BVerfGE 66, 214 - Zwangsläufige Unterhaltsaufwendungen
Im Einkommensteuerrecht darf der Gesetzgeber für die Berücksichtigung zwangsläufiger Unterhaltsaufwendungen keine realitätsfremden Grenzen ziehen.
 
Beschluß
des Ersten Senats vom 22. Februar 1984
-- 1 BvL 10/80 --
in dem Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung des § 33 a Abs. 1 Satz 1 und 3 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 1961 vom 13. Juli 1961 (BGBl. I S. 981) - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Finanzgerichts Düsseldorf vom 10. Februar 1976 (V 108/74 L) -.
Entscheidungsformel:
§ 33 a Absatz 1 Satz 1 und 3 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung vom 15. August 1961 (Bundesgesetzbl. I S. 1253) ist mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig, soweit im Jahr 1973 der Abzug zwangsläufiger Unterhaltsaufwendungen durch den Höchstbetrag (Satz 1) und die Anrechnungsgrenze (Satz 3) von je 1 200 DM beschränkt war.
 
Gründe:
 
A.
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Beschränkung des Abzugs von zwangsläufigen Unterhaltsaufwendungen für bestimmte Personen in der durch das Einkommensteuergesetz 1961 festgesetzten Höhe noch im Jahre 1973 mit dem Grundgesetz vereinbar war.
I.
1. Im Einkommensteuergesetz in der Fassung vom 15. August 1961 -- EStG 1961 -- (BGBl. I S. 1253) sind die Voraussetzungen für den Abzug zwangsläufiger Unterhaltsaufwendungen geregelt:
    § 33a Außergewöhnliche Belastung in besonderen Fällen
    (1) Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig (§ 33 Abs. 2) Aufwendungen für den Unterhalt und eine etwaige Berufsausbildung von Personen, für die der Steuerpflichtige keinen Kinderfreibetrag erhält, so wird auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, daß die Aufwendungen, höchstens jedoch ein Betrag von 1200 Deutsche Mark im Kalenderjahr für jede unterhaltene Person, vom Einkommen abgezogen werden. Voraussetzung ist, daß die unterhaltene Person kein oder nur ein geringes Vermögen besitzt. Hat die unterhaltene Person andere Einkünfte oder Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts bestimmt oder geeignet sind, so vermindert sich der Betrag von 1200 Deutsche Mark um den Betrag, um den diese Einkünfte und Bezüge den Betrag von 1200 Deutsche Mark übersteigen. ...
    (2) ... bis (3) ...
    (4) Für jeden vollen Kalendermonat, in dem die in den Absätzen 1 bis 3 bezeichneten Voraussetzungen nicht vorgelegen haben, ermäßigen sich die in den Absätzen 1 bis 3 bezeichneten Beträge von 1200 Deutsche Mark um je ein Zwölftel.
    (5) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 und der Absätze 2 und 3 kann wegen der in diesen Vorschriften bezeichneten Aufwendungen der Steuerpflichtige eine Steuerermäßigung nach § 33 nicht in Anspruch nehmen.
    (6) ...
2. Seit es eine allgemeine Einkommensteuer gibt, wurde dem Umstand Rechnung getragen, daß die Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen durch besondere zwangsläufige Aufwendungen im privaten Bereich gemindert sein kann, die im Grundfreibetrag nicht berücksichtigt sind (vgl. zur geschichtlichen Entwicklung: Bericht der Einkommensteuerkommission, Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen, Heft 7, 1964, S. 247; Herrmann/ Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Stand Dezember 1983, EStG § 33 Anm. 1 [Stand Mai 1973]). Ursprünglich wurden alle außergewöhnlichen Belastungen in einer Generalklausel erfaßt. Diese erlaubt in ihrer heutigen Form den Abzug zwangsläufiger Aufwendungen, die höher sind als bei der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleichen Einkommens, gleichen Vermögens und gleichen Familienstandes, soweit die Aufwendungen die näher bestimmte zumutbare Eigenbelastung übersteigen (§ 33 EStG).
