BVerfGE 42, 64 - Zwangsversteigerung I
1. Auch die richterliche Auslegung und Anwendung von Verfahrensrecht kann - wenn sie willkürlich gehandhabt wird - gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen. Beruht eine Entscheidung darauf, daß die Ausübung der in § 139 ZPO statuierten Fragepflicht und Aufklärungspflicht aus Erwägungen verneint worden ist, die bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich sind, so ist Art. 3 Abs. 1 GG verletzt.
2. Die richterliche Unparteilichkeit ist kein wertfreies Prinzip, sondern an den Grundwerten der Verfassung orientiert, insbesondere am Gebot sachgerechter Entscheidung im Rahmen der Gesetze unter dem Blickpunkt materialer Gerechtigkeit.
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 24. März 1976
-- 2 BvR 804/75 --
in dem Verfahren ...
Entscheidungsformel:
Der Beschluß des Amtsgerichts Michelstadt vom 23. Januar 1975 - K 76/74 - sowie die Beschlüsse des Landgerichts Darmstadt vom 28. April 1975 - 5 T 227/75 - und des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 9. Juli 1975 - 12 W 76/75 - verletzen Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Sie werden aufgehoben. Das Verfahren wird an das Amtsgericht Michelstadt zurückverwiesen.
Das Land Hessen hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen zu erstatten.
 
Gründe:
 
A.
Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Frage, ob es - je nach den Umständen des Falles - einen Verfassungsverstoß darstellen kann, wenn ein Gericht in einem Verfahren der Teilungsversteigerung (§§ 180 ff. ZVG) vor Erteilung des Zuschlags einen Grundstückseigentümer nicht darauf hinweist, daß das zuletzt abgegebene Gebot und damit der durch die Versteigerung zu erzielende Erlös in keinem Verhältnis zum Wert des Grundstücks steht. Die mit der Sache im Ausgangsverfahren befaßten Gerichte haben eine Hinweis- oder Belehrungspflicht des die Versteigerung leitenden Rechtspflegers verneint.
I.
Die Beschwerdeführerin lebte bis zur rechtskräftigen Scheidung ihrer Ehe mit ihrem Ehemann in vertraglich vereinbarter Gütergemeinschaft (§§ 1415 ff. BGB). Zum Gesamtgut gehörte ein Grundstück, das während der Ehe mit einem Wohnhaus bebaut wurde. Im Verlauf des Scheidungsverfahrens zog die Beschwerdeführerin mit ihren Kindern aus dem Hause aus, das zur Zeit vom früheren Ehemann allein bewohnt wird. Die Beschwerdeführerin erhält das gesetzliche Kindergeld und ist im übrigen auf den Bezug von Sozialhilfe angewiesen. Sonstiges Vermögen besitzt sie nicht. Der Versuch, sich nach der Scheidung über das Hausgrundstück einvernehmlich auseinanderzusetzen, scheiterte daran, daß der Ehemann, der das Grundstück gern behalten wollte, einen finanziellen Ausgleich nur nach Maßgabe seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und nur zugunsten der Kinder anbot; die Beschwerdeführerin sollte nichts erhalten.
Sie beantragte deshalb beim Amtsgericht die Zwangsversteigerung zum Zwecke der Auseinandersetzung (§ 180 ZVG), die antragsgemäß angeordnet wurde. Auf Ersuchen des Amtsgerichts schätzte das Ortsgericht das Grundstück und ermittelte einen Gesamtwert von 144.000 DM. Das Grundstück ist mit einer Grundschuld belastet, die noch in Höhe von etwa 20.000 DM valutiert. Im Versteigerungstermin vom 23. Januar 1975 erschienen nur die früheren Eheleute. Der Rechtsanwalt der Beschwerdeführerin blieb dem Termin fern, um ihr Kosten zu ersparen. Unter Berücksichtigung der Verfahrenskosten und geringfügiger rückständiger Grundstückslasten setzte der Rechtspfleger das geringste Gebot auf 1.785,42 DM fest, mit der Maßgabe, daß die genannte Grundschuld bestehen bleibe. Als zum Bieten aufgefordert wurde, bot der geschiedene Ehemann 2.000 DM. Weitere Gebote wurden nicht abgegeben. Nachdem das Gericht, wie es in der Terminsniederschrift formularmäßig heißt, "die Beteiligten über den Zuschlag" gehört hatte, beantragte der Ehemann die sofortige Erteilung des Zuschlags. Diesem Antrag wurde durch den alsdann verkündeten Beschluß vom 23. Januar 1975 entsprochen.
Mit der gegen diesen Beschluß erhobenen sofortigen Beschwerde machte die Beschwerdeführerin in erster Linie geltend, das Verfahren des Amtsgerichts habe gegen § 139 ZPO verstoßen. Wegen dieses schwerwiegenden Verfahrensmangels hätte nach § 83 Nr. 6 ZVG der Zuschlag versagt werden müssen. Da ein derart geringes Gebot abgegeben worden sei, daß die Beschwerdeführerin aus der Versteigerung ihres Miteigentums praktisch nichts erlösen würde, hätte der Rechtspfleger sie auf den drohenden "Totalverlust ihrer Ansprüche" aufmerksam machen und sie darauf hinweisen müssen, daß sie dieses Ergebnis durch Zurücknahme des Versteigerungsantrags verhindern könne. Die rechtliche und wirtschaftliche Hilflosigkeit der Beschwerdeführerin sei offenkundig gewesen, ebenso wie das Bestreben des geschiedenen Ehemannes, seine überlegene Position mißbräuchlich zu ihren Lasten auszunutzen.
Durch den Beschluß vom 28. April 1975 wies das Landgericht Darmstadt die sofortige Beschwerde zurück. Das Amtsgericht habe seine Aufklärungspflicht aus § 139 ZPO nicht verletzt. Zwar habe die Beschwerdeführerin einen erheblichen wirtschaftlichen Verlust erlitten, der durch die Zurücknahme des Versteigerungsantrags ohne weiteres hätte vermieden werden können. Der Rechtspfleger sei gleichwohl nicht gehalten gewesen, einen entsprechenden Hinweis zu geben. Denn er habe die Interessen sämtlicher Verfahrensbeteiligter zu wahren gehabt. Durch einen Hinweis an die Beschwerdeführerin hätte er sich dem Verdacht der Befangenheit ausgesetzt.
