BVerfGE 81, 278 - Bundesflagge |
1. Die Freiheit der Kunst findet ihre Grenzen nicht nur in den Grundrechten Dritter. Sie kann auch mit anderen verfassungsrechtlich geschützten Gütern in Widerstreit treten. |
2. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG schließt eine Bestrafung nach § 90a Abs. 1 Nr. 2 StGB wegen Verunglimpfung der Bundesflagge durch eine künstlerische Darstellung nicht generell aus. |
Beschluß |
des Ersten Senats vom 7. März 1990 |
-- 1 BvR 266/86 und 913/87 -- |
in den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden ... |
Entscheidungsformel: |
... |
Gründe: |
A. |
Die Beschwerdeführer wenden sich gegen ihre Bestrafung wegen Verunglimpfung der Bundesflagge. Die ihrer Verurteilung zugrunde liegende Vorschrift des Strafgesetzbuches lautet:
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"§ 90a Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole
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(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3)
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1. die Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder oder ihre verfassungsmäßige Ordnung beschimpft oder böswillig verächtlich macht oder
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2. die Farben, die Flagge, das Wappen oder die Hymne der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
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(2) - (3) ..."
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I. |
Das Verfahren 1 BvR 266/86
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1. Der Beschwerdeführer ist Geschäftsführer einer Buchvertriebsgesellschaft. Diese verkaufte in den Jahren 1981 und 1982 zahlreiche Exemplare des Taschenbuchs "Laßt mich bloß in Frieden", einer als "Lesebuch" bezeichneten, durch Karikaturen und Collagen aufgelockerten Zusammenstellung antimilitaristischer Prosa und Poesie. Die vordere Umschlagseite des Buches zeigt einen Soldaten mit Totenkopf und Stahlhelm. Auf der Umschlagrückseite ist eine aus zwei Fotografien zusammengesetzte Collage abgebildet, die der Anlaß des Strafverfahrens war. Die untere Hälfte der Darstellung besteht aus einer Schwarz-Weiß-Aufnahme eines Gelöbniszeremoniells der Bundeswehr, bei dem Soldaten eine Bundesflagge ausgebreitet halten. Im Hintergrund erkennt man ein Kasernengebäude, vor dem ein mit einer Bundesfahne geschmücktes Rednerpult aufgebaut ist, an dem ein weiterer Soldat steht. Zwischen diesem und der Kaserne befindet sich ein vollmastbeflaggter Fahnenmast. Der Himmel über dem Kasernengebäude bildet den Hintergrund des Farbfotos, aus dem die obere Hälfte der Collage besteht. Sie zeigt einen mit Hemd und Hose bekleideten männlichen Torso von den Knien bis zur Hüfte, der wie ein Riese hinter dem Kasernendach aufragt. Der geöffnete Hosenschlitz wird durch die rechte Hand des Mannes in Urinierhaltung verdeckt. Hinter der Hand tritt ein gelber Urinstrahl hervor, der im Wege der Fotomontage in das untere Bild auf die dort ausgebreitete Fahne gelenkt wird. Unter der Fahne ist auf dem Erdboden eine gelbe Urinpfütze dargestellt.
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Das Amtsgericht verhängte gegen den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 50 DM. Es beurteilte die Umschlagrückseite des Buches als Verunglimpfung der Farben und der Flagge der Bundesrepublik Deutschland; denn das Urinieren auf diese Flagge bedeute eine Verächtlichmachung, die nach Form und Inhalt einer erheblichen Ehrenkränkung gleichkomme. Zur Frage, ob der Beschwerdeführer sich auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG berufen könne, führte es wörtlich aus:
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"Abgesehen davon, daß auch Kunst nicht schrankenlos ist, sondern Grenzen der Gesetze unterliegt, kann das Gericht keinerlei Ansätze erkennen, wieso die geschilderte Abbildung solche grundgesetzlich zu schützende Kunst darstellen sollte. Es mag sein, daß irgendein Professor aus seiner subjektiven Bewertung irgendeine sogenannte Kunst in diesem Bild entdecken mag, aber an eine solche Bewertung ist das Gericht nicht gebunden."
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Das Oberlandesgericht verwarf die Sprungrevision des Beschwerdeführers:
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Die Collage sei als ein Kunstwerk anzusehen, weil es sich um die "Bildnerische Gestaltung" der Mißachtung der Bundesflagge handele. Dieses Symbol rechne zu den hochrangigen Werten der staatlichen Ordnung. Eine fallbezogene Abwägung auf der Grundlage der amtsgerichtlichen Feststellungen ergebe, daß es sich bei der Darstellung um eine besonders üble Verunglimpfung handele. Die Bundesflagge, Symbol der Bundesrepublik Deutschland und ihrer freiheitlichen demokratischen Grundordnung, werde verächtlich gemacht und damit Ehre und Ansehen des von ihr symbolisierten Staates und seiner Ordnung erheblich verletzt. Der Angriff richte sich auch nicht gegen diejenigen, welche die Flagge nach der der Thematik der Druckschrift innewohnenden Vorstellung mißbrauchen könnten, sondern gegen die Flagge und die von ihr symbolisierte Staatlichkeit selbst. Dies gelte insbesondere, weil sie bei einem Fahneneidzeremoniell der Bundeswehr gezeigt werde. Dabei handele es sich um eine Äußerung des Staates, deren Bedeutung er durch die feierliche Form hervorgehoben habe. Unabhängig davon, wie man zu der öffentlichen Vereidigung stehe, liege daher in der Verunglimpfung der Fahne bei diesem Anlaß eine empfindliche Herabsetzung des Staates. Von dieser gehe auch eine erhebliche Breitenwirkung aus. Die Veröffentlichung der Schmähung in Bildform auf dem Einband eines Buches wirke wesentlich nachhaltiger als die Verbreitung durch Handzettel. Die Kunstfreiheitsgarantie müsse hier zurücktreten. Das folge aus der Gemeinschaftsbezogenheit des Individuums.
