BVerfGE 19, 206 - Kirchenbausteuer |
1. Die Heranziehung zur Kirchenbausteuer auf Grund des Badischen Ortskirchensteuergesetzes verletzt die juristischen Personen in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG. |
2. Die Besonderen Grundrechtsnormen schließen für ihren Bereich die Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG nur aus, soweit eine Verletzung dieses Grundrechts und einer besonderen Grundrechtsnorm unter demselben sachlichen Gesichtspunkt in Betracht kommt (Ergänzung BVerfGE 6, 32 [37]; 10, 55 [58]). |
3. Das Grundgesetz verbietet dem Staat einer Religionsgesellschaft hoheitliche Befugnisse gegenüber Personen zu verleihen, die keiner Religionsgesellschaft angehören. |
4. Der durch Art. 140 GG in das Grundgesetz inkorporierte Art. 137 Abs. 6 WRV gewährt den Kirchen und Religionsgesellschaften kein Grundrecht im Sinne des Grundgesetzes. Das Besteuerungsrecht nach Art. 137 Abs. 6 WRV ist eine hoheitliche Befugnis des Staates gegenüber den Bürgern, die dieser in dem gesetzlich bestimmten Umfang den Religionsgesellschaften verleiht. |
Urteil |
des Ersten Senats vom 14. Dezember 1965 auf die mündliche Verhandlung vom 13. und 14. Juli 1965 |
- 1 BvR 413/60 - |
in den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden 1. der Firma ... -- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte ... -- gegen 1. den Steuerbescheid der Evangelischen Kirchengemeinde Forbach vom 4. September 1957 -- 2. den Einspruchsbescheid der Evangelischen Landeskirchenkasse Karlsruhe vom 15. Januar 1958 -- Kt. -- 3. das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 21. Dezember 1959 -- VS II/232/59 -- 4. das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15. Juni 1960 -- IV 72/60 -- 5. den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. November 1960 -- VII B 103.60 |
2. der Firma ... -- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte ... -- gegen 1. den Steuerbescheid der Katholischen Kirchengemeinde Singen vom 10. April 1957 -- Hebeliste OZ. 2170 -- 2. den Einspruchsbescheid des Katholischen Gesamtstiftungsrats Singen vom 30. Juni 1957 -- 3. das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 21. Dezember 1959 -- VS II/216/59 -- 4. das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15. Juni 1960 -- IV 71/60 -- 5. den Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. November 1960 -- VII B 102.60 -- |
ENTSCHEIDUNGSFORMEL: |
1. Die Verfahren werden zur gemeinschaftlichen Entscheidung verbunden. |
2. Die Urteile des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15. Juni 1960 - IV 72/60 und IV 71/60 -, die diesen Urteilen vorangegangenen Entscheidungen und die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. November 1960 - VII B 103.60 - und vom 7. November 1960 - VII B 102.60 - verletzen das Grundrecht der Beschwerdeführerinnen aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Die Sachen werden an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückverwiesen. |
3. Artikel 13 des badischen Ortskirchensteuergesetzes vom 30. Juni 1922 (Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 501) in der Fassung des Artikels II Ziffer 3 des badischen Landesgesetzes zur Änderung des Kirchensteuerrechts vom 28. Juni 1951 (Badisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 119) und in der Fassung des Artikels II Ziffer 3 des württemberg-badischen Gesetzes Nr. 410 vom 21. Januar 1952 (Regierungsblatt der Regierung Württemberg-Baden Seite 3) ist nichtig. |
Gründe: |
A. - I. |
Die Rechtsgrundlage der Kirchenbausteuerpflicht juristischer Personen im ehemaligen Land Baden ist Art. 13 des badischen Ortskirchensteuergesetzes vom 30. Juni 1922 (GVBl. S. 501) - OKiStG -. Die Vorschrift war durch das badische Gesetz über die Änderung des Ortskirchensteuergesetzes vom 28. Mai 1940 (GVBl. S. 64) aufgehoben, ist aber in den Jahren 1951 und 1952 wieder in Kraft gesetzt worden, und zwar für das ehemalige Land Baden (Südbaden) durch Art. II Ziff. 3 des badischen Landesgesetzes vom 28. Juni 1951 (GVBl. S. 119) mit Wirkung vom 1. April 1951 und für den Landesbezirk Baden des ehemaligen Landes Württemberg-Baden (Nordbaden) durch Art. II Ziff. 3 des württ.-bad. Gesetzes Nr. 410 vom 21. Januar 1952 (RegBl. S. 3) mit Wirkung vom 1. April 1951. Durch diese beiden Gesetze wurde Art. 13 OKiStG in fast gleichem Wortlaut in das badische Ortskirchensteuergesetz von 1922 wieder eingefügt.