Mit der weiteren Beschwerde verfolgte die Beschwerdeführerin ihren bisherigen Vortrag weiter und beanstandete im übrigen die Nichtanwendung des § 765a ZPO. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg. Das Oberlandesgericht vertrat in dem Beschluß vom 9. Juli 1975 die Ansicht, § 765a ZPO könne zugunsten der Beschwerdeführerin jedenfalls deshalb nicht angewendet werden, weil sie das Verfahren als Antragstellerin betrieben habe. Hinsichtlich der Rüge, das Verfahren habe an einem erheblichen Mangel gelitten, schloß sich das Oberlandesgericht den Ausführungen des Landgerichts an. Zu Beginn des Termins sei ein Anlaß für eine Belehrung der Beschwerdeführerin nicht ersichtlich gewesen. Am Schluß der Versteigerung seien zwar "die widerstreitenden Interessen der Parteien klar erkennbar" geworden: Auf der einen Seite habe der Beschwerdeführerin "ein empfindlicher Vermögensschaden" gedroht, falls sie ihren Antrag nicht zurücknahm; auf der anderen Seite aber wäre dem Antragsgegner "eine günstige Gewinnchance" entgangen, falls das geschehen wäre. Es sei schon zweifelhaft, ob in dieser Situation der Rechtspfleger der Beschwerdeführerin einen Hinweis hätte geben dürfen, ohne seine Pflicht zur Unparteilichkeit zu verletzen. Jedenfalls stelle die Fortsetzung des Verfahrens ohne Belehrung der Beschwerdeführerin keinen erheblichen Verfahrensmangel dar.
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde, die sich gegen den Zuschlagsbeschluß und die im Rechtsmittelzuge ergangenen Entscheidungen richtet, rügt die Beschwerdeführerin unter Darstellung des Ausgangsverfahrens die Verletzung der Art. 103 Abs. 1 und 14 GG.
Der Eigentumsanteil an dem Hausgrundstück sei ihr einziges Vermögen gewesen. Durch die Abgabe eines Gebots von nur 2.000 DM habe der frühere Ehemann seine Absicht, sie "ohne Herauszahlung abzuhängen", unter rücksichtsloser und sittenwidriger Ausnutzung ihrer Hilflosigkeit und Unbelehrtheit durchgesetzt.
Es könne dahinstehen, ob sich aus Art. 103 Abs. 1 GG eine Pflicht zum sogenannten Rechtsgespräch herleiten lasse. Es solle den Gerichten auch nicht angesonnen werden, irgendwelche Anträge zu empfehlen. In einer Situation indessen, in welcher - wie hier - einer Partei infolge ihrer offenkundigen "intellektuellen Unbedarftheit" der Totalverlust ihres Vermögens drohe, erwüchse nicht nur aus § 139 ZPO, sondern auch aus dem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf rechtliches Gehör die Pflicht zu einer Belehrung über noch verbleibende Möglichkeiten, den drohenden Schaden abzuwenden. Dadurch werde die Pflicht zur richterlichen Unparteilichkeit nicht berührt. Im Gegenteil widerspreche es dem heutigen Verständnis eines sozialen Rechtsstaats, wenn ein Gericht darauf verwiesen werde, zuzusehen und sogar dabei mitzuwirken, wie der wirtschaftlich und intellektuell überlegene frühere Ehemann die mittellose Beschwerdeführerin um ihr letztes Vermögen bringe. Die gegenteilige Auffassung, wie sie insbesondere im Beschluß des Oberlandesgerichts zum Ausdruck komme, stelle das unbefangene Vertrauen des Bürgers darauf, daß es bei Gericht mit rechten Dingen zugehe, in Frage; sie entbehre aus der Sicht der Beschwerdeführerin nicht "eines gewissen Zynismus".
Art. 14 GG sei deshalb verletzt, weil die Beschwerdeführerin durch den Zuschlag ihr Eigentum praktisch ohne Entgelt verloren habe. Dadurch sei das Ziel der gesetzlichen Regelung, einen gerechten vermögensrechtlichen Ausgleich nach geschiedener Ehe herbeizuführen, in sein Gegenteil verkehrt worden.
III.
Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Hessische Ministerpräsident und für die Bundesregierung der Bundesminister der Justiz Stellung genommen. Dem Antragsgegner des Ausgangsverfahrens ist Gelegenheit zur Äußerung gegeben worden.
1. Der Hessische Ministerpräsident hält die Verfassungsbeschwerde für begründet. Die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verletzten zwar nicht das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 14 GG. Die Gerichte seien aber von einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Bedeutung des Rechts der Beschwerdeführerin aus Art. 103 Abs. 1 GG für das Zwangsversteigerungsverfahren ausgegangen.
Art. 103 Abs. 1 GG schütze den Anspruch eines an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten, zum gesamten Sachverhalt und zu allen Rechtsfragen Stellung zu nehmen. Die Möglichkeit zur Äußerung müsse rechtlich und faktisch gegeben sein. An der faktischen Möglichkeit zur Stellungnahme habe es für die Beschwerdeführerin infolge ihrer offenkundigen Unkenntnis der Rechtslage gefehlt.
§ 139 ZPO, der auch im Zwangsversteigerungsverfahren und dort auch für den Rechtspfleger gelte, dem richterliche Geschäfte übertragen sind, stelle ein Kernstück richterlicher Pflichten dar. Das grobe Mißverhältnis zwischen Grundstückswert und Versteigerungserlös habe das Gericht veranlassen müssen, die Beschwerdeführerin über die Rechtslage aufzuklären und sie zumindest danach zu fragen, ob sie wirklich bereit, sei, die sich für sie aus dem Zuschlag ergebenden Folgen zu akzeptieren; denn es sei offenkundig gewesen, daß der Beschwerdeführerin diese Folgen nicht bewußt waren.
§ 139 ZPO und Art. 103 Abs. 1 GG seien zwar nicht "deckungsgleich". § 139 ZPO gehe über das durch Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete verfahrensrechtliche Minimum hinaus. Gleichwohl sei § 139 ZPO stets unter Beachtung der Bedeutung des Art. 103 Abs. 1 GG auszulegen. Soweit Maßnahmen nach § 139 ZPO im Einzelfall unabdingbare Voraussetzungen der Ausschöpfung des Anspruchs aus Art. 103 Abs. 1 GG seien, fielen sie mit unter den Schutz der Verfassung.
