BVerfGE 42, 143 - Deutschland-Magazin |
Zu den Grenzen verfassungsgerichtlicher Nachprüfung von Entscheidungen der ordentlichen Gerichte in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 11. Mai 1976 |
-- 1 BvR 671/70 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde 1. des Deutschen Gewerkschaftsbundes, gesetzlich vertreten durch den geschäftsführenden Bundesvorstand, Düsseldorf, Hans-Böckler-Straße 39, 2. des Redakteurs Sch..., 3. des Journalisten Prof. Dr. F... - Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. F. Kohlndorfer, München 2, Goethestraße 12 - gegen das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 14. Juli 1970 - 9 U 1028/70 -. |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. |
Gründe: |
A. -- I. |
1. Der Beschwerdeführer zu 1) gibt einen periodisch erscheinenden, mit "Gewerkschaftspresse" überschriebenen Informationsdienst heraus, den er an alle Zeitungsredaktionen in der Bundesrepublik verschickt. Verantwortlicher Redakteur ist der Beschwerdeführer zu 2). Nr. 112 dieses Informationsdienstes vom 25. Juni 1969 wies auf Seite 1 unter der Überschrift: "Deutschland-Magazin - Noch ein rechtsradikales Hetzblatt" auf einen im Inneren des Hefts abgedruckten Artikel des Beschwerdeführers zu 3) hin, der den Titel "Noch ein rechtsradikales Hetzblatt" trug. In diesem Beitrag wurde ausgeführt, die rechtsradikale, nationalistische Presse in der Bundesrepublik vermehre sich in einem erschreckenden Tempo; auch die "sattsam bekannte" Deutschland-Stiftung gebe jetzt ein eigenes Blatt, das "Deutschland-Magazin", heraus. Die soeben erschienene Nummer 1 des Blattes lasse keinen Zweifel daran, welcher Geist hier gepflegt und verbreitet werden solle. Am Schluß des Artikels wurde auf "die enge Verknüpfung des rechtsradikalen Blattes mit katholischen und CSU-Stellen" hingewiesen.
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2. Nachdem die Deutschland-Stiftung, vertreten durch das geschäftsführende Vorstandsmitglied Kurt Ziesel, zunächst eine einstweilige Verfügung erwirkt hatte, erhob sie Unterlassungsklage gegen die Beschwerdeführer mit dem Antrag, ihnen zu verbieten, wörtlich oder sinngemäß die Behauptung aufzustellen oder zu verbreiten, das Deutschland-Magazin sei ein rechtsradikales Hetzblatt. Das Landgericht gab der Klage in vollem Umfang statt. Auf die Berufung hat das Oberlandesgericht den Beschwerdeführern durch das angefochtene Urteil unter Strafandrohung verboten, die Behauptung zu verbreiten, das Deutschland-Magazin sei ein "rechtsradikales Hetzblatt". Soweit auch die Untersagung der inhaltsgleichen sinngemäßen Behauptung beantragt war, hat es die Klage abgewiesen.
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Die Deutschland-Stiftung als Herausgeberin des Magazins könne gemäß § 823 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 1004 BGB die Unterlassung der umstrittenen Formulierung beanspruchen. Die Bezeichnung des Deutschland-Magazins als rechtsradikales Hetzblatt sei "eine Beleidigung und üble Nachrede im Sinne der §§ 185, 186 StGB", deren Verbreitung weder durch Wahrnehmung berechtigter Interessen gemäß § 193 StGB noch durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung gerechtfertigt sei. Für die Einordnung in die Beleidigungstatbestände komme es entscheidend auf die Verbindung der Worte "rechtsradikal" und "Hetzblatt" an. Diese Wortverbindung sei geeignet, das Ansehen der Deutschland-Stiftung als Herausgeberin des Magazins in der Öffentlichkeit herabzuwürdigen (§ 186 StGB). Zugleich enthalte sie den Vorwurf der bedenkenlosen und gewissenlosen Agitation für verfassungsfeindliche Ziele; darin liege eine Beleidigung der hinter der Deutschland-Stiftung stehenden verantwortlichen Personen (§ 185 StGB). Den im Ausgangsverfahren vorgelegten ersten sechs Exemplaren des Deutschland-Magazins könne nicht entnommen werden, daß es sich tatsächlich um ein "rechtsradikales Hetzblatt" handele. Bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Interessen sei dem Anspruch der Herausgeber des Deutschland-Magazins auf Achtung ihrer Ehre und ihres Ansehens in der Öffentlichkeit der Vorzug zu geben. Dabei sei sowohl der Gesichtspunkt berücksichtigt, daß starke Formulierungen erlaubt seien, wenn der Gegner selbst sich emotionell und reißerisch ausdrücke, als auch der Umstand, daß die Beschwerdeführer ihre Vorwürfe ausschließlich im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung ohne persönliche Nebenzwecke erhoben hätten. Allerdings gehe der Antrag auf ein Verbot auch der sinngemäßen Behauptung, das Deutschland-Magazin sei ein rechtsradikales Hetzblatt, zu weit. Es könne nicht von vornherein gesagt werden, daß ein in sachlichere Worte gefaßtes, weniger schmähendes und reißerisches Werturteil ebenfalls beleidigend wäre, auch wenn es in der Sache das gleiche zum Ausdruck brächte wie die beanstandete Formulierung. Eine solche Kritik wäre durch die berechtigten Interessen der Beklagten und durch ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung gedeckt.