Durch das Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 (BGBl. I S. 373) wurden einige häufig wiederkehrende Sonderfälle der außergewöhnlichen Belastung -- darunter Unterhaltsleistungen an Personen, für die der Steuerpflichtige keine Kinderermäßigung erhält -- in § 33 a EStG tatbestandlich verselbständigt und genauer gefaßt. Zugleich wurden typisierende Höchstbeträge eingeführt. Der Höchstbetrag für Unterhaltsleistungen nach § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG betrug 720 DM. § 33 a Abs. 1 Satz 3 EStG sah außerdem eine Anrechnungsgrenze von 480 DM vor, von der an eigene Einkünfte und Bezüge der unterhaltenen Person den Höchstbetrag der abziehbaren Unterhaltsleistungen minderten. Diese Neuregelung sollte dazu dienen, die bis dahin bestehende Rechtsunsicherheit zu beseitigen und durch eine konkretere Regelung sowohl im Interesse der Verwaltung als auch der Steuerpflichtigen eine Vereinfachung zu erzielen (Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung von Steuern vom 29. April 1954, BTDrucks. II/481, S. 90). Dabei orientierte sich der Höchstbetrag für abziehbare Unterhaltsleistungen an dem im Tarif berücksichtigten Betrag von 720 DM für das erste Kind; es wurde als nicht vertretbar angesehen, für Unterhaltsleistungen an ferner stehende Personen eine höhere Steuerermäßigung zu gewähren als für die -- im Tarif pauschal berücksichtigten -- Aufwendungen für die engsten Familienangehörigen (vgl. BTDrucks. II/481, S. 92).
Der Gesetzgeber hat von 1955 bis 1962 den Höchstbetrag (§ 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG) und/oder die Höchstgrenze (Satz 3) dreimal erhöht: Ab Veranlagungszeitraum 1957 auf 900/480 DM (Gesetz zur Änderung steuerrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 -- BGBl. I S. 848 -), ab Veranlagungszeitraum 1961 auf 900/900 DM (Steueränderungsgesetz 1960 vom 30. Juli 1960 -- BGBl. I S. 616 -), ab Veranlagungszeitraum 1962 auf 1 200/ 1 200 DM (Steueränderungsgesetz 1961 vom 13. Juli 1961 -- BGBl. I S. 981 -). Von 1962 an sind diese Werte 13 Jahre lang auf dem letzten Stand gehalten worden. Ab dem Veranlagungszeitraum 1975 (Einkommensteuerreformgesetz vom 5. August 1974 -- BGBl. I S. 1769 -) wurde der Höchstbetrag von 1 200 DM auf 3 000 DM erhöht (Steigerung von 150 v. H.) und die Höchstgrenze von 1 200 DM auf 3 600 DM (Steigerung von 200 v. H.). Seit dem Veranlagungszeitraum 1979 (Steueränderungsgesetz 1979 vom 30. November 1978 -- BGBl. I S. 1849 -) beträgt der Höchstbetrag 3 600 DM, die Höchstgrenze 4 200 DM.
II.
1. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens war im Streitjahr ledig und kinderlos; als Packerin erzielte sie einen Brutto- Arbeitslohn von 20 356 DM im Jahr. Sie führte einen gemeinsamen Haushalt mit ihrer damals 62 Jahre alten Mutter. Diese bezog eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (zunächst in Höhe von 106,10 DM, ab 1. Juli 1973 in Höhe von 118,20 DM monatlich); sie beantragte am 16. Juli 1973 die Gewährung von Sozialhilfe. Bei der Prüfung des Antrags ermittelte das Sozialamt den zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch der Mutter gegen die Klägerin mit 97,72 DM monatlich und leitete ihn nach §§ 90, 91 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) auf den örtlichen Träger der Sozialhilfe über. Unter Berücksichtigung dieses Unterhaltsanspruchs und der von der Klägerin hälftig zu tragenden Miete errechnete es die der Mutter zustehende Sozialhilfe in Höhe von monatlich 111,91 DM. Danach wurde der sozialhilferechtlich gewährleistete Regelbedarf der Mutter der Klägerin mit monatlich 365,75 DM gedeckt.
