BVerfGE 12, 296 - Parteienprivileg |
1. Bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen. Insofern kommt dieser Entscheidung konstitutive Bedeutung zu. |
2. Das in erster Linie die Parteiorganisation schützende Privileg des Art. 21 Abs. 2 GG erstreckt sich auch auf die mit allgemein erlaubten Mitteln arbeitende parteioffizielle Tätigkeit der Funktionäre und Anhänger einer Partei. Ihre Tätigkeit ist durch das Parteienprivileg auch dann gestützt, wenn ihre Partei durch eine spätere Entscheidung des BVerfG für verfassungswidrig erklärt wird. |
3. Die Rechtsordnung kann nicht ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit die verfassungsrechtlich eingeräumte Freiheit, eine Partei zu gründen und für sie im Verfassungsleben zu wirken, nachträglich als rechtswidrig behandeln. |
Urteil |
des Zweiten Senats vom 21. März 1961 auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 31. Januar 1961 |
-- 2 BvR 27/60 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des kaufmännischen Angestellten ... |
Entscheidungsformel: |
1. Das Urteil des Landgerichts Lüneburg ... |
2. § 90a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs vom 15. Mai 1871 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. August 1953 (BGBl. I S. 1083) verstößt insoweit gegen Artikel 21 des Grundgesetzes und ist nichtig, als er das Gründen und Fördern politischer Parteien mit Strafe bedroht. § 90a Absatz 3 des Strafgesetzbuchs ist wegen Verstoßes gegen Artikel 21 des Grundgesetzes nichtig. |
Gründe: |
A. |
1. Das Strafrechtsänderungsgesetz vom 30. August 1951 (BGBl. I S. 739) hat in den Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs u. a. einen Abschnitt über "Staatsgefährdung" eingefügt (§§ 88 bis 98 StGB). Zu den Bestimmungen dieses Abschnitts gehört § 90 a StGB. Er lautet:
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"(1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, oder wer die Bestrebungen einer solchen Vereinigung als Rädelsführer oder Hintermann fördert, wird mit Gefängnis bestraft.
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(2) In besonders schweren Fällen kann auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren erkannt werden. Daneben kann Polizeiaufsicht zugelassen werden.
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(3) Ist d Vereinigung eine politische Partei im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes, so darf die Tat erst verfolgt werden, nachdem das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, daß die Partei verfassungswidrig ist."
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2. Der Beschwerdeführer war von 1951 bis zu seiner Verhaftung im März 1956 als hauptamtlicher, leitender Funktionär der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft (GDSF), einer kommunistischen Tarnorganisation, im Bundesgebiet tätig. Gleichzeitig war er Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Er stellte zwischen der GDSF und dem Parteivorstand der KPD die Verbindung her. Das Landgericht Lüneburg bestrafte ihn durch Urteil vom 13. November 1956 wegen Betätigung in diesen beiden Organisationen mit zwei Jahren Gefängnis. Es würdigte dabei sein Handeln für die GDSF als Verbrechen und Vergehen nach §§ 90 a, 128, 129 Abs. 1 und 2, 94 und 73 StGB und das damit in untrennbarem Zusammenhang stehende Fördern der KPD als weiteres Vergehen nach § 90 a StGB, das einheitlich mit der übrigen Tat begangen sei (§ 73 StGB).
