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Zitiert durch:
BVerfGE 160, 1 - Umschlagsverbot Kernbrennstoffe
BVerfGE 147, 253 - numerus clausus III
BVerfGE 145, 171 - Kernbrennstoffsteuergesetz
BVerfGE 103, 111 - Wahlprüfung Hessen
BVerfGE 90, 286 - Out-of-area-Einsätze
BVerfGE 90, 145 - Cannabis
BVerfGE 80, 354 - Totalverweigerung II
BVerfGE 79, 223 - Rentner-Pensionäre
BVerfGE 78, 232 - Landwirtschaftliche Altershilfe


Zitiert selbst:
BVerfGE 22, 49 - Verwaltungsstrafverfahren
BVerfGE 21, 139 - Freiwillige Gerichtsbarkeit


A.
I.
1. Das Höferecht dient der Erhaltung des Hofes als wirtschaf ...
2. a) § 1 Abs. 1 Satz 1 HöfeVfO verweist für H&oum ...
II.
B. – I.
II.
1. § 3 HöfeVfO weist den Landwirtschaftsgerichten die A ...
2. Das vorlegende Gericht begründet seine verfassungsrechtli ...
Bearbeitung, zuletzt am 19.12.2023, durch: Sabrina Gautschi, A. Tschentscher
BVerfGE 76, 100 (100)Zur Verfassungsmäßigkeit des § 3 der Verfahrensordnung für Höfesachen.
 
 
Beschluß
 
des Zweiten Senats vom 23. Juni 1987 gemäß § 24 BVerfGG
 
– 2 BvL 5/83 –  
in dem Verfahren zur Prüfung der Frage, ob § 3 der Verfahrensordnung für Höfesachen in der Fassung des Artikel 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Höfeordnung vom 29. März 1976 (BGBl. I S. 881 [885], ber. BGBl. 1977 I S. 288) mit Artikel 20 und Artikel 97 des Grundgesetzes vereinbar ist – Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Amtsgerichts Aachen vom 27. Mai 1983 (76 LwH 201/82) –.
 
 
Entscheidungsformel:
 
§ 3 der Verfahrensordnung für Höfesachen in der Fassung des Artikel 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Höfeordnung vom 29. März 1976 (Bundesgesetzbl. I S. 881 [885], ber. Bundesgesetzbl. 19771 S. 288) ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
 
 
Gründe:
 
 
A.
 
Die Vorlage betrifft die Frage, ob die gesetzliche Regelung in § 3 der Verfahrensordnung für Höfesachen (HöfeVfO) i.d.F. des Art. 2 des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Höfeordnung (2.HöfeOÄndG) vom 29. März 1976 (BGBl. I S. 881 [885], ber. BGBl. 1977 I S. 288) mit Art. 20 und Art. 97 des Grundgesetzes (GG) vereinbar ist.BVerfGE 76, 100 (100)
BVerfGE 76, 100 (101)I.
 