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2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 sowie aus Art. 2 Abs. 1 GG.
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Er trägt vor: § 90 a StGB müsse im Lichte der Bedeutung des Kunstprivilegs ausgelegt werden. Es müsse gefragt werden, ob die konkrete Betätigung der Kunstfreiheit mit anderen, ebenfalls in der Verfassung geschützten Rechtsgütern in Konflikt gerate. Eine Vorschrift des Grundgesetzes, die das Schutzgut des § 90 a StGB erfasse, gebe es jedoch nicht. Zwar könne man daran denken, die Bestimmung der Bundesrepublik Deutschland zu einem demokratischen, rechts- und sozialstaatlichen Bundesstaat als verfassungsrechtliche Kollisionsnorm zu Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG aufzufassen. Das Bundesverfassungsgericht habe jedoch entschieden, daß die Grenzen der Kunstfreiheit nur durch andere oberste Grundwerte der Verfassung gezogen würden und ihre Einschränkung nur im "äußersten Fall" angebracht sei, nämlich dann, wenn der Bestand der Bundesrepublik Deutschland und ihrer freiheitlichen demokratischen Grundordnung gefährdet sei. Die Bundesflagge gehöre nicht zu den obersten Verfassungswerten. In der Verfassung selbst sei sie lediglich zur Bestimmung ihrer Farben erwähnt. Ihre Verwertung im Rahmen eines politischen Kunstwerks könne jedenfalls keine unmittelbare und gegenwärtige Gefahr für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Grundordnung bedeuten.
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Im übrigen ergebe eine richtige Interpretation der Fotomontage, daß die Farben der Bundesrepublik Deutschland nicht verunglimpft werden sollten. Der satirische Angriff richte sich gegen das Vereidigungszeremoniell der Bundeswehr, bei welchem die Bundesflagge notwendigerweise benutzt werde. Aus dem gesamten Zusammenhang des Buches "Laßt mich bloß in Frieden" sei ersichtlich, daß sich die Kritik gegen die Militarisierung des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik wende. Aus dieser Sicht sei schon fraglich, ob die Fotomontage überhaupt den Tatbestand des § 90 a StGB erfülle.
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Zur Unterstützung seines Vorbringens hat der Beschwerdeführer eine rechtsgutachtliche Stellungnahme von Professor Ridder vorgelegt. Diese kommt zu dem Ergebnis, daß die Strafgerichte von mehreren Möglichkeiten zur Interpretation der Collage diejenige als die gültige bestimmt hätten, die vom Kontext abstrahiere und die Strafbarkeit nach sich ziehe. So sei die Bedeutungsalternative, die der Urheber selbst dem Werk beigemessen habe und die dahin gehe, daß seine Kritik nicht der Fahne, sondern dem seiner Meinung nach mit ihr geübten Mißbrauch gelte, mindestens ebenso plausibel wie die Interpretation der Strafgerichte. Im übrigen seien zahlreiche weitere Deutungen denkbar; denn der mit einem Kunstwerk verbundene Bedeutungsgehalt sei keine einseitige "Botschaft" des Künstlers, sondern das Ergebnis eines Kommunikationsprozesses. Er ändere sich nach Maßgabe der jeweils Beteiligten. Abgesehen davon hätten die Gerichte berücksichtigen müssen, daß es sich bei der Collage um eine politische Satire handele, die auf derselben Ebene reagiere, auf der die Fahneneidzeremonie agiere. Es gehöre zum Wesen von Karikatur und politischer Satire, die Sache auf eine Ebene zu transportieren, auf der sie zum Gegenstand des Gelächters werden solle. Wer die Beschädigung des Ansehens des Staates, seiner Symbole und einzelner Äußerungen des Staates durch die Satire zum Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung mache, entziehe der politischen Satire einen Hauptbereich ihres Wirkens und verletze dadurch die Freiheit der Kunst.
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3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben sich der Bundesminister der Justiz namens der Bundesregierung und der Hessische Ministerpräsident geäußert.
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a) Der Bundesminister der Justiz hält sie für unbegründet: Es erscheine bereits zweifelhaft, ob die Collage nach den Maßstäben, die das Bundesverfassungsgericht aufgestellt habe, als Kunst anzusehen sei. Es handele sich bei ihr nicht um den verfassungsrechtlich schützenswerten Ausdruck der individuellen Persönlichkeit eines Künstlers, sondern um eine primitive Darstellung obszöner Handlungen ohne erkennbaren künstlerischen Aussagewert. Sie sei allein zu dem Zweck geschaffen worden, politische Wirkungen zu erzielen.