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Danach sind steuerpflichtig Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die im Geltungsbereich der erwähnten Gesetze Grundbesitz oder Gewerbebetriebe unterhalten. Sie können von allen steuerberechtigten Religionsgemeinschaften zur Deckung der durch die Kirchensteuer aufzubringenden Kosten für die Unterhaltung und den Neubau der Pfarrkirchen und Pfarrhäuser herangezogen werden. Als Besteuerungsgrundlagen gelten die Körperschaftsteuer, der Grundsteuermeßbetrag der grundsteuerpflichtigen land- und forstwirtschaftlichen Betriebe, der Grundsteuermeßbetrag grundsteuerpflichtiger Grundstücke sowie der Gewerbesteuermeßbetrag. Auf diese Besteuerungsgrundlagen werden bestimmte Hundertsätze (Hebesätze) angewendet, die jeweils von der örtlichen Kirchenbehörde festgesetzt werden und innerhalb einer Kirchengemeinde einheitlich sein müssen. Die Steuerpflicht besteht gegenüber allen in Art. 1 OKiStG genannten Kirchengemeinden, d.h. den örtlichen Verbänden von Angehörigen der als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgesellschaften, welche zum Zwecke der gemeinsamen öffentlichen Religionsausübung mit regelmäßigem pfarrlichem Gottesdienste im Lande Baden bestehen oder mit staatlicher Genehmigung künftig errichtet werden. Art. 13 Abs. 1, 4, 5 und 6 OKiStG in der für Südbaden geltenden Fassung hat folgenden Wortlaut:
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(1) Zur Deckung der durch die Kirchensteuer aufzubringenden Kosten für kirchliche Bauten der im Artikel 2 Absatz 2 Ziffer 1 bezeichneten Art können Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die im Lande Baden Grundbesitz haben oder Gewerbebetriebe unterhalten, zur Leistung von Kirchensteuer (Bausteuer) herangezogen werden.
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(4) Die in Absatz 1 bezeichneten Steuerpflichtigen können von allen steuerberechtigten Religionsgesellschaften zur Bausteuer herangezogen werden. Die Steuerberechtigung der einzelnen Religionsgesellschaften bemißt sich nach dem Verhältnis des Anteils, den die Angehörigen ihres Bekenntnisses an der Gesamtzahl der Gemeindeeinwohner haben.
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(5) Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, deren Mitglieder satzungsgemäß dem gleichen Bekenntnis angehören müssen oder die satzungsgemäß ausschließlich Zwecke eines Bekenntnisses verfolgen, dürfen abweichend von Absatz 4 nur von ihrer Religionsgesellschaft und zwar mit dem vollen Hebesatz zur Bausteuer herangezogen werden.
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Der in Art. 13 Abs. 1 genannte Art. 2 Abs. 2 Ziff. 1 hat folgenden Wortlaut:
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Als örtliche kirchliche Bedürfnisse sind jedenfalls anzusehen:
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1. Unterhaltung und Neubau der Pfarrkirchen und Pfarrhäuser.
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Für Kirchensteuerpflichtige, die an einer nichtrechtsfähigen Handelsgesellschaft beteiligt sind, bestimmt Art. 12 Abs. 4 OKiStG:
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Kirchensteuerpflichtige Personen, die an einer offenen Handelsgesellschaft, Kommanditgesellschaft oder an einer anderen Gesellschaft beteiligt sind, bei der die Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) der Gesellschaft gelten, werden aus dem ihrer Beteiligung am Vermögen der Gesellschaft entsprechenden Teil des Grundsteuermeßbetrags und aus dem ihrer Beteiligung am Gewinn der Gesellschaft entsprechenden Teil des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrags zur Ortskirchensteuer herangezogen.
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Eine Kirchenbausteuerpflicht juristischer Personen besteht heute nur noch im Gebiet des ehemaligen Landes Baden. Früher wurde diese Steuer noch in einigen anderen deutschen Ländern erhoben; sie ist aber dort seit Jahrzehnten beseitigt.
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II. |
1. Die Beschwerdeführerin zu 1) betreibt als Gesellschaft mit beschränkter Haftung eine Papierfabrik in Forbach / Murgtal, wo sie Grundstücke zu eigen hat. Mit Steuerbescheid vom 4. September 1957 forderte die Evangelische Kirchengemeinde Forbach von ihr für die Steuerjahre 1954 und 1955 Kirchensteuer aus Grundbesitz, Gewerbebetrieb und aus der Körperschaftsteuer. Die Beschwerdeführerin erhob nach erfolglosem Einspruch Anfechtungsklage. Das Verwaltungsgericht Freiburg wies die Klage, der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Berufung zurück. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Nichtzulassungsbeschwerde im Hinblick auf seine Entscheidungen vom 1. August 1958 (BVerwGE 7, 189) und vom 6. Februar 1959 - BVerwG VII C 60.57 -, in denen die Rechtsgültigkeit der Kirchenbausteuer in Baden bejaht worden ist, zurückgewiesen.
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2. Die Beschwerdeführerin zu 2) ist ebenfalls eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung; sie unterhält einen Gewerbebetrieb in Singen/Bodensee. Mit Steuerbescheid vom 10. April 1957 forderte die Katholische Kirchengemeinde Singen von ihr für die Steuerjahre 1956 und 1957 Kirchensteuer aus Grundbesitz, Gewerbebetrieb und Körperschaftsteuer. Die Beschwerdeführerin erhob nach erfolglosem Einspruch Anfechtungsklage. Das Verwaltungsgericht Freiburg wies die Anfechtungsklage, der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg die Berufung zurück. Das Bundesverwaltungsgericht hat die wegen Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde zurückgewiesen.
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III. |
Die Beschwerdeführerinnen haben gegen die Kirchensteuerbescheide, die Einspruchsbescheide, die Urteile des Verwaltungsgerichts und des Verwaltungsgerichtshofs sowie die Beschlüsse des Bundesverwaltungsgerichts Verfassungsbeschwerde eingelegt; sie beantragen,
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diese Entscheidungen aufzuheben und die Heranziehung juristischer Personen zur Kirchensteuer auf Grund Art. 13 OKiStG in der Fassung des badischen Landesgesetzes zur Änderung des Kirchensteuerrechts vom 28. Juni 1951 (GVBl. S. 119) für nicht vereinbar mit dem Grundgesetz zu erklären. Zur Begründung führen sie aus:
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1. Die angefochtenen Entscheidungen verstießen gegen Art. 4 GG, weil die Bekenntnis- und Weltanschauungsfreiheit auch juristischen Personen zustehe. Zumindest gelte das für die im vorliegenden Zusammenhang allein bedeutsame "negative Weltanschauungsfreiheit"; diese werde durch die Auferlegung einer Kirchensteuer eingeschränkt. Die Besteuerung werde durch Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 1 WRV nicht gedeckt. Die Kirchensteuerpflicht sei keine "staatsbürgerliche Pflicht" im Sinne dieser Vorschrift. Selbst wenn sie dies wäre, dürfte sie den Art. 4 GG nicht einschränken. Insbesondere könne Art. 137 Abs. 6 WRV (in Verbindung mit Art. 140 GG) nicht als lex specialis gegenüber Art. 4 GG angesehen werden.