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Die Revision des Beschwerdeführers gegen das Urteil des Landgerichts blieb im wesentlichen erfolglos. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs verwarf sie durch Urteil vom 3. April 1957 unter Aufhebung einer hier nicht interessierenden Nebenentscheidung. Er führte aus, es bestehe keinerlei Anlaß, die Bestrafung des Beschwerdeführers wegen Förderns der GDSF zu erörtern. Auch seine Verurteilung wegen Förderns der KPD halte der rechtlichen Überprüfung stand. Die Auffassung der Revision, die Vorschrift des § 90 a Abs. 3 StGB enthalte eine nach Art. 103 Abs. 2 GG verbotene Rückwirkung und sei deshalb verfassungswidrig, sei unrichtig; ebenso unzutreffend sei die Ansicht, eine Partei verliere die bevorzugte Stellung aus Art. 21 GG erst mit dem Spruch des Bundesverfassungsgerichts. Art. 21 Abs. 2 GG besage nur, daß die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit einer Partei dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten sei. Zu welchem Zeitpunkt sie sich auswirke und gegen wen, hänge von der Natur und dem Inhalt der Vorschriften ab, um deren Anwendung es sich handle. Nach § 90 a Abs. 3 StGB sei die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Verfahrensvoraussetzung, nicht eine materielle Voraussetzung der Verurteilung. Der gesetzliche Tatbestand, der das unter Strafdrohung gestellte Unrecht abstrakt umschreibe, sei in Absatz 1 dieser Vorschrift abschließend und hinreichend bestimmt. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, welche die Verfassungswidrigkeit der Partei feststelle, bilde weder einen Teil des äußeren Tathergangs noch brauche sie vom Vorsatz des Täters umfaßt zu sein. Ihre Bedeutung erschöpfe sich darin, daß ihr Fehlen die Gerichte an der Verfolgung einer Tat hindere, deren Strafbarkeit sachlich allein nach § 90 a Abs. 1 StGB zu beurteilen sei. Darin liege keine verbotene Rückwirkung des Strafgesetzes nach Art. 103 Abs. 2 GG. Der Sinn der Vorschrift des § 90 a Abs.3 StGB bestehe vielmehr darin, daß der Gesetzgeber die Feststellung eines zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstandes dem ordentlichen Gericht entzogen und der die Strafgerichte bindenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorbehalten und die Durchführung eines Strafverfahrens von dem vorherigen Entscheid dieses Gerichts abhängig gemacht habe.
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3. Mit der beim Bundesverfassungsgericht am 15. Juni 1957 eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer, es verstoße gegen Art. 103 Abs. 2 und Art. 21 GG, daß er durch die Urteile des Landgerichts Lüneburg und des Bundesgerichtshofs auch wegen Förderns der KPD bestraft worden sei.
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Zur Begründung führt er aus:
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Die Auslegung des § 90 a StGB in diesen Entscheidungen führe nach Sinn und Ergebnis zu einer durch Art. 103 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich verbotenen Rückwirkung eines Strafgesetzes. Nach § 90 a Abs. 3 StGB hänge die Zulässigkeit der Strafverfolgung von einem in der Zukunft liegenden Ereignis, nämlich der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit einer Partei ab. Diese Abhängigkeit sei eine andere als etwa die, die durch das Erfordernis eines Strafantrags hervorgerufen werde. Diese liege außerhalb des gesetzlichen Tatbestands; durch jene jedoch werde über ein Tatbestandsmerkmal, nämlich die Verfassungswidrigkeit der Partei, entschieden. Erst nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit einer Partei sei die Strafbarkeit der in § 90 a StGB bezeichneten Handlungen, soweit sie sich auf politische Parteien bezieht, genügend gesetzlich bestimmt; erst dann wisse der einzelne, daß seine Handlungen strafbar sind, und könne sein Verhalten entsprechend einrichten.