1. Das Höferecht dient der Erhaltung des Hofes als wirtschaftliche Einheit bei der Erbfolge. Nach dem Reichserbhofgesetz (REG) vom 29. September 1933 (RGBl. I S. 685) galt für alle hoffähigen landwirtschaftlichen Betriebe zwangsweise eine Sonderrechtsstellung, nach der der Hof unteilbar, unverfügbar und streng erbgebunden wurde. 1947 wurde das REG aufgehoben und das alte, vor Inkrafttreten des REG geltende Landesrecht wieder in Kraft gesetzt.
Nach der Höfeordnung (HöfeO) i.d.F. des 2. HöfeOÄndG ist das Höferecht fakultativ, d.h. vom Eigentümer frei wählbar oder ausschließbar. Höfe mit einem nach steuerlichen Vorschriften (ohne Berücksichtigung des Wohnteils) zu ermittelnden Wirtschaftswert von mehr als 20 000 DM sind Hof kraft Gesetzes, können aber durch Erklärung des Eigentümers die Hofeigenschaft verlieren und auch wiedererlangen. Höfe mit einem Wirtschaftswert zwischen 10 000 DM und 20 000 DM können nur durch Erklärung des Eigentümers die Hofeigenschaft erlangen und verlieren. Land- oder forstwirtschaftliche Besitzungen mit einem geringeren – d.h. unter 10 000 DM liegenden – Wirtschaftswert sind – im Gegensatz zum früheren Recht – vom Höferecht nunmehr ausgeschlossen.
2. a) § 1 Abs. 1 Satz 1 HöfeVfO verweist für Höfesachen auf das Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen (LwVG), soweit keine abweichenden Regelungen getroffen sind. Dies bedeutet grundsätzliche Zuweisung der Höfesachen in den allgemeinen Verfahrensbereich des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit – FGG – (§ 9 LwVG). Es gilt der für Amtsermittlungen maßgebliche Untersuchungsgrundsatz (§ 12 FGG), der auch in den Spezialvorschriften der §§ 2,3, 6 bis 10 HöfeVfO Ausdruck findet.
b) Gemäß § 2 Abs. 1 HöfeVfO wird eine Besitzung, die nach den höferechtlichen Vorschriften Hof ist oder aufgrund einer Erklärung des Eigentümers Hof werden kann, auf Ersuchen des Landwirtschaftsgerichts im Grundbuch als Hof eingetragen; dasselbe gilt für Ehegattenhöfe (§ 2 Abs. 2 HöfeVfO). Alle höferechtlichen ErkläBVerfGE 76, 100 (101)BVerfGE 76, 100 (102)rungen über Begründung und Aufhebung der Hof- bzw. Ehegattenhofeigenschaft sind einheitlich dem Landwirtschaftsgericht gegenüber abzugeben; dieses hat die Eintragung oder Löschung des Hof- bzw. Ehegattenhofvermerks zu veranlassen. Der Hofvermerk wird in der Aufschrift des Grundbuchs des Hofes eingetragen. Ihm kommt vor allem Bedeutung im Hinblick auf die Entstehung und den Verlust der Hofeigenschaft zu. Ferner begründet der Hofvermerk die widerlegbare Vermutung (§ 5 HöfeVfO), daß die Besitzung die eingetragene Hofeigenschaft hat. c) § 3 HöfeVfO lautet:
    § 3
    Ersuchensgrundsatz
    (1) Das Landwirtschaftsgericht ersucht das Grundbuchamt um Eintragung oder Löschung des die Eigenschaft als Hof oder als Ehegattenhof ausweisenden Vermerks (Hofvermerk)
    1. von Amts wegen, wenn für die Entstehung eines Hofes oder Ehegattenhofes oder für den Verlust der Eigenschaft als Hof oder als Ehegattenhof nach den höferechtlichen Vorschriften eine Erklärung des Eigentümers nicht vorausgesetzt ist;
    2. auf Grund der Erklärung des Eigentümers, wenn die Eintragung oder Löschung des Hofvermerks nach den höferechtlichen Vorschriften von einer Erklärung des Eigentümers abhängt.
    (2) Ersucht das Landwirtschaftsgericht um die Löschung eines die Eigenschaft als Ehegattenhof ausweisenden Vermerks, so hat es, soweit die Besitzung die Eigenschaft als Hof behält, zugleich das Grundbuchamt von Amts wegen um die Eintragung des Hofvermerks zu ersuchen.
    (3) Über ein von ihm zu stellendes Ersuchen befindet das Landwirtschaftsgericht ohne Zuziehung ehrenamtlicher Richter.
II.
 