2. Der Bundesminister der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde ebenfalls für begründet.
Allerdings sei Art. 103 Abs. 1 GG nicht verletzt worden. Die Beschwerdeführerin habe die Möglichkeit gehabt, sich hinreichend zu äußern. Es stelle sich nicht die Frage des Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern die Frage nach der richterlichen Aufklärungspflicht. Diese folge nicht mehr aus Art. 103 Abs. 1 GG, sondern allein aus dem jeweiligen Verfahrensrecht. Es spreche jedoch viel für die Annahme, daß die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 14 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip verletzt worden sei.
Zu den wesentlichen Grundsätzen eines rechtsstaatlichen Gerichtsverfahrens zähle das "Recht auf ein faires Verfahren". Dieser Grundsatz - wenngleich zunächst für das Strafverfahrensrecht entwickelt - beeinflusse auch die Ausgestaltung der zivilrechtlichen Gerichtsverfahren. § 139 ZPO könne als nichtverfassungsrechtliche Ausprägung des Rechts auf ein faires Verfahren verstanden werden. So gesehen solle die Aufklärungspflicht des § 139 ZPO auch dazu dienen, einen Verfahrensausgang zu verhindern, der einen Antragsteller völlig unvorbereitet treffe. Das sei hier der Fall gewesen.
Das verfahrensrechtliche Ziel der Beschwerdeführerin, die Versteigerung des Grundstücks, sei zwar erreicht worden. Das von ihr zugleich erstrebte finanzielle Ergebnis sei jedoch absolut untragbar ausgefallen. Davon sei sie offensichtlich völlig überrascht worden. Im Hinblick darauf sei ihr Antrag auf Zwangsversteigerung nicht mehr sachdienlich gewesen. Dem Rechtspfleger hätte sich der Schluß aufdrängen müssen, daß das Ergebnis des Versteigerungsverfahrens in dieser Form vom Willen der Antragstellerin nicht gedeckt sein konnte. Er hätte sie darüber unterrichten müssen, was die Erteilung des Zuschlags auf das Gebot von 2.000 DM praktisch für sie bedeuten würde. Diese Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht stelle zugleich einen Verstoß gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des fairen Verfahrens dar, den die Beschwerdeführerin nicht nur aus ihrem Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG, sondern auch aus der grundrechtlichen Eigentumsgewährleistung des Art. 14 Abs. 1 GG mit der Verfassungsbeschwerde geltend machen könne. Wenn der Gesetzgeber das Zwangsversteigerungsrecht so ausgestaltet habe, daß - wie der vorliegende Fall zeige - eine Teilungsversteigerung zu einem Verlust von Eigentum ohne "wirtschaftlich vernünftiges Ergebnis" führen könne, dann könnten sich im Einzelfall jedenfalls verfassungsrechtliche Konsequenzen für die Anforderungen an das Verhalten des die Versteigerung durchführenden Rechtspflegeorgans ergeben.
3. Der Antragsgegner des Ausgangsverfahrens hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Er würde die Objektivität des Rechtspflegers angezweifelt haben, wenn dieser vor der Entscheidung über den Zuschlag auf eine Antragsrücknahme hingewirkt hätte.
 
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet.
I.
Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG; sie sind willkürlich.
1. Das Gebot des allgemeinen Gleichheitssatzes, bei steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (BVerfGE 3, 58 [135], ständige Rechtsprechung), wendet sich nicht nur an den Gesetzgeber. Es bindet auch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung - unbeschadet der Bindung des Richters an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) - als unmittelbar geltendes Recht (Art. 1 Abs. 3 GG - vgl. auch BVerfGE 9, 137 [149]; 34, 325 [328]). Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn wesentlich Gleiches willkürlich ungleich oder wesentlich Ungleiches willkürlich gleich behandelt wird (BVerfGE 4, 144 [155], ständige Rechtsprechung).
Welche materiellen Schranken das im allgemeinen Gleichheitssatz enthaltene Willkürverbot allem staatlichen Handeln zieht, läßt sich angesichts der Vielfalt möglicher Lebenssachverhalte abstrakt nicht erschöpfend umreißen. Erst wenn Gesetzlichkeiten, die in der Sache selbst liegen, und die fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft mißachtet werden, liegt ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz vor (BVerfGE 9, 338 [349]; 13, 225 [228]). Der Maßstab dafür, was im konkreten Fall als in diesem Sinne willkürlich zu qualifizieren ist, ergibt sich nicht aus den subjektiven Gerechtigkeitsvorstellungen des gerade zur Rechtsanwendung Berufenen, sondern zunächst und vor allem aus den in den Grundrechten konkretisierten Wertentscheidungen und den fundamentalen Ordnungsprinzipien des Grundgesetzes.
Ebenso wie die besonderen Wertentscheidungen des Grundgesetzes die Freiheit des Gesetzgebers einschränken, selbst zu bestimmen, was "gleich" oder "ungleich" sein soll (vgl. BVerfGE 36, 321 [330]), werden auch der Rechtsprechung bei der Ausfüllung der ihr eingeräumten Ermessens- und Beurteilungsspielräume durch das Willkürverbot gewisse äußerste Grenzen gezogen. diese sind unter anderem dann überschritten, wenn sich für eine bei der Auslegung und Anwendung einer einfachrechtlichen Norm getroffene Abwägung sachlich zureichende, plausible Gründe nicht mehr finden lassen; beruht das Ergebnis der gerichtlichen Entscheidung auf dieser verfassungswidrigen Abwägung, so kann der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG mit der Verfassungsbeschwerde erfolgreich gerügt werden. Dabei enthält die verfassungsgerichtliche Feststellung von Willkür auch in diesem Zusammenhang keinen subjektiven Schuldvorwurf, sondern will in einem objektiven Sinne verstanden sein; nicht subjektive Willkür führt zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit, sondern objektive, das heißt die tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit einer Maßnahme im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation, deren sie Herr werden soll (BVerfGE 2, 266 [281]; 4, 144 [155]).
Alles das gilt nicht nur bei der Auslegung und Anwendung materiellen Rechts; es gilt auch für die Handhabung des Verfahrensrechts. Das Verfahrensrecht dient der Herbeiführung gesetzmäßiger und unter diesem Blickpunkt richtiger, aber darüber hinaus auch im Rahmen dieser Richtigkeit gerechter Entscheidungen. Es hält daher dem Richter im Interesse einer dem jeweiligen Verfahrensgegenstand angemessenen Prozedur in weiten Bereichen Ermessens- und Beurteilungsspielräume zur Leitung, Förderung und Ausgestaltung des Verfahrensganges offen. § 139 ZPO ist dafür nur ein Beispiel unter mehreren. Auch die Auslegung und Anwendung von Verfahrensrecht kann - wenn sie willkürlich gehandhabt wird - gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen (vgl. BVerfGE 34, 325 [331]).
