. Januar 2022 schrieb dieses das Beschwerdeverfahren zufolge Wegfalls des aktuellen Rechtsschutzinteresses als gegenstandslos geworden von der Geschäftskontrolle ab.
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C.
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Gegen den Entscheid des Obergerichts vom 31. Januar 2022 gelangt A.________ mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht. Er beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und er sei aus der Untersuchungshaft zu entlassen. Eventualiter sei die Angelegenheit zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausserdem ersucht er um die Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege und Rechtsverbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren.
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Die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft haben auf eine Vernehmlassung verzichtet.
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Erwägungen:
 
 
1.
 
1.1. Gegen den kantonal letztinstanzlichen Haftprüfungsentscheid des Obergerichts steht die Beschwerde in Strafsachen offen (Art. 78 Abs. 1 i.V.m. Art. 80 Abs. 1 BGG; Urteil 1B_292/2021 vom 17. Juni 2021 E. 1).
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1.2. Im angefochtenen Entscheid hat das Obergericht die Beschwerde gegen den Haftprüfungsentscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 5. Januar 2022 als gegenstandslos geworden von der Geschäftskontrolle abgeschrieben. Die Beschwerde ist nur im Rahmen des Streitgegenstands zulässig. Dieser wird durch das Anfechtungsobjekt, d.h. den angefochtenen Entscheid, und die Parteibegehren bestimmt, wobei der angefochtene Entscheid den möglichen Streitgegenstand begrenzt (vgl. BGE 142 I 155 E. 4.4.2 mit Hinweisen). Gegenstand des vorliegenden Verfahrens kann somit nur die Frage bilden, ob die Vorinstanz das Beschwerdeverfahren als gegenstandslos hat abschreiben dürfen oder ob sie nicht vielmehr auf die Beschwerde hätte eintreten müssen. Soweit der Beschwerdeführer darüber hinaus vorbringt, er sei aus der Untersuchungshaft zu entlassen, liegt diese Rüge ausserhalb des durch den angefochtenen Entscheid begrenzten Streitgegenstands und wird der Antrag zudem auch nicht begründet (vgl. Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG). Insoweit ist daher auf die Beschwerde nicht einzutreten (vgl. zum Ganzen: Urteil 1B_244/2011 vom 24. Juni 2011 E. 1, nicht publ. in: BGE 137 IV 177).
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2.
 