Im Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich 1973 machte die Klägerin die für die Mutter erbrachten Aufwendungen in Höhe von 1 200 DM als außergewöhnliche Belastung nach § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG geltend. Das Finanzamt rechnete nach § 33 a Abs. 1 Satz 3 EStG die eigenen Einkünfte und Bezüge der Mutter (Rente und Sozialhilfe) auf den Höchstbetrag an und lehnte den Antrag der Klägerin ab. Im Einspruchsverfahren erkannte es für die ersten sechs Monate des Jahres 1973 einen Betrag von 600 DM an; im übrigen wies es den Einspruch zurück.
2. Auf die gegen die Entscheidung des Finanzamts erhobene Klage hat das Finanzgericht das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob § 33 a Abs. 1 Satz 3 EStG 1961 im Streitjahr 1973 noch mit dem Grundgesetz vereinbar war.
Nach seiner Auffassung ist § 33 a Abs. 1 Satz 3 EStG 1961 insoweit verfassungswidrig, als die dort genannte Höchstgrenze von 1 200 DM auch noch für das Kalenderjahr 1973 aufrechterhalten worden ist. Das Festhalten an diesem bereits 1962 maßgeblichen Betrag bis ins Kalenderjahr 1973 (und noch darüber hinaus) verstoße gegen den Grundsatz der Sozialstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 1 GG). Das Sozialstaatsprinzip verpflichte den Gesetzgeber zu einer sozialen Steuerpolitik; dabei sei insbesondere auf die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der schwächeren Schichten der Bevölkerung Rücksicht zu nehmen. Das bedeute, daß die Steuergesetze auf jeden Fall einen Mindest-Lebensstandard, das Existenzminimum, anerkennen und schützen müßten. Diesem Ziel diene auf außersteuerlichem Gebiet vor allem das Bundessozialhilfegesetz. Auf dem Gebiet des Einkommensteuerrechts lasse besonders der Grundfreibetrag der Einkommensteuertabelle den Willen des Gesetzgebers erkennen, das Existenzminimum von jeder steuerlichen Belastung freizuhalten. Der Schutz des Existenzminimums stehe auch erkennbar als Gesetzeszweck hinter der Vorschrift des § 33 a Abs. 1 EStG. Seit Einführung dieser Sonderregelung sei sich der Gesetzgeber bis heute bewußt, die Höchstgrenze der anderen Einkünfte und Bezüge (Satz 3) -- ebenso wie den Höchstbetrag nach Satz 1 -- in bestimmten Abständen dem ständigen Anstieg der Lebenshaltungskosten anpassen zu müssen. Das zeige die starke Anhebung im Jahre 1975.
Die Lebenshaltungskosten -- und damit das Existenzminimum -- seien aber nicht erst kurze Zeit vor dieser Anpassung so erheblich gestiegen; die Lebenshaltung sei vielmehr zwischen 1962 und 1975 nach und nach teurer geworden. Dennoch habe der Gesetzgeber sich während dieser langen Zeitspanne nicht veranlaßt gesehen, der Entwicklung -- wie in den Jahren zuvor -- in kürzeren Zeitabständen Rechnung zu tragen. Durch dieses gesetzgeberische Unterlassen sei die Regelung des § 33 a Abs. 1 EStG 1961 einer fortschreitenden Auszehrung ihres sozialstaatlichen Inhalts preisgegeben worden. Habe man 1962 einen Betrag von 1 200 DM noch als Existenzminimum betrachten können, so habe derselbe Betrag elf Jahre später -- im Streitjahr 1973 -- mit Sicherheit nicht mehr ausgereicht, um davon die notwendigsten Lebensbedürfnisse zu bestreiten. Der für die Sozialhilfe maßgebliche Regelsatz für laufende Leistungen zum Lebensunterhalt sei seit 1962 in allen Bundesländern mehrfach erhöht worden und habe im Lande Nordrhein-Westfalen zu Beginn des Jahres 1973 bereits wenigstens 207 DM im Monat betragen, also mindestens 2 484 DM im Jahr. Außerdem berücksichtige die für das Jahr 1973 noch maßgebliche Einkommensteuertabelle 1965 schon als Existenzminimum einen Grundfreibetrag von jährlich 1 709 DM.
