BVerfGE 45, 1 - Haushaltsüberschreitung
1. Die Kompetenz zur Feststellung des Haushaltsplanes liegt nach Art. 110 Abs. 2 GG ausschließlich beim Gesetzgeber. Seine herausragende Stellung findet darin Ausdruck, daß Bundestag und Bundesrat berechtigt und verpflichtet sind, nach Art. 114 GG den Haushaltsvollzug der Bundesregierung zu kontrollieren.
2. Die durch Art. 111 Abs. 1 a-c GG bestimmte enge Begrenzung des Spielraumes der Bundesregierung während des etatlosen Zustandes korrespondiert mit der verfassungsrechtlichen Verpflichtung aller beteiligten Verfassungsorgane, daran mitzuwirken, daß der Haushaltsplan regelmäßig vor Ablauf des vorherigen Rechnungsjahres verabschiedet werden kann.
3. Der Grundsatz, daß die Verfassungsorgane bei Inanspruchnahme ihrer verfassungsmäßigen Kompetenzen Rücksicht zu nehmen haben auf die Interessen der anderen Verfassungsorgane, bewirkt bei der Ausübung der subsidiären Notkompetenz des Bundesministers der Finanzen aus Art. 112 GG zusätzliche Prüfungs- und Verfahrenspflichten vor und bei ihrer Wahrnehmung. Es besteht eine besondere Kommunikations- und Konsultationspflicht zum Zwecke der Prüfung, ob eine im Hinblick auf die zeitliche Dringlichkeit des Bedürfnisses rechtzeitige Bewilligung durch den Gesetzgeber möglich ist.
4. Ob ein Bedürfnis für Ausgaben besteht, beantwortet sich wesentlich nach politischen Wertungen, deren Inhalt nur darauf gerichtlich überprüft werden kann, ob die Grenze offensichtlicher Unvertretbarkeit überschritten worden ist. Dagegen ist es eine Rechtsfrage, ob ein Bedürfnis unvorhergesehen oder unabweisbar ist; diese Tatbestandsmerkmale enthalten als objektivierbare Maßstäbe eine Kompetenzregelung.
5. Unvorhergesehen im Sinne des Art. 112 GG ist nicht nur ein objektiv unvorhersehbares Bedürfnis, sondern jedes Bedürfnis, das tatsächlich, gleich aus welchen Gründen, vom Bundesminister der Finanzen oder der Bundesregierung bei der Aufstellung des Haushaltsplanes oder vom Gesetzgeber bei dessen Beratung und Feststellung nicht vorhergesehen wurde oder dessen gesteigerte Dringlichkeit, die es durch Veränderung der Sachlage inzwischen gewonnen hat, nicht vorhergesehen worden ist.
6. Erst wenn eine Mehrausgabe so eilbedürftig ist, daß die Einbringung eines Nachtragshaushaltsplanes oder eines Ergänzungshaushaltsplanes oder schließlich ihre Verschiebung bis zum nächsten regelmäßigen Haushalt bei vernünftiger Beurteilung der jeweiligen Lage nicht mehr vertretbar anerkannt werden kann, liegt ein Fall der Unabweisbarkeit vor.
7. Die Bundesregierung ist das Verfassungsorgan, das entsprechend seiner politischen Leitungsaufgabe auch im Bereich des Haushaltswesens als bestimmendes Organ der Exekutive dem Bundestag gegenübersteht.
8. Der Bundesminister der Finanzen ist gegenüber der Bundesregierung verpflichtet, sie davon zu unterrichten, daß im Haushalt über erübrigte Mittel zu disponieren ist, die ihrem Umfang nach von politischem Gewicht sind und je nach der politischen Entscheidung über die Prioritäten anstehender Bedürfnisse verschieden verwendet werden können.
9. Die Informationspflicht des Bundesministers der Finanzen ist die Grundlage dafür, daß die Bundesregierung auch in den Fällen der Anwendung des Art. 112 GG durch ihr Verhalten Rechte des Bundestages verletzt haben kann. Die Bundesregierung hat sie verletzt, wenn sie dem Bundesminister der Finanzen den Weg des Art. 112 GG freigegeben hat, obwohl zeitgerecht durch einen Ergänzungs- oder Nachtragshaushalt oder im Wege des Art. 111 GG die Rechtsgrundlage für die Ausgabe hätte beschafft werden können.
10. Die Bundesregierung hat die Kompetenz des Gesetzgebers verletzt, wenn sie von dem Schritt de Bundesministers der Finanzen hätte erhalten müssen, sie aber nicht erhalten und deshalb eine Ermächtigung des Haushaltsgesetzgebers nicht herbeigeführt hat Für einen solchen Mangel hat die Bundesregierung einzustehen, weil anders die verfassungsmäßige Ordnung in diesem Politisch besonders heiklen und folgenreichen Bereich nicht wirksam aufrechterhalten werden kann.
 
Urteil
des Zweiten Senats vom 25. Mai 1977 auf die mündliche Verhandlung vom 9. und 10. Dezember 1976
- 2 BvE 1/74 -
in dem Verfahren über den Antrag, festzustellen, daß a) die Bundesregierung, indem sie über- und außerplanmäßige Ausgaben zu Lasten des Rechnungsjahres 1973 geleistet hat, ohne die Zustimmung des Deutschen Bundestages einzuholen und b) der Bundesminister der Finanzen, in dem er diesen Ausgaben zugestimmt hat, ohne daß die Voraussetzungen von Art. 112 GG erfüllt waren, gegen Art. 110 GG verstoßen haben, Antragstellerin: die CDU/CSU-Fraktion des 7. Deutschen Bundestages, vertreten durch den Vorsitzenden, Professor Dr. Karl Carstens, Bundeshaus, Bonn-, Bevollmächtigte: Rechtsanwalt Dr. Hermann Maassen, Schubertstraße 12, Bonn-Bad Godesberg, Rechtsanwalt Dr. Walter Althammer, MdB, Mössmannstraße 18, Augsburg 28 -, Antragsgegner: 1. die Bundesregierung, vertreten durch den Bundeskanzler, Bundeskanzleramt, Bonn, 2. der Bundesminister der Finanzen, Rheindorfer Straße 108, Bonn -, Bevollmächtigte: Staatssekretär Dr. Hiehle, Rheindorfer Straße 108, Bonn, Rechtsanwalt Bräutigam, Bleibtraustraße 34, Berlin -.
Entscheidungsformel:
Es wird festgestellt:
I. Der Bundesminister der Finanzen hat das Recht des Deutschen Bundestages aus Artikel 110 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt, indem er den zu Lasten des Haushaltsjahres 1973 geleisteten überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben an
1. die Deutsche Bundesbahn in Höhe von 1,35 Milliarden DM,
2. die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Höhe von 480 Millionen DM,
3. die Vereinigte Industrie-Unternehmungen AG (VIAG) in Höhe von 100 Millionen DM,
4. die Salzgitter AG in Höhe von 100 Millionen DM
zugestimmt hat, obwohl die Voraussetzungen des Artikels 112 Satz 2 des Grundgesetztes nicht erfüllt waren.
II. Die Bundesregierung hat da Recht des Deutschen Bundestages aus Artikel 110 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes verletzt, indem sie es unterlassen hat, für die unter I. genannten Ausgaben die vorherige Ermächtigung des Gesetzgebers einzuholen.
 
Gründe
 
A. - I.
Das Grundgesetz sieht in Art 112 GG vor, daß überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben der Zustimmung des Bundesministers der Finanzen bedürfen.
1. Eine solche Vorschrift war weder in dem Abschnitt "Reichsfinanzen" (Art 69 bis 73) der Reichsverfassung vom 18. April 1871 (RGBl. S. 64) noch in dem Abschnitt "Die Reichsverwaltung" (Art 85 und 86) der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 (RGBl. S. 1383) enthalten. Allerdings fand sich in § 9 des Gesetzes, betreffend die Feststellung des Reichshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1919, vom 31. Oktober 1919 (RGBl. S. 1839) folgende Regelung:
    Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der vorherigen Zustimmung des Reichsministers der Finanzen. Sie darf nur im Falle eines unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden.
Als erste parlamentarische Verfassung bestimmte die Verfassung des Freistaates Preußen vom 30. November 1920 (PrGS S. 543) in dem Abschnitt "Das Finanzwesen" in Art 67:
    (1) Zu Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßigen Ausgaben ist die nachträgliche Genehmigung des Landtags erforderlich, die im Laufe des nächsten Rechnungsjahrs eingeholt werden muß.
    (2) Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Zustimmung des Finanzministers. Sie darf nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden.
Die Vorschrift des § 33 der Reichshaushaltsordnung vom 31. Dezember 1922 (RGBl 1923/II S. 21) brachte auch für das Reich eine ausdrückliche Regelung. Absatz 1 und 2 dieser Vorschrift lauten:
    (1) Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben einschließlich der Mehrausgaben aus Übertragbaren Mitteln (§ 30 Abs. 3), desgleichen Maßnahmen, durch welche für das Reich Verbindlichkeiten entstehen können, für die Mittel im Haushaltsplane nicht vorgesehen sind, bedürfen der vorherigen Zustimmung des Reichsministers der Finanzen. Sie darf nur ausnahmsweise im Falle eines unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden. Soweit hiernach überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben im Betrage von 10.000 Reichsmark und darüber geleistet worden sind, sind sie vierteljährlich dem Reichstag mitzuteilen.
    (2) Ausgabebewilligungen, die ohne nähere Angabe des Verwendungszwecks einer Stelle zur Verfügung gestellt sind, ferner solche zu außerordentlichen Vergütungen und Unterstützungen sowie Ausgabebewilligungen im außerordentlichen Haushalt dürfen nicht überschritten werden.
§ 83 Abs. 1 Reichshaushaltsordnung hat folgenden Wortlaut:
    (1) Auf Grund der Reichshaushaltsordnung beschließen Reichsrat und Reichstag über die nachträgliche Genehmigung der überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben. Die Genehmigung erfolgt vorbehaltlich der späteren Beschlußfassung über die Bemerkungen des Rechnungshofs (§§ 107 und 108).
2. In dem "Herrenchiemseer Entwurf" war die Vorschrift des Art. 112 GG noch nicht enthalten. Sie wurde erst in der 14. Sitzung des Finanzausschusses des Parlamentarischen Rates auf Vorschlag des Berichterstatters Dr. H.-A. mit folgender Fassung in den Text eingefügt:
    Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Zustimmung des Bundesministers der Finanzen. Sie darf nur im Falle eines unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden.
Der Berichterstatter verwies darauf, daß eine solche Bestimmung in der Preußischen Verfassung enthalten war und sich auch in der Reichshaushaltsordnung fand, die aus diesem Grunde mit verfassungsändernder Mehrheit verabschiedet worden sei.
Der Allgemeine Redaktionsausschuß schlug demgegenüber folgende, mit der Sicherstellung der parlamentarischen Kontrolle begründete und mit § 33 Reichshaushaltsordnung in Einklang stehende Fassung vor:
    Haushaltsüberschreitungen und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Zustimmung des Bundesministers für Finanzen und der nachträglichen Genehmigung des Bundestages. Die Zustimmung des Bundesministers für Finanzen darf nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden. Die nachträgliche Genehmigung des Bundestages ist im Laufe des nächsten Rechnungsjahres einzuholen.
Dagegen wandte in erster Lesung des Hauptausschusses der Berichterstatter des Finanzausschusses ein, daß eine durch den Finanzminister außerplanmäßig verfügte Ausgabe durch eine spätere Versagung der Genehmigung nicht mehr rückgängig gemacht werden könne. Die parlamentarische Kontrolle des Finanzministers sei bei der Rechnungslegung auch über außerplanmäßige Ausgaben ausreichend gesichert. Daraufhin nahm der Hauptausschuß die vom Finanzausschuß vorgeschlagene Fassung mit der Abänderung als Art. 124b an, daß der Finanzminister "nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses" die Zustimmung erteilen dürfe. Damit stellte der Hauptausschuß die nicht mehr veränderte Endfassung her, die als Art. 112 in das Grundgesetz aufgenommen wurde.
3. Bei den Beratungen des Haushaltsreformgesetzes - Zwanzigstes Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 12. Mai 1969 (BGBl I S. 357) - schlug der Abgeordnete Dr. L. in der Sitzung des Rechtsausschusses vom 27. November 1968 vor, in Art. 112 als Satz 3 anzufügen: "Näheres kann durch Bundesgesetz bestimmt werden" (vgl. Kurzprotokoll Nr. 100, Rechtsausschuß, S. 5). In dem Schriftlichen Bericht des Abgeordneten Dr. A. zur BTDrucks V/3605 heißt es auf Seite 11:
    "Eine Änderung des Art. 112 war im Regierungsentwurf nicht vorgesehen. Der Ausschuß hält mit Zustimmung des Haushaltsausschusses eine Ergänzung der Vorschrift um den Vorbehalt der Möglichkeit einer näheren gesetzlichen Regelung jedoch vor allem im Hinblick auf das Urteil VGH 9/67 des Verfassungsgerichtshofes für das Land Nordrhein-Westfalen vom 3. Oktober 1968 für geboten, in dem festgestellt wird, daß die Befugnis des Finanzministers zur Bewilligung überplanmäßiger und außerplanmäßiger Ausgaben im Ergebnis weitgehend unbeschränkt ist. Die Fassung des neuen Satzes 3 überläßt es dem Bundestag, ob er das Bewilligungsrecht des Bundesministers der Finanzen stärker einschränken will oder nicht. Im Rahmen der Ergänzung des Art. 112 erschien es angezeigt, zugleich eine redaktionelle Verbesserung des Satzes 1 vorzunehmen, mit der der Begriff "Haushaltsüberschreitungen" durch den in der Praxis gebräuchlichen Begriff "überplanmäßige Ausgaben" ersetzt wird. Auf diese Weise kommt die Beschränkung auf Mehrausgaben gegenüber bewilligten Ansätzen klarer zum Ausdruck."
Diese Änderung des Art. 112 GG beschloß der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates.
4. Geändert wurde auch die Vorschrift des Art. 110 GG. Es wurde beschlossen, daß "eine Gesetzesvorlage nach Abs. 2 Satz 1 sowie Vorlagen zur Änderung des Haushaltsgesetzes und des Haushaltsplans gleichzeitig mit der Zuleitung an den Bundesrat beim Bundestag eingebracht" werden; ferner, daß der Bundesrat berechtigt sei, zu Änderungsvorlagen binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.
In dem schon erwähnten Bericht des Rechtsausschusses heißt es dazu:
    "Der Bundestag weiß sich mit der Bundesregierung aufgrund jahrelanger Erfahrung darin einig, daß unbedingt etwas geschehen muß, um vor allem die Behandlung von Nachtragshaushalten zu beschleunigen, weil die Schwerfälligkeit des bisherigen Verfahrens in der Praxis dazu geführt hat, daß das Notbewilligungsrecht des Bundesfinanzministers nach Art. 112 als Ausweg zwangsläufig zu extensiv gehandhabt worden ist. Deshalb müssen für Nachtragshaushalte Regelungen getroffen werden, die eine erhöhte Verfahrensbeschleunigung bewirken können."
5. Die Bundeshaushaltsordnung vom 19. August 1969 (BGBl I S. 1284 - im folgenden: BHO -), die die Reichshaushaltsordnung ablöste und am 1. Januar 1970 in Kraft trat, bestimmt in § 37:
    (1) Überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben bedürfen der Einwilligung des Bundesministers der Finanzen. Sie darf nur im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses erteilt werden. Eine Unabweisbarkeit liegt insbesondere nicht vor, wenn die Ausgaben bis zur Verabschiedung des nächsten Haushaltsgesetzes oder des nächsten Nachtrages zum Haushaltsgesetz zurückgestellt werden können. Im übrigen darf den Ausgaben nur zugestimmt werden, wenn durch sie der Haushaltsplan nicht in wesentlichen Punkten verändert wird oder wenn es sich um außerplanmäßige Ausgaben handelt, die nicht von erheblicher finanzieller Bedeutung sind. Die Sätze 2 bis 4 sind nicht anzuwenden, wenn sofortiges Handeln zur Abwehr einer dem Bund drohenden Gefahr oder zur Abwendung von erheblichen Schäden erforderlich ist. § 8 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft bleibt unberührt.
    (2) Absatz 1 gilt auch für Maßnahmen, durch die für den Bund Verpflichtungen entstehen können, für die Ausgaben im Haushaltsplan nicht veranschlagt sind.
    (3) Überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben sollen durch Einsparungen bei anderen Ausgaben in demselben Einzelplan ausgeglichen werden.
    (4) Überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben sind dem Bundestag und dem Bundesrat vierteljährlich, in Fällen von grundsätzlicher oder erheblicher finanzieller Bedeutung unverzüglich mitzuteilen.
    (5) Ausgaben, die ohne nähere Angabe des Verwendungszwecks veranschlagt sind, dürfen nicht überschritten werden.
    (6) ...
II.
1. Der Bundeshaushalt 1973 wurde am 20. Juni 1973 vom Bundestag verabschiedet; das Haushaltsgesetz 1973 wurde am 12. Juli 1973 verkündet (BGBl I S. 733). Der Haushalt 1974 wurde am 25./26. Oktober 1973 im Bundestag in erster Lesung beraten. Die zweite und dritte Lesung fand am 21. und 22. Mai 1974 statt; das Haushaltsgesetz 1974 wurde am 5. Juni 1974 verkündet (BGBl I S. 1229).