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2. Die Heranziehung juristischer Personen zur Kirchensteuer im Unterschied zu natürlichen Personen verstoße gegen Art. 3 GG, denn sie sei willkürlich. Die Organisation eines Betriebes als juristische Person oder als Personalgesellschaft sei für die Auswirkung auf etwaige kirchliche Bedürfnisse unerheblich. Die Zusammenballung von Arbeitnehmern verursache im Endergebnis keine vermehrten Bedürfnisse der Kirchen. Vielmehr verbessere sie die Kostenstruktur der Kirchen. Mit steigenden Kosten im Ballungsraum stiegen auch die Kirchensteuern der Arbeitnehmer, die heute nicht mehr als die finanzschwächsten Schichten angesehen werden könnten. Schließlich sei zu berücksichtigen, daß in vielen Großbetrieben zahlreiche Pendler arbeiteten; die vermehrten Bedürfnisse entstünden daher zu einem erheblichen Teil nicht am Sitz des besteuerten Unternehmens.
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Im übrigen würden hinsichtlich der Besteuerung die juristischen Personen in den Landesteilen Baden und Württemberg ungleich behandelt. Wenn dies für eine Übergangszeit als zulässig angesehen werde, müsse diese Übergangszeit begrenzt werden, notfalls durch eine Feststellungsentscheidung im Sinne des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Februar 1957 (BVerfGE 6, 257 [265]).
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3. Die Erstreckung der Kirchensteuerpflicht auf juristische Personen verstoße schließlich auch gegen Art. 2 GG. Das Besteuerungsrecht sei den Kirchen vom Staat verliehen. Die Kirchensteuernormen seien daher autonom gesetztes staatliches Recht. Die Verleihung der Autonomie unterliege zwar nicht unmittelbar dem Art. 80 GG, müsse aber im Hinblick auf die vom Rechtsstaatsprinzip geforderte Beschränkung der Möglichkeit zur Delegation rechtsetzender Gewalt bestimmten Schranken unterworfen sein, die nicht weniger eng sein dürften als die des Art. 80 GG. Autonomie dürfe nur verliehen werden, soweit "Zweck und Aufgabenkreis" des beliehenen Verbandes es erforderten. Die Ausstattung der Kirchen mit autonomer Befugnis zur Besteuerung von Nichtmitgliedern überschreite diese Schranke, die sich aus dem Wesen des gewaltentrennenden Rechtsstaates ergebe.
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IV. |
Die Verfassungsbeschwerden sind dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung, dem Landtag und der Regierung des Landes Baden-Württemberg sowie dem Erzbischöflichen Ordinariat in Freiburg und dem Evangelischen Oberkirchenrat in Karlsruhe zugestellt worden.
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1. Das Staatsministerium Baden-Württemberg, das dem Verfahren gemäß § 82 BVerfGG beigetreten ist, hält die Heranziehung juristischer Personen zur Kirchensteuer für vereinbar mit dem Grundgesetz. Zur Begründung hat es ausgeführt:
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a) Die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit gemäß Art. 4 GG stehe juristischen Personen nicht zu. Ein Durchgriff auf die natürlichen Personen, die Träger der juristischen Person seien, sei nicht möglich. Die Schaffung der juristischen Person solle gerade ermöglichen, daß ein von dem Vermögen der hinter der juristischen Person stehenden natürlichen Personen getrenntes Vermögen entstehe.
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b) Die Heranziehung zur Kirchensteuer benachteilige die juristischen Personen nicht willkürlich gegenüber natürlichen Personen, obwohl die juristischen Personen sich nicht durch Austritt aus der Religionsgesellschaft von der Kirchensteuerpflicht befreien könnten. Denn der Grund der Kirchensteuerpflicht natürlicher Personen sei ihr eigenes religiöses Bedürfnis, das der Religionsgesellschaft Kosten verursache, aber mit dem Kirchenaustritt wegfalle; Grund der Kirchensteuerpflicht juristischer Personen sei ihr Einfluß auf die Zahl der Gläubigen einer Gemeinde, deren Erhöhung die Religionsgesellschaften zu vermehrter Bautätigkeit nötige.
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Auch die unterschiedliche Behandlung juristischer Personen hinsichtlich der Kirchensteuer in den Landesteilen Württemberg und Baden sei nicht willkürlich. Die Differenzierung sei für eine Übergangszeit auch noch heute gerechtfertigt, weil die Neuordnung dieser schwierigen Rechtsmaterie durch den Gesetzgeber geraume Zeit in Anspruch nehme.
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c) Im Landesbezirk Baden habe es sich 1952 nur um die Wiedereinführung der Kirchenbausteuer im Sinne einer Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts gehandelt.