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Außerdem lehne sich § 90 a StGB in seiner Formulierung an Art. 9 Abs. 2 GG an. Politische Parteien seien aber nicht Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 2 GG. Wegen des in Art. 9 Abs. 2 GG unmittelbar ausgesprochenen Verbots bestimmter Vereinigungen könne die Tätigkeit für sie ohne weiteres strafrechtlich verfolgt werden. Die von Art. 9 Abs. 2 GG nicht betroffenen Parteien verlören dagegen die ihnen nach Art. 21 GG zustehenden Privilegien erst mit dem ihre Verfassungswidrigkeit feststellenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts, und zwar ex nunc. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts beseitige die bis dahin bestehende verfassungsrechtliche Garantie der Tätigkeit einer Partei; es wirke insoweit konstitutiv. Die verfassungsrechtliche Garantie der Parteitätigkeit erstrecke sich auch auf die "parteiamtliche" Tätigkeit der Funktionäre der Partei. Die leitenden Funktionäre seien bis zum Spruch des Bundesverfassungsgerichts häufig Mitglieder gesetzgebender Körperschaften. Wenn gegen solche Funktionäre, deren politisches und parlamentarisches Tun der Staat zunächst honoriert habe (Immunität, Diäten, Freifahrt usw.), nunmehr auf Jahre rückwirkend ein Strafanspruch geltend gemacht werde, liege darin ein unzulässiges "venire contra factum proprium".
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4. Der Bundesminister der Justiz hat sich wie folgt geäußert:
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Nach § 90 a Abs. 3 StGB hänge nicht die Strafbarkeit, sondern lediglich die Strafverfolgung von der Voraussetzung ab, daß das Bundesverfassungsgericht vorher die Verfassungswidrigkeit einer bestimmten Partei feststelle. Art. 103 Abs. 2 GG fordere nur, daß das Strafgesetz, nach dem der Täter bestraft werde, im Zeitpunkt der Tat in Kraft gewesen sein müsse. Dagegen verstoße § 90 a StGB nicht. Die Bestimmung gelte nur für Taten, die seit ihrem Inkrafttreten am 1. September 1951 begangen worden seien. Art. 103 Abs. 2 GG beziehe sich nicht auf die Voraussetzungen der Strafverfolgung. Somit sei nur zu prüfen, ob sich die Regelung des § 90 a Abs. 3 StGB mit Art. 21 GG vereinbaren lasse.
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Das Grundgesetz lege in Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG selbst den Tatbestand fest, der eine Partei verfassungswidrig mache. Erfülle eine Partei diesen Tatbestand, so sei sie kraft Gesetzes verfassungswidrig. Das Bundesverfassungsgericht habe nur den Tatbestand verbindlich festzustellen. Solange das Bundesverfassungsgericht nicht festgestellt habe, daß eine Partei den Tatbestand des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG erfülle, seien gegen sie und gegen ihre Betätigung mit erlaubten Mitteln behördliche Maßnahmen nicht zulässig. Sobald jedoch das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit einer Partei feststelle, werde die formelle Sperre gelöst, die bis dahin einer der materiellen Rechtslage entsprechenden Behandlung der Partei entgegengestanden habe. Materiell-rechtsgestaltende Wirkung habe die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nur insofern, als gemäß § 46 Abs. 3 BVerfGG "mit der Feststellung ... die Auflösung der Partei zu verbinden" ist (Satz 1) und die Einziehung des Vermögens der Partei ausgesprochen werden kann (Satz 2). Das Grundgesetz könne nicht eine Partei, die den Tatbestand des Art. 21 Abs. 2 Satz 1 GG erfülle, gleichzeitig als verfassungswidrig und andererseits doch wieder als erlaubt, rechtmäßig und somit als verfassungsgemäß bezeichnet haben. Aus § 90 a Abs. 3 StGB ergebe sich, daß das Gesetz auch politische Parteien zu den Vereinigungen im Sinne von § 90 a Abs. 1 StGB zähle. Die Rechtsprechung habe dem Umstand Rechnung getragen, daß für politische Parteien nicht die in Art. 9 Abs. 2 GG, sondern nur die in Art. 21 Abs. 2 GG bezeichneten Verbotsgründe gelten, indem sie den Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung in § 90 a Abs. 1 StGB als "freiheitliche demokratische Grundordnung" im Sinne des Art. 21 GG ausgelegt habe.
