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Bearbeitung, zuletzt am 16.03.2020, durch: Djamila Strößner, A. Tschentscher | |||
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Beschluß |
des Zweites Senats vom 9. März 1976 |
- 2 BvR 618/75 - |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn Helmut L.... - Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Silvia Oster, Dortmund 1, Bornstraße 68 - gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Hamm vom 16. Juli 1975 - 4 Ws 277/75 |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. |
Gründe | |
Das vorliegende Verfahren betrifft die Frage, ob ein zu Freiheitsstrafe und anschließender Sicherungsverwahrung Verurteilter nach Verbüßung der Strafe unterzubringen oder auf freien Fuß zu setzen ist, wenn bei Strafende eine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer über die Erforderlichkeit der Unterbringung noch aussteht.
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A. - I. | |
Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung sind durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts (1. StrRG) vom ![]() ![]() | 2 |
§ 67c Abs. 1 StGB lautet:
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Wird eine Freiheitsstrafe vor einer zugleich angeordneten Unterbringung vollzogen, so prüft das Gericht vor dem Ende des Vollzugs der Strafe, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Ist das nicht der Fall, so setzt es die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung aus; mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.
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Während die Anordnung der Sicherungsverwahrung dem erkennenden Gericht obliegt (§ 66 StGB), ist für Entscheidung nach § 67c Abs. 1 StGB die Strafvollstreckungskammer zuständig (§§ 78a Abs. 1 Satz 2 GVG, 463 StPO).
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II. | |
1. Der Beschwerdeführer war 1971 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt worden. Gleichzeitig hatte das Gericht Sicherungsverwahrung angeordnet. Strafende war der 23. Juni 1975. Im Anschluß daran wurde mit dem Vollzug der Sicherungsverwahrung begonnen.
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Am 6. Mai 1975 hatte die Strafvollstreckungskammer das Prüfungsverfahren nach § 67c Abs. 1 StGB eingeleitet. In dem zur mündlichen Anhörung des Beschwerdeführers bestimmten Termin vom 19. Juni 1975 beschloß sie, ein psychologisches Gutachten darüber einzuholen, ob von dem Verurteilten im Falle seiner Entlassung weitere Straftaten zu erwarten seien. Daraufhin rügte der Verurteilte mit der Beschwerde, daß die Kammer ![]() ![]() | 7 |
Durch Beschluß vom 16. Juli 1975 verwarf das Oberlandesgericht Hamm diese Beschwerde. In den Gründen führte es aus: Der Vollzug der durch rechtskräftiges Urteil angeordneten Sicherungsverwahrung sei nicht schon deshalb unzulässig, weil die Kammer vor Strafende noch keine Entscheidung nach § 67c Abs. 1 StGB getroffen habe. Von einem Freiheitsentzug ohne gesetzliche Grundlage könne ebensowenig die Rede sein wie im vergleichbaren Falle des Haftprüfungsverfahrens (§§ 121, 122 StPO), in dem eine verspätete Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht nach überwiegender Meinung die Anordnung weiterer Haftfortdauer nicht ausschließe. Zwar habe die Rechtsprechung mehrfach betont, die Prüfung nach § 67c Abs. 1 StGB müsse so rechtzeitig stattfinden, daß vor dem Ende des Strafvollzuges eine rechtskräftige Entscheidung vorliegen könne. Damit sei jedoch nur zum Ausdruck gebracht, daß die Prüfung nicht zu früh angestellt werden dürfe, weil die Beurteilung der Gefährlichkeit des Verurteilten im wesentlichen von seiner Entwicklung im Strafvollzug abhänge. Lediglich mit Rücksicht darauf, daß die Prüfung eine gewisse Zeit brauche, müsse sie schon vor dem Ende des Strafvollzuges beginnen. Im vorliegenden Falle komme es nicht darauf an, ob die Strafvollstreckungskammer rechtzeitig hätte entscheiden können, ganz abgesehen davon, daß sie die Sache zügig bearbeitet habe. Wenn sie sich im Termin vom 19. Juni 1975 noch kein abschließendes Bild habe machen können, so sei es nicht zu beanstanden, daß sie eine weitere Begutachtung angeordnet habe.