2. Am Ende des Haushaltsjahres 1973 ergab sich im Bundeshaushalt ein Überschuß von einigen Milliarden DM. Bei dieser Sachlage bewilligte der Bundesminister der Finanzen im Dezember 1973 und im Januar 1974 eine Reihe von überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben. Gegenstand dieser Organklage sind nur die folgenden Positionen:
    a) überplanmäßige Zuwendung an das Sondervermögen Deutsche Bundesbahn in Höhe von 1.350 Millionen DM
    b) außerplanmäßiges Darlehen an die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Höhe von 480 Millionen DM (Die Kreditanstalt ist eine durch Gesetz vom 5. November 1948 errichtete öffentlich-rechtliche Bank, an deren Grundkapital von 1 Milliarde DM der Bund mit 800 Millionen DM und die Länder mit 200 Millionen DM beteiligt sind. Die Anstalt hat die Aufgabe, für Vorhaben, die dem Wiederaufbau oder der Förderung der deutschen Wirtschaft dienen, Darlehen zu gewähren, soweit andere Kreditinstitute nicht in der Lage sind, die erforderlichen Mittel aufzubringen).
    c) außerplanmäßiges Darlehen an die Vereinigte Industrie-Unternehmungen AG (VIAG) in Höhe von 100 Millionen DM (Der Bund ist zu 83,56 vH Anteilseigner dieses Unternehmens. Die restlichen Anteile gehören der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Gegenstand des Unternehmens ist die wirtschaftliche Zusammenfassung und Koordinierung der im Bereich der Elektrochemiewirtschaft und Elektrizitätswirtschaft tätigen Beteiligungsgesellschaften).
    d) überplanmäßige Kapitalzuführung an die Salzgitter AG in Höhe von 100 Millionen DM
    (Der Bund ist Alleinaktionär des unter der Firma "Salzgitter AG, Berlin und Salzgitter" betriebenen Unternehmens. Gegenstand des Unternehmens ist die Verwaltung von Beteiligungen an wirtschaftlichen Unternehmen - vorwiegend der Eisenindustrie und Stahlindustrie - und deren Finanzierung).
3. Die Bundesregierung unterrichtete den Bundestag von diesen Ausgaben gemäß § 37 Abs. 4 BHO am 31. Januar (BTDrucks 7/1634), 1. Februar (BTDrucks 7/1635), 7. Februar (BTDrucks 7/1658) und 27. Februar 1974 (BTDrucks 7/1746).
4. Der Bundesrechnungshof hat diese Ausgaben in seinen Bemerkungen zu den Bundeshaushaltsrechnungen für die Haushaltsjahre 1972 und 1973 beanstandet (BTDrucks 7/2709, S. 16aff und BTDrucks 7/4306, S. 64 f).
5. Bundestag und Bundesrat haben der Bundesregierung für das Haushaltsjahr 1973 bisher Entlastung nicht erteilt.
III.
Die am 28. Juli 1974 beim Bundesverfassungsgericht eingegangenen Anträge der CDU/CSU-Fraktion richten sich gegen die Bundesregierung und den Bundesminister der Finanzen; sie sind wie folgt zusammengefaßt:
    Das Bundesverfassungsgericht möge gemäß § 67 BVerfGG feststellen, daß die beanstandeten Maßnahmen der Antragsgegner gegen Artikel 110 und 112 des Grundgesetzes verstoßen.
Die Antragstellerin, die sich in der rechtlichen Beurteilung auf ein von Professor F. erstelltes Gutachten stützt, hat ihre Anträge im wesentlichen wie folgt begründet:
1. Als Fraktion sei sie nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages ein mit eigenen Rechten ausgestatteter Teil des Organs Bundestag, damit nach § 64 BVerfGG befugt, dessen Rechte sowie ihre eigenen Rechte als Fraktion im Wege der Organklage geltend zu machen.
Der Bundesminister der Finanzen habe das Budgetrecht des Bundestages aus Art. 110 GG verletzt. Für die von ihm gegen Ende des Haushaltsjahres 1973 und am Anfang des Haushaltsjahres 1974 bewilligten überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben hätten die Voraussetzungen von Art. 112 Satz 2 GG nicht vorgelegen; ebensowenig seien diese Ausgaben von Art. 112 Satz 3 GG in Verbindung mit § 37 BHO gedeckt gewesen. Die Bundesregierung habe gegen das parlamentarische Budgetrecht verstoßen, indem sie jene Ausgaben geleistet habe, ohne zuvor die Zustimmung des Bundestages durch einen Nachtragshaushalt oder Ergänzungshaushalt einzuholen.
Die Antragstellerin habe insbesondere durch den Abgeordneten Dr. A. als Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Haushaltsausschuß die Notbewilligungen beanstandet; gegenteilige Sachdarstellungen, auch die des Bundesministers der Finanzen in der 143. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 23. Januar 1975 (Stenogr Ber Nr. 143 S. 9870), seien unzutreffend. Unbeschadet dessen begründe weder eine vorherige formlose Unterrichtung des Haushaltsausschusses noch die nachträgliche förmliche Mitteilung an den Bundestag durch die Bundesregierung gemäß § 37 Abs. 4 BHO eine Teilhabe des Bundestages an der Verantwortung. Dem Bundestag sei es unbenommen, sich gegen eine fehlsame Anwendung des Art. 112 GG zur Wehr zu setzen.
Für den von ihr als Bundestagsfraktion deshalb gegen den Bundesminister der Finanzen und die Bundesregierung angestrengten Organstreit bestehe also ein Rechtsschutzinteresse. Auch Art. 114 GG stehe dem nicht entgegen.
Diese Vorschrift regle die Rechnungslegung durch den Bundesminister der Finanzen, das Haushalt-Prüfungsverfahren durch den Bundesrechnungshof und die Entlastung durch Bundestag und Bundesrat. Irgendwelche unmittelbaren Rechtswirkungen lösten weder dieses Verfahren insgesamt noch die abschließende Entscheidung von Bundestag und Bundesrat aus. Ob eine Notbewilligung des Bundesministers der Finanzen verfassungsgemäß oder verfassungswidrig sei, könne verbindlich allein das Bundesverfassungsgericht feststellen. Folglich sei das noch schwebende Entlastungsverfahren für das Haushaltsjahr 1973 - wie immer es ausgehen möge - ohne Einfluß auf die Zulässigkeit des anhängigen Organstreitverfahrens. Es sei zwar anzunehmen, daß die Mehrheit des Deutschen Bundestages den Bundesminister der Finanzen für die Vorgänge des Jahreswechsels 1973/74 schon aus parteipolitischer und koalitionspolitischer Loyalität irgendwann entlasten werde. Eine solche Beschlußfassung ändere jedoch nichts daran, daß ihr als Fraktion des Deutschen Bundestages die Möglichkeit genommen worden sei, auf die Bildung des haushaltspolitischen Willens zu einem Zeitpunkt Einfluß zu nehmen, in welchem jene Mittel noch verfügbar gewesen seien.
2. Der Antrag gegen den Bundesminister der Finanzen sei begründet.
a) Das Notbewilligungsrecht sei der Exekutive nicht erstmalig vom Grundgesetz verliehen worden; vielmehr sei die Problematik des Notbewilligungsrechts so alt wie die verfassungsrechtlich geforderte Bindung der Regierung an die Ausgabenansätze eines vom Parlament gebilligten Budgets. Wesentliche Staatsbedürfnisse könnten unter Umständen sehr kurzfristig auftreten. Da nur die Regierung, nicht aber das Parlament, stets präsent und zu sofortiger Entscheidung und Abhilfe in der Lage sei, könne keine Verfassung darauf verzichten, der Exekutive für bestimmte Fälle ein eigenständiges Recht zur Bewilligung von Staatsausgaben zu verleihen. Einer ausdrücklichen Regelung habe es - historisch gesehen - mit der Abkehr von dem durch eine ursprüngliche Ausgabenvollmacht der Regierung gekennzeichneten System der konstitutionellen Monarchie und dem Übergang zur demokratisch-parlamentarischen Regierungsform bedurft.
Die Regelungen des Haushaltsrechts könnten stets nur in Abhängigkeit vom allgemeinen Verfassungsrecht verstanden werden; sie müßten deshalb als organischer Teil der geltenden Verfassungsordnung verstanden und von dort her interpretiert werden.
Entscheidend sei mithin, wie das Grundgesetz die haushaltsrechtlichen Kompetenzen zwischen Regierung und Parlament verteilt habe. Wegen ihrer fundamentalen Bedeutung sei die Entscheidung über den Haushalt als ein politisches Sachprogramm auf Zeit und als staatsleitende Bestimmung Sache des Parlaments.
b) Vor diesem Hintergrund müsse das Notbewilligungsrecht, das Art. 112 GG dem Bundesminister der Finanzen verleihe, gesehen werden. Während das Grundgesetz "im Normalfall" die Ausgabenwirtschaft der Bundesregierung von einer Ermächtigung durch den Bundestag abhängig mache, gebe es hier dem Bundesminister der Finanzen als Teil der Bundesregierung das Recht, diese Ermächtigung durch Exekutivakt zu ersetzen.
Unbegründet sei jedoch die Annahme, das Grundgesetz wolle die haushaltspolitische Prärogative, die es aus wohlerwogenen Gründen dem Parlament übertragen habe, durch Art. 112 GG teilweise wieder zurücknehmen. Vielmehr gehörten Art. 110 GG einerseits und Art. 112 GG andererseits verschiedenen Rangstufen der Verfassungsordnung an. Im Verhältnis zum parlamentarischen Budgetrecht sei Art. 112 GG eine bloße Ausnahmeregelung, ein "Notrecht", das die finanzpolitischen Gewichte zwischen Regierung und Parlament nicht verschieben solle. Sein Sinn sei es, das Bewilligungsrecht des Bundestages nicht etwa partiell auszuschalten, sondern zu sichern. Mit diesem im Grundgesetz angelegten Ziel greife Art. 112 GG als subsidiäre Kompetenznorm nur dort ein, wo das grundsätzlich umfassende Recht des Bundestages im Einzelfall wegen der Dauer des parlamentarischen Prozesses nicht ausreiche, um dringenden staatlichen Notwendigkeiten zu genügen.
c) Zwar gebe das Notbewilligungsrecht dem Bundesminister der Finanzen eine selbständige Kompetenz insofern, als seine Entscheidung die gleiche Rechtswirkung entfalte wie die Feststellung des Haushaltsgesetzes nach Art. 110 GG. Gleichheit in den Rechtswirkungen der Notbewilligung und der Budgetentscheidung des Parlamentes bedeute jedoch keine Gleichheit in den rechtlichen Voraussetzungen; erst recht bewirke sie keinen gleichen verfassungsrechtlichen Rang mit dem Budgetrecht des Bundestages. Das Grundgesetz habe dem Bundesminister der Finanzen also nur eine tatbestandsmäßig umgrenzte Notvollmacht zuerkannt.
Seine inhaltliche Gebundenheit folge zwar noch nicht aus Art. 112 Satz 1 GG; dieser schütze den Haushalt gegen die gesamte Exekutive, nicht aber gegen den Zugriff des Bundesministers der Finanzen selbst. Indem sein Zustimmungsrecht durch Satz 2 dieser Vorschrift begrenzt werde, hindere ihn freilich das Grundgesetz, auf Grund von autonomen politischen Wertungen in die Kompetenz des Parlaments einzubrechen. Die grundsätzliche Trennung der verschiedenartigen Funktionen von Parlament und Regierung müsse auch und gerade dort, wo es sich um Kontrollrechte des Bundestages gegenüber der Bundesregierung handle, erhalten bleiben. Denn die Grenzen zwischen den Funktionsbereichen seien verfassungsrechtlich vorgegeben; sie stünden nicht zur Disposition der Beteiligten. Aus diesem Grunde dürfe die Mehrheit im Bundestag das dem Gesamtparlament zustehende Budgetrecht nicht dadurch mittelbar beeinträchtigen, daß sie - ausdrücklich oder stillschweigend - eine extensive Anwendung des Art. 112 GG hinnehme. Anderenfalls würde das verfassungsrechtlich verbürgte Mitwirkungsrecht der Opposition bei der Debatte und Entscheidung über die Staatsausgaben teilweise ausgeschaltet; auch insoweit dürfe der Anspruch der Opposition auf die Auseinandersetzung mit der Regierung nicht geschmälert oder vollends vereitelt werden.
Demnach könne der Bundesminister der Finanzen von dem Notbewilligungsrecht nur Gebrauch machen, wenn die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der "Unvorhergesehenheit" und der "Unabweisbarkeit" vorlägen. In dieser Hinsicht sei ihm kein Ermessen eingeräumt. Art. 112 GG sei nur insoweit eine Kannvorschrift, als er nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden habe, ob er - sofern die Voraussetzungen des Satzes 2 erfüllt seien - seine Zustimmung erteilen oder verweigern wolle. Es sei nicht angängig, die Frage des unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses als ein weitgehend finanzpolitisches Problem zu werten, um auf diese Weise die gerichtliche Kontrolle einzuschränken. Für eine Analogie zu der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 GG sei kein Raum. Vielmehr unterlägen die Tatbestandselemente des Art. 112 GG der authentischen Interpretation durch das Bundesverfassungsgericht; ihre Anwendung sei voll justitiabel.
d) Keine der hier beanstandeten überplanmäßigen bzw außerplanmäßigen Ausgaben sei durch Art. 112 GG gedeckt:
Zwar könne man davon ausgehen, daß bei der Deutschen Bundesbahn - wie wohl auch bei der VIAG und der Salzgitter AG - ein Finanzbedürfnis vorgelegen habe; unvorhergesehen sei dieses jedoch nicht gewesen. Bereits bei der Aufstellung des Bundeshaushalts 1973 sei die Finanzlage der Deutschen Bundesbahn nicht nur erkannt, sondern auch vom Parlament debattiert worden. In der Zeit vom Inkrafttreten des Bundeshaushalts 1973 bis zum Jahresende 1973 habe sich die finanzielle Situation der Deutschen Bundesbahn weder plötzlich noch so dramatisch verschlechtert, daß Haushaltsmittel überhaupt und schon gar nicht in dieser Höhe über Art. 112 GG hätten bereitgestellt werden müssen oder dürfen. Unabweisbar sei dieses Bedürfnis allenfalls in Höhe von 150 Millionen DM gewesen, um die Liquidität der Deutschen Bundesbahn im Dezember 1973 aufrechtzuerhalten. Im übrigen aber habe die Bundesregierung bis zum Jahresende einen Nachtragshaushalt einbringen und ab Jahresbeginn 1974 im Wege der vorläufigen Haushaltsführung nach Art. 111 GG die notwendigen Hilfen leisten können.
Für die Gewährung eines zinslosen Darlehens an die Kreditanstalt für Wiederaufbau habe ein Bedürfnis, Steuermittel zu Lasten des Haushaltsjahres 1973 einzusetzen, schlechthin gefehlt. Erst recht lasse sich hier ein unabweisbares Bedürfnis nicht feststellen. Gleiches gelte für die Zuwendungen an die VIAG und an die Salzgitter AG, lege man die Feststellungen des Bundesrechnungshofes zugrunde.
3. Der Antrag gegen die Bundesregierung sei gleichfalls begründet. Angesichts der dargelegten Größenordnung und Massierung der überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben um die Jahreswende 1973/74 sei es offenkundig gewesen, daß die Notbewilligungen des Bundesministers der Finanzen das durch die Haushaltsreform neu festgelegte Maß eindeutig überschritten hätten. Unter diesen Umständen habe auch die Bundesregierung das Budgetrecht des Bundestages verletzt, wenn sie Ausgaben leiste, deren ordnungsgemäße Bewilligung so fragwürdig gewesen sei.
Zudem habe sie es unterlassen, für die von ihr und dem Bundesminister der Finanzen für erforderlich gehaltenen Ausgaben einen Ergänzungshaushalt oder Nachtragshaushalt vorzulegen. Auch hierdurch habe sie das Budgetrecht des Parlaments verletzt. Denn das Initiativrecht zur Vorlage von Haushaltsgesetzen liege ausschließlich bei der Bundesregierung.
IV.
Zu den Anträgen hat sich der Bundesminister der Finanzen zugleich im Namen der Bundesregierung geäußert. Die Antragsgegner haben Gutachten von Professor O. und Professor H. vorgelegt; den Inhalt dieser Ausführungen haben sie sich zu eigen gemacht.