2. Unbeschadet dessen bleibt die Auslegung und Anwendung des einfachen materiellen und formellen Rechts grundsätzlich Sache der Fachgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen; es ist kein Revisionsgericht. Welcher von zwei vertretbaren Auslegungen nach einfachem Recht der Vorzug gebührt oder ob noch eine weitere Auslegung möglich erscheint, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu entscheiden. Eine Rechtsauslegung, die mit dem Gleichheitssatz noch vereinbar ist, kann nicht deshalb für verfassungswidrig erklärt werden, weil eine andere Auslegung möglicherweise dem Gleichheitssatz besser entspräche (BVerfGE 27, 175 [178] mit Nachweisen).
Die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Verletzung des Willkürverbots des Art. 3 Abs. 1 GG durch gerichtliche Entscheidungen greift also nicht bei jedem Fehler in der Auslegung und Anwendung des einfachen materiellen und formellen Rechts durch die Fachgerichte ein. Hinzukommen muß vielmehr, daß die fehlerhafte Anwendung des einfachen Rechts bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auch sachfremden Erwägungen beruht (BVerfGE 4, 1 [7], ständige Rechtsprechung). Das ist hier der Fall.
II.
Die die Entscheidungen des Ausgangsverfahrens tragende Auffassung, trotz des Unterbleibens der Aufklärung der Beschwerdeführerin über die Tragweite des sofortigen Zuschlags habe die Versteigerung nicht an einem erheblichen Verfahrensmangel gelitten, welcher dem Zuschlag entgegengestanden habe, ist willkürlich. Für sie lassen sich keine Gründe finden, die vor den das Grundgesetz beherrschenden Gedanken bestehen könnten. Der Rechtspfleger war zur Aufklärung der Beschwerdeführerin über die Bedeutung des sofortigen Zuschlags verpflichtet. Seine Pflicht zur Unparteilichkeit stand dem nicht entgegen.
1. Die Auseinandersetzungsversteigerung nach §§ 180 ff. ZVG findet statt, wenn die Teilung eines mehreren gehörenden Grundstücks in Natur nicht möglich ist (hier: § 1477 Abs. 1 in Verbindung mit § 753 Abs. 1 BGB). Das Verfahren hat rein instrumentalen Charakter. Es dient der Ersetzung eines unteilbaren durch einen teilbaren Gegenstand, das heißt der Schaffung eines unter den Miteigentümern verteilungsfähigen Erlöses in Geld. Es bereitet mithin eine anderweitig gesetzlich (oder vertraglich) geregelte vermögensrechtliche Auseinandersetzung unter den Eigentümern lediglich vor und hat nicht die Funktion, diese Auseinandersetzung zu ersetzen oder vorwegzunehmen. Jedem Antrag auf Auseinandersetzungsversteigerung liegt deshalb die Erwartung zugrunde, daß ein vernünftiger Erlös, der nicht der denkbar günstigste sein muß, aber immerhin eine Auseinandersetzung noch sinnvoll erscheinen läßt, erzielt werden kann. Hierin liegt die innere Rechtfertigung dafür, daß der Staat durch den Hoheitsakt des Zuschlags das Eigentum auf den Meistbietenden übertragen kann.
Dieses im Grundsatz jeder Auseinandersetzungsversteigerung vorgegebene Verfahrensziel hat der durch den Rechtspfleger erteilte Zuschlag verfehlt. Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift (§ 1476 Abs. 1 BGB) steht bei der Auflösung der ehelichen Gütergemeinschaft jedem Ehegatten der Überschuß zur Hälfte zu. Diese Hälfte betrug für die Beschwerdeführerin bei Zugrundelegung des amtlich geschätzten Verkehrswerts ihres Miteigentums nach Abzug der Grundstückslasten etwa 60.000 DM; sie verringerte sich durch den Zuschlag auf etwa 150 DM.
Landgericht und Oberlandesgericht haben nicht bezweifelt, daß der Rechtspfleger diesem Ergebnis durch Ausübung der Fragepflicht nach § 139 ZPO hätte entgegenwirken können. Hätte der Rechtspfleger die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die Bedeutung der sofortigen Erteilung des Zuschlags auf das Gebot von 2.000 DM befragt, ob sie dem Zuschlag entgegentreten wolle, so hätte die Beschwerdeführerin das bejaht. Das wäre nach Lage des Falles als Einstellungsbewilligung nach § 30 Abs. 1 ZVG oder als Antragsrücknahme nach § 29 ZVG zu werten gewesen. Der Zuschlagsbeschluß hätte dann nicht mehr ergehen dürfen. Die Gerichte haben ferner festgestellt, daß die Beschwerdeführerin infolge ihrer rechtlichen und wirtschaftlichen Unerfahrenheit eines entsprechenden Hinweises bedurft hätte, um ihre Rechte in der geschilderten Art noch wahrnehmen zu können. Bei dieser Sachlage hätte sich den Gerichten in Ansehung von Sinn und Zweck des Auseinandersetzungsverfahrens der Schluß aufdrängen müssen, daß die sofortige Erteilung des Zuschlags an den geschiedenen Ehemann der Beschwerdeführerin ohne deren vorherige Aufklärung Recht in Unrecht verkehrte.
2. Diese fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts ist bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich. Die angegriffenen Entscheidungen haben nicht ausreichend berücksichtigt, daß der Rechtspfleger es unterlassen hat, vor Erteilung des Zuschlags die Bedeutung des Eigentums im sozialen Rechtsstaat und die Ausstrahlung des Art. 6 Abs. 1 GG als wertentscheidender Grundsatznorm in angemessenem Umfang in seine Überlegungen einzubeziehen. Sie beruhen deshalb auf in diesem Sinne sachfremden Erwägungen.
a) Die Gewährleistung des Eigentums ist ebenso wie die Freiheit ein elementares Grundrecht; das Bekenntnis zu ihm ist eine Wertentscheidung des Grundgesetzes von besonderer Bedeutung für den sozialen Rechtsstaat (BVerfGE 14, 263 [277]). Ihr kommt von Verfassungs wegen die Aufgabe zu, dem Träger des Grundrechts einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich zu sichern und dem einzelnen damit eine Entfaltung und die eigenverantwortliche Gestaltung des Lebens zu ermöglichen; insoweit steht die Eigentumsgarantie in einem inneren Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit (BVerfGE 31, 229 [239]).
