BVerfGE 68, 1 - Atomwaffenstationierung |
1. a) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist im Lichte des Art. 20 Abs. 2 GG auszulegen. Eine Erweiterung der dem Bundestag durch Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eingeräumten Mitwirkungsbefugnisse bei der staatlichen Willensbildung im Bereich der auswärtigen Beziehungen über den Kreis der dort genannten völkerrechtlichen Akte hinaus stellte einen Einbruch in zentrale Gestaltungsbereiche der Exekutive dar und liefe dem vom Grundgesetz normierten Gefüge der Verteilung von Macht, Verantwortung und Kontrolle zuwider. |
b) Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG kann nicht entnommen werden, daß immer dann, wenn ein Handeln der Bundesregierung im völkerrechtlichen Verkehr die politischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland regelt oder Gegenstände der Bundesgesetzgebung betrifft, die Form eines der gesetzgeberischen Zustimmung oder Mitwirkung bedürftigen völkerrechtlichen Vertrages gewählt werden müßte. |
2. a) Art. 24 Abs. 1 GG setzt nicht voraus, daß die Übertragung deutscher Hoheitsrechte auf eine zwischenstaatliche Einrichtung unwiderruflich ist. |
b) Art. 24 Abs. 1 GG läßt sich nicht entnehmen, daß eine Übertragung von Hoheitsrechten immer nur dann vorliegt, wenn einer zwischenstaatlichen Einrichtung die Befugnis zu einem unmittelbaren Durchgriff auf Einzelne eingeräumt wird. |
c) Art. 24 Abs. 1 GG hindert nicht, im Rahmen eines Verteidigungsbündnisses Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zur Stationierung verbündeter Streitkräfte zur Verfügung zu stellen und dem Verteidigungszweck des Bündnisses dienliche Entscheidungsstrukturen für den Einsatz dieser Streitkräfte zuzulassen, um den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor Angriffen zu gewährleisten und damit der Integrität ihrer Verfassungsordnung wie ihrer Souveränität zu dienen. |
3. Einschätzungen und Wertungen außenpolitischer und verteidigungspolitischer Art obliegen der Bundesregierung. Das Grundgesetz zieht der Beurteilungsmacht, die der Bundesregierung insoweit zusteht, nur die Grenze offensichtlicher Willkür. Innerhalb dieser äußersten Grenze hat das Bundesverfassungsgericht nicht nachzuprüfen, ob die Einschätzungen oder Wertungen der Bundesregierung zutreffend oder unzutreffend sind, da es insoweit rechtlicher Maßstäbe ermangelt; sie sind politisch zu verantworten. |
4. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 24 Abs. 1 GG enthalten für die von ihnen erfaßten Sachbereiche eine abschließende Regelung, neben der sich Gesetzgebungsbefugnisse des Bundestages nicht selbständig aus dem Demokratieprinzip oder aus der Bedeutung und Tragweite einer Entscheidung für das Staatsganze ergeben. Unter der demokratisch-parlamentarischen Herrschaftsordnung des Grundgesetzes ist auch die Regierung institutionell, funktionell und personell demokratisch legitimiert und nicht von vornherein auf Vornahme politisch weniger bedeutsamer Akte beschränkt. |
Urteil |
des Zweiten Senats vom 18. Dezember 1984 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 17. Juli 1984 |
-- 2 BvE 13/83 -- |
in dem Organstreitverfahren über den Antrag festzustellen, die Bundesregierung habe die Rechte des Bundestages aus Art. 79 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 24 Absatz 1,25 sowie aus Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes dadurch verletzt, daß sie es unterlassen habe, für die Zustimmung zur Ausrüstung der in der Bundesrepublik stationierten Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika mit nuklear ausgerüsteten Raketen vom Typ Pershing-2 und Cruise Missiles die verfassungsrechtlich erforderliche Ermächtigung durch ein Gesetz des Bundestages einzuholen, Antragstellerin: Fraktion DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag, ... , Antragsgegner: Bundesregierung, ... . |
Entscheidungsformel: |
Der Antrag wird zurückgewiesen. |
Gründe: |
A. -- I. |
Gegenstand des Verfahrens ist die Streitfrage, ob die Bundesregierung dadurch, daß sie der Aufstellung von nuklear bestückten amerikanischen Mittelstreckenraketen der Bauart Pershing-2 und Marschflugkörpern in der Bundesrepublik Deutschland ohne spezielle gesetzliche Ermächtigung zugestimmt hat, Rechte des Bundestages unmittelbar gefährdet oder verletzt hat. Der dem Verfahren zugrundeliegende Sachverhalt ist unter A. I. in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 1983 im Verfahren 2 BvR 1160/83 u. a. (BVerfGE 66, 39 ff.) dargestellt.
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II. |
1. Antragstellerin ist die Bundestagsfraktion der Partei DIE GRÜNEN.
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a) Mit ihrem das Verfahren einleitenden Schriftsatz, der beim Bundesverfassungsgericht am 16. November 1983 eingegangen ist, hat sie beantragt festzustellen:
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"Die Bundesregierung hat die Rechte des Bundestages aus Art. 79 Abs. 1 Satz 1 und Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes dadurch verletzt, daß sie es unterlassen hat, für die Zustimmung zur Ausrüstung der in der Bundesrepublik stationierten Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika mit nuklear ausgerüsteten Raketen vom Typ Pershing-2 und Cruise Missiles die verfassungsrechtlich erforderliche Ermächtigung durch ein Gesetz des Bundestages einzuholen."
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In der mündlichen Verhandlung vom 17. Juli 1984 hat sie ihren Antrag neu gefaßt (s. u. S. 36).
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b) Zur Begründung ihres zunächst gestellten Antrags hat die Antragstellerin ausgeführt: Durch die in Rede stehende Zustimmung werde in Rechte des Bundestages als Gesetzgeber und Verfassungsgesetzgeber eingegriffen. Denn mit ihr sei eine - Art. 24 GG widersprechende - Übertragung von Hoheitsrechten auf das Oberhaupt eines anderen Staates verbunden. Sie ermögliche den Einsatz von Kernwaffen in einem Umfang, der mit den kraft Art. 25 GG auch für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen Anforderungen des Völkerrechts an die Zulässigkeit von Kriegsrepressalien unvereinbar sei. Die Aufstellung der neuen Waffen stelle wegen ihrer weitreichenden und intensiven Auswirkungen für die Bürger der Bundesrepublik Deutschland eine wesentliche Entscheidung im Sinne des Art. 20 Abs. 3 GG dar. Mit Hilfe des vorliegenden Antrags solle nicht eine verfassungsrechtliche Zweifelsfrage im Wege der abstrakten Rechtmäßigkeitskontrolle des Handelns der Bundesregierung geklärt, sondern das Recht des Bundestages, die Bundesregierung durch Gesetz zur Erteilung der in Rede stehenden Zustimmung zu ermächtigen oder an der Erteilung dieser Zustimmung zu hindern, geltend gemacht werden. Unerheblich sei, daß die Antragstellerin einem Gesetz, das die Bundesregierung zur Erteilung des Einverständnisses mit der Aufstellung von Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern ermächtigte, unter keinen Umständen zustimmen würde. Entscheidend sei vielmehr, daß zwischen den Verfahrensbeteiligten Streit über die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage für diese Zustimmung bestehe. Der Zulässigkeit des Antrags stehe auch nicht entgegen, daß die Mehrheit des Bundestages möglicherweise der Auffassung sei, daß es im vorliegenden Zusammenhang eines Gesetzes nicht bedürfe. Ebenfalls kein Zulässigkeitshindernis sei, daß zum Zeitpunkt des Eingangs der Antragsschrift beim Bundesverfassungsgericht (16. November 1983) die Zustimmungserklärung der Bundesregierung noch nicht erteilt worden sei. Vor dem 15. November 1983, dem Tag des Scheiterns der Genfer Verhandlungen, habe noch nicht mit hinreichender Sicherheit festgestanden, wie sich die Bundesregierung verhalten werde; eine Organklage vor diesem Termin wäre unzulässig gewesen. Die Einleitung des Organstreitverfahrens nach dem 15. November 1983, aber noch vor der Erteilung der Zustimmungserklärung, müsse unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes als zulässig angesehen werden. Denn die fragliche Zustimmungserklärung der Bundesregierung sei eine einseitige völkerrechtliche Willenserklärung, die ohne eine Verletzung des Völkerrechts nicht rücknehmbar sei. Konkrete Schritte zur Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens mit dem Ziel, der Zustimmungserklärung der Bundesregierung eine verfassungsmäßige Grundlage zu verschaffen, seien nicht eingeleitet worden. Daß sie, die Antragstellerin, entsprechende Initiativen hätte ergreifen können, lasse sich ihr nicht entgegenhalten. Andere verfassungsrechtliche Wege, ihr Prozeßziel zu verfolgen, hätten ihr nicht offengestanden; Anstrengungen für die Verabschiedung eines Gesetzes zu unternehmen, das sie ablehne, könnten von ihr nicht verlangt werden.
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Bedenken gegen die Zulässigkeit des Antrags ergäben sich auch nicht daraus, daß es sich bei der Zustimmung der Bundesregierung zur Aufstellung der neuen Systeme um einen Akt im Bereich der auswärtigen Gewalt handle. Zwar stehe der Bundesregierung hier ein weiter Raum politischen Ermessens zu; dies bedeute jedoch nicht, daß Akte der auswärtigen Gewalt der gerichtlichen Kontrolle entzogen wären. Der Antragstellerin könne schließlich auch nicht entgegengehalten werden, die in Frage stehende Zustimmungserklärung habe völkerrechtlichen Charakter und entfalte keine innerstaatlichen Wirkungen. Die Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung fremder Truppen im eigenen Lande und zur Ausrüstung dieser Truppen mit bestimmten Waffen habe einen deutlichen Bezug "auf den innerstaatlichen Raum" und erlange jedenfalls deshalb innerstaatliche Geltung. Ihre Wirkungen beschränkten sich daher nicht auf die völkerrechtliche Ebene.
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Der Antrag sei auch begründet. Die Antragstellerin gehe davon aus, daß die innerstaatliche Rechtsgrundlage für den Aufenthalt von Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika auf dem Bundesgebiet das Gesetz zum Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland vom 23. Oktober 1954 (Aufenthaltsvertrag) sei. Die Auffassung der Bundesregierung, dieses Gesetz ermächtige zur Abgabe der in Rede stehenden Zustimmungserklärung, sei unzutreffend. Die Zustimmung der Bundesregierung zur Ausrüstung der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika mit Raketen der Bauart Pershing-2 und mit Marschflugkörpern sei jedenfalls wegen der qualitativ neuen Dimension dieser Systeme durch das Gesetz zum Aufenthaltsvertrag nicht mehr gedeckt.
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Wenn die Bundesregierung die Zustimmung erteile, verletze sie den Bundestag in seinen Rechten als Verfassungsgesetzgeber, da eine entsprechende Erklärung ohne eine vorherige Änderung des Art. 24 Abs. 1 GG nicht abgegeben werden dürfe. Einer Änderung des Art. 24 Abs. 1 GG bedürfe es deshalb, weil durch die fragliche Zustimmung deutsche Hoheitsgewalt auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, das heißt ein Organ eines fremden Staates, übertragen werde; Art. 24 Abs. 1 GG in seiner gegenwärtigen Fassung lasse derartiges nicht zu. Das Grundgesetz erlaube es, mit auswärtigen Staaten Verträge über den Aufenthalt fremder Truppen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland abzuschließen. Da auch ein Angriff auf Streitkräfte eines Staates, die sich auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates befänden, das Recht des Entsendestaates zur Selbstverteidigung auslöse, habe die Anwesenheit fremder Truppen auf deutschem Hoheitsgebiet zur Folge, daß die Bundesrepublik Deutschland ohne eigenes Zutun in kriegerische Handlungen verwickelt werden könne. Diese Möglichkeit sei verfassungsrechtlich unproblematisch, da bei einem Angriff auf die in der Bundesrepublik Deutschland stationierten fremden Truppen der Verteidigungsfall im Sinne des Art. 115 a GG eintrete. Anders verhalte es sich allerdings, wenn ein Angriff auf das Hoheitsgebiet oder eine der Außenpositionen des Entsendestaates der auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland befindlichen Truppen erfolge. Auch in einem solchen Falle sei der Entsendestaat völkerrechtlich befugt, sich zu verteidigen. Dies könne er auch mit Hilfe seiner auf dem Territorium eines anderen Staates stationierten Truppen tun. Die Gefahr einer in dieser Weise erfolgenden Verwicklung der Bundesrepublik Deutschland in kriegerische Auseinandersetzungen sei in der Vergangenheit faktisch ausgeschlossen gewesen; den hier stationierten ausländischen Truppen habe bisher die Durchdringungsfähigkeit gefehlt, die als potentiellen Angreifer angesehene Sowjetunion militärisch entscheidend zu treffen. Art. 115 a GG setze diese Lage ersichtlich voraus; er erkläre den Angriff auf das Bundesgebiet zum maßgeblichen Kriterium für den Eintritt des Verteidigungsfalles. Zwar kenne das Grundgesetz auch den - durch Art. 115 a GG nicht geregelten - NATO-Bündnisfall. Der NATO-Vertrag enthalte jedoch keine automatische Beistandsklausel. Vielmehr obliege es im Bündnisfall der Bundesregierung, über den Einsatz deutscher Streitkräfte zu entscheiden. Bei der gegenwärtigen Bewaffnung der auf bundesdeutschem Gebiet stationierten Streitkräfte bestehe, rechtlich gesehen, keine Möglichkeit, daß die Bundesrepublik Deutschland ohne eigenes Zutun in kriegerische Handlungen verwickelt werde. Die in Rede stehende Zustimmung schaffe indessen eine veränderte Lage. Der - von der Antragstellerin näher bezeichnete und unter Beweis gestellte - "strategische" Charakter der neuen Systeme erlaube es erstmals, das Territorium der Sowjetunion von bundesdeutschem Boden aus mit ballistischen Geschossen zu bedrohen. Der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika habe kraft seiner ausschließlichen Verfügungsgewalt über die neuen Systeme nach ihrer Stationierung die Möglichkeit, bundesdeutsches Hoheitsgebiet zum Ausgangspunkt einer militärischen Repressalie gegen die Sowjetunion zu machen, wenn ein sowjetischer Angriff gegen das Territorium der Vereinigten Staaten oder eine ihrer Außenpositionen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland erfolge. Dadurch würden der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat Kompetenzen aus der Hand genommen und dem Organ eines anderen Staates überantwortet. Der Präsident der Vereinigten Staaten könne damit die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Eintritt des Verteidigungsfalles im Sinne des Art. 115 a GG schaffen. Die Vereinigten Staaten von Amerika könnten der Bundesrepublik Deutschland so auch die Entscheidung aufzwingen, ihnen im Bündnisfall mit militärischen Mitteln beizustehen. Durch die Zustimmung werde daher - wenngleich nicht ausdrücklich - deutsche Hoheitsgewalt auf einen fremden Staat übertragen. Dies lasse Art. 24 Abs. 1 GG in seiner gegenwärtigen Fassung nicht zu.
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Die in Rede stehende Zustimmung dürfe daher allenfalls nach einer entsprechenden - nach Auffassung der Antragstellerin allerdings mit Art. 79 Abs. 3 GG unvereinbaren - Änderung des Art. 24 GG erfolgen. Hiergegen lasse sich nicht einwenden, daß sich die erstmalige Ausrüstung der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Truppen der Vereinigten Staaten von Amerika mit strategischen Waffen lediglich als Veränderung einer tatsächlichen Lage darstelle, die die Rechtslage nicht berühre. Das Bundesverfassungsgericht habe anerkannt, daß eine gesetzliche Regelung, die auf bestimmten Tatsachenannahmen oder auf der Einschätzung zukünftiger Entwicklungen beruhe, als verfassungswidrig anzusehen sein könne, wenn sich herausstelle, daß die Annahmen unzutreffend oder die prognostizierten Entwicklungen nicht eingetreten seien. Im vorliegenden Fall werde nicht einmal geltend gemacht, daß eine gesetzliche Regelung durch eine tatsächliche Entwicklung verfassungswidrig geworden sei; es werde lediglich gerügt, daß die Bundesregierung von einem Gesetz, nämlich dem Gesetz zum Aufenthaltsvertrag, das ihr gestatte, der Erhöhung der Effektivstärke der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte zuzustimmen, in verfassungswidriger Weise Gebrauch gemacht habe. Der Einwand, die Regierung habe im Bereich der auswärtigen Gewalt eine Einschätzungs- und Prognoseprärogative, greife im vorliegenden Falle nicht durch. Lediglich die Frage, ob es jemals in Zukunft zu einer Situation kommen werde, in der der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika nach einem Angriff auf das Hoheitsgebiet der USA oder auf eine ihrer Außenpositionen Akte der Selbstverteidigung vom Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland aus vornehmen werde, betreffe den Bereich, in dem von einer Einschätzungs- und Prognoseprärogative der Regierung gesprochen werden könne. Indessen verletze es bereits Rechte des Bundestages, daß diese Situation durch die Bundesregierung ermöglicht werde. Damit werde eine Rechtsfrage aufgeworfen, die als solche in einem von Regierungsprärogativen nicht beherrschten Bereich angesiedelt sei. Gegen diese Auffassung könne nicht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ins Feld geführt werden, nach der unter gewissen Umständen durch völkerrechtliche Verträge herbeigeführte Zustände, die gegen das Grundgesetz verstießen, hingenommen werden müßten, wenn diese Zustände dem Grundgesetz stärker angenähert seien als die zuvor bestehenden. Durch die Übertragung deutscher Hoheitsgewalt auf einen fremden Staat werde ein Zustand "weiter weg vom Grundgesetz" herbeigeführt.
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Die Zustimmung verletze Rechte des Bundestages ferner deshalb, weil sich die Bundesregierung mit ihr von der Bindung an allgemeine Regeln des Völkerrechts lossage und nur der Bundestag in der Lage sei, von der kraft Art. 25 GG bestehenden Bindung an das Völkerrecht Dispens zu erteilen. Sofern ihr ein solcher Dispens nicht erteilt sei, greife die Bundesregierung durch ein entsprechendes Tätigwerden in das Recht des Bundestages aus Art. 79 Abs. 1 GG ein. Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts zähle "das bedingungslose Verbot des Einsatzes von Atomwaffen unter jedweden Umständen". Die Auffassung der Bundesregierung, daß der Einsatz von Kernwaffen in Ausübung des Rechts auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung völkerrechtlich zulässig sei, sei unzutreffend. Die in Rede stehende Zustimmung der Bundesregierung müsse selbst dann als mit Art. 25 GG unvereinbar angesehen werden, wenn man diese Auffassung als richtig zugrundelege: Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG zähle das Prinzip der Verhältnismäßigkeit völkerrechtlicher Repressalien. Art. 25 GG werde verletzt, wenn die Bundesregierung rechtliche Bindungen eingehe, kraft derer sie nicht mehr in der Lage sei, die Einhaltung dieses Prinzips zu garantieren. Hierzu könne es aus folgendem Grunde kommen: Die völkerrechtliche Bewertung der Frage, ob eine Repressalie verhältnismäßig sei, hänge von der Bedeutung des angegriffenen Rechtsguts für den jeweiligen Staat ab. So könnte den Vereinigten Staaten von Amerika unter Umständen die Befugnis zustehen, gegen den potentiellen Angreifer Sowjetunion vom Boden der Bundesrepublik Deutschland aus einen Kernwaffenschlag zu führen, ohne daß auch der Bundesrepublik Deutschland das Recht zu einem solchen Vorgehen zustünde. Folgte man der Auffassung der Bundesregierung, so könnte den USA auf deutschem Territorium erlaubt sein, was der Bundesrepublik Deutschland möglicherweise verboten wäre. Das Handeln der Vereinigten Staaten auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland sei dieser zuzurechnen; sie verletze Völkerrecht, wenn sie ihr Territorium einem anderen Staat zur Verfügung stelle, für den gegebenenfalls andere Maßstäbe der Verhältnismäßigkeit kriegsrechtlicher Repressalien gälten als für sie selbst. Dieser Auffassung könne, was den vorliegenden Fall angehe, auch nicht mit dem Hinweis widersprochen werden, daß Art. 24 GG der Bundesrepublik Deutschland die Möglichkeit eröffne, Mitglied eines militärischen Bündnisses zu werden, nach dessen Regeln jeder Angriff gegen einen Bündnisstaat zugleich als Angriff gegen die anderen Bündnisstaaten anzusehen und zu behandeln sei. Denn der NATO-Vertrag, dem die Bundesrepublik Deutschland beigetreten sei, taste die selbständige Entscheidung der Vertragsparteien über die Frage, wie auf einen militärischen Angriff gegen einen Bündnispartner zu reagieren sei, nicht an. Wenn die Bundesrepublik Deutschland ihre verfassungsrechtlichen Bindungen beachte und die Zustimmung zur Aufstellung der neuen Waffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verweigere, gerate sie zu anderen Regeln des Völkerrechts nicht in Widerspruch. Die Ausrüstung der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika in der Bundesrepublik Deutschland mit Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern stelle eine Erhöhung der Effektivstärke dieser Streitkräfte dar, die vorzunehmen nach den Bestimmungen des Aufenthaltsvertrages nicht ohne Zustimmung der Bundesregierung zulässig sei; die Zustimmung könne von der Bundesregierung ohne Vertragsverstoß verweigert werden.
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Schließlich bedürfe die Zustimmung insoweit einer gesetzlichen Grundlage als sie Situationen heraufbeschwöre, die zu tiefen Einschnitten in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG führten. Die Zustimmung stelle zwar keinen "Eingriff" in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewähre Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG indessen nicht nur ein Abwehrrecht gegen Eingriffe, sondern begründe auch Ansprüche auf Schutz und Förderung von Leben und körperlicher Unversehrtheit durch den Staat. Mit der Zustimmung zur Aufstellung der neuen Systeme übernehme die Bundesregierung eine derartige, Ansprüche begründende Verantwortung für die hierdurch im innerstaatlichen Bereich eintretenden Folgen. Die erstmalige Stationierung zielgenauer, für einen teilweisen oder vollständigen "Enthauptungsschlag" geeigneter strategischer Waffen in der Bundesrepublik schaffe für die Sowjetunion den Anreiz, im Krisenfall einen auf die Standorte dieser Waffen zielenden Präventivschlag zu führen. Auch sei denkbar, daß sich die Sowjetunion genötigt sehen werde, die Entscheidungen über einen Gegenschlag fehleranfälligen automatischen Rechnern zu überlassen. Zumindest seien Fehlreaktionen der verantwortlichen Personen in der UdSSR angesichts der kurzen Vorwarnzeit beim Anflug der neuen Waffen nicht auszuschließen. Aber auch die Vereinigten Staaten von Amerika seien wegen der hohen Verwundbarkeit der neuen Systeme und der kurzen Vorwarnzeit beim Anflug sowjetischer Raketen genötigt, ihre Entscheidung über einen Einsatz von Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern fehleranfälligen rechnergesteuerten Warnsystemen zu überantworten. Für die Möglichkeit menschlicher Fehlreaktionen auf seiten der USA gelte das gleiche wie für die Möglichkeit von Fehlreaktionen der Verantwortlichen in der UdSSR. Die entscheidende Frage sei, ob die Erhöhung der Gefahren für das Leben der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Grundrechtsträger, die mit der Aufstellung der neuen Waffen einhergehe, vom Gesetzgeber bedacht worden sei, und er - durch Angabe von Kriterien für die Ermittlung der Gefahren und für deren mögliche Qualifikation als verfassungsrechtlich hinnehmbare Restrisiken oder durch Einführung risikomindernder Verfahren - dem Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge Rechnung getragen habe. Dies müsse verneint werden. Der Gesetzgeber des Jahres 1955, der dem Aufenthaltsvertrag zugestimmt habe, habe die technische Qualität und den Wirkungszusammenhang, auf dem die dargestellte Risikoerhöhung beruhe, nicht kennen und Kriterien für die Scheidelinie zwischen grundrechtsirrelevanten Restrisiken und den Charakter von Grundrechtsverletzungen annehmenden Grundrechtsgefährdungen daher nicht festlegen können. Auch habe der damalige Gesetzgeber nicht für die Einführung eines Verfahrens Sorge getragen, mit dessen Hilfe die geschilderten Risiken bewältigt werden könnten. Der Einwand, das Zustimmungsgesetz zum Aufenthaltsvertrag erzeuge keine innerstaatlichen Rechtswirkungen materieller Art, sei unzutreffend. Das Zustimmungsgesetz ordne die innerstaatliche Geltung des Aufenthaltsvertrages an, der seinerseits Wirkungen für die Grundrechtssphäre des Einzelnen entfalte. Zumindest habe die durch den Vertrag geregelte Materie grundrechtliche Bedeutung erlangt. Es lasse sich auch nicht einwenden, der Bereich der auswärtigen Gewalt sei prinzipiell ein Vorbehaltsbereich der Regierung, in dem sich die Einwirkungsmöglichkeiten des Parlaments darauf beschränkten, einen von der Regierung ausgehandelten völkerrechtlichen Vertrag abzulehnen oder - wie dies der Bundestag mit seiner Zustimmung zum Aufenthaltsvertrag getan habe - gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zu billigen. Auch im Bereich des Art. 59 Abs. 2 GG gelte die Wesentlichkeitstheorie, derzufolge es Aufgabe des Gesetzgebers sei, gesetzliche Vorschriften an neue, zum Zeitpunkt ihres Erlasses nicht vorhergesehene oder nicht vorhersehbare Entwicklungen anzupassen. Inwieweit der Gesetzgeber berechtigt sei, notwendige Entscheidungen an die Exekutive zu delegieren, könne dahingestellt bleiben. Denn diese Frage stelle sich erst, wenn das Parlament in gesetzlicher Form Vorgaben für mögliche Entscheidungen der Exekutive gemacht habe. Was die Ausrüstung der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten amerikanischen Streitkräfte mit Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern und die durch sie herbeigeführte Risikosteigerung angehe, fehle es an derartigen Vorgaben. Schließlich könne nicht eingewendet werden, daß der Aufenthaltsvertrag eine Kündigungsklausel nicht enthalte. Denn im vorliegenden Fall gehe es nicht um die Kündigung dieses Vertrages, sondern um die Frage seines verfassungsmäßigen Vollzuges. Es entstehe daher auch nicht das Problem eines Widerspruchs zwischen völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen.
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2. Antragsgegnerin ist die Bundesregierung.
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a) Sie hält den gestellten Antrag für unzulässig:
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In einem Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG könne nur um Rechte und Pflichten aus einem konkreten verfassungsrechtlichen Rechtsverhältnis zwischen den verfahrensbeteiligten Organen gestritten werden. Nur so sei eine Abgrenzung des Organstreitverfahrens von anderen verfassungsgerichtlichen Verfahren wie dem der abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG möglich.
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Dem Vortrag der Antragstellerin zu Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG lasse sich eine hinreichend substantiierte Behauptung eines Eingriffs in Rechte des Bundestages durch das Verhalten der Bundesregierung nicht entnehmen. Die Antragstellerin werfe der Bundesregierung ein objektiv verfassungswidriges Handeln vor ohne darzutun, daß die Wahrnehmung von Zuständigkeiten des Bundestages durch die Bundesregierung beeinträchtigt worden sei. Die aus Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG folgende Kompetenz des Bundestages werde ihm durch das gerügte Verhalten der Bundesregierung nicht streitig gemacht. Dies sei auch gar nicht möglich. Zwar könne von einem Eingriff in Rechte des Bundestages dann gesprochen werden, wenn die Mißachtung spezifischer Mitwirkungsrechte des Bundestages am Verfahren der verfassungsändernden Gesetzgebung in Rede stehe. Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich indessen, daß die Frage der Beteiligung des Bundestages am Verfahren der verfassungsändernden Gesetzgebung nur dann tauglicher Gegenstand eines Organstreitverfahrens sein könne, wenn ein verfassungsänderndes Gesetz eingebracht worden sei. Die Nichtvorlage eines verfassungsändernden Gesetzes allein eröffne nicht die Möglichkeit, ein zulässiges Organstreitverfahren einzuleiten. Erst recht nicht könne in einem solchen Verfahren gerügt werden, eine Entscheidung der Bundesregierung sei verfassungswidrig, weil nicht zuvor das Grundgesetz geändert worden sei. Daß die Antragstellerin sich nicht auf die Verletzung von Rechten des Bundestages berufen könne, zeige in besonders deutlicher Weise ihre Behauptung, die Bundesregierung verstoße durch die Zustimmung zur Aufstellung der neuen Mittelstreckenwaffen insofern gegen Rechte des Bundestages, als sie sich damit zu ihrer aus Art. 25 GG folgenden Bindung an das allgemeine Völkerrecht, die allenfalls der verfassungsändernde Gesetzgeber aufheben könne, in Widerspruch setze. Art. 25 GG verpflichte alle deutschen Staatsorgane zur Beachtung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts. Daraus folge indessen nicht, daß diese (auch der Bundesregierung obliegende) Verpflichtung gegenüber dem Bundestag bestehe. Vielmehr handle es sich um eine Verpflichtung des objektiven Verfassungsrechts. Ähnliches gelte für die Behauptung der Antragstellerin, die Bundesregierung verletze die Rechte des Bundestages aus Art. 79 Abs. 1 GG, wenn sie die Zustimmung ohne eine vorherige Änderung des Art. 24 GG erteile. Zur Begründung dieser These mache die Antragstellerin lediglich geltend, Art. 24 GG verbiete die Lagerung von Atomwaffen auf deutschem Boden, über deren Einsatz der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika entscheide. Von einem Rechtsverhältnis zwischen Bundestag und Bundesregierung, aus dem sich im konkreten Fall Mitwirkungsrechte des Bundestages ergeben könnten, sei in der Antragsschrift auch an dieser Stelle nicht die Rede.
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Ebenfalls unzulässig sei die von der Antragstellerin erhobene Rüge, Rechte des Bundestages aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 59 Abs. 2 GG würden verletzt, wenn die Zustimmung ohne vorherige gesetzliche Ermächtigung abgegeben werde. Art. 20 Abs. 3 GG könne im konkreten Fall nicht als eine Kompetenznorm angesehen werden, die dem Bundestag subjektive Rechte gegenüber der Bundesregierung verliehe. Wäre die Auffassung der Antragstellerin zutreffend, so könnte der Bundestag stets dann, wenn die Bundesregierung ohne ein angeblich gebotenes Gesetz oder gegen ein Gesetz gehandelt hätte, eine Organklage erheben. Dies sei, soweit ersichtlich, bisher von niemandem behauptet worden. Auch die aus Art. 20 Abs. 3 GG hergeleitete Wesentlichkeitstheorie führe zu keinem anderen Ergebnis. Art. 59 Abs. 2 GG könne zwar die Grundlage eines kontradiktorischen Streitverhältnisses bilden. Die Antragstellerin behaupte indessen nicht eine Verletzung von Rechten des Bundestages. Daß ein völkerrechtlicher Vertrag vorliege, an dessen Inkraftsetzung mitzuwirken der Bundestag befugt sei, habe die Antragstellerin nicht geltend gemacht. Kern ihres Vorbringens sei vielmehr die These, daß das Gesetz zum Aufenthaltsvertrag eine inhaltlich nicht zureichende Grundlage für die Zustimmung der Bundesregierung zur Aufstellung von Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland darstelle. Es werde also lediglich das Vorliegen eines objektiv rechtswidrigen Verhaltens der Bundesregierung behauptet. Ein weiteres Bedenken gegen die Zulässigkeit der auf Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 59 Abs. 2 GG gestützten Rüge der Antragstellerin ergebe sich daraus, daß ein Organstreit nur zulässig sei, wenn er über die Auslegung des Grundgesetzes geführt werde. Mit der Behauptung, die in Rede stehende Erklärung der Bundesregierung sei durch das Zustimmungsgesetz zum Aufenthaltsvertrag nicht mehr gedeckt, streite die Antragstellerin nicht um Verfassungsrecht.
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Die Kontrollkompetenz des Parlaments vermöge die Zulässigkeit der Organklage ebenfalls nicht zu begründen. Es sei zwar richtig, daß sich die Befugnis des Parlaments zur politischen Kontrolle der Regierungstätigkeit auch auf die Bereiche des Auswärtigen und der Verteidigung erstrecke. Indessen sei nicht ersichtlich, wie von dem von der Antragstellerin beanstandeten Verhalten der Bundesregierung Beeinträchtigungen dieser Kompetenz ausgehen könnten. Insoweit gelte nichts anderes als das, was zur Frage der Beeinträchtigung der Befugnisse des Bundestages als Gesetzgeber ausgeführt worden sei.
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b) Hilfsweise hält die Bundesregierung den Antrag auch für unbegründet.
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Die Aufstellung von Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolge in der Absicht, die Sowjetunion von einem Angriff abzuhalten. Es sei unrichtig, daß durch die Stationierung dieser Systeme eine "Erstschlagsfähigkeit" der NATO erzeugt werde. Ebenso unrichtig sei die Behauptung, die Aufstellung dieser Systeme eröffne erstmals die Möglichkeit, das Territorium der Sowjetunion vom Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland aus zu erreichen. Diese Möglichkeit habe bereits zu früheren Zeiten bestanden. So sei seit 1959 in der Bundesrepublik Deutschland ein - in den Jahren 1965 bis 1968 abgezogenes - Waffensystem stationiert gewesen, dessen Reichweite in etwa der eines heutigen Marschflugkörpers entsprochen habe. Die Vorstellung, die Stationierung der neuen Waffen lasse es zu, einen "Enthauptungsschlag" gegen die Sowjetunion zu führen, sei, was auch aus Erklärungen hoher sowjetischer Militärexperten hervorgehe, eindeutig verfehlt. Ebenfalls unzutreffend sei die Auffassung, daß die Stationierung von Pershing-2-Raketen und Cruise Missiles in der Bundesrepublik Deutschland die Gefahr eines sowjetischen Präventivschlags erhöhe. Bei einem Versuch der umfassenden Vernichtung von Pershing-2-Raketen müsse die Sowjetunion mit einer entsprechenden Reaktion der USA rechnen und ihre Streitkräfte daher zuvor in höchste Alarmbereitschaft versetzt haben; diese Alarmbereitschaft bedürfe aber Vorbereitungen, die derart umfangreich seien, daß sie der westlichen Aufklärung nicht verborgen bleiben könnten. Hinzu komme, daß die neu stationierten Pershing-2-Raketen und Marschflugkörper im Spannungsfall in ihre Einsatzstellungen verlegt würden. Dies werde auf Routen erfolgen, die der Gegner nicht vorherzusehen vermöge. Es könne daher ausgeschlossen werden, daß ein Überraschungsschlag zur Ausschaltung sämtlicher Pershing-2-Raketen gelingen könne. Auch die Vorstellung, es könne zu einem "Krieg aus Versehen" kommen, sei von jeder Realität entfernt. Bisher hätten Fehler in technischen Systemen zu keinen kritischen Situationen oder gar ernsthaften Vorbereitungen für einen Einsatz von Nuklearwaffen geführt. Außerdem hätten die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion Abkommen geschlossen, die der Verhütung eines Kriegsausbruchs aus Versehen dienten. Es bestünden nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, daß geplant sei, in NATO- Staaten oder in der Sowjetunion die letzte Entscheidung über den Einsatz von Kernwaffen allein einer rechnergesteuerten Automatik zu überlassen. Es sei unzutreffend, daß durch die Stationierung der neuen Waffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eine neuartige strategische Lage eingetreten sei. Vor allem aber sei die Bewertung der jetzigen strategischen Lage durch die Antragstellerin für die von ihr aufgeworfenen Fragen nicht nur unerheblich, sondern auch verfassungsgerichtlich unüberprüfbar. Nach Auffassung von Bundesregierung und Bundestag habe der Bedrohung Westeuropas durch die sowjetischen SS-20-Raketen mit Hilfe einer Stationierung entsprechender amerikanischer Waffen begegnet werden müssen. Das Bundesverfassungsgericht könne die Fehlerhaftigkeit dieser Einschätzung nicht feststellen, ohne die in ständiger Rechtsprechung anerkannten Grenzen seiner Prüfungsmöglichkeiten zu überschreiten. Nach dieser Rechtsprechung gehöre es zur Kompetenz der für die Außen- und Verteidigungspolitik zuständigen Organe, die Bundesrepublik Deutschland wirksam zu verteidigen und in pflichtgemäßer Wahrnehmung der ihnen obliegenden Verantwortung die angemessenen Entscheidungen zu treffen. Es müsse berücksichtigt werden, daß der Staat gerade bei der rechtlich nicht determinierten Einschätzung außen- oder verteidigungspolitischer Lagen nach außen mit einer einheitlichen Haltung auftreten müsse, wenn nicht die Wirksamkeit von Außen- und Verteidigungspolitik in Frage gestellt werden solle. Der Antragstellerin gehe es in Wahrheit darum, das Bündnis der Bundesrepublik Deutschland mit den Vereinigten Staaten von Amerika aufzulösen. Sie wolle die Stationierung bewaffneter amerikanischer Truppen in der Bundesrepublik Deutschland als Bedrohung für das deutsche Hoheitsgebiet begreifen, erwähne aber nicht, daß das wesentliche Ziel dieser Stationierung der Schutz der Bundesrepublik Deutschland sei. Dieser Schutz werde dadurch erreicht, daß ein Angriff auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gleichzeitig einen Angriff auf die dort stationierten amerikanischen Streitkräfte und damit auf die Vereinigten Staaten von Amerika bedeuten würde.