Allein dieser Vergleich mit dem Regelsatz der Sozialhilfe (2 484 DM) und dem Grundfreibetrag der Einkommensteuertabelle (1 709 DM) zeige, daß ein Betrag von nur 1 200 DM 1973 absolut ungeeignet gewesen sei, das Existenzminimum abzudecken.
III.
Zu dem Vorlagebeschluß haben sich der Bundesminister der Finanzen namens der Bundesregierung und der Bundesfinanzhof geäußert.
1. Nach Auffassung des Bundesministers ist die zur Prüfung vorgelegte Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar. Aus der Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip lasse sich zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen sei. Art. 6 GG gewähre keinen Anspruch auf eine steuerliche Erleichterung in einer bestimmten Mindesthöhe. Die in § 33 a Abs. 1 EStG vorgesehenen Höchstbeträge seien seit dem Steuerneuordnungsgesetz 1954 so bemessen gewesen, daß sie dem Kinderfreibetrag für das erste Kind entsprochen hätten. Die Bemessung dieses Kinderfreibetrages habe die Verfassungsrechtsprechung nicht beanstandet, obgleich er stets unter den Sozialhilfesätzen gelegen habe. Das gleiche gelte für die Höhe des Kindergeldes nach dem Einkommensteuerreformgesetz. Wenn hiernach im Streitjahr der Umfang der steuerlichen Entlastung durch die Kinderfreibeträge nicht verfassungswidrig gewesen sei, so sei die Bemessung eines ebenso hohen steuerlichen Abzugs für Unterhaltsleistungen, die Kinder gegenüber ihren Eltern erbringen, ebenfalls verfassungsgerecht.
Die Vorschrift des § 33 a EStG habe auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen. Das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sei nicht verletzt worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei der Gesetzgeber zur reinen Verwirklichung dieses Prinzips nicht verpflichtet. Bei der Regelung, wie die Minderung der steuerlichen Leistungsfähigkeit zu ermitteln und zu beurteilen und wie ihr Rechnung zu tragen sei, ließen das Gleichheitsgebot des Grundgesetzes und das ihm zu entnehmende Gebot der Steuergerechtigkeit dem Gesetzgeber Gestaltungsfreiheit. Hiernach sei der Gesetzgeber berechtigt gewesen, die Bemessung des gemäß § 33 a Abs. 1 EStG abzugsfähigen Betrages nach anderen Steuerermäßigungen, insbesondere den Kinderfreibeträgen, zu orientieren. Der Gesetzgeber habe den Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungsraums nicht überschritten. Es lasse sich nicht feststellen, daß die bis zum Streitjahr 1973 unterlassene Anpassung des anrechnungsfreien Betrages an die gestiegenen Lebenshaltungskosten zu einem verfassungswidrigen Rechtszustand geführt habe. Die Anhebung des Höchstbetrages nach § 33 a Abs. 1 EStG hätte auch zu einer Erhöhung des Kinderfreibetrages für das erste Kind führen müssen. Weitere Auswirkungen auf die Bemessung der übrigen Kinderfreibeträge, auf den Grundfreibetrag in Höhe von damals 1 680 DM und auf den Sonderfreibetrag nach § 32 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. b EStG wären unausweichlich gewesen. Diese Maßnahmen seien Teil der Einkommensteuerreform gewesen. Das Einkommensteuerreformgesetz, das zu einer der Geldwertentwicklung angepaßten wesentlichen Aufstockung der steuerlichen Entlastung im Familienlastenausgleich geführt habe, sei zwar erst 1975 wirksam geworden, seine Vorbereitung habe jedoch bis in das Jahr 1968 zurückgereicht.