Der Schutz des Eigentums muß sich in einem sozialen Rechtsstaat auch und gerade für den sozial Schwachen durchsetzen. Denn dieser Bürger ist es, der dieses Schutzes um seiner Freiheit willen in erster Linie bedarf.
b) Nicht unbeachtet bleiben kann ferner, daß Art. 6 Abs. 1 GG die Ehe und die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stellt. Zum Wesen der Ehe im Sinne dieser grundgesetzlichen Gewährleistung gehört die grundsätzlich gleiche Berechtigung beider Partner (vgl. BVerfGE 10, 59 [67]). Diese wirkt - wie die bürgerlich-rechtliche Ausgestaltung des ehelichen Güterrechts beweist - auch auf die vermögensrechtlichen Beziehungen der Eheleute ein, und zwar auch noch nach Auflösung der Ehe hinsichtlich der Aufteilung des früher gemeinsam zustehenden Vermögens. Auch auf diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund ist der Zuschlagsbeschluß kaum verständlich. Denn durch ihn wurde die vermögensrechtliche Auseinandersetzung der geschiedenen Eheleute faktisch vorweggenommen, und zwar einseitig zugunsten des einen und zu Lasten des anderen Teils.
c) Dieser verfassungsrechtliche Rang der Rechtsposition, die für die Beschwerdeführerin auf dem Spiel stand, forderte, daß das Gericht den sofortigen Zuschlag nur erteilte, wenn es sicher sein durfte, daß die Fortführung des Verfahrens noch dem wirklichen Willen der Beschwerdeführerin entsprach und auch nach § 83 Nr. 6 in Verbindung mit § 100 Abs. 3 ZVG noch zulässig war. Denn daß die Zuschlagserteilung den wohlverstandenen berechtigten Interessen der im übrigen vermögenslosen und auf Sozialhilfe angewiesenen Beschwerdeführerin unerträglich zuwiderlief, daß sie eine der Sachlage eindeutig unangemessene Maßnahme war, lag offen zu Tage.
Demgegenüber war die Position des Antragsgegners des Ausgangsverfahrens nicht derart, daß sie durch das Unterlassen einer Aufklärung der Beschwerdeführerin vorrangig hätte geschützt werden müssen. Einen Anspruch, den Miteigentumsanteil seiner früheren Ehefrau unter Wert zu erwerben, hatte er nicht. Der Antragsgegner trat als Bieter auf. Die ihm in dieser Eigenschaft zugefallene Möglichkeit, das Grundstück für einen Schleuderpreis als Alleineigentum zu bekommen - vom Oberlandesgericht als "günstige Gewinnchance" bezeichnet - mußte nach den das Grundgesetz beherrschenden Gedanken im Verhältnis zur Rechtsposition der Beschwerdeführerin unter jedem Gesichtspunkt zurücktreten.
3. Landgericht und Oberlandesgericht haben zu Recht die richterliche Unabhängigkeit, die Distanz und Neutralität (vgl. BVerfGE 21, 139 [145 f.]) der Organe der Rechtspflege hervorgehoben und in ihre Erwägungen einbezogen. Ihnen kann jedoch nicht darin gefolgt werden, daß im vorliegenden Fall die Pflicht zur Unparteilichkeit die Pflicht zur Aufklärung der Beschwerdeführerin herabminderte oder sie gar ausschloß.
Die richterliche Unparteilichkeit ist kein wertfreies Prinzip, sondern an den Grundwerten der Verfassung orientiert. Auch in diesem Zusammenhang enthält das objektive Willkürverbot für den Richter das Gebot sachgerechter Entscheidung im Rahmen der Gesetze unter dem Blickpunkt materialer, wertorientierter Gerechtigkeit. In einer Situation, wie sie im Ausgangsverfahren vor Erteilung des Zuschlags gegeben war, durfte kein staatliches Organ die Hand dazu reichen, die Rechtsposition der Beschwerdeführerin in solchem Ausmaß zu verändern, wie es geschehen ist, ohne sich ihres wahren Willens gewiß zu sein. Um diese Gewißheit zu erlangen, bot sich die Ausübung der richterlichen Aufklärungspflicht nach § 139 ZPO als verfahrensrechtliches Mittel an. Daß von ihr unter den obwaltenden Umständen nicht Gebrauch gemacht wurde, war bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken objektiv willkürlich.
III.
Da die angegriffenen Entscheidungen schon wegen Verstoßes gegen das Willkürverbot verfassungswidrig sind, kann offen bleiben, ob die Unterlassung des Rechtspflegers, die Beschwerdeführerin über die Tragweite eines sofortigen Zuschlags aufzuklären, zugleich ihren Anspruch auf Gewährung des rechtlichen Gehörs verletzen kann.
IV.
Da die angegriffenen Entscheidungen das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 GG verletzen, waren sie aufzuheben. Gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG ist die Sache an das Amtsgericht zurückverwiesen worden. Es wird sich zu vergewissern und darüber zu befinden haben, ob und unter welchen Voraussetzungen die Beschwerdeführerin das Versteigerungsverfahren weiterbetreiben oder den Versteigerungsantrag zurücknehmen will. Für eine erneute sofortige Entscheidung über den Zuschlag ohne vorherige Anhörung der Beschwerdeführerin ist kein Raum.
Die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin hat das Land Hessen gemäß § 34 Abs. 4 BVerfGG zu erstatten.
Dr. Zeidler, Dr. Geiger, Dr. Rinck, Wand, Hirsch, Dr. Rottmann, Dr. Niebler, Dr. Steinberger
 
Abweichende Meinung des Richters Dr Geiger zur Begründung des Beschlusses des Zweiten Senats vom 24. März 1976 - 2 BvR 804/75 -
Ich stimme der Entscheidung im Ergebnis zu.
I.
Der Begründung, Art. 3 Abs. 1 GG sei verletzt, kann ich dagegen nicht zustimmen.