1. Die Antragsgegner halten die Anträge für unzulässig.
a) Bei dem von der Antragstellerin aufgeworfenen wirtschaftspolitischen und finanzpolitischen Meinungsstreit handle es sich um keinen Streit über die "Auslegung des Grundgesetzes" im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG. Der Meinungsunterschied zwischen den Beteiligten beschränke sich letztlich auf die Beurteilung der zeitlichen Komponente des Tatbestandsmerkmals "unabweisbar". Insoweit jedoch sei dem Bundesminister der Finanzen ein Beurteilungsspielraum einzuräumen, der dem politischen Charakter der von ihm zu treffenden Entscheidung nach Art. 112 GG Rechnung trage. Eine solche Entscheidung sei ihrem Inhalt nach weitgehend ein politisches Werturteil, vom Bundesverfassungsgericht deshalb nur daraufhin nachprüfbar, ob der Bundesminister der Finanzen die ihm von Art. 112 GG vorgegebenen Abgrenzungsmerkmale im Prinzip zutreffend interpretiert habe und ob die von ihm zu den wirtschaftspolitischen und finanzpolitischen Tatsachen angestellten Überlegungen aus damaliger Sicht vertretbar erschienen. Die vorliegenden Anträge seien demnach unstatthaft, weil sie in eine gerichtliche Prüfung führen müßten, die das Bundesverfassungsgericht in diesem Umfang nicht durchführen dürfe, wenn man hier seine Rechtsprechung zu Art. 72 GG über die Grenzen seiner Nachprüfungsbefugnis heranziehe.
b) Es bestehe auch kein Rechtsschutzinteresse für diese Anträge. Denn Art. 114 Abs. 1 GG habe die Kontrolle darüber, ob die Grenzen von Art. 112 GG eingehalten worden seien, vorrangig dem Parlament übertragen. Bundestag und Bundesrat hätten im Entlastungsverfahren zu prüfen, ob sich die Bundesregierung bei der Ausführung des Haushaltsplans rechtmäßig und wirtschaftlich verhalten habe. Solange das Entlastungsverfahren für das Haushaltsjahr 1973 nicht beendet sei, habe das Parlament noch nicht in verfassungsrechtlich gehöriger Weise über die Finanzwirtschaft einer Haushaltsperiode einschließlich der überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben befunden. In diesem Verfahren stehe Bundestag und Bundesrat ein eigenes Kontrollinstrument zur Verfügung. Zur Wahrung des parlamentarischen Budgetrechts, dessen Verletzung die Antragstellerin geltend zu machen suche, bedürfe es keines Organstreitverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht. Dessen Entscheidung habe insoweit nur Reservefunktion. Das Entlastungsverfahren werde seiner verfassungsrechtlichen Funktion entkleidet, hätte eines der an diesem Verfahren beteiligten Organe die Möglichkeit, Teile der Entlastungsentscheidung vorab im Organstreitverfahren dem Bundesverfassungsgericht zu unterbreiten. Denn durch einen Spruch des Bundesverfassungsgerichts könne eine Lage geschaffen werden, die die Entscheidungsfreiheit des Parlaments und des Bundesrates erheblich einschränken würde. Bevor nicht dort das Entlastungsverfahren abgeschlossen sei, könne der von § 64 Abs. 1 BVerfGG intendierte Minderheitenschutz nicht zum Tragen kommen. Dem stehe auch nicht die Vorschrift des § 64 Abs. 3 BVerfGG entgegen: Das "Bekanntwerden" im Sinne dieser Bestimmung erfolge nicht schon mit der Unterrichtung des Bundestages nach § 37 Abs. 4 BHO, sondern erst nach abgeschlossener Rechnungsprüfung. Diese Auslegung stehe mit dem Normziel des § 64 Abs. 3 BVerfGG, Rechtssicherheit zu gewähren, in Einklang.
c) Den Anträgen fehle das Rechtsschutzinteresse ferner deshalb, weil Bundestag und Verfahrensbeteiligte übereinstimmend die von dem Bundesminister der Finanzen bewilligten vier Ausgaben für notwendig hielten. Für die Mehrheit des Bundestages habe der Abgeordnete S. (SPD) ausdrücklich erklärt, daß das parlamentarische Budgetrecht durch das Handeln der Regierung um die Jahreswende 1973/74 nicht beeinträchtigt worden sei (Stenogr Ber Nr. 143, S. 9878). Der Bundestag habe davon abgesehen, zu dem Organstreitverfahren Stellung zu nehmen. Zwar möge eine Fraktion als Teil des Parlaments dessen Rechte nach § 64 Abs. 1 BVerfGG auch dann geltend machen können, wenn das Parlament die Maßnahme oder Unterlassung des jeweiligen Antragsgegners gebilligt habe. Gleichwohl sei die Zulässigkeit eines Antrages zweifelhaft, der letztlich auf die Feststellung abziele, die Antragstellerin habe als Opposition das Recht gehabt, von ihr selbst inhaltlich gebilligte Haushaltsausgaben dadurch politisch mitzutragen, daß sie hierzu ihre parlamentarische Zustimmung im Rahmen der Verabschiedung eines entsprechenden Nachtragshaushalts erteile.
d) Bedenken gegen die Zulässigkeit bestünden schließlich, soweit die Antragstellerin geltend mache, die Bundesregierung habe Rechte des Bundestages aus Art. 110 GG verletzt. Insoweit reiche der Sachvortrag nicht aus, um eine derartige Verletzung als möglich erscheinen zu lassen. Offensichtlich übersehe die Antragstellerin, daß nicht die Bundesregierung, sondern die zuständigen Ressortminister die in Rede stehenden überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben "geleistet" hätten. Unbeschadet dessen ließe sich eine Verletzung des parlamentarischen Budgetrechts durch die Bundesregierung nur begründen, wenn man sie insgesamt oder einen sie vertretenden Fachminister für verpflichtet hielte, die Voraussetzungen des Art. 112 GG in gleicher Weise zu prüfen wie der Bundesminister der Finanzen. Diese Vorschrift räume jedoch seiner Entscheidung selbst Vorrang vor einem Kabinettsbeschluß ein. Weder rechtlich nocht tatsächlich habe die Bundesregierung die Entscheidungen des Bundesministers der Finanzen nach Art. 112 GG beeinflussen können; im übrigen sei sie hierüber förmlich zu keiner Zeit unterrichtet worden.
2. Die Anträge seien auch unbegründet.
a) Die Entwicklungsgeschichte des Art. 112 GG spreche gegen die von der Antragstellerin vertretene These, nach der das Bewilligungsrecht des Bundesministers der Finanzen im Vergleich zum Budgetrecht des Parlaments einen verfassungsrechtlich minderen Rang haben solle.
Das Ausgabenbewilligungsrecht der Exekutive sei stets als unerläßlich angesehen worden, damit Nachteile und Gefahren für das gemeine Wohl wirksam abgewehrt werden könnten. Schon deshalb komme den Bewilligungskompetenzen des Parlaments und der Exekutive verfassungsrechtlich gleicher Rang, wenn auch nicht finanziell gleicher Umfang, zu.
Dabei habe das Spannungsverhältnis zwischen Parlament und Regierung in der parlamentarischen Demokratie nur noch verminderte Bedeutung für das Verständnis des Notbewilligungsrechts. Wie seine historische Entwicklung verdeutliche, sei bei der Abgrenzung der Kompetenzen des Bundesministers der Finanzen von dem Budgetrecht des Bundestages dem Erfordernis einer flexiblen Gestaltung der Haushaltswirtschaft heute in höherem Maße als früher Rechnung zu tragen. Denn die dem Staat aufgetragene Aufgabe, Nachteile oder Gefahren für das Gemeinwesen abzuwehren, erfordere ein unvergleichbar rasches finanzpolitisches Reagieren und bedinge daher fortlaufende Korrekturen der im Haushaltsplan enthaltenen Ansätze. Besonderes Anliegen der Haushaltsreform von 1969 sei es mithin gewesen, eine größere Beweglichkeit der Exekutive beim Haushaltsvollzug zu gewährleisten.
b) Die Abgrenzung zwischen dem parlamentarischen Budgetrecht und dem Notbewilligungsrecht habe der im Laufe eines langen Entwicklungsprozesses entstandenen und am Gedanken der Effizienz staatlichen Handelns wie an dem Demokratiegebot orientierten verfassungsrechtlichen Funktionenteilung zwischen verschiedenen Staatsorganen Rechnung zu tragen. "Standort und Stellenwert" ließen sich nur aus dem "Subsystem der Finanzgewaltenteilung des Grundgesetzes" selbst ermitteln.
Das Grundgesetz habe die finanziellen Kompetenzen nicht in der Hand des Parlaments monopolisiert. Auch außerhalb von Art. 112 GG sei der Bundesregierung ein wesentlicher Entscheidungsbereich und Verantwortungsbereich im Finanzwesen vorbehalten. Das Grundgesetz gehe in Art. 110 Abs. 3 und Art. 113 GG davon aus, daß der Bundesregierung die ausschließliche Budgetinitiative zustehe. Art. 111 GG ermächtige diese, im Falle der Etatverzögerung - in Abweichung von Art. 110 Abs. 2 GG - auch ohne Haushaltsgesetz bestimmte Ausgaben im Wege der vorläufigen Haushaltsführung zu leisten. Zudem werde gemäß Art. 113 GG eine Entscheidung des Bundestages als Gesetzgeber über ausgabenträchtige Gesetze unter bestimmten Voraussetzungen von der Zustimmung der Bundesregierung abhängig gemacht und damit entscheidend begrenzt. Die grundgesetzliche Gewaltenteilung im Bereich der Finanzentscheidungen sei durch ein ausbalanciertes System gegenseitiger Kontrolle und Bindung zwischen Parlament und Bundesregierung gekennzeichnet. Dieses diene dem verfassungsrechtlichen Ziel der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Haushaltsführung.
Wie nun Art. 111 und Art. 113 GG unwiderlegbar bewiesen, sehe der Verfassungsgeber, belehrt durch historische Erfahrungen, dieses Prinzip der Aufrechterhaltung einer ordnungsgemäßen Haushaltsführung eben nicht als garantiert an, wenn die Bewilligungskompetenz allein im Schoße des Bundestages ruhe. In diesen Gesamtzusammenhang gehöre das Bewilligungsrecht des Art. 112 GG. Wo ein "unabweisbares Bedürfnis" im Sinne von Art. 112 GG bestehe, versage der parlamentarische Bewilligungsprozeß, weil er zu spät komme.
Es sei verfehlt, den Hauptzweck oder gar den einzigen Zweck des Art. 112 GG in der Abwehr von Ressortforderungen durch den Bundesminister der Finanzen im Interesse der Sicherung der parlamentarischen Mittelbewilligung zu sehen. Diesem sei mit der Befugnis des Art. 112 GG keineswegs in erster Linie die "Rolle eines Hüters des parlamentarischen Budgetrechts" zugefallen.
c) Aus der Gesamtsicht der grundgesetzlichen Finanzverfassung folge, daß die Vorschriften der Art. 111 bis 113 GG nicht um Art. 110 GG herumgruppiert, sondern auf Sonderlagen abgestellt und damit die zweite Grundlage neben dem parlamentarischen Budgetrecht seien, Staatsausgaben zu legalisieren. Diesem gegenüber stelle das ministerielle Notbewilligungsrecht kein minus, sondern ein aliud dar. Es regle eine Sonderlage staatlicher Haushaltsführung und ordne dem Bundesminister der Finanzen ein vom Parlamentarischen Budgetrecht unabhängiges, selbständiges, originäres, verfassungsunmittelbares Recht zu, das als eine Art Plankorrekturkompetenz zu qualifizieren sei. Diese weise ihn als besonderes Staatsorgan im Rahmen der Gewaltenteilung im Bereich des Finanzwesens aus. Daß der Bundesminister der Finanzen dieses so umschriebene Recht nur unter bestimmten Voraussetzungen ausüben könne, präjudiziere weder seinen verfassungsrechtlichen Rang noch seinen Anwendungsraum.
d) Die Annahme eines Bedürfnisses für eine öffentliche Ausgabe hänge primär davon ab, welche politischen Ziele die hierzu berufenen Verfassungsorgane im Rahmen des verfassungsrechtlich vorgegebenen Wertesystems festlegten. Dem Bundesminister der Finanzen sei durch Art. 112 GG die Entscheidung der Frage übertragen, ob die zu erwartende tatsächliche Entwicklung von den politischen Zielen in einer Weise abweiche, die ein staatliches Handeln geboten erscheinen lasse. Die Maßstäbe für seine Entscheidung beziehe er aus dem politischen Programm der Bundesregierung, welches mit dem Programm der sie tragenden parlamentarischen Mehrheit weitgehend identisch sei. Erst am Ende dieser Verbindung von politischer Zielsetzung und abwägender Beurteilung der tatsächlichen Geschehensabläufe könne die Frage nach dem Bestehen eines "Bedürfnisses" bejaht oder verneint werden, für das Art. 112 Satz 2 GG mit den unbestimmten Verfassungsbegriffen "unvorhergesehen" und "unabweisbar" gewisse eingrenzende Kriterien aufgestellt habe. In der sachlichen Bewertung und der zeitlichen Disposition habe der Bundesminister der Finanzen einen Ermessensspielraum. Seine Einschätzung der Lage, ob sich ein Nachtragshaushalt als Alternative zur Bewilligung einer planüberschreitenden Ausgabe anbiete, unterliege nur einer gerichtlichen Willkürprüfung und Evidenzprüfung vom Standpunkt ex ante.
3. Von daher betrachtet hätten bei den vier streitbefangenen überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben die Voraussetzungen des Art. 112 GG vorgelegen.
a) Der Haushaltsplan 1973 sei in der Phase einer überhitzten Hochkonjunktur aufgestellt worden. Entsprechend dem Verfassungsgebot des Art. 109 Abs. 2 GG sei der Gesetzgeber zu dieser Zeit zu einer äußerst restriktiven, antizyklischen Haushaltspolitik verpflichtet gewesen. Mit den in der zweiten Jahreshälfte, insbesondere im Spätherbst nach der Ölkrise deutlich gewordenen Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Lage habe der Gesetzgeber nicht gerechnet. Der Bundesminister der Finanzen habe vom Spätherbst 1973 an für den weiteren Wirtschaftsablauf von anderen Prognosen ausgehen müssen als der Bundestag bei der Verabschiedung des Haushalts im Juni 1973.
b) Infolge zunehmender Auswirkungen der kreditpolitischen Restriktionen sowie unerwartet eintretender zusätzlicher finanzieller Belastungen sei die Deutsche Bundesbahn an der Jahreswende 1973/74 in eine schwierige Lage geraten; sie habe eine überplanmäßige Liquiditätshilfe des Bundes unabweisbar gemacht.
Der Haushaltsplanung für das Jahr 1973 habe der berichtigte Nachtrag zum Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn zugrunde gelegen, der von der Bundesregierung am 24. Juli 1973 genehmigt worden sei. Nach der darin enthaltenen Gewinnrechnung und Verlustrechnung habe die Deutsche Bundesbahn mit einem Gesamtaufkommen von rund 20 Milliarden DM gerechnet. Im Haushalt 1973 seien planmäßige Zuweisungen des Bundes an die Deutsche Bundesbahn in Höhe von rund 7,7 Milliarden DM vorgesehen, davon rund 1,8 Milliarden DM Zuwendungen zur Erhaltung der Liquidität. Dabei hätten Bundesminister der Finanzen und Bundesregierung eine Liquiditätslücke in Höhe von 450 Millionen DM von vornherein eingeplant und die Deutsche Bundesbahn insoweit auf den Kapitalmarkt verwiesen. Die Etatansätze hätten sich indessen als unzureichend erwiesen: Verschiedene Besoldungsverbesserungen und Gehaltsverbesserungen hätten auf die besonders lohnintensive Bundesbahn überproportional durchgeschlagen. Weiter seien die Einnahmen aus dem Güterverkehr hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Dem auf vorläufig 2,8 Milliarden DM geschätzten Jahresfehlbetrag hätten nur rund 1,8 Milliarden DM planmäßige Liquiditätszuwendungen gegenübergestanden. Der Vorstand der Deutschen Bundesbahn habe daher den Bundesminister der Finanzen mehrfach und mit großer Dringlichkeit auf diese Finanzlage hingewiesen. Insbesondere habe er vorgetragen, daß die Deutsche Bundesbahn nach ihren Kassenvorschauen erhebliche Unterdeckungen in den Monaten November und Dezember 1973 in einer Größenordnung von etwa 800 Millionen DM erwarte. Daraufhin seien alle planmäßigen Mittel, einschließlich Liquiditätshilfen bis etwa November 1973 freigegeben und der Deutschen Bundesbahn zugewiesen worden. Gleichwohl sei sie gezwungen gewesen, im Dezember 1973 den Kassenkredit gemäß § 20 Abs. 1 Buchst b des Bundesbankgesetzes bis zur Höhe von ca 300 Millionen DM in Anspruch zu nehmen. Angesichts der sich verschlechternden Entwicklung bei den Betriebsergebnissen, der Unsicherheit hinsichtlich der Ergiebigkeit des Kapitalmarktes und der steigenden Zinssätze für Fremdmittel habe der Bundesminister für Verkehr den förmlichen Antrag auf Zustimmung des Bundesministers der Finanzen zur Leistung einer überplanmäßigen Liquiditätshilfe in Höhe von 1,5 Milliarden DM gestellt. Daraufhin habe sich der Bundesminister der Finanzen aus der damaligen - für dieses Verfahren maßgeblichen - Einschätzung der Lage entschlossen, eine überplanmäßige Ausgabe in Höhe von 1,35 Milliarden DM zu bewilligen, um die Kreditwürdigkeit der Deutschen Bundesbahn mit Rücksicht auf bevorstehende Kreditverhandlungen für die Deckung des Kreditbedarfes 1974 zu sichern, die Verlustvorträge aus früheren Jahren in Höhe von rund 1,9 Milliarden DM abzubauen und einer weiteren Verschlechterung der Rentabilität durch zusätzliche Zinsbelastungen entgegenzuwirken.
c) Die Kreditanstalt für Wiederaufbau habe bis zum Frühjahr 1973 Mittelstandsprogramme durchgeführt, wobei Mittelstandsunternehmen Darlehen zu günstigeren als marktüblichen Konditionen für bestimmte Investitionsvorhaben gewährt worden seien. In der zweiten Jahreshälfte seien die Programme weitgehend beschränkt, wenn nicht eingestellt worden. Dies sei geschehen, um das am 9. Mai 1973 von der Bundesregierung und der Bundesbank beschlossene Stabilitätsprogramm zu unterstützen. Nach der konjunkturellen Abschwächung im Herbst 1973 habe der Kabinettsbeschluß vom 19. Dezember 1973 das Ziel verfolgt, das Stabilitätsprogramm vom Mai 1973 zu lockern und dabei regionalen und sektoralen Schwierigkeiten entgegenzuwirken. In den der Kabinettsentscheidung vom 19. Dezember 1973 vorausgegangenen Verhandlungen habe sich die Kreditanstalt für Wiederaufbau bereiterklärt, ein Kreditvolumen von 1,5 Milliarden DM zu einem Effektivzins für den Endkreditnehmer von rund 9,85vH anzubieten und wie bisher im Rahmen der Mittelstandsprogramme eine Zinsverbilligung bis zu 1vH ohne Gefährdung ihrer Rentabilität zu tragen. Das Programm habe 1973 mit 500 Millionen DM und 1974 mit 1 Milliarde DM durchgeführt werden sollen.