2. Der VI. Senat des Bundesfinanzhofs hat mitgeteilt, daß er die Vorschrift für die Jahre vor 1973 als verfassungsmäßig angesehen habe. Mit Rücksicht auf die ständige Rechtsprechung bis einschließlich Veranlagungszeitraum 1970 sei zu erwarten, daß der Senat diese Vorschrift auch für das Streitjahr 1973 nicht anders beurteilen würde.
 
B.
Die Vorlage ist zulässig.
Die Vorlagefrage bedarf jedoch der Präzisierung; sie ist zu eng gefaßt. Das vorlegende Gericht stellt ausdrücklich nur Satz 3 des § 33 a Abs. 1 EStG 1961 zur Prüfung, also die Anrechnungsgrenze, von der an eigene Einkünfte und Bezüge des Unterhaltsempfängers den abziehbaren Höchstbetrag (Satz 1) mindern. Diese Anrechnungsgrenze entscheidet aber nicht allein über die Abzugsfähigkeit der Unterhaltsleistungen. Maßgeblich ist insoweit auch der Höchstbetrag nach Satz 1 des § 33 a Abs. 1 EStG 1961. Die Anrechnung nach Satz 3 wirkt sich auch dann nicht oder nur teilweise aus, wenn die Grenze des Satzes 1 entsprechend höher ist. Somit greifen die Sätze 1 und 3 des § 33 a Abs. 1 EStG untrennbar ineinander. Erst beide zusammen bestimmen die Abzugsfähigkeit von Unterhaltsleistungen. Da sich die vom vorlegenden Gericht als verfassungswidrig angesehenen Folgen aus dem inneren Zusammenhang beider Sätze ergeben, muß auch § 33 a Abs. 1 Satz 1 EStG 1961 in die Prüfung einbezogen werden (vgl. BVerfGE 12, 151 [163]; 45, 187 [221] m.w.N.; ferner BVerfGE 44, 322 [337 f.]; 63, 312 [323]).
 
C.
§ 33 a Abs. 1 Satz 1 und 3 EStG 1961 ist mit dem aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unvereinbar, soweit der Abzug von Unterhaltsaufwendungen für das Streitjahr 1973 durch den Höchstbetrag (Satz 1) und die Anrechnungsgrenze (Satz 3) von jeweils 1 200 DM beschränkt wird.
I.
1. Das vorlegende Finanzgericht hat die Vorschrift des § 33 a Abs. 1 EStG 1961 allein unter dem Gesichtspunkt des Sozialstaatsprinzips beanstandet. Diese Beschränkung ist jedoch für das Verfahren der Normenkontrolle unbeachtlich. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr die zur Prüfung gestellte Rechtsnorm unter jedem Gesichtspunkt auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu beurteilen (BVerfGE 4, 219 [243]; vgl. auch BVerfGE 4, 331 [344]; 7, 244 [253]; 26, 44 [58]; 49, 260 [270 f.]).
2. Die zur Prüfung stehenden Vorschriften führen zu einer Verschiedenbehandlung von Steuerpflichtigen, deren disponibles Einkommen durch zwangsläufige Unterhaltsaufwendungen gemindert ist und von Steuerpflichtigen, die keine derartigen Belastungen tragen. Ob und in welchem Umfang der Gesetzgeber verfassungsrechtlich verpflichtet ist, diese Ungleichheit zu mildern oder zu beseitigen, ist am Maßstab des aus Art. 3 Abs. 1 GG zu entnehmenden Gebots der Steuergerechtigkeit zu prüfen, an das der Gesetzgeber gebunden ist (BVerfGE 13, 331 [338]; 26, 302 [310]; 43, 108 [118 f.]; 61, 319 [343]).