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2. Nach Eingang des Gutachtens wurde der Beschwerdeführer durch Beschluß der Strafvollstreckungskammer vom 16. Oktober 1975 zum 12. November 1975 bedingt aus der Sicherungsverwahrung entlassen und unter Führungsaufsicht gestellt, da er nunmehr eine ausreichende Gewähr dafür biete, ein Leben in Freiheit zu führen, ohne erneut straffällig zu werden. ![]() | 9 |
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1. Mit der am 31. Juli 1975 eingegangenen Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts macht der Beschwerdeführer geltend:
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Es verletze ihn in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 2 GG), daß seit dem 24. Juni 1975 die Sicherungsverwahrung vollzogen werde, obgleich die Strafvollstreckungskammer zu diesem Zeitpunkt noch keine Entscheidung nach § 67c Abs. 1 StGB getroffen hatte. Das beruhe im übrigen darauf, daß sie mit der ihr obliegenden Prüfung zu spät begonnen habe und das anschließende Verfahren grundlos verzögert worden sei. Dem Vollzug der Sicherungsverwahrung fehle somit die gesetzliche Grundlage. Eine "stillschweigende Vollstreckung" der Maßregel ließen die Gesetze nicht zu; damit würde das Rechtsstaatsprinzip verleugnet und der Willkür Vorschub geleistet.
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2. Nachdem der Beschwerdeführer bedingt entlassen ist, beantragt er nunmehr festzustellen, daß der Vollzug der Sicherungsverwahrung ohne vorausgegangenen Beschluß der Strafvollstreckungskammer sein Grundrecht auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 2 GG) verletzt habe.
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IV. | |
1. Der Bundesminister der Justiz, der für die Bundesregierung Stellung genommen hat, hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet:
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Die Auslegung des § 67c Abs. 1 StGB sei umstritten. Der Gesetzgeber habe die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht mehr - wie noch das frühere Recht - von einer auf den Zeitpunkt des Strafendes bezogenen Gefährlichkeitsprognose abhängig gemacht. Er sei davon ausgegangen, daß eine solche, lange im voraus zu stellende Prognose die Gerichte überfordere. Deshalb komme es für die Anordnung der Maßregel nach § 66 StGB allein darauf an, ob der Täter zur Zeit der Urteilsfällung ![]() ![]() | 14 |
Gegen diese Folgerung sprächen jedoch gewichtige Gründe. Würde im Fall einer nicht rechtzeitigen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer das auf Sicherungsverwahrung lautende Urteil "stillschweigend seine Wirksamkeit verlieren", so hinge die Vollstreckung der Maßregel gegebenenfalls von Umständen ab, auf die das Gericht keinen Einfluß habe. Auch sei zu bezweifeln, ob es dem Sinn der Maßregel entspräche, einen Schwerverbrecher, bei dem nach Lage der Dinge der Vollzug der Sicherungsverwahrung zu erwarten sei, allein deshalb auf freien Fuß zu setzen, weil die Strafvollstreckungskammer nicht rechtzeitig entschieden habe.
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Da die Auslegung des § 67c Abs. 1 StGB durch das Oberlandesgericht mit guten Gründen vertreten werden könne, fehle es der Freiheitsentziehung nicht an einer gesetzlichen Grundlage. Ob verfassungsrechtliche Bedenken dann geltend zu machen wären, wenn die gesetzlich vorgeschriebene Prüfung ganz unterbleibe oder grundlos verzögert werde, bedürfe keiner Entscheidung; denn ein solcher Fall liege nicht vor.
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2. Der Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen hat von der ihm gegebenen Gelegenheit, sich zur Verfassungsbeschwerde zu äußern, keinen Gebrauch gemacht.
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B. - I. | |
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
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Das Rechtsschutzinteresse an einer Sachentscheidung des Bundesverfassungsgerichts besteht fort. Zwar kommt eine Auf ![]() ![]() | 19 |
II. | |
Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch unbegründet.
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Die angegriffene Entscheidung und der Vollzug der Sicherungsverwahrung verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten, insbesondere nicht in seinem Grundrecht auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 und 2 GG).