2.1. Gegen den Entscheid des Zwangsmassnahmengerichts vom 5. Januar 2022 stand dem Beschwerdeführer gemäss Art. 222 i.V.m. Art. 393 Abs. 1 lit. c StPO grundsätzlich die Beschwerde an die Vorinstanz offen. Umstritten ist, ob der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Entscheids noch ein rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von Art. 382 Abs. 1 StPO an der Aufhebung oder Änderung des Haftprüfungsentscheids hatte. Die Vorinstanz verneinte dies mit der Begründung, das Haftentlassungsgesuch vom 16. Dezember 2021 habe sich nur auf die vom Zwangsmassnahmengericht bis zum 29. Januar 2022 angeordnete Untersuchungshaft bezogen. Nachdem dieses Datum während des obergerichtlichen Verfahrens verstrichen sei, könne das mit dem Haftentlassungsgesuch verfolgte Ziel einer Verkürzung der Haftdauer selbst bei einer Gutheissung der Beschwerde nicht mehr erreicht werden. Zufolge nachträglichen Wegfalls des aktuellen Rechtsschutzinteresses i.S.v. Art. 382 Abs. 1 StPO sei das Beschwerdeverfahren deshalb als gegenstandslos geworden abzuschreiben. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass die Staatsanwaltschaft am 24. Januar 2022 beim Zwangsmassnahmengericht ein Gesuch um Haftverlängerung um drei Monate gestellt habe. Ein Entscheid über das Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers vom 16. Dezember 2021 würde den noch ausstehenden Haftverlängerungsentscheid des Zwangsmassnahmengerichts in unzulässiger Weise präjudizieren.
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2.2. Der Beschwerdeführer wendet dagegen ein, die Staatsanwaltschaft habe noch vor Abschluss des obergerichtlichen Verfahrens beim Zwangsmassnahmengericht einen Antrag auf Verlängerung der Untersuchungshaft um drei Monate gestellt. Im vorinstanzlichen Urteilszeitpunkt habe er sich somit nach wie vor in Haft befunden, weshalb er weiterhin ein aktuelles und praktisches Interesse an der gerichtlichen Beurteilung seiner Beschwerde gehabt habe. Weiter sei es Sinn und Zweck eines Haftentlassungsgesuchs, dass gerade nicht bis zur nächsten Haftverlängerung zugewartet werden müsse, bis die Haftvoraussetzungen gerichtlich überprüft würden. Ein solches Abwarten auf einen ausstehenden Haftverlängerungsentscheid bei einem bereits hängigen Rechtsmittelverfahren über ein Haftentlassungsgesuch verstosse gegen das Beschleunigungsgebot in Haftsachen. Würde dem Rechtsverständnis der Vorinstanz gefolgt, wäre überdies eine zweitinstanzliche oder bundesgerichtliche Überprüfung eines Haftentlassungsgesuchs vor Ablauf der angeordneten Haftperiode in den meisten Fällen gar nicht möglich.
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2.3. Nach der Rechtsprechung fehlt es nach Beendigung der Untersuchungshaft an einem aktuellen praktischen Interesse für die Behandlung der Haftbeschwerde (BGE 136 I 274 E. 1.3; Urteil 1B_280/2021 vom 28. Juni 2021 E. 1). Das Bundesgericht verzichtet indessen unter gewissen Umständen auf dieses Erfordernis. Dies tut es zum einen dann, wenn sich die aufgeworfenen Fragen unter gleichen oder ähnlichen Umständen jederzeit wieder stellen können, eine rechtzeitige Überprüfung im Einzelfall kaum je möglich wäre und die Beantwortung wegen deren grundsätzlicher Bedeutung im öffentlichen Interesse liegt (vgl. BGE 140 IV 74 E. 1.3 mit Hinweisen). Zum andern tritt das Bundesgericht bei Haftbeschwerden trotz weggefallenem Rechtsschutzinteresse auf die Beschwerde ein bzw. leitet ein solches Interesse aus dem Gebot des fairen Verfahrens (Art. 29 Abs. 1 BV) und der Prozessökonomie ab, wenn Verletzungen der EMRK geltend gemacht werden (vgl. insbesondere Art. 5 EMRK) und eine inhaltliche Prüfung dieser Rügen sonst nicht innert angemessener Frist stattfinden würde. Der Grund für diese Rechtsprechung liegt im Wesentlichen darin, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Aktualität des Rechtsschutzinteresses nicht als Sachurteilsvoraussetzung ansieht und das Bundesgericht eine allfällige Konventionsverletzung zudem durch eine entsprechende Feststellung wieder gutmachen könnte (BGE 136 I 274 E. 1.3; Urteil 1B_280/2021 vom 28. Juni 2021 E. 1).
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Praxisgemäss fällt das Rechtsschutzinteresse der beschuldigten Person in einem hängigen Rechtsmittelverfahren betreffend die Anordnung von Untersuchungshaft allerdings nicht dahin, wenn die Untersuchungshaft zufolge Zeitablaufs der angeordneten Haftperiode zwischenzeitlich durch einen neuen Haftentscheid verlängert wurde. Die beschuldigte Person befindet sich diesfalls ja weiterhin in Untersuchungshaft. Eine Gutheissung ihres Rechtsmittels würde dem zwischenzeitlich ergangenen Haftverlängerungsentscheid damit in den meisten Fällen die Grundlage entziehen, womit eine frühere Haftentlassung erwirkt werden könnte. Mit Blick auf das Beschleunigungsgebot in Haftsachen (Art. 5 Abs. 2 StPO, Art. 31 Abs. 4 BV, Art. 5 Ziff. 4 EMRK) und aus Gründen der Prozessökonomie hat die beschuldigte Person deshalb weiterhin ein schutzwürdiges Interesse an der Beurteilung ihres Rechtsmittels (BGE 139 I 206 E. 1.2; Urteile 1B_196/2021 vom 11. Mai 2021 E. 1; 1B_325/2018 vom 6. August 2018 E. 1).
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2.4. Gemäss dem angefochtenen Entscheid hatte die Vorinstanz Kenntnis davon, dass die Staatsanwaltschaft am 24. Januar 2022 beim Zwangsmassnahmengericht ein Gesuch um Haftverlängerung um drei Monate stellte. Im Urteilszeitpunkt befand sich der Beschwerdeführer somit weiterhin in Untersuchungshaft und stand deren Ende auch nicht fest. Gemäss den Mitteilungen der Verfahrensbeteiligten wurde die Haft vom Zwangsmassnahmengericht mit Verfügung vom 1. Februar 2022 bis am 29. April 2022 verlängert. Angesichts dessen macht der Beschwerdeführer mit Blick auf die vorerwähnte Rechtsprechung zu Recht geltend, dass er im vorinstanzlichen Verfahren bereits aufgrund der Tatsache der fortbestehenden Untersuchungshaft weiterhin ein aktuelles und praktisches Rechtsschutzinteresse an der Beurteilung seines Haftentlassungsgesuchs hatte, wäre mit dessen Gutheissung doch seine Haftentlassung verbunden. Nicht gefolgt werden kann in diesem Zusammenhang dem vorinstanzlichen Rechtsverständnis, wonach sich ein Haftentlassungsgesuch nur auf die jeweils angeordnete Haftperiode beziehe und nach deren Ablauf deshalb ein neues Gesuch gestellt werden müsse. Würde dieser Argumentation gefolgt, könnte der beschuldigten Person je nach Zeitpunkt der Gesuchseinreichung, der Auslastung der kantonalen Beschwerdeinstanz und der verfügten Haftdauer im unglücklichsten Fall dauernd eine gerichtliche Überprüfung der Haftvoraussetzungen verwehrt bleiben, weil der angefochtene Haftprüfungsentscheid immer wieder durch einen neuen Verlängerungsentscheid ersetzt würde. Dadurch würde einerseits das bundes-, verfassungs- und konventionsrechtlich geschützte Recht einer beschuldigten Person, jederzeit ein Gesuch um Haftentlassung stellen und dabei insbesondere das Vorliegen der Haftvoraussetzungen bestreiten zu können, komplett seines Gehalts entleert (vgl. zum Recht auf jederzeitige Überprüfung der Haftvoraussetzungen Art. 228 Abs. 1 StPO, Art. 31 Abs. 4 BV und Art. 5 Ziff. 4 EMRK; BGE 139 IV 191 E. 4.1; Urteil 1B_434/2016 E. 1.3; vgl. MARC FORSTER, in: Basler Kommentar StPO, 2. Aufl. 2014, N. 1 zu Art. 228 StPO). Andererseits widerspräche dies, wie vom Beschwerdeführer zu Recht geltend gemacht, offenkundig dem Beschleunigungsgebot in Haftsachen (vgl. Art. 5 Abs. 2 StPO, Art. 31 Abs. 4 BV, Art. 5 Ziff. 4 EMRK).
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2.5. Zusammengefasst hatte der Beschwerdeführer im vorinstanzlichen Urteilszeitpunkt ein aktuelles und praktisches Rechtsschutzinteresse an der Beurteilung seines Haftentlassungsgesuchs. Infolgedessen ist das vorinstanzliche Beschwerdeverfahren nicht gegenstandslos geworden und hätte die Vorinstanz auf die Beschwerde eintreten müssen.
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3.
 