1. Die rechtsstaatliche Verfassung der Bundesrepublik Deutschland besteht nicht nur aus dem Willkürverbot; will sagen: Nicht alles, was rechtsstaatlich unerträglich ist, ist verfassungsrechtlich wegen Verletzung des Art. 3 GG zu beanstanden. Es ist unerträglich, dem Bürger das Spielen zu verbieten; die Verfassungswidrigkeit ergibt sich nicht aus einer Verletzung des Art. 3, sondern aus einer Verletzung des Art. 2 abs 1 GG. Es ist unerträglich, die Entscheidung über Freiheitsentzug der Exekutive zu überlassen; die Verfassungswidrigkeit ergibt sich nicht aus einer Verletzung des Art. 3, sondern aus der Verletzung des Art. 104 Abs. 2, 19 Abs. 4 GG. Es ist unerträglich, Hilflose ihrem Schicksal zu überlassen; die Verfassungswidrigkeit ergibt sich nicht aus einer Verletzung des Art. 3, sondern aus der Verletzung des Sozialstaatsprinzips der Verfassung (Art. 20 Abs. 1 GG). Es ist unerträglich, einen Rechtsstreit durch einen parteiischen Richter entscheiden zu lassen; die Verfassungswidrigkeit ergibt sich nicht aus einer Verletzung des Art. 3, sondern aus der Verletzung der Art. 101, 97 GG. Es ist unerträglich, in einem gerichtlichen Verfahren gegen eine Partei zu entscheiden, die zwar körperlich anwesend ist, aber die evidentermaßen außerstande war, der Verhandlung zu folgen und ihren Sinn zu erkennen; die Verfassungswidrigkeit ergibt sich nicht aus einer Verletzung des Art. 3, sondern aus einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG.
Es gibt eben eine Reihe von Verfassungsbestimmungen, die je für ihren Anwendungsbereich eine Konkretisierung des Rechtsstaatsprinzips darstellen. Dieser Anwendungsbereich umschreibt die typische Konstellation von Unrecht, die unter dem spezifischen Verfassungsrechtssatz gewürdigt werden und diskriminiert sein soll und nicht beliebig unter einen "allgemeineren" rechtlichen Gesichtspunkt gebracht werden darf. Das muß um so mehr gelten, als jene anderen, das Rechtsstaatsprinzip konkretisierenden Vorschriften durchaus die Grenze einer Verletzung rechtsstaatlicher Erfordernisse anders ziehen können als das Willkürverbot, das nach den vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätzen - mit Recht - nur in verhältnismäßig wenigen Fällen "durchgreift". Würde es infolge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts künftig an die Stelle aller anderen Vorschriften des Grundgesetzes treten, die Konkretisierungen des im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Gerechtigkeitspostulats sind und strengere Anforderungen enthalten, also "weiter greifen", so würde dies offensichtlich zu einer Relativierung jener anderen Verfassungsvorschriften führen. Mit anderen Worten: Die in der Verfassung zur Verfügung gestellten Beurteilungsmaßstäbe, die in den verschiedenen Konkretisierungen des Rechtsstaatsprinzips enthalten sind, sind nicht beliebig auswechselbar, - weder in dem Bestreben, mit Hilfe einer in vielen Jahren allmählich entstandenen kasuistischen und deshalb griffigen Rechtsprechung einfachere und eindeutigere Auslegungskriterien zu erhalten oder Abgrenzungsschwierigkeiten zu überwinden, noch in dem Bestreben, möglichst wenig das Feld des einfachen Rechts und seine Interpretation zu berühren, noch in dem Bestreben, die Zahl der Verfassungsbeschwerden in Grenzen zu halten. Die Antwort auf die Frage, ob sich der Richter oder an seiner Stelle der Rechtspfleger in einem gerichtlichen Verfahren in unerträglichen Widerspruch zum Rechtsstaatsprinzip gesetzt hat, ist also in den Vorschriften der Verfassung zu suchen, die das rechtsstaatliche Minimum eines gerichtlichen Verfahrens fixieren.
2. Man darf den aus Art. 3 GG entwickelten Satz vom Willkürverbot nicht so verselbständigen, daß man ihn nun zum Gegenstand der Auslegung macht, also etwa den Begriff "Willkür" auslegt, ohne Rücksicht darauf, daß verfassungsrechtlich seine Grenzen durch die Ableitung aus dem Gleichheitssatz festliegen. Genauer heißt das: Der Satz vom Willkürverbot ist als Maßstab beschränkt auf Fälle, in denen die rechtliche Operation darin besteht, zwei Tatbestände miteinander zu vergleichen, um zu dem Schluß gelangen zu können: es ist mangels eines plausiblen Grundes "willkürlich", sie verschieden zu behandeln (oder sie gleich zu behandeln). Wo nur die Überlegung durchgreift, "so wie in diesem Fall darf niemals von Rechts wegen gehandelt werden; deshalb ist dieses Ergebnis in jedem Fall unerträglich", mag man im allgemeinen Sprachgebrauch ebenfalls von "Willkür" reden, im Rechtssinn ergibt sich aber die Verfassungswidrigkeit nicht aus Art. 3 GG, sondern aus einer anderen Verfassungsvorschrift oder im System der Verfassung möglicherweise am Ende mangels einer ausdrücklichen spezielleren Regelung aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG), das u.a. auch in Art. 3 GG eine wichtige, aber nur begrenzte Ausprägung oder Konkretisierung erfährt. Denn gerecht ist nicht nur, Gleiches gleich und Ungleiches entsprechend seiner Ungleichheit verschieden zu behandeln; gerecht ist auch, kriminelles Unrecht zu bestrafen, für schuldhaft verursachten Schaden Ersatz leisten zu müssen, vertragliche Verpflichtungen erfüllen zu müssen, erarbeitetes Eigentum nicht entschädigungslos opfern zu müssen, usw usf.
Es lassen sich - das ist nicht zu bestreiten - eine Reihe von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zitieren, in denen die Anwendung des Willkürverbots nicht ausdrücklich auf den dahinter steckenden Gedanken der Verletzung des Gleichheitssatzes zurückgeführt wird; insbesondere wird in den summarischen Begründungen von Beschlüssen der sog Dreier-Ausschüsse häufig nur vermerkt, die angegriffene Maßnahme biete keinen Anhalt für die Annahme einer Willkür. Gleichgültig, wie man diese Entscheidungen in ihren hier einschlägigen Passagen bewertet - als Kurzformeln, die das Mißverständnis verursachen, das Willkürverbot habe sich in der Rechtsprechung bereits gegenüber dem Art. 3 GG verselbständigt, oder als eine Rechtsprechung, die gewolltermaßen auf dem Weg ist, das Willkürverbot vom Gleichheitssatz zu lösen, weil sie es für systematisch richtig, also für verfassungsrechtlich geboten hält -, bei der Anwendung des Willkürverbots auf gerichtliche Entscheidungen ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts noch immer deutlich, daß "verglichen" wird: nämlich die angegriffene Entscheidung mit der Fülle der Entscheidungen in gleichgelagerten Fällen; läßt sich für das Abweichen ein plausibler Grund finden, ist das Willkürverbot nicht verletzt. In dem hierher gehörenden, bisher einzigen Fall, in dem das Willkürverbot gegenüber einer Gerichtsentscheidung durchgriff (BVerfGE 34, 325), ist explizit an zwei Stellen auf das "Vergleichspaar" abgestellt mit dem Ergebnis, daß es keinen plausiblen Grund dafür gebe, den Beschwerdeführer schlechter zu behandeln als die übrigen (BVerfGE 34, 325 [329 und 330]).