Wider Erwarten seien ab Dezember 1973 die Zinsen kontinuierlich angestiegen; im März 1974 hätten sie eine Höhe von ca 11,0 bis 11,35vH betragen. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau habe die Darlehensmittel für die Mittelstandskredite Ende 1973/Anfang 1974 zum Zinssatz von 8,75vH an die Hausbanken der Endkreditnehmer abgegeben. Damit sei eine nicht vorhergesehene neue Lage eingetreten. Die Zinssubventionierung habe das Ausmaß von 1vH erheblich überschritten, so daß die Kreditanstalt diese aus eigener Kraft - unter Einsatz von Erträgen aus anderen Finanzlagen - ohne Gefährdung ihrer Rentabilität nicht habe tragen können. Die Kreditanstalt habe daraufhin am 23. Januar 1974 beantragt, ihr zusätzliche Finanzierungsmittel aus dem Haushalt im Wege einer außerplanmäßigen Ausgabe zu gewähren. Aus konjunkturpolitischen Gründen habe die Bundesregierung die Effektivzinsen der von den Mittelstandsprogrammen begünstigten Kreditnehmer nicht erhöhen können. Die Entscheidung, der Kreditanstalt die erforderlichen Mittel zu gewähren, habe schnell erfolgen müssen. Diesem unerläßlichen Erfordernis habe nur durch eine außerplanmäßige Ausgabe Rechnung getragen werden können. Sie sei bei finanzwirtschaftlicher und politischer Gesamtbetrachtung dem Haushaltsjahr 1973 zuzurechnen, weil sie in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Kabinettsbeschluß vom 19. Dezember 1973 gestanden habe. Ein Nachtrag zum Haushalt 1973 habe nicht mehr eingebracht werden können. Ebenso sei es nicht möglich gewesen, die Verabschiedung des Bundeshaushalts 1974 abzuwarten. Die Verzögerung beim Abruf der Mittel aus den Mittelstandsprogrammen, die wohl damit zu erklären sei, daß die Unternehmen Anfang 1974 mit einer Zinssenkung allgemein gerechnet hätten, sei für die Kreditanstalt überraschend gekommen. Auch insoweit müßten nachträglich unerwartete Entwicklungen für dieses Verfahren außer Betracht bleiben.
d) Die unvorhersehbare Ölkrise mit ihren kostenbelastenden Begleiterscheinungen habe den an sich schon geschwächten Aluminiumbereich der VIAG in einer besonders gravierenden existenzbedrohenden Weise getroffen. Unabweisbare unternehmerische Entscheidungen seien gegen Jahresende 1973 erforderlich gewesen. Dabei habe sich als effektivste Lösung die Gewährung eines später in Eigenkapital der VIAG umzuwandelnden Darlehens im Wege der Bewilligung einer außerplanmäßigen Ausgabe angeboten, um dem unternehmerischen Erfordernis einer unverzüglichen Hilfeleistung zur Verbesserung der Eigenkapitalausstattung wirksam Rechnung tragen zu können. Der Bundesminister der Finanzen habe daher am 28. Dezember 1973 auf Antrag der VIAG eine außerplanmäßige Ausgabe in Höhe von 100 Millionen DM bewilligt. Bei dieser Entscheidung sei er davon ausgegangen, daß eine solche Zuwendung an ein Wirtschaftsunternehmen schon in einem viel früheren Stadium als dem seiner Konkursreife oder Illiquidität unabweisbar sei. So habe der Bundesrechnungshof anläßlich seiner örtlichen Einsichtnahme bei der VIAG im September/Oktober 1973 festgestellt, daß auf Grund der ungünstigen Lage der Vereinigten Aluminium-Werke AG (VAW) erhebliche finanzielle Hilfen seitens der VIAG "unabweisbar" seien. Weder aus diesen Feststellungen noch aus den Hinweisen des Konzerns auf die unbefriedigende Ertragssituation bei den VAW - zuletzt mit Schreiben vom 29. Oktober 1973 - könne gefolgert werden, die Bundesregierung habe wegen der von ihr beabsichtigten Maßnahme einen Nachtrag zum Haushalt 1973 einbringen müssen. Die kostenmäßigen Auswirkungen der Ölkrise seien nämlich erst zum Jahresende 1973 deutlich gewesen, zu einem Zeitpunkt also, in dem ein Nachtragshaushalt nicht mehr habe eingebracht werden können.
e) Nach Übernahme mehrerer Unternehmen sei der Anteil der Eigenmittel der Salzgitter AG an der Konzern-Bilanzsumme seit 1969 ständig zurückgegangen. Mit nur 10,3vH zum 30. August 1973 sei wieder der Stand erreicht worden, bei dem im Jahre 1967 bis 1969 nach den Feststellungen der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft "T." eine Sanierung in Form einer Barzuführung in Höhe von 450 Millionen DM notwendig erschienen sei. Aus Mangel an Haushaltsmitteln hätten dem Konzern nur 300 Millionen DM zugesagt werden können, die er bis auf eine Restrate von 12,5 Millionen DM inzwischen erhalten habe. Für eine weitere mit Schreiben vom 29. Oktober 1973 beantragte Kapitalzuführung sei zu diesem Zeitpunkt ein unabweisbares Bedürfnis nicht erkennbar gewesen. Nach einer Zusammenfassung der Bilanzen der Salzgitter AG und der Salzgitter Hüttenwerk-AG habe jedoch Ende 1973 eine nur durch kurzfristiges Fremdkapital gedeckte Finanzierungslücke von 120 Millionen DM bestanden. Die Bemühungen, diese Lücke durch Neuaufnahme langfristiger Fremdmittel zu schließen, seien an der Haltung der Großbanken gescheitert. Eine sofortige Eigenkapitalzuführung sei nunmehr auch im Zusammenhang mit einem in Aussicht stehenden umfangreichen Exportauftrag in die Sowjetunion erforderlich geworden. Zeitliche Gründe, aber auch das Interesse der an dem Exportauftrag beteiligten Unternehmen hätten es verboten, die erforderliche Kapitalzuführung aus dem Haushaltsplan 1974 zu leisten. Der Bundesminister der Finanzen habe daher am 21. Januar 1974 die am 16. Januar 1974 beantragte überplanmäßige Ausgabe in Höhe von 100 Millionen DM bewilligt. Bei dem geschilderten zeitlichen Ablauf habe ein Nachtrag zum Haushalt 1973 nicht mehr eingebracht werden können. Ebenfalls sei es nicht möglich gewesen, die Ausgabe bis zur Verabschiedung des Haushalts 1974 hinauszuschieben.
f) Da sämtliche Ausgaben zu Lasten des alten Haushaltsjahres, also unter geltendem Etatrecht 1973 getätigt worden seien, habe auch kein Anknüpfungspunkt dafür bestanden, diese Mittel im Wege der vorläufigen Haushaltsführung nach Art. 111 GG zu leisten.
V.
1. In der mündlichen Verhandlung vom 9. und 10. Dezember 1976 hat das Gericht die Beamten des Bundesrechnungshofes, die mit der Prüfung der streitbefangenen überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben befaßt und an dem Zustandekommen der Bemerkungen des Bundesrechnungshofes beteiligt waren, sowie den damaligen Leiter der Abteilung Finanzen und Wirtschaft der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn, den Generalbevollmächtigten der Kreditanstalt für Wiederaufbau und Vorstandsmitglieder der VIAG und der Salzgitter AG vernommen.
2. Richter Dr. R., der an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, war verhindert, an der Beratung mitzuwirken.
 
B.
Die Anträge sind zulässig.
1. Die Antragstellerin ist eine Fraktion des Bundestages und daher im Organstreitverfahren gemäß § 63 BVerfGG parteifähig (vgl. BVerfGE 20, 56 [104]). Sie macht eine Verletzung der Rechte des Bundestages geltend. Hierzu ist sie gemäß § 64 Abs. 1 BVerfGG befugt. Sie sieht die rechtsverletzende Maßnahme zunächst darin, daß der Bundesminister der Finanzen die überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben zu Lasten des Haushaltsjahres 1973 bewilligt, ohne daß die Voraussetzungen von Art. 112 Satz 2 GG vorgelegen hätten, und hierdurch das parlamentarische Budgetrecht des Bundestages aus Art. 110 GG verletzt habe. Der Bundesminister der Finanzen ist durch Art. 112 GG mit eigenen Rechten ausgestattet; er kann daher Antragsgegner in einem Organstreit sein.
Auch soweit die Antragstellerin vorträgt, die Bundesregierung habe es entgegen ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht unterlassen, für diese von ihr und dem Bundesminister der Finanzen für notwendig erachteten Ausgaben einen Nachtragshaushalt oder Ergänzungshaushalt einzubringen, hat sie schlüssig eine selbständige Rechtsverletzung durch die Bundesregierung "geltend gemacht": Nach Art. 110 Abs. 1 GG sind alle Einnahmen und Ausgaben in den Haushaltsplan einzustellen. Nach Art. 110 Abs. 3 GG steht die Gesetzesinitiative für den Haushalt der Bundesregierung zu. Daraus folgt zugleich verfassungsrechtlich ihre Verantwortung für den Haushalt gegenüber dem Bundestag. Daher könnte die Bundesregierung das Budgetrecht des Bundestages dadurch verletzt haben, daß sie es unterließ, von ihrem Initiativrecht für einen Nachtragshaushalt oder Ergänzungshaushalt Gebrauch zu machen.
2. Zu Unrecht bezweifeln die Antragsgegner, daß es sich um einen Verfassungsrechtsstreit über die Auslegung des Grundgesetzes im Sinne des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG handle. Das Bundesverfassungsgericht entscheidet im Organstreit nicht über eine abstrakte Rechtsfrage, sondern über den konkreten Rechtsstreit (BVerfGE 1, 208 [221]; 2, 347 [365]). Dem steht hier nicht entgegen, daß es sich bei den in Art. 112 Satz 2 GG umschriebenen Ermächtigungsvoraussetzungen "im Falle eines unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses" um unbestimmte Verfassungsrechtsbegriffe handelt. Auch die Auslegung und Anwendung derartiger Rechtsbegriffe durch die Exekutive unterliegen der verfassungsgerichtlichen Prüfung (vgl. BVerfGE 39, 96 [114 f]). Die hierzu von den Antragsgegnern vorgebrachten Gesichtspunkte berühren nicht die Zulässigkeit der Anträge, sondern betreffen den Umfang der Sachprüfung, hier also eine Frage der Begründetheit.
3. Für die Frage der Zulässigkeit der Anträge ist es ohne Bedeutung, ob der Bundestag die im Streit befindlichen überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben nachträglich ausdrücklich beanstandet oder gebilligt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, daß eine Fraktion als Teil des Parlaments dessen Rechte auch dann in einem Organstreitverfahren geltend machen kann, wenn das Parlament selbst die Maßnahme oder Unterlassung gebilligt hat (BVerfGE 1, 351 [359]). Diese Befugnis, Rechte des Bundestages selbst gegen dessen Willen vor dem Bundesverfassungsgericht geltend zu machen, bringt auch den Minderheitenschutz zur Geltung, der vor der Verfassung nach dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte des Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG intendiert ist (JöR Band 1, S. 674 ff).
Unerheblich ist ferner, ob die Antragstellerin die von dem Bundesminister der Finanzen bewilligten Ausgaben der Sache nach für berechtigt gehalten hat oder hält. Gegenstand dieses Verfahrens ist nicht die Frage der sachlichen Berechtigung der Ausgaben, sondern der verfassungsmäßigen Entscheidung über die Ausgabenbewilligung.
4. Der Zulässigkeit der Anträge steht - entgegen der Auffassung der Antragsgegner - schließlich nicht entgegen, daß der Bundesminister der Finanzen nach Art. 114 Abs. 1 GG dem Bundestag und dem Bundesrat über alle Einnahmen und Ausgaben zur Entlastung der Bundesregierung Rechnung zu legen hat und das Entlastungsverfahren für das Haushaltsjahr 1973 bisher nicht abgeschlossen ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat auf einen ihm angetragenen Organstreit hin nicht darüber zu befinden, ob dem Antragsteller zur Verfolgung seines Prozeßzieles außerhalb der gewählten Verfahrensart andere gleichwertige verfassungsrechtliche Wege offengestanden hätten oder noch offenstehen.
Unbeschadet dessen kann die Antragstellerin dieses Verfahrens auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses nicht auf das Entlastungsverfahren verwiesen werden. Bundestag und Bundesrat haben zwar im Rahmen des Verfahrens nach Art. 114 Abs. 1 GG auch die Verfassungsmäßigkeit der hier von der Antragstellerin beanstandeten überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben zu prüfen. Diese verfassungsrechtlich verankerte Möglichkeit, das Haushaltsgebaren einer Bundesregierung nachträglich zu kontrollieren, ist jedoch ungeeignet zur Erreichung des mit den Anträgen verfolgten Zieles, die Kompetenz des Bundestages für die Bewilligung solcher Ausgaben verbindlich festzustellen. Schon deshalb besteht kein Anlaß, den Beginn der Ausschlußfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG im vorliegenden Verfahren an einen anderen Zeitpunkt zu knüpfen als den der Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung gemäß § 37 Abs. 4 BHO. Diese Frist ist gewahrt.
 
C.
Der Antrag gegen den Bundesminister der Finanzen ist begründet.
I.
Im Mittelpunkt dieses Verfassungsstreites steht die Frage, ob die vier Ausgabebewilligungen durch Art. 112 GG gedeckt waren.
Art. 112 GG darf nicht isoliert betrachtet und aus sich heraus ausgelegt werden. Inhalt und Grenzen der darin geregelten Kompetenz des Bundesministers der Finanzen lassen sich nur aus dem Gesamtzusammenhang der demokratisch-parlamentarischen Verfassung, insbesondere dem Gefüge der finanzrechtlichen und haushaltsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes ermitteln.
1. Nach Art. 110 Abs. 1 GG sind alle Einnahmen und Ausgaben in den Haushaltsplan einzustellen und auszugleichen; der Haushaltsplan wird durch Gesetz festgestellt. Art. 111 GG ermächtigt die Bundesregierung, näher gekennzeichnete Arten von Ausgaben zu leisten, wenn bis zum Schluß des Haushaltsjahres der Haushaltsplan für das folgende Jahr noch nicht durch Gesetz festgestellt worden ist. Nach Art. 112 GG bedürfen überplanmäßige und außerplanmäßige Ausgaben der Zustimmung des Bundesministers der Finanzen. Art. 110 GG einerseits und Art. 111 sowie Art. 112 GG andererseits stehen zueinander im Verhältnis von Regel und Ausnahme.
2. Am Zustandekommen des Haushaltsplans sind mehrere Verfassungsorgane beteiligt. Die von dem Bundesminister der Finanzen nach regelmäßig langwierigen Ressortverhandlungen entworfene Haushaltsvorlage erhält durch die Bundesregierung ihre abschließende Gestalt; sie wird dann nach Art. 110 Abs. 3 GG gleichzeitig mit der Zuleitung an den Bundesrat beim Bundestag eingebracht. Die Kompetenz zur Feststellung des Haushaltsplans liegt nach Art. 110 Abs. 2 GG ausschließlich beim Gesetzgeber. Dieser trifft mit der Entscheidung Über den Haushaltsplan, der ein Wirtschaftsplan und zugleich ein staatsleitender Hoheitsakt in Gesetzesform ist, eine wirtschaftliche Grundsatzentscheidung für zentrale Bereiche der Politik während des Planungszeitraumes. Die überragende verfassungsrechtliche Stellung des Gesetzgebers im Verhältnis zu den anderen an der Aufstellung des Haushaltsplans beteiligten Verfassungsorganen wird nicht dadurch gemindert, daß er nach Art. 110 Abs. 1 GG alle zu erwartenden Einnahmen und alle vorgesehenen Ausgaben in den Haushaltsplan aufnehmen muß und für einen Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben zu sorgen hat. Wirtschaftliche Gegebenheiten, vorgegebene und überkommene rechtliche Verpflichtungen, mittelfristige und langfristige Planungen und ihre finanziellen Zwangsläufigkeiten engen tatsächlich den Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers ein. Insofern ist seine politische Gestaltungsfreiheit begrenzt. Gleichwohl bleibt aber die rechtlich umfassende, alleinige Entscheidungskompetenz und Feststellungskompetenz des Gesetzgebers unbeeinträchtigt. Seine herausragende Stellung findet zugleich darin Ausdruck, daß Bundestag und Bundesrat berechtigt und verpflichtet sind, nach Art. 114 GG den Haushaltsvollzug der Bundesregierung zu kontrollieren.