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II. |
1. Mit der Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer einen Verstoß gegen Art. 5 GG. Sie machen geltend:
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Wegen des im Deutschland-Magazin zutage tretenden polemischen Stils müsse sich deren Herausgeberin die Bezeichnung als "rechtsradikales Hetzblatt" gefallen lassen. Das Deutschland-Magazin verwende selbst gegenüber Andersdenkenden den Ausdruck "Hetze". Wegen des emotionellen, unsachlichen und einseitigen Engagements des Deutschland-Magazins, welches die Gegnerschaft der Beschwerdeführer herausgefordert habe, sei die beanstandete Äußerung eine adäquate Reaktion auf das publizistische Wirken der Deutschland-Stiftung. Die Beschwerdeführer hätten sich deren "Kampfstil" anpassen dürfen. Ihre Stellungnahme sei in einem gewerkschaftlichen Presseorgan veröffentlicht worden, zu dessen wesentlichen Aufgaben es gehöre, sich kritisch mit politischen Richtungen auseinanderzusetzen, welche die Verwirklichung demokratischen Gedankengutes gefährden könnten. Da der Sinn jeder zur Meinungsbildung beitragenden öffentlichen Äußerung darin bestehe, Aufmerksamkeit zu erregen, seien angesichts der heutigen Reizüberflutung einprägsame, auch starke Formulierungen hinzunehmen.
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2. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Die vom Oberlandesgericht angestellten Erwägungen und die daraus abgeleitete Würdigung des Falles ließen einen Verstoß gegen Art. 5 GG nicht erkennen. Indem das Oberlandesgericht nur den ausdrücklichen Gebrauch der Worte "rechtsradikales Hetzblatt", nicht aber eine sinngemäße Behauptung verboten habe, habe es für den konkreten Fall eine Lösung gefunden, die einerseits die Bedürfnisse des Ehrenschutzes angemessen berücksichtige und andererseits der Freiheit der Meinungsäußerung weiten Raum gebe.
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3. Auch die Deutschland-Stiftung sieht die Verfassungsbeschwerde als unbegründet an. Sie meint, das Bundesverfassungsgericht habe seiner Entscheidung die vom Oberlandesgericht gefundene Auslegung des einfachen Rechts zugrundezulegen. Ein "Kompensationsgrundsatz", nach dem sich derjenige ehrenrührige Angriffe gefallen lassen müsse, der selbst solche Angriffe führe, sei aus Art. 5 Abs. 1 GG nicht herzuleiten und deshalb nicht verfassungsrechtlicher, sondern allenfalls zivil- oder strafrechtlicher Natur. Auch trügen die vom Oberlandesgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht den Schluß, das Deutschland-Magazin habe den Beschwerdeführern Anlaß zu diffamierenden Reaktionen gegeben. Eine Kollision von Ehrenschutz und Meinungsfreiheit sei nicht zu erkennen, weil den Beschwerdeführern eine formal angemessene Kundgabe ihrer Meinung, die darum nicht weniger wirkungsvoll zu sein brauche, nicht verboten worden sei.
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B. |
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
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I. |
1. Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine zivilgerichtliche Entscheidung über einen bürgerlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch nach §§ 823, 1004 BGB in Verbindung mit §§ 185, 186 StGB. Diese Bestimmungen auszulegen und anzuwenden ist Aufgabe der ordentlichen Gerichte, die bei ihrer Entscheidung dem Einfluß der Grundrechte auf die Vorschriften des bürgerlichen Rechts Rechnung tragen müssen (BVerfGE 7, 198 [204 ff.] - Lüth -, st. Rspr). Die auf diesem Wege einwandfrei getroffene Feststellung eines Verstoßes gegen die Bestimmungen zum Schutz der Ehre aktualisiert die verfassungsrechtliche Grenze der Meinungsfreiheit im Einzelfall (BVerfGE 19, 73 [74]).
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Auch wenn die ordentlichen Gerichte grundrechtlich verbürgte Positionen Privater gegeneinander abzugrenzen haben und dabei - vor allem bei der Interpretation von Generalklauseln und anderer "Einbruchstellen" der Grundrechte in das bürgerliche Recht - grundrechtsbezogen argumentieren, wenden sie Privatrecht an (BVerfGE 7, 198 [205 f.] - Lüth -). Wie die "richtige" Lösung einer bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit konkret auszusehen hat, ist im Grundgesetz nicht vorgeschrieben. Es enthält vielmehr in seinem Grundrechtsabschnitt verfassungsrechtliche Grundentscheidungen für alle Bereiche des Rechts, die sich erst durch das Medium der das jeweilige Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften entfalten (BVerfGE 7, 198 [205] - Lüth -).
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Das Bundesverfassungsgericht hat daher die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts als solche nicht nachzuprüfen. Ihm obliegt es lediglich, die Beachtung der grundrechtlichen Normen und Maßstäbe durch die ordentlichen Gerichte sicherzustellen (BVerfGE 7, 198 [205 ff.] - Lüth -; 18, 85 [92 f.]; 30, 173 [187f, 196 f.] - Mephisto -; 32, 311 [316]); nicht kann es seine Aufgabe sein, in jedem Einzelfall nach Art einer Superinstanz seine Vorstellung von der zutreffenden Entscheidung an die Stelle derjenigen der ordentlichen Gerichte zu setzen.