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B. |
Die form- und fristgerecht eingelegte Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Dem steht nicht entgegen, daß der Beschwerdeführer sich nur insoweit verletzt fühlt, als die von den Urteilen angenommene Tateinheit sich auf das Fördern d KPD erstreckt. Die angegriffenen Urteile haben festgestellt, der Beschwerdeführer habe, auch indem er die KPD förderte, rechtswidrig und schuldhaft gehandelt. Dieser Schuldspruch als solcher beschwert den Beschwerdeführer auch dann, wenn das Urteil Tateinheit mit einem anderen Delikt annimmt. Außerdem läßt sich nicht ausschließen, daß sich seine Verurteilung wegen Förderns der KPD auf das Strafmaß ausgewirkt hat. Rechtsprechung und Rechtslehre halten es für zulässig, daß die Strafe mit Rücksicht auf ideell konkurrierende Straftaten erhöht wird (vgl. z.B. Schönke/Schröder, StGB 8. Aufl., 5 73 Anm. IV 5; Maurach, Deutsches Strafrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl., S. 602 f.; RGSt 49, 401 [402]).
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Neben der Rüge der Verletzung des Art. 103 Abs. 2 GG ist die Berufung des Beschwerdeführers auf Art. 21 GG zulässig, da ein Strafgesetz, das gegen Art. 21 GG verstößt, nichtig wäre, und die Verurteilung auf Grund eines nichtigen Strafgesetzes das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzen würde.
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C. |
Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.
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I. |
1. § 90 a StGB will die Angriffe abwehren, die unter Mißbrauch der grundsätzlich gewährleisteten Vereinigungsfreiheit darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen oder auszuhöhlen. Die Vorschrift stellt die Gründung einer Vereinigung unter Strafe, deren Zweck oder deren Tätigkeit sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten, sowie die Förderung derartiger Bestrebungen als Rädelsführer oder als Hintermann. Sie ist das strafrechtliche Gegenstück zur zweiten Alternative von Art. 9 Abs. 2 GG, nach der Vereinigungen verboten sind, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten. § 90 a StGB bedroht aber nicht nur diejenigen mit Strafe, die eine gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtete Vereinigung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 GG gründen oder fördern, sondern auch jene, die eine politische Partei gründen oder fördern, die die erwähnten Ziele verfolgt. Das ergibt sich aus Absatz 3 dieser Bestimmung, der erst die Tragweite des in Absatz 1 umschriebenen Straftatbestands erkennen läßt.
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2. § 90 a Abs. 3 StGB schafft eine Strafverfolgungsbedingung.
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Das Gründen und Fördern verfassungsfeindlicher politischer Parteien soll strafbares Unrecht sein ohne Rücksicht darauf, ob das Bundesverfassungsgericht die betreffende Partei bereits für verfassungswidrig erklärt hat. Die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht gehört also nicht zum gesetzlichen Tatbestand; sie ist nur eine Verfahrensvoraussetzung.
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Für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entfällt das Parteienprivileg; soweit der Zusammenhalt der Partei aufrecht erhalten oder eine Ersatzorganisation begründet wird, kommt § 90 a StGB als Strafnorm - möglicherweise neben anderen Strafvorschriften, z.B. §§ 47, 42 BVerfGG - nur insoweit in Frage, als er Vereinigungen im Sinne des Art. 9 Abs. 2 GG betrifft.
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II. |
Da § 90 a StGB das Gründen und Fördern einer Partei mit Strafe bedroht, bevor sie durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist, verstößt er gegen Art. 21 GG.
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1. Die Parteien gehören zu den Einrichtungen des Verfassungslebens. Ihr Status ist durch Art. 21 GG gesichert. Dieser ist eine lex specialis gegenüber Art. 9 GG. Daher ist Art. 9 Abs. 2 GG auch nicht subsidiär auf politische Parteien anwendbar (BVerfGE 2, 1 [13]). Die Folgen verfassungswidrigen Verhaltens können sich demnach bei politischen Parteien nur nach Art. 21 GG, jedoch nicht nach dem für Vereinigungen geltenden Art. 9 Abs. 2 GG bemessen.