3. In Art. 11 trifft das Grundgesetz für den Fall Vorsorge, daß der Haushalt ausnahmsweise nicht rechtzeitig verabschiedet werden kann. Er ermächtigt die Bundesregierung, bis zur Verabschiedung des Haushalts die notwendigen Ausgaben zu leisten. Im Blick auf die besondere Bedeutung des Budgetbewilligungsrechts des Gesetzgebers sind der vorläufigen Haushaltsführung der Bundesregierung im etatlosen Zustand jedoch enge Grenzen gezogen (Art. 111 Abs. 1a-c GG). Sie darf nur Ausgaben leisten, die nötig sind, um gesetzlich bestehende Einrichtungen zu erhalten, gesetzlich beschlossene Maßnahmen durchzuführen, rechtlich begründete Verpflichtungen des Bundes zu erfüllen oder um Bauten, Beschaffungen oder sonstige Leistungen fortzusetzen oder Beihilfen für diese Zwecke weiter zu gewähren, sofern in dem Haushaltsplan eines Vorjahres bereits derartige Beträge bewilligt worden sind. Diese enge Begrenzung des Spielraums der Bundesregierung während des etatlosen Zustandes korrespondiert mit der verfassungsrechtlichen Verpflichtung aller beteiligten Verfassungsorgane, daran mitzuwirken, daß der Haushaltsplan regelmäßig vor Ablauf des vorherigen Rechnungsjahres verabschiedet werden kann; denn Art. 111 GG soll nicht das Haushaltsbewilligungsrecht des Gesetzgebers vorübergehend ersetzen, sondern lediglich für den - vom Grundgesetz als kurzfristige Ausnahmesituation gedachten - etatlosen Zustand eine vorläufige Haushaltsführung ermöglichen. Mit dieser verfassungsrechtlichen Lage steht die bisherige langjährige Praxis schwerlich in Einklang. Die Haushaltsgesetze sind seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland im Durchschnitt der Jahre mit einer annähernd halbjährigen Verspätung verabschiedet worden. Die Staatspraxis hat sich deshalb mit einer faktischen Fortschreibung des bisherigen Haushaltsplans beholfen. Auf diese Weise konnte jedoch der Vorrang des Haushaltsgesetzgebers nur unzulänglich gewahrt werden. Denn die im Verwaltungswege angeordneten prozentualen Sperrungen der alten Etatansätze haben zu einem die verfassungsrechtlichen Gewichte verlagernden Übergewicht der Exekutive geführt. Die dadurch ermöglichten Haushaltseinsparungen sind mit ein wesentlicher Grund dafür, daß es am Ende des Haushaltsjahres zu erheblichen Überschüssen kommen kann. Diese wiederum bilden die tatsächliche Grundlage für eine extensive Handhabung der sich aus Art. 112 GG für den Bundesminister der Finanzen ergebenden Befugnisse. Ein solches Gebaren, wo immer seine Gründe im übrigen liegen mögen, kann nicht dazu führen, einen Verfassungswandel dahin anzunehmen, daß hierdurch die Kompetenz und Verantwortung des Gesetzgebers verkürzt und die Kompetenz des Bundesministers der Finanzen erweitert worden seien.
4. Hat der Gesetzgeber den Haushaltsplan durch Haushaltsgesetz festgestellt, so darf die Bundesregierung bei der Ausgabe von Haushaltsmitteln die Haushaltsansätze nicht überschreiten. Erweisen sie sich als zu gering oder ergeben sich sachliche Bedürfnisse, die das Haushaltsgesetz überhaupt nicht berücksichtigt hat, dann besteht für die Bundesregierung die verfassungsrechtliche Pflicht, eine Änderungsvorlage zum Haushaltsplan nach Maßgabe des Art. 110 Abs. 3 GG einzubringen. So wie der Nachtragshaushaltsplan selbständig und getrennt vom Haushaltsplan verabschiedet wird, kann auch ein Ergänzungshaushaltsplan (Teilhaushaltsplan) wegen Dringlichkeit durch Gesetz vorab festgestellt werden.
5. Dieses gefächerte haushaltsrechtliche Instrumentarium in der Hand des Gesetzgebers genügt indessen auch nach der auf Verfahrensbeschleunigung abzielenden Haushaltsreform nicht immer, jede finanzwirtschaftliche und finanzpolitische Situation, der sich die Exekutive gegenübergestellt sehen mag, zu bewältigen. Von Verfassungs wegen ist deshalb gewährleistet, daß stets staatliche Mittel in einem rechtlich geordneten Verfahren zur Verfügung gestellt werden können, um ein nicht weiter aufschiebbares staatliches Bedürfnis zu erfüllen. Das Zustimmungsrecht des Bundesministers der Finanzen gemäß Art. 112 GG erhält von daher seine Berechtigung, zugleich aber auch seine verfassungsrechtlichen Schranken.
Die Ausübung der Kompetenz des Bundesministers der Finanzen, überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben zuzustimmen, macht Art. 112 Satz 2 GG von dem Bestehen eines staatlichen Bedürfnisses abhängig, das unvorhergesehen und unabweisbar sein muß. Diese beiden Tatbestandsmerkmale erhellen, daß Art. 112 GG dem Bundesminister der Finanzen nicht - wie die Antragsgegner meinen - eine allgemeine Plankorrekturkompetenz verleiht, sondern lediglich eine Kompetenz einräumt, die die Grundsatzentscheidung der Verfassung, das Parlament zum Herren des Budgets zu machen, nicht beeinträchtigt.
a) Unvorhergesehen ist nicht nur ein objektiv unvorhersehbares Bedürfnis, sondern jedes Bedürfnis, das tatsächlich, gleich aus welchen Gründen, vom Bundesminister der Finanzen oder der Bundesregierung bei der Aufstellung des Haushaltsplans oder vom Gesetzgeber bei dessen Beratung und Feststellung nicht vorhergesehen wurde oder dessen gesteigerte Dringlichkeit, die es durch Veränderung der Sachlage inzwischen gewonnen hat, nicht vorhergesehen worden ist.
Erwägt man, daß faktisch die Entstehung eines Haushaltsplans damit beginnt, daß die nachgeordneten Behörden eines Ressorts ihre Bedürfnisse einschätzen und dementsprechend Etatwünsche äußern, die teilweise schon im behördlichen Instanzenweg abgelehnt werden, daß auch innerhalb des Ministeriums unter Hinweis auf Aufgaben (Bedürfnisse) Mittel angefordert werden, die der Ressortminister zusammen mit den ihm vorgelegten Anforderungen der nachgeordneten Behörden mit dem Ergebnis prüft, daß er sie teilweise ablehnt und dem Bundesminister der Finanzen gegenüber nicht vertritt, so bleiben in diesem Ablauf eine ganze Reihe von Bedürfnissen, die gesehen worden sind, unberücksichtigt; sie sind in dieser Sicht gewiß nicht unvorhergesehen. Sie sind aber im Sinne des Art. 112 GG unvorhergesehen, weil sie der Bundesminister der Finanzen nicht "zu sehen bekommen", nicht gesehen hat und im Zweifel auch nicht voraussehen konnte.
Eine Vorschrift, die dem Bundesminister der Finanzen eine "Bewilligungs"-kompetenz einräumt und ihre Wahrnehmung davon abhängig macht, daß die zu bewilligende Ausgabe für ein u.a. nicht vorhergesehenes Bedürfnis nötig ist, bezweckt nicht, dem Bundesminister der Finanzen anzusinnen, von sich aus bei der Aufstellung des Haushaltes Ausschau nach Bedürfnissen zu halten und nur die von ihm erkannten und gleichwohl nicht berücksichtigten als vorhergesehene Ausgaben zu qualifizieren. Der Bundesminister der Finanzen soll nach Art. 112 GG unter bestimmten Voraussetzungen einer überplanmäßigen oder außerplanmäßigen Ausgabe zustimmen dürfen; daraus folgt, daß das dahinterstehende Bedürfnis ihm gegenüber regelmäßig von einem anderen geltend gemacht worden ist. Das heißt: Erst wenn eine Anforderung zum Zwecke der Deckung eines Bedürfnisses beim Bundesminister der Finanzen geltend gemacht worden ist oder ihm aus seinem eigenen Ressort heraus bekannt geworden ist und er die Anforderung abgelehnt hat, ist dieses Bedürfnis im Sinne des Art. 112 GG nicht unvorhergesehen.
Das bedeutet nicht, daß nur die Entscheidung des Bundesministers der Finanzen, ein geltend gemachtes Bedürfnis im Haushaltsplan nicht zu bedienen, für die Qualifizierung eines Bedürfnisses als nicht unvorhergesehen in Betracht kommt. Alle Änderungen, die der vom Bundesminister der Finanzen dem Kabinett vorgelegte Haushaltsplan durch die Bundesregierung und während der Beratungen im Bundestag und Bundesrat und deren Ausschüssen erfährt, sind dem Bundesminister der Finanzen, wie sich von selbst versteht, bekannt. Er weiß also, daß die in diesem Verfahrensgang vorgenommenen "Streichungen" zugleich Ablehnungen der entsprechenden Bedürfnisse sind; für ihn, der daran nichts ändern kann, sind gleichwohl auch diese - abgelehnten - Bedürfnisse keine unvorhergesehenen Bedürfnisse.
b) Die Kompetenz des Bundesministers der Finanzen, Mehrausgaben an Stelle des Gesetzgebers zu bewilligen, setzt voraus, daß das Bedürfnis nicht nur unvorhergesehen ist, es muß auch unabweisbar sein. Dieses Tatbestandsmerkmal verlangt, daß die vorgesehene Ausgabe sachlich unbedingt notwendig und zugleich zeitlich unaufschiebbar ist. Unabweisbarkeit ist demnach mehr als die ohnehin aus dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit folgende, sachlich zu verstehende Notwendigkeit; hinzukommen muß, um die Inanspruchnahme einer im Gesamtsystem der Verfassung nur subsidiären "Notkompetenz" rechtfertigen zu können, das Moment des Zeitdrucks. Nur wenn eine Ausgabe ohne Beeinträchtigung schwerwiegender politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Staatsinteressen nicht mehr zeitlich aufgeschoben werden kann, besteht für sie ein unabweisbares Bedürfnis. Diese Schranke für die Kompetenz des Bundesministers der Finanzen nach Art. 112 GG bedeutet: Erst wenn eine Mehrausgabe so eilbedürftig ist, daß die Einbringung eines Nachtragshaushaltsplans oder eines Ergänzungshaushaltsplans oder schließlich ihre Verschiebung bis zum nächsten regelmäßigen Haushalt bei vernünftiger Beurteilung der jeweiligen Lage als nicht mehr vertretbar anerkannt werden kann, liegt ein Fall der Unabweisbarkeit vor. Fehlt indessen das Moment des Zeitdrucks, dann bleibt der Gesetzgeber für die Mittelbewilligung allein zuständig.
c) Unvorhergesehene und unabweisbare Bedürfnisse können auch vor Verabschiedung des Haushalts, also im etatlosen Zustand, auftreten. Wenngleich - wie verfassungsrechtlich geboten - diese Zeitspanne so kurz wie möglich zu halten ist, kann auch für diesen Zeitraum nicht ausgeschlossen werden, daß die Bundesregierung aus zwingenden Gründen Mittel bereitstellen muß, die nach Art. 111 GG nicht ausgegeben werden dürfen. Die in Art. 112 GG enthaltenen Grundsätze gelten daher auch im etatlosen Zustand (ebenso der Beschluß des Großen Senats des Bundesrechnungshofs aufgrund der Sitzungen vom 30. November und 7. Dezember 1972; abgedruckt bei Theiß, Das Nothaushaltsrecht des Bundes, Dissertation 1974, S. 164 f).
6. a) Aus alledem ergibt sich, daß Art. 112 GG dem Bundesminister der Finanzen lediglich eine subsidiäre Kompetenz für dringende Notfälle einräumt. Er ermächtigt ihn unter tatbestandsmäßig eng umrissenen Voraussetzungen, nämlich bei Vorliegen eines "unvorhergesehenen und unabweisbaren" Bedürfnisses, in Einzelfällen die Verwaltung von den Bindungen des vom Gesetzgeber beschlossenen Haushaltsplans zu befreien; und dies auch nur unter der Voraussetzung, daß keine Zeit bleibt, eine Entscheidung des Haushaltsgesetzgebers einzuholen.
Die Kompetenz des Bundesministers der Finanzen nach Art. 112 GG steht mithin nicht gleichartig und gleichrangig neben der Feststellungskompetenz des Haushaltsgesetzgebers. Sie ist dem Bundesminister der Finanzen als Teil der Exekutive, die stets handlungsfähig sein muß, nur eingeräumt, um anders nicht zu meisternde Schwierigkeiten im Verwaltungsablauf beheben zu können. Sinn des Art. 112 GG ist es aber nicht, dem Bundesminister der Finanzen einen eigenen finanzpolitischen Spielraum für die Ausgabengestaltung zu eröffnen. Die Möglichkeit hierzu kann ihm erwachsen, wenn die Einnahmen des Bundes in einem Haushaltsjahr höher oder die Ausgaben niedriger sind als im Haushaltsplan veranschlagt. Sie kann auch dadurch entstehen, daß infolge der von ihm selbst erlassenen Vorschriften über die vorläufige Haushaltsführung im etatlosen Zustand oder über die zeitweilige Sperrung von Haushaltsmitteln am Ende des Etatjahres Haushaltsüberschüsse entstehen, die nicht mehr ausgegeben werden und dem Staat verbleiben. Abgesehen davon, daß es nicht Sache des Bundesministers der Finanzen wäre, eine eigenständige Erübrigungspolitik durch restriktiven Vollzug des vom Haushaltsgesetzgeber beschlossenen Haushaltsplans zu treiben und sich dadurch Spielraum für eine selbständige Ausgabenpolitik zu verschaffen, liegt die Entscheidungsbefugnis über die durch Mehreinnahmen oder durch Minderausgaben angesammelten Finanzmittel nicht beim Bundesminister der Finanzen, sondern grundsätzlich beim Haushaltsgesetzgeber (Art. 110 GG). Dadurch ist zugleich, worauf es in der parlamentarischen Demokratie entscheidend ankommt, gewährleistet, daß sowohl jede Fraktion - insbesondere die Opposition - als auch die einzelnen Abgeordneten ihre Vorstellungen über die Verwendungsmöglichkeiten der Haushaltsmittel darlegen und dadurch die Entscheidung über den Haushaltsplan beeinflussen können. Diese Möglichkeit darf nicht durch eine extensive Handhabung des Art. 112 GG abgeschnitten werden.
b) Aus dem Umstand, daß es sich bei Art. 112 GG um eine subsidiäre Notkompetenz des Bundesministers der Finanzen handelt, vermöge deren er im Einzelfall Ausgaben zustimmen kann, deren Bewilligung normalerweise in die Feststellungskompetenz des Gesetzgebers fällt, ergeben sich verfassungsrechtliche Besonderheiten bei ihrer Inanspruchnahme. Sie folgen allgemein aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz, daß die Verfassungsorgane verpflichtet sind, bei Inanspruchnahme ihrer verfassungsmäßigen Kompetenzen auf die Interessen der anderen Verfassungsorgane Rücksicht zu nehmen (BVerfGE 35, 193 [199]). Wo es sich, wie hier, um die Inanspruchnahme einer lediglich subsidiären Kompetenz handelt, folgen daraus zusätzliche verfassungsrechtliche Prüfungspflichten und Verfahrenspflichten vor und bei ihrer Wahrnehmung. Die Prüfungspflicht geht dahin, ob nicht nach der Sachlage im Einzelfall eine Bewilligung durch den Gesetzgeber möglich ist. Ergeben sich in dieser Hinsicht begründete Zweifel, dann ist der Bundesminister der Finanzen gehalten, mit dem Gesetzgeber in Verbindung zu treten, um zu klären, ob dieser sich in der Lage sieht, im Hinblick auf die zeitliche Dringlichkeit des Bedürfnisses, rechtzeitig eine Bewilligung zu erteilen. Erst nach dieser Konsultation ist in solchen Zweifelsfällen der Weg frei für die Ausübung der Kompetenz aus Art. 112 GG. Es ist Sache des Haushaltsgesetzgebers zu entscheiden, ob er bei Fällen unterhalb einer bestimmten Größenordnung, die eine gesonderte Haushaltsvorlage ernsthaft impraktikabel erscheinen läßt, den Bundesminister der Finanzen allgemein von dieser verfassungsrechtlichen Kommunikationspflicht und Konsultationspflicht freistellt.
c) Bei der verfassungsgerichtlichen Prüfung, ob im Einzelfall die Voraussetzungen des Art. 112 GG erfüllt sind, ist zu beachten, daß die Frage, ob ein Bedürfnis für Ausgaben besteht, sich wesentlich nach politischen Wertungen beantwortet, deren Inhalt nur darauf gerichtlich überprüft werden kann, ob die Grenze offensichtlicher Unvertretbarkeit überschritten ist. Rechtsfrage aber ist es, ob ein Bedürfnis unvorhergesehen oder unabweisbar ist; diese Tatbestandsmerkmale bestimmen in Art. 112 GG nicht, welche Ausgaben geleistet werden sollen, sondern legen als objektivierbare Maßstäbe fest, welches Verfassungsorgan im Einzelfall für die Ausgabenbewilligung kompetent ist. Diese Kompetenzregelung ist eine Rechtsfrage.