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Allerdings lassen sich die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts nicht starr und gleichbleibend ziehen; ihm muß ein gewisser Spielraum bleiben, der die Berücksichtigung der besonderen Lage des Einzelfalles ermöglicht (BVerfGE 18, 85 [93]). Von Bedeutung ist namentlich die Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung: das Bundesverfassungsgericht kann einer rechtskräftigen zivilgerichtlichen Entscheidung nicht schon dann entgegentreten, wenn es selbst bei der Beurteilung widerstreitender Grundrechtspositionen die Akzente anders gesetzt und daher anders entschieden hätte. Die Schwelle eines Verstoßes gegen objektives Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist vielmehr erreicht, wenn die Entscheidung der Zivilgerichte Auslegungsfehler erkennen läßt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (BVerfGE 18, 85 [93]). Je nachhaltiger ferner ein zivilgerichtliches Urteil im Ergebnis die Grundrechtssphäre des Unterlegenen trifft, desto strengere Anforderungen sind an die Begründung dieses Eingriffs zu stellen und desto weiterreichend sind folglich die Nachprüfungsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts; in Fällen höchster Eingriffsintensität (vgl. etwa BVerfGE 35, 202 - Lebach -) ist es durchaus befugt, die von den Zivilgerichten vorgenommene Wertung durch seine eigene zu ersetzen.
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2. Ob hiernach einem von den Zivilgerichten ausgesprochenen Äußerungsverbot entgegenzutreten ist, hängt in erster Linie davon ab, ob es die Kundgabe einer Meinung, dh eines Gedankens, mit dem der Äußernde einen Beitrag zu der durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten geistigen Auseinandersetzung leisten will, verhindert. Ein solches Verbot ist stets, gleichgültig, ob es im staatlichen Interesse oder zugunsten Privater erfolgt, ein empfindlicher Eingriff, an dessen Verfassungsmäßigkeit strenge Anforderungen zu stellen sind. So hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt in Fällen eingegriffen, in denen der Beschwerdeführer von den Gerichten gehindert wurde, Beiträge zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, die vom Standpunkt des Beschwerdeführers aufgrund ihres gedanklichen Inhalts von Gewicht waren L (vgl. BVerfGE 7, 198 - Lüth -; 12, 113 - Schmid-Spiegel -; 24, 278 - Tonjäger - ).
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Demgegenüber erscheinen Behinderungen der Meinungsfreiheit, die ausschließlich die Form einer Äußerung berühren, weniger gravierend. Zwar umfaßt Art. 5 Abs. 1 GG grundsätzlich auch die Freiheit, selbst darüber zu entscheiden, wie ein Gedanke formuliert werden soll. Es wäre mit der Bedeutung, die das Grundgesetz der freien Rede und namentlich der unabhängigen Presse zuerkennt, nicht in Einklang zu bringen, wenn dem Einzelnen vorgeschrieben würde, in welcher Form er seine gedanklichen Beiträge "angemessen" auszudrücken hätte. Doch besteht zumindest graduell ein erheblicher Unterschied: in aller Regel - wenngleich nicht immer - lassen sich Formulierungen ohne Schwierigkeit auswechseln, ohne daß der Gedanke als solcher darunter leidet. Gedankenäußerungen als etwas "Unvertretbares" sind dagegen ohne Verlust ihrer Substanz nicht durch andere zu ersetzen. Die Pflicht zur Rücksicht auf die Persönlichkeit anderer führt deshalb im allgemeinen so lange nicht zu einer praktischen Beschränkung der freien Rede, als dies durch den Gebrauch einer anderen, nicht kränkenden Ausdrucksform geschehen kann. Schwererwiegende, im Blick auf Art. 5 Abs. 1 GG relevante Konflikte, die das Bundesverfassungsgericht zu einer eingehenderen Prüfung veranlassen müssen, können erst entstehen, wenn dem Äußernden ein Verzicht auf gedankliche Teile seiner Äußerung zugemutet wird.
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II. |
Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe muß das angegriffene Urteil Bestand haben.
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Die Grundrechte der freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit, auf die die Beschwerdeführer sich berufen, finden nach Art. 5 Abs. 2 GG ihre Schranken ua in den Vorschriften der "allgemeinen Gesetze" und in dem Recht der persönlichen Ehre. Diese Schranken müssen im Lichte der Bedeutung des Grundrechts der Meinungsfreiheit gesehen werden; sie sind ihrerseits aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat auszulegen und so in ihrer das Grundrecht beschränkenden Wirkung selbst wieder einzuschränken (BVerfGE 7, 198 [208 f.] - Lüth -, st Rspr). Die Verhältnisbestimmung von Meinungsfreiheit und Ehrenschutz, zu der das Oberlandesgericht in Anwendung dieser Grundsätze auf den konkreten Fall gelangt ist, kann keine Veranlassung geben, seiner Entscheidung entgegenzutreten.
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1. Das angegriffene Urteil verbietet nur die wörtliche, nicht auch die sinngemäße Behauptung, das Deutschland-Magazin sei ein "rechtsradikales Hetzblatt". Es bringt zum Ausdruck, daß die Beschwerdeführer nicht gehindert sind, ihre Kritik zu wiederholen und dabei ihre Geringschätzung klar und sogar drastisch kundzutun. Da die beanstandete Wortkombination "rechtsradikales Hetzblatt" zwar eine besondere Schärfe, nicht aber einen eigenständigen sachlichen Aussagewert aufweist, der durch den Gebrauch anderer Worte nicht ebenso verwirklicht werden könnte, werden die Beschwerdeführer an der Äußerung eines bestimmten Gedankeninhalts nicht gehindert.