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1. Es ist verfassungsgemäß, die Bestimmungen der §§ 66, 67c Abs. 1 StGB dahin auszulegen, daß der Vollzug der im Strafurteil angeordneten Sicherungsverwahrung auch dann zulässig ist, wenn die Strafvollstreckungskammer bei Strafende die Prüfung der Erforderlichkeit des Maßregelvollzuges zwar begonnen, aber noch nicht mit einer Entscheidung zum Abschluß gebracht hat. Der Vollzug der Sicherungsverwahrung in der Zeit zwischen dem Strafende und der Entscheidung nach § 67c Abs. 1 StGB beruht auch in diesem Falle auf einem förmlichen Gesetz (Art. 2 Abs. 2 Satz 3, 104 Abs. 1 Satz 1 GG) und einer richterlichen Entscheidung (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG). Denn Grundlage dieses Freiheitsentzuges ist die gemäß § 66 StGB getroffene Anordnung der Sicherungsverwahrung im Urteil des erkennenden Gerichts. Diese Grundlage reicht aus, um den Vollzug der Sicherungsverwahrung bis zur Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vor der Verfassung zu rechtfertigen.
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Allerdings ist es der erklärte Zweck der in den §§ 66, 67c Abs. 1 StGB getroffenen Regelung, das erkennende Gericht der Schwierigkeit zu entheben, bereits im Zeitpunkt der Urteilsfällung prognostizieren zu müssen, ob am Ende eines - womöglich langjährigen - Strafvollzuges der Verurteilte für die Allgemeinheit noch so gefährlich sein wird, daß anschließende Sicherungsverwahrung erforderlich ist. Dieser Gedanke hatte bereits in einem frühen Stadium der Bemühungen um eine Strafrechtsreform zu dem Vorschlag geführt, bei Strafende eine besondere gerichtliche Prüfung einzuschalten, die - unter Berücksichtigung der Entwicklung des Verurteilten im Strafvollzug - ein zeitnahes und darum verläßliches Urteil darüber erlaubt, ob von dem Verurteilten jetzt noch eine Gefahr ausgeht, die den Vollzug der Sicherungsverwahrung gebietet. Dieser Vorschlag - 1955 in der Großen Strafrechtskommission von Sieverts entwickelt (Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, 3. Band, 32. Sitzung, S. 160 und 363) - fand als § 105 Abs. 3 StGB Eingang in die Strafgesetzbuchentwürfe von 1960 und 1962 (E 1960, BTDrucks III/2150; E 1962, BTDrucks IV/650, S. 28, 236 f) und wurde dann mit dem Ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts in § 42g Abs. 1 StGB und später mit dem Zweiten Gesetz zur Reform des Strafrechts in § 67c Abs. 1 StGB geltendes Recht (vgl. BTDrucks V/4094, S. 18, 23; BTDrucks V/4095 S. 33). Seither wird allgemein angenommen, daß sich die bei Anordnung der Sicherungsverwahrung zu stellende Gefährlichkeitsprognose (§ 42e Abs. 1 Nr. 3 StGB, § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) nicht mehr - wie früher - auf das Ende des Strafvollzuges ("Entlassungsprognose"), sondern auf den Zeitpunkt der Urteilsfällung beziehtR (Dreher, StGB, 36 Aufl, § 67c Anm 2 A; Schönke-Schröder, StGB, 18. Aufl, § 67c Anm 1; BGH NJW 1976, S. 300; für § 42g Abs. 1 StGB bereits: Lang-Hinrichsen, LK, ![]() ![]() | 24 |