II.
Die Anwendung des unter I. entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstabes auf die vier im Streit befangenen Fälle ergibt aufgrund des Vorbringens der Beteiligten sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme, daß in keinem Fall ein unvorhergesehenes und unabweisbares Bedürfnis vorlag.
1. Die Zuweisung an das Sondervermögen Deutsche Bundesbahn in Höhe von 1,35 Milliarden DM ist zu Lasten des Haushaltes 1973 verbucht, jedoch nur in Höhe von 500 Millionen DM im Dezember 1973 gezahlt worden. Die restlichen 850 Millionen DM wurden erst im Januar 1974 gezahlt. Bereits hieraus ergibt sich, daß jedenfalls im Jahre 1973 ein unvorhergesehenes und unabweisbares Bedürfnis für die Zahlungen in Höhe von 850 Millionen DM nicht bestanden haben kann. Andernfalls hätte der Bundesminister der Finanzen auch diese Zahlungen im Jahre 1973 leisten müssen. Doch auch für die Gewährung der im Dezember 1973 tatsächlich geleisteten 500 Millionen DM lagen die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen nicht vor. Bei der Aufstellung des Wirtschaftsplans der Deutschen Bundesbahn 1973 im März 1973, dessen berichtigter Nachtrag von der Bundesregierung am 24. Juli 1973 genehmigt wurde, sind von vornherein 450 Millionen DM ungedeckt geblieben. In Höhe dieses Betrages wurde die Deutsche Bundesbahn von dem Bundesminister der Finanzen und der Bundesregierung von vornherein auf den Kreditmarkt verwiesen. Insoweit war ein Fehlbetrag vorhergesehen.
Im Haushalt 1973 waren planmäßige Zuweisungen des Bundes an die Deutsche Bundesbahn in Höhe von rund 7,7 Milliarden DM vorgesehen, davon rund 1,8 Milliarden DM Zuwendungen zur Erhaltung der Liquidität. Diese Etatansätze haben sich im Jahre 1973 als unzureichend erwiesen, weil sich u.a. verschiedene Besoldungsverbesserungen und Gehaltsverbesserungen auf die lohnintensive Bundesbahn besonders belastend ausgewirkt haben.
Diese Entwicklung war nicht unvorhergesehen, die dadurch verursachten Bedürfnisse waren nicht unabweisbar. Denn die Bundesregierung hatte den berichtigten Nachtrag zum Wirtschaftsplan der Deutschen Bundesbahn erst am 24. Juli 1973 genehmigt. Die Tarifvereinbarungen und Besoldungsgesetze für das Jahr 1973 waren indessen schon im Frühjahr 1973 beschlossen und erlassen worden oder wenigstens vorauszusehen. Ihre Auswirkungen konnten bei der Deutschen Bundesbahn ebenso wie bei Bund, Ländern und Gemeinden genau vorausberechnet werden und sind auch vorausgesehen worden.
Der Liquiditätsfehlbetrag von rund 1 Milliarde DM zum Jahresende 1973 war im übrigen geschätzt, und zwar falsch geschätzt. Nach der Aussage der Beamten des Bundesrechnungshofes bestand allenfalls ein Bedarf der Deutschen Bundesbahn in Höhe von 150 Millionen DM. Die Befriedigung dieses Bedarfs war jedoch im Dezember 1973 nicht unabweisbar. Der ehemalige Finanzdirektor der Deutschen Bundesbahn hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, daß die Deutsche Bundesbahn ihren Kassenkredit, der ihr gemäß § 20 Abs. 1 Buchstabe b des Bundesbankgesetzes bis zur Höhe von 600 Millionen DM offensteht, im Dezember 1973 nur zur Hälfte, nämlich in Höhe von 300 Millionen DM, in Anspruch genommen hatte. Die Deutsche Bundesbahn hätte ihren Bedarf an flüssigen Mitteln bei der Deutschen Bundesbank decken können. Auch ihre Hausbank, die Verkehrs-Kreditbank, hätte ihr helfen können; schließlich wäre die Beschaffung des Geldes auf dem Kreditmarkt möglich gewesen. Einer "Notbewilligung" des Bundesministers der Finanzen zur Behebung einer Liquiditätslücke bedurfte es also nicht.
Zur Deckung eines erhöhten Finanzbedarfs der Deutschen Bundesbahn hätte die Bundesregierung einen Ergänzungshaushaltsplan zum Haushalt 1974 vorlegen können und damit eine Entscheidung des Gesetzgebers herbeiführen müssen. Vor Verabschiedung des Haushalts 1974 - oder eines Teilhaushalts - hätte die Bundesregierung der Deutschen Bundesbahn gegebenenfalls unter Anwendung von Art. 111 GG Mittel zuführen können.
2. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau ist das größte im Eigentum des Bundes stehende Kreditinstitut. Mit der Durchführung sektoraler und regionaler Förderungsprogramme unterstützt sie die Konjunkturpolitik der Bundesregierung. Die Gewährung zinsgünstiger Investitionskredite durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau war im Frühjahr 1973 wegen der Überhitzung der Konjunktur ausgesetzt worden. Infolgedessen war die Tätigkeit der Kreditanstalt für Wiederaufbau während des größten Teiles des Jahres 1973, etwa von April 1973 bis zum Jahresende 1973, stark reduziert. Erst durch den Beschluß der Bundesregierung vom 19. Dezember 1973 wurde wegen der Abschwächung der Konjunktur das Steuer herumgeworfen und die Kreditanstalt für Wiederaufbau angewiesen, die im Frühjahr 1973 unterbrochenen Mittelstandsprogramme wieder aufzunehmen und weitere Förderungsprogramme durchzuführen.
Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hatte nicht von sich aus, sondern erst auf Anregung des Bundesministers der Finanzen am 23. Januar 1974 einen Kreditantrag gestellt. Der Bundesminister der Finanzen hat den Kredit in Höhe von 480 Millionen DM daraufhin am 28. Januar 1974 bewilligt und ausgezahlt. Diese Mittel wurden monatelang von der Kreditanstalt für Wiederaufbau nicht gebraucht. Sie hat das Geld als Termingeld angelegt, und zwar mit Laufzeiten bis Juni 1974. Wieder frei werdende Gelder wurden ihren liquiden Mitteln zugeführt, die während des ganzen Jahres 1974 erheblich waren. Sie betrugen am 30. Mai 1974 598 Millionen DM, am 1. Juli 1974 826 Millionen DM und am 29. Juli 1974 696 Millionen DM.
Es ist hiernach festzustellen, daß die Voraussetzungen von Art. 112 GG handgreiflich nicht vorlagen. Es bestand offensichtlich kein unabweisbares Bedürfnis für diese Ausgabe, die im übrigen unter Verletzung von § 72 Abs. 2 BHO zu Lasten des Haushaltsjahres 1973 verbucht wurde.
3. Der VIAG-Konzern umfaßt zahlreiche Gesellschaften, die überwiegend im Bereich der Elektrochemie und der Elektrizitätswirtschaft tätig sind und an denen der Bund nur zum Teil beteiligt ist. Das Grundkapital der Konzerngesellschaft betrug am 31. Dezember 1973 342 Millionen DM; es wurde am 22. Januar 1974 auf 402 Millionen DM erhöht. Die Eigenkapitalausstattung der VIAG-Konzerngesellschaft lag seit Jahren an der unteren Grenze des Vertretbaren. Bereits im Sommer 1973 hatte die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft "T." empfohlen, die VIAG möge ihrer Konzerntochter Vereinigte Aluminium-Werke AG eine Kapitalaufstockung in Höhe von 100 Millionen DM zuführen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hatte die ungünstige Entwicklung im Aluminiumbereich sogar schon im Jahre 1971 begonnen. Das federführende Referat des Bundesministers der Finanzen hat die Kapitalaufstockung selbst mehrfach, zuletzt bei der Aufstellung des Haushalts 1973, vorgeschlagen; der Bundesminister der Finanzen hat diese Vorschläge jedoch abgelehnt.
Unvorhergesehen im Sinne von Art. 112 Satz 2 GG war der Finanzbedarf der VIAG am Ende des Jahres 1973 damit offensichtlich nicht. Der Finanzbedarf ist viel früher gesehen und erwogen, aber jeweils als nicht so dringlich angesehen worden.
Das Bedürfnis war auch nicht unabweisbar. Für die Stabilität und Zahlungsfähigkeit des seit Jahren an Unterkapitalisierung leidenden Konzerns spielte es keine Rolle, ob die wirtschaftlich wünschenswerte Kapitalerhöhung einige Monate früher oder später erfolgte. Daß die Gewährung eines außerplanmäßigen Darlehens am 28. Dezember 1973 zeitlich unaufschiebbar gewesen wäre, läßt sich selbst nach dem Vorbringen der Antragsgegner nicht feststellen. Deshalb wäre die Vorlage eines Nachtragshaushalts oder Ergänzungshaushalts möglich und folglich verfassungsrechtlich geboten gewesen.
Das gilt hier insbesondere auch, insofern mit der Darlehenshingabe eine Kapitalerhöhung beabsichtigt war. Derartige Kapitalerhöhungen mögen zwar wirtschaftlich wünschenswert, wirtschaftlich dringlich, wirtschaftlich unvermeidlich sein, sie sind aber in aller Regel nicht unvorhergesehen und unabweisbar im Sinne des Art. 112 GG, sofern nur ein Mindestmaß an geordneter Verwaltung besteht.
4. Die "Salzgitter AG, Berlin und Salzgitter", die sich im Eigentum der Bundesrepublik Deutschland befindet, verwaltet Beteiligungen an wirtschaftlichen Unternehmungen der Eisenindustrie und Stahlindustrie und betreibt deren Finanzierung.
Auch hier ist, wie im Falle der VIAG, festzustellen, daß für die Notbewilligung die Voraussetzungen von Art. 112 GG offensichtlich nicht erfüllt waren.
Der Finanzbedarf der Salzgitter AG am Ende des Jahres 1973 war nicht unvorhergesehen. Schon im Frühjahr 1973 bezeichnete die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft "T." in ihrem Konzernprüfbericht eine weitere Kapitalerhöhung über die von der Bundesregierung bereits zugesagte hinaus als notwendig. Mit Schreiben vom 29. Oktober 1973 forderte der Konzernvorstand eine Kapitalzuführung von 100 Millionen DM. Dies wurde von dem Bundesminister der Finanzen abgelehnt, weil er zu diesem Zeitpunkt eine Liquiditätshilfe oder eine Kapitalzuführung nicht für dringlich hielt.
Wie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststeht, hat sich von diesem Zeitpunkt - damals wäre die Einbringung eines Nachtragshaushaltsplans zum Haushaltsgesetz 1973 noch möglich gewesen - bis zum Jahresende die wirtschaftliche Unternehmenslage nicht dahin verändert, daß nunmehr ein unvorhergesehenes und unabweisbares Bedürfnis für die weitere Kapitalzuführung bestand. Daran kann sich auch nach Zusammenfassung der bisher getrennten Bilanzen der Konzernmutter Salzgitter AG und der Konzerntochter Salzgitter-Hütten AG durch die Neubilanzierung nichts geändert haben.
Der Fehlschlag der Bemühungen des Konzerns, im Jahre 1973 eine Umschuldung durch Aufnahme langfristiger Kredite vorzunehmen, führte ebenfalls nicht zu einer veränderten Lage während der letzten beiden Monate des Haushaltsjahres 1973, die ein sofortiges Handeln der Antragsgegner notwendig gemacht hätte. Eine etwaige Liquiditätslücke hätte durch kurzfristige Kredite überwunden werden können.
Auch die Verhandlungen des Konzerns mit der Sowjetunion über einen umfangreichen Exportauftrag, die Kreditwünsche des sowjetischen Verhandlungspartners und die daraufhin dringlich erscheinende Verbesserung der Kapitalbasis schufen nicht eine veränderte Situation, die von der zu Ende Oktober 1973 bestehenden abwich. Denn die sehr langwierigen Vertragsverhandlungen mit der Sowjetunion, die sich über das Haushaltsjahr 1973 hinaus erstreckten und auch heute noch nicht abgeschlossen sind, zwangen weder im November/Dezember 1973 zu einer sofortigen Zuführung flüssiger Mittel noch vor dem Ende des Jahres 1973 zu einer Kapitalerhöhung. Sie bewirkten nicht ein Bedürfnis, das sofort, nämlich noch im Haushaltsjahr 1973, hätte befriedigt werden müssen.
Auch gilt hier, wie im vorherigen Fall, daß sowohl eine Kreditgewährung als Vorgriff auf eine später beabsichtigte Kapitalerhöhung als auch eine Kapitalerhöhung selbst im Frühjahr 1974 jedenfalls im Wege eines Ergänzungshaushalts hätte durchgeführt werden können.
Wie bereits unter Nr. 3 aE dargelegt, sind Kapitalerhöhungen bei bundeseigenen Unternehmungen über Art. 112 GG in aller Regel verfassungsrechtlich unzulässig. Das gilt auch für den vorliegenden Fall.
III.
Hiernach ist festzustellen, daß der Bundesminister der Finanzen den vier Ausgabenanträgen nach Art. 112 GG nicht zustimmen durfte. Seine gleichwohl erteilte Zustimmung stellt die Maßnahme im Sinne von § 64 Abs. 1 BVerfGG dar, durch die der Bundestag in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt worden ist.
 
D.
Auch der Antrag gegen die Bundesregierung ist begründet.
I.
Das Grundgesetz grenzt im Bereich des Haushaltsrechts auch die Kompetenzen des Gesetzgebers - hier des Bundestages - und der Bundesregierung gegeneinander ab. Die Kompetenz der Bundesregierung begründet Verantwortungen gegenüber dem Bundestag. Das dieser Verantwortung nicht gerecht werdende Verhalten der Bundesregierung hat hier die Rechte des Bundestages verletzt.
1. Aus Art. 110 Abs. 2 und 3 in Verbindung mit Art. 76 Abs. 2 GG ergibt sich, daß der Entwurf eines Haushaltsgesetzes grundsätzlich von der Bundesregierung einzubringen ist. Die Kompetenz aus Art. 111 Abs. 1 GG, für die Zeit, für die ein Haushaltsplan noch nicht durch Gesetz festgestellt ist, bestimmte Ausgaben zu leisten, steht der Bundesregierung zu; das gleiche gilt für die Entscheidung, im Rahmen des Art. 111 Abs. 2 GG Mittel im Wege des Kredits flüssig zu machen. Nach Art. 113 Abs. 1 GG bedarf ein Gesetz, das die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Ausgaben erhöht oder neue Ausgaben in sich schließt oder für die Zukunft mit sich bringt, sowie ein Gesetz, das Einnahmenminderungen zur Folge hat, der Zustimmung der Bundesregierung. Schließlich bestimmt Art. 114 Abs. 1 GG, daß Bundestag und Bundesrat nach Rechnungslegung durch den Bundesminister der Finanzen über die Entlastung der Bundesregierung zu entscheiden haben. Diese Entlastung kennt keine Einschränkung, sie erstreckt sich u.a. also auf alle Einnahmen und Ausgaben, auch auf diejenigen Ausgaben, die nach Zustimmung des Bundesministers der Finanzen gemäß Art. 112 GG geleistet wurden. Die Bundesregierung hat demnach gegenüber dem Bundestag eine Reihe von Kompetenzen und Verantwortungen. Der Zusammenhang aller vorgenannten Bestimmungen des Grundgesetzes bestätigt, daß sie das Verfassungsorgan ist, das entsprechend seiner politischen Leitungsaufgabe - Bestimmung der Ziele der Politik, Aufstellung des Regierungsprogramms und Verwirklichung dieses Programms - auch im Bereich des Haushaltswesens als bestimmendes Organ der Exekutive dem Bundestag gegenübersteht.