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Den Beschwerdeführern wird auch nicht zugemutet, von ihrer Äußerung abzurücken. Das auf die Zukunft gerichtete Äußerungsverbot soll vor allem präventive Wirkung entfalten; es mißbilligt zwar objektiv die gebrauchte Formulierung, enthält jedoch keinen subjektiven Schuldvorwurf und knüpft, anders als ein Strafurteil oder eine zivilgerichtliche Verurteilung zu Schmerzensgeld oder Widerruf, auch keine nachträglichen Sanktionen an die Veröffentlichung des Artikels. Die Beschwerdeführer haben das mit dem Artikel verfolgte Ziel, ihre Leser über den Charakter des Deutschland-Magazins aufzuklären, verwirklicht und im Ausgangsverfahren eine Aufhebung des inhaltlichen Eingriffs in ihre Grundrechte der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit erreicht; der Streit ist jetzt für beide Seiten kaum mehr als eine Prestigeangelegenheit. Das alles unterscheidet die praktischen Urteilsfolgen des vorliegenden Falles grundlegend von denjenigen anderer Verfahren, in denen das Bundesverfassungsgericht zum Schutz der Meinungsfreiheit rechtskräftige Gerichtsentscheidungen aufzuheben hatte (BVerfGE 7, 198 - Lüth -; 12, 113 - Schmid-Spiegel -; 24, 278 - Tonjäger -).
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2. Das Oberlandesgericht hat die Bedeutung und den Umfang des Schutzbereichs der Meinungs- und Pressefreiheit jedenfalls im Ergebnis nicht zum Nachteil der Beschwerdeführer verkannt. Die wesentlichen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkte sind im Urteil nicht nur nominell erwähnt, sondern auch sachlich erörtert worden. Es fehlt nicht an einer einzelfallbezogenen Abwägung, die einerseits berücksichtigt, daß § 193 StGB eine besondere Ausprägung des Grundrechts der Meinungsfreiheit ist (BGHSt 12, 287 [293]), und andererseits bemüht ist, der verfassungsrechtlich geschützten Position des Klägers des Ausgangsverfahrens gerecht zu werden. Das Oberlandesgericht hat den entscheidenden Gesichtspunkt herausgestellt, indem es betont, daß eine zwar nicht in der Form, aber im Inhalt gleiche Kritik der Beschwerdeführer an dem Deutschland-Magazin durch Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt ist, und es hat folgerichtig das Urteil des Landgerichts insoweit aufgehoben, als dieses auch die sinngemäße Behauptung verboten hatte. Diese Begründung läßt eine Grundrechtsverletzung nicht erkennen.
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3. Dementsprechend kommt Bedenken, zu denen die Begründung des angegriffenen Urteils Anlaß geben kann, hier kein ausschlaggebendes Gewicht zu.
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So mag es im Rahmen der Würdigung des einfachen Rechts bedenklich sein, wenn das Oberlandesgericht die Bezeichnung "rechtsradikales Hetzblatt" nicht ausschließlich als Werturteil, sondern als Tatsachenbehauptung aufgefaßt und deren "Richtigkeit" nachgeprüft hat. Es kann auch dahinstehen, ob das Einschreiten der Zivilgerichte zum Schutz der Ehre der Herausgeber des Deutschland-Magazins im Hinblick auf den von diesem Blatt gepflegten Stil und sein Argumentationsniveau nach einfachem Recht wirklich angemessen und geboten war. Unter dem Blickwinkel des Art. 5 Abs. 1 GG lassen sich daraus keine durchgreifenden Einwände herleiten. Denn es handelt sich bei dem Recht der persönlichen Ehre um eine verfassungsrechtlich positivierte Schranke der Meinungs- und Pressefreiheit. Über sie können sich die Gerichte nicht ohne weiteres mit dem Argument hinwegsetzen, angesichts der heutigen Reizüberflutung könne eine Meinungsäußerung, um bessere Wirkung zu erzielen, einprägsame, auch starke Formulierungen erfordern (BVerfGE 24, 278 [286] - Tonjäger -). Dieser Gesichtspunkt kann ebenso wie das von den Beschwerdeführern in Anspruch genommene Recht des "Gegenschlags" L (vgl. dazu BVerfGE 12, 113 [125 f.] - Schmid-Spiegel -; 24, 278 [282 f.] - Tonjäger -; BGHSt 12, 287 [294]) von Bedeutung sein, soweit (auch) eine inhaltliche Beschränkung der Meinungsfreiheit in Frage steht. Dagegen sind Erwägungen solcher Art nicht geeignet, jedwede Verletzung der Ehre des politischen Gegners von Verfassungs wegen zu rechtfertigen. Sie machen es für die Gerichte zwar notwendig, bei der Verhängung nachträglicher Sanktionen (Schmerzensgeld, Widerruf, strafrechtliche Verurteilung) im Falle spontan erfolgter herabsetzender Meinungsäußerungen Zurückhaltung zu üben. Es gibt jedoch kein grundrechtlich verbürgtes Recht, Formulierungen als solche, deren ehrverletzender Charakter nach Ansicht der ordentlichen Gerichte feststeht, weiterhin verwenden zu können, weil der Gegner sich einer ähnlichen Sprache bedient oder weil im Rahmen der Auseinandersetzung die "Reizschwelle" gestiegen ist. Das Beharren auf der Schärfe der verwendeten Ausdrücke, vollends deren Steigerung ist nicht Teil jener in Freiheit geführten geistigen Auseinandersetzung, die das Grundgesetz garantiert und dem Recht der persönlichen Ehre zuordnet. Diese setzt immer ein Argumentieren, einen Austausch von Gedanken voraus, an dem es fehlt, wenn wie hier ausschließlich über die Zulässigkeit bestimmter Formulierungen gestritten wird.