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Die Berufung auf Art. 24 Abs. 1 GG sei verfehlt. Wesentliche Bedingung für die Übertragung von Hoheitsrechten im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG sei, daß einer zwischenstaatlichen Einrichtung die Möglichkeit eröffnet werde, hoheitlich, mit unmittelbarer Wirkung gegenüber dem Bundesbürger und für deutsches Staatsgebiet zu handeln. Derartiges geschehe durch eine Stationierung von Waffen, über die der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika die Verfügungsgewalt habe, indessen nicht. Ebensowenig habe die Bildung integrierter Entscheidungsstrukturen im Rahmen der NATO Hoheitsrechte im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG übertragen. Durch den NATO-Vertrag selbst werde ein gemeinsamer Oberbefehl nicht begründet. Vielmehr entscheide gemäß Art. 5 Abs. 1 des NATO-Vertrages im Falle eines bewaffneten Angriffs auf einen oder mehrere Bündnisstaaten im Vertragsgebiet jedes Mitglied des Bündnisses selbständig über die Maßnahmen, die es für erforderlich halte, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten. Das bedeute, daß erst im Zusammenhang mit einer derartigen Lage die rechtlich maßgebliche deutsche Entscheidung falle, Bundeswehreinheiten dem NATO-Kommando zu unterstellen. Die hierfür vorsorglich getroffenen Maßnahmen könnten durch eine Entscheidung der zuständigen Organe der Bundesrepublik Deutschland rückgängig gemacht werden. Die Übertragung von Hoheitsrechten im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG setze demgegenüber voraus, daß der betreffenden Organisation endgültig und verbindlich die entsprechenden Rechte übertragen würden. Entgegen einer von der Antragstellerin zumindest einschlußweise vertretenen These stehe der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum NATO-Vertrag im Einklang sowohl mit dem Willen des ursprünglichen Verfassungsgebers als auch mit dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers. Die NATO sei - mit der wohl überwiegenden Meinung in der Staatsrechtslehre - als ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne von Art. 24 Abs. 2 GG anzusehen. Der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum NATO-Vertrag sei durch die Ermächtigung des Bundes zum Abschluß politischer Verträge und die Einordnung der Bundesrepublik Deutschland in politische Bündnisse gedeckt (Art. 32 Abs. 1, 59 GG). Die Zugehörigkeit zum NATO-Bündnis entspreche auch dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers, wie sich aus der Einfügung von Art. 80 a Abs. 3 in das Grundgesetz ergebe. Die in Art. 80 a Abs. 3 GG zum Ausdruck kommende Grundentscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers des Jahres 1968 schließe auch die Zustimmung zur damals bestehenden Kommandostruktur ein. Die Verfügungsgewalt über die in der Bundesrepublik Deutschland vorhandenen amerikanischen Atomwaffen stehe, weil es sich bei ihnen um Waffen der USA handle, den Vereinigten Staaten zu. Es sei jedoch dafür gesorgt, daß diese Waffen nicht ohne Berücksichtigung der Interessen der Bundesrepublik Deutschland als Stationierungsland verwendet würden. Für die in Europa gelagerten amerikanischen Atomwaffen sei allein eine Verwendung im Rahmen der NATO vorgesehen. Dies bedeute, daß ein etwaiger Einsatz dieser Waffen nach genau festgelegten NATO-Verfahren erfolgen würde. Im Rahmen der vorgesehenen Konsultationen würde der Stimme der Bundesrepublik Deutschland als Stationierungsland besonderes Gewicht zukommen. Daß andererseits wegen der unter Umständen auftretenden Notwendigkeit, schnell zu entscheiden, ein Letztentscheidungsrecht des amerikanischen Präsidenten bestehen bleibe, entspreche gerade auch dem deutschen Interesse an einer glaubwürdigen Abschreckung. Aber selbst für den Extremfall, in dem ein nuklearer Überraschungsangriff durch die Sowjetunion eine sofortige Reaktion erforderte, wäre sichergestellt, daß die Bundesrepublik Deutschland an der Entscheidung über die Antwort auf einen solchen Angriff auch ohne formelle Konsultation mitwirke; denn für derartige Situationen seien in den zuständigen Bündnisgremien mit dem besonderen Gewicht der Stimme der Bundesrepublik Deutschland vorsorgliche Absprachen getroffen worden, die laufend fortgeschrieben würden.
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Die These der Antragstellerin von einer angeblichen Umgehung des Art. 115 a GG durch die amerikanische Entscheidungszuständigkeit für den Einsatz von Atomwaffen sei verfehlt. Die zuständigen Bundesorgane, darunter der Deutsche Bundestag, hätten der Stationierung von Streitkräften verbündeter Staaten einschließlich deren schon 1955 vorhandenen Atomwaffen zugestimmt. Diese Zustimmung liege zu einem wesentlichen Teil im Interesse der Bundesrepublik Deutschland. Denn die Anwesenheit bewaffneter Streitkräfte verbündeter Staaten auf deutschem Boden verbessere die Möglichkeiten des Beistands für die wegen ihrer geographischen Lage besonders bedrohte Bundesrepublik Deutschland. Mit ihrer Zustimmung zur Stationierung von Truppen verbündeter Staaten leiste die Bundesrepublik Deutschland aber auch einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit der anderen NATO-Staaten. Würde ein anderes NATO-Mitglied in dem von Art. 6 NATO-Vertrag umfaßten Gebiet angegriffen, so könnte ein Verteidigungseinsatz auch von deutschem Boden ausgehen. Die Bundesrepublik Deutschland würde insoweit durch die Zurverfügungstellung ihres Territoriums einen Beitrag zur kollektiven Selbstverteidigung im Sinne von Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen (SVN) leisten. Dies sei völkerrechtlich eindeutig zulässig. Aus Art. 115 a GG könnten gegen einen derartigen Verteidigungseinsatz keinerlei Bedenken geltend gemacht werden. Zwar sei es nur schwer vorstellbar, daß es zum Bündnisfall ohne eine gleichzeitige unmittelbare Bedrohung des Bundesgebietes im Sinne von Art. 115 a Abs. 1 GG komme; sollte diese Situation aber eintreten, so wäre die Feststellung des Bündnisfalls nach Art. 5 NATO-Vertrag Grundlage für den Einsatz hier stationierter Waffensysteme des Bündnisses. Art. 115 a GG bleibe unberührt.
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Auch die Ausführungen der Antragstellerin zu Art. 25 GG gingen fehl. Die auf eine angebliche Völkerrechtsverletzung gestützte Rüge müsse zumindest als unbegründet angesehen werden, weil bei einem etwaigen Verstoß gegen Völkerrecht jedenfalls im konkreten Fall nicht zugleich Rechte des Deutschen Bundestages als verfassungsändernder Gesetzgeber verletzt würden. Eine Regel des Völkergewohnheitsrechts, die es verwehrte, einen Atomwaffeneinsatz zur Abschreckung und Abwehr eines mit entsprechenden Waffen ausgerüsteten Gegners zu planen, sei nicht nachweisbar. Sowohl der sog. Teststopvertrag vom 5. August 1963 als auch der Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen vom 1. Juli 1968 gingen von der Existenz von Atomwaffen aus. Mit dem Nichtverbreitungsvertrag, an den zur Zeit 120 Staaten gebunden seien, habe die Staatengemeinschaft die Legalität des Besitzes von Kernwaffen jedenfalls mittelbar anerkannt; drei Vertragsstaaten dieses Abkommens, die USA, Großbritannien und die UdSSR, hätten am 17. Juni 1968 erklärt, sie würden anderen Staaten im Falle nuklearer Erpressung sofortige Hilfe leisten oder eine derartige Hilfeleistung unterstützen. Diese Erklärung sei von Nichtkernwaffenstaaten begrüßt worden. Kernwaffen- wie Nichtkernwaffenstaaten hätten damit deutlich gemacht, daß sie die Abwehr atomarer Bedrohung mit Hilfe atomarer Waffen für zulässig erachteten. Darüber hinaus sei in dem Abkommen zur Verhütung von Atomkriegen vom 22. Juni 1973 zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion für den Extremfall die Verteidigung mit Atomwaffen in unzweideutiger Weise vorbehalten worden. Besonders bedeutsam sei schließlich, daß wichtige Kernwaffenstaaten die Frage des Kernwaffeneinsatzes dadurch ausgeklammert hätten, daß sie entsprechende Erklärungen im Rahmen der Bestätigung und Weiterentwicklung des humanitären Kriegsvölkerrechts durch die - seit dem Jahre 1977 zur Unterzeichnung aufliegenden - Zusatzprotokolle zu den Genfer Rotkreuz-Konventionen abgegeben hätten. Hieraus folge, daß - was auch von der Mehrzahl der Völkerrechtswissenschaftler angenommen werde - die Stationierung von Atomwaffen zu Verteidigungszwecken mit dem Völkerrecht in Einklang stehe. Auch die von der Antragstellerin als Vertreter eines bedingungslosen Verbotes des Einsatzes vom Atomwaffen angeführten Autoren hielten den Einsatz von Atomwaffen unter bestimmten Umständen für zulässig. Die Ausführungen der Antragstellerin zu den völkerrechtlichen Grenzen eines Einsatzes von Atomwaffen litten an der mangelnden Unterscheidung zwischen dem Institut der Selbstverteidigung, das in Art. 51 SVN ausdrücklich anerkannt sei, und dem Institut der sog. Kriegsrepressalie. Die Selbstverteidigung sei das als Reaktion auf einen bewaffneten Angriff zulässige Mittel der Selbsterhaltung des angegriffenen Staates. Die Kriegsrepressalie sei dagegen die Außerachtlassung einer bestimmten kriegsrechtlichen Bindung als Reaktion auf einen Verstoß gegen das Kriegsrecht durch den Gegner. Die Bundesregierung habe einen etwaigen Einsatz von Atomwaffen nicht als Repressalienakt, sondern als eine nach Art. 51 SVN zulässige Maßnahme der Selbstverteidigung gerechtfertigt, die dem - seinerseits am Zweck der Verteidigung orientierten - Prinzip der Verhältnismäßigkeit unterworfen sei. Die Bundesrepublik Deutschland könne kraft des durch Art. 51 SVN anerkannten Rechts auf kollektive Selbstverteidigung den Vereinigten Staaten von Amerika in vollem Umfang zur Seite treten, wenn diese auf ihrem Territorium angegriffen würden. Die Vorstellung, es könnte einen Fall geben, in dem die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich gehindert wäre, gegen einen Angriff der Sowjetunion auf die Vereinigten Staaten zu reagieren, sei abwegig. Zwar sei richtig, daß die Reaktion auf einen etwaigen sowjetischen Angriff ihrerseits dem Völkerrecht entsprechen müsse. Indessen dürfe, sobald der Einsatz von Atomwaffen zum Zwecke der Verteidigung der USA gegen einen Angriff der UdSSR zulässig wäre, ein solcher Einsatz auch vom Territorium der Bundesrepublik Deutschland aus erfolgen.
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Die Entscheidung für eine Stationierung der neuen Waffen habe auch nicht durch ein Gesetz erfolgen müssen. Denn bei dieser Entscheidung handle es sich um einen Regierungsakt, der nach den Bestimmungen des Grundgesetzes über die auswärtige Gewalt und die Verteidigung in den Zuständigkeitsbereich der Bundesregierung falle. Er habe seine Rechtsgrundlage in völkerrechtlichen Verträgen, die der Bundestag gebilligt habe. Zu diesen Verträgen zähle der Nordatlantikpakt. Auch die Stationierung von Truppen anderer NATO-Staaten auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und die Ausgestaltung des Rechtsstatus dieser Truppen habe eine völkervertragsrechtliche Grundlage. Der Bundestag habe den entsprechenden Abkommen, nämlich dem Aufenthaltsvertrag, dem Deutschlandvertrag und dem NATO-Truppenstatut nebst Zusatzverträgen, ebenfalls gemäß Art. 59 Abs. 2 GG seine Zustimmung erteilt. Im Rahmen dieser Verträge könnten konkrete Entscheidungen über den Umfang der Truppen und deren Bewaffnung durch Zustimmungsakte der Bundesregierung getroffen werden. Es könne dahinstehen, ob mit der Stationierungsentscheidung im konkreten Fall eine Erhöhung der Effektivstärke der hier stationierten Streitkräfte verbunden sei. Jedenfalls sei die Bundesregierung ermächtigt gewesen, ihre Zustimmung hierzu zu erteilen. Diese Zustimmung sei kein Vertrag, sondern ein einseitiger völkerrechtlicher Akt im Rahmen des Stationierungsverhältnisses. Für einseitige völkerrechtliche Akte zur Durchführung völkerrechtlicher Verträge sei nach dem System des Grundgesetzes die Bundesregierung zuständig. Art. 59 Abs. 2 GG führe die Fälle, in denen der Bundestag an der Wahrnehmung der auswärtigen Gewalt zu beteiligen sei, abschließend auf. Art. 59 Abs. 2 GG, in dem lediglich von Verträgen die Rede sei, greife im vorliegenden Fall aber auch dann nicht ein, wenn man die in Rede stehende Zustimmung der Bundesregierung nicht als einen einseitigen völkerrechtlichen Akt ansehe. Denn durch die Zustimmung zur Aufstellung der neuen Waffen würden nicht die politischen Beziehungen des Bundes im Sinne des Art. 59 Abs. 2 GG geregelt. Zwar seien Bündnisverträge eindeutig zu den Verträgen zu rechnen, die die politischen Beziehungen des Bundes regelten. Die Zustimmung zur Stationierung nuklear ausgerüsteter Pershing-2-Raketen und Marschflugkörper sei aber nur eine Entscheidung innerhalb des Rahmens eines bestehenden Bündnisses. Einer Lagerung amerikanischer Nuklearwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland habe die Bundesregierung bereits mit dem Abschluß der oben genannten Verträge zugestimmt. Schon 1955 seien solche Waffen auf deutschem Boden stationiert gewesen. Die Zustimmung zur Stationierung der neuen Waffen unterfalle ferner deshalb nicht Art. 59 Abs. 2 GG, weil sie nicht "Gegenstände der Bundesgesetzgebung" im Sinne dieser Vorschrift betreffe. Denn für die Regelung der fraglichen Materie bedürfe es keines Gesetzes. Einen Gesetzesvorbehalt für die Bewaffnung der Bundeswehr sehe das Grundgesetz nicht vor. Zwar wirke der Haushaltsgesetzgeber de facto an der Entscheidung über die Bewaffnung in wesentlichem Maße mit, aber nur durch die Bewilligung von Haushaltsmitteln, nicht jedoch durch eine gesetzliche Regelung dieses Bereichs. Auch die in Kenntnis des Aufenthaltsvertrags erfolgte Grundgesetznovelle vom 19. März 1956, durch die Art. 87 a GG und Art. 45 a GG in die Verfassung eingefügt worden seien, habe in dieser Hinsicht nur begrenzte parlamentarische Kompetenzen begründet. Über die Bewaffnung alliierter Streitkräfte auf deutschem Boden habe zunächst die jeweilige Stationierungsmacht zu entscheiden. Zwar könne die Effektivstärke nicht ohne Zustimmung der Bundesregierung erhöht werden; daß eine solche Zustimmung Gegenstände der Bundesgesetzgebung im Sinne des Art. 59 Abs. 2 GG betreffe, könne mit Blick auf das zur Mitwirkung des Gesetzgebers bei der Bewaffnung der Bundeswehr Ausgeführte aber erst recht nicht behauptet werden.
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Nichts anderes ergebe sich aus der von der Antragstellerin angeführten Wesentlichkeitstheorie. Auch unter der Herrschaft dieser Theorie gebe es fakultative und sogar obligatorische Bereiche, in denen Wesentliches allein durch exekutive Entscheidung geregelt werde. Zwar werfe die nähere Abgrenzung der Bereiche der Rechtsetzung von den exekutiven Bereichen, in denen für die Wesentlichkeitstheorie kein Ansatzpunkt bestehe, häufig Schwierigkeiten auf. Dies gelte aber nicht im vorliegenden Fall. Für den Bereich des Auswärtigen und der Verteidigung gälten spezielle Kompetenzregeln. Die Stationierung alliierter Streitkräfte auf dem Gebiet der Bundesrepublik und die Ausrüstung dieser Streitkräfte seien Angelegenheiten der auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den Entsendestaaten und des völkerrechtlichen Verkehrs mit diesen Staaten. Art. 59 GG, der "grundgesetzlichen Hauptnorm" für die Kompetenzverteilung zwischen den obersten Bundesorganen in dieser Materie, sei zu entnehmen, daß im Bereich des Auswärtigen der Regierung jedenfalls grundsätzlich die vorrangige Kompetenz zustehe. Im Kalkar-Beschluß des Bundesverfassungsgerichts sei ausdrücklich hervorgehoben, daß "wichtige außenpolitische Entscheidungen" nicht in den Zuständigkeitsbereich des Parlaments fielen. Dem könne auch nicht entgegengehalten werden, daß die in Rede stehende Zustimmung der Bundesregierung einen Eingriff in die Grundrechtssphäre bewirke. Die Stationierung von Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland diene als Verteidigungsmaßnahme gerade dem Schutz der Grundrechte. Selbst wenn man hiervon absehe und unterstelle, daß infolge der Stationierung der neuen Waffen eine mögliche Gefährdung des Bundesgebietes auftreten könne, ergebe sich daraus keineswegs, daß eine gesetzliche Entscheidung in der von der Antragstellerin verlangten Art und Weise erforderlich sei. Vielmehr sei klar, daß man sich im Bereich der von der Bundesregierung zu treffenden außen- und verteidigungspolitischen Risikoprognosen und -einschätzungen bewege.
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Aber selbst wenn es richtig wäre, daß die Frage der Bewaffnung alliierter Streitkräfte auf deutschem Boden mit Atomwaffen dem durch Gesetz zu regelnden Bereich zuzuordnen wäre, wäre der Antrag unbegründet. Denn der Gesetzgeber habe der Stationierung mit Atomwaffen ausgerüsteter amerikanischer Truppen bereits zugestimmt. Als der Aufenthaltsvertrag durch den Bundestag gebilligt worden sei, seien die amerikanischen Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland mit Atomwaffen ausgerüstet gewesen. Eine Veränderung der damals und in der Folgezeit bestehenden strategischen Lage durch die Stationierung von Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern habe die Antragstellerin nicht schlüssig dargetan. Daher müsse auch aus diesem Grund die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung verneint werden.
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3. Die Antragstellerin hat auf diese Äußerung der Bundesregierung mit Schriftsatz vom 12. Juni 1984 wie folgt erwidert:
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a) Gegen die Rechtzeitigkeit des Antrags bestünden keine Bedenken. Zwar habe die Bundesregierung öffentlich erklärt, die in Rede stehende Zustimmung sei mit dem Brüsseler Beschluß vom 12. Dezember 1979 erteilt worden. Dieser im Rahmen der NATO gefaßte Beschluß stelle jedoch nur eine Empfehlung dar; sie sei dem maßgebenden Akt, nämlich der nach dem 15. November 1983 gegenüber den Vereinigten Staaten erklärten Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung, lediglich vorausgegangen. Zumindest aber müsse berücksichtigt werden, daß der "Doppelbeschluß" vom 12. Dezember 1979 eine Stationierung nur unter der Bedingung vorgesehen habe, daß zwischenzeitlich zu führende Abrüstungsverhandlungen nicht das von den Bündnispartnern gewünschte Ergebnis haben würden. Erst mit der Feststellung, diese Verhandlungen seien gescheitert, habe der Rüstungsteil des "Doppelbeschlusses" Wirksamkeit erlangt.
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Die Entscheidung im vorliegenden Verfahren verlange auch eine Auslegung des Grundgesetzes. Denn es gehe um Fragen des von der Verfassung vorgegebenen Rechtsverhältnisses zwischen Bundestag und Bundesregierung, unbeschadet der Tatsache, daß zugleich um die Auslegung des Aufenthaltsvertrages und der Zustimmungserklärung der Bundesregierung gestritten werde. Ein Rechtsverhältnis zwischen Bundesregierung und Bundestag, das Gegenstand eines Organstreits sein könne, bestehe nicht nur dort, wo durch kompetenzabgrenzende Normen die Funktionsbereiche dieser Organe abgesteckt würden, sondern auch dort, wo durch kompetenzverschränkende Bestimmungen zwischen ihnen ein "konstitutionalisiertes Kooperationsverhältnis" begründet werde. Aus den Vorschriften des objektiven Verfassungsrechts, die ein solches konstitutionalisiertes Kooperationsverhältnis regelten, erwüchsen den betreffenden Organen subjektive Rechte. Die Frage nach der Vereinbarkeit des Verhaltens eines Verfassungsorgans mit Verfassungsrecht, das ein Kooperationsverhältnis zwischen ihm und einem anderen Verfassungsorgan begründe, sei daher - wie die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und 3 GG bestätige - zugleich eine Frage nach der Verletzung subjektiver Rechte und damit tauglicher Gegenstand eines Verfahrens nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG. Konstitutionalisierte Kooperationsverhältnisse zwischen Bundestag und Bundesregierung bestünden außer im Bereich der Finanzen und der Planung auch im Bereich des Auswärtigen. Die vielfältigen Ein- und Mitwirkungsmöglichkeiten des Parlaments im Bereich der auswärtigen Gewalt (Art. 24 Abs. 1, 45 a, 59 Abs. 2, 79 Abs. 1 Satz 2, 115 a Abs. 1, 115 l Abs. 3 GG) ließen es zu, von ihr als "kombinierter Gewalt" zu sprechen. Insbesondere Art. 59 Abs. 2 GG bringe zum Ausdruck, daß Parlament und Regierung auf dem Gebiet der auswärtigen Angelegenheiten in einer intensiven, auf Kooperation angelegten verfassungsrechtlichen Beziehung zueinander stünden. Dem entspreche es, daß in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - anders als in früherer Zeit, in der von der Wahrnehmung der in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG vorgesehenen Rechte durch das Parlament als einer "Durchbrechung" des Gewaltenteilungssystems und einem "Übergriff" der Legislative in den Bereich der Exekutive die Rede gewesen sei - nunmehr von den "Trägern der auswärtigen Gewalt" bzw. von den "für die Außen- und Verteidigungspolitik zuständigen Bundesorganen" gesprochen werde.
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Nicht jedes objektiv verfassungswidrige Verhalten der Bundesregierung verletze Rechte des Bundestages aus Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG. Dies bedeute indessen nicht, daß in einem verdichteten Rechtsverhältnis zwischen Bundestag und Bundesregierung, wie es auf dem Gebiet der auswärtigen Gewalt bestehe, die Einhaltung der dieses Rechtsverhältnis bestimmenden Verfassungsnormen nicht ein dem Bundestag der Bundesregierung gegenüber zustehendes "Recht" sein könne. Daß der Bundestag imstande sei, für eine bestimmte Maßnahme der Regierung auf dem Gebiet der auswärtigen Beziehungen in eigener Initiative die verfassungsrechtlich notwendige Grundlage zu schaffen, entbinde die Bundesregierung nicht von ihrer Pflicht, den Bundestag um die Schaffung dieser Grundlage zu ersuchen und bei einer Weigerung des Bundestages, dem Ersuchen nachzukommen, von einer Durchführung der betreffenden Maßnahme abzusehen. Auf dem Gebiet der auswärtigen Gewalt könne die Bundesregierung nicht nur durch das Unterlassen der Vorlage des Entwurfs eines Vertragsgesetzes nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, sondern auch durch das Unterlassen der Vorlage des Entwurfs eines verfassungsändernden Gesetzes nach Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG Rechte des Bundestages verletzen. Das Rechtsverhältnis, kraft dessen die Bundesregierung im vorliegenden Fall zur Einbringung des Entwurfs eines verfassungsändernden Gesetzes verpflichtet gewesen sei, liege in Art. 24 Abs. 1 GG begründet. Diese Bestimmung trage den Charakter einer Ausnahmevorschrift. Denn sie gestatte Bundesregierung und Bundestag, in gesamthänderischem Zusammenwirken ohne förmliche Verfassungsänderung Verfügungen über die staatliche Souveränität zu treffen. Der Bundestag könne demgemäß außer unter den Voraussetzungen des Art. 24 Abs. 1 GG nur in seiner Eigenschaft als verfassungsändernder Gesetzgeber über nationale Hoheitsrechte verfügen. Zwar sei der Bundestag als Verfassungsgesetzgeber der höchste Souverän und befinde sich in dieser Eigenschaft grundsätzlich nicht in einem gesamthänderischen, taugliche Grundlage eines Organstreitverfahrens bildenden, Rechtsverhältnis mit der Bundesregierung. Da aber jede Souveränitätsverfügung ein Akt des Völkerrechtsverkehrs sei, in dem der Regierung als demjenigen Organ, das auch unter Verletzung innerstaatlichen Verfassungsrechts völkerrechtlich wirksame Bindungen eingehen könne, eine hervorgehobene Stellung zukomme, nehme der Verfassungsgesetzgeber - wie auch die Regelung des Art. 79 Abs. 1 Satz 2 GG zeige - insoweit nur den Rang eines mitwirkenden Organs ein. Daraus folge, daß bei Souveränitätsverfügungen durch die Bundesregierung, die durch Art. 24 Abs. 1 GG nicht gedeckt seien, außer gegen objektives Verfassungsrecht auch gegen Rechte des Bundestages als Verfassungsgesetzgeber verstoßen werde. Diese Rechte könnten in einem Organstreitverfahren zulässigerweise geltend gemacht werden. Hierfür spreche auch, daß der Verfassungsgesetzgeber als der höchste Träger der "konstitutionalisierten Souveränität" durch eine völkerrechtlich wirksame Souveränitätsverfügung in seinen Funktionen und Kompetenzen berührt werde; es erschiene widersprüchlich, wenn er verfassungsprozessual schlechter gestellt wäre als der einfache Gesetzgeber, der nicht gehindert sei, eine Verletzung der ihm nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 und Art. 24 Abs. 1 GG zustehenden Mitwirkungsbefugnisse vor dem Bundesverfassungsgericht geltend zu machen.
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Wegen der gesamthänderischen Verantwortlichkeit von Bundestag und Bundesregierung für die auswärtigen Beziehungen sei jedes dieser Organe dem anderen gegenüber auch zur Beachtung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts verpflichtet. Die Mißachtung einer solchen Regel verletze nicht nur Völkerrecht, sondern auch das Recht des jeweils anderen "Gesamthänders" auf Beachtung des Art. 25 GG. Stelle sich ein Verhalten der Bundesregierung als Verstoß gegen eine staatengerichtete Norm des allgemeinen Völkerrechts dar, so sei der Bundestag zwar nicht in seinem Recht als verfassungsändernder Gesetzgeber verletzt; denn er habe nicht die Befugnis, der Mißachtung allgemeinen Völkerrechts zuzustimmen. Eingegriffen werde in diesem Falle aber in die Kontrollfunktion, die ihm auf dem Gebiet der auswärtigen Beziehungen nach Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG zukomme.
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Zulässig sei der Antrag schließlich auch unter dem Blickwinkel der Art. 20 Abs. 3 und Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG. Ob Art. 20 Abs. 3 GG dem Bundestag der Bundesregierung gegenüber bestimmte Kompetenzen verleihe, könne dahinstehen. Entscheidend sei, daß Art. 20 Abs. 3 GG in Gestalt der aus ihm entwickelten Wesentlichkeitslehre Maßstab für die Bestimmung des Umfangs der Rechte, die dem Bundestag nach Art. 59 Abs. 2 GG der Bundesregierung gegenüber zustünden, sei, unabhängig davon, ob der Bereich der Grundrechtsausübung betroffen sei. Im vorliegenden Fall spiele daher nicht nur eine Rolle, daß die Zustimmung der Bundesregierung zur Aufstellung nuklear ausgerüsteter Pershing-2-Raketen und Marschflugkörper auf deutschem Boden wegen der hierdurch erfolgenden intensiven Einwirkung auf den - auch von der auswärtigen Gewalt zu respektierenden - Bereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG den Gesetzgeber herausfordere. Von Bedeutung sei vielmehr auch, daß im Lichte der Wesentlichkeitslehre auch Gesetze nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ungeachtet dieses Umstandes dem Recht des Bundestages auf "Nachbesserung" unterlägen, wenn ihre jeweilige Grundlage durch technische oder gesellschaftliche Entwicklungen in Frage gestellt sei.
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Um klarzustellen, daß sich die Behauptung der Verletzung von Rechten des Bundestages aus Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG auf Art. 24 Abs. 1 und Art. 25 GG beziehe, und zur Verdeutlichung des Verhältnisses von Art. 20 Abs. 3 zu Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, wie es sich nach den vorangehenden Ausführungen darstelle, hat die Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung ihren Antrag wie folgt gefaßt:
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"Die Bundesregierung hat die Rechte des Bundestages aus Art. 79 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 24 Abs. 1, 25 sowie aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes dadurch verletzt, daß sie es unterlassen hat, für die Zustimmung zur Ausrüstung der in der Bundesrepublik stationierten Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika mit nuklear ausgerüsteten Raketen vom Typ Pershing-2 und Cruise Missiles die verfassungsrechtlich erforderliche Ermächtigung durch ein Gesetz des Bundestages einzuholen."
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b) Die Auffassung der Bundesregierung, die vorgebrachten Tatsachenbehauptungen seien verfassungsrechtlich unerheblich oder einer verfassungsgerichtlichen Beurteilung nicht zugänglich, sei unzutreffend. Der Hinweis der Bundesregierung auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 16. Dezember 1983 im Verfahren 2 BvR 1160/83 u. a. sei irreführend. Denn im vorliegenden Rechtsstreit gehe es - anders als in jenem Verfahren - in tatsächlicher Hinsicht allein um die technischen Eigenschaften der neuen Systeme und die mit ihrer Stationierung eröffneten Handlungsmöglichkeiten, nicht aber um die Frage der Wahrscheinlichkeit des Einsatzes nuklearer Waffen, wie sie von Bedeutung dafür sei, ob Gefährdungen von Leib und Leben des Einzelnen durch die Stationierung möglicherweise gesteigert würden.
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Die Systeme "Pershing-2" und "Cruise Missile" hätten die bisherigen militärischen Kampfmittel auf einem bestimmten Gebiet in einer für das Völker- wie das Verfassungsrecht bedeutsamen Weise revolutioniert. In der Völkerrechtsordnung sei mangels einer übergeordneten Rechtsdurchsetzungsinstanz nach wie vor die Selbstverteidigung das zentrale "Grundrecht" der Staaten, das unter Umständen auch präventive militärische Akte rechtfertige. Bei dem Versuch, diese Akte und völkerrechtlich unzulässige Angriffshandlungen voneinander zu unterscheiden, sei man im Grunde genommen noch immer nicht über die Aussage von Hugo Grotius hinausgelangt, wonach in der Staatenwelt die bloße Furcht vor der Macht eines Nachbarn die Anwendung von Waffengewalt nicht rechtfertige, wohl aber dessen feststehende Absicht, Krieg zu führen. Dramatisch verschärft habe sich das Problem der präventiven Gewaltanwendung, dem Grotius mit dieser Formel beizukommen versucht habe, mit dem Aufkommen der Atomwaffen und der Vervollkommnung der Trägersysteme für diese Waffen. Grotius habe noch schreiben können, daß die Aufrüstung eines Nachbarn allein nicht zum Einsatz militärischer Mittel berechtige, weil sich dem Verhalten des Nachbarn durch "Gegenbefestigungen" wehren lasse. Gegen die modernen ballistischen Systeme, die Massenvernichtungsmittel wie Atomwaffen in kürzester Zeit in das Gebiet des Gegners tragen könnten, und die die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion deshalb zu "Nachbarn" gemacht hätten, gebe es indessen keine "Gegenbefestigungen". Daher sei die Strategie der Abschreckung entwickelt worden; sie beruhe auf dem Gedanken, daß der Gegner bei einem Angriff mit der eigenen Vernichtung rechnen müsse. Das völkerrechtlich Bedeutsame an dieser Doktrin sei, daß ein zuerst mit Atomwaffen angegriffener Staat mit einem nuklearen Gegenschlag nicht Verteidigung im Sinne der Abwehr eines Angriffs sondern Vergeltung übe, und jeder Kernwaffenangriff eines der "atomaren Nachbarn" zu einer als Akt der Verteidigung anzusehenden Präventivmaßnahme werde, weil die Intensität der gegenseitigen Bedrohung jeden berechtige, dem anderen zuvorzukommen. Damit sei der Unterschied zwischen Angriff und Verteidigung eingeebnet. Was bleibe, sei der Unterschied zwischen Besitz und Stationierung von Massenvernichtungsmitteln nebst Trägersystemen einerseits und deren Einsatz andererseits. Die Aufstellung atomar ausgerüsteter Pershing-2-Raketen und Marschflugkörper auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland führe dazu, nun auch diesen Unterschied zu verwischen: Die Stationierung eröffne den Vereinigten Staaten die Möglichkeit, einen beträchtlichen Teil der sowjetischen Kommando-, Kommunikations- und Kontrollstrukturen überraschend und treffsicher zu zerstören. Ob ein "Enthauptungsschlag" gegen die Sowjetunion gelingen könnte, sei demgegenüber unerheblich. Jedenfalls müsse die Stationierung von der Sowjetunion als eine aufs Äußerste gesteigerte Bedrohung ihrer Sicherheit empfunden werden. Die Schnelligkeit und Zielgenauigkeit der neuen Systeme machten sie zu Kriegsmitteln, die nicht nur zum politischen sondern auch zum kalkulierten militärischen Gebrauch geeignet seien. Daß sie zu einem solchen Gebrauch auch bestimmt seien, ergebe sich aus dem mit der sogenannten Präsidentendirektive Nr. 59 eingeleiteten Übergang der amerikanischen Strategie von der "Vernichtungsabschreckung" zur "Kriegsführungsabschreckung", der unter anderem in einer Anhörung offenbar geworden sei, die am 26. Februar 1982 vor einem Ausschuß des Senats der Vereinigten Staaten von Amerika stattgefunden habe. Dabei habe der Befehlshaber des strategischen Luftwaffenkommandos der Vereinigten Staaten erklärt, daß die Doktrin der wechselseitig gesicherten Vernichtung durch die Strategie des sogenannten Counterforce abgelöst worden sei. Überdies ziehe die amerikanische Führung neuerdings eine der Voraussetzungen der kriegsverhütenden Wirkung der Doktrin der wechselseitig gesicherten Vernichtung in Zweifel, nämlich die Annahme, daß auch der Gegner den Tod von Millionen von Menschen und die Unbewohnbarkeit großer Teile der Erde vermeiden wolle. In diesem Zusammenhang sei von Interesse, daß in den USA Haushaltsmittel für 311 Pershing-2-Raketen beantragt oder bewilligt worden seien und hiernach keineswegs als gesichert gelten könne, daß nur 108 Raketen dieser Bauart in der Bundesrepublik Deutschland stationiert würden. Außerdem sei unklar, ob geplant sei, die Voraussetzungen für ein Nachladen der Abschußvorrichtungen für Pershing-2-Raketen zu schaffen. Zur Aufklärung dieser Fragen sei es notwendig, den "NATO-Doppelbeschluß" in seiner Originalfassung kennenzulernen. Es werde daher die Anordnung der Vorlage dieser Fassung durch das Bundesverfassungsgericht angeregt. Nicht zuletzt sei zu beachten, daß die Verwundbarkeit der neuen Systeme einen Druck zum Handeln innerhalb kurzer Zeit erzeuge. Die durch amtliche amerikanische Veröffentlichungen bestätigte Behauptung der Verletzlichkeit der neuen Systeme werde durch das Vorbringen der Bundesregierung nicht entkräftet. Die Bundesregierung habe lediglich vorgetragen, daß ein Überraschungsangriff auf Pershing-2-Raketen und Marschflugkörper nicht gelingen könnte, da der westlichen Aufklärung die Vorbereitungen für einen solchen Angriff nicht verborgen bleiben würden, eine rechtzeitige Reaktion daher möglich wäre. Diese Reaktion könne indessen - was ausdrücklich festzustellen von der Bundesregierung unterlassen worden sei - unter den gegebenen Umständen nur in einem Einsatz der neuen Waffen bestehen. Schließlich dürfe nicht übersehen werden, daß bei der Entscheidung über den Einsatz nuklearer Waffen rechnergesteuerte Anlagen eine wichtige Rolle spielten. Aufgrund von Fehlfunktionen solcher Anlagen könne es zu einem "Krieg aus Versehen" kommen. Diese Einschätzung sei, anders als die Bundesregierung meine, keine "unrealistische Hypothese". Es sei unerheblich, ob die Behauptung zutreffe, daß die Entscheidung über den Einsatz von Kernwaffen derzeit allein technischen Anlagen überlassen sei. Denn auch wenn vorgesehen sein sollte, daß diese Entscheidung letztlich ein Mensch zu treffen habe, sei sie technikbestimmt, da der Betreffende unter dem Zeitdruck, dem er sich bei seiner Entscheidungsfindung ausgesetzt sehen werde, auf die Informationen zurückgreifen müsse, die ihm von rechnergesteuerten Anlagen geliefert würden. Die Möglichkeit eines "Krieges aus Versehen" sei geradezu die logische Voraussetzung des von der Bundesregierung erwähnten Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion über den sogenannten heißen Draht. Offizielle amerikanische Quellen zur Frage der Fehleranfälligkeit von Warnsystemen der Vereinigten Staaten ließen die von der Bundesregierung als "unrealistische Hypothese" bezeichnete Einschätzung der Antragstellerin als wirklichkeitsnah erscheinen.