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Die angegriffenen Entscheidungen seien aber selbst dann mit der Kunstfreiheitsgarantie vereinbar, wenn man unterstelle, daß es sich bei der Collage um ein Kunstwerk handele. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG finde seine Grenzen in anderen Bestimmungen der Verfassung, die ein ebenfalls wesentliches Rechtsgut schützten. Die in Art. 22 GG erwähnte Bundesflagge sei ein solches Rechtsgut. Die Bedeutung dieser Vorschrift erschöpfe sich nicht in der Festlegung der Farben der Bundesrepublik Deutschland. Die Flagge diene vielmehr der Staatspflege, stärke das Gemeinschaftsgefühl der Staatsbürger und sei ein wichtiges Integrationsmittel. Werde sie im Rahmen eines Fahneneidzeremoniells verwendet, sei sie zugleich wesentlicher Bestandteil eines Rechtssymbols, durch das die Bereitschaft zur Erfüllung von Pflichten zum Ausdruck gebracht werde, die den Bestand der Bundesrepublik Deutschland sicherten. Aus der Notwendigkeit der Staatssymbolik, die das Grundgesetz in Art. 22 GG anerkenne, ergäben sich demnach Schranken der Kunstfreiheit, ohne daß es im Einzelfall des besonderen Nachweises bedürfte, der Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder deren freiheitliche Ordnung seien konkret gefährdet. Da die Kunstfreiheit ihrerseits dem durch Art. 22 GG geschützten Rechtsgut Grenzen setze, habe der Strafrichter bei der Anwendung des § 90 a Abs. 1 Nr. 2 StGB durch Abwägung zu klären, ob die Verunglimpfung derart schwerwiegend sei, daß die Freiheit der Kunst zurückzutreten habe. Diese verfassungsrechtlichen Anforderungen habe das Oberlandesgericht nicht verkannt.
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b) Auch der Hessische Ministerpräsident sieht in der angegriffenen Entscheidungen keine Verletzung der Kunstfreiheit: Die Collage übersteige die immanenten Schranken des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Als kollidierende Schutznorm komme Art. 22 GG in Betracht, durch den die Bundesflagge Verfassungsrang erhalten habe. In ihr verkörpere sich das Ansehen des demokratischen Staates, welcher der Achtung seiner Bürger bedürfe, weil er auf deren Akzeptanz angewiesen sei. Die erforderliche Abwägung der Schutzbereiche beider Normen ergebe, daß die Kunstfreiheit hier zurücktreten müsse. Indem die Bundesflagge als Objekt der bildlichen Darstellung eines Uriniervorganges benutzt werde, sei sie, ohne daß dies weiterer Interpretation bedürfe, unmittelbar herabgesetzt worden. Bei der Fotomontage handele es sich nach der Art ihrer Ausgestaltung um einen intensiven Angriff auf das Staatssymbol Bundesflagge, der nur durch eine strafrechtliche Sanktion abgewehrt werden könne.
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II. |
Das Verfahren 1 BvR 913/87
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1. Der Beschwerdeführer gehörte der Redaktion der Zeitschrift "Mitbürger! - Odenwälder Flugschrift" an. In deren Nr. 20 vom März/April 1982 stand auf Seite 8 eine Meldung über Durchsuchungsaktionen der Hamburger Staatsanwaltschaft, deren Ziel die Beschlagnahme des Buches "Laßt mich bloß in Frieden" war. In der Meldung war der Titel des Buches allerdings verfremdet in: "Laßt uns doch bloß in Frieden!", weil er gleichzeitig als Überschrift eines daran anschließenden Kommentars des Buchautors V. zu den staatlichen Maßnahmen diente. Seite 11 der Zeitschrift trug die Überschrift "Dem Täter auf der Spur" mit der Erläuterung: "12386. Folge des beliebten Preisrätsels unserer Hamburger Staatsanwaltschaft". Gezeigt wurden auf dieser Seite die beiden Fotos, aus denen die Collage auf der Umschlagrückseite des genannten Buches hergestellt worden war. Hier wurden sie jedoch nur an der linken Ecke aneinander stoßend in leichter Schrägstellung zueinander abgedruckt. Gestrichelte Bildränder mit Scherensymbolen forderten zum Ausschneiden der Bilder auf. Den Fotos war folgender Text zugeordnet:
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"Heutiges Motto: Um dem Täter auf die Spur zu kommen, müssen wir ihm auf die Spur kommen!
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Die Aufgabe: Nehmen Sie Schere und Kleister zur Hand und basteln Sie aus den alltäglichen Fotos unten eine ganz gemeine Verunglimpfung.
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Kleine Hilfestellung: Denken Sie zuerst nach, was die Bilder ausdrücken könnten!"
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Neben dem Bild mit dem urinierenden Mann waren folgende Bedeutungsalternativen angegeben:
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"a) Ein Bild aus der Serie "Der kleine Feuerwehrmann"?
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b) Der Herr Senator probiert gerade ein neues Rasierwasser aus?
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c) Ein Reklamefoto aus der Broschüre "Darum brauchen wir den Rhein-Main-Donau-Kanal"?"
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Neben dem Foto des Vereidigungszeremoniells standen folgende Möglichkeiten zur Wahl:
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b) Der Herr Bundespräsident hat ein neues Schneuztuch?
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c) Alles Gute kommt von oben?"
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Nach einem Hinweis auf "wertvolle Preise" schloß die Seite mit der Aufforderung, Lösungen an die "Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Hamburg" zu schicken.