Es ist ein grundsätzliches Gebot der Steuergerechtigkeit, daß die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichtet wird. Dies gilt insbesondere für die Einkommensteuer (BVerfGE 43, 108 [120] m.w.N.; 61, 319 [343 f.]). Im Gesetzgebungsverfahren ist es als "das Prinzip der Steuergerechtigkeit" bezeichnet worden, "jeden Bürger nach Maßgabe seiner finanziellen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit mit Steuern zu belasten" (BTDrucks. 7/1470, S. 211 f.). Dieses Prinzip war schon in Art. 134 der Weimarer Reichsverfassung normiert; bereits damals wurde es als "oberster Besteuerungsgrundsatz" (Bühler, Die Reichsverfassung vom 11. August 1919, 3. Aufl., 1929, Anm. zu Art. 134) gewertet, welcher nach ganz überwiegender Auffassung für den Gesetzgeber bindend war (Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., 1933, Art. 134 Anm. 4 m.w.N.).
Aus der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ergibt sich, daß auch solche Ausgaben einkommensteuerrechtlich von Bedeutung sind, die außerhalb der Sphäre der Einkommenserzielung -- also im privaten Bereich -- anfallen und für den Steuerpflichtigen unvermeidbar sind (BVerfGE 61, 319 [344]). Die wirtschaftliche Belastung durch Unterhaltsverpflichtungen ist ein besonderer, die Leistungsfähigkeit beeinträchtigender Umstand. Diese unabweisbare Sonderbelastung darf der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen die Steuergerechtigkeit nicht außer acht lassen (vgl. BVerfGE a.a.O.). Daraus folgt, daß er für die steuerliche Berücksichtigung zwingender Unterhaltsverpflichtungen nicht realitätsfremde Grenzen ziehen darf.
Ferner darf der Gesetzgeber das einmal gewählte Ordnungsprinzip nicht ohne weiteres unbeachtet lassen. Zwar führt Systemwidrigkeit für sich allein noch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Eine Verletzung der vom Gesetz selbst statuierten Sachgesetzlichkeit kann aber einen solchen Verstoß indizieren (vgl. BVerfGE 59, 36 [49] m.w.N.).
II.
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt § 33 a Abs. 1 Satz 1 und 3 EStG 1961 für das Streitjahr 1973 nicht.
1. Zur Beantwortung der Frage, ob der Steuergesetzgeber unabweisbare Unterhaltsaufwendungen realitätsfremd außer acht gelassen und damit gegen das Gebot der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit verstoßen hat, kann das Sozialhilferecht wesentliche Anhaltspunkte liefern.
Das sozialhilferechtlich gewährleistete Existenzminimum, das jeweils verbrauchsbezogen ermittelt wird (vgl. Schulte/Trenk- Hinterberger, Sozialhilfe, 1982, S. 139 ff. m.w.N.), soll eine menschenwürdige Lebensführung ermöglichen (§ 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG). Es wird regelmäßig den steigenden Lebenshaltungskosten angepaßt. Die Regelsätze der Sozialhilfe hatten sich in der Zeit zwischen 1962 und 1973 nahezu verdoppelt. Dagegen blieb die Regelung des § 33 a Abs. 1 Satz 1 und 3 EStG 1961, die im Jahre 1962 mit den Beträgen von 1 200 DM knapp den Regelsätzen der Sozialhilfe entsprochen hatte, 13 Jahre lang unverändert; sie vermochte daher jedenfalls in den Jahren 1973 und 1974 der durch zwangsläufige Unterhaltsverpflichtungen geminderten Leistungsfähigkeit nicht mehr nach den tatsächlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen.