Daraus folgt jedoch keineswegs zwingend, daß diese Gefährlichkeitsprognose, die für jede Anordnung der Sicherungsverwahrung Voraussetzung ist (§ 66 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 StGB), nach der Urteilsfällung sogleich wieder gegenstandslos würde, ihre Gültigkeit also im Zeitpunkt des Strafendes ohne weiteres verloren hätte und darum den Vollzug der Sicherungsverwahrung bis zur Entscheidung der Strafvollstreckungskammer nicht rechtfertigen könnte. Vielmehr sprechen gute Gründe dafür, das Verhältnis zwischen der Anordnung der Maßregel im Strafurteil und der nach § 67c Abs. 1 StGB zu treffenden Entscheidung dahin zu bestimmen, daß die Gefährlichkeitsprognose des erkennenden Gerichts - ungeachtet des Zeitpunkts, für den sie gestellt ist - solange maßgebend bleibt, bis die Strafvollstreckungskammer unter Berücksichtigung der Entwicklung des Verurteilten während des Strafvollzuges darüber entschieden hat, ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Bei diesem Verständnis der gesetzlichen Regelung steht die dem Strafurteil zugrundeliegende Gefährlichkeitsprognose gewissermaßen unter der "auflösenden Bedingung" einer abweichenden Beurteilung durch das Vollstreckungsgericht, dem die Möglichkeit eingeräumt ist, die bei Urteilsfällung gestellte Prognose aufgrund der zwischenzeitlichen Entwicklung nachträglich zu revidieren (in diese Richtung weisen bereits Äußerungen von Maurach, Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, 4. Aufl, § 68 I D 4 und Petters-Preisendanz, StGB, 29. Aufl, § 67c Anm 1). Diese Auslegung, bei der die Vollstreckung der Maßregel noch vor dem Abschluß des in § 67c Abs. 1 StGB normierten Prüfungsverfahrens sowohl auf Gesetz als auch auf richterlicher Entscheidung beruht, ist nicht nur vertretbar, sondern liegt darüber hinaus nahe. Dies zeigt sich schon daran, daß andernfalls kaum zu verstehen wäre, wieso das Gesetz im Verfahren nach § 67c Abs. 1 StGB nicht die Sicherungsverwahrung als solche, sondern nur ihren Vollzug zur ![]() ![]() | 25 |
b) Auch für sich gesehen begründet § 67c Abs. 1 StGB keine gesetzliche Pflicht, den Verurteilten auf freien Fuß zu setzen, falls die Strafvollstreckungskammer die ihr obliegende Entscheidung bei Strafende noch nicht getroffen hat (so auch: Dreher, StGB, 36. Auf, § 67c, Anm 2 A; Pohlmann, Rechtspfleger 1970, S. 265 [271]; ders, StVollstrO, 5. Aufl, § 44, Anm I 1b; aA: Lang-Hinrichsen, LK, 9. Aufl, § 42g RdNr. 7 und offenbar auch Maetzel NJW 1970, S. 1263).
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Nach dem Gesetzeswortlaut "prüft das Gericht vor dem Ende des Vollzugs der Strafe", ob der Zweck der Maßregel die Unterbringung noch erfordert. Diese Formulierung läßt ohne Schwierigkeiten die Auslegung zu, daß die in Rede stehende Prüfung zwar vor dem Ende des Strafvollzuges begonnen haben muß, nicht aber stets schon abgeschlossen zu sein braucht. Darüber hinaus ist der Bestimmung auch unter Berücksichtigung ihrer Entstehungsgeschichte und des Gesetzeszwecks nicht zu entnehmen, daß eine verspätete Prüfung in jedem Falle zur Freilassung des Verurteilten führen soll. Mit Recht hat der Bundesjustizminister ausgeführt, es sei zu bezweifeln, ob es dem Sinn der Sicherungsverwahrung entspräche, müßte ein für die Allgemeinheit gefährlicher Hangtäter allein deshalb auf freien Fuß gesetzt werden, weil das Gericht nicht rechtzeitig darüber entscheiden konnte, ob das Risiko der Entlassung in die Freiheit verantwortet werden kann. Von Gewicht ist auch der Hinweis des Oberlandesgerichts, daß nach überwiegender Meinung (vgl. Dünnebier in: Löwe-Rosenberg, StPO, 22. Aufl, § 121 Anm 10 mit Nachweisen) - im Haftprüfungsverfahren (§§ 121, 122 StPO) eine verspätete Vorlage der Akten an das Oberlandesgericht keine Pflicht zur Haftentlassung begründe und der ![]() ![]() | 27 |