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Dr. Benda (für Richter Dr. Haager), Dr. Benda, Rupp-v. Brünneck, Dr. Böhmer, Dr. Simon, Dr. Faller, Dr. Hesse, Dr. Katzenstein |
Abweichende Meinung der Richterin Rupp-v. Brünneck zum Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Mai 1976 - 1 BvR 671/70 - |
Nach meiner Ansicht hätte die Verfassungsbeschwerde aus folgenden Erwägungen Erfolg haben müssen:
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I. |
Die Frage, wo die Grenzen der Eingriffsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts liegen, soweit es sich um die Nachprüfung der Anwendung von Privatrecht durch die Fachgerichte handelt, wird voraussichtlich immer problematisch bleiben. Das Bundesverfassungsgericht steht hier zwischen Scylla und Charybdis: Ein Zuwenig an verfassungsgerichtlicher Prüfung kann die Effektivität des Grundrechtsschutzes beeinträchtigen, ein Zuviel die angemessene Funktionsteilung im Verhältnis des Bundesverfassungsgerichts zu den anderen Gerichten stören und dem Bundesverfassungsgericht eine quantitativ und - wegen des Umfangs und der Spezialisierung des sogenannten "einfachen" Rechts - auch qualitativ nicht tragbare Last aufbürden. Wie ich in meiner abweichenden Meinung zu dem Senatsbeschluß vom 24. Februar 1971 (BVerfGE 30, 173 [218] - Mephisto -) näher dargelegt habe, sollte die Frage in Erkenntnis dieser Konsequenzen nicht zu dogmatisch beantwortet werden (vgl. BVerfGE a.a.O. [219 ff.]; s.a. BVerfGE 18, 85 [93]). Dabei halte ich es nicht nur für legitim, sondern für unerläßlich, daß bei einem Grundrecht, das von so fundamentaler Bedeutung für den einzelnen Bürger und für das Gemeinwesen schlechthin ist wie die Freiheit der Meinungsäußerung, die "in gewissem Sinne die Grundlage jeder Freiheit überhaupt" darstellt (BVerfGE 7, 198 [208] - Lüth -), die Eingriffsschwelle relativ niedriger angesetzt wird. Das Ventil gegen eine etwaige Überflutung des Bundesverfassungsgerichts muß und kann im sachgerechten Einsatz des Annahmeverfahrens (§ 93a BVerfGG) gefunden werden.
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Offenbar ist dies, jedenfalls im Ansatzpunkt, auch der Standpunkt der Senatsmehrheit. Der jetzige Beschluß geht bei der prinzipiellen Abgrenzung in begrüßenswerter Weise weiter und ist flexibler als die Mehrheitsmeinung in der Mephisto-Entscheidung: Nicht nur ein Auslegungsfehler, der auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, besonders vom Umfang seines Schutzbereichs beruht und in seiner materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht ist, soll zur Korrektur durch das Bundesverfassungsgericht führen, sondern auch die Intensität, mit der eine Gerichtsentscheidung, die von einer prinzipiell richtigen Auslegung ausgeht, im Ergebnis in die Grundrechtssphäre des Unterlegenen eingreift. Dennoch erscheint mir auch diese Bestimmung des Prüfungsbereichs in doppelter Hinsicht noch nicht als ausreichend:
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a) Zum einen sollte unterschieden werden zwischen den Fällen, in denen die Rechtsanwendung notwendig eine Abwägung zwischen dem betreffenden Grundrecht und anderen Rechtsgütern verlangt, und solchen Fällen, in denen eine sich zunächst allein im Zivilrechtsbereich bewegende Rechtsanwendung nur im Ergebnis Auswirkungen auf den Grundrechtsbereich hat (zB: Ist die Entscheidung darüber, ob A oder B nach bürgerlichem Recht Eigentümer eines Grundstücks ist, falsch, so berührt dies in der Auswirkung das durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum des Unterlegenen). Der vorliegende Fall gehört zur ersten Kategorie: Die Entscheidung über die Unterlassungsklage erfordert wesentlich eine Abwägung zwischen den Grundrechten der Meinungs- und Pressefreiheit und dem Rechtsgut der persönlichen Ehre. Insoweit handelt es sich um "spezifisches Verfassungsrecht". Daher muß die Gerichtsentscheidung schon dann aufgehoben werden, wenn nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts das Fachgericht bei Zugrundelegung der grundsätzlich richtigen prinzipiellen Auffassung vom Schutzbereich des Grundrechts im konkreten Fall niemals zu dem gefundenen Ergebnis hätte gelangen dürfen (vgl. meine abweichende Meinung im Mephisto-Fall, BVerfGE 30, 218 [220]). Anderenfalls wird die Schutzfunktion der Verfassungsbeschwerde nicht genügend erfüllt; denn dieser Rechtsbehelf soll dem Bürger ja gerade die effektive Durchsetzung seines Grundrechts im Einzelfall verbürgen.