2. Die Zuständigkeit des Bundesministers der Finanzen nach Art. 112 GG ist demgegenüber die Ausnahme von der Regel, aber keine isolierbare Ausnahme, sondern eine Sonderkompetenz, die in die Kompetenz der Bundesregierung eingebunden ist. Die Bundesregierung kann die in der Bestimmung über ihre Entlastung (Art. 114 Abs. 1 GG) zum Ausdruck kommende Verantwortung gegenüber dem Bundestag sinnvollerweise nur haben, wenn sie im Ansatz imstande ist, die Maßnahme des Bundesministers der Finanzen zu billigen oder zu mißbilligen. Der Bundesminister der Finanzen hat zwar innerhalb der Bundesregierung eine herausgehobene Stellung, insofern er innerhalb des Kabinetts gegen die Entscheidung einer Frage von finanzieller Bedeutung Widerspruch erheben kann, der nach wiederholter Beratung nur mit der Mehrheit der Stimmen aller Bundesminister und der Stimme des Bundeskanzlers überwunden werden kann (§ 26 Abs. 1 GOBReg). Aber er hat, wie diese Regelung bestätigt, keine Kompetenz, die die Kompetenz des kollegialen Verfassungsorgans Bundesregierung und die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers (Art. 65 GG) zu beeinträchtigen imstande wäre. Ein Spiegelbild dieser allgemeinen verfassungsrechtlichen Lage ist auch § 15 GOBReg, der bestimmt, daß der Bundesregierung zur Beratung und Beschlußfassung "alle Angelegenheiten von allgemeiner ... finanzieller ... Bedeutung" zu unterbreiten sind. Art. 112 GG dispensiert den Bundesminister der Finanzen nicht von den Bindungen, die sich aus der Beachtung der Kompetenz der Bundesregierung aus Art. 65 GG ergeben. Die Bundesregierung hat am Ende also auch die Dispositionen zu treffen, die sich als grundsätzliche Schritte zur Verwirklichung des Regierungsprogramms im Felde des Haushaltswesens darstellen, die in diesem Sinne von "allgemeiner", "politischer", "grundsätzlicher" Bedeutung sind. Daraus ergibt sich, daß der Bundesminister der Finanzen der Bundesregierung gegenüber verpflichtet ist, sie davon zu unterrichten, daß im Haushalt über erübrigte Mittel zu disponieren ist, die ihrem Umfang nach von Politischem Gewicht sind und je nach der politischen Entscheidung über die Prioritäten anstehender Bedürfnisse verschieden verwendet werden können; dies ist insbesondere der Fall, wenn Anforderungen von Ressorts bei der Aufstellung des Haushaltsplans abgelehnt worden waren, weil die dafür erforderlichen erheblichen Mittel fehlten.
Daß der Bundesminister der Finanzen der eben umschriebenen verfassungsrechtlichen Pflicht nachkommt, hat die Bundesregierung durch innerorganisatorische Maßnahmen sicherzustellen. Sie hat jedoch unabhängig davon, ob sie vom Bundesminister der Finanzen entsprechend unterrichtet worden ist oder nicht, unmittelbar von Verfassungs wegen für dessen Verhalten einzustehen.
3. In den Fällen, in denen danach die politische Entscheidung über die Art. der Verwendung von Haushaltsmitteln erheblichen Umfangs der Bundesregierung zukommt, ist deren Beschluß die Grundlage dafür, daß der Bundesminister der Finanzen einer - nämlich der von der Bundesregierung beschlossenen - überplanmäßigen oder außerplanmäßigen Ausgabe "zustimmen" kann (Art. 112 GG). Die so umschriebene Begrenzung der Kompetenz des Bundesministers der Finanzen, insbesondere seine verfassungsrechtliche Pflicht zur rechtzeitigen Unterrichtung der Bundesregierung, dient mittelbar dazu, die Bundesregierung in Stand zu setzen, ihre verfassungsrechtliche Verantwortung gegenüber dem Bundestag wahrzunehmen. Insofern ist die Informationspflicht des Bundesministers der Finanzen in diesem Zusammenhang nicht nur ein Internum der Bundesregierung. Sie ist vielmehr die Grundlage dafür, daß die Bundesregierung auch in den Fällen der Anwendung des Art. 112 GG durch ihr Verhalten Rechte des Bundestages verletzt haben kann. Die Bundesregierung hat sie immer dann verletzt, wenn sie dem Bundesminister der Finanzen den Weg des Art. 112 GG freigegeben hat, also eine Ausgabe beschlossen hat, der der Bundesminister der Finanzen nach Art. 112 GG zustimmen sollte und zugestimmt hat, obwohl zeitgerecht durch einen Ergänzungshaushalt oder Nachtragshaushalt oder im Wege des Art. 111 GG die Rechtsgrundlage für die Ausgabe hätte beschafft werden können. Sie hat aber auch immer dann die Kompetenz des Bundesgesetzgebers - hier des Bundestages - verletzt, wenn sie von dem Schritt des Bundesministers der Finanzen hätte Kenntnis erhalten müssen, sie aber nicht erhalten und deshalb eine Ermächtigung des Haushaltsgesetzgebers nicht herbeigeführt hat. Für einen solchen Mangel hat die Bundesregierung einzustehen, weil anders die verfassungsgemäße Ordnung in diesem politisch besonders heiklen und folgenreichen Bereich nicht wirksam aufrechterhalten werden kann. Auch sonst im Recht gibt es dem "Betroffenen" gegenüber in ähnlichen Fällen ein Einstehen für Organisationsmängel, für Verrichtungsgehilfen, für Organverhalten usw.
4. Aus dem bisher Dargelegten folgt: Art. 112 GG gibt dem Bundesminister der Finanzen nicht die Kompetenz, an der Bundesregierung und dem Gesetzgeber vorbei im Haushaltsplan nicht vorgesehene Ausgaben zu bewilligen und damit eine eigenständige Ausgabenpolitik zu treiben. Die Bundesregierung kann zwar den Bundesminister der Finanzen in keinem Fall "zwingen", d.h. mit rechtlicher Bindungswirkung anweisen, einer Ausgabe im Wege des Art. 112 GG zuzustimmen (vgl. § 116 Abs. 1 Satz 1 BHO). Sie kann aber verhindern, daß der Bundesminister der Finanzen den Weg des Art. 112 GG beschreitet, indem sie eine Haushaltsvorlage (Ergänzungshaushalt oder Nachtragshaushalt) einbringt, indem sie die Kompetenz des Art. 111 GG in Anspruch nimmt oder indem sie beschließt, die Mittel nicht auszugeben und auf den nächsten Jahreshaushalt zu übertragen. Im Hinblick auf diese Möglichkeiten hat sie, falls der Bundesminister der Finanzen zu Unrecht die Kompetenz aus Art. 112 GG in Anspruch genommen hat, in aller Regel neben dem Bundesminister der Finanzen die Rechte des Bundestages verletzt. Eine Ausnahme wäre nur denkbar, wenn der Bundesminister der Finanzen entgegen solchen Beschlüssen des Kabinetts die Disposition über Haushaltsmittel durch eine Entscheidung nach Art. 112 GG freigeben und sogleich selbst vollziehen würde.
5. Die dargestellte verfassungsrechtliche Verantwortung der Bundesregierung gegenüber dem Bundesgesetzgeber - hier gegenüber dem Bundestag - steht unabhängig neben der Verantwortung der Bundesregierung nach Art. 114 Abs. 1 GG. So wie das Mißtrauensvotum ein verfassungsrechtliches Instrument für eine politische Aktion des Parlaments ist, bildet auch Art. 114 Abs. 1 GG die Rechtsgrundlage für eine politische Entscheidung des Parlaments über das Finanzgebaren und Haushaltsgebaren der Bundesregierung. Im vorliegenden Verfassungsrechtsstreit geht es dagegen um eine verfassungsrechtliche Kompetenz, die von der einen Seite in Anspruch genommen und von der anderen Seite bestritten wird mit der Behauptung, die eigene Kompetenz werde durch jene Inanspruchnahme verletzt. Nicht die Ausgabe, sondern die rechtliche Voraussetzung für das Ausgeben-Dürfen steht im Streit. Art. 114 GG, der eine spezielle politische Verantwortung der Bundesregierung gegenüber dem Parlament statuiert, steht also unabhängig neben Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, der die Möglichkeit eröffnet, die Bundesregierung wegen Verletzung der Kompetenz des Bundestages vor dem Bundesverfassungsgericht verantwortlich zu machen.
II.
1. Die Entscheidung über jede der vier Ausgaben, deren Freigabe durch den Bundesminister der Finanzen auf dem Wege des Art. 112 GG im gegenwärtigen Verfahren in Streit steht, gehört dem Umfang der Ausgaben nach - jede geht über einen Betrag von hundert Millionen DM und mehr - zu den politischen Dispositionen grundsätzlicher Art., die nach dem unter I. Ausgeführten nicht ohne Mitwirkung der Bundesregierung getroffen werden können, auch wenn der Weg des Art. 112 GG offenstünde. Das heißt, der Bundesminister der Finanzen bedurfte einer Entscheidung der Bundesregierung über die überplanmäßigen oder außerplanmäßigen Ausgaben, der er dann nach Art. 112 GG zustimmen konnte.
2. Es war nicht festzustellen, daß der Bundesminister der Finanzen die Bundesregierung mit seiner Absicht, den vier Ausgabenanträgen zustimmen zu wollen, befaßt hat. Der von der Bundesregierung vorgelegte Auszug aus dem Kurzprotokoll über die Sitzung der Bundesregierung vom 19. Dezember 1973 enthält darüber keinerlei Angaben.
Immerhin ergibt sich aber aus diesem Protokollauszug, daß die Bundesregierung über Maßnahmen im Zusammenhang mit der konjunkturellen Entwicklung beraten und beschlossen hat. Es ist nur schwer vorstellbar, daß in diesem Zusammenhang der Bundesminister der Finanzen sich darüber ausgeschwiegen haben sollte, daß Haushaltsreste in Höhe von einigen Milliarden DM zur Verfügung stehen, die ausgegeben werden könnten. Ein solcher allgemeiner Hinweis würde aber genügt haben, um der Bundesregierung Anlaß zu geben, sich über die Verwendung dieser Mittel und über den Weg der Bewilligung einer entsprechenden Ausgabe Gedanken zu machen. Hat sie das nicht getan, so hat sie nicht genügend getan, um sicherzustellen, daß die Kompetenz des Haushaltsgesetzgebers nicht verletzt wird.
3. Aber selbst die völlige Unkenntnis der Bundesregierung über Amtshandlungen einzelner ihrer Mitglieder, insbesondere über die Absicht des Bundesministers der Finanzen, jene erübrigten Haushaltsmittel auszugeben, befreit sie nicht von ihrer verfassungsrechtlichen Verantwortung gegenüber dem Bundestag, da es, wie dargetan, auf ihre Kenntnis oder Unkenntnis nicht ankommt, unabhängig davon, ob die Kommunikation zwischen Bundesminister der Finanzen und Bundesregierung ausreichend organisiert war oder nicht.
Die Bundesregierung hat es im Vertrauen auf eine vieljährige Praxis seit der Bildung der ersten Bundesregierung versäumt sicherzustellen, daß sie gemäß § 15 Abs. 1 GOBReg vom Bundesminister der Finanzen über die beabsichtigten Ausgabebewilligungen nach Art. 112 GG, die erhebliches Gewicht hatten, informiert und konsultiert wurde. Sie begab sich auf diese Weise der Möglichkeit, sich mit den Vorgängen zu befassen, obwohl dies geboten war. Sie hätte nämlich zu erwägen gehabt, ob Ausgaben über den beschlossenen Etat hinaus überhaupt vorgenommen werden sollten, ob Ausgaben zu den vorgeschlagenen oder zu anderen Zwecken angebracht waren und in welchem Verfahren die Mittel hätten bereitgestellt werden dürfen, nämlich entweder unter Wahrung der Rechte des Gesetzgebers durch Einbringung eines Nachtragshaushalts oder Ergänzungshaushalts, durch einen Beschluß nach Art. 111 GG oder über das Notbewilligungsrecht nach Art. 112 GG. Somit hat sie dazu beigetragen, daß die Kompetenz des Bundestages durch den Bundesminister der Finanzen verletzt wurde.
So wie die Dinge im konkreten Fall liegen, hat die Bundesregierung die Kompetenz des Bundestages mindestens dadurch verletzt, daß sie es unterlassen hat, für diese Ausgaben die Ermächtigung des Haushaltsgesetzgebers einzuholen; das war nach dem unter C. Dargelegten möglich, weil die Bedürfnisse für die Ausgaben weder unvorhergesehen noch unaufschiebbar waren.
 
E.
Die Entscheidung ist zu I. einstimmig, zu II. mit 6 zu 1 Stimmen ergangen.
Zeidler Geiger Wand Girsch Rottmann Niebler Steinberger
 
Abweichende Meinung des Richters Dr. Niebler zum Urteil des Zweiten Senats vom 25. Mai 1977
- 2 BvE 1/74 -
Soweit im Urteil ein Verfassungsverstoß des Bundesministers der Finanzen festgestellt wird, stimme ich der Mehrheit des Senats im Ergebnis, jedoch mit zum Teil abweichender Begründung zu. Eine Verletzung von Rechten des Deutschen Bundestages gemäß Art. 110 GG durch die Bundesregierung vermag ich nicht festzustellen.
I.
1. Die grundlegende Bestimmung des Haushaltsrechts stellt - wie in der Entscheidung dargelegt ist - Art. 110 GG dar. Nach dieser Vorschrift sind alle vorhersehbaren Einnahmen und Ausgaben des Bundes in den Haushaltsplan einzustellen, der durch das Haushaltsgesetz festgestellt wird. Von diesem parlamentarischen Budgetrecht gibt es zwei wesentliche Ausnahmen, die einem unabweisbaren Bedürfnis entsprechen: Das "Nothaushaltsrecht" gemäß Art. 111 GG und das sogenannte Notbewilligungsrecht des Bundesministers der Finanzen gemäß Art. 112 GG. Beide Vorschriften sollen das parlamentarische Budgetrecht nicht grundsätzlich antasten; jedoch stellen sie eigene verfassungsrechtliche Ermächtigungen zur Ausgabenbewilligung dar. Die Ermächtigungen der Art. 111 und 112 GG ersetzen - wie das Bundesverfassungsgericht bereits 1966 ausgeführt hat - die Ermächtigung des Haushaltsgesetzes zur Ausgabe von Mitteln (BVerfGE 20, 56 [90]).
2. Zur Feststellung von Umfang und Bedeutung des Art. 112 GG ist es erforderlich, auch seine Entstehungsgeschichte zu berücksichtigen.
Die Ausführungen dazu unter A I des Urteils zeigen, daß bei Schaffung dieser Vorschrift bewußt auf eine parlamentarische Genehmigung der vom Finanzminister gebilligten Ausgaben verzichtet wurde. Die parlamentarische Kontrolle des Finanzministers sah man als durch die Rechnungslegung (Art. 114 GG) ausreichend gesichert an.
Durch das Haushaltsreformgesetz vom 12. Mai 1969 (BGBl I S. 357) wurde dem Art. 112 GG ein Satz 3 angefügt, wonach "Näheres" durch Bundesgesetz bestimmt werden kann. Diese Bestimmung sollte es nach dem Willen des Bundestages diesem ermöglichen, das Bewilligungsrecht des Finanzministers näher einzuschränken. Es kann dahingestellt bleiben, ob - was der damalige Berichterstatter Dr. A. in einer Abhandlung (Deutsches Verwaltungsblatt 1975 S. 601 ff) ablehnt - Art. 112 Satz 3 GG tatsächlich die vom Gesetzgeber gewollte Ermächtigung zur Einengung der Rechte des Finanzministers nach Satz 1 und 2 verleiht. Auch wenn man - entgegen A. - davon ausgeht, daß die Regelung in § 37 BHO durch Art. 112 Satz 3 GG gedeckt ist, so wird auch dadurch dem Bundesminister der Finanzen nicht untersagt, in bestimmten Fällen Ausgaben zu bewilligen, die den Haushaltsplan in wesentlichen Punkten verändern, oder - bei außerplanmäßigen Ausgaben - von erheblicher finanzieller Bedeutung sind. § 37 Abs. 1 Satz 5 BHO läßt Ausnahmen zu, wobei sogar auf die Einwilligung des Bundesministers der Finanzen verzichtet wird. Jedenfalls läßt sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 112 GG eine über die darin gezogenen Grenzen hinausgehende Beschränkung der Befugnis des Bundesministers der Finanzen im Verhältnis zum Parlament oder zur Bundesregierung herleiten.