Schließlich kommt noch hinzu, daß die vom Oberlandesgericht vertretene Auslegung des § 67c Abs. 1 StGB Unzuträglichkeiten vermeidet. Wäre der Verurteilte freizulassen, wenn bei Strafende noch keine Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vorliegt, dann ließe sich der Zeitpunkt, in dem die Prüfung beginnen muß, nur schwer in sachgerechter Weise bestimmen. Würde die Prüfung schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt eingeleitet, so fehlte der Strafvollstreckungskammer ein Teil der Entscheidungsgrundlage, weil sie nicht zuverlässig beurteilen könnte, ob die Strafe, von der ein nicht unbeträchtlicher Teil noch gar nicht verbüßt ist, auf den Verurteilten derart gewirkt hat, daß sich der Vollzug der Sicherungsverwahrung erübrigt. Rückte die Strafvollstreckungskammer jedoch ihre Prüfung sehr nahe an das Ende des Strafvollzuges heran, so geriete sie in Gefahr, die Entscheidung aus verfahrenstechnischen Gründen nicht mehr rechtzeitig treffen zu können. Aus der Sicht des Verurteilten würde dies einen verstärkten Anreiz zur Verfahrensverzögerung bedeuten, während das Gericht sich zunehmend der Versuchung ausgesetzt sähe, unter Hintanstellung sachlicher Erwägungen auf jeden Fall zeitgerecht zu entscheiden. Ein derartiger "Wettlauf", dessen Ausgang nicht selten von Zufällen abhängen würde, wäre mit den Interessen einer geordneten Strafrechtspflege (vgl. dazu: BVerfGE 41, 246 [250]; 39, 156 [163] mit weiteren Nachweisen) schwerlich vereinbar.
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2. Bestehen hiernach gegen den Vollzug der Sicherungsverwahrung auch vor Abschluß des in § 67c Abs. 1 StGB vorge ![]() ![]() | 29 |
III. | |
Diese Entscheidung ist mit sechs gegen zwei Stimmen ergangen.
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Zeidler Geiger Rinck Wand Hirsch Rottmann Niebler Steinberger |
Abweichende Meinung des Richters Hirsch zu dem Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 9.März 1976 -2 BvR 618/75-. | |
Der vorstehenden Mehrheitsmeinung vermag ich mich nicht anzuschließen. ![]() | 31 |
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1. Grundlage für die Entziehung der persönlichen Freiheit ist das Vorliegen eines formellen Gesetzes (Art. 2 Abs. 2 Satz 3 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG) und eine vorherige richterliche Entscheidung (Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG). Jede zwangsweise Unterbringung ohne diese Voraussetzungen ist ein verfassungswidriger Eingriff in die Freiheit der PersonL (BVerfGE 22, 180 [218 f.]; vgl. Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz Bd II, 1973, Art. 104 Erl 19, 23, 26).
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In der Konkretisierung dieser Voraussetzungen im einfachen Recht ist der Gesetzgeber grundsätzlich frei (vgl. BVerfGE 9, 89 [95 f.]). Er ist allerdings verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, daß die jeweiligen Verfahrensnormen dem in Art. 104 Abs. 1 und 2 GG enthaltenen Kernbestand an rechtsstaatlichen Garantien Rechnung tragen und nicht weniger gewähren, als in diesem Kernbestand von Verfassungs wegen enthalten ist.
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a) Die Mehrheitsmeinung läßt eine verfassungskonforme Auslegung des § 67c Abs. 1 StGB am Maßstab des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG vermissen.