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2. Das Erzbischöfliche Ordinariat in Freiburg hat folgendes vorgetragen:
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Juristische Personen mit wirtschaftlicher Zielsetzung könnten sich auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht berufen. Ein Durchgriff auf die natürlichen Personen sei nicht möglich. Die Ausnahme des Art. 13 Abs. 5 OKiStG beruhe auf dem Grundsatz, daß keine Kirche in den inneren Bestand einer anderen Kirche eingreifen dürfe.
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Die Kirchensteuerpflicht sei eine staatsbürgerliche Pflicht im Sinne des Art. 136 Abs. 1 WRV. Art. 137 Abs. 6 WRV sei lex specialis für die Kirchensteuererhebung. Da das Grundgesetz als Einheit begriffen werden müsse, könne es keine ranghöheren und rangniederen Verfassungsnormen geben. Art. 137 Abs. 6 WRV sei aber absichtlich so gefaßt worden, daß auch die Besteuerung juristischer Personen zulässig sei; sie sei schon vor Erlaß der Weimarer Verfassung zulässig gewesen und durch sie gebilligt worden. Das Besteuerungsrecht sei in gleichem Umfang auch vom Grundgesetz übernommen worden. Die Änderung der staatskirchenrechtlichen Lage habe das Besteuerungsrecht nicht beeinflußt, da es sich insoweit um eine vom Staat verliehene Befugnis handle. Im übrigen sei das kirchliche Finanzwesen seit der Säkularisation noch nie so eng mit dem Staat verbunden gewesen wie heute.
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Das Recht der Kirchen, Kirchensteuern zu erheben, sei durch das Badische Konkordat und den Badischen Kirchenvertrag garantiert; das Recht der Kirchengemeinden, eine Bausteuer von juristischen Personen zu erheben, könne daher nur durch Verhandlungen mit dem Heiligen Stuhl und der Vereinigten Evangelisch-protestantischen Landeskirche beseitigt werden.
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4. Der Deutsche Bundestag, der Bundesrat, die Bundesregierung und der Landtag des Landes Baden-Württemberg haben sich nicht geäußert.
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B. |
Die Verfassungsbeschwerden sind zulässig. Die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG stehen auch juristischen Personen zu (BVerfGE 4, 7 [12]; 10, 89 [99], 221 [225]; 15, 235 [239]). Ob Art. 4 Abs. 1 GG auch auf juristische Personen anwendbar ist, deren Zweck nicht die Pflege oder Förderung eines religiösen Bekenntnisses oder die Verkündung des Glaubens ihrer Mitglieder ist, kann hier dahingestellt bleiben. Für die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde genügt es, daß die Beschwerdeführerinnen eine Verletzung dieses Grundrechts mit der nicht offensichtlich unhaltbaren Begründung behaupten, dadurch, daß Geldzahlungen für Religionsgesellschaften von ihnen verlangt würden, werde ein Gewissenszwang auf die verantwortlichen Rechtsträger der juristischen Personen ausgeübt.
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C. - I. |
Die Heranziehung zur Kirchenbausteuer auf Grund des Badischen Ortskirchensteuergesetzes verletzt die juristischen Personen in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG, und zwar aus Gründen, die nicht in den Bereich der besonderen Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 GG fallen.
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1. Die Freiheit der Entfaltung der Persönlichkeit erschöpft sich nicht in der allgemeinen Handlungsfreiheit (vgl. BVerfGE 6, 32 [36 f.]), sondern umfaßt in der grundgesetzlichen Ordnung auch den grundrechtlichen Anspruch, nicht durch staatlichen Zwang mit einem Nachteil belastet zu werden, der nicht in der verfassungsmäßigen Ordnung begründet ist. Das Grundrecht verbietet Eingriffe der Staatsgewalt, die nicht rechtsstaatlich sind (BVerfGE 9,83 [88]; 17,306 [313 f.]). Insbesondere gehört zur Handlungsfreiheit auch das Grundrecht des Bürgers, nur auf Grund solcher Rechtsvorschriften zu Steuern herangezogen zu werden, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind und deshalb zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören. Denn in die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen greift die öffentliche Gewalt nicht nur durch Gebote und Verbote, sondern auch durch Auferlegung von Steuern ein (BVerfGE 9, 3 [11]).
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2. Art. 13 OKiStG gehört nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung, weil er gegen das im Grundgesetz geordnete Verhältnis von Staat und Kirche und von Staat und Einzelnem verstößt.
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Das Grundgesetz legt durch Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG dem Staat als Heimstatt aller Staatsbürger ohne Ansehen der Person weltanschaulich-religiöse Neutralität auf. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt auch die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse (vgl. auch BVerfGE 12, 1 [4]; 18, 385 [386]; BVerfG NJW 1965, 1427 f.). Aus dieser Pflicht zur religiösen und konfessionellen Neutralität folgt, daß der Staat einer Religionsgesellschaft keine Hoheitsbefugnisse gegenüber Personen verleihen darf, die ihr nicht angehören.
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Eine solche Verleihung von Hoheitsbefugnissen liegt aber vor, wenn der Staat den Religionsgesellschaften durch Gesetz das Recht verleiht, ihnen nicht angehörende Personen zur Kirchensteuer heranzuziehen. Dies gilt auch gegenüber juristischen Personen, die ihrem Wesen nach keiner Religionsgesellschaft angehören können. Sie würden durch die Besteuerung von Staats wegen zur finanziellen Unterstützung von Religionsgesellschaften gezwungen, denen sie nicht verbunden sind, und damit mit Pflichten belegt, die auf Grund des Körperschaftscharakters der Religionsgesellschaften nur Mitgliedern obliegen können.
