BGE 119 II 264 - Gleichgeschlechtliche Ehe | |||
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Bearbeitung, zuletzt am 15.03.2020, durch: Sabiha Akagündüz, A. Tschentscher | |||
53. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung |
vom 3. März 1993 |
i.S. X. |
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) | |
Regeste |
Anerkennung einer im Ausland geschlossenen Ehe (Art. 45 IPRG; Art. 54 BV; Art. 8 und 12 EMRK). |
Eine Ehe unter gleichgeschlechtlichen Personen verstösst gegen den schweizerischen Ordre public und darf deshalb nicht anerkannt werden (E. 3); die Nichtanerkennung verletzt weder Art. 54 BV noch Art. 8 oder 12 EMRK (E. 4 und 5). |
Verfahren für den rechtlichen Nachvollzug der medizinisch durchgeführten Geschlechtsumwandlung. |
Die Eintragung der Geschlechtsänderung in das Zivilstandsregister setzt voraus, dass die betroffene Person das neue Geschlecht - mit einer Statusklage - durch den Richter hat feststellen lassen (E. 6). Im Falle internationaler Verflechtung gilt Art. 33 Abs. 1 IPRG (E. 7). | |
Sachverhalt | |
A.- Am 15. Dezember 1988 wurde in Kopenhagen (Dänemark) die Ehe zwischen dem in der Schweiz heimatberechtigten A. Y. und B. X. aus Brasilien geschlossen. Wie im Verlaufe des Jahres 1990 bekannt wurde, war die Person, die als Braut aufgetreten war, am 6. Oktober 1955 in Brasilien als Sohn des C. R. und der D. S. unter dem Namen F. R. geboren worden. Am 9. Januar 1988 hatte sie sich einer geschlechtsumwandelnden Operation unterzogen. Eine entsprechende Änderung der Zivilstandsregister fand jedoch nicht statt. Bei der Trauung wies sich die als Braut auftretende Person mit einem auf B. X. lautenden Pass aus, in den sie ihr Foto eingesetzt hatte.
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Mit Eingabe vom 2. Dezember 1991 stellte B. Y. - X. beim Departement des Innern des Heimatkantons von A. Y. als Aufsichtsbehörde über das Zivilstandswesen das Gesuch, es sei die am 15. Dezember 1988 in Kopenhagen geschlossene Ehe anzuerkennen und das Zivilstandsamt der Heimatgemeinde anzuweisen, den entsprechenden Registereintrag vorzunehmen.
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Am 4. Mai 1992 verfügte das Departement, dass die Ehe nicht anerkannt und der verlangte Registereintrag verweigert werde.
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B. X. (eigentlich F. R.; im folgenden der Beschwerdeführer) hat Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht erhoben mit dem Antrag, die Verfügung vom 4. Mai 1992 sei aufzuheben und dem beim kantonalen Departement eingereichten Gesuch sei zu entsprechen.
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Das kantonale Departement des Innern beantragt Abweisung der Beschwerde. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (Bundesamt für Justiz) hat erklärt, es schliesse sich im wesentlichen der Rechtsauffassung der kantonalen Instanz an.
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Auszug aus den Erwägungen: | |
Aus den Erwägungen:
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Erwägung 2 | |
2.- Die Anerkennung und Registrierung der zwischen dem Beschwerdeführer und A. Y. in Dänemark geschlossenen Ehe hat das Departement des Innern des Kantons ... mit der Begründung verweigert, es handle sich registermässig um eine Ehe unter gleichgeschlechtlichen Personen. Eine solche könne in der Schweiz nicht anerkannt werden.
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Erwägung 3 | |
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Erwägung 4 | |
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Gegebenenfalls berücksichtigt es dabei allerdings die Konkretisierung bestimmter Rechtsgrundsätze durch die Konventionsorgane (BGE 112 Ia 99 E. 3 mit Hinweis).
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d) Aus dem Gesagten erhellt, dass die Verweigerung des vom Beschwerdeführer angestrebten Registereintrags durch die kantonale Instanz unter den gegebenen Umständen weder gegen Art. 54 BV noch gegen Art. 12 EMRK verstösst. Insbesondere ist auch aus der Sicht dieser Bestimmungen unbehelflich, dass der Beschwerdeführer nach seinem Empfinden und nach seiner sozialen Stellung eine Frau sei.