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Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer wegen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen in Höhe von je 30 DM. Es führte aus: Die Bilder seien einander so zugeordnet, daß der Eindruck entstehe, als ob sie, eigentlich zusammengehörend, nur etwas "verrutscht" seien. Damit werde die Vorstellung eines auf die Bundesflagge urinierenden Mannes hervorgerufen. In der Darstellung komme ihrer Form und ihrem Inhalt nach eine häßliche, besonders verletzende und rohe Mißachtung des Staates und seines Symbols, der Bundesflagge, zum Ausdruck. Der Flagge werde nichts anderes bescheinigt, als daß sie es "wert" sei, darauf die Notdurft zu verrichten. Damit werde zugleich der Staat als der Achtung des Bürgers unwürdig hingestellt. Auch die Garantie der Kunstfreiheit sei nicht geeignet, die Rechtswidrigkeit der Darstellung zu verneinen. Selbst wenn man sich auf den Standpunkt stelle, daß die Fotomontage als Kunstwerk anzusehen sei, habe das Recht der künstlerischen Betätigung hinter dem durch § 90 a StGB ausgedrückten Verbot zurückzutreten. Zu den mit der Kunstfreiheitsgarantie kollidierenden Verfassungswerten zählten das Ansehen und die Würde des Staates, die durch diese Strafnorm geschützt würden. Hinter beiden Rechtsgütern stehe die Bestandskraft der Bundesrepublik Deutschland und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung sowie der durch das Bekenntnis zu ihnen berührte öffentliche Friede. In der Gegenwart sei offenkundig, daß der Staat, die Verfassung und die Staatssymbole nicht unerheblichen Angriffen ausgesetzt seien. Angesichts dessen dürfe nicht vergessen werden, daß die Weimarer Republik infolge dauernder Angriffe auf ihren Bestand, wie sie nicht zuletzt durch die damalige Symbolverachtung zum Ausdruck gekommen seien, untergegangen sei. Eine fehlende Selbstverteidigung des Staates gegen Verunglimpfungen lähme die Bereitschaft zum Engagement und führe zur Resignation sowie zu Staats- und Verfassungsverdrossenheit. Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen stelle § 90 a Abs. 1 StGB eine gültige und legitime Schranke der Kunstfreiheitsgarantie dar. Bei der Ermittlung des Inhalts der Fotomontage müsse zwischen dem objektiven Sinn der Darstellung und ihrer Einkleidung unterschieden werden. Kern der Aussage der Fotomontage sei die Mißachtung der bei der Rekrutenvereidigung verwendeten Flagge und damit der durch sie symbolisierten Bundesrepublik Deutschland. Es werde nicht die Militarisierung des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik angeprangert. Der Angriff richte sich unmißverständlich nicht gegen diejenigen, welche die Flagge angeblich mißbrauchten, sondern gegen diese selbst. Die Fotomontage enthalte keinen verschlüsselten satirischen Gehalt, sondern sei leicht zu durchschauen. Diese Aussage werde durch die Einkleidung unterstützt. Das Urinieren auf die Fahne sei eine in starker Weise herabsetzende Schmähkritik, durch welche die Flagge als besonders verachtenswert hingestellt werde. Die satirische Form diene nicht der überspitzenden Darstellung eines Teiles des wirklichen Lebens, sondern dazu, den ehrabschneidenden Angriff zu verstärken.
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Die Berufung des Beschwerdeführers verwarf das Landgericht mit folgender Begründung: Durch den mittels der Anordnung der beiden Bilder wiedergegebenen Vorgang des Urinierens auf die Fahne sei die Bundesrepublik in einer besonders schimpflichen und widerwärtigen Weise verächtlich gemacht worden. Gleichgültig, ob der Urin nach der Vorstellung des Beschwerdeführers der Fahne oder dem Vereidigungszeremoniell gelte, liege eine Verunglimpfung der Fahne und des Staates vor, selbst wenn dies nicht Zweck der Abbildungen sein sollte, sondern nur das Mittel zu dessen Erreichung. Das Verhalten des Beschwerdeführers sei auch weder durch das Grundrecht der freien Meinungsäußerung noch durch die Kunstfreiheitsgarantie gerechtfertigt gewesen. Das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit habe schon deshalb zurückzutreten, weil es seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze finde. Ob die Fotomontage ein Kunstwerk im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG sei, könne dahingestellt bleiben. Jedenfalls vermöge auch die Kunstfreiheitsgarantie keine Verunglimpfung der in § 90 a StGB geschützten Güter zu rechtfertigen. Art. 5 Abs. 3 GG seien verfassungsimmanente Grenzen durch die grundgesetzliche Wertordnung gezogen. Zu den übergeordneten Verfassungswerten, die durch § 90 a StGB geschützt würden, gehörten das Ansehen und die Würde des Staates, die auf der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland beruhten. Ein gleichhoher Rang komme der Bundesflagge als Staatssymbol zu. Sie sei Sinnbild für den freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat und habe eine integrierende Wirkung auf alle sich zu diesem Staat und seiner Verfassung bekennenden Bürger. Ihre Verunglimpfung rühre an das Ansehen des Staates, wie er sich in den Augen seiner Bürger darstelle. Die Kunstfreiheitsgarantie habe demgegenüber zurückzutreten.
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Die Revision verwarf das Oberlandesgericht nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet, weil die Nachprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschwerdeführers ergeben habe.
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2. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und 3 GG: Die Strafgerichte hätten den Gehalt dieser Grundrechte verkannt, indem sie den in § 90 a StGB einfachgesetzlich geschätzten Bundesfarben einen d. Kunstprivileg aus Art. 5 Abs. 3 GG einschränkenden Verfassungsrang zugesprochen hätten. Ebenso hätten sie den Normgehalt des Art. 5 Abs. 1 GG rechtsirrig bewertet. Hinzu komme, daß sie die inkriminierte Fotomontage erkennbar unzutreffend interpretierten. Sie richte sich, wie die kommentierenden Texte, eindeutig gegen das Vereidigungszeremoniell und nicht gegen die Bundesfarben als solche. Das Vereidigungszeremoniell sei aber nicht durch § 90 a StGB und schon gar nicht durch die Verfassung geschützt.
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3. Die Hessische Staatskanzlei hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet: Bei einer Abwägung der kollidierenden Verfassungsgüter ergebe sich, daß die Kunstfreiheit hinter dem Schutz des staatlichen Ansehens zurücktreten müsse. Bei der Collage handele es sich um einen unmittelbaren und in schwerwiegender Weise herabsetzenden Angriff auf das Staatssymbol Bundesflagge. Deren Abbildung als Objekt eines Uriniervorganges stelle eine Herabwürdigung dar, ohne daß es einer weiteren Interpretation bedürfe. Diese können nur durch eine strafrechtliche Verurteilung sanktioniert werden. Soweit der Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit berührt sei, bleibe Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG maßgebliches Grundrecht, weil es sich um die speziellere Norm handele.