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2. Art. 21 GG stattet die politischen Parteien wegen ihrer Sonderstellung im Verfassungsleben mit einer erhöhten Schutz- und Bestandsgarantie (dem sogenannten "Parteienprivileg") aus. Diese findet vor allem ihren Ausdruck darin, daß die politischen Parteien im Gegensatz zu anderen politischen Vereinigungen nur durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden können. Daraus folgt, daß bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts niemand die Verfassungswidrigkeit einer Partei rechtlich geltend machen kann. Insofern kommt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts konstitutive Bedeutung zu.
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3. Im KPD-Urteil ist angeführt worden, das nach dem Grundgesetz bestehende Entscheidungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei schließe ein "administratives Einschreiten gegen den Bestand einer politischen Partei schlechthin aus, mag sie sich der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gegenüber noch so feindlich verhalten" (BVerfGE 5, 85 [140]).
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Der Bundesgerichtshof ist übrigens ebenfalls der Meinung, der sachliche Gehalt des Parteienprivilegs umfasse alles, was Art. 21 Abs. 1 GG als die Aufgabe der politischen Parteien umschreibe: "Die Betätigung einer Partei ... soll - unter Vorbehalt der in Art. 21 Abs. 2 Grund G vorgesehenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - von jeder Behinderung frei sein, selbst auf die Gefahr hin, daß die Partei verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Das aber schließt notwendig ein: das der Partei in ihrem Aufgabenbereich dienende Tätigwerden ihrer Mitglieder und Anhänger und die verschiedenen Formen einer solchen Tätigkeit, insbesondere die Werbung für die Ziele der Partei in Wort und Schrift" (BGHSt 6, 318 [320]).
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Die Auffassung, das in erster Linie die Parteiorganisation stützende Privileg des Art. 21 Abs. 2 GG (BVerfGE 9, 162 [165]) erstrecke sich auch auf die mit allgemein erlaubten Mitteln arbeitende partei-offizielle Tätigkeit der Funktionäre und Anhänger einer Partei, ist folgerichtig. Könnte die nicht gegen die allgemeinen Strafgesetze verstoßende Tätigkeit ihrer Gründer oder Funktionäre, die sich im Gründen der Partei und im Fördern der Parteiziele erschöpft, als strafbares Unrecht verfolgt werden, so würde der den Parteien durch Art. 21 Abs. 2 GG gewährte Schutz ausgehöhlt werden; denn eine Partei ist ohne die Tätigkeit der Funktionäre handlungsunfähig. Auf diese Weise könnte eine Partei unter Umgehung des in Art. 21 Abs. 2 GG vorgesehenen Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht ausgeschaltet werden. Das aber wäre verfassungswidrig.
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4. Die Freiheit, eine politische Partei zu gründen, und ihr Recht, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, sind verfassungskräftig verbürgt. Daraus folgt die Legalität des Handelns der Parteigründer und der für die Partei tätigen Personen selbst dann, wenn die Partei später für verfassungswidrig erklärt wird.
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Die Anhänger und Funktionäre einer solchen Partei handeln, wenn sie die Ziele ihrer Partei propagieren und fördern, sich an Wahlen beteiligen, im Wahlkampf aktiv werden, Spenden sammeln, im Parteiapparat tätig sind oder gar als Abgeordnete sich um ihren Wahlkreis bemühen, im Rahmen einer verfassungsmäßig verbürgten Toleranz. Das Grundgesetz nimmt die Gefahr, die in der Gründung oder Tätigkeit einer solchen Partei bis zur Feststellung ihrer Verfassungswidrigkeit besteht, um der politischen Freiheit willen in Kauf. Weil die Parteien verfassungsrechtlich relevante Integrationsfaktoren sind, schließt das Grundgesetz die Möglichkeit aus, daß eine Partei dem Zugriff der Exekutive oder des Gesetzgebers ausgesetzt wird. Das Grundgesetz sieht aber als Korrelat der Freiheit der Parteigründung die Möglichkeit vor, daß die politische Partei für verfassungswidrig erklärt wird; die Entscheidung darüber hat es aber ausschließlich dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Diese Regelung enthält eine verfassungsrechtliche Grundsatzentscheidung die auch für das Strafrecht verbindlich ist.