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Durch das 1. und 2. Strafrechtsreformgesetz vom 25. Juni 1969 (BGBl I 645) und vom 4. Juli 1969 (BGBl 1969 I 717; 1973 I 909) hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. Januar 1975 für die Anordnung und die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung ein zweistufiges Verfahren eingeführt. Nach dem früheren Recht wurde die Sicherungsverwahrung aufgrund der ![]() ![]() | 36 |
Hat sich der Gesetzgeber angesichts der Schwere des Eingriffs, die die dauernde Einschließung des Verurteilten bedeutet, für ein solches zweistufiges Verfahren entschieden, folgt daraus, daß die Vorschriften der §§ 66 und 67c Abs. 1 StGB im Lichte des durch sie beschränkten Grundrechts der persönlichen Freiheit zu sehen sind. Prüfungsnorm für den Vollzug der Sicherungsverwahrung ist daher nicht mehr § 66 StGB, sondern die Spezialbestimmung des § 67c Abs. 1 StGB. Nur die Entscheidung der Vollstreckungskammer über den Vollzug der Sicherungsverwahrung gemäß § 67c Abs. 1 StGB ist demzufolge die in Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG vorgesehene richterliche Entscheidung. Daß diese Entscheidung grundsätzlich nur vor Beginn der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ![]() ![]() | 37 |
Es ist daher nicht zulässig, dieses Ergebnis dadurch zu umgehen, indem man wie die Mehrheitsmeinung als Grundlage für die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG die Anordnung der Maßregel im Strafurteil ansieht, wenn eine Entscheidung des Vollstreckungsgerichts bei Strafende noch nicht vorliegt. Dies kommt einem Rückfall in den alten bis zum Inkrafttreten des 1. und 2. Strafrechtsreformgesetzes geltenden Rechtszustand gleich (§ 42e StGB aF), der in den §§ 66, 67c Abs. 1 StGB ausdrücklich neu gestaltet worden ist. Die Mehrheitsmeinung konstruiert aus der Anordnung der Sicherungsverwahrung im Strafurteil gewissermaßen einen Hilfs- oder Auffangtatbestand für den Vollzug der Sicherungsverwahrung, wenn das Vollstreckungsgericht seine Prüfung nicht rechtzeitig abgeschlossen hat, ein Ergebnis, das der Gesetzgeber durch die Vorschrift des § 67c Abs. 1 StGB gerade ausgeschlossen hat. Ebensowenig ist es angängig, die Anordnung im Strafurteil als fortwirkend unter der "auflösenden Bedingung" einer abweichenden Entscheidung durch das Vollstreckungsgericht anzusehen. Die Anordnung der Maßregel im Strafurteil ist nach geltendem Recht für die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung lediglich materiellrechtliche Voraussetzung ohne konstitutive Wirkung; konstitutive Wirkung für die Vollstreckung hat nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers ausschließlich die vorherige Entscheidung des Vollstreckungsgerichts.
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b) Nicht zu überzeugen vermag auch das Argument der Mehrheitsmeinung, ihre Ansicht werde auch dadurch gestützt, daß das Verfahren nach § 67c Abs. 1 StGB dem Vollstreckungsgericht nur die Befugnis zuerkenne, die Vollstreckung zur Be ![]() ![]() | 39 |
2. Eine andere Auslegung des § 67c Abs. 1 StGB ist im übrigen auch nach einfachem Recht nicht möglich.
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Der Begriff der "Prüfung" im Sinne dieser Vorschrift bedeutet "Entscheidung". Dies folgt bereits aus Wortlaut und Sinngehalt des Wortes "prüfen" (vgl. Trübners Deutsches Wörterbuch, 5. Band, Berlin 1954, 217 f; vgl. auch J. und ![]() ![]() | 41 |
a) Die Entscheidungskompetenz umfaßt sowohl den positiven wie den negativen Fall. Dies ist eine so selbstverständliche Folgerung, daß der Gesetzgeber auf eine explicite Regelung verzichten konnte. Sie ergibt sich im übrigen auch aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift. Schon in den zu § 105 Abs. 3 des Regierungsentwurfs eines Strafgesetzbuches 1962 gegebenen amtlichen Erläuterungen wurde ausgeführt, daß das Gericht entweder die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung bei positiver Prognose aussetze oder aber die Überweisung in den Vollzug anordne, wenn der Zweck der Maßregel und das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit dies erforderten (24. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, Materialien, a.a.O., Bd 4, 465; vgl. auch Grünwald, Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft, Bd 76, 1964, 660 ff, 661). Auch in den Beratungen zu § 42g StGB aF, der mit § 67c Abs. 1 StGB inhaltsgleich ist, wurde ausgeführt, daß aus § 42g StGB "klar (hervorgehe), daß am Ende des Vollzuges der Strafe über die Einweisung in die Sicherungsverwahrung zu entscheiden" sei (132. Sitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform am 6. Februar 1969, Materialien zur Strafrechtsreform, Bd 4, 2735).