3. Im vorliegenden Fall bedarf es außerdem einer besonderen Überlegung, wie weit die Verantwortung des Rechtspflegers (und der seine Entscheidung kontrollierenden gerichtlichen Instanzen) in einem zum Zwecke der Auseinandersetzung eingeleiteten Zwangsversteigerungsverfahren reicht. Davon hängt ab, ob und welche Überlegungen materiellrechtlicher Art er innerhalb dieses Verfahrens anzustellen hat. Es gibt gerichtliche Verfahren, in denen dem Gericht aufgegeben ist, das ihm Mögliche zu tun, damit es bei seiner Entscheidung von der zutreffenden Prämisse - dem richtigen Sachverhalt und Tatbestand - ausgeht; diese Verfahren sind vom Grundsatz beherrscht, daß das Gericht von Amts wegen den Sachverhalt zu erforschen hat. Es gibt andere gerichtliche Verfahren, in denen es den Parteien überlassen ist, durch ihr Verhalten (insbesondere ihren Vortrag und ihre Beweisanträge) die Grundlage für die Entscheidung des Gerichts zu schaffen. Dahinter steckt die Überzeugung, daß auf diesem Wege "die Wahrheit", der zutreffende, für die gerichtliche Entscheidung maßgebliche Sachverhalt ans Licht kommen wird. In Verfahren dieser Art hat der Richter oder der an seiner Stelle handelnde Rechtspfleger nur über die Einhaltung der Spielregeln, also darüber zu wachen, daß die Beteiligten die Verfahrensvorschriften beachten und im Falle der Nichtbeachtung gemäß den für ihn bestimmten Verfahrensvorschriften die prozessualen Folgerungen zu ziehen. Er darf davon ausgehen, daß dann das vom Gesetz gewollte "richtige" (auch mit dem Rechtsstaatsprinzip und der darin enthaltenen Gerechtigkeitsidee zu vereinbarende) Ergebnis "herauskommen" wird.
Im Zwangsversteigerungsverfahren zum Zwecke der Auseinandersetzung ist die Verantwortung des Rechtspflegers im eben umschriebenen Umfang beschränkt. Er hat nur zu prüfen, ob die Beteiligten ihrerseits sich den Verfahrensvorschriften entsprechend verhalten haben und bei seiner Entscheidung alle verfahrensrechtlichen Vorschriften zu beachten, zu denen auch verfassungsrechtlich gebotene Verfahrensvorschriften gehören können. Dagegen ist er in einem Verfahren dieser Art nicht verpflichtet und auch mangels der dazu erforderlichen umfassenden Kenntnis der Umstände tatsächlich nicht in der Lage zu erwägen, ob mit seiner - verfahrensrechtlich korrekten! - Entscheidung materiellrechtlich ein "ungerechtes", beispielsweise mit der Idee der Gerechtigkeit, mit dem Schutz des Eigentums, mit dem Schutz von Ehe und Familie nicht zu vereinbarendes Ergebnis verbunden ist. Das Schicksal dieser materiellrechtlichen Folgen ist, soweit nicht besondere Verfahrensvorschriften (beispielsweise über Mindestgebote, die das Verschleudern von Eigentumswerten verhindern) bestehen, in die Hand der Beteiligten gelegt gemäß dem Grundsatz lex vigilantibus scripta; sie wissen im allgemeinen am besten, ihre Interessen zu wahren; ihnen bleibt freilich auch das Risiko dieser Freiheit. Das bedeutet: Es lassen sich die - verfahrensrechtlich korrekt zustande gekommenen (über diese Frage ist unter II zu handeln) - materiellen Folgen nicht dadurch in Frage stellen, daß man direkt oder indirekt materiellrechtliche Verfassungsvorschriften in eine (einfachrechtliche) Verfahrensvorschrift (§ 139 ZPO) "hineinwirken" läßt. Das geschieht auch dann, wenn man das Ergebnis, nämlich die materiellrechtliche Folge des Verfahrens, am Willkürverbot mißt und das "Willkürliche" in der Nichtbeachtung der Auswirkung von Grundrechten - hier der Art. 6 Abs. 1 und Art. 14 GG - erblickt. Davon abgesehen, entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, daß in der Verkennung der Bedeutung eines Grundrechts (oder: in der Verkennung der Bedeutung der im Grundrecht enthaltenen Wertentscheidung) bei der Auslegung und Anwendung einer anderen Vorschrift die Verletzung eben jener Grundrechte (hier also des Art. 6 Abs. 1 und des Art. 14 GG) liegt; es bedarf dann also nicht des "Umwegs" über den Art. 3 GG!
II.
Im gerichtlichen Zwangsversteigerungsverfahren gilt, wie in anderen Verfahren, der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Schwerpunkt der Anwendung dieser Verfahrensgarantie lag bisher in den Fällen, in denen das Gericht den Vortrag einer Partei "übersehen" und deshalb bei seiner Entscheidung nicht gewürdigt hat, sowie in den Fällen, in denen eine Partei tatsächlich oder rechtlich gehindert war, vorzutragen, was sie ohne die Behinderung hätte vortragen wollen. Aus dem Art. 103 Abs. 1 GG hat die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bisher weder einen Anspruch auf Rechtsgespräch zwischen der Partei und dem Gericht noch eine allgemeine Frage- und Aufklärungspflicht des Richters abgeleitet. Es hält also bisher - mit Recht - § 139 ZPO für dessen gesamten Anwendungsbereich nicht als durch Art. 103 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geboten. Verletzt ist Art. 103 Abs. 1 GG nach dieser Rechtsprechung allerdings, wenn ein Gericht über eine Beschwerde entscheidet, ohne daß von ihr der durch die angegriffene Entscheidung Begünstigte etwas erfahren hat, und wenn ein Revisionsgericht ohne vorherigen Hinweis die von den Vordergerichten für maßgeblich gehaltenen rechtlichen Gesichtspunkte verläßt und eine eigene, von den Parteien bisher nicht ins Auge gefaßte Rechtsgrundlage seiner Entscheidung zugrunde legt.