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B. |
Die Verfassungsbeschwerden sind begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführer in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG.
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I. |
Bei strafrechtlichen Ahndungen von Handlungen, für die der Beschwerdeführer sich auf die Freiheit der Kunst beruft, prüft das Bundesverfassungsgericht nicht nur, ob die inkriminierte Lebensäußerung in den Schutzbereich des Grundrechts fällt und dessen Umfang in der angegriffenen Entscheidung grundsätzlich richtig erkannt worden ist; es untersucht auch, ob das Gericht das Werk anhand der der Kunst eigenen Strukturmerkmale beurteilt (vgl. BVerfGE 30, 173 [188]), also "werkgerechte" Maßstäbe angelegt (BVerfGE 75, 369 [376] unter Berufung auf BGH, NJW 1983, S. 1194 [1195]), und auf dieser Grundlage die der Kunst gesetzten Schranken im einzelnen zutreffend gezogen hat (zuletzt BVerfGE 77, 240 [251]). Grund dafür ist zum einen, daß das Bundesverfassungsgericht die Grenzen seiner Eingriffsbefugnisse daran ausrichtet, mit welcher Intensität die fachgerichtliche Entscheidung die Sphäre des Beschwerdeführers trifft, zum anderen die besondere Bedeutung des betroffenen Grundrechts (vgl. BVerfGE 67, 213 [223]). Dies darf nicht dahin mißverstanden werden, bestimmte Grundfreiheiten genossen von vornherein einen höheren Rang als andere subjektive Verfassungsrechte. Entscheidend für die gesteigerte Prüfungsintensität ist vielmehr die Eigenart der in Rede stehenden Grundrechte. Ebenso wie die Meinungsäußerung lebt die künstlerische Tätigkeit von der Resonanz der Öffentlichkeit. Daß bei diesen Kommunikationsgrundrechten Kollisionen mit anderen Verfassungswerten, insbesondere den Grundrechten Dritter auftreten, liegt auf der Hand. Hier den richtigen Ausgleich der widerstreitenden Schutzgüter unter Anwendung der dafür geschaffenen Normen des einfachen Rechts zu finden, ist zwar in erster Linie Aufgabe der Fachgerichte. Die Anwendung des einfachen Rechts hat hier jedoch nicht unerhebliche Rückwirkungen auf die verfassungsrechtlich geschützten Positionen. Schon einzelne Fehler bei der Auslegung des einfachen Rechts und der Deutung der Äußerung oder des Kunstwerks können zu einer Fehlgewichtung des Grundrechts führen. Wegen der schwerwiegenden Folgen, die solche Fehler im Strafverfahren nach sich ziehen können, ist zumindest dort eine intensivere Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unausweichlich (vgl. auch BVerfGE 43, 130 [137]). Dies gilt auch im Hinblick auf die nachteilige Wirkung, die eine auf das Grundsätzliche beschränkte verfassungsgerichtliche Prüfung bei den Kommunikationsgrundrechten zur Folge haben könnte. Das Verfassungsbeschwerde-Verfahren dient nicht nur dazu, den konkreten, individuellen Grundrechtseingriff zu korrigieren. Die fallübergreifende Wirkung der Verfassungsrechtsprechung hat gerade im Bereich dieser Grundrechte wegen der öffentlichkeitsbezogenheit der geschätzten Handlungen erhebliche Bedeutung (vgl. BVerfGE 42, 143 [156] - abweichende Meinung). Angesichts der einschüchternden Wirkung, die staatliche Eingriffe hier haben können, muß eine besonders wirksame verfassungsrechtliche Kontrolle Platz greifen, soll die Freiheit dieser Lebensäußerungen nicht in ihrer Substanz getroffen werden (vgl. BVerfGE 43, 130 [136]).
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II. |
Bei Anlegung dieses Prüfungsmaßstabs werden die angegriffenen Entscheidungen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht gerecht.
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In beiden Fällen sind die Handlungen der Beschwerdeführer dem Schutzbereich der Kunstfreiheit zuzuordnen (1.). Dies steht einer Bestrafung nach § 90 a Abs. 1 Nr. 2 StGB wegen Verunglimpfung der Bundesflagge zwar nicht von vornherein entgegen, weil die Strafnorm der Wahrung eines verfassungsrechtlich geschützten Gutes dient (2.). Die gebotene Abwägung der widerstreitenden Verfassungsgüter ist jedoch teilweise unterlassen worden, teilweise liegt ihr ein nicht werkgerechtes Verständnis des betreffenden Kunstwerks zugrunde (3.).
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1. Beide inkriminierten Abbildungen genügen den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht als wesentlich für eine künstlerische Betätigung ansieht.