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Alle diese Umstände seien nicht nur in völkerrechtlicher Hinsicht, sondern auch für die Beurteilung des mit der Klage angegriffenen Verhaltens der Bundesregierung am Maßstab der Art. 24 Abs. 1, 25 und 59 Abs. 2 GG von Bedeutung.
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Zurückzuweisen sei der Versuch der Bundesregierung, die Zustimmung zur Stationierung der neuen Systeme als Erfüllung einer im Rahmen des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses eingegangenen Verpflichtung hinzustellen und mit der Begründung zu rechtfertigen, sie stehe schon deshalb in Einklang mit der Verfassung, weil die Bündnismitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland selbst kraft Art. 24 Abs. 2 GG mit der Verfassung vereinbar sei. Das Grundgesetz kenne keinen Rechtssatz, kraft dessen die Staatsgewalt bei der Eingehung und Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen von der Einhaltung verfassungsrechtlicher Normen entbunden wäre. Die Verfassungsmäßigkeit der Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland in der NATO sei nicht Gegenstand des Verfahrens. Vielmehr gehe es maßgeblich um die Frage, wie die Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung im Lichte des Art. 24 Abs. 1 GG zu beurteilen sei. Art. 24 Abs. 1 GG lasse die Öffnung der nationalen Rechtsordnung zugunsten der Hoheitsgewalt zwischenstaatlicher Einrichtungen zu, setze aber voraus, daß die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied der jeweiligen Einrichtung Einfluß auf deren Wirken nehmen könne. Die Übertragung von Hoheitsrechten auf einen fremden Staat sei hiernach ausgeschlossen, weil die Möglichkeit einer derartigen Einflußnahme in diesem Falle nicht bestehe. Mit der in Rede stehenden Zustimmung seien solche Hoheitsrechte unzulässigerweise übertragen worden. Denn den Vereinigten Staaten sei hierdurch die Möglichkeit eröffnet worden, auf die Organe, die Bürger und das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in unmittelbarer Weise einzuwirken. Wie die Darlegungen zur Problematik der völkerrechtlichen Begriffe des Angriffs und der Verteidigung im Zeitalter der Kernwaffen gezeigt hätten, seien diese jedenfalls in ihrer praktischen Anwendung in hohem Maße auslegungsfähig und -bedürftig. Die Interpretationsherrschaft darüber, ob ein bewaffneter Angriff vorliege oder unmittelbar drohe, sei Teil der staatlichen Souveränität. Über ihn habe die Bundesregierung durch die Zustimmung zur Aufstellung der neuen Systeme verfügt. Denn das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland sei auf diesem Weg zu einem Verteidigungsmittel der Vereinigten Staaten geworden, mit dessen Hilfe diese die Sowjetunion unmittelbar bedrohen könnten. Den zuständigen Organen der Bundesrepublik Deutschland sei damit die Möglichkeit einer eigenständigen Einschätzung des Eintritts des Bündnis- oder Verteidigungsfalles genommen. Der Hinweis der Bundesregierung auf die Konsultationsmechanismen der NATO und die Behauptung, diese Mechanismen stellten sicher, daß die in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Atomwaffen der Vereinigten Staaten nur bei einem bewaffneten Angriff auf das in Art. 6 des NATO-Vertrags umschriebene Vertragsgebiet und nur unter Berücksichtigung der Interessen der Bundesrepublik eingesetzt werden könnten, verschlage demgegenüber nicht. Die Bundesregierung müsse einräumen, daß das Recht zur Entscheidung über den Einsatz der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Nuklearwaffen ausschließlich beim amerikanischen Präsidenten liege. Hinzu komme, daß der Oberste Alliierte Befehlshaber in Europa zugleich oberster Befehlshaber der in Europa stationierten Streitkräfte der Vereinigten Staaten sei und als solcher die Anordnungen des amerikanischen Präsidenten auszuführen habe. Dieser sei berechtigt, einen Einsatz ohne vorherige Konsultationen mit den Bündnispartnern anzuordnen, wenn die Lage des Falles ein anderes Vorgehen nicht zulasse. Bei Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern bestehe aufgrund der dargelegten tatsächlichen Umstände geradezu eine Notwendigkeit für einen Einsatz ohne vorherige Konsultationen. Schließlich dürfe nicht übersehen werden, daß allgemein die Neigung vorhanden sei, das politisch-militärische Interessengebiet des Bündnisses über die Grenzen des in Art. 6 des Nordatlantikpakts definierten Vertragsgebiets hinaus auszudehnen; die Vereinigten Staaten hätten das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland schon für Zwecke verwendet, die mit dem NATO- Bündnis in keinem Zusammenhang stünden. Im Hinblick hierauf erscheine die Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung auch mit Art. 87 a Abs. 2 GG nicht vereinbar.
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Auch wenn es zutreffe, daß das Gebrauchmachen von nuklearen Massenvernichtungsmitteln nicht allgemein als schlechthin völkerrechtswidrig angesehen werde, so sei doch nicht minder wahr, daß der Einsatz von Kernwaffen gegen einen konventionellen Angriff mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem auch Akte der Selbstverteidigung zu genügen hätten, übereinstimmend als völkerrechtswidrig erachtet werde. Da nach der gültigen NATO-Doktrin ein solcher Einsatz nicht ausgeschlossen sei, werde mit der Zustimmung zur Stationierung den Vereinigten Staaten die Gelegenheit zu einem völkerrechtswidrigen Handeln verschafft. Auch das Recht zur Ausübung von Repressalien vermöge keine Grundlage für einen Einsatz nuklearer Waffen bei einem Angriff mit konventionellen Waffen abzugeben. Die Ausführungen der Bundesregierung zu Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gingen ebenfalls fehl. Die Antragstellerin nehme für den Bundestag nicht die der Bundesregierung in Art. 1 Abs. 2 des Aufenthaltsvertrags eingeräumte Befugnis in Anspruch, durch einseitige Erklärung einer Erhöhung der Effektivstärke der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte zuzustimmen. Sie mache vielmehr geltend, daß mit der in Rede stehenden Zustimmung eine Regelung der politischen Beziehungen im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG erfolgt sei, die einer gesetzlichen Grundlage bedürfe. Gehe man mit dem Bundesverfassungsgericht davon aus, daß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG Ausdruck des Wesentlichkeitsgrundsatzes sei, so bedeute dies, daß immer dann, wenn durch ein völkerrechtliches Rechtsgeschäft die politischen Beziehungen des Bundes geregelt würden oder Gegenstände der Bundesgesetzgebung betroffen seien, die Mitwirkung des Bundestages an einem solchen Rechtsgeschäft nicht durch die Wahl der völkerrechtlichen Handlungsform des einseitigen Aktes anstelle der Handlungsform des völkerrechtlichen Vertrages vereitelt werden dürfe.
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4. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht und in einem nachgereichten Schriftsatz hat die Antragstellerin ihre Auffassungen bekräftigt und die bisherigen Ausführungen ergänzt.
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a) Der Bevollmächtigte der Antragstellerin und das Mitglied der Fraktion DIE GRÜNEN im Bundestag, der Abgeordnete Schily, haben erklärt: Der vorliegenden Klage habe es bedurft, weil mit der Entschließung des Bundestags vom 22. November 1983 den verfassungsrechtlichen Erfordernissen in der Frage der Raketenstationierung nicht Genüge getan sei. Durch die Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung sei den Vereinigten Staaten die Möglichkeit gegeben worden, von deutschem Boden aus - ohne Bruch des NATO-Vertrages - Zwecke, die dem NATO-Verteidigungsauftrag fremd seien, zu verfolgen. Dies werde in gewisser Weise durch eine Äußerung des Bundesministers der Verteidigung bestätigt, der erklärt habe, die USA befänden sich auch zur Verteidigung der eigenen Interessen in Europa. Die Bundesregierung müsse sich fragen lassen, durch welche vertraglichen Bindungen eine den NATO- Zwecken dienende Anwendung der neuen Systeme sichergestellt sei. Im Gegensatz zu Großbritannien und Italien habe die Bundesrepublik Deutschland kein Vetorecht in der Frage des Einsatzes dieser Massenvernichtungsmittel. Dies wiege um so schwerer, als insbesondere die Pershing-2-Raketen ausgesprochen offensiven Charakter hätten. Die Bedeutung ihrer Aufstellung in der Bundesrepublik erschöpfe sich nicht in einer "Ankoppelung" Europas an die strategischen Systeme der Vereinigten Staaten. Vielmehr diene ihre Stationierung der neuen Kriegsführungsstrategie der USA, in der die Bundesrepublik Deutschland und die dort stationierten Waffensysteme die Funktion eines strategischen Puffers für die Vereinigten Staaten hätten. Daß die Bundesrepublik Deutschland als einziges Stationierungsland von Pershing-2-Raketen in der jetzigen Strategie der Vereinigten Staaten eine wichtige Rolle spiele, werde auch durch Äußerungen des gegenwärtigen Staatssekretärs im Verteidigungsministerium bestätigt; er habe in einer früheren Veröffentlichung die Auffassung vertreten, daß mit der Stationierung zielgenauer Mittelstreckenwaffen klare und verbindliche Vorrangentscheidungen getroffen werden müßten, und die bequeme Zeit, in der der "Mythos von der 'kampflosen Abschreckung'" habe verherrlicht werden können, in Europa zu Ende sei. Die neuen Systeme erlaubten es, die Eskalation der kriegerischen Gewalt durch einen "Lähmungs-" oder "Blendungsschlag" gegen die Sowjetunion auf einer bestimmten Stufe zu unterbrechen. Denn sie eröffneten die Möglichkeit, Kommunikations-, Kontroll- und Kommandostrukturen der gegnerischen Streitkräfte überraschend und zielgenau zu zerstören. Eine Zerstörung dieser "Nervenstränge" könne wirksamer sein als die Vernichtung einzelner Nuklearraketen. Der Umstand, daß 108 Pershing-2-Raketen nicht 1400 sowjetische Interkontinental- Raketen ausschalten könnten, sei daher nicht erheblich. Ebensowenig komme es darauf an, daß von sowjetischen Generälen erklärt worden sei, der Glaube an die Durchführbarkeit eines Entwaffnungsschlags beruhe auf einer Fehlkalkulation. Diese Äußerung finde ihre Ursache darin, daß die Sowjetunion wegen ihres Interesses an einer fortgesetzten Wirksamkeit der Abschreckungsdoktrin den Eindruck erwecken müsse, nicht erpreßbar zu sein. Die Darlegungen der Antragstellerin zur Frage der Verwundbarkeit der neuen Systeme würden durch Äußerungen bestätigt, die auf einer Tagung gemacht worden seien, an der auch der im Amt befindliche Verteidigungsminister teilgenommen habe, und auf der von deutscher Seite unter Einräumung der Verletzlichkeit sichtbar auf dem Boden Europas stationierter US-Atomwaffensysteme betont worden sei, daß es zu den Paradoxa der Abschreckung gehöre, daß bis zu einem bestimmten Punkt gerade diese Verletzlichkeit einen politischen und psychologischen Wert darstelle, weil sie den Willen des Besitzers anzeige, diese Systeme im Falle eines Konflikts frühzeitig zu verwenden. Die gegenwärtige Lage sei mit derjenigen früherer Jahre nicht vergleichbar. Denn mit der Stationierung von Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern sei der Rahmen der bisherigen strategischen Handlungsmöglichkeiten erweitert worden; hierdurch habe sich die zuvor bestehende Situation qualitativ verändert. Deshalb sei auch der Hinweis der Bundesregierung auf die Tatsache, daß dem Bundestag im Jahre 1955 die Existenz von Atomwaffen vor Augen gestanden habe und die Berufung darauf, daß schon in der Vergangenheit Waffen auf deutschem Boden stationiert gewesen seien, die das Gebiet der Sowjetunion hätten erreichen können, nicht stichhaltig. Eine Beschäftigung des Bundesverfassungsgerichts mit den - gerichtlicher Erkenntnis zugänglichen - Eigenschaften der neuen Systeme und den aufgezeigten strategischen Fragen sei geboten, da sie für die Anwendung und Auslegung der Art. 24, 25 und 59 Abs. 2 Satz 1 GG von Bedeutung seien. Eine Untersuchung oder Bewertung politischer Absichten der Vereinigten Staaten oder anderer Mächte bedürfe es dagegen nicht und werde dem Bundesverfassungsgericht daher auch nicht angesonnen.
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Die Verletzung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG werde von der Antragstellerin nunmehr auch damit begründet, daß es sich bei der fraglichen Zustimmung nicht um einen Akt handle, der zur Kategorie der einseitigen völkerrechtlichen Rechtsgeschäfte zähle. Er stelle insbesondere kein Versprechen dar. Die Bundesregierung habe auf eine Ausstattung der amerikanischen Streitkräfte mit den neuen Systemen gezielt hingewirkt. Eine lediglich auf Duldung der Stationierung gerichtete Selbstverpflichtung liege daher nicht vor. Eine Selbstverpflichtung zur Stationierung, der die Bundesrepublik Deutschland nicht nachkommen könne, sei ebenfalls nicht erfolgt. "Zugestimmt" werden könne im Grunde nur einer auf die Herbeiführung einer Willensübereinstimmung gerichteten Erklärung einer anderen Seite. Aber selbst wenn man annehme, daß es sich bei der fraglichen Zustimmung um einen einseitigen Akt handle, greife Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ein. Denn diese Vorschrift sei nicht in dem Sinne zu verstehen, daß es nur dann, wenn die politischen Beziehungen des Bundes durch völkerrechtlichen Vertrag geregelt würden oder Gegenstände der Bundesgesetzgebung von völkervertragsrechtlichen Regelungen betroffen seien, einer Mitwirkung des Bundestages bedürfe. Vielmehr sei Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG zu entnehmen, daß immer dann, wenn ein Handeln der Bundesregierung im Völkerrechtsverkehr die politischen Beziehungen des Bundes regele oder Gegenstände der Bundesgesetzgebung betreffe, die Form des einer gesetzgeberischen Zustimmung bedürftigen völkerrechtlichen Vertrages gewählt werden müsse. Die Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung regle die politischen Beziehungen des Bundes im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, weil durch sie die Stellung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber anderen Staaten in grundlegender Weise verändert werde. Die Bundesregierung selbst habe erklärt, daß in der Frage der "Nachrüstung" die außenpolitische Orientierung der Bundesrepublik Deutschland auf dem Spiel stehe. Bei der Zustimmung zur Stationierung handle es sich auch nicht um einen bloß "technischen Akt", den vorzunehmen der Bundestag die Bundesregierung mit der Billigung des Art. 1 Abs. 2 des Aufenthaltsvertrages zulässigerweise ermächtigt habe. Auch wenn man annehme, daß die Zustimmung zur Stationierung im Rahmen der nordatlantischen Verteidigungsorganisation erfolgt sei, und das NATO-System hinsichtlich der zweiseitigen, u. a. durch den Aufenthaltsvertrag geregelten Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland, Vorrang beanspruchen könne, komme man nicht zu dem Ergebnis, daß es keiner gesetzgeberischen Beteiligung des Bundestages an der Stationierungsentscheidung gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bedürfe. Denn die Bundesregierung habe in früherer Zeit erklärt, daß der Vollzug von NATO-Beschlüssen in Einzelvereinbarungen zu erfolgen habe. Diese seien dem Bundestag zur Zustimmung durch Gesetz vorzulegen.
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In seinen Rechten als Verfassungsgesetzgeber sei der Bundestag verletzt, weil durch die Zustimmung deutsches Hoheitsgebiet einem fremden Staat als Verteidigungsmittel zur Verfügung gestellt werde. Unter den gegebenen Umständen bedeute dies, daß über die Existenz der Bundesrepublik Deutschland nunmehr von Organen eines fremden Staates entschieden werden könne. Ein derartiger Souveränitätsverzicht sei mit Art. 24 Abs. 1 GG unvereinbar und dürfe - wenn überhaupt - nur durch den verfassungsändernden Gesetzgeber erfolgen. Jedenfalls aber hätte, wenn Art. 24 in einem solchen Fall unmittelbar oder entsprechend anwendbar sein sollte, der Bundestag als einfacher Gesetzgeber beteiligt werden müssen. Auch die Rechte des Bundestages aus Art. 115 a Abs. 1 GG würden durch die Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung berührt. Zwar sei in dieser Vorschrift nur von der Feststellung des Verteidigungsfalles durch den Bundestag die Rede. Jedenfalls aus Art. 115 a Abs. 4 GG ergebe sich aber, daß Bundestag und Bundesregierung ein Recht zur Einflußnahme auf die zum Eintreten des Verteidigungsfalles führenden Tatsachen haben müßten. Dieses Recht werde ihnen mit der Stationierung der neuen Systeme aus der Hand genommen.
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Die Antragstellerin beantragt, durch die Vernehmung von Sachverständigen Beweis über folgende, von ihr aufgestellte Behauptungen zu erheben:
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"1) Die Pershing II ist ein ballistisches Geschoß, das die westliche Sowjetunion bis hin nach Moskau in circa 12-14 Minuten nach seinem Abschuß aus der Bundesrepublik erreichen kann. Sie ist damit auch den schnellsten Kampfflugzeugen weit überlegen.
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2) Die Pershing II hat dank ihres aktiven Lenksystems für die Endphase ihres Fluges die höchste Treffgenauigkeit unter allen den USA gegenwärtig verfügbaren Raketensystemen (einschließlich der Interkontinentalraketen). Erst ab 1986 wird die dann einsatzfähige (interkontinentale) MX und ab 1989 die U-Boot-Rakete Trident II in der Lage sein, gehärtete Ziele der Sowjetunion (insbesondere Kommando-, Kommunikations- und Kontrollzentren) gezielt zu zerstören.
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3) Die Pershing II hat eine Durchdringungsfähigkeit, gegen die die Sowjetunion keine Abwehrmöglichkeit besitzt. Dagegen besteht eine hohe Abwehrfähigkeit gegenüber eindringenden Kampfflugzeugen.
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4) Im Gegensatz zur Unterbringung sowohl der herkömmlichen Kampfflugzeuge wie auch der gegenwärtig in Großbritannien und Italien aufgestellten Cruises Missiles (= unbemannte Flugzeuge, keine ballistischen Träger) in gepanzerten Hangars werden die Pershing-II-Raketen ungeschützt aufgestellt; sie haben daher gegenüber einem möglichen Angriff nur eine geringe Überlebensfähigkeit. Im Falle ihrer wirklichen oder auch nur vermuteten Bedrohung müssen sie entweder aus der Bundesrepublik abgezogen oder frühzeitig abgefeuert werden.
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6) Die technischen Eigenschaften der Pershing II qualifizieren sie als ein militärisches Kriegsführungsmittel, das in der Lage ist, vom Territorium der Bundesrepublik aus direkt operative Ziele in der Sowjetunion gezielt, selektiv und in rein militärischer Mission zu zerstören. Sie erlauben eine Umstellung der militärstrategischen Doktrin von der Vernichtungs- zur Kriegsführungsabschreckung, d. h. eine Umstellung von der Androhung der atomaren Vernichtung aller Betroffenen auf die Androhung der Niederlage im Atomkrieg.
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7) Die Stationierung von 108 Pershing-II-Systemen auf dem Territorium der Bundesrepublik erweitert das Feld der militärstrategischen Wahlmöglichkeiten der USA gegenüber der Sowjetunion. Insbesondere erhalten die USA objektiv die Möglichkeit, militärische Ziele außerhalb der Zwecke des NATO-Bündnisses zu verfolgen."
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Die Antragstellerin benennt als Sachverständige zum Beweise der Behauptung zu 1) Herrn Prof. Dr. Heinz-Hermann Koelle Institut für Luft- und Raumfahrt der TU Berlin der Behauptung zu 2) Prof. Dr. Matthias Kreck Johannes-Gutenberg-Universität Mainz Fachbereich Mathematik der Behauptung zu 3) Prof. Dr. Harry O. Ruppe Institut für Raumfahrt der TU München der Behauptung zu 4) General a. D. Christian Krause Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn der Behauptung zu 5) Prof. Dr. Klaus Haefner, Ritterhude der Behauptungen zu 6) und 7) Dr. Horst Afheldt Max-Planck-Institut für Sozialwissenschaften Starnberg Prof. Dr. Carl Friedrich Freiherr von Weizsäcker Max-Planck-Institut für Sozialwissenschaften Starnberg
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b) Die Bundesregierung ist in der mündlichen Verhandlung den Darlegungen der Antragstellerin entgegengetreten.
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Der Bundesminister der Verteidigung und der Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung haben erklärt:
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Ausrüstung, Gliederung, Führungsgrundsätze und Strategie sämtlicher Streitkräfte des nordatlantischen Bündnisses seien ausschließlich auf das Ziel der Abschreckung und Verteidigung ausgerichtet. Die Bewaffnung der Armeen des Bündnisses und das Versorgungskonzept der Streitkräfte schlössen die Fähigkeit zur strategischen Offensive aus. Mit der Aufstellung von Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern in Europa ändere sich hieran nichts. Durch beide Waffensysteme würden die bisherigen militärischen Kampfmittel und die politisch-strategischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion nicht revolutioniert. Bereits in der Zeit, in der der Aufenthaltsvertrag abgeschlossen worden sei, habe es Trägersysteme gegeben, die das Gebiet der Sowjetunion hätten erreichen können. Auch seien Waffen von der Art der Marschflugkörper in Entwicklung gewesen. Daß man beim Abschluß des Aufenthaltsvertrages auch an Waffen dieser Art gedacht habe, ergebe sich aus einem Bericht des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages; darin habe der Berichterstatter, der Abgeordnete Brandt (Berlin), festgestellt, daß zukünftig nicht die Möglichkeit bestehen werde, taktische oder andere Atomwaffen ohne Einverständnis der Bundesregierung auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu stationieren. Anders als die Antragstellerin mein, trete eine qualitative Änderung der Lage durch die Stationierung von Pershing-2- Raketen und Marschflugkörpern daher nicht ein. Eine solche Änderung sei schon zu einem früheren Zeitpunkt, nämlich mit Beginn der Verfügbarkeit von Nuklearwaffen, erfolgt.
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Die westliche Allianz habe seit Mitte der siebziger Jahre eine zunehmend bedrohliche, einseitige Aufrüstung der Sowjetunion feststellen müssen. Diese Aufrüstung sei nicht durch westliche Rüstungsmaßnahmen herausgefordert und auch nicht durch sowjetische Sicherheitsinteressen gerechtfertigt gewesen. Sie habe der Sowjetunion die Möglichkeit eröffnet, die strategische Einheit der NATO durch eine auf Europa zugeschnittene Bedrohung in Frage zu stellen. Vor diesem Hintergrund sei am 12. Dezember 1979 nach einem zweijährigen bündnisinternen Abstimmungsprozeß der sogenannte Doppelbeschluß gefaßt worden. Die Sowjetunion sei bislang zu Reduzierungen auf ein annäherndes Gleichgewicht bei den Mittelstreckenwaffen nicht bereit gewesen. Deshalb sei dem nordatlantischen Verteidigungsbündnis keine andere Wahl geblieben, als mit der 1979 vereinbarten Stationierung zur vorgesehenen Zeit zu beginnen.
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Der Vorwurf der Antragstellerin, die Bundesregierung habe mit ihrer Zustimmung zur Stationierung der neuen Systeme einen Teil der Souveränität der Bundesrepublik Deutschland aufgegeben, sei nicht haltbar. Souverän sei die Bundesrepublik Deutschland dann, wenn sie unabhängig von äußerem Druck die dem Willen der Mehrheit des deutschen Volkes und dem Auftrag des Grundgesetzes entsprechende freiheitlich demokratische Lebensordnung verwirklichen und weiterentwickeln könne. Ihre Souveränität wäre durch ein einseitiges Bedrohungsmonopol der Sowjetunion gefährdet, nicht aber sei sie dadurch in Frage gestellt, daß der amerikanische Präsident die Entscheidungsgewalt über die Einsatzfreigabe der neuen Waffen habe. Nach den Bestimmungen des NATO-Vertrages komme ein Einsatz von Waffen des Bündnisses - und die vorliegend in Rede stehenden Waffen seien Waffen des Bündnisses - nur bei einem Angriff auf das atlantische Bündnis in Betracht; ihr Einsatz in Konfliktsfällen außerhalb des NATO-Bereiches sei mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen. Diese Sicherheit ergebe sich aus den Strukturen und Beschlußmechanismen der Allianz, an denen die Bundesrepublik Deutschland in gleicher Weise wie die anderen NATO-Staaten beteiligt sei; sie seien Ausdruck eines politischen Konsenses, der als Geschäftsgrundlage der Allianz die Kraft rechtlicher Regeln habe. Es bestehe keinerlei Anlaß daran zu zweifeln, daß die Vereinigten Staaten und die anderen Bündnispartner bereit seien, NATO-Absprachen einzuhalten und die Solidarität zu üben, die das Fundament der Allianz sei. Ohne diese Bereitschaft zur Solidarität hätte die Bundesrepublik Deutschland ihre Souveränität und damit ihre freie Lebensordnung längst verloren. Der Sinn der Stationierung der neuen Systeme wie der Sinn der Stationierung amerikanischer Truppen in der Bundesrepublik Deutschland überhaupt bestehe darin, der Sowjetunion deutlich zu machen, daß ein Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland nicht möglich sei, ohne einen globalen Konflikt auszulösen. Der "Doppelbeschluß" habe die Sicherheitseinheit des gesamten NATO- Gebietes unterstrichen. Es könne daher auch keine Rede davon sein, daß die Bundesrepublik Deutschland für die Vereinigten Staaten die Rolle eines "strategischen Puffers" einnehme.
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Durch die Stationierung von Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern sei der Atomkrieg nicht führbar oder gewinnbar geworden. Die erhöhte Treffsicherheit dieser Waffen steigere ihren Abschreckungswert; die Schwelle zum Nuklearkrieg werde durch sie nicht gesenkt. Dies ergebe sich auch daraus, daß eine Eskalation bei einem möglichen Einsatz der neuen Systeme nicht ausgeschlossen werden könne. Bei der von der Antragstellerin erwähnten Umstellung auf die sogenannte Counterforce-Strategie handle es sich lediglich um eine Änderung der bisherigen Zielplanung. Um Abschreckungswirkung zu erzielen, nehme man nicht mehr Städte, sondern Streitkräfte zur Geisel; es werde also nicht mehr die Zerstörung von Städten, sondern die Vernichtung von Streitkräften angedroht. Dieser Änderung der Planung lägen keine Angriffsabsichten zugrunde.
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Die NATO erwerbe durch die Stationierung nicht die Fähigkeit, einen "Enthauptungs-" oder "Lähmungsschlag" gegen die Sowjetunion zu führen; sie bestünde nur, wenn der Gegner durch einen Erstschlag so getroffen werden könnte, daß er nicht mehr in der Lage wäre zu reagieren. Zum einen liege ein Großteil der Führungszentren der Sowjetunion außerhalb der Reichweite der neuen Waffen. Zum anderen sei die Zahl der neuen Systeme so bemessen, daß eine Erstschlagsfähigkeit nicht entstehen könne. Alle NATO-Partner hielten an der Entscheidung fest, nur 108 Startgeräte für Pershing-2-Raketen, nur 108 Flugkörper für diese Geräte und nur einen Gefechtskopf je Flugkörper zu lagern. In dieser Hinsicht weiche das Dokument zum "Doppelbeschluß" von der Verlautbarung über den Beschluß nicht ab. Daß in den Vereinigten Staaten Vorkehrungen für die Anlage von Vorräten bezüglich der neuen Systeme getroffen würden, lasse die Entscheidung für die genannten Zahlen unberührt und sei damit zu erklären, daß sich bei einer langjährigen Lagerung von Waffen die Notwendigkeit eines Austausches ergeben könne. Die NATO sei daran interessiert, auch im Falle einer militärischen Auseinandersetzung die Möglichkeit der Kommunikation mit der gegnerischen Führung zu erhalten; denn das Ziel der Allianz sei nicht das "Auskämpfen" eines möglichen Konflikts, sondern dessen schnellstmögliche Beendigung mit politischen Mitteln. Die NATO habe daher ein Interesse an der Existenz und Reaktionsfähigkeit der politischen Führung des Gegners.
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Auch die Behauptung, daß die Stationierung der neuen Systeme einen sowjetischen Präventivschlag herausfordere, sei verfehlt. Ein präventiver Erstschlag der Sowjetunion würde das Risiko eines westlichen Gegenschlags hervorrufen, das zu vermeiden gerade sein Ziel sei. Er sei daher aus dem sowjetischen Sicherheitsinteresse heraus nicht zu erwarten.
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Durch die Stationierung wachse auch nicht die Gefahr eines auf Europa begrenzten Nuklearkrieges; sie wirke gerade einer auf Europa begrenzten Bedrohung entgegen und gewährleiste die Ankoppelung des konventionellen und taktischen nuklearen Potentials der NATO an die zentralstrategischen Systeme der Vereinigten Staaten von Amerika. Dies sei auch von führenden Sowjets deutlich erkannt und ausgesprochen worden. Verfehlt sei darüber hinaus das von der Antragstellerin vorgetragene Argument, wegen der Verletzlichkeit der neuen Systeme bestehe ein Zwang zu frühem Einsatz aus Sorge vor Verlust. Die Möglichkeit der sogenannten "Alarmfalldislozierung" mit weiträumiger Auflockerung wirke dem entgegen. Falsch sei schließlich auch die Behauptung, wegen der kurzen Vorwarnzeiten beim Anflug der neuen Systeme sei die Notwendigkeit entstanden, die Entscheidung über den "Gegenschlag" zu automatisieren. Schon seit geraumer Zeit sähen sich die nuklearen Weltmächte im Bereich der U-Boot-gestützten strategischen Systeme kurzen Vorwarnzeiten gegenüber. Europa habe zudem jahrelang unter der Bedrohung sowjetischer Raketen mit ähnlich kurzen, ja noch kürzeren, Vorwarnzeiten gelebt, ohne daß daraus die Behauptung abgeleitet worden wäre, es bestehe ein Zwang zur Automatisierung der Entscheidung über den Einsatz von Waffen. In beiden politischen Systemen gebe es ein dominierendes Interesse daran, die politische Führung Herr der Entscheidung bleiben zu lassen. Dementsprechend seien die Informationswege angelegt. Wiederholt zwischengeschaltete menschliche Kontrollen schlössen nicht mehr rückgängig zu machende Entscheidungen aufgrund technischer Fehler aus. Dies gelte für den Westen und - nach den vorliegenden Erkenntnissen - auch für den Osten. Da beide Seiten über die für eine gesicherte Zweitschlagsfähigkeit erforderlichen Systeme verfügten, die der Gegner, selbst wenn er dies wollte, durch einen Überraschungsangriff nicht ausschalten könnte, gebe es auch ein "launch on warning", d. h. einen Start von Raketen allein aufgrund der Meldung, feindliche Objekte seien im Anflug, weder in der Sowjetunion noch in den Vereinigten Staaten von Amerika. Im übrigen hätten die UdSSR und die Vereinigten Staaten auch in Zeiten des Stockens von Rüstungskontrollverhandlungen Interesse daran bewiesen, die Maßnahmen zur Verhinderung eines ungewollten Nuklearkriegs zu verbessern.
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Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat erklärt:
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Pershing-2-Raketen und Marschflugkörper seien nicht die ersten in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Flugkörper, die es erlaubten, von deutschem Boden aus das Gebiet der Sowjetunion zu erreichen. In den Jahren 1959 bis 1968 hätten sich Waffen der Bauart "Mace" in der Bundesrepublik Deutschland befunden; 1965 seien 113 Exemplare dieses Waffentyps auf deutschem Boden vorhanden gewesen. "Mace", die in zwei Versionen mit Reichweiten von 1045 km und 2025 km hergestellt worden sei, könne mit den heutigen Marschflugkörpern verglichen werden. Zwar habe sie eine geringere Treffgenauigkeit gehabt; sie sei jedoch mit einem stärkeren Sprengkopf ausgerüstet gewesen. Gemessen an den Abwehrmöglichkeiten zur Zeit ihrer Stationierung sei sie von hohem Wert gewesen.
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Wenn gesagt worden sei, daß es bei der "Nachrüstung" darum gehe, der Allianz Optionen für politisches Handeln zu erhalten, die sie dazu befähigten, auf sowjetische Aktivitäten im Bereich zwischen nur politischer Druckausübung und einer großen militärischen Auseinandersetzung zwischen den Blöcken zu reagieren, so bedeute dies: Da die Sowjetunion im konventionellen Bereich kraft einer auf das 1,25fache zu veranschlagenden Überlegenheit über Handlungsfähigkeiten verfüge, andererseits mit dem im Juni 1979 unterzeichneten Vertrag über die Begrenzung strategischer Waffen zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten die Festlegung eines Gleichgewichts erfolgt sei, die der Sache nach eine Einigung der beiden Weltmächte auf eine Unanwendbarkeit des betreffenden Potentials darstelle, komme es darauf an, den Eintritt eines zu Lasten Europas gehenden Ungleichgewichts auf der Ebene dazwischen zu verhindern. Ein solches Ungleichgewicht sei durch die Überrüstung der Sowjetunion mit SS-20-Raketen, aber auch mit Backfire-Bombern, Fencer-Bombern und anderen Systemen entstanden. Es sei daher nicht entscheidend darauf angekommen, die SS-20-Raketen "zu neutralisieren"; vielmehr sei es darum gegangen, der Sowjetunion deutlich zu machen, daß sie nicht davon ausgehen könne, das nordatlantische Verteidigungsbündnis sei in einem bestimmten Bereich ohne Reaktionsmöglichkeiten.