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Etwas anderes kann auch nicht daraus hergeleitet werden, daß einzelne Religionsgesellschaften nach früherem Recht als Landeskirchen eine Sonderstellung innehatten. Denn Landeskirchen im Sinne der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs gibt es seit dem Verbot der Staatskirche (Art. 137 Abs. 1 WRV) nicht mehr. Insbesondere haben die früheren Landeskirchen nicht mehr den Rechtscharakter von Gebietskörperschaften mit der Macht, jemanden, der in ihr Gebiet eintritt, einseitig ohne Rücksicht auf seinen Willen sich einzugliedern. Vielmehr hat schon die Weimarer Reichsverfassung ihre territoriale Grundlage durch eine reine Personalgrundlage ersetzt. Wenn die Kirchen sich heute territoriale Grenzen setzen, so bestimmen sie damit auf Grund des Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV ihren räumlichen Wirkungsbereich. Von Staats wegen sind sie hierzu nicht verpflichtet.
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II. |
Auch aus Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 Abs. 6 WRV kann die Zulässigkeit einer Besteuerung von Nichtkirchenmitgliedern nicht hergeleitet werden, wie das Staatsministerium Baden-Württemberg und die steuererhebenden Kirchen meinen.
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1. Art. 137 Abs. 6 WRV verleiht den Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, das Recht der Steuererhebung "auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen". Dieses Recht schließt die Verpflichtung des Staates ein, die Voraussetzungen für die Steuererhebung durch den Erlaß von Landesgesetzen zu schaffen und dabei die Möglichkeit einer zwangsweisen Beitreibung vorzusehen. Als vom Staat verliehenes Hoheitsrecht steht es im Gegensatz zur Beitragserhebung, die als innerkirchliche Angelegenheit anzusehen ist. Beiträge und Gebühren können die Religionsgesellschaften aus eigenem Recht gemäß Art. 137 Abs. 3 WRV erheben. Die Religionsgesellschaften können die Erhebung solcher Beiträge selbständig und ohne Einmischung des Staates ordnen und verwalten. Die Kirchensteuererhebung dagegen gehört zu den gemeinsamen Angelegenheiten von Staat und Kirche, weil der Staat den Religionsgesellschaften zur Beitreibung den Verwaltungszwang zur Verfügung stellt. Für die Kirchensteuer ist die staatliche Normierung konstitutiv. Deshalb unterliegt die Kirchensteuererhebung auch der Rechtskontrolle durch die staatlichen Gerichte (vgl. BVerwGE 7, 189).
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Art. 137 Abs. 6 WRV gewährt den Kirchen und Religionsgesellschaften kein Grundrecht im Sinne des Grundgesetzes. Das Besteuerungsrecht ist eine hoheitliche Befugnis des Staates gegenüber den Bürgern, die dieser in dem gesetzlich bestimmten Umfang den Religionsgesellschaften verleiht (vgl. BVerfGE 18, 392 [396]). Der Staat ist durch Art. 137 Abs. 6 WRV nicht gehindert, das überkommene Besteuerungsrecht zu ändern, insbesondere auch einzuschränken; verwehrt ist ihm lediglich, es abzuschaffen oder auszuhöhlen.
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Ob aus der Entstehungsgeschichte des Art. 137 Abs. 6 WRV eine Bestandsgarantie zugunsten der Kirchenbesteuerung juristischer Personen hergeleitet werden konnte oder ob die Weimarer Nationalversammlung eine solche Besteuerung lediglich nicht von Reichs wegen verbieten, sondern die Regelung den Ländern überlassen wollte, kann dahingestellt bleiben; denn Art. 137 Abs. 6 WRV ist durch Art. 140 GG Bestandteil des Grundgesetzes geworden, steht damit im Zusammenhang dieser Ordnung und muß aus ihr heraus ausgelegt werden.
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2. Die Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel in das Grundgesetz durch Art. 140 GG ist das Ergebnis eines Verfassungskompromisses, der notwendig wurde, weil die aus der Mitte des Parlamentarischen Rates gemachten Vorschläge für eine Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche keine Mehrheit finden konnten. Der Grundsatzausschuß stimmte in seiner 24. Sitzung lediglich der Aufnahme der religiösen Koalitionsfreiheit in Art. 4 GG zu; weitergehende Bestimmungen billigte er nicht. Einen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, des Zentrums und der DP vom 29. November 1948, der eine Neuregelung des Verhältnisses von Kirche und Staat erstrebte, behandelte der Grundsatzausschuß in seiner 29. Sitzung; zu einer Abstimmung kam es jedoch nicht. Der Hauptausschuß lehnte diesen Antrag in seiner 22. Sitzung ab. Als Kompromißlösung wurde beschlossen, die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung aufrechtzuerhalten. Über die einzelnen Bestimmungen fand mit Ausnahme einer Diskussion über Art. 138 WRV und über die Fortgeltung des Reichskonkordats keine Aussprache und Beratung statt.
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Die inkorporierten Artikel sind damit vollgültiges Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland geworden und stehen gegenüber den anderen Artikeln des Grundgesetzes nicht etwa auf einer Stufe minderen Ranges. Wenn das Grundgesetz auch nur als Einheit begriffen werden kann, so hat dies jedoch nichts mit der Bedeutung und dem inneren Gewicht der einzelnen Normen zu tun (BVerfGE 3, 225 [232]). Das Verhältnis zwischen den inkorporierten Kirchenartikeln und anderen, im Grundgesetz unmittelbar getroffenen Regelungen ist aus dem Zusammenhang der grundgesetzlichen Ordnung selbst zu bestimmen, wobei von Bedeutung ist, daß das Grundgesetz nicht alle Bestimmungen der Weimarer Verfassung über die Beziehung von Kirche und Staat, insbesondere nicht den Art. 135 WRV, übernommen hat.