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a) Bei der Darstellung auf der Umschlagrückseite des Buches "Laßt mich bloß in Frieden" handelt es sich um eine aus Fotografien zusammengesetzte Collage. Sie entspricht damit einer inzwischen herkömmlichen Form bildender Kunst, ohne daß geklärt zu werden braucht, ob und in welchem Umfange die dabei verwendeten Lichtbilder als solche "Kunst" im Sinne der Kunstfreiheitsgarantie sind. Neben diesen ausschließlich formalen, typologischen Aspekt tritt ein inhaltlicher. Der Schöpfer des Werks trifft durch die nicht maßstabsgerechte Zuordnung der Fotografien zueinander, also durch eine bildhafte und gleichzeitig verfremdende Verknüpfung zweier Lebensvorgänge, eine eigenständige interpretationsfähige und -bedürftige Aussage. Er bringt im Wege freier schöpferischer Gestaltung seine Auffassung zu der Vereidigungszeremonie zum Ausdruck. Damit genügt die Collage zugleich den wertbezogenen Grundanforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in der Mephisto-Entscheidung aufgestellt hat (vgl. BVerfGE 30, 173 [189]). Die Anstößigkeit der Darstellung nimmt ihr nicht die Eigenschaft als Kunstwerk. Kunst ist einer staatlichen Stil- oder Niveaukontrolle nicht zugänglich (vgl. BVerfGE 75, 369 [377]). Die Tatsache, daß der Künstler mit seinem Werk eine bestimmte Meinung vermitteln will, entzieht es gleichfalls nicht dem Schutz des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG. Eine Meinung kann - wie es bei der engagierten Kunst üblich ist - durchaus in künstlerischer Form kundgegeben werden. Maßgebliches Grundrecht bleibt in diesem Fall Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, weil es sich um die spezielle Norm handelt (vgl. BVerfGE 30, 173 (200); 75, a.a.O.).
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b) Zur Kunstqualität der im Rahmen des "Preisrätsels" verwendeten Collage gilt das oben Gesagte. Daran ändert es nichts, daß die beiden Fotografien in leichter Schrägstellung zueinander abgedruckt sind. Daß und in welcher Weise die Bilder "zusammengehören", verdeutlicht auch diese Art ihrer Anordnung hinreichend. Ein Unterschied zu der Originaldarstellung auf dem Bucheinband besteht allerdings darin, daß die Collage in eine Satire eingebettet ist, die sich gegen staatliche Verfolgungsmaßnahmen richtet. Da aber diese selbst am Schutz des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG teilnimmt, ändert sich dadurch die verfassungsrechtliche Einordnung nicht.
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c) Die Kunstfreiheit streitet für die Beschwerdeführer, obwohl sie nicht Schöpfer der jeweiligen Werke sind. Der personelle Geltungsbereich dieses Grundrechts erstreckt sich auch auf den Wirkbereich des Kunstwerks (vgl. BVerfGE 30, 173 (189); st. Rspr). Das bedeutet, daß alle Personen, die eine unentbehrliche Mittlerfunktion zwischen Künstler und Publikum ausüben, in den Grundrechtsschutz einbezogen sind. Zu diesem Personenkreis müssen auch diejenigen gezählt werden, die - wie die Beschwerdeführer - daran mitwirken, das Kunstwerk geschäftsmäßig zu vertreiben.
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2. Obwohl die Kunstfreiheit vorbehaltlos gewährleistet ist, schließt dies eine Bestrafung der Beschwerdeführer nach § 90 a Abs. 1 Nr. 2 StGB nicht von vornherein aus.
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a) Die Garantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG findet ihre Grenzen nicht nur in den Grundrechten Dritter. Vielmehr kann sie mit Verfassungsbestimmungen aller Art kollidieren (vgl. BVerfGE 30, 173 [193]; Lerche, BayVBl. 1974, S. 177 [180 f.]); denn ein geordnetes menschliches Zusammenleben setzt nicht nur die gegenseitige Rücksichtnahme der Bürger, sondern auch eine funktionierende staatliche Ordnung voraus, welche die Effektivität des Grundrechtsschutzes überhaupt erst sicherstellt. Kunstwerke, welche die verfassungsrechtlich gewährleistete Ordnung beeinträchtigen, unterliegen daher nicht erst dann Schranken, wenn sie den Bestand des Staates oder der Verfassung unmittelbar gefährden. Vielmehr muß in allen Fällen, in denen andere Verfassungsgüter mit der Ausübung der Kunstfreiheit in Widerstreit geraten, ein verhältnismäßiger Ausgleich der gegenläufigen, gleichermaßen verfassungsrechtlich geschützten Interessen mit dem Ziele ihrer Optimierung gefunden werden (vgl. BVerfGE 77, 240 [253]). Das Bundesverfassungsgericht hat in einer früheren Entscheidung eine unmittelbare und gegenwärtige Gefahr für "oberste Grundwerte" der Verfassung gefordert, wenn die Kunstfreiheitsgarantie zurücktreten solle (vgl. BVerfGE 33, 52 [71]). Das bedeutet nicht, daß in weniger extremen Situationen Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ein unbedingter Vorrang zukommt. In solchen Fällen ist der Konflikt zwischen der Kunstfreiheit und anderen verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgütern im Wege fallbezogener Abwägung zu lösen. Dabei ist allerdings zu beachten, daß sich Einschränkungen dieses vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechts nicht formelhaft mit allgemeinen Zielen wie etwa dem "Schutz der Verfassung" oder der "Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege" rechtfertigen lassen; vielmehr müssen anhand einzelner Grundgesetzbestimmungen diejenigen verfassungsrechtlich geschützten Güter konkret herausgearbeitet werden, die bei realistischer Einschätzung der Tatumstände mit der Wahrnehmung des Rechts aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG kollidieren (vgl. BVerfGE 77, 240 [LS 2 und Seite 255]).
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b) § 90 a Abs. 1 Nr. 2 StGB, auf dem die Bestrafung der Beschwerdeführer beruht, schützt die Flagge der Bundesrepublik Deutschland als staatliches Symbol. Dieser Schutz ist in der Verfassung begründet. Dies läßt sich allerdings weder unmittelbar noch ausschließlich aus Art. 22 GG folgern. Dessen normative Aussage beschränkt sich auf die Festlegung der Bundesfarben. Eine darüber hinausgehende Bedeutung kommt dieser Grundgesetzbestimmung jedoch insoweit zu, als sie das Recht des Staates voraussetzt, sich zu seiner Selbstdarstellung solcher Symbole zu bedienen. Zweck dieser Sinnbilder ist es, an das Staatsgefühl der Bürger zu appellieren (Würtenberger, JR 1979, S. 311 unter Berufung auf H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, S. 226). Das Grundgesetz nimmt diese, auch von der Flagge ausgehende Wirkung nicht lediglich in Kauf. Als freiheitlicher Staat ist die Bundesrepublik vielmehr auf die Identifikation ihrer Bürger mit den in der Flagge versinnbildlichten Grundwerten angewiesen. Die in diesem Sinne geschützten Werte geben die in Art. 22 GG vorgeschriebenen Staatsfarben wieder. Sie stehen für die freiheitliche demokratische Grundordnung.