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Erwägung 5 | |
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Bei der Prüfung der Frage, inwiefern der Staat in diesem Bereich eine positive Handlungspflicht habe, hat der Gerichtshof stets darauf hingewiesen, dass das jeweilige nationale Recht für ein gerechtes Gleichgewicht zwischen den Interessen der Allgemeinheit und denjenigen des Individuums (d.h. des Transsexuellen) sorgen müsse. Nach seiner Ansicht ist ein Staat nicht verpflichtet, sein bestehendes Registersystem allenfalls grundlegend zu revidieren (Urteil Rees, § 42 lit. a; Urteil Cossey, § 38 lit. a). Der Gerichtshof hat denn etwa dafürgehalten, dass die blosse Weigerung, das Geburtsregister zu ändern oder Geburtsscheine mit einem vom Register abweichenden Inhalt auszustellen, keinen "Eingriff" im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK darstelle (Urteil Rees, § 35). Die angeführten grundsätzlichen Überlegungen hat er auch im Urteil vom 25. März 1992 in Sachen B. gegen Frankreich (Serie A Nr. 232-C) bestätigt, zumal in wichtigen mit dem Transsexualismus zusammenhängenden Fragen (z.B. Zustimmung zur geschlechtsumwandelnden Operation; Bedingungen, unter denen eine Geschlechtsänderung bewilligt werden kann; rechtliche Auswirkungen mit Bezug auf eine bestehende oder eine in der Zukunft zu schliessende Ehe) unter den Konventionsstaaten noch kein genügend breiter Konsens vorhanden sei, um von der bisherigen Betrachtungsweise abzuweichen (§ 48). Hingegen ist WILDHABER (Rz. 223 zu Art. 8) der Ansicht, dass zu den positiven Handlungs- und Schutzpflichten der Staaten gegenüber Transsexuellen eine Verpflichtung zur Berichtigung der Geburtsregister und Identitätspapiere oder wenigstens zur Ausstellung von Dokumenten, welche nur die neue Identität bescheinigen, gezählt werden sollte.
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Erwägung 6 | |
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Bei der Behandlung der Begehren betreffend Feststellung des neuen Geschlechts und entsprechende Änderung der Registereinträge zogen die Gerichte anfänglich zum Teil Art. 45 ZGB (analog) heran, wonach - unter dem Vorbehalt der Berichtigung auf offensichtlichem Versehen oder Irrtum beruhender Fehler durch die Aufsichtsbehörde (Abs. 2) - eine Eintragung nur auf Anordnung des Richters berichtigt werden darf (Abs. 1). Zutreffend wird die in Frage stehende Klage heute allgemein als Statusklage besonderer Art qualifiziert, geht es doch bei der Geschlechtsumwandlung eines transsexuellen Menschen um eine nachträgliche Änderung des Personenstandes, nicht um die Berichtigung eines von Anfang an falschen Eintrags (vgl. URS PETER CAVELTI, Berichtigung und Statusklage, deren Abgrenzung und Anwendung, in ZZW 1980, S. 69; PIERRE AUBERT/HÉL8NE REICH, Der Eintrag der Geschlechtsänderung in die Zivilstandsregister, in ZZW 1987, S. 4 f.; dazu auch BGE 92 II 132 E. 3). Die Klage lässt sich etwa mit der Feststellungsklage vergleichen, die BGE 41 II 425 ff. zugrundegelegen und ein Kind betroffen hatte, das einzig in den einschlägigen französischen Registern - als Kind einer falschen Mutter - eingetragen worden war.
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Erwägung 7 | |
7.- Das Geschlecht einer Person ist wie der Name ein Element der Persönlichkeit. Im Falle internationaler Verflechtung sind - abweichende gesetzliche Regelung vorbehalten - für die Beurteilung von personenrechtlichen Verhältnissen die schweizerischen Gerichte am Wohnsitz zuständig; sie wenden das Recht am Wohnsitz an (Art. 33 Abs. 1 IPRG). Damit ist dem Vorbringen des Beschwerdeführers, registermässig sei für ihn - auf dem Weg der Berichtigung nach Art. 45 ZGB - eine Änderung des Personenstandes, die sein Heimatstaat Brasilien gestützt auf eine Geschlechtsumwandlung nicht zulasse, nur möglich, wenn die in Dänemark geschlossene Ehe hier anerkannt und in das Familienregister eingetragen werde, der Boden entzogen. Der Beschwerdeführer hat die Möglichkeit, an seinem schweizerischen Wohnsitz eine Klage auf Feststellung seines neuen Personenstandes (Geschlechts) einzureichen.
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