3. Auch die Regelungen des Haushaltsrechts in der Verfassungsordnung des Grundgesetzes beschränken die Rechte des Bundesministers der Finanzen gegenüber dem Gesetzgeber nicht über die in Art. 112 GG selbst gesetzten Grenzen hinaus.
a) Der Bundesminister der Finanzen hat die grundsätzliche Entscheidungskompetenz des Gesetzgebers gemäß Art. 110 GG zu beachten. Bei der Prüfung des unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnisses gemäß Art. 112 Satz 2 GG hat er zu erwägen, ob ein Aufschub der Ausgabe bis zur Verabschiedung eines Nachtragshaushaltes oder Ergänzungshaushaltes möglich ist. Wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, liegt kein unvorhergesehenes und unabweisbares Bedürfnis im Sinne von Art. 112 Satz 2 GG vor. Soweit jedoch diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, ersetzt die Ermächtigung des Bundesministers der Finanzen die Zustimmung des Haushaltsgesetzgebers (BVerfGE 20, 56 [90]).
b) Auch aus Art. 114 GG läßt sich eine Beschränkung der Rechte des Bundesministers der Finanzen nach Art. 112 GG nicht herleiten. Nach dieser Bestimmung kontrollieren Bundestag und Bundesrat den Haushaltsvollzug und entscheiden über die Entlastung der Bundesregierung. Art. 114 Abs. 1 GG behandelt eine Ausgabenverantwortung, regelt aber nicht Kompetenzfragen (vgl. D I 5 des Urteils). Die Bundesregierung hat zwar gegenüber dem Gesetzgeber die volle Verantwortung für den Haushaltsvollzug und soweit auch für die Ausgaben, denen der Bundesminister der Finanzen gemäß Art. 112 GG zugestimmt hat. Dies ist deshalb folgerichtig, weil Ausgaben beim Haushaltsvollzug durch sämtliche Bundesminister geleistet werden. Art. 112 GG gibt dem Bundesminister der Finanzen jedoch keine eigene Ausgabenkompetenz; vielmehr werden die von den verschiedenen Bundesministern geplanten überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben nur der Zustimmung des Bundesministers der Finanzen unterstellt. Die Ausgaben leistet jedoch der einzelne Bundesminister, dessen eigene Verantwortung auch durch die Zustimmung des Bundesministers der Finanzen nicht aufgehoben wird.
c) Art. 110 Abs. 2 und 3, Art. 111 und Art. 113 Abs. 1 GG weisen der Bundesregierung als Verfassungsorgan bestimmte Kompetenzen im Haushaltsbereich zu. Es handelt sich hierbei um wesentliche Zuständigkeiten, die sie als Exekutivorgan auch gegenüber dem Gesetzgeber hat. Eine Beeinträchtigung der Stellung des Bundesministers der Finanzen gemäß Art. 112 GG gegenüber dem Gesetzgeber läßt sich daraus nicht herleiten, da diese Kompetenz des Bundesministers der Finanzen selbständig neben den Kompetenzen der Bundesregierung steht (vgl. unten II).
II.
Die Bundesregierung hat nach dem Grundgesetz gegenüber dem Haushaltsgesetzgeber eine Reihe von Kompetenzen (Art. 110, 111, 113 GG) und damit auch Verantwortung; insoweit stimme ich den Ausführungen unter D I 1 des Urteils zu. Dadurch wird jedoch die Zuständigkeit des Bundesministers der Finanzen nach Art. 112 GG nicht beeinträchtigt.
1. Art. 112 und Art. 111 GG stehen gleichberechtigt nebeneinander; jeder ersetzt die Ermächtigung des Haushaltsgesetzes (vgl. BVerfGE 20, 56 [90]). Daraus ergibt sich, daß die Bundesregierung bei der vorläufigen Haushaltsführung über die Schranken des Art. 111 GG nur dann hinausgehen darf, wenn der Bundesminister der Finanzen zustimmt (vgl. auch Theiß, Das Nothaushaltsrecht des Bundes, S. 157).
2. Der Bundesminister der Finanzen hat zwar bei seinen Genehmigungen gemäß Art. 112 GG die Richtlinienentscheidungen des Bundeskanzlers gemäß Art. 65 Satz 1 GG sowie Entscheidungen der Bundesregierung gemäß Art. 65 Satz 3 GG zu beachten. Ob der Bundesminister der Finanzen bei einer Zustimmung nach Art. 112 GG verfassungsrechtliche Pflichten gegenüber der Bundesregierung verletzen kann, bedarf im vorliegenden Verfahren, bei dem es nur um Verletzung von Rechten des Bundestages geht, keiner Erörterung. Seine Selbständigkeit gegenüber der Bundesregierung bei Anwendung des Art. 112 GG zeigt sich jedoch darin, daß die Zustimmung des Bundesministers der Finanzen nicht gemäß § 26 GeschOBReg ersetzt werden kann. § 116 Abs. 1 Satz 1 BHO bestimmt ausdrücklich, daß - im Gegensatz zu sonstigen ihm haushaltsrechtlich übertragenen Befugnissen - der Bundesminister der Finanzen in den Fällen des § 37 Abs. 1 BHO (das sind die Genehmigungen nach Art. 112 GG) endgültig entscheidet. Dem entspricht es, daß nach fast einhelliger Meinung die Zustimmung zu überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben nicht unter die Regelung des § 26 GeschOBReg fällt. Dies ist auch folgerichtig, da durch die GeschOBReg das Recht des Bundesministers der Finanzen aus Art. 112 GG nicht beschränkt werden kann. Ein entsprechender Konflikt läßt sich nicht verfassungsrechtlich, sondern nur politisch lösen (vgl. Därr, Das Notbewilligungsrecht des Bundesministers der Finanzen nach Artikel 112 GG im Schnittpunkt zwischen Demokratie und Effektivität, 1973 S. 13).
3. Ein Weisungsrecht der Bundesregierung bei der Anwendung des Art. 112 GG ergibt sich auch nicht aus Art. 65 GG; denn bei Entscheidungen nach Art. 112 GG handelt es sich nicht um Richtlinien der Politik.
Ob der Bundesminister der Finanzen - im Hinblick auf die Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers gemäß Art. 65 Satz 1 GG - von Verfassungs wegen verpflichtet ist, die Bundesregierung über größere Einsparungen oder erhebliche Mehreinnahmen zu unterrichten, bedarf hier keiner Entscheidung. Überplanmäßige oder außerplanmäßige Ausgaben können nämlich auch anderweitig gedeckt werden, etwa mit Krediten gemäß § 18 BHO.
4. Die Bundesregierung trägt zwar - wie sich aus Art. 114 Abs. 1 GG ergibt - gegenüber dem Parlament die politische Verantwortung für den Vollzug des gesamten Haushalts; denn ihr wird die Entlastung erteilt (vgl. oben I 3b). Diese Regelung dient in erster linie der Kontrolle der tatsächlichen Ausgaben, nicht aber der Überprüfung der etwaigen Zustimmung durch den Bundesminister der Finanzen.
III.
Der Senatsmehrheit stimme ich darin zu, daß der Antrag gegen den Bundesminister der Finanzen begründet ist; denn in allen vier im Streit befangenen Notbewilligungsfällen hat ein unvorhergesehenes und unabweisbares Bedürfnis nicht vorgelegen (C II des Urteils).
IV.
Der Antrag gegen die Bundesregierung ist jedoch nicht begründet.
1. Bei einer Würdigung der verschiedenen Kompetenzen, die das Grundgesetz der Bundesregierung im Bereich des Haushaltsrechts zuweist, darf neben ihrem Sinn und Zweck auch die historische Entwicklung nicht außer acht gelassen werden; denn die entsprechenden Regelungen des Grundgesetzes sind weitgehend entsprechenden Vorschriften früherer Verfassungen oder doch der früheren praktischen Handhabung nachgebildet.
a) Das Haushaltsbewilligungsrecht des Gesetzgebers und das Initiativrecht der Regierung nach Art. 110 GG entsprechen Regelungen, die sich im Ringen zwischen den Volksvertretungen und den Regierungen im 19. Jahrhundert in Deutschland entwickelt haben (vgl. Maunz-Dürig-Herzog, Grundgesetz Art. 110 Anm 2). Insoweit übernimmt somit das Grundgesetz frühere, insbesondere auch in der Weimarer Reichsverfassung enthaltene Regelungen.
b) Das Nothaushaltsrecht der Bundesregierung gemäß Art. 111 GG war zwar in der Weimarer Reichsverfassung nicht geregelt, obwohl die preußische Verfassung von 1850 bereits eine entsprechende Bestimmung enthielt. In der Praxis wurde die vorläufige Haushaltsführung durch die Reichsregierung durch Notgesetze geregelt (vgl. näher Theiß, a.a.O. S. 47 f). In den meisten deutschen Ländern wurden die Befugnisse der Regierungen ohne Haushaltsgesetz von Verfassungs wegen genau festgelegt. Die Regelung im Art. 64 der preußischen Verfassung stimmt weitgehend - sogar nach dem Wortlaut - mit Art. 111 GG überein (vgl. Theiß, a.a.O. S. 52 ff); sie war offensichtlich auch Vorbild für diese Bestimmung des Grundgesetzes.
c) Die Bindung ausgabenwirksamer Gesetze an die Zustimmung der Bundesregierung in Art. 113 GG stellt in der deutschen Verfassungsgeschichte ein Novum dar, während eine derartige Beschränkung im angelsächsischen Rechtskreis allgemein üblich ist (vgl. Maunz-Dürig-Herzog, a.a.O. Art. 113 RdNr. 1). Diese Bestimmung dient - wie sich sowohl aus der Entstehungsgeschichte als auch aus dem Wortlaut ergibt - dazu, die Rechte der Legislative durch die Exekutive zu beschränken (vgl. Bühler in Bonner Kommentar, Art. 113 GG Erläuterung Nr. 2). Die Stellung des Bundesministers der Finanzen nach Art. 112 GG zur Bundesregierung wird dadurch nicht berührt.
d) Die Entlastung ist ein herkömmliches Recht des Parlaments (vgl. dazu Art. 86 Satz 1 Weimarer Reichsverfassung sowie Maunz-Dürig-Herzog, a.a.O. Art. 114 RdNr. 3). Sie wird nach Art. 114 GG der Bundesregierung erteilt; damit übernimmt diese auch die politische Verantwortung für Ausgaben, die der Bundesminister der Finanzen nach Art. 112 GG genehmigt hat. Daß aber Sinn und Zweck des Art. 114 GG nicht auf eine Einschränkung der Rechte des Bundesministers der Finanzen gerichtet sind, wurde bereits dargelegt (vgl. oben I 3b).
2. a) Der Zusammenhang der unter 1 dargelegten Bestimmungen des Grundgesetzes bestätigt zwar - wie im Urteil unter D I 1 dargelegt ist -, daß die Bundesregierung auch im Bereich des Haushaltswesens als bestimmendes Organ der Exekutive dem Bundestag gegenübersteht. Jedoch läßt sich daraus nicht der Schluß ziehen, daß die Zuständigkeit des Bundesministers der Finanzen in die Kompetenz der Bundesregierung "eingebunden" (D I 2 des Urteils), d.h. also durch sie eingeschränkt sei.
b) Der Bundesminister der Finanzen hat zwar die Richtlinienentscheidungen des Bundeskanzlers gemäß Art. 65 Satz 1 GG sowie Beschlüsse der Bundesregierung gemäß Art. 65 Satz 3 GG zu beachten. Seine Selbständigkeit bei Zustimmung nach Art. 112 GG wird dadurch - wie unter II 2 dargelegt ist - nicht beeinträchtigt.
c) Auch § 15 GeschOBReg kann nicht als Stütze für eine Beschränkung der verfassungsmäßigen Rechte des Bundesministers der Finanzen aus Art. 112 GG herangezogen werden. Diese Regelung, die im Rang unter einfachen Bundesgesetzen steht, bestimmt, daß der Bundesregierung zur Beratung und Beschlußfassung "alle Angelegenheiten von allgemeiner ... finanzieller Bedeutung" zu unterbreiten sind. Daraus mag eine politische Pflicht des Bundesministers der Finanzen hergeleitet werden, Haushaltseinsparungen und erhöhte Steuereinnahmen der Bundesregierung mitzuteilen und die entsprechenden Beträge ihrer Disposition zu unterstellen. Zu der Frage, ob der Bundesminister der Finanzen bei entsprechenden Anträgen eines Bundesministers gemäß Art. 112 Satz 1 GG seine Zustimmung erteilen darf, besagt die in § 15 GeschOBReg enthaltene Regelung jedoch nichts.
3. a) Die vorstehenden Ausführungen zeigen, daß der Bundesminister der Finanzen - wie es auch allein der historischen Entwicklung, Wortlaut, Sinn und Zweck der Vorschrift entspricht - bei Ausübung seines verfassungsmäßigen Rechts aus Art. 112 GG nicht durch verfassungsmäßige Kompetenzen der Bundesregierung beschränkt ist. Daraus folgt aber auch zwangsläufig, daß die Bundesregierung, wenn sie von Verfassungs wegen nicht in diese Kompetenz des Bundesministers der Finanzen eingreifen darf, für Zustimmungen des Bundesministers der Finanzen nicht von Verfassungs wegen verantwortlich gemacht werden kann.
Die Bundesregierung mag im Rahmen ihrer Befugnisse nach Art. 65 GG die einzelnen Bundesminister veranlassen, keine Anträge nach Art. 112 GG an den Bundesminister der Finanzen zu stellen. Wenn derartige Anträge auf Zustimmung zu überplanmäßigen und außerplanmäßigen Ausgaben jedoch gestellt sind, kann sie von Verfassungs wegen dem Bundesminister der Finanzen die Zustimmung zu derartigen Ausgaben nach Art. 112 GG nicht untersagen.
b) Während der Geltung der Weimarer Reichsverfassung war die dem Art. 112 GG entsprechende Ermächtigung des Finanzministers nur in einem einfachen Gesetz (§ 33 Abs. 1 RHO) geregelt und der nachträglichen Genehmigung von Reichstag und Reichsrat unterworfen (§ 83 Abs. 1 RHO); eine vorherige Befassung der Reichsregierung mit den Fällen durch den Finanzminister war nicht vorgesehen und wurde von der Reichsregierung auch nicht verlangt. Obwohl bereits damals dem Gesetzgeber und der Reichsregierung die wesentlichen Befugnisse im Bereich des Haushaltsrechts zustanden (vgl. oben IV 1), wurde damals - soweit ersichtlich - weder im Parlament noch in der Fachliteratur die Auffassung vertreten, daß der Finanzminister vor der Zustimmung nach § 33 Abs. 1 RHO die Regierung mit der Sache befassen müsse.
Nun ist die Genehmigungsbefugnis des Bundesministers der Finanzen in die Verfassung aufgenommen und damit verstärkt worden. Es ist nicht ersichtlich, weshalb nun der Bundesminister der Finanzen ohne eine entsprechende Regelung im Grundgesetz vor seiner Zustimmung nach Art. 112 GG die Bundesregierung soll befassen müssen.
Der hier vertretenen Auffassung entspricht auch die Praxis seit 1949, die in diesem Punkt bisher - soweit ersichtlich - weder vom Gesetzgeber noch von der Bundesregierung oder in der Fachliteratur beanstandet worden ist.
c) Nach dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt hat der Bundesminister der Finanzen die Bundesregierung nicht davon unterrichtet, daß er den vier beanstandeten Ausgaben gemäß Art. 112 GG zustimmen wolle. Bei dieser Sachlage konnte die Bundesregierung keine Überlegungen anstellen, ob die Einbringung eines Nachtragshaushalts oder Ergänzungshaushalts geboten war.
d) Bei der selbständigen Kompetenz des Bundesministers der Finanzen nach Art. 112 GG kann die Bundesregierung nicht von Verfassungs wegen verpflichtet werden, durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, daß der Bundesminister der Finanzen vor Zustimmung nach Art. 112 GG eine Entscheidung der Bundesregierung einholt. Wenn er dazu nach der Verfassungsordnung des Grundgesetzes nicht verpflichtet ist, darf die Bundesregierung derartige organisatorische Maßnahmen nicht treffen. Dann kann es erst recht nicht einen Verfassungsverstoß darstellen, wenn sie entsprechende organisatorische Maßnahmen unterläßt.
Ob die Bundesregierung die Rechte des Haushaltsgesetzgebers verletzen würde, wenn sie in Kenntnis der beabsichtigten Zustimmung des Bundesministers der Finanzen von einer eigenen Entscheidung über die Mittelverwendung absehen würde, bedarf hier keiner Entscheidung.
e) Bei dem hier zugrundezulegenden Sachverhalt war die Bundesregierung weder über die vier strittigen Ausgaben noch über die Zustimmung des Bundesministers der Finanzen nach Art. 112 GG dazu unterrichtet. Daher kann eine Verletzung von Rechten des Deutschen Bundestages aus Art. 110 GG durch die Bundesregierung nicht festgestellt werden.
V.
Bei der von der Mehrheit des Senats vertretenen Einbindung der Zuständigkeit des Bundesministers der Finanzen nach Art. 112 GG in die haushaltsrechtliche Kompetenz der Bundesregierung (D I des Urteils) hätte die Verfassungsverletzung nach Art. 110 GG durch den Bundesminister der Finanzen nicht allein auf die Prüfung der einzelnen Maßnahmen nach dem unvorhergesehenen und unabweisbaren Bedürfnis gestützt werden dürfen.
Wenn man eine verfassungsrechtliche Pflicht des Bundesministers der Finanzen annimmt, vor Zustimmung nach Art. 112 GG die Bundesregierung zu unterrichten, damit diese ihre verfassungsrechtliche Entscheidungspflicht gegenüber dem Haushaltsgesetzgeber nach Art. 110 GG wahrnehmen kann, dann verletzt der Bundesminister der Finanzen mit einem Verstoß nicht nur seine Pflicht gegenüber der Bundesregierung. Vielmehr muß dann darin auch ein unmittelbarer Verstoß gegen die Rechte des Gesetzgebers aus Art. 110 GG gesehen werden. Dies würde für jede Zustimmung gelten, die - in dem von der Senatsmehrheit aufgestellten Rahmen - nicht ohne Befassung der Bundesregierung mit der Sache erteilt werden darf. Nach den Feststellungen der Senatsmehrheit war dies bei allen vier streitbefangenen Ausgaben der Fall (D II 1 des Urteils). Somit hätte auch der Verfassungsverstoß des Bundesministers der Finanzen in erster Linie auf diesen generellen Gesichtspunkt gestützt werden müssen.
Niebler