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Aus dieser Bedeutung der Bundesflagge ergibt sich das der Kunstfreiheit widerstreitende Schutzgut der Strafnorm. Dient die Flagge durch die von ihr verkörperten Staatsleitziele als wichtiges Integrationsmittel, so kann ihre Verunglimpfung die für den inneren Frieden notwendige Autorität des Staates beeinträchtigen. Daraus folgt zugleich, daß staatliche Symbole nur insoweit verfassungsrechtlichen Schutz genießen, als sie versinnbildlichen, was die Bundesrepublik Deutschland grundlegend prägt. Allerdings ist der Staat gehindert, beliebig Symbole zu schaffen, deren Schutz in Widerstreit zu Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG treten kann.
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c) Im Lichte des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG darf der Symbolschutz indessen nicht zur Immunisierung des Staates gegen Kritik und selbst gegen Ablehnung führen. Es bedarf daher im Einzelfall einer Abwägung der widerstreitenden Verfassungsrechtsgüter.
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3. Die Verurteilung beider Beschwerdeführer genügt diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht.
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1 BvR 266/86
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a) Das Oberlandesgericht ordnet die Handlung des Beschwerdeführers zwar zu Recht dem Schutzbereich der Kunstfreiheit zu und arbeitet auch das ihr widerstreitende verfassungsrechtlich geschützte Gut der Strafnorm ausreichend heraus. Es beurteilt die Collage jedoch nicht in jeder Hinsicht werkgerecht (aa); nicht auszuschließen ist, daß diese Fehlinterpretation das Ergebnis seiner Abwägung beeinflußt hat (bb).
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aa) Ihrem Gehalt nach ist die Collage als Karikatur, also als Satirische Darstellung, einzuordnen. Den heute noch gültigen Weg zur werkgerechten Interpretation solcher Kunstschöpfungen hat das Reichsgericht gewiesen (RGSt 62, 183; vgl. BVerfGE 75, 369 [377 f.]). Da es dieser Kunstgattung eigentümlich ist zu übertreiben, zu verzerren und zu verfremden, erfordert ihre rechtliche Beurteilung die Entfernung des in "Wort und Bild gewählten satirischen Gewandes (RGSt, a.a.O., S. 184), damit ihr eigentlicher Inhalt ermittelt werden kann. Dieser Aussagekern und seine Einkleidung sind sodann gesondert daraufhin zu überprüfen, ob sie den Unrechtsvorwurf tragen. Denn die Maßstäbe für die Beurteilung der Einkleidung sind anders und weniger streng als die für die Bewertung des Aussagekerns, weil der Einkleidung die Verfremdung wesenseigen ist (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 378).
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Das Oberlandesgericht wird diesen Vorgaben nicht gerecht, weil es den Aussagekern der Collage fehldeutet. Es steht auf dem Standpunkt, sie stelle "die bildnerische Gestaltung d. Empfindung der Mißachtung der Bundesflagge dar, der durch d. Darstellung des Urinierens auf die Flagge Ausdruck verliehen" werde (Seite 9 des Urteilsabdrucks). Der Angriff richte sich nicht gegen diejenigen, welche die Flagge nach der der Thematik der Druckschrift innewohnenden Vorstellung mißbrauchen könnten, sondern gegen die Flagge und die von ihr symbolisierte Staatlichkeit selbst. Das gelte insbesondere, weil die Flagge bei einem Fahneneidzeremoniell der Bundeswehr gezeigt werde (Seite 12, a.a.O.).
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Diese Ausführungen deuten dahin, Aussagekern der Darstellung sei die Mißachtung der Bundesflagge und des durch sie symbolisierten Staates, Einkleidung dagegen das Fahneneidzeremoniell. Schon wegen der Thematik des Buches, aber auch unabhängig davon, drängt sich dem Betrachter eine entgegengesetzte Interpretation auf. Die Karikatur hat vorrangig antimilitaristische und nur insoweit antistaatliche Tendenz. Sie richtet sich gegen das staatliche Zeremoniell der Vereidigung oder des Gelöbnisses von Soldaten und bringt damit die Ablehnung, wenn nicht den Abscheu gegen den Wehrdienst zum Ausdruck. Die Abbildung zeigt zwar ein staatliches Symbol, dem eine unwürdige Behandlung zuteil wird; damit sollen aber nicht die Staatlichkeit überhaupt oder die verfaßte Ordnung der Bundesrepublik Deutschland insgesamt angegriffen werden. Angriffsziel ist der Staat nur insoweit, als er für die Einrichtung des Militärdienstes verantwortlich ist und ihm durch die Verwendung seiner Symbole bei der Inpflichtnahme der Soldaten zu einer besonderen Legitimation verhilft. Dieser Aussagekern wird eingekleidet und verfremdet durch den Mann, der auf das bei der Zeremonie verwendete staatliche Symbol uriniert.