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In der Frage des Einsatzes von Nuklearwaffen sei die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland zum einen durch die sogenannten Athener Richtlinien aus dem Jahre 1962 und zum anderen durch ergänzende Richtlinien aus den Jahren 1967/ 1968 gesichert. Die Athener Richtlinien sagten ganz deutlich, daß in der Einsatzfrage Konsultationen stattfinden sollen: "should" sei der hierfür einschlägige Begriff. Er besage, daß Konsultationen dann stattfinden würden, wenn es um Einsätze selektiver Art, wie sie in Europa stattfinden könnten, gehe. Die immer wieder erhobene Behauptung, die Durchführung von Konsultationen sei unwahrscheinlich, betreffe den seinerseits unwahrscheinlich gewordenen Fall des nuklearen Schlagabtausches auf der großen strategischen Ebene, d. h. der Ebene der Interkontinentalsysteme, zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Die Ergänzungsrichtlinien aus den Jahren 1967/1968 enthielten die sogenannte "Meistbetroffenenklausel". Diese besage, daß bei der Entscheidung über einen Einsatz von Nuklearwaffen besonderes Gewicht auf die Meinung der Bündnispartner zu legen sei, von deren Boden aus der Einsatz erfolge oder die das Trägermittel oder den nuklearen Sprengkopf lieferten. Da bei einem Einsatz von Nuklearwaffen vom Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland aus die Bundesrepublik Deutschland Meistbetroffene sei, müsse der Präsident der Vereinigten Staaten, der den Einsatz nuklearer Waffen freigebe, auf die Meinung der Bundesrepublik besonderes Gewicht legen. Es sei unvorstellbar, daß der Präsident der Vereinigten Staaten sich über das klare Votum eines deutschen Regierungschefs hinwegsetzen würde. Die Einwirkungsmöglichkeit, die der Bundesrepublik Deutschland als Stationierungsland somit eröffnet sei, sei für sie wichtiger als beispielsweise eine sogenannte "Zweischlüssel-Kontrolle".
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Hinsichtlich der Zahl der zu stationierenden Systeme sei hervorzuheben, daß der Ebene in der NATO, auf der der Beschluß vom 12. Dezember 1979 ausgearbeitet worden sei, von den Regierungschefs die klare Weisung gegeben worden sei, bei der entsprechenden Festlegung, um Mißverständnisse zu vermeiden, eindeutig innerhalb eines Bruchteils der für einen "Enthauptungsschlag" erforderlichen Zahl von Systemen zu bleiben. Dieser Vorgabe entsprechend würden lediglich so viele Systeme stationiert, daß bei einem Einsatz beispielsweise nicht mehr als 10 bis 15 % der landgestützten sowjetischen Interkontinentalraketen getroffen werden könnten, und das gesamte Zweitschlagspotential der UdSSR unberührt bliebe. Die Weisung der Regierungschefs sei im übrigen ungeachtet der Tatsache ergangen, daß eine "Enthauptung" ohnehin nicht möglich sei, weil NATO wie Warschauer Pakt zum Beispiel mit Hilfe der seegestützten Systeme immer zu einem Zweitschlag fähig seien. Daß ein sogenannter Enthauptungsschlag nicht gelingen könnte, sei nicht nur die Auffassung der westlichen Seite, sondern auch des sowjetischen Generalstabschefs Ogarkow, der geäußert habe, daß es auf die Frage, ob eine "Enthauptung" möglich sei, eine eindeutige Antwort gebe: "Nein und noch einmal Nein! Unter den gegebenen Bedingungen ... ist dies ausgeschlossen. Die Vergeltung wird in jedem Fall unverzüglich erfolgen."
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Carl Friedrich von Weizsäcker habe einmal gesagt: Kriege werden da geführt, wo man glaubt, sie gewinnen zu können. Nuklearkriege seien nicht führbar und nicht gewinnbar. Dies sei auch der Grund, weshalb die Allianz die nukleare Komponente in ihrer Strategie aufrechterhalte: Es solle verhindert werden, daß Kriege - Kriege aller Art, auch konventionelle Kriege - wieder in die Kategorie des Führ- und Gewinnbaren kämen.
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Die Bevollmächtigten der Bundesregierung haben ausgeführt:
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In ihrem verfahrenseinleitenden Schriftsatz habe sich die Antragstellerin mit der Aufweisung der Frage begnügt, ob die Zustimmung der Bundesregierung zur "Nachrüstung" von Rechts wegen ohne zusätzliche gesetzliche Ermächtigung habe erfolgen dürfen; ein konkret streitiges Rechtsverhältnis, das subjektive Rechte oder Pflichten zwischen den Beteiligten zum Gegenstand habe, sei von der Antragstellerin nicht in hinreichender Weise dargetan worden. Mit ihrem späteren Vorbringen habe die Antragstellerin das Steuer herumgeworfen. Nunmehr nehme sie das - vermeintlich umfassende - Kooperationsverhältnis zwischen Parlament und Regierung im Bereich des Auswärtigen als Rechtstitel in Anspruch. Damit werden jedoch eine grundsätzlich neue Rechtsbehauptung in das Verfahren eingeführt. Es sei nicht recht zu sehen, wie dies nach Ablauf der Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG noch möglich sei. Aber auch für sich genommen könne mit der Behauptung eines umfassenden Kooperationsverhältnisses zwischen Parlament und Regierung im Bereich des Auswärtigen und der hieraus abgeleiteten weiteren Behauptung eines dem Bundestag der Bundesregierung gegenüber zustehenden allgemeinen Rechts auf Einhaltung der die auswärtigen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland regelnden Verfassungsnormen ein zulässiger Organstreit nicht in Gang gesetzt werden. Auf Art. 59 Abs. 2 GG lasse sich dieses Vorbringen nicht stützen. Art. 59 Abs. 2 GG beschränke sich auf ein begrenztes Gebiet und sei nicht geeignet, den gesamten Bereich des Auswärtigen subjektivierend zu durchformen. Die Verfassungsänderungen, auf die sich die Antragstellerin zur Begründung ihrer Behauptung eines umfassenden Kooperationsverhältnisses zwischen Parlament und Regierung im Bereich des Auswärtigen bezogen habe, seien gerade eine Widerlegung dieser These; denn sie beträfen jeweils nur spezielle Tatbestände. Zwar verlange die Verfassung in allgemeinem Sinne fast überall nach Kombinationen und Gewaltenverflechtungen. Dies bedeute jedoch nicht, daß immer dort, wo das Grundgesetz ein Zusammenwirken mehrerer Organe fordere, auch schon ein subjektiv strukturiertes und in diesem Sinne "verdichtetes" Rechtsverhältnis bestünde, das Voraussetzung eines zulässigen Organstreitverfahrens sei. Folge man den Auffassungen der Antragstellerin, so würde das Organstreitverfahren zu einem Instrument allgemeiner Rechtmäßigkeitskontrolle verformt und der Bundestag - jedenfalls im Bereich des Auswärtigen - zu einem privilegierten prozessualen Hüter der Rechtsordnung.
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Ein Rechtsverhältnis, das tauglicher Gegenstand eines Organstreits sein könnte, habe die Antragstellerin auch nicht mit der Rüge einer angeblichen Verletzung des Bundestages in seinen Rechten als verfassungsändernder Gesetzgeber dargetan. Wäre diese Rüge als zulässig anzusehen, so könnte mit der bloßen Behauptung der angeblichen Verfassungswidrigkeit eines Verhaltens der Bundesregierung ein zulässiger Organstreit auf den Weg gebracht werden. Der Versuch der Antragstellerin, eine derartige Ausuferung des Anwendungsbereiches von Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, §§ 63 ff. BVerfGG zu vermeiden, indem sie Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG nur mit Blick auf den Fall von Souveränitätsverfügungen im Sinne des Art. 24 GG und unter Hinweis darauf in Anspruch nehme, daß hier durch ein Verhalten der Bundesregierung völkerrechtliche Verbindlichkeiten entstehen könnten, die einzugehen der Bundesregierung von Verfassungs wegen nicht gestattet wäre, sei zum Scheitern verurteilt. Denn es sei eine allgemeine, nicht auf Fälle der Souveränitätsverfügung beschränkte Erscheinung, daß die Exekutive nach außen als das insoweit maßgebende Organ handle. Der Gedanke der durchgehend versubjektivierten Struktur des gesamten Gebiets der auswärtigen Beziehungen, der dem Vorbringen der Antragstellerin zugrundeliege, finde im geltenden Verfassungsrecht nach alledem keine Stütze.
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Auch die nachträglichen Ausführungen der Antragstellerin zu Art. 59 Abs. 2 GG machten ihren Antrag nicht zulässig. Art. 59 Abs. 2 GG sei zunächst kein eigenständiger Tragpfeiler der Organklage gewesen, sondern nur mit der Behauptung herangezogen worden, daß auch in seinem Anwendungsbereich die Lehren des allgemeinen Gesetzesvorbehalts unverändert Geltung beanspruchen könnten. Dabei sei nicht berücksichtigt worden, daß der allgemeine Gesetzesvorbehalt kein Recht des Bundestages der Bundesregierung gegenüber darstelle, auf das ein Organstreit zulässigerweise gestützt werden könnte. In ihrem Schriftsatz vom 12. Juni 1984 habe die Antragstellerin sodann geltend gemacht, daß die in Rede stehende Zustimmung der Bundesregierung, wiewohl einseitiger und nicht vertraglicher Akt, von grundlegender Bedeutung im Sinne der Wesentlichkeitstheorie sei und daher der Mitwirkung des Bundestages in den Formen des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bedürfe. In der mündlichen Verhandlung habe die Antragstellerin Art. 59 Abs. 2 GG schließlich unmittelbar in Anspruch genommen. Die Antragstellerin habe damit ihre ursprüngliche und allein rechtzeitige Rechtsbehauptung gewissermaßen umgedreht. Es wäre an ihr gewesen, näher darzulegen, wie mit einem derartigen Austausch der tragenden Rechtsbehauptung über die Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG hinwegzukommen sei.
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Im übrigen sei der Antrag unbegründet. Zwar sei der Antragstellerin beizupflichten, wenn sie davon ausgehe, daß im vorliegenden Verfahren das Problem der sogenannten Vorbehaltsrechte der Alliierten hinsichtlich der Stationierung von Streitkräften in der Bundesrepublik Deutschland keine Rolle spiele, weil die in Rede stehende Bewaffnungsentscheidung mit diesen Rechten nichts zu tun habe. Es müsse jedoch überraschen, daß die Antragstellerin aus Art. 24 GG - der Bestimmung, die die Einordnung der Bundesrepublik Deutschland in die internationale Gemeinschaft, insbesondere auch in Systeme der Gewährleistung ihrer Sicherheit, ermögliche - ein wesentliches Argument gegen diese Entscheidung ableiten wolle.
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Die einvernehmliche Zulassung der Ausübung fremder Staatsgewalt auf inländischem Hoheitsgebiet, für die der Fall der Truppenstationierung aufgrund von Vereinbarungen ein besonders gutes Beispiel sei, stelle keine "Übertragung von Hoheitsrechten" im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG dar. Dementsprechend sei auch die Freigabe des Einsatzes in der Bundesrepublik Deutschland stationierter nuklearer Waffen der Vereinigten Staaten durch den amerikanischen Präsidenten keine Ausübung deutscher Hoheitsgewalt, die diesem gemäß Art. 24 Abs. 1 GG "übertragen" worden wäre. Andernfalls müßten eine Vielzahl von Verträgen, die die Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen habe, und eine Vielzahl von Maßnahmen, die überkommener Staatspraxis entsprächen, als gegen Art. 24 Abs. 1 GG verstoßend angesehen werden. Als das Grundgesetz entstanden sei, seien Bündnisse und Allianzen eine seit langem bekannte Erscheinung des Völkerrechts und der Außenpolitik gewesen; die Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in das westliche Bündnissystem habe sich deutlich abgezeichnet. Der Verfassungsgeber habe es nicht für notwendig gehalten, in dieser Hinsicht über Art. 24 Abs. 2 GG hinaus irgendwelche Vorkehrungen zu treffen. Art. 24 Abs. 2 GG in Verbindung mit der Präambel des Grundgesetzes lasse die Einordnung der Bundesrepublik Deutschland in ein Sicherheitssystem zur Bewahrung ihrer Freiheit zu. Der Bundesrepublik Deutschland sei es aufgrund ihrer geographischen Lage nicht möglich, dieses Ziel allein und aus eigener Kraft zu gewährleisten. Es sollten deswegen keine Zweifel daran bestehen, daß die Stationierung fremder Waffensysteme im Rahmen eines Bündnisses aufgrund freier deutscher Entscheidung eine wegen der Besonderheiten der Sicherheitsgewährleistung im Nuklearzeitalter unverzichtbare Beschränkung deutscher Hoheitsrechte darstelle, die im Einklang mit der Verfassung stehe. Die Bundesregierung sei der Auffassung, daß in Art. 24 Abs. 2 GG die Grundlage der Entscheidung für das Bündnis zu sehen sei, in dessen Rahmen sie der Stationierung von Pershing-2-Raketen und Marschflugkörpern zugestimmt habe. Aber auch wenn Art. 24 Abs. 2 GG auf das NATO-Bündnis nicht anwendbar sein sollte, bestehe eine verfassungsrechtliche Ermächtigung zur Eingliederung in das westliche Verteidigungsbündnis. Sie ergebe sich in diesem Falle unmittelbar aus Art. 32 Abs. 1 und Art. 59 GG.
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Art. 25 GG werde durch die Stationierungsentscheidung und ihre Vollziehung nicht verletzt. Das Grundgesetz sei eine besonders völkerrechtsfreundliche Verfassung. Daraus könne aber nicht gefolgert werden, daß der Deutsche Bundestag das Verfassungsorgan sei, das anderen Staatsorganen gegenüber allgemein zum Hüter des Völkerrechts aufgerufen wäre. Das Argument, daß anderes jedenfalls dann gelte, wenn völkerrechtliche Normen in Rede stünden, die Regeln für das Verhalten der Staaten aufstellten, greife zu weit. Denn noch immer sei die überwiegende Zahl der völkerrechtlichen Normen lediglich an die Staaten adressiert. Noch wesentlicher erscheine aber, daß die Antragstellerin von einem Völkerrecht ausgehe, das ihren Idealvorstellungen entspreche, mit der geltenden Völkerrechtsordnung aber nichts gemein habe. Die Bundesrepublik Deutschland habe für sich auf Atomwaffen verzichtet. Ihr Schutz hänge daher entscheidend von der amerikanischen Nukleargarantie ab. Würden die Vorstellungen der Antragstellerin verwirklicht, wäre die Bundesrepublik Deutschland gegen einen mit Atomwaffen oder mit überlegenen konventionellen Kräften vorgetragenen Angriff schutzlos. Die Stationierung solle dazu beitragen, Angriffe gegen die Bundesrepublik Deutschland unter allen Umständen zu verhindern. Sie sei erfolgt, nachdem im Hinblick auf die Stationierung von SS-20-Raketen die Notwendigkeit für Gegenmaßnahmen bestanden habe. Es dürfte nicht vergessen werden, daß derzeit 243 SS-20-Raketen mit insgesamt 729 nuklearen Gefechtsköpfen einsatzbereit seien; 108 dieser Raketen seien westlich des Urals stationiert.
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Nach feststehender NATO-Doktrin könne ein Ersteinsatz von Atomwaffen nur die Antwort auf einen Angriff sein. Mit der Stationierung der hier in Frage stehenden Waffen sei die Problematik des Ersteinsatzes nicht unmittelbar verbunden. Soweit die Antragstellerin Ausführungen zur Unterscheidbarkeit von Angriff und Verteidigung im Nuklearzeitalter gemacht habe, sei ein Bezug zur konkreten Stationierung nicht zu erkennen. Zwar sei der Antragstellerin zuzugeben, daß die Unterscheidung von Angriff und Verteidigung im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten könne. Es sei jedoch der übereinstimmende Wille aller Bündnispartner, beim Auftreten derartiger Schwierigkeiten zu gemeinsamen Lösungen zu finden. Dies bedeute, daß über das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 5 NATO-Vertrag Einigkeit zwischen den Partnern hergestellt werden müsse. Hierbei komme der Stimme der Bundesrepublik Deutschland dasselbe Gewicht zu wie der Stimme der Vereinigten Staaten von Amerika.
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Daß die Stationierung fremder Truppen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland der Zustimmung des Bundestages in Gesetzesform bedürfe, weil sie als solche eine Regelung der politischen Beziehungen des Bundes im Sinne von Art. 59 Abs. 2 GG darstelle und bezüglich des Status der Truppen Gesetzesmaterien betreffe, bedeute nicht, daß auch die Fragen der Bewaffnung im einzelnen einer gesetzlichen Regelung bedürften. Dementsprechend seien weder in die Verträge, die die Bundesrepublik Deutschland in das westliche Verteidigungssystem einbänden, noch in die Zustimmungsgesetze hierzu irgendwelche konkreten Bewaffnungsregelungen aufgenommen worden. Festgelegt worden sei lediglich in Art. 1 Abs. 2 des Aufenthaltsvertrages, daß die Effektivstärke der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Streitkräfte mit Zustimmung der Bundesregierung jederzeit erhöht werden dürfe. Die Bundesregierung vertrete nicht die Auffassung, daß es sich bei der in Rede stehenden Stationierung um eine Erhöhung der Effektivstärke im Sinne dieses Vertrages handle. Dies ergebe sich daraus, daß in der Bundesrepublik Deutschland schon in früherer Zeit Waffen stationiert gewesen seien, die den USA die Möglichkeit eröffnet hätten, von deutschem Boden aus das Territorium der Sowjetunion zu erreichen, daß die konkrete Stationierungsentscheidung eine Reaktion auf die Aufstellung von SS-20-Raketen gewesen sei und daß die Effektivstärke von Streitkräften nicht ohne Blick auf eine bestehende Bedrohung beurteilt werden könne. Deshalb stelle sich die Regelung des Art. 1 Abs. 2 des Aufenthaltsvertrages im vorliegenden Zusammenhang auch nicht als eine verfassungsrechtlich bedenkliche Blankettnorm dar. Für das anhängige Verfahren lasse sich Art. 1 Abs. 2 des Aufenthaltsvertrages entnehmen, daß jede einzelne Stationierungsentscheidung, auch wenn sie nicht auf eine Erhöhung der Effektivstärke im Sinne dieser Vorschrift ziele, im Zusammenwirken zwischen Stationierungsmacht und Bundesregierung getroffen werden könne. Es sei unbestritten, daß zwischen den Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland Konsens über die Aufstellung der neuen Systeme herbeigeführt worden sei. Dies reiche für die Annahme eines Vertrages im Sinne von Art. 59 GG indessen nicht aus. Wo die Ausführung und Erfüllung eines völkerrechtlichen Vertrages, etwa eines Vertrages, durch den eine internationale Organisation oder ein Bündnissystem errichtet werde, laufender, im Einvernehmen erfolgender Handlungen bedürfe, könnten diese Handlungen nicht wiederum als Verträge im Sinne von Art. 59 GG angesehen werden. So sei beispielsweise mit dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den Vereinten Nationen, dem der Bundestag gemäß Art. 59 Abs. 2 GG zugestimmt habe, eine politische Grundentscheidung getroffen worden; einem Beschluß des Sicherheitsrates, der nach dem 7. Kapitel der UN-Satzung für die Bundesrepublik Deutschland sogar dann unmittelbar bindend sein könne, wenn sie ihn nicht gebilligt habe, brauche der Bundestag nicht neuerlich nach Art. 59 Abs. 2 GG zuzustimmen. Ebensowenig bedürfe es einer Zustimmung des Bundestages für einzelne, im Rahmen des NATO-Bündnisses getroffene konkrete Entscheidungen. Im übrigen sei durch die Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung von Pershing-2- Raketen und Marschflugkörpern keine Regelung der politischen Beziehungen der Bundesrepublik erfolgt. Die politischen Beziehungen seien durch den Beitritt zum NATO-Bündnis geregelt worden. Wenn die Bundesregierung die Stationierungsentscheidung als politisch besonders bedeutsam dargestellt habe, so nicht deshalb, weil sie der Auffassung sei, daß mit dieser Entscheidung eine wesentliche Änderung des Kurses der deutschen Politik verbunden sei, sondern weil sie im Gegenteil die Ansicht vertrete, daß gerade in Verfolgung des bisherigen Kurses der deutschen Politik auf eine wider Erwarten eingetretene Situation habe reagiert werden müssen. Wenn in den Niederlanden der Abschluß eines Abkommens über die Stationierung von Marschflugkörpern ins Auge gefaßt sei, so müsse berücksichtigt werden, daß man es dort mit einem ganz anderen verfassungsrechtlichen System, vor allem aber auch mit einer ganz anderen Praxis hinsichtlich der Stationierung fremder Streitkräfte zu tun habe. Durch die Stationierungsentscheidungen der Bundesregierung seien schließlich auch nicht Gegenstände der Gesetzgebung berührt, so daß auch in dieser Hinsicht ein Fall des Art. 59 Abs. 2 GG nicht gegeben sei.
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Die Antwort auf die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland den Aufenthaltsvertrag kündigen könne, wenn sie in die Vorkehrungen zur Verhinderung des Einsatzes hier stationierter Waffen außerhalb des Anwendungsbereichs des NATO- Vertrages kein Vertrauen mehr habe, oder ob sie hieran wegen der Verknüpfung des Aufenthaltsvertrages mit dem Deutschlandvertrag gehindert sei, ergebe sich aus Art. 3 des Aufenthaltsvertrages und den allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Vertragsrechts, wie sie in Art. 56 und Art. 62 der Wiener Konvention über das Recht der Verträge ihren Niederschlag gefunden hätten. Nach Art. 3 des Aufenthaltsvertrages sei eine gewöhnliche Kündigung ausgeschlossen. Dies bedeute, daß eine einseitige Beendigung des Vertrages nur in sehr eingeschränkter Weise erfolgen könne und die Beendigungsregeln des Vertrages grundsätzlich Vorrang hätten. Daß daneben bei einer grundlegenden Änderung der Umstände erörtert werden könnte, ob die Regelung des Art. 62 der Wiener Vertragsrechtskonvention eingreife, stehe auf einem anderen Blatt. Die Bundesregierung sehe keinen Anlaß, sich im gegenwärtigen Zeitpunkt zu dieser Frage zu äußern.
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Die gemeinsame Grundlage des wechselnden Vortrags der Antragstellerin zur Frage, ob die Zustimmungserklärung der Bundesregierung im Hinblick auf die Lehre vom Gesetzesvorbehalt (Wesentlichkeitstheorie) einer eigenen gesetzlichen Grundlage bedurft hätte, bestehe in der Erwägung, Art. 59 GG werde durch die Wesentlichkeitstheorie "konkretisiert". Richtig sei jedoch das Gegenteil: Art. 59 Abs. 2 GG sei eine Ausprägung der Wesentlichkeitstheorie. Er verdichte und konkretisiere die Lehre vom Gesetzesvorbehalt in einem bestimmten Bereich maßgeblich und abschließend, nicht umgekehrt. Die Auffassung der Antragstellerin hätte zur Folge, daß jede bedeutsame neue Situation, in die sich die Handhabung eines völkerrechtlichen Vertrages gestellt sähe, eine Art Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers auslösen müßte. Die gerade auch für den Bereich der Außenpolitik bedeutsamen Grundsätze der Sicherheit und Bestandfestigkeit einmal geschlossener Verträge und der darauf bezogenen Vertragsgesetze wären damit in Frage gestellt. Im übrigen besage die Wesentlichkeitstheorie in der vom erkennenden Senat gebrauchten Formulierung nur, daß die Gesetzesbedürftigkeit die grundlegenden "normativen" Bereiche betreffe. Nach den Darlegungen der Antragstellerin erschienen indessen auch solche exekutiven Maßnahmen im Felde des Auswärtigen und der Verteidigung als gesetzesbedürftig, die als solche nicht Teil eines normativen Bereiches seien. Zu dem Ergebnis, daß die in Rede stehende Zustimmung nicht einer eigenen gesetzlichen Grundlage bedürfe, komme man auch, wenn man von einer unmittelbaren oder analogen Anwendbarkeit des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auf sie ausginge. Die Zustimmungserklärung sei in die vertraglichen Grundlagen eingefügt; dem Verlangen nach gesetzlicher Grundlage sei damit Genüge getan. Daß sie nicht "aufgrund Gesetzes" hätte erteilt werden dürfen, sondern unmittelbar "durch Gesetz" hätte gegeben werden müssen, fordere nicht einmal die Antragstellerin. Der - im Ansatz zutreffende - Gedanke der Antragstellerin, daß neue technische Entwicklungen zu neuartigen Grundrechtsgefährdungen führen und den Gesetzgeber zu einem Eingreifen verpflichten könnten, greife vorliegend ins Leere. Zum einen weise das hier interessierende Waffensystem nicht die Dimension einer neuen technischen Qualität auf. Zum anderen seien die Besonderheiten der Materien des Auswärtigen und der Verteidigung, wie sie u. a. in Art. 87 a GG zum Ausdruck kämen, zu beachten. Darüber hinaus und unabhängig davon sei die Betrachtungsweise der Antragstellerin aber schon ihrer Grundlage nach überdehnt. Wäre, wie die Antragstellerin meine, überall dort, wo Lebensverhältnisse infolge gesellschaftlicher oder technischer Wandlungen in den Bereich staatlicher Regelungen geraten seien, die Verteilung der Regelungskompetenz derart vorzunehmen, daß wesentliche Entscheidungen zu treffen dem Gesetzgeber vorbehalten bliebe, so könnte beispielsweise keine Entscheidung über den Standort einer großtechnischen Anlage ohne spezialgesetzliche Grundlage erfolgen. Eine solche Konsequenz stehe in krassem Gegensatz zur Rechtsprechung des erkennenden Senats.
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Im vorliegenden Verfahren sei schließlich auch zu beachten, daß in Staaten mit freiheitlicher Verfassungsordnung und weiter Prüfungskompetenz der Gerichte der Bereich der auswärtigen Gewalt durchweg als eine Sondermaterie erachtet werde, für die besondere Kriterien gälten. So habe der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten immer wieder hervorgehoben, daß bei der Entscheidung über Fragen, die die auswärtige Gewalt beträfen, die grundsätzliche Zuständigkeit des Präsidenten für diesen Bereich zu berücksichtigen sei und die Gefahr vermieden werden müsse, daß bei der Stellungnahme zu umstrittenen Problemen des Völkerrechts die Gerichte eine andere Haltung einnähmen als die für die Wahrnehmung der auswärtigen Beziehungen zuständigen Organe. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stimme mit diesen Erwägungen des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten überein. Im übrigen erscheine aus denselben Gründen, die das Bundesverfassungsgericht im Fall Schleyer dazu bewegt hätten, eine verfassungsgerichtliche Festlegung der Reaktion des Staates auf Herausforderungen besonderer Art nicht vorzunehmen, bei der Bestimmung etwaiger Grenzen der Selbstverteidigung der Bundesrepublik Deutschland auf einen Angriff eine erhebliche Zurückhaltung geboten. Die Stationierungsentscheidung der Bundesregierung sei Teil einer Verteidigungspolitik, deren Sinn es sei, den Gegner durch Abschreckung von einem Angriff abzuhalten. Würde für ihn die mögliche Reaktion auf einen Angriff kraft einer bestimmten Auslegung des Verfassungsrechts kalkulierbarer gemacht, so könnte dies zur Folge haben, daß die Bedrohung objektiv größer würde.
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Die Bundesregierung tritt dem Beweisantrag der Antragstellerin mit der Begründung entgegen, einer Beweiserhebung bedürfe es nicht, weil die unter Beweis gestellten Behauptungen für das anhängige Verfahren unerheblich seien.
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B. -- I. |
Der Antrag ist zulässig.
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1. Als Fraktion im 10. Deutschen Bundestag ist die Antragstellerin im Verfahren gemäß §§ 13 Nr. 5, 63 ff. BVerfGG parteifähig (BVerfGE 2, 143 [160]; st. Rspr.). Die Bundesregierung, gegen die sich der Antrag richtet, ist gemäß § 63 BVerfGG mögliche Antragsgegnerin.
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2. Der Streitgegenstand im Organstreitverfahren wird nicht allein durch das angegriffene Verhalten des Antragsgegners, sondern auch durch die Bestimmungen des Grundgesetzes begrenzt, gegen die diese Maßnahme oder Unterlassung verstoßen haben soll, § 64 Abs. 2 BVerfGG. Das Bundesverfassungsgericht ist an diese Begrenzung des Streitstoffes gebunden (BVerfGE 2, 347 [367 f.]); § 64 Abs. 2 BVerfGG ist eine zwingende Verfahrensvorschrift (BVerfGE 2, 143 [172]). Einer nachträglichen Änderung des Streitgegenstandes durch Änderung des Antrags kann gegebenenfalls die Frist des § 64 Abs. 3 BVerfGG entgegenstehen.
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Die Antragstellerin hat in ihrem das Verfahren einleitenden Schriftsatz Art. 79 Abs. 1 Satz 1 und Art. 20 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 59 Abs. 2, in ihrem in der mündlichen Verhandlung am 17. Juli 1984 gestellten Antrag demgegenüber Art. 79 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 24 Abs. 1, 25 sowie Art. 59 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 als verletzte Bestimmungen des Grundgesetzes bezeichnet.
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Gleichwohl liegt darin keine Änderung des Streitgegenstandes. Unter Antrag im Sinne des § 64 Abs. 2 BVerfGG ist nicht allein der förmlich beantragte gerichtliche Entscheidungsausspruch (Tenor) zu verstehen; vielmehr ist es zulässig, den Kreis der Bestimmungen des Grundgesetzes, gegen die die beanstandete Maßnahme verstoßen haben soll, auch aus dem Inhalt der Antragsbegründung zu entnehmen (BVerfGE 4, 115 [123]). Würdigt man auf dieser Grundlage ihr Vorbringen, so ergibt sich, daß die Antragstellerin auch andere als die im ursprünglich beantragten Ausspruch bezeichneten Bestimmungen des Grundgesetzes durch das Vorgehen der Bundesregierung als verletzt ansieht. Das ergibt sich insbesondere aus den folgenden Ausführungen in der einleitenden Antragsschrift:
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"Nach Auffassung der Antragstellerin handelt es sich hierbei (bei der Zustimmung der Bundesregierung ohne vorheriges Gesetz) um eine Entscheidung, die in die Rechte des Bundestages als Gesetzgeber, z. T. auch als Verfassungsgesetzgeber eingreift, weil mit ihr eine Übertragung von Hoheitsrechten auf das Staatsoberhaupt eines anderen Landes verbunden ist (Art. 24 Abs. 1), es sich dabei mithin nicht nur um Beschränkungen von Hoheitsrechten zugunsten eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit handelt (Art. 24 Abs. 2); weil damit darüberhinaus der Einsatz von nuklearen Waffen in einem Ausmaß ermöglicht wird, das mit der für die Bundesrepublik Deutschland verbindlichen allgemeinen Regel des Völkerrechts über die Proportionalität von Kriegsrepressalien unvereinbar ist (Art. 25); weil schließlich die durch die Zustimmung rechtlich ermöglichte Stationierung der genannten Raketen eine normative Grundentscheidung darstellt, die wegen ihrer weitreichenden und intensiven Auswirkungen auf die Bürger der Bundesrepublik eine wesentliche Entscheidung im Sinne des Vorbehalts des Gesetzes darstellt (Art. 20 Abs. 3). (Antragsschrift, S. 31 f.).
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... die Antragstellerin macht geltend, daß die Antragsgegnerin durch die geplante Zustimmungserklärung eine Entscheidung trifft, die einer vorgängigen Ermächtigung durch den Bundestag als Gesetzgeber oder als Verfassungsgesetzgeber bedarf. (Antragsschrift, S. 32).
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... geht es ... darum, ob eine völkerrechtlich relevante Erklärung der Bundesregierung die Rechte des Bundestages verletzt. (Antragsschrift, S. 37)."
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Diesen Ausführungen läßt sich in Verbindung mit dem beantragten Entscheidungsausspruch hinreichend deutlich entnehmen, daß die Antragstellerin schon in ihrem verfahrenseinleitenden Schriftsatz Rechte des Bundestages aus Art. 24 Abs. 1 und 2, 25, 20 Abs. 3 sowie 59 Abs. 2 Satz 1 und Art. 79 Abs. 1 Satz 1 GG als verletzt angesehen hat. Ihr in der mündlichen Verhandlung neugefaßter Antrag bewirkte mithin keine Änderung des Streitgegenstandes.
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3. Bezogen auf diesen Streitgegenstand ist die Antragstellerin prozeßführungsbefugt; allerdings sind nicht alle von ihr vorgebrachten Rügen statthaft.
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a) Prozeßführungsbefugt ist, wem gegenüber zur Sache erkannt werden darf. Dies bemißt sich nach Sachnormen (einschließlich Kompetenz- und Verfahrensnormen), und zwar danach, ob der Verfahrensbeteiligte eigene, durch Sachnormen gerade ihm zugeordnete Rechte geltend macht oder im eigenen Namen fremde Rechte geltend machen darf.
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Das Bundesverfassungsgericht hat in ständiger Rechtsprechung anerkannt, daß im Organstreitverfahren eine Fraktion des Bundestages befugt ist, im eigenen Namen auch Rechte, die dem Bundestag gegenüber einem Antragsgegner zustehen können, geltend zu machen (BVerfGE 2, 143 [165]; st. Rspr.); sie handelt insoweit in zulässiger Prozeßstandschaft, als sie sich darauf beruft, daß der Bundestag durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist, § 64 Abs. 1 BVerfGG.
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b) Von dieser Möglichkeit macht die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren Gebrauch. Dabei ist es unschädlich, daß sie nicht, wie es dem Wortlaut des § 67 BVerfGG entspräche, beantragt, einen Verstoß gegen das Grundgesetz, sondern eine Verletzung der Rechte des Bundestages festzustellen. Ersteres wird von diesem Antrag mitumfaßt (vgl. BVerfGE 2, 347 [366 f.]).
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c) Angegriffene "Maßnahme" im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG ist hier die Zustimmungserklärung der Bundesregierung zur Aufstellung der in Rede stehenden Waffensysteme.
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aa) Dem Wortlaut ihres Antrags zufolge sieht die Antragstellerin eine Verletzung der Rechte des Bundestages darin, daß die Bundesregierung es dem Grundgesetz zuwider unterlassen habe, dem Bundestag einen Gesetzentwurf vorzulegen, der sie im Falle seiner Annahme ermächtigte, der Ausrüstung der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika mit nuklear bestückten Raketen vom Typ Pershing-2 und Marschflugkörpern zuzustimmen.