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Dabei sei angemerkt, daß der immer wieder einmal in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auftretende oder von seiten des Schrifttums empfohlene Trend zur restriktiven Auslegung der Prüfungsbefugnis im Verhältnis zu den Fachgerichten nicht recht harmoniert mit der Tendenz zur Ausweitung der verfassungsgerichtlichen Prüfung gegenüber dem Gesetzgeber (vgl. hierzu die abweichenden Meinungen in BVerfGE 35, 148 [149 ff., bes. 153 f., 155 f., 165 f.] - Hochschulurteil - und BVerfGE 39, 68 [69 ff., bes. 72 f., 78, 84 ff., 91] - § 218 StGB -).
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b) Zum anderen ist es jedenfalls zu eng, wenn die für die Prüfungsbefugnis des Bundesverfassungsgerichts wesentliche Intensität des Eingriffs nur vordergründig nach der Bedeutung der konkreten Entscheidung für den einzelnen Betroffenen oder für die jeweiligen Streitgegner beurteilt wird. Das Verfassungsbeschwerdeverfahren hat auch die Aufgabe, vermittels der Korrektur eines konkreten einzelnen Grundrechtseingriffs die davon ausgehenden negativen Wirkungen für die generelle Ausübung dieses Grundrechts sowohl durch die Beteiligten wie durch andere Bürger zu verhindern.
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II. |
Auch wenn man aber den prinzipiellen Maßstab der Mehrheitsmeinung zugrunde legt, erscheint mir im vorliegenden Fall die Schwelle eines Verfassungsverstoßes erreicht zu sein.
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1. In der vom Senatsbeschluß ausdrücklich als Orientierungspunkt anerkannten Lebach-Entscheidung (BVerfGE 35, 202) sind aus den allgemeinen Grundsätzen über die Lösung des Konflikts zwischen zwei Verfassungswerten (dort: Rundfunkfreiheit und Persönlichkeitsschutz) für die gebotene konkrete Abwägung eine Reihe verfassungsrechtlich bedeutsamer, falltypischer Kriterien entwickelt worden (vgl. BVerfGE 35, 202 [226 ff.]).
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Ein solches Kriterium sehe ich für die hier vorzunehmende Abwägung zwischen der Meinungs- und Pressefreiheit einerseits, dem Schutz der persönlichen Ehre andererseits darin, daß die strittige Äußerung "rechtsradikales Hetzblatt" nicht die Bewertung von Personen, sondern die Qualifizierung einer Zeitschrift zum Gegenstand hatte. Hierin liegt ein bedeutsamer Unterschied: Gewiß wird die Kritik eines geistigen Werkes in gewissem Maße auf den Autor zurückschlagen, aber selbst die deutliche Disqualifizierung einer konkreten Produktion muß keineswegs zwingend als entsprechendes Unwerturteil über den Autor oder Herausgeber in seiner ganzen Persönlichkeit gemeint sein oder verstanden werden. Es gibt zahlreiche Fälle, in denen jemand ein bestimmtes Werk eines sonst anerkannten Publizisten oder Schriftstellers als mißlungen, polemisch, rechts- oder linksradikal, gefährlich oder hetzerisch empfindet und sich die Freiheit nimmt, dies zu sagen, obwohl es ihm fern liegt, an der persönlichen Integrität des Autors zu zweifeln.
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Entscheidend muß schließlich ins Gewicht fallen, daß es sich bei dem kritisierten Geistesprodukt um ein Presseerzeugnis handelt. Zu der für unser Gemeinwesen schlechthin konstituierenden Pressefreiheit (BVerfGE 10, 118 [121]; 20, 162 [174] - Spiegel -) gehört gerade auch die freie Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Organen der politischen Presse. Das bedeutet nicht nur das sachliche Gegeneinandersetzen verschiedener geistiger Inhalte, es schließt auch die Bemühungen ein, die Öffentlichkeit über den als gefährlich oder bedenklich empfundenen Charakter anderer Blätter aufzuklären und von deren Lektüre abzuhalten. Der so angesprochene Leser wird solche Kritik normalerweise schon deswegen in erster Linie oder allein auf das bezeichnete Blatt beziehen, weil er häufig keine oder nur vage Vorstellungen von der Person der jeweiligen Herausgeber hat und der Inhalt des Blattes zudem von einer Mehrheit von Autoren gestaltet wird. Je deutlicher die Kritik sich gegen das Presseerzeugnis und nicht gegen bestimmte Personen richtet, desto mehr spricht jedenfalls die Vermutung für den Vorrang der Pressefreiheit (vgl. BVerfGE 7, 198 [212]; 12, 113 [127] - Schmid-Spiegel -).
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2. Zutreffend korrigiert der Senatsbeschluß das angefochtene Urteil des Oberlandesgerichts darin, daß es sich bei der beanstandeten Äußerung auch nicht teilweise um eine auf ihre Richtigkeit nachprüfbare Tatsachenbehauptung handelt, sondern allein um ein Werturteil. Dies hat die Konsequenz, daß die Gerichte ein solches Urteil nicht an den Kategorien "richtig" oder "falsch" messen und nicht durch eine eigene abweichende Beurteilung ersetzen dürfen. Davon geht wohl auch die Mehrheit aus, allerdings ohne die verfassungsrechtliche Relevanz dieses Umstandes zu erkennen.