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Bestätigt wird dies durch den schriftlichen Bericht des Abgeordneten Dr. von Brentano, der zur Inkorporation der Weimarer Kirchenartikel folgendes ausführte:
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"Die rechtliche Bedeutung und Tragweite der zu Bestandteilen dieses Grundgesetzes erklärten Artikel der Weimarer Verfassung ist nicht richtig zu ermessen, wenn ihre Auslegung primär aus dem Blickpunkt der früheren Reichsverfassung erfolgen oder ihre Betrachtung isoliert vorgenommen würde. Sinn und Zweck, wie sie den Bestimmungen heute richtigerweise zukommt, ergibt sich vielmehr nur aus der Tatsache ihrer Einbettung in das gesamte Wertsystem des Grundgesetzes, ihres Einbezogenseins in den Rahmen der Gesamtentscheidung, dessen Ausdruck das Grundgesetz ist...
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Zu beachten ist weiter, daß, soweit das Grundgesetz selbst durch eine an anderer Stelle - sei es im Grundrechtsteil oder anderwärts - vorgenommene Formulierung den rechtlichen Gehalt eines Rechtsgedankens der Artikel 136 ff. der Weimarer Verfassung in erkennbarer Weise verstärken will, die entsprechenden Vorschriften der früheren Reichsverfassung durch die einschlägige anderweitige Regelung ergänzt und damit erweitert ("überhöht") werden. Soweit die Weimarer Verfassungsartikel zu anderen Bestimmungen des Grundgesetzes in Widerspruch stehen, gehen letztere vor, und erstere sind nicht mehr anwendbar." (Schriftlicher Bericht zum XI. Abschnitt des Grundgesetzes, S. 73 f.)
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Diese Auffassung entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der die einzelnen Artikel des Grundgesetzes so ausgelegt werden müssen, daß sie mit den elementaren Grundsätzen des Grundgesetzes, insbesondere den Grundrechten, und seiner Werteordnung vereinbar sind (vgl. BVerfGE 1, 14 [32]; 7, 198 [205]). Vornehmstes Interpretationsprinzip ist die Einheit der Verfassung als eines logisch-teleologischen Sinngebildes, weil das Wesen der Verfassung darin besteht, eine einheitliche Ordnung des politischen und gesellschaftlichen Lebens der staatlichen Gemeinschaft zu sein.
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Art. 137 Abs. 6 WRV geht dem Art. 2 Abs. 1 GG nicht in dem Sinne vor, daß jede Art kirchlicher Besteuerung schon kraft dieses Artikels zur verfassungsmäßigen Ordnung gehörte. Vielmehr müssen die auf Grund von Art. 137 Abs. 6 WRV erlassenen landesrechtlichen Normen auf dem Gebiete des Kirchensteuerrechts mit den übrigen Bestimmungen und Prinzipien der grundgesetzlichen Ordnung, vor allem mit dem verfassungsrechtlichen Verhältnis von Kirche und Staat, in Einklang stehen, um vor Art. 2 Abs. 1 GG Bestand haben zu können (vgl. BVerfGE 17, 306 [313 f.]).
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3. Die Kirchenbausteuerpflicht juristischer Personen kann auch nicht damit begründet werden, daß sie eine staatsbürgerliche Pflicht im Sinne des Art. 136 Abs. 1 WRV sei. Die Kirchensteuerpflicht ist keine staatsbürgerliche Pflicht im Sinne dieser Vorschrift.
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Die Ansicht, die Auferlegung der Kirchensteuerpflicht durch staatliches Gesetz mache diese Pflicht damit für die Steuerpflichtigen zur staatsbürgerlichen Pflicht, der gegenüber man sich nicht auf die Nichtzugehörigkeit zu einer Kirche oder Religionsgesellschaft berufen könne, ist offensichtlich falsch. Denn staatsbürgerliche Pflichten müssen Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung sein; sie müssen formal und inhaltlich mit der Verfassung voll vereinbar sein. Erst wenn und soweit der Staat nach seiner Verfassung bestimmte Personen zur Kirchensteuer heranziehen darf, kann die Kirchensteuerpflicht allenfalls auch als staatsbürgerliche Pflicht angesehen werden. Wenn die Heranziehung von juristischen Personen, wie hier, aber gegen Art. 2 Abs. 1 GG verstößt, dann kann sie auch keine staatsbürgerliche Pflicht sein.
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III. |
1. Die Kirchenbesteuerung juristischer Personen kann, wie auch das Staatsministerium Baden-Württemberg und das Erzbischöfliche Ordinariat in Freiburg nicht in Abrede stellen, nicht in eine Besteuerung natürlicher Personen umgedeutet werden, die Mitglieder der besteuernden Religionsgesellschaft sind. Die den juristischen Personen auferlegte Kirchensteuer kann nicht als eine Besteuerung ihrer Rechtsträger (Mitglieder, Aktionäre, Gesellschafter) angesehen werden, denn die Besteuerung ist nicht davon abhängig, daß die Rechtsträger der besteuernden Religionsgesellschaft angehören. Vielmehr richtet sich die Verteilung des Aufkommens nach der konfessionellen Zusammensetzung der Gemeindebevölkerung, die mit dem Religionsbekenntnis der Rechtsträger der juristischen Personen nicht übereinzustimmen braucht. Eine Umdeutung in eine Besteuerung der Rechtsträger würde daher ebenfalls zu einer Besteuerung von Personen führen, die der besteuernden Religionsgesellschaft nicht angehören.