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Dieses Vorbringen wäre nur schlüssig, wenn Gesetzentwürfe dieser Art nicht aus der Mitte des Bundestages eingebracht werden dürften (Art. 76 GG). Von einem Teil des Schrifttums wird die Auffassung vertreten, das Recht, Entwürfe von Zustimmungsgesetzen zu Verträgen im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG beim Bundestag einzubringen, stehe nur der Bundesregierung zu (vgl. Mosler in: Festgabe Bilfinger, 1954, S. 290; ähnlich Hans Schneider, Gesetzgebung, 1982, S. 131; teilweise abweichend: Partsch, VVDStRL 16 [1958], S. 101), während nach anderer Meinung die Regeln des Art. 76 GG "ausnahmslos" gelten (vgl. Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Art. 59 Rdnr. 21). Diese Frage bedarf hier indessen nicht der Entscheidung. Denn die in Rede stehende Zustimmungserklärung der Bundesregierung stellt nicht, wie noch darzulegen ist, eine Vertragsabschlußerklärung im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG dar. Rechtliche Schranken anderer Art, die es verwehrt hätten, den von der Antragstellerin vermißten Gesetzentwurf aus der Mitte des Bundestages einzubringen, sind nicht ersichtlich. Dann aber kann es nicht im Sinne des § 64 BVerfGG Rechte des Bundestages oder Pflichten der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag verletzen, wenn die Bundesregierung lediglich unterläßt, was aus seiner Mitte zu tun der Bundestag nicht gehindert ist. Als Rüge des bloßen Unterlassens einer Gesetzesvorlage verstanden wäre das Begehren der Antragstellerin mithin unzulässig, ihr Antrag zu verwerfen.
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Eine möglicherweise pflichtwidrige Unterlassung der Bundesregierung, eine solche Gesetzesvorlage im Bundestag einzubringen, ergäbe sich auch nicht aus einem von der Antragstellerin behaupteten besonderen verfassungsrechtlichen Kooperationsverhältnis zwischen Bundesregierung und Bundestag im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten. Zwar können sich aus dem Grundsatz, daß Verfassungsorgane bei Inanspruchnahme ihrer verfassungsmäßigen Kompetenzen auf die Interessen anderer Verfassungsorgane Rücksicht zu nehmen haben (vgl. BVerfGE 35, 257 [261 f.]; 45, 1 [39]), Rechte und Pflichten im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG, vor allem Prüfungs-, Unterrichtungs- und Konsultationspflichten ergeben, mit deren Hilfe die anderen Verfassungsorgane in den Stand gesetzt werden sollen, ihre Kompetenzen sachgerecht wahrzunehmen. Die Antragstellerin hat indessen keine Umstände vorgetragen, aus denen sich die Möglichkeit ergeben könnte, die Bundesregierung habe durch ein derartiges pflichtwidriges Unterlassen den Bundestag gehindert, bestehende Kompetenzen in auswärtigen Angelegenheiten wahrzunehmen, oder habe deren Wahrnehmung vereitelt; solche Umstände sind auch nicht ersichtlich. Der Bundestag hat sich mit der Aufstellung der in Rede stehenden amerikanischen Waffensysteme auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland mehrmals eingehend befaßt. Im Bundestag wurde vor und nach der Sitzung der Außen- und Verteidigungsminister der NATO-Mitgliedsstaaten in Brüssel vom 12. Dezember 1979 die mögliche Aufstellung, ihr Umfang und ihre politische Bedeutung erörtert; die Bundesregierung hat dabei jeweils ihre grundsätzliche politische Haltung zu diesen Fragen dargelegt. Am 26. Mai 1981 billigte der Bundestag einen Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und der F.D.P., worin er die Bundesregierung "bei der konsequenten und zeitgerechten Verwirklichung des Beschlusses der NATO vom 12. Dezember 1979 in seinen beiden Teilen" unterstützt. Am 22. November 1983, nachdem die in Genf geführten Verhandlungen über Mittelstreckensysteme bis dahin zu keinem Ergebnis geführt hatten, nahm der Bundestag einen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und der F.D.P. an, worin er "deshalb die Entscheidung der Bundesregierung, entsprechend ihrer Verpflichtung aus dem zweiten Teil des NATO-Doppelbeschlusses fristgerecht den Beginn des Stationierungsprozesses einzuleiten", unterstützt (vgl. 8. Deutscher Bundestag, 194. Sitzung am 14. Dezember 1979, Sten. Ber. S. 15465 ff.; 9. Deutscher Bundestag, 38. Sitzung am 26. Mai 1981, Sten. Ber. S. 2005; 10. Deutscher Bundestag, 36. Sitzung am 22. November 1983, Sten. Ber. S. 2590 ff.).
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bb) Wiewohl seine Prüfung auf den durch den Antrag umschriebenen Verfahrensgegenstand beschränkt ist, ist das Bundesverfassungsgericht indessen nicht an die Wortfassung eines Antrags gebunden (vgl. BVerfGE 1, 14 [39]). Entscheidend ist vielmehr der eigentliche Sinn des mit einem Antrag verfolgten prozessualen Begehrens. Berücksichtigt man hierzu, wie geboten, die Begründung des Antrags, so ergibt sich, daß die Antragstellerin die Verletzung von Rechten des Bundestages darin erblickt, daß die Bundesregierung ihre Zustimmung zur Aufstellung erteilt hat, ohne dazu vorher durch ein besonderes, nach Meinung der Antragstellerin von Verfassungs wegen erforderliches Gesetz ermächtigt worden zu sein. Der Antragstellerin geht es nicht eigentlich darum, ein Gesetzgebungsverfahren einzuleiten; sie will vielmehr festgestellt wissen, daß die Zustimmung zur Aufstellung, weil sie ohne hinreichende gesetzliche Ermächtigung erteilt worden sei, Rechte des Bundestages im Sinne des § 64 BVerfGG verletzt habe. Mit dieser Deutung wird der Verfahrensgegenstand nicht ausgetauscht - dies wäre dem Bundesverfassungsgericht verwehrt (vgl. BVerfGE 2, 347 [367]); es wird lediglich der Sinn des Begehrens klargestellt.
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d) Bei dem von der Antragstellerin vorgetragenen Sachverhalt läßt sich nicht ausschließen, daß der Bundestag durch die angegriffene Zustimmung in Rechten verletzt oder unmittelbar gefährdet worden sein könnte, die ihm durch das Grundgesetz übertragen worden sind, § 64 Abs. 1 BVerfGG.
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aa) Jedenfalls soweit die Antragstellerin eine Verletzung von Rechten des Bundestags aus Art. 79 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 24 Abs. 1 GG und aus Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG rügt, ist sie - in Form der Prozeßstandschaft - antragsbefugt. Art. 24 Abs. 1 und Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG übertragen dem Bundestag Gesetzgebungsbefugnisse im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten und stellen insoweit Rechte des Bundestages im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG dar (vgl. BVerfGE 2, 347 [368, 379]). Die angegriffene Zustimmungserklärung der Bundesregierung ist eine Maßnahme im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten. Es kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß sie einer gesetzlichen Ermächtigung zufolge dieser Vorschriften des Grundgesetzes bedurfte oder die Grenzen vorhandener gesetzlicher Ermächtigungen in verfassungswidriger, die angesprochenen Gesetzgebungsbefugnisse des Bundestages verletzender Weise mißachtete.
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bb) Demgegenüber sind jene Rügen nicht zulässig, mit denen die Antragstellerin eine Verletzung von Rechten des Bundestages im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG daraus herleiten will, daß die in Streit stehende Zustimmung der Bundesregierung wegen ihrer inhaltlichen Auswirkungen auf Grundrechte, wegen der nach Meinung der Antragstellerin in ihr liegenden Preisgabe des verfassungsrechtlich unverzichtbaren Kernbestandes an nationaler Souveränität oder wegen eines möglichen Verstoßes gegen allgemeine Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 GG nicht hätte ergehen dürfen. Weder die Grundrechte, noch die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland noch allgemeine Regeln des Völkerrechts begründen als solche Rechte des Bundestages im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG. Ob etwas anderes gälte, wenn die Bundesregierung im Bereich der Grundrechte einen Gesetzesvorbehalt schlechterdings mißachtete oder sich schlechthin außerhalb des Rahmens eines den Vorbehalt ausfüllenden Gesetzes bewegte, bedarf nicht der Entscheidung; ein solches Verhalten liegt hier nicht vor.
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cc) Unzulässig ist insbesondere die von der Antragstellerin erhobene Rüge, durch die angegriffene Zustimmung seien Rechte des Bundestages aus dem Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG verletzt. Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, daß die Erhöhung der Gefahren für das Leben der durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Grundrechtsträger, die mit der Aufstellung der neuen Waffen einhergehe, vom Gesetzgeber nicht bedacht worden sei. Der Gesetzgeber habe durch Angabe von Kriterien für die Ermittlung der Gefahren und für deren mögliche Qualifikation als verfassungsrechtlich hinnehmbare Restrisiken oder durch Einführung risikomindernder Verfahren dem Grundsatz der bestmöglichen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge Rechnung tragen müssen. Der Gesetzgeber des Jahres 1955, der dem Aufenthaltsvertrag zugestimmt habe, habe die technische Qualität und den Wirkungszusammenhang, auf dem die Risikoerhöhung beruhe, nicht kennen und daher Kriterien für die Scheidelinie zwischen grundrechtsunerheblichen Restrisiken und den Charakter von Grundrechtsverletzungen annehmenden Grundrechtsgefährdungen nicht festlegen können. Auch habe der damalige Gesetzgeber nicht für die Einführung eines Verfahrens Sorge getragen, mit dessen Hilfe die geschilderten Risiken bewältigt werden könnten.
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Mit diesem Vorbringen macht die Antragstellerin nicht geltend, die Bundesregierung habe mit ihrer Zustimmungserklärung die Grenzen der ihr gesetzlich an sich eingeräumten Handlungsmöglichkeiten überschritten. Vielmehr geht sie - jedenfalls im Zusammenhang dieser Rüge - von dem Bestehen dieser Handlungsmöglichkeit als solcher aus, hält es aber für erforderlich, durch Gesetz zusätzliche Tatbestandsvoraussetzungen und Verfahrensregelungen für deren Ausübung vorzusehen. Sie hält das vorliegende Gesetz demnach im Sinne der Wesentlichkeitstheorie für unzureichend. Damit macht die Antragstellerin nicht geltend, daß die Bundesregierung Rechte des Bundestages im Sinne von § 64 Abs. 1 BVerfGG gefährdet oder verletzt habe.
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dd) An der Unzulässigkeit der insoweit (oben bb) erhobenen Rügen ändert auch nichts das Vorbringen der Antragstellerin, die Zustimmung der Bundesregierung scheitere zwar nicht an unabänderlichen materiell-verfassungsrechtlichen Grundsätzen, wohl aber stehe ihr zur Zeit Verfassungsrecht entgegen, welches erst mit verfassungsändernder Mehrheit durch ein entsprechendes Gesetz hätte abgeändert werden müssen. Hierzu führt die Antragstellerin als maßgeblichen Gesichtspunkt insbesondere die nationale Souveränität an. Indessen kann auch dieses Argument nicht zu der gewünschten Ausdehnung der Prüfung auf die hinter den genannten Behauptungen stehenden Sachnormen des Grundgesetzes führen:
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Ist eine staatliche Maßnahme zwar nicht schlechthin durch Art. 79 Abs. 3 GG verwehrt, steht ihr aber nach derzeit geltendem Verfassungsrecht "lediglich" eine änderbare Verfassungsnorm entgegen, so ist in der Tat der Bundestag, freilich nur zusammen mit dem Bundesrat, in der Lage, das Hindernis im Wege der Verfassungsänderung wirksam zu beheben (Art. 79 Abs. 2 GG). Dies gilt unabhängig davon, ob die zur Zeit "im Wege stehende" Verfassungsnorm die Handlungskompetenz für den fraglichen Gegenstand ausschließlich einem anderen als dem "handlungswilligen" Staatsorgan - hier etwa: dem Bundestag statt der Bundesregierung - zuweist, oder ob die Norm inhaltliche Hindernisse aufstellt, die ohne ihre Aufhebung oder Änderung für jedes Staatsorgan einstweilen unüberwindlich sind.
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Für die Frage, wie im Organstreitverfahren ein "Handeln ohne Grundgesetzänderung" im Hinblick auf die Rechte des Bundestages zur Gesetzgebung zu beurteilen ist, kommt es indessen allein darauf an, ob die übergangene Verfassungsnorm, deren Änderung erforderlich gewesen wäre, zumindest auch Rechte des Bundestages zur Gesetzgebung zu gewährleisten bestimmt war. Aufgabe des Organstreitverfahrens ist es, den Umfang der Rechte und Pflichten im Verhältnis zu einem möglichen Antragsgegner zu klären, wenn der Antragsteller geltend macht, daß er oder das Organ, dem er angehört, durch eine Maßnahme oder Unterlassung des Antragsgegners in seinen ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet ist, Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG, § 64 Abs. 1 BVerfGG.
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Diese Umschreibung der Arten möglicher Streitgegenstände des Organstreitverfahrens bedeutet, wie das Bundesverfassungsgericht gerade für das Verfahren zwischen einer Fraktion des Bundestages und der Bundesregierung festgestellt hat, im Gegenschluß: "Ob im übrigen das Verhalten der Bundesregierung gegen das Grundgesetz verstoßen hat, ohne aber die Rechte des Bundestages zu verletzen, kann in diesem Verfahren nicht Gegenstand der Urteilsfindung sein" (BVerfGE 2, 347 [368]). Ausschlaggebend in einem Organstreitverfahren des Bundestages gegen die Bundesregierung sind mithin die - durch das Grundgesetz übertragenen - "Rechte und Pflichten des Bundestages" (vgl. auch BVerfGE 2, 347 [366 f.]).
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Das Grundgesetz hat den Bundestag als Gesetzgebungsorgan, nicht aber als umfassendes "Rechtsaufsichtsorgan" über die Bundesregierung eingesetzt; es hat ihn im Verhältnis zur Bundesregierung als - grundsätzlich auf die Person des Bundeskanzlers bezogenes - politisches Kreations-, Überwachungs- und Revokationsorgan bestellt (vgl. Art. 63 Abs. 1, 43 Abs. 1, 67 Abs. 1 GG sowie auch BVerfGE 2, 347 [371 vor 4.]). Demgemäß läßt sich aus dem Grundgesetz kein "eigenes Recht" des Bundestages dahingehend ableiten, daß jegliches materiell oder formell verfassungswidrige Verhalten der Bundesregierung unterbleibe.
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Mit "Rechten des Bundestages" im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG sind vielmehr allein diejenigen Rechte gemeint, die dem Bundestag zur ausschließlich eigenen Wahrnehmung oder zur Mitwirkung übertragen sind oder deren Beachtung erforderlich ist, um die Wahrnehmung seiner Kompetenzen und die Gültigkeit seiner Akte (etwa der Feststellung des Verteidigungsfalles nach Art. 115 a Abs. 1 GG) zu gewährleisten. Die bloße Tatsache, daß eine angegriffene Maßnahme möglicherweise gegen das Grundgesetz verstößt, reicht nicht schon dafür hin, daß ein parteifähiger Antragsteller auch prozeßführungsbefugt sei. Das Organstreitverfahren ermöglicht dem Antragsteller nicht, eine abstrakte Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit des Verhaltens des Antragsgegners schlechthin anzustrengen. Seine Zulässigkeit bemißt sich vielmehr danach, ob die als verletzt behauptete Bestimmung des Grundgesetzes selbst gerade dem Antragsteller ein Recht zuerkennt. Ein solches Recht im Sinne des § 64 BVerfGG erwächst dem Bundestag auch nicht aus jedweder Bestimmung des Grundgesetzes zufolge des Art. 79 Abs. 1, 2 GG allein deshalb, weil keine dieser Bestimmungen ohne Mitwirkung des Bundestages abgeändert oder aufgehoben werden kann. Nicht weil eine Verfassungsbestimmung nur unter Mitwirkung des Bundestages geändert werden kann, sondern nur dann, wenn sie selbst Rechte oder Pflichten im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG begründet, kann ihre Verletzung befugtermaßen gerügt werden. Die diesbezüglichen Behauptungen der Antragstellerin vermögen ihre Prozeßführungsbefugnis insoweit nicht zu begründen. Eine Gefährdung oder Verletzung von Rechten des Bundestages aus Art. 79 GG selbst steht hier nicht in Streit.
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Im vorliegenden Verfahren ist mithin nicht darüber zu entscheiden, ob die Zustimmung der Bundesregierung zur Aufstellung von nuklear bestückten Raketen der Bauart Pershing-2 und Marschflugkörpern auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in jeder Hinsicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, sondern allein darüber, ob diese Zustimmung Rechte des Bundestages im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG verletzt oder gefährdet hat.
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4. Da eine Maßnahme der Bundesregierung den Gegenstand des vorliegenden Streites bildet und die Antragstellerin behauptet, daß diese Maßnahme gegen Rechte des Bundestages im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG verstoße, ist die Bundesregierung passiv prozeßführungsbefugt; es darf mithin auch ihr gegenüber zur Sache erkannt werden.
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5. Die Antragsfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG ist gewahrt.
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a) Nach § 64 Abs. 3 BVerfGG muß der Antrag, soll er zulässig sein, binnen sechs Monaten, nachdem die beanstandete Maßnahme oder Unterlassung dem Antragsteller bekannt geworden ist, gestellt werden.
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Der vorliegende Antrag ist am 16. November 1983 beim Bundesverfassungsgericht eingegangen. Er bezeichnet sinngemäß als angegriffene Maßnahme die Zustimmung der Bundesregierung zur Aufstellung der in Rede stehenden Waffensysteme auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Diese Zustimmung ist jedenfalls nicht vor dem 16. November 1983 abschließend erteilt worden.
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Auf die so bestimmte Maßnahme wäre jedoch dann für die Frage der Fristwahrung nicht abzustellen, wenn sich ergäbe, daß die Bundesregierung dem Vollzug der Aufstellung abschließend bereits in dem Brüsseler Beschluß der Außen- und Verteidigungsminister der NATO-Staaten vom 12. Dezember 1979 zugestimmt hätte. Wäre dies der Fall, so besäße die Maßnahme vom November 1983, gegen die sich die Antragstellerin wendet, möglicherweise keine eigenständige rechtliche Bedeutung und wäre daher auch möglicherweise nicht geeignet gewesen, selbständig Rechte des Bundestages zu verletzen.
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Ob schon der "Doppelbeschluß" selbst, d. h. die am selben Tage erfolgte Zustimmung der Bundesregierung hierzu, tauglicher Gegenstand eines Organstreitverfahrens gegen die Bundesregierung wäre, kann offenbleiben. Denn die nach dem 16. November 1983 abschließend erteilte Zustimmung der Bundesregierung zum Vollzug des Aufstellungsbeschlusses auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hat jedenfalls eigenständige Rechtswirkungen entfaltet:
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Der Doppelbeschluß ließ die Durchführung des "Ob und Wieviel der Aufstellung" offen; dies sollte vom Ergebnis der in Genf stattfindenden Abrüstungsverhandlungen abhängig bleiben, in ihrem Lichte geprüft werden. Der Beschluß des Bundestages vom 22. November 1983 spricht demgemäß von der "Entscheidung der Bundesregierung, entsprechend ihrer Verpflichtung aus dem zweiten Teil des NATO-Doppelbeschlusses fristgerecht den Beginn des Stationierungsprozesses einzuleiten".
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Der Doppelbeschluß enthielt keine dem Willen der Bundesrepublik Deutschland entzogene "Automatik" hinsichtlich seines Vollzugs; dieser Vollzug sollte vielmehr von vornherein von einem weiteren Akt wertender politischer Erkenntnis, nämlich der Bewertung der Genfer Gespräche seitens der einzelnen Bündnispartner und ihrer Gesamtheit abhängig sein (vgl. in diesem Sinne auch den Bundesminister der Justiz Engelhard am 14. September 1983 vor dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages [10. WP., Sten. Prot. Nr. 6, S. 5 ff.]). Diese Bewertung durch die Bundesregierung mit der Folge ihrer gegenüber den Bündnispartnern und dem Bündnis kundgegebenen Feststellung, die Genfer Verhandlungen seien bislang ohne befriedigendes Ergebnis geblieben, hat erst den letzten Ausschlag dafür gegeben, die Aufstellung der in Rede stehenden Waffensysteme einzuleiten. Die Entscheidung war nicht eine bloße "Nachbedingung". Gerade angesichts des - schon 1979 ins Auge gefaßten - Zeitraumes von rund vier Jahren zwischen dem Doppelbeschluß und dem Stationierungsbeginn stand für die Bundesrepublik Deutschland im Dezember 1979 noch nicht endgültig fest, ob und in welchem Umfang sie 1983 der Aufstellung der Waffensysteme auf ihrem Gebiet zustimmen würde.
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Die "Feststellung und Verlautbarung" der Bundesregierung vom November 1983 war mithin von deutscher Seite ein wesentlicher - wenn nicht der wesentlichste - Akt auf dem Wege zur Freigabe der Aufstellung der Waffensysteme auf deutschem Boden. Wie immer man den Zusammenhang zwischen dem Brüsseler Beschluß vom 12. Dezember 1979 einerseits und der Würdigung der Ergebnisse der Genfer Abrüstungsverhandlungen durch die Bundesregierung andererseits rechtlich qualifiziert - ob als aufschiebende oder als auflösende Bedingung für die Verbindlichkeit der deutschen Zustimmungserklärung -: Für die Frage des Beginns der Antragsfrist nach § 64 Abs. 3 BVerfGG kann es im vorliegenden Zusammenhang nur auf den Zeitpunkt der verlautbarten Würdigung des Genfer Verhandlungsergebnisses durch die Bundesregierung und ihre damit verbundene Entscheidung, den Brüsseler Beschluß nunmehr zu vollziehen, ankommen. Daran gemessen ist der Antrag jedenfalls nicht verspätet gestellt.
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b) Die Antragstellerin hat ihren das Organstreitverfahren einleitenden Antrag gestellt, noch bevor die Bundesregierung dem Vollzug der Aufstellung zugestimmt hatte. Dieser Antrag war zunächst als solcher des vorbeugenden Rechtsschutzes gegen die nach Ansicht der Antragstellerin drohende Verletzung der Rechte des Bundestages zur Gesetzgebung gedacht (Antragsschrift, S. 33 f.). Bereits dem einleitenden Schriftsatz ließ sich jedoch zugleich die Absicht der Antragstellerin klar entnehmen, nach einer etwaigen Zustimmung der Bundesregierung mit dem Antrag nachträglichen Rechtsschutz gegen die dann ihrer Ansicht nach eingetretene Verletzung der Rechte des Bundestages zu begehren. Angesichts dessen bedurfte es keines neuerlichen - nunmehr nachträglichen Rechtsschutz begehrenden - Antrags der Antragstellerin, um die Antragsfrist des § 64 Abs. 3 BVerfGG zu wahren.
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a) Das auch im Organstreitverfahren auf seiten des Antragstellers erforderliche Rechtsschutzbedürfnis ist nicht in jedem Fall schon damit dargetan, daß der Antragsteller die Verletzung oder unmittelbare Gefährdung der Rechte und Pflichten des Organs, dem er angehört, im einzelnen darlegt (vgl. BVerfGE 2, 347 [365 f.]). Zwar wird durch einen derartigen Sachvortrag in aller Regel die rechtliche Schutzwürdigkeit des auf Feststellung der Rechtsverletzung gerichteten Begehrens hinreichend belegt sein. Im Einzelfall kann es indessen anders liegen.
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dient das Organstreitverfahren zwischen einer Fraktion des Bundestages und einem anderen obersten Bundesorgan unter anderem dem Schutz der in der Fraktion verkörperten Parlamentsminderheit (vgl. BVerfGE 45, 1 [29 f.]). Dieser Gedanke ist auch dort nicht ohne weiteres unbeachtlich, wo die Fraktion nicht eigene Rechte, sondern - wie hier - Rechte des Bundestages geltend macht: Wäre die antragstellende Fraktion in der Lage gewesen, die nunmehr gerügte Verletzung der Rechte des Bundestages durch eigenes Handeln rechtzeitig zu vermeiden, so wäre es zumindest fragwürdig, ihr Rechtsschutzbedürfnis für ein Organstreitverfahren ungeachtet ihrer diesbezüglichen parlamentarischen Untätigkeit anzuerkennen. Auf diese Weise hätte es die betreffende Fraktion in der Hand, ohne triftigen Grund parlamentarisches Handeln durch verfassungsgerichtliche Schritte zu ersetzen. Die in einem solchen Vorgehen liegende Politisierung des Organstreitverfahrens liefe dem Grundgedanken von Verfassungsgerichtsbarkeit zuwider. Aufgabe der Verfassungsgerichtsbarkeit ist es, in den gesetzlichen Verfahrensarten anhand rechtlicher Maßstäbe darüber zu entscheiden, ob zumal bei Ausübung öffentlicher Gewalt - und sei es auch in hochpolitischen Angelegenheiten - die Verfassung beachtet worden ist; es ist indes nicht ihre Aufgabe, ersatzweise politische Entscheidungen zu treffen, etwa parlamentarischen Mehrheiten oder Minderheiten zu politisch erwünschten Ergebnissen zu verhelfen oder ihnen politisch unerwünschte Ergebnisse zu vereiteln. Daß Entscheidungen der Verfassungsgerichtsbarkeit politische Auswirkungen haben, liegt in der Natur der Entscheidungsgegenstände und letztlich darin begründet, daß das Gemeinwesen die politische Grundentscheidung getroffen hat, die Ausübung öffentlicher Gewalt einer Rechtsordnung zu unterstellen und über deren Beachtung Gerichte entscheiden zu lassen.
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b) Für das vorliegende Verfahren steht der Antragstellerin ein Rechtsschutzbedürfnis für den geltend gemachten Streitgegenstand zur Seite:
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Geht man - mit der erwähnten Meinung im Schrifttum - davon aus, daß im vorliegenden Fall allein die Bundesregierung das Recht zur Einleitung eines Gesetzgebungsverfahrens besaß, so kann der Antragstellerin ihre parlamentarische Untätigkeit insoweit nicht entgegengehalten werden.
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Aber auch wenn es der Antragstellerin von Verfassungs wegen freigestanden hat, einen Gesetzentwurf im Bundestag einzubringen, beseitigt es ihr Rechtsschutzbedürfnis nicht, daß sie von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht hat. Mit der Antragstellerin ist davon auszugehen, daß ihr angesichts ihrer politischen Einstellung lediglich hätte angesonnen werden können, einen Gesetzentwurf einzubringen, der der Bundesregierung untersagt hätte, der Stationierung zuzustimmen. Nach den konkret bestehenden Mehrheitsverhältnissen war nicht zu erwarten, daß ein solcher Gesetzentwurf vom Bundestag verabschiedet worden wäre. Seine Vorlage durch die Antragstellerin hätte mithin den gegenwärtigen Streit nicht verhütet, nicht das von ihr mit dem vorliegenden Organstreitverfahren begehrte rechtliche Ziel auf einem näherliegenden Weg erreicht.
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C. |
Der Antrag ist unbegründet.
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I. |
Außer Streit steht, daß die Bundesregierung der Aufstellung der in Rede stehenden Waffensysteme auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zugestimmt hat, und daß hierfür ein besonderes Gesetz, das sie zu dieser Zustimmung ausdrücklich ermächtigt hätte, nicht erlassen worden ist.
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Die angegriffene Zustimmung ist im Rahmen des nordatlantischen Verteidigungssystems erteilt worden. Seine rechtliche Mitte bilden der Nordatlantikvertrag vom 4. April 1949 (in der Fassung vom 17. Oktober 1951 - BGBl. 1955 II S. 289), der Brüsseler Vertrag vom 17. März 1948 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit und über kollektive Selbstverteidigung (Vertrag über die Westeuropäische Union [WEU] in der Fassung vom 23. Oktober 1954 - BGBl. 1955 II S. 283) sowie der Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland (BGBl. 1955 II S. 253). Der Aufenthaltsvertrag wurde zwischen der Bundesrepublik Deutschland, den Vereinigten Staaten von Amerika, dem Vereinigten Königreich von Großbritannien und Nordirland sowie der Französischen Republik abgeschlossen; ihm sind die gemäß seinem Artikel 2 beitrittsberechtigten Staaten, die NATO-Mitglieder Belgien, Dänemark, Kanada, Luxemburg und die Niederlande, beigetreten; er trat für alle Beteiligten am 6. Mai 1955 (BGBl. 1955 II S. 630) in Kraft, dem selben Tag, an dem der Nordatlantikvertrag und der Vertrag über die Westeuropäische Union für die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich in Kraft getreten sind. Der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Vertragswerken und der Abschluß des Aufenthaltsvertrages standen politisch und zeitlich im engsten Zusammenhang mit dem Abschluß des Vertrags über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten (Deutschlandvertrag) vom 26. Mai 1952 nebst Zusatzverträgen (in der Fassung vom 23. Oktober 1954 - BGBl. 1955 II S. 305), der am 5. Mai 1955 zur Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe seines Art. 1 geführt hatte (vgl. BGBl. 1955 II S. 628; AHKABl. S. 3272). Diese Verträge schufen den rechtlichen Rahmen für den "deutschen Verteidigungsbeitrag" zur "Verteidigung der freien Welt", der in Art. 4 Abs. 1 Deutschlandvertrag und im Vorspruch zum Aufenthaltsvertrag angesprochen ist. Sie verstehen sich als Vertragssystem zur kollektiven Selbstverteidigung im Sinne des Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen - SVN - (vgl. Vorspruch und Art. 3, 7 NATO-Vertrag; Vorspruch und Art. V, VI WEU-Vertrag). Nach Art. IV des Vertrages über die Westeuropäische Union arbeiten die Parteien "und alle von ihnen im Rahmen des Vertrags geschaffenen Organe eng mit der Organisation des Nordatlantikvertrags zusammen. Da der Aufbau einer Parallelorganisation zu den militärischen NATO- Stäben unerwünscht ist, sind der Rat und sein Amt in militärischen Angelegenheiten hinsichtlich Auskunftserteilung und Beratung auf die zuständigen militärischen NATO-Stellen angewiesen."
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II. |
Die angegriffene Zustimmungserklärung ist ein verteidigungspolitischer Akt im Rahmen dieses vertraglichen Sicherheitsbündnisses und seines Vollzugs; sie besitzt nicht die Rechtsnatur einer selbständigen Vertragsabschlußerklärung; Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist auf sie weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.
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1. Bei der Zustimmung handelte es sich um eine rechtserhebliche Erklärung im Rahmen eines völkerrechtlichen Vertragssystems, nicht lediglich um eine rein politische Absichtserklärung, die, weil sie rechtlicher Wirkungen ermangelte, schon um dessentwillen nicht unter den sachlichen Anwendungsbereich des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG fiele. Dabei mag dahinstehen, ob es sich bei dem Brüsseler Doppelbeschluß um einen Organakt des NATO-Rates oder um einen Akt besonderer Art der Bündnispartner handelte; diese haben dem Beschluß - wenngleich im Hinblick auf das Ergebnis der Genfer Abrüstungsverhandlungen noch nicht abschließende - Verbindlichkeit zugemessen. So spricht die Verlautbarung über die Brüsseler Tagung vom 12. Dezember 1979 von einem "Modernisierungsbeschluß, einschließlich einer verbindlichen Festlegung auf Dislozierungen" (vgl. Bulletin der Bundesregierung 1979, S. 1410, unter Nr. 11 a, vgl. auch Nr. 7); auch die Bundesregierung hat in Festlegungen des Doppelbeschlusses "Verpflichtungen" erblickt (vgl. die Rede des Bundeskanzlers vor dem Bundestag am 3. Dezember 1981, Bulletin der Bundesregierung 1981, S. 995).
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Die Rechtserheblichkeit der Zustimmungserklärung der Bundesregierung ergibt sich jedenfalls daraus, daß mit der nach dem 16. November 1983 abschließend erteilten Zustimmung zum Vollzug des Brüsseler Doppelbeschlusses die Bundesrepublik Deutschland zugleich den Vereinigten Staaten von Amerika in deren Eigenschaft als NATO-Bündnispartner völkerrechtlich gestattete, die in Rede stehenden Waffensysteme in dem festgelegten Umfang auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufzustellen. Dabei kann hier dahinstehen, ob diese Zustimmung gemäß Art. 1 Abs. 2 Aufenthaltsvertrag erforderlich war, oder, wie der Prozeßbevollmächtigte der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung sinngemäß ausführte, deshalb nicht unter den Anwendungsbereich dieser Vertragsbestimmung fiele, weil im Hinblick auf die erfolgte Aufstellung sowjetischer Mittelstreckensysteme die Aufstellung der in Rede stehenden amerikanischen Systeme nicht die Effektivstärke der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Streitkräfte im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Aufenthaltsvertrag erhöhe. Selbst wenn der Begriff der Effektivstärke dieses kompensatorische Element umfassen sollte - eine Auslegung des Begriffs hätte auch die bisherige einvernehmliche Anwendungspraxis der Vertragsparteien zu beachten -, würde die Rechtserheblichkeit der erfolgten Zustimmungserklärung nicht entfallen; sie hätte zumindest rechtlich klarstellende Wirkung mit allen Folgen, die das Völkerrecht an klarstellende Rechtsakte knüpft.
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2. Die angegriffene Zustimmungserklärung war nicht Bestandteil eines völkerrechtlichen Vertragsabschlusses. Zwar ist es keineswegs ausgeschlossen, daß Organ- oder sonstige Kollektivakte internationaler Vertragsgemeinschaften zugleich inhaltsgleiche Verträge der Mitgliedsstaaten darstellen, wenn sie mit entsprechendem Willen vorgenommen werden. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft etwa bedienen sich gelegentlich dieser Form, insbesondere um mögliche Kompetenzmängel der Gemeinschaft auf diese Weise zu überbrücken oder außer Streit zu stellen. Es bedarf indessen besonderer Anhaltspunkte, um derartige Doppelfunktionen auszumachen.
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Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte oder Umstände ersichtlich, die darauf hindeuten, daß die Zustimmungserklärung der Bundesregierung darauf gerichtet gewesen wäre, zugleich einen zwei- oder mehrseitigen Vertrag über die Stationierung der in Rede stehenden Waffensysteme abzuschließen. Auch lassen sich weder der Verlautbarung vom 12. Dezember 1979 über den "Doppelbeschluß" noch dem Verhalten der Vereinigten Staaten von Amerika als möglichem Vertragspartner derartige Anhaltspunkte entnehmen.
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3. Gründe für die Annahme, die Erklärung der Bundesregierung sei völkerrechtlich unwirksam und könne die Bundesrepublik Deutschland daher nicht binden, sind nicht erkennbar. Die für die Bundesrepublik Deutschland auftretenden Minister des Auswärtigen und für Verteidigung waren für die Abgabe dieser Erklärung nach deutschem Verfassungsrecht zumindest kraft einer vom Bundespräsidenten stillschweigend erteilten Vollmacht befugt, ihn in seiner Eigenschaft als das für die Abgabe einer solchen Erklärung nach Art. 59 Abs. 1 Satz 1 GG zuständige Organ zu vertreten (vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980, S. 223 ff.). Hinzu kommt, daß nach allgemeinem Völkerrecht der Außenminister eines Staates befugt ist, bindende Erklärungen - auch der hier in Rede stehenden Art - abzugeben (vgl. zum Beispiel Art. 7 Abs. 2 Buchst. a des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969). Daß die Erklärung an anderen völkerrechtlichen Mängeln litte, ist nicht ersichtlich.
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Wie der Senat schon in seinem Beschluß vom 16. Dezember 1983 (BVerfGE 66, 39 [64 f.]) festgestellt hat, verstößt die angegriffene Zustimmungserklärung auch nicht gegen eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts. Die Antragstellerin hat keine dahingehende allgemeine Übung und Rechtsüberzeugung der Staatenpraxis aufzuzeigen vermocht; der Senat teilt demgegenüber die Beurteilung der völkerrechtlichen Lage, wie sie vom Prozeßbevollmächtigten der Bundesregierung vorgetragen worden ist.
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4. Völkerrechtliche Erklärungen der vorliegenden Art bedürfen zu ihrer Abgabe nicht der Zustimmung oder Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG.