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Der Senatsbeschluß hält es nun aber unter dem Gesichtspunkt der Intensität des Eingriffs für wesentlich, daß den Beschwerdeführern das strittige Werturteil nur in der gewählten Form untersagt wird, während es ihnen weiter frei steht, den gleichen Gedankeninhalt sinngemäß auf andere Weise zum Ausdruck zu bringen. Diese Unterscheidung erscheint mir gerade bei Werturteilen als zu fein gesponnen, um daraus den beruhigenden Schluß zu ziehen, hiermit werde eine gravierende Behinderung der Meinungsfreiheit ausgeschlossen. Vielmehr liegt hier mE der bedenklichste Punkt der Argumentation, deren präjudizielle Wirkung geeignet sein könnte, eine in der Rechtsprechung häufiger zu beobachtende gefährliche Praxis zu sanktionieren. Auch die Senatsmehrheit erkennt an, daß das Grundrecht der Freiheit der Meinungsäußerung die Freiheit einschließt, selbst zu entscheiden, wie eine Äußerung formuliert werden soll. Ist es dann nicht ein gefährlicher Trugschluß zu glauben, daß die "Zensur" der Form den geistigen Inhalt unberührt läßt? Läuft das nicht doch auf die auch nach Ansicht des Senats mit dem Recht der freien Rede und einer unabhängigen Presse unvereinbare Bevormundung des Bürgers hinaus? Zumindest bei Werturteilen läßt sich eine solche scharfe Trennung zwischen erlaubter Form und verbotenem Inhalt nicht ohne Einbuße für die Betätigung der Meinungsfreiheit durchführen.
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Zudem drängt sich dem von einer solchen Entscheidung unmittelbar Betroffenen, darüber hinaus aber allen an der freien Meinungsäußerung in der politischen Auseinandersetzung Interessierten sofort die Frage auf: Was also hätten die Beschwerdeführer denn sagen dürfen oder was dürfen sie in Zukunft sagen, um die inhaltsgleiche Kritik zum Ausdruck zu bringen? Eine klare Antwort darauf läßt sich weder dem Urteil des Oberlandesgerichts noch dem Senatsbeschluß entnehmen - sie liegt auch nicht auf der Hand. Dies legt den Schluß nahe, daß es sehr schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist, eine erlaubte Ersatzformulierung in der gebotenen publizistisch wirksamen Form zu finden. Die unmittelbare Folge ist eine entsprechende Verunsicherung der Betroffenen, die im Zweifel von der Äußerung des bestimmten Gedankeninhalts lieber ganz absehen werden, als sich dem Risiko erneuter und diesmal womöglich härterer Sanktionen auszusetzen. Bei isolierter Betrachtung der hier streitigen Äußerung mag das nicht allzu tragisch sein, bedenklicher ist aber die generalpräventive Wirkung, die von einer solchen Spaltung zwischen dem Inhalt und der Form des Werturteils und von der allgemeinen Unsicherheit über die von dem jeweils zuständigen Gericht zu erwartende "Zensur" der Form ausgehen kann. Das betrifft nicht allein das künftige Verhalten dieses Informationsdienstes und seiner Mitarbeiter, sondern auch die Fernwirkung auf andere Presseorgane und Publizisten. Faktisch bedeutet dies am Ende eine Einbuße an Freiheit, wie sie nach der Absicht des Senatsbeschlusses gerade vermieden werden sollte.
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3. Entgegen der Mehrheitsmeinung kann es für die Frage der Intensität des Eingriffs in die ebenso kostbaren wie empfindlichen Schutzgüter der Freiheit der Meinungsäußerung und der Pressefreiheit auch nicht entscheidend darauf ankommen, daß es sich hier - anders als bei einem Strafurteil oder einer zivilgerichtlichen Verurteilung zu Schmerzensgeld oder Widerruf - nicht um Schuldvorwürfe oder nachträgliche Sanktionen handelt, sondern "nur" um die Verurteilung zur künftigen Unterlassung der beanstandeten Äußerung. Bei der Verhängung jeder dieser Sanktionen werden die Freiheit der Meinungsäußerung und die Pressefreiheit gleichermaßen dadurch beeinträchtigt, daß eine in der Vergangenheit begangene Handlung rückschauend als rechtswidrig beurteilt wird. (Übrigens enthält im vorliegenden Fall die Verurteilung zur Unterlassung sogar einen Schuldvorwurf, weil die Äußerung ausdrücklich als "eine Beleidigung und üble Nachrede im Sinne der §§ 185, 186 StGB" gewertet wird). Es mag am Platze sein, Unterlassungsgeboten ein geringeres Gewicht beizumessen bei Tatsachenbehauptungen, die - nach hinreichend sorgfältigen Recherchen - zunächst guten Glaubens aufgestellt werden, sich dann aber im Laufe des gerichtlichen Verfahrens als unrichtig erweisen. Unter solchen Umständen kann ein in die Zukunft gerichtetes Äußerungsverbot schon deswegen nicht intensiv in die Meinungs- und Pressefreiheit eingreifen, weil niemand ein berechtigtes Interesse daran haben kann, eine nachweislich unrichtige Behauptung zu wiederholen. Der vorliegende Fall betrifft aber nicht eine solche Tatsachenbehauptung, sondern ein Werturteil, bei dem schon die erste Verwirklichung der Absicht, den Leser über den Charakter des Deutschland-Magazins aufzuklären, die Sanktion ausgelöst hat. Dabei bleibt unklar, wie sich die Beschwerdeführer verhalten sollen, wenn der Inhalt späterer Magazin-Nummern die beanstandete Äußerung selbst vom Standpunkt der zuständigen Fachgerichte als nunmehr gerechtfertigt erscheinen lassen dürfte.