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Eine Umdeutung in eine Kirchenbesteuerung der Arbeitnehmer der juristischen Person ist noch weniger rechtlich möglich. Abgesehen davon, daß eine juristische Person nicht begriffsnotwendig Arbeitnehmer haben muß, braucht die konfessionelle Zusammensetzung der Arbeitnehmerschaft derjenigen der Gesamtbevölkerung nicht zu entsprechen. Vor allem wohnen heute viele Arbeitnehmer nicht in der Gemeinde ihres Betriebes, sondern fahren als Pendler aus anderen Gemeinden zur Arbeit; eine weitere Gruppe hat am Arbeitsort nur einen zweiten Wohnsitz und kehrt über das Wochenende in ihre Heimatgemeinde zurück. Die Kirchenbausteuer kommt aber nur der Gemeinde zugute, in der die besteuerte juristische Person ihren Sitz hat, und nicht den Wohnsitzgemeinden der Arbeitnehmer, in denen in der Regel ihre kirchlichen Bedürfnisse entstehen.
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Im übrigen würde eine solche Umdeutung dem erklärten Zweck der Kirchenbausteuer widersprechen, die sozial schwächeren natürlichen Personen steuerlich zu entlasten.
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2. Auch die sogenannte "Erweckungstheorie", nach der die juristische Person als Unternehmer für die Befriedigung kirchlicher Bedürfnisse deshalb einstehen soll, weil durch die Errichtung und Erweiterung von Unternehmen in der Rechtsform der juristischen Person Arbeitnehmer zusammengezogen und damit neue kirchliche Bedürfnisse geweckt würden, vermag die Kirchenbesteuerung juristischer Personen nicht zu rechtfertigen. Zunächst wird hierbei übersehen, daß es sich bei der Kirchenbausteuer um eine Steuer handelt und nicht um eine Gebühr oder einen Beitrag, die zum Ausgleich für bestimmte Leistungen der Kirche erbracht werden. Die Erhebung der Kirchenbausteuer knüpft außerdem nicht an die individuellen Verhältnisse der Betriebe an; denn die Argumentation der "Erweckungstheorie" würde auch gelten, wenn der Unternehmer eine natürliche Person oder eine Handelsgesellschaft ist; gerade diese Gruppen werden aber nach Art. 12 Abs. 4 und Art. 13 Abs. 1 OKiStG zur Kirchenbausteuer nicht herangezogen. Im übrigen könnte die "Erweckungstheorie" allenfalls bei stark lohnintensiven Betrieben eine gewisse Berechtigung haben. Für juristische Personen mit wenigen oder mit vorwiegend auswärtigen Arbeitnehmern trifft sie nicht zu. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß durch den Zuzug von Arbeitnehmern das allgemeine Kirchensteueraufkommen aus Kirchenlohnsteuer und Kircheneinkommensteuer beträchtlich erhöht und vermehrte Belastungen hierdurch zum Teil ausgeglichen werden. Ein eigenes Interesse der besteuerten Betriebe an Kirchen und Pfarrhäusern, wie es gelegentlich behauptet wird, ist nicht ersichtlich.
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3. Auch der Hinweis auf die (seit langem aufgehobene) Schulsteuer und eine "allgemeine Kulturfunktion" der Kirchen und des Kirchenbaues kann die Heranziehung juristischer Personen zur Kirchensteuer nicht begründen. Die Schulsteuer war eine allgemeine Staatssteuer; die Schule als Staatseinrichtung mit allgemeiner Schulpflicht kann nicht der Kirche gleichgesetzt werden, die eine freiwillige Glaubensgemeinschaft ist. Die "allgemeine Kulturfunktion" der Kirchen vermag staatliche Leistungen an sie in verschiedener Form zu rechtfertigen; sie kann aber kein Besteuerungsrecht der Kirche gegenüber Nichtmitgliedern begründen.
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Der Kirchenbau kann nicht in erster Linie als allgemeine Kulturaufgabe aufgefaßt werden; denn der Bau von Kirchen und Pfarrhäusern dient - auch nach dem Verständnis der Religionsgesellschaften selbst - vor allem der kirchlichen Verkündigung und der religiösen Versorgung der Kirchenglieder. Wenn dabei Bau- und Kulturdenkmäler von allgemeiner Bedeutung entstehen, so ist das eine Nebenfolge, die es rechtfertigen kann, diese Denkmäler unter staatlichen Schutz zu stellen und sie zu fördern, nicht aber, den Kirchenbau generell zu einer staatlichen Kulturaufgabe zu erklären mit der Folge, daß auch Nichtmitglieder der Kirche aus diesem Grunde steuerpflichtig werden.
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Es versteht sich von selbst, daß der Finanzbedarf der steuerberechtigten Religionsgesellschaften allein die Besteuerung nicht rechtfertigen kann.
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4. Ferner wird vorgetragen, die Wiedereinführung der Kirchenbausteuerpflicht juristischer Personen sei ein Gebot der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. Selbst wenn man unterstellt, daß die Kirchenbausteuer im Jahre 1940 aus kirchenfeindlichen Beweggründen von der nationalsozialistischen Regierung abgeschafft worden sei, so darf sich eine Wiedergutmachung doch nur in verfassungsmäßigen Formen vollziehen.