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a) In der deutschen Staatspraxis sind seit jeher einseitige völkerrechtliche Willenserklärungen im Rahmen bestehender zwei- oder mehrseitiger Verträge grundsätzlich nicht einem derartigen Zustimmungserfordernis unterworfen worden. Das gleiche gilt für sonstige einseitige völkerrechtliche Willenserklärungen, wenn man von Sonderregelungen, wie völkerrechtlichen Erklärungen über das Bestehen des Verteidigungsfalles gemäß Art. 115 a Abs. 5 GG, absieht. So sind beispielsweise die Anerkennung zahlreicher fremder Staaten, der Abbruch diplomatischer Beziehungen zu fremden Staaten, die Inanspruchnahme des deutschen Festlandsockels und von Fischereizonen in der Nord- und Ostsee oder die Kündigung völkerrechtlicher Verträge von der Bundesrepublik Deutschland vorgenommen worden, ohne daß der Bundestag diesen Akten seine Zustimmung in der Form eines Bundesgesetzes erteilt hätte. Diese Praxis entspricht einschlägigen rechtlichen Stellungnahmen in weiten Teilen des wissenschaftlichen Schrifttums (vgl. u. a. Scheuner, Der Bereich der Regierung in: Festschrift Smend, 1952, S. 284; Mosler, Das Völkerrecht in der Praxis der deutschen Gerichte, 1957, S. 22 f.; Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Grundgesetz, Art. 59 Rdnr. 17; Partsch, Parlament und Regierung im modernen Staat, VVDStRL 16 [1958], S. 98; Bayer, Die Aufhebung völkerrechtlicher Verträge im deutschen parlamentarischen Regierungssystem, 1969, S. 206 ff.; Rojahn in: von Münch [Hrsg.], Grundgesetz-Kommentar, Band 2, 2. Aufl., 1983, Art. 59 Rdnr. 51 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz, 6. Aufl., 1983, Art. 59 Rdnr. 14; Treviranus, Außenpolitik im demokratischen Rechtsstaat, 1966, S. 56 ff., 70; von Münch, Rechtsfragen der Raketenstationierung, NJW 1984, S. 581; abweichender Auffassung sind Friesenhahn, VVDStRL 16 [1958], S. 70 und Baade, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik Deutschland, 1962, S. 121 f., Fn. 117).
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b) Eine Ausdehnung des Zustimmungserfordernisses nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auf andere Akte als Vertragsabschlußerklärungen ist mit dem Wortlaut der Bestimmung nicht vereinbar. Auch eine analoge Anwendung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG hierauf scheidet aus.
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Anknüpfend an Art. 45 Abs. 3 der Weimarer Reichsverfassung und seine Handhabung, nach der einseitige Völkerrechtsgeschäfte, wie die Kündigung völkerrechtlicher Verträge, als der Zustimmung des Reichstags nicht bedürftig angesehen wurden (vgl. die Nachweise bei Bayer, a.a.O., S. 200 f.), beschränkt Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG - im Gegensatz zu Art. 81 Abs. 2 des Herrenchiemsee-Entwurfs (vgl. JöR n.F. 1 [1951], S. 413 ff.) - das Erfordernis der gesetzlichen Zustimmung ausdrücklich auf bestimmte Arten völkerrechtlicher Verträge. Dementsprechend wird etwa eine völkerrechtliche Abmachung, die nicht dem Begriff des "politischen Vertrages" unterfällt und sich nicht auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung bezieht, von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auch dann nicht erfaßt, wenn sie bedeutsame Auswirkungen auf die inneren Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland hat (vgl. BVerfGE 1, 372 [382]; Mosler in: Festgabe Bilfinger, 1954, S. 295 f.).
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Ob dieser Befund allein schon geeignet wäre, eine entsprechende Anwendung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auf Erklärungen der hier in Rede stehenden Art auszuschließen, kann dahinstehen. Denn durchgreifende Bedenken gegen eine solche Anwendung ergeben sich jedenfalls aus der Stellung von Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG im Gefüge der grundgesetzlichen Zuordnung staatlicher Aufgaben zu bestimmten Funktionen und ihren Trägern.
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Gewiß räumt Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG - wie auch eine Reihe weiterer Vorschriften des Grundgesetzes - dem Bundestag in bestimmtem Umfang Mitwirkungsbefugnisse an der Willensbildung für die Vornahme von Akten im Bereich der auswärtigen Beziehungen ein. Die betroffenen Sachbereiche, in denen diese Mitwirkung verfassungsrechtlich gewährleistet ist, und die Handlungsform, in der das von Verfassungs wegen geschieht, sind auch politisch wie rechtlich von solchem Gewicht, daß sie nicht als Ausnahmen angesprochen werden können. Geschichtlich gesehen drückt sich in diesen Regelungen die Tendenz zur verstärkten Parlamentarisierung der Willensbildung im auswärtigen Bereich aus. Gleichwohl beschränkt Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG diese Mitwirkung sowohl gegenständlich auf Verträge der dort genannten Art als auch inhaltlich auf eine bloße Zustimmung in der Form eines Bundesgesetzes. So kann der Bundestag kraft Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG weder verhindern oder erzwingen, daß die Bundesregierung Vertragsverhandlungen unterläßt, aufnimmt oder abbricht oder Vertragsentwürfe bestimmten Inhalts gestaltet, noch kann er erzwingen, daß ein Vertrag, zu dem ein Zustimmungsgesetz im Sinne des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ergangen ist, von der Exekutive auch abgeschlossen oder nach seinem Abschluß völkerrechtlich beendet oder aufrechterhalten wird; die Sonderregelung des Friedensschlusses in Art. 115 l Abs. 3 GG bleibt hiervon unberührt. Über die Befugnis hinaus, die Exekutive in Gesetzesform verfassungsrechtlich zum Abschluß von Verträgen der genannten Art zu ermächtigen oder nicht zu ermächtigen, verleiht Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG den gesetzgebenden Körperschaften keine Initiativ-, Gestaltungs- oder Kontrollbefugnis im Bereich der auswärtigen Beziehungen. Der Vorschrift kann auch nicht entnommen werden, daß immer dann, wenn ein Handeln der Bundesregierung im völkerrechtlichen Verkehr die politischen Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland regle oder Gegenstände der Bundesgesetzgebung betreffe, die Form eines der gesetzgeberischen Zustimmung bedürftigen Vertrages gewählt werden müsse, wie die Antragstellerin meint.
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Diese strikte Begrenzung der den gesetzgebenden Körperschaften im Rahmen des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eingeräumten Befugnisse ist ein Element der Gewaltenteilung, wie sie das Grundgesetz ausgestaltet hat. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG ist im Lichte des Art. 20 Abs. 2 GG auszulegen. Die dort als Grundsatz normierte organisatorische und funktionelle Unterscheidung und Trennung der Gewalten dient zumal der Verteilung von politischer Macht und Verantwortung sowie der Kontrolle der Machtträger; sie zielt auch darauf ab, daß staatliche Entscheidungen möglichst richtig, das heißt von den Organen getroffen werden, die dafür nach ihrer Organisation, Zusammensetzung, Funktion und Verfahrensweise über die besten Voraussetzungen verfügen, und sie will auf eine Mäßigung der Staatsgewalt insgesamt hinwirken. Die Konzentration politischer Macht, die darin läge, dem Bundestag in auswärtigen Angelegenheiten - über die ihm im Grundgesetz zugeordneten Befugnisse hinaus - zentrale Entscheidungsbefugnisse exekutivischer Natur zuzuordnen, liefe dem derzeit vom Grundgesetz normierten Gefüge der Verteilung von Macht, Verantwortung und Kontrolle zuwider. Daran ändert es nichts, daß - auf der Ebene des Bundes - allein die Mitglieder des Bundestages unmittelbar vom Volk gewählt sind. Die konkrete Ordnung der Verteilung und des Ausgleichs staatlicher Macht, die das Grundgesetz gewahrt wissen will, darf nicht durch einen aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden (BVerfGE 49, 89 [124 ff.]). Auch der Grundsatz der parlamentarischen Verantwortung der Regierung setzt notwendigerweise einen Kernbereich exekutivischer Eigenverantwortung voraus (BVerfGE 67, 100 [139]). Die Demokratie, die das Grundgesetz verfaßt hat, ist eine rechtsstaatliche Demokratie, und das bedeutet im Verhältnis der Staatsorgane zueinander vor allem eine gewaltenteilende Demokratie.
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Eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG auf nichtvertragliche Akte der Bundesregierung gegenüber fremden Völkerrechtssubjekten, auch insoweit diese Akte politische Beziehungen regeln, würde angesichts der überragenden Bedeutung, die heutzutage der Außenpolitik für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zukommt, einen Einbruch in zentrale Gestaltungsbereiche der Exekutive darstellen; sie verlagerte in weitem Umfang politische Macht zu Lasten der Exekutive auf den Bundestag in einem Handlungsbereich, der funktionell betrachtet nicht Gesetzgebung im Sinne des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG darstellt. Denn die Vornahme der hier in Rede stehenden Akte auf der Ebene des Völkerrechts vermag als solche grundsätzlich nicht schon innerstaatlich geltende Rechtssätze zu erzeugen. Die grundsätzliche Zuordnung der Akte des auswärtigen Verkehrs zum Kompetenzbereich der Exekutive beruht auf der Annahme, daß institutionell und auf Dauer typischerweise allein die Regierung in hinreichendem Maße über die personellen, sachlichen und organisatorischen Möglichkeiten verfügt, auf wechselnde äußere Lagen zügig und sachgerecht zu reagieren und so die staatliche Aufgabe, die auswärtigen Angelegenheiten verantwortlich wahrzunehmen, bestmöglich zu erfüllen. Der Tendenz zur verstärkten Parlamentarisierung der auswärtigen Gewalt, die auch in Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG Ausdruck gefunden hat, läuft dies nicht zuwider; denn unter dem Grundgesetz beziehen auch die Organe der vollziehenden Gewalt ihre institutionelle und funktionelle demokratische Legitimation aus der in Art. 20 Abs. 2 GG getroffenen Grundentscheidung des Verfassungsgebers (BVerfGE 49, 89 [125]). Sie besitzen auch die personelle demokratische Legitimation, die über eine Kette individueller, auf die Aktiv-Bürgerschaft zurückführender Berufungs- oder Abberufungsakte, hier insbesondere gemäß Art. 38, 63, 64 und 67 GG, vermittelt wird (vgl. Herzog in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Grundgesetz, Art. 20 Rdnr. 50-53).
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Dies verwehrt es, das Zustimmungserfordernis des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG unter Berufung auf das Demokratieprinzip des Grundgesetzes auf Akte der hier in Rede stehenden Art zu erstrecken.
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Daran ändert auch nichts, daß über derartige Akte der Exekutive im Einzelfall möglicherweise eine völkerrechtliche Bindung der Bundesrepublik Deutschland herbeigeführt wird, die schwer oder überhaupt nicht gelöst werden kann oder die sonstige Wirkungen erzeugt, die nicht oder nur schwer beseitigt werden können; ob dergleichen durch die angegriffene Zustimmung bewirkt worden ist, kann deshalb hier dahinstehen. Zwar hat das Erfordernis des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG, daß Verträge der dort genannten Art zu ihrem Abschluß der Zustimmung durch Gesetz bedürfen, gewiß den Sinn, langfristige oder gar grundsätzlich unauflösliche Bindungen völkerrechtlicher Art nicht ohne Zustimmung des Bundestages eintreten zu lassen. Dies könnte für eine erweiternde oder entsprechende Anwendung der Vorschrift auf nichtvertragliche völkerrechtliche Akte mit entsprechender Tragweite sprechen. Dem ließe sich auch nicht entgegenhalten, daß derartig weittragende völkerrechtliche Wirkungen bei nichtvertraglichen Akten nur selten vor kämen; die Anerkennung von fremden Staaten, von Gebietsveränderungen, Grenzen und sonstigen Hoheitslinien oder von völkerrechtlichen Rechtsverhältnissen etwa können sehr wohl vergleichbar weittragende Bedeutung besitzen und sind, wenn ohne Vorbehalt erfolgt, grundsätzlich unwiderruflich. Von gleicher Bedeutung können auch Erklärungen im Rahmen der Konsultationsverfahren des NATO-Bündnisses sein.
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Die Organisation der grundgesetzlichen Demokratie beruht indes, wie dargelegt, nicht darauf, alle Handlungen und Entscheidungen, die aus sich oder in ihren Folgen von politisch weittragender oder existentieller Bedeutung sind, dem Parlament zuzuweisen oder es daran in Gesetzesform zu beteiligen. Auch die Exekutive, und innerhalb ihrer besonders die Regierung, ist als "politische" Gewalt ausgestaltet und nicht etwa von vornherein auf politisch weniger bedeutsame Entscheidungen beschränkt. Die Staatsgewalt in allen ihren Funktionen ist nach dem Grundgesetz, wenn auch in unterschiedlicher Weise, demokratisch konstituiert und legitimiert und auf dieser Grundlage gewaltenteilig organisiert. Es ist daher keineswegs ein Defizit an Demokratie, wenn die Exekutive im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten auch ausschließliche Befugnisse zu weittragenden, möglicherweise existentiellen Entscheidungen besitzt. Deshalb sind mit dieser Kompetenzverteilung allfällig verbundene politische Risiken von Verfassungs wegen hinzunehmen.
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Dem Bundestag, der solche Entscheidungen mißbilligt, verbleiben - auch in auswärtigen Angelegenheiten - seine parlamentarischen Kontrollbefugnisse; er kann gegebenenfalls einen neuen Bundeskanzler wählen und damit den Sturz der bisherigen Regierung bewirken; er kann von seinen Haushaltskompetenzen Gebrauch machen - eine Zustimmungskompetenz für Akte der hier in Rede stehenden Art erkennt ihm Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG nicht zu.
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III. |
Art. 24 Abs. 1 GG ist nicht verletzt.
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1. Mit ihrer Zustimmung hat die Bundesrepublik Deutschland nach Maßgabe des Beschlusses der Außen- und Verteidigungsminister der NATO-Staaten vom 12. Dezember 1979 den Vereinigten Staaten von Amerika in deren Eigenschaft als Partner eines vertraglichen Verteidigungsbündnisses und in dessen rechtlichem Rahmen gestattet, nuklear bestückte Raketen der Bauart Pershing-2 und Marschflugkörper jeweils bestimmter Zahl auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland aufzustellen. Nach den von den Bündnispartnern abgesprochenen Richtlinien liegt die Befugnis, den militärischen Einsatz dieser Waffensysteme freizugeben, beim Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika; er hat dabei jedenfalls vor Einsätzen selektiver Art die Bündnispartner zu konsultieren, wobei besonderes Gewicht auf die Meinung jener Bündnispartner zu legen ist, von deren Boden aus ein möglicher Einsatz erfolgt oder die das Trägermittel oder den nuklearen Sprengkopf bereitstellen. Dieses Konsultationsverfahren kann entfallen, wenn die Kürze der Zeit oder sonstige äußerste Lagen, wie die Verteidigung gegen einen Überraschungsangriff, dazu zwingen. Die Befugnis zum militärisch-operativen Einsatz der in Rede stehenden Systeme obliegt bei der gegenwärtigen Kommandostruktur des Bündnisses nach Freigabe der operativen Befehlslage dem Alliierten Oberbefehlshaber des Bündnisses in Europa (SACEUR). Diese Entscheidungsstruktur stellt in Rechnung, daß die Vereinigten Staaten das größte Atomwaffenpotential unter den Bündnispartnern besitzen und daher in besonderem Maße befähigt und gefordert sind, den Schutz der Bündnispartner gegen Angriffe zu gewährleisten.
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a) Die Erlaubnis, die in Rede stehenden amerikanischen Waffensysteme auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufzustellen, stellt für sich allein noch keine Übertragung von Hoheitsrechten im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG dar; die Bundesrepublik Deutschland hat damit allein nicht ein vordem tatsächlich gegebenes oder rechtlich mögliches ausschließliches Herrschaftsrecht zugunsten fremder Hoheitsgewalt zurückgenommen (vgl. BVerfGE 37, 271 [280]; 59, 63 [90]). Weder die Gebiets- noch die Personalhoheit der Bundesrepublik Deutschland etwa erleiden dadurch zusätzliche Einschränkungen. Ausschlaggebend ist indessen, daß nach Auffassung der Bundesregierung (vgl. Bundesminister der Justiz, Verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Fragen der Nachrüstung, 1983, S. 28) das Entscheidungsrecht über den Einsatz dieser Systeme "Bestandteil der Stationierung" und mit ihr untrennbar verbunden ist.
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Diese Rechtswirkung der Zustimmung kommt einer Übertragung von Hoheitsrechten im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG gleich. Einsatzfreigabe und militärisch-operativer Einsatz dieser Waffen vom Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus können für die Geltungsdauer der angegriffenen Zustimmungserklärung nicht allein von der Bundesrepublik Deutschland bestimmt werden; sie hat diesen insoweit zuvor bestehenden, ausschließlichen rechtlichen Herrschaftsanspruch, zumal im Hinblick auf die integrierte Kommandostruktur des Bündnisses, zugunsten nichtdeutscher Hoheitsgewalt zurückgenommen. Daran ändert nichts, daß sich die Bundesrepublik Deutschland bereits zuvor aufgrund des Art. 2 des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen vom 1. Juli 1968 (BGBl. 1974 II S. 786) verpflichtet hatte, die Verfügungsgewalt über Kernwaffen oder Kernsprengkörper von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen und Kernwaffen oder Kernsprengkörper weder herzustellen noch sonstwie zu erwerben. Gegenüber dieser obligatorischen Bindung, die ohnedies im Lichte des Art. 51 SVN auszulegen ist, stellt die hier in Rede stehende Zustimmung eine selbständige Rechtsgrundlage im Rahmen des genannten Bündnissystems dar; sie bliebe beispielsweise von einer Beendigung des Nichtverbreitungsvertrages unberührt.
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b) Diese Übertragung von Hoheitsrechten ist nicht schlechthin auf die Vereinigten Staaten von Amerika erfolgt. Wäre dies der Fall, so griffe Art. 24 Abs. 1 GG jedenfalls nicht unmittelbar ein; er setzt voraus, daß Hoheitsrechte auf eine "zwischenstaatliche Einrichtung" übertragen werden.
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Die angegriffene Zustimmungserklärung gestattet den Vereinigten Staaten von Amerika die Freigabeentscheidung über den Einsatz der in Rede stehenden Waffensysteme ausschließlich in ihrer Eigenschaft und in der Funktion eines Bündnispartners nach Maßgabe des NATO-Vertragswerks, insbesondere der für die Einsatzfreigabe vereinbarten Konsultationen und der Einsatzrichtlinien sowie der zugehörigen Planungen. Sie bezieht sich auf die besagten Waffensysteme nur als Waffen des NATO-Bündnisses mit der daraus folgenden Begrenzung ihrer Verwendbarkeit für die Aufgaben und Zwecke des Bündnisses.
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Diese vertragliche Lage ist - jedenfalls aus der verfassungsrechtlichen Sicht des Art. 24 Abs. 1 GG - insgesamt dahin zu werten, daß der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika dadurch mit einer besonderen Bündnisfunktion betraut ist; soweit er eine Freigabeentscheidung in dem Rahmen fällt, der von der angegriffenen Zustimmungserklärung der Bundesregierung gezogen wird, kann er als besonderes Organ des Bündnisses betrachtet werden. Im übrigen sprechen auch erhebliche völkerrechtliche Gesichtspunkte dafür, daß ein solches Handeln des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika dem Bündnis als solchem zuzurechnen sein würde.
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Dieses verfassungsrechtliche Ergebnis wird auch dadurch gestützt, daß in der Verlautbarung über den Brüsseler Beschluß der Außen- und Verteidigungsminister der NATO-Staaten vom 12. Dezember 1979 unter Nr. 7 vom LRTNF-Potential der NATO die Rede ist. Ferner werden Trägersysteme wie Sprengköpfe, deren Aufstellung die Bundesregierung zugestimmt hat, bei Einheiten der Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika in der Bundesrepublik Deutschland geführt; sie sind in die operative Planung der integrierten NATO-Kommandostäbe einbezogen und unterstehen nach der gegenwärtigen Befehlsstruktur bei Auslösung der operativen Befehlslage, dem sogenannten operational command, dem Alliierten Oberbefehlshaber des Bündnisses in Europa (SACEUR).
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c) Die angegriffene Zustimmung, soweit sie rechtliche Wirkungen für die Einsatzfreigabe und die militärisch-operativen Einsatzentscheidungen entfaltet, ist somit als Übertragung von Hoheitsrechten im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG auf die Organisation des Nordatlantikpakts zu qualifizieren. Hieran ändert nichts, daß der Alliierte Oberbefehlshaber des Bündnisses in Europa bisheriger Übung zufolge zugleich amerikanischer Offizier ist und als solcher der Befehlshoheit der Vereinigten Staaten von Amerika untersteht. Die hier angegriffene Zustimmung der Bundesregierung ist, wie dargelegt, allein auf die Stationierung und den Einsatz der in Rede stehenden Waffensysteme im Rahmen des Bündnissystems bezogen.
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aa) Die NATO ist eine zwischenstaatliche Einrichtung im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG. Dies ist im wissenschaftlichen Schrifttum weithin unbestritten. Der Annahme, daß die angegriffene Zustimmungserklärung Hoheitsrechte im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG auf die NATO übertragen hat, steht weder entgegen, daß der NATO-Vertrag es jedem Vertragsstaat überläßt zu beurteilen, ob ein Bündnisfall im Sinne des Art. 5 Abs. 1 vorliegt, und wenn ja, in welcher Weise er seiner Beistandspflicht genügt, noch daß den Kommandostäben des Bündnisses vor Auslösung der operativen Befehlslage keine Befehlsgewalt gegenüber jenen Streitkräften zusteht, die von Mitgliedsstaaten diesen Stäben zum Zwecke der operativen Planung im Rahmen der einschlägigen Entschließungen des Nordatlantikrats zugeordnet worden sind; ebensowenig steht entgegen, daß den Beschlüssen des NATO-Rats grundsätzlich nur empfehlende Wirkung zukommt, die Zuordnung von Streitkräften zur operativen Planung von den einzelnen Mitgliedsstaaten möglicherweise widerrufen werden kann, oder der Vertrag gemäß seinem Art. 11 Satz 1 von den Mitgliedsstaaten "in Übereinstimmung mit ihren verfassungsmäßigen Verfahren" durchgeführt wird. Art. 24 Abs. 1 GG setzt nicht voraus, daß die Zurücknahme deutscher Hoheitsgewalt zugunsten der zwischenstaatlichen Einrichtung unwiderruflich ist. Ebensowenig fordert er, daß die aktuelle Inanspruchnahme übertragener Hoheitsrechte nicht davon abhängig sein dürfe, daß die Mitgliedsstaaten der zwischenstaatlichen Einrichtung je für sich bestimmte Arten internationaler Lagen in bestimmter Weise bewerten.
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Ausschlaggebend ist vielmehr, daß der deutsche Übertragungsakt eine unerläßliche Rechtsgrundlage für den Fall der aktuellen Inanspruchnahme dieser Hoheitsrechte darstellt. Das ist hier der Fall. Die angegriffene Zustimmungserklärung bildet eine im Rahmen des Bündnissystems rechtlich unerläßliche Voraussetzung dafür, daß die Vereinigten Staaten von Amerika in ihrer Eigenschaft als Bündnispartner und im Rahmen der rechtlichen Bindungen des Bündnissystems über die Einsatzfreigabe, und die zuständigen integrierten militärischen Befehlsstellen des Bündnisses über den militärisch-operativen Einsatz der in Rede stehenden, auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland stationierten Waffensysteme entscheiden dürfen. Daran ändert auch nichts, daß sich diese Entscheidungsbefugnis gegebenenfalls erst in der Zukunft aktualisiert und im Rahmen des Bündnissystems von weiteren sachlichen und verfahrensmäßigen Voraussetzungen abhängig ist, bevor sie in Anspruch genommen werden darf. Die Zustimmungserklärung der Bundesregierung ermöglicht von Rechts wegen die vertragsgemäße Inanspruchnahme; darin liegt schon jetzt eine Übertragung von Hoheitsrechten im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG.
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Aus Art. 24 Abs. 1 GG läßt sich nicht herleiten, daß hierfür bereits vor Auslösung der operativen Befehlslage eine unmittelbare Befehlsgewalt der integrierten NATO-Kommandostellen gegenüber deutschen Streitkräften oder Bewohnern des Bundesgebiets rechtlich gegeben sein müsse. Ihm kann ferner nicht entnommen werden, daß eine Übertragung von Hoheitsrechten immer nur dann anzunehmen sei, wenn der zwischenstaatlichen Einrichtung eine unmittelbare Durchgriffsbefugnis gegenüber Einzelnen eingeräumt wird. Daher kann hier offenbleiben, ob angesichts der derzeit bestehenden Zuordnung der Bundeswehreinheiten zur NATO ein unmittelbarer Befehlsdurchgriff nach Auslösung operativer Befehlslagen auch im Zusammenhang mit Einsatzentscheidungen über die in Rede stehenden Waffensysteme gegeben ist.
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Auch der Umstand, daß sich die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an der Freigabeentscheidung für den Einsatz der in Rede stehenden Waffensysteme förmlich auf das Konsultationsverfahren beschränkt, und sie kein Mitentscheidungsrecht - auch nicht in der Form eines Vetorechts - besitzt, schließt die Anwendbarkeit des Art. 24 Abs. 1 GG nicht aus. Diese Entscheidungsstruktur stellt, wie erwähnt, die besondere Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika als der Atomgroßmacht des Bündnisses und die von der Bundesrepublik Deutschland vertraglich akzeptierte Politik der Nichtverbreitung von Kernwaffen in Rechnung. Jedenfalls für diesen politisch sehr sensiblen Bereich läßt sich aus Art. 24 Abs. 1 GG nicht das Erfordernis ableiten, daß die Bundesrepublik Deutschland, um Hoheitsrechte übertragen zu dürfen, notwendigerweise ein förmliches Mitentscheidungsrecht besitzen müsse. Es kann dahinstehen, ob eine Übertragung zulässig wäre, wenn jeglicher Einfluß der Bundesrepublik Deutschland auf die Entscheidungen der zwischenstaatlichen Einrichtungen ausgeschlossen wäre, oder sie gegenüber anderen vergleichbaren Staaten nur einen diskriminierten Status einnähme. Beides ist hier nicht der Fall.
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bb) Die Bundesregierung selbst sieht zwar die erteilte Zustimmung nicht als Übertragung von Hoheitsrechten im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG an; dies steht indes einer anderen verfassungsrechtlichen Beurteilung durch das Bundesverfassungsgericht nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht mißt damit der angegriffenen Zustimmungserklärung auf der völkerrechtlichen Ebene keine andere Bedeutung zu als die Bundesregierung. Ob das in Rede stehende Bündnissystem, wie es die Auffassung der Antragsgegnerin ist, auch ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG ist, und die Bundesrepublik Deutschland im Rahmen dieses Systems mit ihrer Zustimmung in Beschränkungen ihrer Hoheitsgewalt eingewilligt hat, bedarf hier nicht der Entscheidung.
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2. Die Übertragung von Hoheitsrechten, die hier in Rede steht, ist auch materiell mit Art. 24 Abs. 1 GG vereinbar; sie bedurfte weder einer vorangehenden Änderung des Wortlauts des Grundgesetzes, noch verletzt sie Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG.
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a) Art. 24 Abs. 1 GG ermöglicht sehr wohl, im Rahmen eines Verteidigungsbündnisses Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zur Stationierung verbündeter Streitkräfte zur Verfügung zu stellen und dem Verteidigungszweck des Bündnisses dienliche Befehlsstrukturen über diese Streitkräfte und ihren Einsatz zuzulassen.
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Es gehörte schon zum Charakter herkömmlicher Militärbündnisse, daß Streitkräfte anderer Bündnispartner auf dem Territorium eines Bündnispartners Durchmarsch-, Aufenthalts- und Einsatzrechte hatten, ohne daß sie der Hoheitsgewalt dieses Bündnispartners unterworfen oder in seine Streitkräfte eingegliedert waren. Das mochte eine vorübergehende Einschränkung oder Minderung der Souveränität des betreffenden Bündnispartners bewirken, aber eine solche Einschränkung und Minderung war nicht mehr als eine unerläßliche Voraussetzung für den Schutz, den er - etwa mangels hinreichender eigener Kraft - im Bündnis suchte.
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Ebenso ist es heute der Sinn einer mit der Übertragung von Hoheitsrechten verbundenen Stationierung, den Schutz der Bundesrepublik Deutschland vor Angriffen zu gewährleisten, und damit der Integrität ihrer Verfassungsordnung wie ihrer Souveränität zu dienen. Sowohl der Gesetzgeber bei seiner Zustimmung zum Bündnissystem wie die Bundesregierung bei Erteilung der hier angegriffenen Zustimmung haben dies offensichtlich angenommen. Die Bundesregierung hat in der mündlichen Verhandlung durch den Bundesminister für Verteidigung ihre Auffassung dargelegt, daß auf sowjetischer Seite ein Ausmaß an Aufrüstung vorliege, das weder durch westliche Rüstungsmaßnahmen herausgefordert worden noch durch sowjetische Sicherheitsinteressen gerechtfertigt sei, und das zumal die strategische Einheit des Bündnisses in Europa in Frage stelle; angesichts der sowjetischen Haltung zur Frage, ein annäherndes Gleichgewicht bei Mittelstreckenwaffen herzustellen, sei dem Bündnis keine andere Wahl geblieben, als mit der 1979 vereinbarten Stationierung der in Rede stehenden Waffensysteme nunmehr zu beginnen.
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Einschätzungen und politische Wertungen dieser Art obliegen der Bundesregierung. Das Grundgesetz zieht dieser Beurteilungsmacht nur die Grenze offensichtlicher Willkür. Das Bundesverfassungsgericht hat innerhalb dieser äußersten Grenze nicht nachzuprüfen, ob Einschätzungen und Wertungen dieser Art zutreffend oder unzutreffend sind, da es insoweit rechtlicher Maßstäbe ermangelt; sie sind politisch zu verantworten.
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Im vorliegenden Fall läßt sich nicht feststellen, daß insoweit verfassungsrechtliche Grenzen verletzt worden sind.
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b) Nach Art. 24 Abs. 1 GG ist es dem Gesetzgeber vorbehalten, selbst zu entscheiden, ob und in welchem Umfang Hoheitsrechte auf eine zwischenstaatliche Einrichtung übertragen werden sollen. Die Übertragung erfolgt durch völkerrechtliche Akte; die Ermächtigung hierzu muß "durch Gesetz" erfolgen. Dieser verfassungsrechtlichen Anforderung ist im vorliegenden Fall durch das Gesetz betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag vom 24. März 1955 (BGBl. II S. 256) sowie durch das Gesetz betreffend den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland vom 24. März 1955 (BGBl. II S. 253) genügt; beide Gesetze müssen hierbei im Zusammenhang des Bündnissystems gesehen werden, dessen Bestandteile die Verträge bilden.
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Der Aufenthaltsvertrag ist eine vertragliche Rechtsgrundlage für die Stationierung verbündeter Streitkräfte im Bundesgebiet (vgl. die Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Zustimmungsgesetzes, BTDrucks. II/1060, S. 8). Die Stationierungsbefugnisse auf deutschem Boden sind den Partnern dieses Vertrages um ihrer Stellung als Mitglieder der nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft willen und im Hinblick auf die daraus entspringenden Verpflichtungen eingeräumt worden. Dies erhellt aus dem erwähnten geschichtlichen Zusammenhang des Abschlusses beider Verträge mit der Bundesrepublik Deutschland; auch der Wortlaut des Aufenthaltsvertrages selbst, insbesondere seines Art. 1 Abs. 4, sowie die Begründung des Regierungsentwurfs des Zustimmungsgesetzes (a.a.O., insbesondere die Vorbemerkung) lassen diesen Zusammenhang als von den Vertragsstaaten gewollt erkennen.
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Die angegriffene Zustimmung ist durch gesetzliche Ermächtigung gedeckt:
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aa) (1) Der Nordatlantikvertrag enthält keine Vorschriften, die der NATO der Zustimmungserklärung entsprechende Befugnisse ausdrücklich zuerkennen. Hieraus folgt indessen nicht, daß im vorliegenden Fall den Anforderungen des Art. 24 Abs. 1 GG nicht genügt wäre. Wie der Senat in seinem Beschluß vom 23. Juni 1981 (BVerfGE 58, 1 [36 f.]) entschieden hat, ist die sachliche Reichweite des Gesetzesvorbehalts in Art. 24 Abs. 1 GG auch mit Blick auf die Art und Weise zu bestimmen, in der Einrichtungen im Sinne dieser Vorschrift auf der zwischenstaatlichen Ebene errichtet werden und funktionieren. Dies geschieht typischerweise im Rahmen eines Integrationsprozesses. In seinem zeitlichen Verlauf sind zahlreiche einzelne Vollzugsakte erforderlich, um den im Gründungsvertrag angestrebten Zustand herbeizuführen. Die Rechtsformen, in denen sich das vollzieht, können vielfältig sein. Auch dort, wo nicht schon der Gründungsvertrag selbst den Ablauf eines Integrationsprozesses nach Inhalt, Form und Zeitpunkt festgelegt hat, bedarf es für die einzelnen Vollzugsschritte nicht von vornherein jeweils eines gesonderten Gesetzes im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG. Es ist dort entbehrlich, wo bereits der Gründungsvertrag, dem durch Gesetz zugestimmt worden ist, diesen künftigen Vollzugsverlauf hinreichend bestimmbar normiert hat. Wesentliche Änderungen des dort angelegten Integrationsprogramms und seiner Vollzüge sind allerdings nicht mehr von dem ursprünglichen Zustimmungsgesetz nach Art. 24 Abs. 1 GG gedeckt. Die Maßstäbe solcher hinreichenden Bestimmbarkeit müssen dabei aus der jeweiligen Eigenart des vom Gründungsvertrag geregelten Lebenssachverhalts im Lichte der durch Art. 24 Abs. 1 GG geschützten Rechtsgüter wie auch der durch die Vorschrift ermöglichten Gestaltungsfreiheit und ihrer Praktikabilität im internationalen Bereich entnommen werden.