Aufgrund einer von der Finanzverwaltung zur Verfügung gestellten Computerliste leitete das Amtsgericht Aachen (Landwirtschaftsgericht) am 10. März 1982 ein Verfahren zur Prüfung ein, ob es sich bei einem in Stolberg gelegenen landwirtschaftlichen Anwesen um einen Hof bzw. Ehegattenhof i. S. d. HöfeO handelt. Der Akt wurde zunächst an das örtlich zuständige Grundbuchamt in Eschweiler geleitet. Das Grundbuchamt reichte ihn zurück mit demBVerfGE 76, 100 (102) BVerfGE 76, 100 (103)Bemerken, daß die Besitzung in den Grundbüchern von Stolberg und Gressenich eingetragen und mit Hofvermerk versehen sei. Das Landwirtschaftsgericht ersuchte das Finanzamt Aachen-Land (Rothe Erde) um Auskunft, welchen Wirtschaftswert das Anwesen habe und welche Flurstücke dem Wirtschaftswert im einzelnen zugrunde lägen. Das Finanzamt teilte mit, daß sich der Wirtschaftswert (Stichtag 1. Januar 1964) auf 21 614 DM belaufe und der Bewertung die vom Grundbuchamt bezeichneten Flurstücke zugrunde lägen.
Am 27. Mai 1983 erließ das Amtsgericht Aachen folgenden Beschluß:
    "Das Verfahren wird ausgesetzt. Die Sache wird dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG zur Entscheidung darüber vorgelegt, ob § 3 Höfeverfahrensordnung NRW mit Art. 20 GG und Art. 97 GG vereinbar ist. Gründe:
    § 3 Höfeverfahrensordnung soll die gesetzliche Grundlage für die Durchführung des vorliegenden Verfahrens sein. Diese Vorschrift wird in Nordrhein-Westfalen als zwingende Anweisung an den Landwirtschaftsrichter verstanden, an Hand von Computerlisten der Finanzämter, die der Richter auf Anweisung seiner Vorgesetzten anfordern muß, den gesamten landwirtschaftlichen Besitz in seinem Bereich zu überprüfen, ohne Rücksicht auf etwaige Verletzungen des Steuergeheimnisses und des Datenschutzes ...
    Ist diese Auslegung des § 3 Höfeverfahrensordnung verbindlich und mit der Verfassung vereinbar, so muß das vorliegende Verfahren fortgeführt werden.
    Ist diese Auslegung nicht mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung vereinbar, weil die generelle Höfeerfassung Verwaltungstätigkeit ist und nicht richterliche Tätigkeit, so muß das vorliegende Verfahren eingestellt werden. Ist die Auslegung nicht verbindlich, weil es mit der richterlichen Unabhängigkeit nicht vereinbar ist, daß die Justizverwaltung dem Richter vorschreibt, daß er Computerlisten des Finanzamtes als Beweismittel heranziehen muß, so ist das Verfahren ebenfalls einzustellen. Ist allein dieBVerfGE 76, 100 (103) BVerfGE 76, 100 (104)Auslegung des § 3 Höfeverfahrensordnung, daß diese Vorschrift nur das einzelne, laufende Verfahren betrifft, mit dem Grundgesetz vereinbar, so ist das vorliegende Verfahren ebenfalls einzustellen, wie auch ca. 2000 weitere anhängige Verfahren."
 
Gegen die Zulässigkeit der Vorlage bestehen erhebliche Bedenken.
Nach Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) muß der Vorlagebeschluß aus sich heraus ohne Beiziehung der Akten verständlich sein und zumindest eine gedrängte Darstellung des wesentlichen Sachverhalts enthalten; ihm muß vor allem zu entnehmen sein, aus welchen Erwägungen das vorlegende Gericht die von ihm als verfassungswidrig erachtete Vorschrift im Ausgangsverfahren für entscheidungserheblich hält. Entscheidungserheblich ist eine Norm nur dann, wenn die Endentscheidung von der Gültigkeit des für verfassungswidrig gehaltenen Gesetzes abhängt (BVerfGE 50, 108 [113] m.w.N.). Schließlich müssen in einem Vorlagebeschluß der verfassungsrechtliche Prüfungsmaßstab angegeben und die Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm näher dargelegt werden. Der Beschluß hat sich eingehend mit der Rechtslage auseinanderzusetzen und dabei die in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen zu berücksichtigen, die für die Auslegung der zur Prüfung vorgelegten Norm von Bedeutung sind (BVerfGE 65,308 [316]; 66,265 [269 f.]).
Ob der Vorlagebeschluß diesen Anforderungen gerecht wird, kann dahinstehen. Er ist in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht aus sich selbst heraus kaum verständlich, geht auf das Ausgangsverfahren nicht ein und macht weder die Entscheidungserheblichkeit der zur Prüfung gestellten Norm für das konkrete Verfahren noch – mangels Auseinandersetzung mit der Verfassungsrechtslage – die Unvereinbarkeit des § 3 HöfeVfO mit dem Grundgesetz hinreichend deutlich.BVerfGE 76, 100 (104)
BVerfGE 76, 100 (105)Auch die eigene Überzeugung des vorlegenden Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Norm ist nicht dargetan. Das Gericht scheint eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Auslegung und Anwendung des § 3 HöfeVfO für möglich zu halten. Wenn und soweit auf dem Wege über eine verfassungskonforme Auslegung die Nichtigkeitserklärung einer Norm vermieden werden kann, erübrigt sich eine Vorlage beim Bundesverfassungsgericht. Eine solche kommt vielmehr nur dann in Betracht, wenn das vorlegende Gericht von der Unmöglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung und damit von der Unhaltbarkeit des Gesetzes überzeugt ist.
 