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5. Das Herkommen, das schließlich zur Rechtfertigung der Kirchenbausteuerpflicht juristischer Personen herangezogen wird, ist schon seiner Natur nach nicht geeignet, sich gegenüber einer entgegenstehenden verfassungsrechtlichen Neuordnung durchzusetzen (vgl. BVerfGE 15, 337 [345]; BVerfG NJW 1965, 1427 f.). Abgesehen von der Veränderung der staatskirchenrechtlichen Verhältnisse seit der Einführung der Kirchenbausteuer im Jahre 1888 waren die Gründe, mit denen sie damals und später gerechtfertigt wurde, nicht so sehr rechtlicher als teils pragmatisch- finanzieller (Finanzbedarf der Kirchen, Ausnutzung der Finanzkraft der juristischen Personen, Schonung der kirchenangehörigen natürlichen Personen), teils kirchenpolitischer oder sozialpolitischer Natur. Alle diese Gründe sind nicht von solchem Gewicht, daß sie eine entgegenstehende verfassungsrechtliche Ordnung überwinden könnten.
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6. Schließlich kann die Kirchenbesteuerung auch nicht mit einer Berufung auf das Reichskonkordat, das badische Konkordat und den badischen Kirchenvertrag begründet werden. Denn aus keinem dieser Verträge ergibt sich eine Garantie des Rechts, juristische Personen zu Kirchensteuern heranzuziehen. Wenn im Schlußprotokoll zu Art. 13 des Reichskonkordats (RGBl. II 1933 S. 679) das Einverständnis der vertragschließenden Parteien darüber zum Ausdruck kommt, "daß das Recht der Kirche, Steuern zu erheben, gewährleistet bleibt", so erhellt aus dieser Formulierung, daß das Steuererhebungsrecht der Kirche als solches nach den bestehenden Vorschriften aufrechterhalten werden sollte. Dagegen enthält diese Bestimmung weder eine Erweiterung des bereits der Kirche zustehenden Rechts noch eine Garantie seines bei Vertragsschluß bestehenden Umfangs in allen Einzelheiten. Art. IV Nr. 4 des badischen Konkordats vom 12. Oktober 1932 (GVBl. 1933 S. 20) stellte ebenfalls lediglich fest, was ohnehin Rechtens war, daß nämlich die römisch-katholische Kirche das Recht habe, "auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten nach Maßgabe der Verfassung des Deutschen Reiches und der Verfassung des Freistaates Baden sowie der landesrechtlichen Bestimmungen Kirchensteuern zu erheben". Damit ist nicht das bei Vertragsschluß bestehende Kirchensteuerrecht in allen Einzelheiten durch das Konkordat gesichert worden; vielmehr sind für das Steuererhebungsrecht auch nach dem Badischen Konkordat und nach dem Kirchenvertrag die jeweiligen landesrechtlichen Bestimmungen maßgeblich, die ihrerseits an die Verfassung gebunden sind.
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IV. |
Da die Heranziehung juristischer Personen bereits gegen Art. 2 Abs. 1 GG verstößt, kommt es auf das Vorbringen der Beschwerdeführerinnen und sonstigen Beteiligten zu Art. 3 Abs. 1 und Art. 4 GG nicht an. Insbesondere wird die Anwendbarkeit des Art. 2 Abs. 1 GG nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Kirchenbausteuer auch den Bereich dieser Grundrechte berühren kann. Das Bundesverfassungsgericht hat zwar entschieden, daß die besonderen Grundrechtsnormen für ihren Bereich die Anwendung des Art. 2 Abs. 1 GG ausschließen (BVerfGE 6, 32 [37]; 9, 63 [73], 338 [343]; 10, 55 [58]). Dies gilt aber nur, soweit eine Verletzung des Art. 2 Abs. 1 GG und einer besonderen Grundrechtsnorm unter demselben sachlichen Gesichtspunkt in Betracht kommt, nicht aber, wenn Art. 2 Abs. 1 GG unter einem Gesichtspunkt verletzt ist, der nicht in den Bereich der besonderen Grundrechtsnorm fällt. Eine Verletzung des Art. 4 Abs. 1 GG käme unter dem Gesichtspunkt der individuellen Glaubensfreiheit der Steuerschuldner, eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG im Hinblick auf eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von juristischen Personen und nichtrechtsfähigen Personenhandelsgesellschaften in Betracht. Demgegenüber liegt der hier festgestellte Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG in der Unvereinbarkeit der Kirchenbausteuerpflicht juristischer Personen mit der durch das Grundgesetz festgelegten Ordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche; dieser Gesichtspunkt fällt weder unter Art. 4 noch unter Art. 3 GG.
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V. |
Da die Kirchenbesteuerung juristischer Personen mit der verfassungsmäßigen Ordnung unvereinbar ist und deshalb die Beschwerdeführerinnen in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt, ist Art. 13 OKiStG in der Fassung des badischen Landesgesetzes zur Änderung des Kirchensteuerrechts vom 28. Juni 1951 und in der Fassung des württemberg-badischen Landesgesetzes Nr. 410 vom 21. Januar 1952 für nichtig zu erklären (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG). Auf die Beschwerdeführerinnen ist Art. 13 OKiStG zwar nur in der Fassung des badischen Landesgesetzes anzuwenden, weil sie ihre Betriebstätten im ehemaligen Lande Baden haben. Beide Änderungsgesetze, die trotz gewisser sprachlicher und durch territoriale Wandlungen bedingter Abweichungen inhaltlich übereinstimmen, beziehen sich aber auf dieselbe Vorschrift desselben Gesetzes, das einheitlich im ehemaligen Lande Baden angewandt worden ist. Zur Wahrung der Rechtseinheit ist es geboten, die Nichtigerklärung auf den im ehemaligen Landesbezirk Baden des ehemaligen Landes Württemberg- Baden geltenden Art. 13 OKiStG zu erstrecken.
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