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(2) Gemessen hieran bedurfte die Übertragung von Einsatzbefugnissen über die in Rede stehenden, in der Bundesrepublik Deutschland stationierten Waffensysteme durch die angegriffene Zustimmung der Bundesregierung nicht eines gesonderten Gesetzes nach Art. 24 Abs. 1 GG:
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Im Vorspruch zum Nordatlantikvertrag haben die Bündnispartner ihre Entschlossenheit bekräftigt, die Bemühungen für die gemeinsame Verteidigung und für die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit zu vereinigen. In Art. 3 des Vertrages wurde vereinbart, um die Vertragsziele besser zu verwirklichen, einzeln und gemeinsam durch ständige wirksame Selbsthilfe und gegenseitige Unterstützung die eigene und die gemeinsame Widerstandskraft gegen bewaffnete Angriffe zu erhalten und fortzuentwickeln. Art. 9 des Vertrages bestimmt, daß der NATO- Rat unverzüglich einen Verteidigungsausschuß einzusetzen hat; dieser hat Maßnahmen zur Durchführung des Art. 3 und des Art. 5, der eine Beistandspflicht im Falle eines bewaffneten Angriffs begründet, zu empfehlen. Der genannte Vorspruch und die aufgeführten Bestimmungen zeigen, daß der NATO-Vertrag wesentlich auch auf die Möglichkeit einer fortschreitenden Organisation und Integration der Verteidigungsanstrengungen und Verteidigungskräfte für den geschützten Bereich gerichtet ist. Daß dieses im Vertrag angelegte Programm nicht näher umschrieben und der politische wie rechtliche Verlauf, in dem es verwirklicht werden kann, nicht genauer vorgezeichnet ist, liegt in der Eigenart des Sachbereichs begründet, den der Vertrag regelt. Die angemessene Organisation gemeinsamer Verteidigung und die hierfür erforderlichen Vorkehrungen können wegen der laufenden Veränderung des politischen und strategischen Umfeldes, das die Bündnispartner einzeln und in ihrer Verbundenheit umgibt, etwa der Veränderung der politischen und strategischen Kräfte oder Konzeptionen eines möglichen Angreifers, sowie angesichts des ständigen Wandels anderer sicherheitspolitisch bedeutsamer Verhältnisse und Umstände, wie der Fortentwicklung von Waffentechnologie und Waffentechnik von welcher Seite auch immer, im voraus nicht abschließend festgelegt werden. Detaillierte vertragliche Vorgaben über strategische Konzeptionen und Planungen, über Organisation, Art, Umfang und Stationierung von Streitkräften und ihrer Bewaffnung sowie über Befehlsstrukturen könnten sich unter den gegenwärtigen Umständen im Hinblick auf das Ziel des Vertrages, Sicherheit und Frieden für die Vertragsparteien zu gewährleisten, sehr rasch als überholt erweisen. Diese Dynamik kennzeichnet den Sachbereich, den die Bündnisverträge zu regeln unternommen haben. Soll der Bündniszweck erreicht werden, müssen rasche und anpassungsfähige Maßnahmen möglich sein, deren Inhalt und Rechtsformen sich im voraus nicht vollständig bestimmen lassen. Nur vergleichsweise offene Bestimmungen, wie sie der Nordatlantikvertrag enthält, sind hierfür angemessen. Im Lichte dessen erscheint der Nordatlantikpakt als ein Vertragswerk, dessen Vorschriften das in ihm als möglich angelegte Integrationsprogramm im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG hinreichend bestimmt umschreiben. Bündnispolitische Maßnahmen innerhalb dieses Rahmens bedürfen nicht jeweils gesonderter Zustimmung in Gesetzesform zufolge des Art. 24 Abs. 1 GG, auch nicht im Sinne einer "Nachbesserung" der gesetzlichen Ermächtigung. So liegt es hier:
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Das Programm der militärischen Integration stand dem Gesetzgeber bei der Verabschiedung des Gesetzes über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag hinreichend deutlich vor Augen. Auf der Londoner Neun-Mächte-Konferenz vom 28. September bis 3. Oktober 1954 hatten die an der Konferenz teilnehmenden Mächte, die Mitglieder der NATO waren, unter Abschnitt IV der Schlußakte vereinbart, der NATO zu empfehlen, die Organisation dadurch zu stärken, daß grundsätzlich alle auf dem Kontinent stationierten Streitkräfte der NATO-Staaten der Befehlsgewalt des Alliierten Oberbefehlshabers des Bündnisses in Europa unterstellt würden ("shall be placed under the authority"). Der Wortlaut dieser Übereinkunft lag dem Bundestag bei seiner Beschlußfassung ebenso vor (vgl. BTDrucks. II/ 1000, S. 50) wie die Entschließung des NATO-Rates zur Durchführung dieses Abschnitts der Schlußakte der Londoner Konferenz (vgl. BTDrucks. II/1061, S. 61 ff.). Dementsprechend ist in der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des Gesetzes betreffend den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag von einer "integrierten Streitmacht" (BTDrucks. II/1061, S. 47) und in dem Besonderen Bericht des Ausschusses für Fragen der europäischen Sicherheit zu diesem Gesetzentwurf von einer "einheitlichen Organisation" durch Integration und gemeinsame Kommandostellen die Rede (BTDrucks. II/1200, S. 50; vgl. auch die Äußerung des Abgeordneten Brandt [Berlin] in der 69. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages am 24. Februar 1955, Sten. Ber., S. 3526).
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Der Bundestag hat bei der Verabschiedung dieses Gesetzes auch nicht einen ausdrücklichen oder stillschweigenden Vorbehalt hinsichtlich der Art und des Umfanges der maßgeblichen Bewaffnung von Streitkräften oder der möglichen Befugnisse der NATO in der Frage des Einsatzes bestimmter Arten von Waffen, insbesondere von Atomwaffen, von deutschem Boden aus gemacht. Dem Gesetzgeber war bei seiner Beschlußfassung insbesondere die Lagerung von Atomwaffen auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland bekannt (vgl. die Ausführungen im Generalbericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten zum Entwurf des Gesetzes über den Beitritt zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag [BTDrucks. II/1200, S. 49], die Äußerungen des Abgeordneten Erler in der 70. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages am 25. Februar 1955 [Sten. Ber., S. 3723, 3729, 3732] und die Äußerungen des Bundeskanzlers Adenauer in dieser Sitzung [a.a.O., S. 3736]). Es gibt keine Anzeichen dafür, daß der Bundestag mit dem Zustimmungsgesetz eine Betrauung von NATO- Organen mit Befugnissen zum Einsatz atomarer Waffen, die auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland stationiert sind, ausgeschlossen oder einem gesonderten Gesetz vorbehalten wissen wollte.
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(3) Eine wesentliche Änderung des Bündnisprogramms, dem der Gesetzgeber beim Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Bündnisgefüge zugestimmt hat, würde auch dann nicht vorliegen, wenn man die von der Antragstellerin angenommene qualitativ neue strategische Dimension der in Rede stehenden Waffensysteme bei ihrer Aufstellung auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland als zutreffend unterstellte. Die grundsätzliche Zielrichtung des Bündnissystems als eines Verteidigungsbündnisses, wie es in den genannten vertraglichen Rechtsgrundlagen festgelegt ist, bleibt davon unberührt. Daß im zeitlichen Verlauf eines derartigen, langfristig angelegten Verteidigungsbündnisses (vgl. Art. 13 NATO-Vertrag, Art. XII Abs. 3 WEU-Vertrag) zufolge der oben angesprochenen Dynamik der politischen Lagen und technologischen Entwicklungen Risiken und strategische Lagen sich - mitunter sehr rasch - ändern können, verteidigungspolitische und militärische Doktrinen und Strategien anpassungsfähig bleiben müssen, soll der Zweck des Bündnisses erreicht werden, war dem Gesetzgeber nicht verborgen geblieben; weder dem Grundgesetz noch den Zustimmungsgesetzen zu den genannten Verträgen läßt sich entnehmen, daß Akte der Bundesregierung im Rahmen des Bündnissystems, wie die Antragstellerin sie hier angreift, aus diesem Grunde einer besonderen gesetzlichen Ermächtigung bedürften. Daß die Bundesregierung mit ihrer Zustimmungserklärung Angriffsabsichten verbände und diese Erklärung deshalb nicht nur gegen Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG verstieße, sondern auch den Ermächtigungsrahmen der genannten Zustimmungsgesetze überschritte, hat die Antragstellerin nicht behauptet; dafür fehlen auch jegliche Anhaltspunkte. Jenseits dieser rechtlichen Grenzen aber obliegt es der außen- und verteidigungspolitischen Beurteilungs- und Handlungsmacht der Exekutive, solche Lagen, Entwicklungen und Risiken zu beurteilen und Entscheidungen zu treffen. Dabei kann hier dahinstehen, ob und in welchem Umfang der Gesetzgeber im Hinblick auf Art. 20 Abs. 2 GG der Exekutive besondere normative Bindungen für derartige Beurteilungen und Entscheidungen auferlegen könnte; er hat dies im vorliegenden Zusammenhang nicht getan.
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Insbesondere überschreitet es nicht die verfassungsrechtlichen Grenzen dieser Beurteilungsmacht der Exekutive, daß die Bundesregierung die Annahme der Antragstellerin nicht teilt, durch die behauptete qualitativ neue strategische Dimension der in Rede stehenden Waffensysteme sowie durch angeblich erforderliche rechnergesteuerte und damit fehleranfällige Warnsysteme werde das Risiko eines präventiven sowjetischen atomaren Angriffs oder das Risiko, daß ein Atomkrieg versehentlich ausgelöst werde, erheblich erhöht.
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Nach Auffassung der Bundesregierung müßte die Sowjetunion bei einem beabsichtigten Präventivangriff vor allem einen Gegenschlag des westlichen Bündnisses einkalkulieren; die Vorkehrungen der Sowjetunion hiergegen würden derart umfänglich zu sein haben, daß sie der westlichen Aufklärung nicht verborgen bleiben könnten. Damit aber erhöhe sich das Risiko eines sowjetischen Präventivangriffs auf die in der Bundesrepublik Deutschland stationierten, hier in Rede stehenden Waffensysteme gerade nicht, zumal auch die Beweglichkeit dieser Systeme es ausschließe, daß sie sämtlich durch einen Überraschungsschlag ausgeschaltet werden könnten. Diese Einschätzung läßt verfassungsrechtliche Mängel nicht erkennen; sie verstößt auch nicht gegen die rechtlichen Bindungen aus den Bündnisverträgen.
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Nichts anderes gilt für die Auffassung der Bundesregierung, daß die technischen Eigenschaften der in Rede stehenden Waffensysteme ihren Abschreckungszweck erhöhten und die Schwelle für einen Atomkrieg gerade deshalb nicht senkten, sowie ihre Auffassung zu der Frage, ob das Bündnis durch die Stationierung die Fähigkeit erlange, einen "Enthauptungs"- oder "Lähmungs" schlag gegen die Sowjetunion zu führen. Schon der Hinweis des Bundesministers für Verteidigung in der mündlichen Verhandlung, daß das Bündnis nicht daran interessiert sei, einen Konflikt "auszukämpfen", sondern ihn möglichst umgehend mit politischen Mitteln beizulegen, und deshalb ein Interesse daran habe, die Kommunikationsmöglichkeit mit der gegnerischen Führung zu erhalten, schließt es aus, diese Einschätzung als verfassungsrechtlich fehlerhaft zu beanstanden.
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Entsprechendes gilt für die Auffassung der Bundesregierung, daß es nicht zufolge fehleranfälliger technischer Systeme zu einem "Krieg aus Versehen" komme. Schon bislang hätten Fehler in technischen Systemen nicht zu kritischen Situationen oder gar ernsthaften Vorbereitungen für einen Einsatz von Nuklearwaffen geführt. Es bestünden nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür, daß geplant sei, in NATO-Staaten oder in der Sowjetunion die letzte Entscheidung über den Einsatz von Kernwaffen einer rechnergesteuerten Automatik zu überlassen. Abkommen zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika dienten dazu, einen Kriegsausbruch aus Versehen zu verhüten. Verfassungsrechtliche Fehler läßt diese Einschätzung nicht erkennen; ob sie im übrigen zutrifft oder ob auch andere Einschätzungen möglich sind, darüber hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu befinden.
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Eine wesentliche Änderung des Bündnisprogramms, dem der Gesetzgeber mit dem Beitritt zu dem Bündnissystem zugestimmt hat, wird auch nicht dadurch bewirkt, daß, wie die Antragstellerin meint, die Bundesregierung durch die angegriffene Zustimmung eine Lage herbeigeführt habe, bei der der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika das Bundesgebiet zum Ausgangspunkt einer militärischen Repressalie gegenüber der Sowjetunion machen könne, wenn ein sowjetischer Angriff gegen die Vereinigten Staaten von Amerika in dem in Art. 6 des Nordatlantikvertrags umschriebenen Gebiet erfolge: hierdurch würden, der Antragstellerin zufolge, der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat Kompetenzen aus der Hand genommen und dem Organ eines fremden Staates überantwortet, das auf diese Weise die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Eintritt des Verteidigungsfalles im Sinne des Art. 115 a GG herbeiführen könne und der Bundesrepublik Deutschland so auch die Entscheidung aufzwinge, im Bündnisfall den Vertragspartnern mit militärischen Mitteln beizustehen.
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Dem Gesetzgeber, der dem Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Bündnissystem zugestimmt hat, war die Möglichkeit, daß sich eine solche tatsächliche Lage ergeben könnte, schon im Hinblick auf den Aufenthaltsvertrag und die auf ihm beruhende Anwesenheit amerikanischer Streitkräfte im Bundesgebiet (dazu unten bb) ebenso bewußt wie dem verfassungsändernden Gesetzgeber des Jahres 1968, der Art. 115 a in das Grundgesetz eingefügt hat (BGBl. I S. 709). Es ist gerade ein zentraler Inhalt des Nordatlantikvertrages (Art. 5 Abs. 1) wie des Vertrages über die Westeuropäische Union (Art. V), daß ein bewaffneter Angriff gegen einen der Bündnispartner als Angriff gegen sie alle angesehen werden soll und die Beistandspflicht auslöst. Dessen unbeschadet besteht kein Anlaß zu bezweifeln, daß die Beteiligten eines solchen Konfliktes, auch und gerade im Blick auf Kernwaffen alles tun werden, um ihn zu begrenzen; dies entspricht dem Sinne des Bündnisses. Daran hat die Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung neuer Waffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nichts geändert. Die rechtliche Möglichkeit für die Bundesrepublik Deutschland zu beurteilen, ob ein Angriff vorliegt, und welche Maßnahmen sie in einem solchen Fall für "erforderlich" hält, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten, wird hierdurch nicht beschnitten; ebensowenig werden die Kompetenzen verkürzt, die Art. 115 a GG dem Bundestag verleiht. Die realen Entscheidungsalternativen der Bundesrepublik Deutschland mögen in einer solchen Lage sehr begrenzt sein; dies aber nicht, weil ihre rechtlichen Möglichkeiten verkürzt worden wären, sondern wegen der tatsächlichen Lage sowie als Folge des Umstandes, daß, wie schon der Sinn des Aufenthaltsvertrages ergibt, militärische Verteidigungsmaßnahmen einer angegriffenen Vertragspartei auch vom Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aus sollen ergriffen werden dürfen. Daß die angegriffene Zustimmungserklärung insoweit eine wesentliche Änderung des Bündnisprogramms bewirkt hätte, läßt sich nicht feststellen.
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Ebensowenig vermöchte an diesem Ergebnis die Auffassung etwas zu ändern, die angegriffene Zustimmung habe die Vereinigten Staaten von Amerika faktisch in die Lage versetzt, die in Rede stehenden Waffensysteme vom Boden der Bundesrepublik Deutschland aus in völkerrechtswidriger oder in bündnisfremder Weise einzusetzen, etwa gegen Angriffe, die nicht von räumlichen Anwendungsbereich des Bündnissystems erfaßt werden. Abgesehen von der Frage, inwiefern eine solche Annahme durch ein von der Antragstellerin vermißtes Gesetz, das zur Zustimmung ermächtigt hätte, sollte entkräftet werden können, oblag es der Bundesregierung abzuschätzen, ob ein Bündnispartner sich an das Völkerrecht und an die rechtlichen Grenzen des Bündnisses und die in seinem Rahmen zu treffende Zustimmung halten werde. Indem sie der Stationierung zustimmte, hat die Bundesregierung diese Einschätzung offensichtlich im bejahenden Sinne getroffen. Das gleiche tat der Bundestag, als er im Jahre 1955 dem Vertragswerk in Kenntnis des Umstandes, daß taktische Atomwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland lagerten, zustimmte. Die Antragstellerin hat keine Tatsachen vorgetragen, die diese Einschätzung als verfassungsrechtlich fehlerhaft erkennen ließen; solche Tatsachen sind auch im übrigen bislang nicht auszumachen. Die Bundesregierung konnte sich hierbei auf das langjährige Verhalten des Bündnisses und der Bündnisparteien stützen, das ein gegenteiliges Ergebnis der Einschätzung nicht dringend und offenkundig nahezulegen vermag. Im europäischen Bereich sind jedenfalls von seiten des Bündnisses und seiner Parteien keine bewaffneten Interventionen gegen irgendeinen Staat weder mit konventionellen noch mit atomaren Waffen erfolgt. Daß im Rahmen völkerrechtlicher Vertragsverhältnisse die Beteiligten auch in der Lage sind, sich vertragswidrig zu verhalten, ist als bloße faktische Möglichkeit kaum je auszuschließen. Verwehrte es das Grundgesetz, solche Lagen herbeizuführen, um möglichen Völkerrechtsverletzungen vorzubeugen, wäre die Bundesrepublik Deutschland im vertraglichen Bereich weithin handlungsunfähig.
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bb) Die im Rahmen des Bündnissystems erteilte Zustimmung zur Stationierung der neuen Waffensysteme auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland hält sich auch im Rahmen der Ermächtigung des Zustimmungsgesetzes zum Aufenthaltsvertrag, die insoweit im Zusammenhang des Bündnissystems zu sehen ist.
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Diese Waffen werden von den der NATO zugeordneten Streitkräften der Vereinigten Staaten von Amerika in der Bundesrepublik Deutschland geführt; der Aufenthaltsvertrag bildet eine Rechtsgrundlage für ihre Anwesenheit in der Bundesrepublik Deutschland. Ob diese Waffen die Effektivstärke dieser Streitkräfte in dem von Art. 1 Abs. 2 Aufenthaltsvertrag gemeinten Sinne erhöhen, kann auch hier dahinstehen. Denn die Bundesregierung hat die in einem solchen Fall nach dem Aufenthaltsvertrag erforderliche Zustimmung jedenfalls erteilt.
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Der Rahmen der Ermächtigung, die das Zustimmungsgesetz zum Aufenthaltsvertrag erteilt hat, ist gewahrt. Im einzelnen ergibt sich dies aus denselben Erwägungen, wie sie für das Zustimmungsgesetz zum Nordatlantikvertrag insoweit dargelegt worden sind. Gerade die Stationierung verbündeter Truppen und ihrer Waffen auf dem Bundesgebiet ist der wesentliche Sinn und Zweck des Aufenthaltsvertrages.
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cc) Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß auch der verfassungsändernde Gesetzgeber insbesondere bei Einfügung des Art. 80 a Abs. 3 in das Grundgesetz durch Gesetz vom 24. Juni 1968 (BGBl. I S. 709) wie auch schon zuvor bei der Einfügung der Art. 45 a (a.F.) und 87 a (a.F.) durch Gesetz vom 19. März 1956 (BGBl. I S. 111) in Kenntnis der Mitgliedschaft der Bundesrepublik Deutschland im Bündnissystem keinen Anlaß gesehen hat, einen besonderen Gesetzesvorbehalt in das Grundgesetz aufzunehmen, dem Zustimmungserklärungen der hier angegriffenen Art unterworfen wären. Ihm standen dabei sowohl die Stationierung atomar ausgerüsteter Streitkräfte der Vereinigten Staaten von Amerika im Rahmen des Bündnissystems in der Bundesrepublik Deutschland als auch die grundsätzliche Art der Regelung der Entscheidungsstrukturen und Befehlsstränge innerhalb des Bündnisses klar vor Augen. Daß diese Regelungen im Näheren der Geheimhaltung unterliegen und laufend fortgeschrieben werden, ist durch die Notwendigkeit möglichst wirksamer Verteidigung bedingt; soweit sie dem Bundesverfassungsgericht von der Antragsgegnerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden sind, lassen sie eine wesentliche Änderung des Integrationsprogramms, dem der Gesetzgeber beim Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Bündnissystem zugestimmt hat, nicht erkennen.
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IV. |
Die Zustimmung zur Aufstellung nuklearer Mittelstreckenwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verstößt auch nicht deshalb gegen Rechte des Bundestages, weil hierdurch eine für das Staatsganze bedeutsame Entscheidung und in diesem Sinne eine politische Leitentscheidung getroffen wurde. Der Umstand, daß es sich bei der Erteilung dieser Zustimmung um einen für die Bundesrepublik Deutschland in ihrer Gesamtheit wesentlichen Akt handelt, vermag angesichts der ausdrücklich normierten Kompetenzregelungen für den Bereich der auswärtigen Angelegenheiten eine besondere Gesetzgebungsbefugnis des Bundestages nicht zu begründen. Sie ergibt sich nicht schon - diese Regelungen überspielend - aus dem im Grundgesetz normierten Demokratieprinzip. Unter der demokratisch- parlamentarischen Herrschaftsordnung, die das Grundgesetz verfaßt hat, ist die Regierung institutionell wie funktionell gleichfalls demokratisch legitimiert (BVerfGE 49, 89 [124 ff.]); sie besitzt weiter die personelle demokratische Legitimation und unterliegt demokratisch-parlamentarischer Kontrolle.
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Das Grundgesetz kennt weder einen Totalvorbehalt des Gesetzes noch eine Kompetenzregel, die besagte, daß alle "objektiv wesentlichen" Entscheidungen vom Gesetzgeber zu treffen wären. Die Artikel 59 Abs. 2 Satz 1 und 24 Abs. 1 GG jedenfalls enthalten für die von ihnen erfaßten Sachbereiche eine insoweit abschließende Regelung, neben der sich eine Gesetzespflichtigkeit nicht selbständig aus dem Gesichtspunkt der Wesentlichkeit, etwa im Sinne der substantiellen politischen Tragweite einer Entscheidung, ergibt. Auch der Gedanke der "Richtigkeitsgewähr", die das parlamentarische Verfahren wegen der vergleichsweisen Transparenz der Entscheidungsprozesse bietet, kann nicht eine Änderung der vom Grundgesetz ausdrücklich vorgenommenen Verteilung der Kompetenzen zugunsten des Parlaments bewirken.
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Die Zustimmung zur Aufstellung von Mittelstreckenwaffen der Vereinigten Staaten von Amerika in der Bundesrepublik Deutschland bedurfte daher unter dem Gesichtspunkt des Demokratieprinzips oder der Bedeutung dieses Akts für das Staatsganze nicht der vorherigen Ermächtigung des Bundestages in der Form des Gesetzes.
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Dies bedeutet nicht, daß "objektiv wesentliche" Entscheidungen "am Bundestag vorbei" getroffen werden könnten. Der Bundestag kann sein Frage-, Debatten- und Entschließungsrecht ausüben, seine Kontroll- und Haushaltsbefugnisse wahrnehmen und dadurch auf die Entscheidungen der Regierung einwirken oder durch Wahl eines neuen Bundeskanzlers die Regierung stürzen (Art. 67 Abs. 1 Satz 1 GG). Im übrigen ist der Bundestag im konkreten Fall mit der Nachrüstungsfrage, einschließlich der Zustimmung zur Stationierung der besagten Waffensysteme, mehrfach, zuletzt am 22. November 1983, befaßt gewesen und hat die beabsichtigte und erteilte Zustimmungserklärung der Bundesregierung ausdrücklich gebilligt.
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V. |
Es war von den Parteien nicht zur Prüfung gestellt und hier auch nicht zu entscheiden, ob die in Rede stehenden Waffensysteme von den Vereinigten Staaten von Amerika auch ohne Zustimmung der Bundesrepublik Deutschland in deren Hoheitsgebiet aufgestellt werden dürften, so daß es völkerrechtlich auf eine Zustimmung der Bundesregierung hierzu nicht ankäme und fraglich wäre, ob eine gleichwohl erteilte Zustimmung geeignet wäre, Rechte des Bundestages im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG zu verletzen oder zu gefährden. Es bedarf deshalb keiner Prüfung, ob Art. 4 Abs. 2 Satz 1 des Deutschlandvertrages eine völkerrechtliche Rechtsgrundlage hierfür böte. Denn weder die Planung der Aufstellung der in Rede stehenden Waffensysteme noch der Brüsseler Beschluß der Außen- und Verteidigungsminister der NATO-Staaten vom 12. Dezember 1979 und sein Vollzug in der Bundesrepublik Deutschland erfolgten unter Inanspruchnahme der "von den Drei Mächten bisher ausgeübten oder innegehabten und weiterhin beizubehaltenden Rechte in bezug auf die Stationierung von Streitkräften in Deutschland", um die in Art. 2 Satz 1 Deutschlandvertrag vorbehaltenen "Rechte und Verantwortlichkeiten in bezug auf Berlin und Deutschland als Ganzes einschließlich der Wiedervereinigung Deutschlands und einer friedensvertraglichen Regelung" ausüben zu können. Aus der Verlautbarung über die Sitzung der Außen- und Verteidigungsminister der NATO-Staaten am 12. Dezember 1979 in Brüssel ergibt sich unzweideutig, daß jedenfalls die Stationierung der den Gegenstand dieser Sitzung bildenden Waffensysteme in der Bundesrepublik Deutschland nicht zufolge vorbehaltener Rechte der Drei Mächte erfolgt.
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VI. |
Dem Beweisantrag der Antragstellerin war nicht stattzugeben. Die in Nr. 1-5 dieses Antrags aufgestellten tatsächlichen Behauptungen sind, soweit sie nicht ohnedies unstreitig sind, für die Entscheidung nicht erheblich, selbst wenn ihre Richtigkeit unterstellt würde. Die in Nr. 6 und 7 aufgestellten Behauptungen beziehen sich sinngemäß auf politische Werturteile, deren Richtigkeit nicht dadurch festgestellt werden kann, daß die angetretenen Beweise erhoben werden. Was in die Beurteilungsmacht der Regierung fällt, darf nicht den Grundsätzen der Gewaltenteilung zuwider über eine Beweisaufnahme in den Entscheidungsbereich der rechtsprechenden Gewalt übergeführt werden.
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VII. |
Diese Entscheidung ist mit 7 gegen 1 Stimme ergangen.
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Zeidler, Rinck, Dr. Dr. h.c. Niebler, Steinberger, Träger, Mahrenholz, Böckenförde, Klein |
Abweichende Meinung des Richters Mahrenholz zum Urteil vom 18. Dezember 1984 - 2 BvE 13/84 - |
Nach meiner Auffassung bedurfte die Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung der Pershing- und Cruise Missiles-Raketen sowohl nach Art. 24 Abs. 1 GG als auch nach Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eines Gesetzes.
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I. |
Art. 24 Abs. 1 GG fordert für die Übertragung eines Hoheitsrechtes ein Gesetz. Nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats war es nur unter strengen Voraussetzungen möglich, ohne erneute gesetzliche Zustimmung aus einem Vertrage, der Hoheitsrechte auf eine zwischenstaatliche Einrichtung überträgt, auch die - spätere - Übertragung von Hoheitsrechten zuzulassen, die weder im Vertrag noch im Zustimmungsgesetz eigens genannt sind (vgl. BVerfGE 58, 1). Mit der jetzigen Entscheidung gibt der Senat diese Maßstäbe in einer mit Art. 24 Abs. 1 GG nicht mehr zu vereinbarenden Weise auf (hierüber II). Soweit der Senat bei der Beurteilung der Frage, ob die Zustimmung nach Art. 59 Abs. 2 GG gesetzespflichtig ist, unter Berufung auf das Gewaltenteilungsprinzip zu dem Ergebnis gelangt, Art. 59 Abs. 2 GG sei nur auf völkerrechtliche Verträge, nicht auch auf einseitige Völkerrechtsakte anzuwenden, wäre die weitergehende Prüfung notwendig gewesen, ob nicht die Zustimmungserklärung Bestandteil eines Vertrages im Sinne des Art. 59 Abs. 2 GG hätte sein müssen. Daneben läßt sich das Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG nicht zum Maßstab der Interpretation des Art. 59 Abs. 2 GG erheben, da diese Bestimmung selbst zu den die Gewaltenteilung im Grundgesetz positiv normierenden Bestimmungen gehört. Art. 59 Abs. 2 GG ist eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Gesetzesvorbehalts, wonach der Gesetzgeber "alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen" hat (vgl. BVerfGE 49, 89 [126 f.]). Diese Bedeutung des Art. 59 Abs. 2 GG verlangte auch im konkreten Fall Beachtung (hierüber III).
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II. |
Geht man mit dem Urteil davon aus, daß der Nordatlantikpakt eine zwischenstaatliche Einrichtung ist (S. 110), was nicht unbestritten ist, und folgt man dem Senat auch dahin, daß der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, soweit er eine Freigabeentscheidung für den Einsatz der Raketen im Rahmen des NATO-Bündnisses fällt, als besonderes Organ des Bündnisses betrachtet werden kann (S. 109), so hat das Zustimmungsgesetz zu diesem Pakt die Bundesregierung gleichwohl nicht ermächtigt, der Stationierung der neuen amerikanischen Mittelstreckenraketen zuzustimmen.
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Die Konstruktion des Senats läuft darauf hinaus, daß der Gesetzgeber der Zustimmungsgesetze zum Nordatlantikvertrag und zum Aufenthaltsvertrag im Jahre 1955 die Bundesregierung auf nicht absehbare Zeit ermächtigt hat, in einem von ihr zu bestimmenden beliebigen Umfang den USA das Recht zur Stationierung und zum Einsatz von Waffen zu übertragen. Dies gilt für alle denkbaren politischen Lagen, obwohl sie in ihrer Vielschichtigkeit und auch in ihrer Gefährlichkeit für die Existenz des deutschen Volkes nicht abschätzbar sind. Das betrifft auch jede Art von Waffen, also auch diejenigen, die in ihrer Qualität seinerzeit nicht einmal ausdenkbar gewesen sind (Raketen mit je mehreren sich selbst ins Ziel steuernden Gefechtsköpfen oder mit Flugzeiten, die praktisch keine Vorwarnzeit übrig lassen; Neutronenwaffen; Satellitenwaffen und Anti- Satellitenwaffen; binäre chemische Kampfstoffe). Die Ermächtigung umfaßt auch die Inkaufnahme eines möglicherweise gesteigerten atomaren Kriegsrisikos, das im Einzelfall in der Inanspruchnahme dieser Ermächtigung liegen kann. Eine solche Ermächtigung ist weder im Zustimmungsgesetz enthalten noch wäre das Zustimmungsgesetz, enthielte es eine Ermächtigung solcher Art, mit Art. 24 Abs. 1 GG vereinbar.
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1. Art. 24 GG gebietet Formstrenge und strikte Anwendung. Mißhelligkeiten aufgrund unscharfer gesetzlicher Ermächtigungen nach Art. 80 Abs. 1 GG sind korrigierbar; im völkerrechtlichen Bereich dagegen belasten sie die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und dem jeweiligen Partner; eine Korrektur oder bereits der Wunsch danach würde in das Gefüge dieser Beziehungen störend eingreifen (vgl. Tomuschat in: Bonner Kommentar, Art. 24 Rdnr. 32).
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Nach der im ersten Eurocontrol-Beschluß niedergelegten Auffassung des Senats bedeutet die Übertragung von Hoheitsrechten einen Eingriff in eine verfassungsrechtlich festgelegte Zuständigkeit und damit materiell eine Verfassungsänderung. Es werden Hoheitsrechte an Einrichtungen übertragen, deren Rechtsordnung, Willensbildung und Handlungsformen nicht dem Grundgesetz und damit auch nicht dem bestimmenden Einfluß des deutschen Gesetzgebers unmittelbar unterliegen, die aber ihrerseits, je nach ihren Kompetenzen, durchaus in die deutsche Rechtsordnung hoheitlich und mit unmittelbarer Wirkung für die Rechtsunterworfenen einwirken können. Das Gewicht dieser Aspekte gebietet es, den Gesetzesvorbehalt in Art. 24 Abs. 1 GG strikt auszulegen (vgl. BVerfGE 58, 1 [35 f.]). Der Senat hat in jenem Beschluß auch dem Umstand Rechnung getragen, daß mit der Errichtung zwischenstaatlicher Einrichtungen ein Integrationsprogramm verbunden sein kann, in dessen Verlauf zahlreiche einzelne Vollzugsakte erforderlich werden, um den im Gründungsvertrag angestrebten Zustand herbeizuführen. Besondere Gesetze für derartige Vollzugsschritte sind jedoch nur dort entbehrlich, wo bereits der Gründungsvertrag selbst, dem durch Gesetz zugestimmt wurde, den künftigen Vollzugsverlauf hinreichend bestimmt normiert hat (vgl. a.a.O., S. 37).
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Wenn der Senat nunmehr meint, es komme für die Auslegung des Art. 24 GG auch auf die jeweilige Eigenart des vom Gründungsvertrag geregelten Sachverhalts und auf die Praktikabilität des Art. 24 Abs. 1 GG im internationalen Bereich an (S. 117), dann wird er dem Sinn des Art. 24 Abs. 1 GG nicht gerecht. Formvorschriften sind Schutzvorschriften und widersetzen sich deshalb Auslegungsversuchen unter dem Aspekt ihrer Praktikabilität im internationalen Bereich. Das muß in erhöhtem Maße für Formvorschriften gelten, die Befugnisse des Gesetzgebers schützen, und erst recht dort, wo es sich um eine Entäußerung von Souveränität und materiell um eine Verfassungsänderung handelt.
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2. Der Senat räumt ein, daß der Nordatlantikpakt keine Vorschriften enthält, die der NATO Befugnisse des strittigen Inhalts ausdrücklich zuerkennen (S. 116 f.). Dem Bündnisvertrag fehlt aber ebenso ein auch vom Senat für unverzichtbar gehaltenes Integrationsprogramm, das einen Integrationsprozeß in Gang setzen kann, wie es zum Beispiel dem Eurocontrol-Vertrag und dem EWG-Gründungsvertrag zu entnehmen ist. Die vom Urteil hierfür angezogenen Texte des Nordatlantikpaktes (S. 118) dienen genau genommen nur dazu, den kollektiven Charakter des Verteidigungsbündnisses bestmöglich zur Wirksamkeit zu bringen, zu mehr nicht. Ein Integrationsprogramm ist ihnen nicht zu entnehmen.
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Insbesondere kann die Beistandsklausel des Art. 5 schon deshalb nicht als Integrationsprogramm oder Teil eines solchen angesehen werden, weil der Artikel zu militärischem Beistand im Gegensatz zu Art. V WEU-Vertrag nicht verpflichtet, sondern nach der insoweit maßgebenden amerikanischen Auffassung die eigene Sicherheitslage für die Frage der Beistandspflicht ausschlaggebend sein läßt (vgl. K. Ipsen, Rechtsgrundlagen und Institutionalisierung der atlantisch-westeuropäischen Verteidigung, 1969, S. 44 ff.): Maßnahmen nach Art. 5 können nach Auffassung des Senatsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten der Vereinigten Staaten "vom diplomatischen Protest bis zu den härtesten Formen von Pressionen alles mögliche einschließen" (zitiert nach K. Ipsen, a.a.O., S. 45). Es herrscht mithin nationale Souveränität in der Entscheidung über die Art der Beistandspflicht. Der Vertrag enthält nicht einmal die ausdrückliche Bekundung einer Integrationsabsicht, wie sie jedenfalls in Art. VIII Abs. 1 WEU-Vertrag enthalten ist. Noch deutlicher tritt der Unterschied zwischen dem Nordatlantikpakt und einem auf Integration angelegten Militärbündnis hervor, wenn der Pakt mit dem Vertrag über die Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) verglichen wird (BGBl. 1954, II, S. 342). In der Präambel des EVG-Vertrages wird erwogen, daß das beste Mittel zur Friedenssicherung darin bestehe,
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Menschen und Hilfsquellen, soweit das mit den militärischen Erfordernissen verträglich ist, in gemeinsamen Verteidigungsstreitkräften im Rahmen einer überstaatlichen europäischen Organisation völlig zu verschmelzen.
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Dieses Programm wollte der EVG-Vertrag auch bereits umsetzen: Art. 9 stellt die Regel auf, daß die Streitkräfte solche der Gemeinschaft, nicht einzelner Staaten seien; die folgenden Vorschriften erlauben nur eng begrenzte Ausnahmen. Der Vertrag sieht daneben Durchgriffsbefugnisse von Organen der Gemeinschaft in den Hoheitsbereich der Mitgliedsstaaten vor.
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Hingegen sind der Rat nach Art. 9 des Nordatlantikvertrages und ebenso der dort genannte Verteidigungsausschuß auf Empfehlungen und auf die Prüfung von Fragen beschränkt, die die Durchführung des Vertrages betreffen. Es sind Koordinationsgremien selbst dort, wo sich ihre Empfehlungen auf die Verwirklichung integrativer Strukturen des Militärbündnisses richten (zum Unterschied zwischen NATO und EVG vgl. Arndt, Der Kampf um den Wehrbeitrag, Ergänzungsband 1958, S. 435 f.).