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b) Aus der Prüfungskompetenz des Vollstreckungsgerichts folgt ferner, daß die abschließende Entscheidung vor dem Ende des Vollzuges der Strafe erfolgen muß. Die Ansicht der Mehrheit, daß man den Begriff der "Prüfung" auch dahingehend auslegen könne, daß die Prüfung lediglich vor Ende des Vollzuges der Strafe eingeleitet, nicht aber stets schon abgeschlossen sein muß, vermag nicht zu überzeugen. Wenn Prüfung notwendig Entscheidung bedeutet und der Gesetzgeber dieses Verfahren aus guten Gründen an das Ende der Strafverbüßung angesiedelt hat, ist eine solche Auslegung nicht möglich. Fehl geht insbesondere die von der Mehrheitsmeinung herangezogene ![]() ![]() | 43 |
Das Erfordernis rechtzeitiger Entscheidung über die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung kommt auch in der Vorschrift des § 67e StGB zum Ausdruck. Danach kann das Gericht nach Beginn der Vollstreckung der Sicherungsverwahrung jederzeit prüfen, ob die weitere Vollstreckung zur Bewährung auszusetzen ist (Abs. 1). Hierfür sind bestimmte Fristen festgesetzt (Abs. 2). Die Fristen laufen "von Beginn der ![]() ![]() | 44 |
3. Schließlich vermag auch die Ansicht der Mehrheit, daß von der hier vertretenen Auslegung des § 67c Abs. 1 StGB Unzuträglichkeiten in der Praxis zu befürchten seien, nicht zu überzeugen. Es ist nicht einzusehen, warum sich der Zeitpunkt, in dem die Prüfung einzuleiten ist, schwieriger bestimmen lassen ![]() ![]() | 45 |
Auch die Befürchtung der Mehrheitsmeinung, es könnte zu einem "Wettlauf" zwischen Gericht und Verurteilten kommen, wenn der Zeitpunkt des Strafendes als Ausschlußfrist für eine Entscheidung gälte, ist abgesehen davon, daß es sich dabei um rechtspolitische Überlegungen handelt, nicht überzeugend. Der von den Oberlandesgerichten genannte mehrmonatige Zeitraum vor Strafende bietet genügend Spielraum, um das Verfahren mit der notwendigen Beschleunigung (vgl. §§ 72, 77 StPO) durchzuführen. Eine falsche Planung darf nicht dazu führen, den Betroffenen nach Strafverbüßung weiterhin festzuhalten, um die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts abzuwarten.
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Schließlich ist das Argument der Mehrheitsmeinung, es sei zu befürchten, daß Hangtäter, bei denen der Maßregelvollzug zu erwarten sei, allein deshalb auf freien Fuß zu setzen seien, weil eine rechtzeitige Entscheidung des Vollstreckungsgerichts nicht vorliege, nicht überzeugend. Die Zahl der denkbaren Fälle dürfte ohnehin nur gering sein, da die Zahl der Sicherungsverwahrten stark zurückgegangen ist (Stand 28.2.1974: 377). Daraus folgt, daß die Zahl der Prüfungsfälle hinsichtlich der Erstvollstreckung der Sicherungsverwahrung nicht so hoch ist, als daß sie nicht rechtzeitig abgeschlossen werden könnten. Es ist unzulässig, aus der Möglichkeit der nicht rechtzeitigen Prüfung, die nur auf falscher Fristberechnung beruhen kann, auf die rechtliche Zulässigkeit einer Freiheitsentziehung ohne die erforderliche richterliche Anordnung zu schließen. Dieser Grundsatz gilt auch für zu Sicherungsverwahrung verurteilte Täter, bei denen erst die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer eine Klärung erbringen kann, ob die Voraussetzungen des § 66 StGB auch nach der Strafverbüßung noch gegeben sind. Das heißt, erst diese gerichtliche Ent ![]() ![]() | 47 |
In der vorliegenden Sache war somit die Einleitung des Prüfungsverfahrens durch die Strafvollstreckungskammer erst am 6. Mai 1975, also nur etwa eineinhalb Monate vor Strafende, bedenklich. Der Vollzug der Sicherungsverwahrung seit dem 24. Juni 1975 bis zu der verspätet - erst am 27. Oktober 1975 - ausgesprochenen bedingten Entlassung des Beschwerdeführers zum 12. November 1975 hatte zur Folge, daß er mehrere Monate zu Unrecht seiner Freiheit beraubt worden ist. Dies ist von Verfassungs wegen zu beanstanden, weil damit die Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG verletzt worden sind.
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