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Das Grundgesetz mußte, wenn es die politischen Parteien als Faktoren des Verfassungslebens anerkennt, ihren Status sichern Dazu gehört auch die Regelung der Frage, was diejenigen, die für die Partei tätig werden, tun dürfen und was sie unterlassen müssen, solange die Partei nicht durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt ist. Nach Art. 21 GG dürfen sie bis zum Spruch des Bundesverfassungsgerichts mit allgemein erlaubten Mitteln im Namen der Partei an der Bildung des politischen Willens des Volkes mitwirken. Sie müssen dagegen alles unterlassen, was nach den allgemeinen Rechtsvorschriften verboten ist. Wenn sich also ihre Tätigkeit darin erschöpft, sich für die Verwirklichung der Ziele der Partei mit allgemein erlaubten Mitteln einzusetzen, so sind sie durch das Parteienprivileg auch dann geschützt, wenn ihre Partei durch eine spätere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für verfassungswidrig erklärt wird. Die von der Verfassung eingeräumte Befugnis macht das Handeln rechtmäßig. Die Rechtsordnung kann nicht ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit die zunächst eingeräumte Freiheit, eine Partei zu gründen und für sie im Verfassungsleben zu wirken, nachträglich als rechtswidrig behandeln.
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Was das Grundgesetz gestattet, kann das Strafgesetz nicht verbieten, auch nicht in der Weise, daß es die Strafdrohung mit einer Strafverfolgungsbedingung verbindet. Der Gesetzgeber hat aber durch § 90 a Abs. 1 und 3 StGB das Gründen und Fördern politischer Parteien, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, ohne Rücksicht darauf mit Strafe bedroht, ob das Bundesverfassungsgericht sie für verfassungswidrig erklärt hat. Damit hat er im Ergebnis solche politischen Parteien von ihrer Gründung an dem Gebot des Art. 9 Abs. 2 GG unterstellt und verkannt, daß Art. 21 Abs. 2 GG für sie uneingeschränkt lex specialis gegenüber Art. 9 Abs. 2 GG ist. Demnach hat der Gesetzgeber durch § 90 a Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 3 StGB das Parteienprivileg des Art. 21 GG verletzt. Es war daher festzustellen, daß § 90 a StGB in seinem Absatz 3 in vollem Umfange, in seinem Absatz 1 insoweit nichtig ist, als die Bestimmung auch das Gründen und Fördern politischer Parteien mit Strafe bedroht (§ 95 Abs. 3 BVerfGG).
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III. |
Da § 90 a StGB sowohl in Absatz 3 als auch in Absatz 1, soweit dieser das Gründen und Fördern von Parteien mit Strafe bedroht, schon wegen Verstoßes gegen Art. 21 Abs. 1 und 2 GG nichtig ist, erübrigt sich die Prüfung, ob auch das Rückwirkungsverbot des Art. 103 Abs. 2 GG verletzt ist.
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D. |
Soweit der Beschwerdeführer als Rädelsführer wegen Förderns der KPD verurteilt worden ist, entbehrt die Verurteilung der rechtlichen Grundlage. Das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 13. November 1956 und das Revisionsurteil des Bundesgerichtshofs vom 3. April 1957 verletzen das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 1 GG; die der Verurteilung zugrunde gelegte Rechtsvorschrift bildet keinen Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung und kann das Recht des Beschwerdeführers auf Handlungsfreiheit nicht wirksam beschränken (BVerfGE 1, 418 [420]; 6, 32 [37f.]; 7, 111 [119]).
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