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Auch die sogenannte protective clause des Art. 11 Abs. 1 erschwert es zumindest, der Auffassung des Senats zu folgen, es ließe sich aus den Bestimmungen des Vertrages eine Ermächtigung der vom Senat unterstellten Art gewinnen. Art. 11 Abs. 1 stellt auch die Durchführung der Bestimmungen des Paktes, also auch den Vollzug von Vertragspflichten, in die Übereinstimmung mit dem jeweiligen verfassungsmäßigen Verfahren. Ziel und Zweck des Vertrages einerseits und Maßnahmen seiner Durchführung andererseits sollen mithin verfassungsrechtlich unabhängig voneinander zu beurteilen sein. Deshalb kann dem Ziel des Vertrages eine legitimierende Kraft für die verfassungsrechtliche Beurteilung von vertraglichen Durchführungsmaßnahmen, die ihm das Urteil zuspricht (S. 120), nicht beigelegt werden. Daß dem NATO-Vertrag selbst kein hinreichendes Integrationselement innewohnt, entspricht im übrigen der schriftsätzlich vorgetragenen Auffassung der in diesem Fall als besonders sachkundig anzusehenden Bundesregierung und der herrschenden Lehre (vgl. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, S. 1421 f.).
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"Was an Integration innerhalb der NATO angestrebt wurde und zu Teilen verwirklicht ist, beruht auf zwei Empfehlungen des Nordatlantik-Rates von 1950 und 1954 (Texte bei K. Ipsen, a.a.O., S. 136 und 145 ff.). In Friedenszeiten gibt es lediglich die operative Planung des SACEUR; er hat keine Befehlsgewalt gegenüber den der NATO assignierten Streitkräften, die aus dieser Stellung durch nationale Entscheidung jederzeit wieder herausgelöst werden können. Erst in Spannungszeiten, spätestens vom Beginn der Kampfhandlungen an, übernehmen die alliierten Kommandostellen auch die operative Führung über die Streitkräfte, das sogenannte operational command. Auch diese Führung erfaßt von den vier Führungsgrundgebieten der mittleren und oberen Führung lediglich den operativen Bereich (G 3), während ein so wichtiger Bereich wie die Logistik (G 4) selbst im Spannungsfall nicht integriert ist (vgl. hierzu K. Ipsen, a.a.O., S. 139 ff., 177).
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Die Empfehlungen haben zwar dem Gesetzgeber vorgelegen, sind aber nicht Gegenstand des Ratifikationsverfahrens gewesen, ebensowenig wie der im Urteil (S. 120) erwähnte Abschnitt IV der Schlußakte der Londoner Konferenz. Wie hoch man immer ihren integrativen Wert veranschlagt - für die Prüfung, ob ein von Art. 24 Abs. 1 GG verlangtes Gesetz vorliegt, müssen sie schon aus formellen Gründen außer Betracht bleiben. Das aber ist entscheidend."
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3. Der Senat behilft sich mit der Rechtsfigur der "vergleichsweise offenen Bestimmungen" des Nordatlantikvertrages (S. 118). Die als Maßstab verwendete "Eigenart des Sachbereichs" zeigt ihre Dominanz in der Auslegung des Art. 24 Abs. 1 GG: Den Sachbereich kennzeichne eine Dynamik; es komme auf die Ermöglichung rascher und anpassungsfähiger Maßnahmen an, die sowohl laufende Veränderungen des politisch-strategischen Umfeldes der Bündnispartner als auch dem ständigen Wandel anderer sicherheitspolitischer Verhältnisse Rechnung trügen, etwa der Entwicklung der Waffentechnologie (S. 119). Dieser Lage und Zielsetzung würden nur "offene" Bestimmungen gerecht.
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Nun sind diese Bestimmungen Programmsätze eines Integrationsprozesses (S. 117), der nach Senatsauffassung im NATO- Vertrag angelegt ist. Sind aber schon diese Programmsätze offen, so können sie ihren Charakter wandeln. Ihnen fehlt die inhaltliche Bestimmtheit. Die hinreichende Bestimmtheit des im Gründungsvertrag angelegten Integrationsprozesses war im Eurocontrol-Beschluß die Voraussetzung für die Übertragung des Rechts ohne spezielle Einschaltung des Gesetzgebers. An ihre Stelle treten im Urteil weitgespannte Ermächtigungen, die der Senat zutreffend als Ermächtigungsrahmen charakterisiert (S. 122). Damit hat sich das Urteil von den Grundlagen des Eurocontrol-Beschlusses ungeachtet der Berufung auf sie gelöst.
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Dies gilt auch im Blick auf den Charakter des übertragenen Hoheitsrechts. Der Senat hob in jenem Beschluß zur Rechtfertigung seiner Auffassung ausdrücklich den eng begrenzten technisch-instrumentalen Charakter des Rechts hervor: es handelte sich um ein Gebühreneinzugsrecht in Ergänzung einer bereits durch den Eurocontrol-Vertrag übertragenen gleichartigen Befugnis (BVerfGE 58, 1 [38]). Das nunmehr übertragene Recht, das den Einsatz von Raketen vom Boden der Bundesrepublik aus ermöglicht, hat eine mit jenem Recht nicht vergleichbare Dimension. Die Offenheit der Bestimmungen führt dazu, daß dem Senat genügt, daß im Vertragswerk ein Integrationsprogramm als möglich angelegt sein muß (S. 11; ebenso S. 117). Damit bestätigt sich die inhaltliche Unbestimmtheit der Ermächtigung. Offene Normen sind für unterschiedliche Programme offen; sie können heute die Zustimmung zur Stationierung von Pershing- II-Raketen betreffen, könnten morgen die zur Stationierung von Neutronenwaffen einschließen und zu einem späteren Zeitpunkt das Recht zur Vorbereitung schwerwiegender präventiver Zerstörungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik durch verbündete Streitkräfte gewähren, um im Verteidigungsfall einen Vormarsch der Truppen des Warschauer Paktes aufzuhalten. Sieht man alles, was immer sich unter dem Begriff gemeinsam entwickelter und im Verteidigungsfall gemeinsam zu verwirklichender Strategie zusammenfassen läßt, als durch offene Bestimmungen gedeckt an, ist der gedankliche Kontrapunkt zu den Erfordernissen des Integrationsprozesses, wie er im ersten Eurocontrol-Beschluß mit dem Hinweis auf der Erfordernis strikter Auslegung des Art. 24 Abs. 1 GG konkretisiert wird, aufgegeben. Wenn die Senatsmehrheit in der Anwendung des Art. 24 Abs. 1 GG dergestalt offen ist für die Eigenart des Sachbereichs, bleibt bei der Prüfung einer Änderung des Programms als einziger Maßstab nur noch "die grundsätzliche Zielrichtung des Bündnissystems als eines Verteidigungsbündnisses, wie es in den genannten vertraglichen Rechtsgrundlagen festgelegt ist" übrig (S. 121). Der verfassungsrechtliche Gehalt des Art. 24 Abs. 1 GG hat sich unter dem Druck einer Zweck-Mittel-Relation nahezu verflüchtigt: Nicht die Verfassung, sondern der Vertragszweck entscheidet dann darüber, wie offen Bestimmungen sein dürfen, die als Ermächtigungsgrundlage für die Übertragung von Hoheitsrechten dienen.
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Infolgedessen kommt nach der Senatsmeinung eine verfassungsrechtlich ins Gewicht fallende Änderung des Programms, die ein erneutes Gesetz nach Art. 24 Abs. 1 GG verlangt, auch dann nicht in Betracht, wenn man die von der Antragstellerin angenommene qualitativ neue strategische Dimension der in Rede stehenden Waffensysteme bei ihrer Aufstellung auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland als zutreffend unterstellte (S. 121). Eine Änderung des Programms liegt hiernach vielmehr erst dann vor, wenn die Bundesregierung mit ihrer Zustimmung Angriffsabsichten verbände. Der mit diesem Ermächtigungsrahmen eröffnete große Spielraum für die Beurteilungs- und Handlungsmacht der Exekutive läßt den Senat sogar fragen, ob die Legislative im Blick auf das Gewaltenteilungsprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG der Exekutive besondere normative Bindungen auferlegen könne (S. 122). Dieser Schritt geht über die bloße Einführung von gesetzlichen Ermächtigungsrahmen zugunsten der Exekutive im Bereich des Art. 24 GG hinaus, innerhalb dessen diese Hoheitsrechte der Bundesrepublik übertragen kann. Denn hier wird unter Berufung auf das Gewaltenteilungsprinzip das Recht des Gesetzgebers in Frage gestellt, auf seinem eigenen Felde tätig zu sein und solche Ermächtigungsrahmen nach seinem Gutbefinden enger oder weiter zu fassen.
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Bis zum ersten Eurocontrol-Beschluß ging die Lehre davon aus, daß der Gesetzgeber selbst die Entscheidung treffen müsse, ob und in welchem Umfang Hoheitsrechte übertragen werden (vgl. Maunz in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Art. 24 Rdnr. 14; Tomuschat, a.a.O., Art. 24 Rdnr. 32). Schon der Eurocontrol-Beschluß hat die Bindung des Übertragungsaktes an das förmliche Gesetz selbst, wenn auch unter eng begrenzten Voraussetzungen, gelockert. Mit dem Urteil beginnt ein Erosionsprozeß des Gesetzesvorbehalts des Art. 24 Abs. 1 GG.
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Abgesehen von dem Gesetzesvorbehalt für die Neugliederung des Bundesgebietes enthält Art. 24 Abs. 1 GG den einzigen, nicht einmal im Notstandsfall dispensablen Gesetzesvorbehalt zugunsten des ordentlichen Gesetzgebers (Art. 115 e Abs. 2 GG). Der Senat ersetzt ihn im Urteil durch Ermächtigungsnormen, deren Offenheit auch diejenigen Maßstäbe hinter sich läßt, die Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG für die nur innerstaatlich wirkenden Verordnungsermächtigungen setzt. Dies macht die Gewichtsverschiebung im Verfassungsgefüge deutlich, die das Urteil zugunsten der Exekutive vornimmt.
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4. Selbst wenn man mit dem Senat in den insoweit offenen Bestimmungen des NATO-Vertrages ein Integrationsprogramm und damit eine Ermächtigungsnorm für die Bundesregierung im Sinne des Urteils sähe, wäre zur näheren inhaltlichen Bestimmung dieses Programms die in der Präambel zum Nordatlantikvertrag bekräftigte Entschlossenheit der Bündnispartner einzubeziehen, die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruht, zu gewährleisten.
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Auf dieser Gemeinsamkeit entspringt der erst im Anschluß an diesen Text bekräftigte und vom Senat für seine Auffassung in Anspruch genommene Entschluß zur gemeinsamen Verteidigung. Dann aber gewinnt die vom Senat als für die verfassungsrechtliche Beurteilung unerheblich unterstellte qualitativ neue strategische Dimension, die die Antragsteller in der Stationierung der Waffen erblicken, Verfassungsrelevanz. Denn das zitierte Ziel ist in den vom Senat für maßgebend gehaltenen Verteidigungszweck des Paktes mit einzubeziehen. Es erstreckt sich nach dem Beitritt der Bundesrepublik auch auf das Volk dieses Staates und muß also auch für die Bundesrepublik ein in der militärischen Auseinandersetzung erreichbares Ziel sein, d. h. die Bundesrepublik darf nicht nur militärisch gesehen Hauptschlachtfeld sein. Sie muß in politischer Betrachtungsweise sowohl Subjekt als auch sinnvoll Objekt gemeinsamer Verteidigungsbemühungen bleiben.
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Die geo-strategische Situation Deutschlands in seinen beiden Teilen war dem Gesetzgeber der Zustimmungsgesetze von 1955 unter Einschluß daraus entspringender schwerwiegender Konsequenzen für den Verteidigungsfall bewußt. Aber gerade im Blick auf die Unentrinnbarkeit unserer geo-strategischen Lage kann den Zustimmungsgesetzen nicht die Bedeutung entnommen werden, sie hätten die Regierung faktisch zu jeder Art von Integrationsanstrengung ermächtigt ohne Rücksicht darauf, ob damit die Möglichkeit oder gar die Wahrscheinlichkeit des Krieges und damit die Existenzgefährdung des deutschen Volkes zunehmen.
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Dem Bundesverfassungsgericht steht kein für die Aufstellung der Raketen maßgebliches Urteil zu. Die Risikoaspekte einer Aufstellung wären vom Senat allerdings darauf zu prüfen gewesen, ob von den Antragstellern vorgetragene oder von Gerichts wegen zu erforschende eventuelle Steigerungen des Kriegsrisikos, die aus der Stationierung solcher Raketen herrühren könnten, eine nur minimale und daher zu vernachlässigende Berechtigung haben, also im Sinne der Kalkar-Entscheidung ein Restrisiko sind (vgl. BVerfGE 49, 89 [137 f., 141 ff.]), oder ob sie solches Gewicht haben, daß von einer ernsthaften Möglichkeit, die Kriegsgefahr werde steigen, zu sprechen wäre. Dann handelte es sich im Sinne des Urteils um eine Veränderung des Programms - in der Begrifflichkeit des ersten Eurocontrol-Beschlusses gesprochen: um seine Erweiterung (BVerfGE 58, 1 [38]) -, die vom Ermächtigungsrahmen nicht mehr gedeckt wäre und die zur Folge hätte, daß der Gesetzgeber über die Zustimmung hätte entscheiden müssen.
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Zur Verdeutlichung dessen, was in diesem Zusammenhang unter anderem aufzuklären gewesen wäre, mag eine - stark verkürzte - Schilderung zweier Problembereiche dienen:
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a) Die Fähigkeit der neuen Raketen, mit ihnen militärische sogenannte gehärtete Ziele präzise und unter Begrenzung des Nebenschadens zu treffen, könnte die Schwelle für den Ersteinsatz von Kernwaffen senken. Denn die heute im Kriegsfalle vor allem erstrebte Ausschaltung der Kommando-, Kontroll- und Kommunikationsstrukturen träfe den Gegner an seiner empfindlichsten Stelle, ließe sich mithin als kriegsverkürzend ansehen und schonte schon insoweit eine schwer absehbare Zahl von Menschenleben. Das sind genug Gründe, die offizielle Bezeichnung der Ziele dieser Raketen als zeitlich vordringliche Ziele - als "time urgent targets" (US-Verteidigungsminister Weinberger nach dem von der Antragstellerin zitierten Jahresbericht 1984 an den Kongress) - ernstzunehmen. Andererseits folgte auf diesen Einsatz, sollte er der Ersteinsatz von Atomwaffen (first use) sein, der Gegenschlag des Adressaten mit großer Wahrscheinlichkeit. Vielleicht aus diesem Grunde hat schon der Verteidigungsminister Präsident Carters, Brown, in seinem Jahresbericht 1980 an den Kongreß erklärt, diese Raketen brächten das Risiko einer Eskalation auf ein höheres Konfliktniveau mit sich (Europa-Archiv 1980, D 449).
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Sodann könnte schon mit der Stationierung der neuen Waffen eine zusätzliche Gefährdung der Bundesrepublik verbunden sein, weil sie in besonderem Maße zum Präventivschlag herausfordern kann (vgl. z.B. C. F. v. Weizsäcker, Der bedrohte Frieden, Politische Aufsätze, 1983, S. 508 f., 511, 527).
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Das Problem der Aufstellung der Raketen könnte sich in prinzipieller Betrachtung als Teil eines Prozesses darstellen, in dem jede Nachrüstung als Vorrüstung der gegnerischen Nachrüstung anzusehen ist. So ist auch die tatsächliche Entwicklung nach Verwirklichung des Nachrüstungsbeschlusses der NATO verlaufen. Im Verlauf dieses Prozesses würde die technologisch immer vollkommenere Rüstung immer schwerer beherrschbar - was inzwischen "vertrauensbildende Maßnahmen" notwendig macht -, ihre Einsatzmöglichkeit aber immer zweckentsprechender und genauer ("selektiver") und also verführerischer. Nach dem Vortrag der Antragstellerin hat daher in den Vereinigten Staaten ein Prozeß des Umdenkens zu einer neuen Strategie begonnen, die mindestens in Abschwächung der Abschreckungsdoktrin eine militärische Überlegenheit des Westens für erforderlich hält, um einen Krieg auch führen und gewinnen zu können (counter-force). In politischer Betrachtungsweise könnte aber ein Krieg, den die Verantwortlichen als gewinnbar ansehen, eher Wirklichkeit werden.
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b) Auch das Thema des "Krieges aus Versehen" hätte das Bundesverfassungsgericht als Aspekt für eine mögliche gesetzgeberische Kompetenz zur Erteilung der Zustimmung zur Aufstellung der Raketen würdigen müssen. Nach dem auf offiziellen amerikanischen Quellen beruhenden Vortrag der Antragstellerin hat es bereits rund 150 technisch bedingte Fehlalarme gegeben, darunter einen, der die maßgebenden Offiziere der NATO-Streitmacht mehr als sechs Minuten daran zweifeln ließ, ob ein sowjetischer Angriff begonnen habe. Dabei geht es nicht um die Frage, ob einer rechnergesteuerten Automatik die letzte Entscheidung über den Einsatz von Kernwaffen überlassen wird, sondern nach meinem Urteil eher darum, ob der über den Einsatz der Waffen Entscheidende angesichts von Raketen, die wie die Pershing II in Minutenschnelle die vorgesehene Mittelstreckendistanz überwinden, überhaupt eine Alternative zu der durch die übermittelten Daten erforderten Entscheidung hat. Auf die Möglichkeit eines "unbeabsichtigten oder durch einen 'Betriebsunfall' ausgelösten Ausbruchs von Feindseligkeiten" weist auch US-Verteidigungsminister Weinberger hin (Jahresbericht an den Kongreß 1983; Europa-Archiv 1983, Dokumente, D 439).
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c) Hätte die Prüfung einen oder mehrere Hinweise dafür ergeben, daß der durch die modernen Waffen angestrebte höhere Schutz notwendigerweise zugleich auch mit einer ernst zu nehmenden Steigerung des Kriegsrisikos verbunden ist, hätte der Gesetzgeber die Entscheidung über die Zustimmung treffen müssen.
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5. Anerkennt man, daß die Funktion der Gesetzgebung unlösbar mit dem Parlament verbunden ist, daß also der Gewaltenteilungsgrundsatz eine Übertragung dieser Funktion auf andere Organe, namentlich solche der vollziehenden Gewalt, grundsätzlich verbietet (vgl. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 14. Aufl., 1984, Rdnr. 524), so läßt sich hier die Auffassung des Senats vom Gesetzesvorbehalt des Art. 24 Abs. 1 GG nicht damit rechtfertigen, es habe ein Bedarf oder gar eine Notwendigkeit dafür bestanden, den Gesetzgeber von der Regelung schnell und ständig wechselnder Lagen zu entlasten. Sowohl Entwicklungen in der strategischen Doktrin als auch rüstungstechnologische Entwicklungslinien werden nicht von kurzzeitigen Gegebenheiten bestimmt, sondern sind langfristigen Charakters. So hatte auch der Doppelbeschluß im Jahre 1979 eine mindestens zweijährige Vorgeschichte, wenn man an das Datum des Vortrages des damaligen Bundeskanzlers Schmidt vor dem International Institute for Strategic Studies in London im Oktober 1977 anknüpft. Bis zur abschließend erteilten Zustimmung im November 1983 vergingen vier weitere Jahre. Die sowjetische Überlegenheit im Mittelstreckenbereich währte 1983 nahezu zwei Jahrzehnte. Mithin gehörte es nicht - mit dem Urteil gesprochen - zur "Eigenart des Sachverhalts" gemeinsamer Verteidigung der Bündnispartner, von einem ständigen Wandel des politischen und des strategischen Umfeldes oder der Entwicklung der Waffentechnologie und -technik auszugehen, die zu sofortigem Handeln gezwungen hätte.
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6. Der Aufenthaltsvertrag ist gleichfalls keine ausreichende gesetzliche Regelung im Sinne des Art. 24 Abs. 1 GG.
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Zwar schließen die Bestimmungen des Art. 1 des Vertrages auch die Befugnis ein, die Bewaffnung zu verbessern. Dafür spricht, daß die Effektivstärke von Streitkräften maßgeblich von ihrer Bewaffnung abhängt.
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Zu dieser Bewaffnung zählt jedoch nicht schon jedes Instrument moderner Waffentechnik. Insbesondere die Pershing-II- Raketen, deren Schnelligkeit zum gezielten Einsatz gegen sogenannte time-urgent-targets befähigt, stehen in keinerlei notwendigem Zusammenhang mit den Streitkräften und deren Bewaffnung, da sie entsprechend modernem strategischem Denken im Einsatzfall für Lähmungsschläge gegen die schon oben erwähnten Kommando-, Kontroll- und Kommunikationsstrukturen im weit entfernten Hinterland des Warschauer Paktes bestimmt sind. Solche gattungsmäßig neuartigen Waffen sind keine Modernisierung der Bewaffnung der Streitkräfte, sondern ein aliud. Eine andere Betrachtungsweise hieße, den Art. 1 als Blankettvorschrift für den Einsatz jeder Art von Waffen vom Boden der Bundesrepublik aufzufassen, die zum Zwecke der Verteidigung als militärisches oder politisches Instrument der USA oder ihrer Partner gegen die Sowjetunion und die Staaten des Warschauer Paktes tauglich ist, und zwar ohne Rücksicht auf die politischen Folgen, die eine Stationierung in dem vordersten und im Kriegsfall am meisten betroffenen Gefechtsfeld Bundesrepublik Deutschland auslösen könnte. Der unaufhaltsame und zugleich unberechenbare Fortschritt der Rüstungstechnologie und -technik ist keine Rechtfertigung, gleichsam schicksalhaft die Verfügungsmacht über die Souveränität des Staatswesens aus der Hand des Gesetzgebers nach Art. 24 Abs. 1 GG in die der Bundesregierung zu überantworten. Auch insoweit gilt, daß bei der Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages, der politische Beziehungen des Bundes regelt, der politischen Ausgangslage des Vertrages besondere Bedeutung zukommt (vgl. BVerfGE 4, 157 [168 und Leitsatz 3]).
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"Daneben hebt diese Waffen aus dem hergebrachten Bereich der Waffenmodernisierung nach Art. 1 Aufenthaltsvertrag auch der ausdrückliche Hinweis der Bundesregierung heraus, vor der Stationierung auf dem Boden der Bundesrepublik werde der Deutsche Bundestag Gelegenheit haben, im Rahmen seiner parlamentarischen Kontrollbefugnis dazu Stellung zu nehmen, wie er dies bereits früher getan habe (BTDrucks. 10/487, S. 6 f.; Hervorhebung hier).
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Auch US-Außenminister Dulles hat neuartigen Waffenentwicklungen dadurch Rechnung getragen, daß er neue Stationierungsabreden vorschlug: Im Jahre 1957, also nach der Ratifizierung des in Rede stehenden Vertragswerkes, nannte er für die Aufstellung von Raketen mittlerer Reichweite auf dem Gebiete der NATO-Staaten "vertragliche Abmachungen zwischen dem Alliierten Oberbefehlshaber in Europa und den beteiligten Ländern sowie Abkommen zwischen jedem der Länder und den USA" als Voraussetzung (AdG 1957, S. 6802). Der deutsch-französische Briefwechsel über die Stationierung französischer Streitkräfte nach Aufhebung der Assignierung der französischen Streitkräfte unter den Oberbefehl des SACEUR (Bulletin der Bundesregierung vom 23. 12. 1966, Nr. 161, S. 1304 f.) besagt nichts Gegenteiliges. Wenn es dort heißt, daß die Waffen dieser Streitkräfte der Bundesregierung alljährlich angezeigt werden, so hält sich diese Zusage an den oben festgestellten Rahmen des Art. 1 des Aufenthaltsvertrags für die Bewaffnung und Modernisierung. Der Briefwechsel kann allenfalls ein Indiz dafür sein, daß dergleichen generell zustimmungsfrei ist, also nicht dem Art. 1 Abs. 2, sondern Art. 1 Abs. 1 des Aufenthaltsvertrages unterfällt. Dem Briefwechsel mehr an Bedeutung zuzusprechen, hindert schon die Berichterstattung des Abgeordneten Brandt (Berlin) für den Bundestagsausschuß für Auswärtige Angelegenheiten, wonach die Lagerung taktischer Atomwaffen nicht zustimmungsfrei sei (Umdruck S. 120); a. A.: Schweisfurth, ArchVR, 1984, S. 211 ff.)."
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III. |
Gemäß Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Gesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes. Der Senat meint, diese Grundgesetznorm sei auf die angegriffene Zustimmungserklärung zur Stationierung und zur Übertragung von Hoheitsrechten nicht anwendbar, weil sie eine einseitige Erklärung sei. Dieser Beurteilung vermag ich nicht zu folgen.
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1. Es ist schon zweifelhaft, ob es sich bei der in Rede stehenden Zustimmung der Bundesregierung nicht doch um den Bestandteil eines völkerrechtlichen Vertrages handelt (dazu überzeugend: Schweisfurth, ArchVR 1984, S. 195-203). Das mag hier auf sich beruhen.
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2. Nach Auffassung des Senats ist es der Sinn des Parlamentsvorbehalts nach Art. 59 Abs. 2 GG, langfristige oder gar grundsätzlich unauflösliche Bindungen völkerrechtlicher Art nicht ohne Zustimmung des Bundestages eintreten zu lassen (S. 105). Diese Aussage hätte dem Senat Veranlassung zu der Prüfung geben müssen, ob die genannte Zustimmungserklärung der Bundesregierung, wenn sie als einseitige Erklärung dem Gesetzesvorbehalt nicht unterfällt, überhaupt anders denn als Bestandteil eines Vertrages hätte abgegeben werden dürfen. Der Sinn des Art. 59 Abs. 2 GG würde verfehlt, wenn die Exekutive durch Wahl der Rechtsform ihrer Erklärungen über die Tragweite des Gesetzesvorbehalts entschiede. Die Zustimmung kann zu den typischen rechtsgestaltenden einseitigen völkerrechtlichen Erklärungen nicht gerechnet werden, weil sie als Zustimmung etwas bereits gedanklich Existentes, das auch rechtlich erheblich ist, voraussetzt. Damit scheitert der Einwand, die Konsequenz dieses Gedankens sei, daß die Bundesregierung überhaupt gehindert werde, innerstaatlich wirksam einseitige völkerrechtliche Erklärungen abzugeben.
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3. Sollte die Zustimmung als einseitiger Völkerrechtsakt verfassungsrechtlich möglich sein, dann erfordert es die Funktion des Art. 59 Abs. 2 GG, den Gesetzesvorbehalt auch darauf zu erstrecken.
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Nach Auffassung des Senats läßt die Gewaltenteilung eine solche Erstreckung nicht zu. Sie wäre eine "Konzentration politischer Macht", ein "Einbruch in zentrale Gestaltungsbereiche der Exekutive" (S. 102 f.) und liefe dem Gefüge der Verteilung von Macht, Kontrolle und Verantwortung zuwider, das das Grundgesetz gewahrt wissen will.
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Prüft der Senat hingegen den Mitwirkungsbereich des Gesetzgebers nach Art. 59 Abs. 2 GG konkret (S. 100 f.), kommt er zu anderen Ergebnissen: Der Gesetzgeber nach Art. 59 Abs. 2 GG ist - so müssen die Ausführungen des Senats verstanden werden - gar nicht fähig, der Exekutive die Herrschaft über die Auswärtige Gewalt streitig zu machen. Von einem Einbruch in zentrale Gestaltungsbereiche der Exekutive kann hiernach keine Rede sein. In der Lehre wird umgekehrt von der Gefahr "fortschreitender Aushöhlung" der Mitwirkungsbefugnisse des Gesetzgebers nach Art. 59 Abs. 2 GG gesprochen (Tomuschat, VVDStRL 36 [1978], S. 60 f.).
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Angreifbar ist die vom Senat angewandte Methode in der Auslegung des Gewaltenteilungsgrundsatzes. Wie wichtig die Methodenfrage ist, macht der Hinweis des Senats deutlich, daß aus der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes entstehende politische Risiken von Verfassungs wegen hinzunehmen seien (S. 106). Der Senat legt den Art. 59 Abs. 2 GG im Lichte des Art. 20 Abs. 2 GG aus (S. 102), ohne zuvörderst den Art. 20 Abs. 2 GG im Lichte des Art. 59 Abs. 2 GG auszulegen. Art. 59 Abs. 2 GG ist selbst eine Positivierung des Gewaltenteilungsprinzips des Grundgesetzes. Die Reichweite dieses Prinzips kann daher nicht von einem ideell vorgestellten Gewaltenteilungsschema bestimmt werden. Ist Art. 59 Abs. 2 GG auszulegen, so bleibt, nachdem der Senat zu Recht eine Regel-Ausnahme -Interpretation, wie sie noch der Entscheidung des Gerichts vom 29. Juli 1952 (BVerfGE 1, 372 [394]) zugrunde lag, verworfen hat, als maßgebliches Entscheidungskriterium die Funktion der Norm. Die Reichweite des Gesetzesvorbehalts im Grundrechtsbereich jedenfalls hat das Gericht regelmäßig aus der jeweiligen Schutzfunktion heraus definiert, die im Vorbehalt des Gesetzes für den Bürger liegt.
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Geht es um den Gesetzesvorbehalt in Art. 59 Abs. 2 GG, soweit er Gegenstände der Gesetzgebung betrifft, gebietet es die Funktion dieser Norm, daß keine Kluft zwischen der völkerrechtlichen Bindung einerseits und dem innerstaatlichen Recht andererseits entsteht, den Gesetzesvorbehalt auch auf einseitige Akte zu erstrecken.
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Für die Reichweite des Tatbestandsmerkmals der Regelung politischer Beziehungen, das hier einschlägig ist, kommt es ebenfalls auf die Funktion des Art. 59 Abs. 2 GG an. Im Urteil vom 31. Juli 1973 zum Grundlagenvertrag (BVerfGE 36, 1) hat das Gericht den Gesichtspunkt der politischen Kontrolle als maßgebend für die Einbeziehung eines Vertrages mit einem Staat, der zu Deutschland gehört (a.a.O., S. 17), in den auf Verträge mit auswärtigen Staaten zugeschnittenen Vertragsbegriff (vgl. Art. 59 Abs. 1 GG) hervorgehoben (a.a.O., S. 13). Macht diese Einbeziehung der Gesichtspunkt der politischen Kontrolle erforderlich, so muß der gleiche Gesichtspunkt gelten, wenn der Akt zwar zur Auswärtigen Gewalt gehört, aber keine vertragliche, sondern eine einseitige Regelung der politischen Beziehungen darstellt.
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Nach der Entscheidung des Senats vom 8. August 1978 (BVerfGE 49, 89 [126 f.]) ist Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG eine spezielle Ausprägung des generellen, "alle wesentlichen Entscheidungen" umfassenden Gesetzesvorbehalts des Grundgesetzes. Ist die Zustimmung der Bundesregierung zur Stationierung der Streitkräfte eine so wesentliche Entscheidung der Außenpolitik, daß die politische Kontrolle des Gesetzgebers geboten ist, so unterfällt sie dem Gesetzesvorbehalt.
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"Ein beachtlicher Teil der Lehre läßt einseitige Erklärungen dem Art. 59 Abs. 2 GG unterfallen: Generell hält dies offenbar Bernhardt für geboten, in: Bundesverfassungsgericht und Grundgesetz, Bd. II, 1975, S. 163; vorsichtiger im gleichen umfassenden Sinne Doehring, VVDStRL 36 (1978), S. 147 f.; zur Kündigung, teils generell, teils unter Kautelen oder nur bei bestimmten Verträgen: Friesenhahn, VVDStRL 16 (1958), S. 70; Baade, Das Verhältnis von Parlament und Regierung im Bereich der auswärtigen Gewalt der Bundesrepublik Deutschland, 1962, S. 121 f., Fn. 117; Hienstorfer, Die Auswärtige Gewalt des Deutschen Bundestages, Marburger Dissertation, 1968; Stelzig, Die Zuständigkeit des Bundestages für die Kündigung von Staatsverträgen, Dissertation Bonn, 1957; Tomuschat, a.a.O., Art. 24, Rdnr. 36 für Verträge, denen mit Gesetzen nach Art. 24 Abs. 1 GG zugestimmt worden ist; für Österreich ist dies bereits parlamentarische Praxis (Öhlinger, Der völkerrechtliche Vertrag im staatlichen Recht, 1973, S. 376); zum Vorbehalt zu einem Vertrag, wenn dieser dem Art. 59 Abs. 2 GG unterfällt: Jarass, DÖV 1975, S. 117 ff.; für Autoren, die den Beitritt zu einem Vertrage für einseitige völkerrechtliche Erklärungen halten, unterfällt auch er dem Art. 59 Abs. 2 GG: vgl. Rojahn in: von Münch (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 2, 2. Aufl., 1983, Art. 59 Rdnr. 51; Zuleeg in: AK-GG, 1984, Band 1, Art. 59 Rdnr. 79."
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Der Senat weist ausgleichend auf die Kontrollbefugnisse des Bundestages, insbesondere die Befugnis zur Kanzlerwahl hin. Aber die Wahl eines neuen Kanzlers macht weder den Akt der Regierung völkerrechtlich unwirksam, noch widerfährt damit den Mitwirkungsbefugnissen des Bundesrates Genugtuung. Vor allem legt weder die parlamentarische Regierungsform des Grundgesetzes noch legen die Erfahrungen mit dieser Verfassung ein Verständnis des Verhältnisses der beiden politischen Gewalten dahin nahe, daß die Wahl eines neuen Kanzlers die Quittung für einzelne Regierungsmaßnahmen sein solle. Die politische Kontrolle soll in stabilen Regierungsverhältnissen ausgeübt werden. Die Verfassung ermöglicht gerade die Verbindung von stabiler Führung der Regierungsgeschäfte mit der Ausdehnung der parlamentarischen Zuständigkeit über das Weimarer Maß hinaus. Diese Verbindung beider Gewalten wurde, in wachsender Distanzierung zum "Gewaltenteilungsmonismus" der konstitutionellen Verfassungsperiode, nach Erlaß des Grundgesetzes weiterentwickelt (vgl. Art. 45 a, 45 b, 45 c, 87 a Abs. 1, 115 a Abs. 1, 115 a Abs. 2 i. V. m. Art. 53 a GG).
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4. Art. 59 Abs. 2 GG ist auf die Zustimmungserklärung anzuwenden.
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Die Zustimmung überträgt einmal ein Hoheitsrecht auf die Vereinigten Staaten, das der Präsident der USA auszuüben befugt ist. Damit kann er, auch wenn er dieses Hoheitsrecht innerhalb des ihm durch den Nordatlantikvertrag gezogenen Rahmens ausübt, die Bundesrepublik in einen gerade für das deutsche Volk in den beiden deutschen Staaten existenzbedrohenden Krieg verwickeln.
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Zum anderen bedurfte die Zustimmung der Gesetzesform deshalb, weil sie eine politische Lösung des Sicherheitsproblems im Bereich der Mittelstreckenraketen, also eine solche auf dem Verhandlungswege, auf nicht absehbare Zeit ausschloß.
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Da die Sowjetunion die USA wissen ließ, sie werde die Verhandlungen im Falle der Stationierung der Mittelstreckenraketen nicht fortführen, die Bundesrepublik aber das einzige Land ist, in dem Pershing-II-Raketen stationiert werden sollten und tatsächlich auch stationiert werden, war die Bundesrepublik in der einmaligen Lage, die Chance für ein Weiterverhandeln bei den Genfer INF-Verhandlungen maßgeblich zu beeinflussen. Die damit mögliche politische Lösung bedeutete gerade für die Bundesrepublik eine schwerwiegende Alternative gegenüber einer waffentechnischen Sicherheitslösung, wie sie die Raketenaufstellung darstellt, weil diese aufgrund waffentechnologischer Fortschritte auf beiden Seiten immer nur kurzfristig neue Sicherheit vermitteln kann. Der Ausschluß der Verhandlungen war auch nicht eine bloß sekundäre Folge der Zustimmungserklärung (vgl. hierzu BVerfGE 1, 372 [382]), vielmehr war er selbst Inhalt dieser Entscheidung, da die Zustimmung zur Stationierung der Raketen die Alternative einer Verhandlungslösung auf ungewisse Zeit ausschloß.
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Mahrenholz |