1. Rechtliches Gehör setzt nicht nur die Bereitschaft des Gerichts voraus, die Partei anzuhören und ihren Vortrag zu würdigen; die Partei, die den Anspruch auf rechtliches Gehör hat, muß auch ihrerseits imstande sein, von ihrem Recht Gebrauch zu machen, dh sie darf nicht gehindert sein, sich rechtliches Gehör bei Gericht zu verschaffen. Nur so erklärt sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die unzumutbare Erschwerungen bei der Gewährung einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für unvereinbar mit Art. 103 Abs. 1 GG hält. Rechtlich gehindert, sich rechtliches Gehör zu verschaffen, ist der wegen Geisteskrankheit Entmündigte, aber auch der Geisteskranke, tatsächlich gehindert ist der, den die Ladung zum Verhandlungstermin nicht erreicht hat, aber auch der im Termin anwesende Taube oder der Ausländer, der der deutschen Sprache nicht mächtig ist. In allen diesen Fällen mögen prozessuale Vorschriften des einfachen Rechts Handhaben bieten, die in der Regel sicherstellen, daß der genannte Personenkreis, der zunächst gehindert ist, sich Gehör zu verschaffen, schließlich doch noch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör realisieren kann. Daraus folgt aber weder, daß alle diese einfachrechtlichen Vorschriften verfassungsrechtlich geboten sind, noch umgekehrt, daß unabhängig von ihnen unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG nicht entwickelt werden kann, welches Minimum an Hindernisfreiheit auf seiten des Bürgers verfassungsrechtlich geboten ist, damit die Garantie des rechtlichen Gehörs effektiv ist.
2. Nach § 83 Nr. 6 ZVG ist der Zuschlag zu versagen, wenn die Zwangsversteigerung oder die Fortsetzung des Verfahrens aus einem sonstigen Grund unzulässig ist; diesen Versagungsgrund hat das Beschwerdegericht von Amts wegen zu berücksichtigen (§ 100 Abs. 3 ZVG). Hierher rechnen nach Rechtsprechung und Literatur auch grundlegende Verfahrensfehler. Wie diese Vorschrift des einfachen Rechts auszulegen ist und wieweit sie greift, haben die zuständigen Gerichte in eigener Verantwortung zu würdigen und zu entscheiden. Hier ist nur entscheidend, daß unter den mehreren möglichen "sonstigen Gründen", die zur Versagung des Zuschlags führen können, jedenfalls auch gehört der unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG herzuleitende Grund, daß einer der Beteiligten nicht in der Lage gewesen war, sich effektiv rechtliches Gehör zu verschaffen - gleichgültig, ob die Umstände, die das verhinderten, in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Prozeßbeteiligten gelegen haben. Ist ein solcher Versagungsgrund gegeben, mag das einfache Recht den Richter zu Fragen, zur Belehrung über Vor- und Nachteile eines bestimmten Verhaltens, zur Anregung weiteren Sachvortrags, zur Aufklärung über mögliche Rechtsbehelfe verpflichten (vgl. § 139 ZPO). Gleichgültig, ob diesen einfachrechtlichen Vorschriften Genüge getan worden ist oder nicht, Art. 103 Abs. 1 GG fordert diese Bemühungen des Richters nicht; er verlangt nur, daß, wenn jenes Hindernis in der Person eines Verfahrensbeteiligten besteht und nicht beseitigt worden ist - entsprechend den im Verfahrensrecht angelegten Grundsätzen - der Zuschlag zu versagen ist. Diese Auslegung des Art. 103 Abs. 1 GG führt also keineswegs zu einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Gerichts zum Rechtsgespräch mit den Prozeßbeteiligten.
Im übrigen läßt sich der Anwendungsbereich für die aus Art. 103 Abs. 1 GG entwickelte Rechtsfolge der Versagung des Zuschlags relativ klar eingrenzen: Der im Verfahren anwesende Verfahrensbeteiligte muß aus objektiven, in seiner Person liegenden Gründen nicht in der Lage sein, von dem ihm verfahrensrechtlich eröffneten und vom Gericht nicht behinderten Recht auf rechtliches Gehör Gebrauch zu machen (zB weil er geisteskrank ist, unter Rauschgift steht, taub ist, der deutschen Sprache nicht mächtig ist); dazu gehört auch der Fall, daß er intellektuell nicht fähig ist, den Ablauf des Verfahrens zu verstehen, zu begreifen, was für ihn auf dem Spiel steht, und verfahrensgerecht zu reagieren. Da in diesem Fall (ähnlich übrigens auch in den anderen genannten Fällen!) die "intellektuelle Unfähigkeit" in der Regel nicht ohne weiteres erkennbar ist (und solange kein Anhalt, solange kein Anlaß zur Aufklärung!), bedarf es der zusätzlichen Einschränkung, daß es evident sein muß, daß der Verfahrensbeteiligte aus in seiner Person liegenden Umständen außerstande war, von seinem Recht auf rechtliches Gehör Gebrauch zu machen. Diese Evidenz ergibt sich mit hinreichender Eindeutigkeit aus dem unorientierten, hilflosen, dem Geschehen verständnislos gegenüberstehenden Verhalten des im Termin anwesenden Beteiligten. Nur wenn diese intellektuelle Unfähigkeit, sich das rechtliche Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG zu verschaffen, evident ist, aber auch stets in diesen Fällen gebietet Art. 103 Abs. 1 GG für das Zwangsversteigerungsverfahren - in Übereinstimmung mit der rechtlichen Struktur dieses Verfahrens - die Versagung des Zuschlags.
Dieser verfassungsrechtlichen Lage haben weder der Rechtspfleger noch die Beschwerdegerichte Rechnung getragen. Daraus folgt: Der Beschluß des Amtsgerichts Michelstadt vom 23. Januar 1975 sowie die Beschlüsse des Landgerichts Darmstadt vom 28. April 1975 und des Oberlandesgerichts Frankfurt aM vom 9. Juli 1975 verletzen das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 103 Abs. 1 GG und sind deshalb aufzuheben.
Dr. Geiger