Den Bedenken gegen die Zulässigkeit der Vorlage braucht jedoch nicht weiter nachgegangen zu werden; denn § 3 HöfeVfO ist mit dem Grundgesetz vereinbar. Der Gesetzgeber konnte ohne Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Art. 92 und Art. 97 GG die Höfeerfassung auf die Landwirtschaftsgerichte übertragen. Die gegenteilige Auffassung des vorlegenden Gerichts ist offensichtlich unbegründet. Daher kann nach § 24 BVerfGG verfahren werden, ohne daß es einer abschließenden Entscheidung bedarf, ob die Vorlage zulässig ist (BVerfGE 53, 100 [106]; 59, 36 [46]; 66, 248 [256 f.]; jeweils m.w.N.).
1. § 3 HöfeVfO weist den Landwirtschaftsgerichten die Aufgabe zu, die dem Höferecht unterliegenden Höfe von Amts wegen zu erfassen; denn die Höfeerfassung ist Voraussetzung für Eintragungs- bzw. Löschungsersuchen nach dieser Vorschrift. Im Rahmen dieser Erfassung hat das Landwirtschaftsgericht entsprechend den Grundsätzen des LwVG und des FGG die erforderlichen Ermittlungen anzustellen und die notwendigen Feststellungen zu treffen. Die Höfeerfassung stellt eine Aufgabe der Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit dar; diese sind hier dazu berufen, unzutreffende Eintragungen zur Vermeidung von Nachteilen für den Rechtsverkehr zu beseitigen. Mit der Änderung des § 1 HöfeO durch das 2. HöfeOÄndG verloren viele land- und fortwirtschaftliche BesitBVerfGE 76, 100 (105)BVerfGE 76, 100 (106)zungen, bei denen aufgrund der früheren Bestimmungen ein Hof- bzw. Ehegattenhofvermerk eingetragen war, mit Ablauf der Übergangsfrist des Art. 3 § 1 Abs. 2 2. HöfeOÄndG ihre höferechtliche Eigenschaft. Es war ein Gebot der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit, soweit und sobald wie möglich von Amts wegen wieder eine Übereinstimmung zwischen der neuen Rechtslage und dem Grundbuchinhalt herzustellen.
2. Das vorlegende Gericht begründet seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 3 HöfeVfO im wesentlichen damit, daß die Höfeerfassung Verwaltungstätigkeit sei und die Beauftragung eines Richters mit dieser Tätigkeit den Gewaltenteilungsgrundsatz verletze. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Ob die Wahrnehmung einer Aufgabe als "Rechtsprechung" anzusehen ist, hängt wesentlich von der verfassungsrechtlichen, traditionellen oder durch den Gesetzgeber vorgenommenen Qualifizierung ab (BVerfGE 22, 49 [76 ff.]; 64,175 [179]). Nicht alles, was zu den Aufgaben der Gerichte gehört, ist materielle Rechtsprechung, die nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2, 92 GG den Richtern vorbehalten ist (BVerfGE 22,49 [78]). Der Gesetzgeber ist nicht gehindert, Aufgaben, die nicht ohne weiteres zu den regelmäßigen und typischen Aufgaben der Gerichte gehören, dem Richter anzuvertrauen, sofern das Grundgesetz deren Wahrnehmung nicht einer anderen Gewalt vorbehält (BVerfGE 64,175 [179]; speziell für die freiwillige Gerichtsbarkeit BVerfGE 21,139 [144]). Für die Höfeerfassung ist ein solcher Vorbehalt nicht ersichtlich. Sie steht in einem engen Zusammenhang mit den übrigen Aufgaben der Landwirtschaftsgerichte in Höfesachen, die seit jeher vom Richter wahrgenommen werden. Der Gesetzgeber war weder durch Art. 20 Abs. 2 Satz 2, 92 noch durch Art. 97 GG gehindert, die Durchführung der Höfeerfassung auf die Landwirtschaftsgerichte zu übertragen.
(gez.) Zeidler Dr. Dr. h. c. Niebler Steinberger Träger Mahrenholz Böckenförde Klein GraßhofBVerfGE 76, 100 (106)