2. § 33 a Abs. 1 Satz 1 und 3 EStG 1961 läßt im Streitjahr 1973 die Minderung der Leistungsfähigkeit durch zwangsläufige Unterhaltslasten aber auch dann realitätsfremd außer acht, wenn man die vom Steuergesetzgeber in der Vergangenheit und in der Folgezeit selbst gesetzten Maßstäbe zugrunde legt.
a) Der Gesetzgeber selbst erachtet es für notwendig, nach § 33 a Abs. 1 Satz 1 und 3 EStG zwangsläufige Unterhaltsleistungen jedenfalls in einem Umfang einkommensmindernd zu berücksichtigen, der sich etwa im Bereich der Regelsätze der Sozialhilfe bewegt; denn diese stimmten mit den durch § 33 a Abs. 1 EStG gezogenen Grenzen im Jahre 1962 und wieder ab 1975 ungefähr überein. Ende 1973 waren dagegen der steuerliche Höchstbetrag und die Höchstgrenze des § 33 a Abs. 1 Satz 1 und 3 EStG noch immer unverändert, während sich der Sozialhilfe-Regelsatz nahezu verdoppelt hatte.
Dafür, daß in der Zeit von 1962 bis 1974, also 13 Jahre lang, die Beträge des § 33 a Abs. 1 Satz 1 und 3 EStG 1961 unverändert geblieben und nicht der Entwicklung der Lebenshaltungskosten angepaßt worden sind, ist ein sachlicher Grund nicht ersichtlich. Einen solchen Grund liefern auch nicht die besonderen politischen Begleitumstände der Einkommensteuerreform 1974.
b) Daß § 33 a Abs. 1 Satz 1 und 3 EStG 1961 die Minderung der Leistungsfähigkeit unzureichend berücksichtigt, ergibt sich auch aus einem Vergleich mit dem für das Streitjahr maßgebenden Grundfreibetrag von 1 680 DM, der das Existenzminimum steuerfrei lassen soll (vgl. BTDrucks. II/481, S. 66). Dieser überstieg die in der zur Prüfung gestellten Norm enthaltenen Beträge von je 1 200 DM um 480 DM. Somit berücksichtigt § 33 a Abs. 1 Satz 1 und 3 EStG 1961 zwangsläufige Unterhaltsaufwendungen nur in einem Umfang, der schon nach den vom Steuergesetzgeber aufgestellten Maßstäben unterhalb des von ihm selbst angenommenen Existenzminimums liegt. Das ist auch nicht damit zu rechtfertigen, daß die Höchstbeträge des § 33 a Abs. 1 EStG 1961 sich ursprünglich an dem Kinderfreibetrag für das erste Kind orientierten, der ebenfalls 1 200 DM betrug (§ 32 Abs. 2 Nr. 4 EStG 1961). Diese Anknüpfung ließ außer acht, daß Erwachsene einen höheren Unterhaltsbedarf haben als Kinder. Außerdem war die einkommensmindernde Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen für Kinder in Form der Kinderfreibeträge im Streitjahr 1973 noch dadurch erleichtert, daß diese trotz eigener Einkünfte und Bezüge des Kindes bis zu 7 200 DM im Jahr gewährt wurden (§ 32 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 EStG 1965). Demgegenüber ist für die Schlechterbehandlung von sonstigen Unterhaltsaufwendungen durch die Anrechnungsgrenze von nur 1 200 DM in § 33 a Abs. 1 Satz 3 EStG 1961 eine Rechtfertigung nicht ersichtlich. Im übrigen hat der Gesetzgeber ab 1975 den Zusammenhang zwischen den Kinderfreibeträgen und den in § 33 a Abs. 1 EStG genannten Beträgen ohnehin aufgegeben; denn er hat erstere durch das einheitliche Kindergeld ersetzt, letztere dagegen deutlich erhöht.
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