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4. Schließlich besteht auch die Gefahr einer Verengung des Freiheitsraums für den Bürger und die Presse, wenn - wie es hier geschehen ist - eine einzelne Äußerung oder eigentlich nur Kennzeichnung herausgegriffen und auf Form und Inhalt "zensiert" wird. Eine Beurteilung, die der konstituierenden Bedeutung der Freiheit der öffentlichen Diskussion im politischen Bereich Rechnung trägt, erfordert eine Bewertung im Kontext des Gesamtvorbringens der Beschwerdeführer wie auch im Zusammenhang mit dem eigenen Verhalten und Kampfstil des durch die Äußerung Betroffenen. Die in der Rechtsprechung anerkannte Rücksicht auf das Recht zum "Gegenschlag" (vgl. BVerfGE 12, 113 [129 ff., 132]) gehört ebenfalls zu den verfassungsrechtlich bedeutsamen falltypischen Kriterien für das Ergebnis der Abwägung. Das Oberlandesgericht hat sich insoweit damit begnügt, die Rechtsprechungsgrundsätze aufzuführen, ohne auf das diesbezügliche Vorbringen der Beschwerdeführer wirklich einzugehen oder den konkreten Tatbestand näher daran zu messen. Auch der Senatsbeschluß berücksichtigt nicht hinreichend, daß die bisherige einschlägige Rechtsprechung sich gerade auch auf die Form der provozierten Replik bezieht und eigentlich nur der allgemein anerkannten Moral entspricht, daß wer selbst eine starke Polemik gebraucht, sich nicht beleidigt fühlen kann, wenn der Gegner ihm mit gleicher Münze heimzahlt. Im Schmid-Spiegel-Fall hat das Bundesverfassungsgericht es im Hinblick auf "die Besonderheit einer in der Presse ausgetragenen Fehde und des ihr immanenten Elementes der öffentlichen Meinungsbildung" als eine erlaubte Reaktion angesehen, daß der durch eine Polemik des Spiegel Betroffene im Gegenschlag die Publizistik dieses Magazins als "Pornographie" "auf dem Gebiet der Politik" bewertete (BVerfGE a.a.O. [126, 131 f.]). Sollte es dann wirklich unverhältnismäßig und rechtswidrig sein, ja sogar den Tatbestand einer strafbaren Handlung erfüllen, ein Blatt, [Fn. 1: Die nachfolgenden Angaben und Bewertungen sind den 6 Heften des Deutschland-Magazins entnommen, die dem Oberlandesgericht für seine Entscheidung vorlagen (S. 11 des Urteils), d.h. den Nummern 1,2,3,4./5. Jahrgang 1969 und 1./2., 3./4. Jahrgang 1970.]
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- das bestimmte Personengruppen (etwa "die" Intellektuellen, Ultralinken, Literaten) durchgängig diskreditiert,
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- das auch nach dem Urteil des Oberlandesgerichts selbst einen mehr polemisch-emotionellen als sachlichen Kampfstil pflegt,
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- das schließlich gerade den Gewerkschaften "Hetze" und "Kesseltreiben" vorwirft, sie der Zusammenarbeit mit linksextremen Kräften bezichtigt, ja sogar einer "Kumpanei mit Mördern" beschuldigt [Fn. 2: Siehe Nr. 1, 1969, S. 14, Sp. 1,2; Nr. 1/2, 1970, S. 9, Sp. 1-3, und S. 38, Sp. 2.],
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aus gewerkschaftlicher Sicht als "rechtsradikales Hetzblatt" zu bezeichnen?
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Bei einer Gesamtbetrachtung mag die hier zur Prüfung stehende Gerichtsentscheidung für sich allein im Spektrum der öffentlichen Diskussion keine bedeutende Rolle spielen. Sie gibt aber hinreichenden Grund, dafür zu sorgen, daß das freiheitliche Klima der politischen Auseinandersetzung in der Bundesrepublik gewahrt bleibt und die Rechtsprechung auch nicht unversehens einen Schritt von dem mit den Marksteinen der Lüth-Entscheidung und der Schmid-Spiegel-Entscheidung gewiesenen Wege abweicht.
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Rupp-v. Brünneck |
Abweichende Meinung des Richters Dr Simon zum Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Mai 1976 - 1 BvR 671/70 - |
Auch nach meiner Auffassung hätte die Verfassungsbeschwerde aus den unter Ziff II der Abweichenden Meinung dargelegten Gründen - ebenso wie in dem gleichzeitig entschiedenen Verfahren 1 BvR 163/72 - zu dem Ergebnis führen müssen, daß die angegriffene Entscheidung die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 5 GG verletzt.
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Dr. Simon |