3.1. Die Beschwerde ist nach dem Gesagten teilweise gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau ist aufzuheben. Die Sache ist zur materiellen Prüfung und Entscheidung über das Haftentlassungsgesuch des Beschwerdeführers vom 16. Dezember 2021 an die Vorinstanz zurückzuweisen. Dabei wird sie das Beschleunigungsgebot in Haftsachen zu beachten haben (Art. 5 Abs. 2 StPO Art. 31 Abs. 4 BV). Im Übrigen ist auf die Beschwerde nicht einzutreten.
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3.2. Bei diesem Verfahrensausgang werden keine Gerichtskosten erhoben (vgl. Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Der Kanton Aargau hat dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (vgl. Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird damit gegenstandslos.
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Demnach erkennt das Bundesgericht:
 
1.
 
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 31. Januar 2022 aufgehoben. Die Sache wird zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird auf die Beschwerde nicht eingetreten.
 
2.
 
Für das bundesgerichtliche Verfahren werden keine Gerichtskosten erhoben.
 
3.
 
Der Kanton Aargau hat Rechtsanwalt Michael Hunziker für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen.
 
4.
 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt.
 
Lausanne, 2. März 2022
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung
 
des Schweizerischen Bundesgerichts
 
Der Präsident: Kneubühler
 
Der Gerichtsschreiber: Hahn
 
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