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bb) Da dem Mittel der satirischen Verfremdung ein größerer Freiraum zukommt als ihrem eigentlichen Inhalt, führt die Fehldeutung der Karikatur durch das Oberlandesgericht zum Verfassungsverstoß. Zwar bringt das Gericht deutlich zum Ausdruck, daß die Darstellung als solche, also unabhängig von ihrem Aussagekern, nicht hingenommen werden kann. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, daß sich das nicht werkgerechte Verständnis der Collage auf das Ergebnis der Abwägung der widerstreitenden Verfassungsgüter ausgewirkt hat. Entscheidend ist, daß das Gericht die Frage der Verunglimpfung durch die Karikatur möglicherweise anders beurteilt hätte, wenn ihm der einkleidende Charakter der inkriminierten Darstellung bewußt gewesen wäre.
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b) Das Urteil des Amtsgerichts genügt schon deshalb nicht den Anforderungen des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, weil es die Collage von vornherein nicht dem Schutzbereich der Kunstfreiheit zuordnet. Der zusätzliche Hinweis, daß auch Kunst nicht schrankenlos sei, sondern Grenzen der Gesetze unterliege, räumt den Verfassungsverstoß nicht aus. Diese "Hilfserwägung" läßt nicht einmal ansatzweise das Bewußtsein erkennen, daß die Grenzen der Kunstfreiheitsgarantie nur von der Verfassung selbst zu bestimmen sind (vgl. BVerfGE 30, 173 [193]).
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1 BvR 913/87
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a) Das ohne nähere Begründung durch das Oberlandesgericht bestätigte Urteil des Landgerichts interpretiert die Collage zwar werkgerecht (aa), es verkennt jedoch die Wechselwirkung zwischen der Kunstfreiheit und dem ihr widerstreitenden Verfassungsgut (bb).
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aa) Das Landgericht hat seiner Beurteilung zutreffend den antimilitaristischen Aussagekern der Darstellung zugrunde gelegt. Dies zeigt sein Hinweis, daß der Urin - auch wenn er nach der Vorstellung des Beschwerdeführers nicht der Fahne, sondern dem Vereidigungszeremoniell gelten solle - doch die Fahne treffe; die Verächtlichmachung der Flagge und des Staates sei Mittel, das Vereidigungszeremoniell anzugreifen. Widerlegt wird dies nicht durch die daran anschließenden Darlegungen. Für den objektiven Betrachter der Collage soll sich demnach das Zeremoniell als komplexer Vorgang darstellen, der die Fahne, die durch sie symbolisierte staatliche Ordnung und das Treuegelöbnis in eins zusammenfasse; dabei lasse sich nach dem Aussagegehalt des Bildes nicht trennen, daß der Urin nicht der Fahne, sondern dem Vereidigungszeremoniell gelten solle, das sich wiederum um die Fahne als dessen symbolischen Bezugspunkt abspiele. Das Gericht sagt damit nichts anderes - und dies kommt auch in seinen weiteren Ausführungen zum Ausdruck, mit denen es entsprechende Hilfsanträge der Verteidigung ablehnt -, als daß ungeachtet der antimilitaristischen Zielsetzung des Bildes der Staat in seiner Rolle als Veranstalter des Zeremoniells angegriffen und zu diesem Zweck sein Symbol verächtlich gemacht wird.
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Das Landgericht trägt auch dem Umstand Rechnung, daß die Fotomontage Bestandteil eines ebenfalls verfremdeten Angriffs gegen staatliche Verfolgungsmaßnahmen ist. Es stellt sich auf den Standpunkt, durch diese Art der Veröffentlichung werde die übernommene fremde Meinung gebilligt und zustimmend als eigene vertreten. Dies trifft zu, obwohl die Zielrichtung des "Preisrätsels" eine andere ist als die der Fotomontage und diese hier der Erläuterung des karikierten Sachverhalts dient. Die Veröffentlichung der Collage wendet sich nämlich nicht nur gegen die staatsanwaltschaftlichen Maßnahmen, ihr Abdruck einschließlich des Begleittextes stellt sich vielmehr gleichzeitig als Akt der Solidarisierung dar. Der Verfasser macht sich die Aussage des Künstlers zu eigen, indem er nicht nur die Staatsanwaltschaft der Lächerlichkeit preisgibt, sondern dabei auch gezielt für eine weitere Verbreitung der Collage sorgt.
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bb) Das Landgericht zieht jedoch die der Kunstfreiheit gesetzten Schranken nicht richtig. Zwar arbeitet es in der notwendigen Weise heraus, daß die Bestrafung des Beschwerdeführers der Wahrung verfassungsrechtlich geschützter Güter dient. Bei der Lösung des Konflikts zwischen den widerstreitenden Verfassungswerten trägt es aber der Ausstrahlungswirkung der Kunstfreiheitsgarantie nicht Rechnung. Seine Wurzel findet dieser Fehler darin, daß es das von § 90 a Abs. 1 StGB geschützte Rechtsgut ausdrücklich als der Kunstfreiheit übergeordnet bezeichnet. Dieses fehlerhafte Verständnis führt zwangsläufig dazu, daß der Schutzzweck der Strafnorm zur unüberwindlichen Schranke der Kunstfreiheit wird. Damit versperrt sich das Gericht von vornherein den Weg zu einem fallbezogenen Ausgleich der widerstreitenden Schutzgüter. Es begnügt sich damit, die hohe Bedeutung des durch die Strafnorm geschützten Gutes darzulegen, hinter dem die Kunstfreiheit zurücktreten müsse, ohne die gebotene Abwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen.
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Da nicht feststeht, ob das Gericht bei einer fallbezogenen Abwägung ebenfalls zum Nachrang der Kunstfreiheit gekommen wäre, beruht die Entscheidung auf dem Verfassungsverstoß. Dieser Mangel ergreift auch den Beschluß des Oberlandesgerichts, das den Rechtsfehler des Landgerichts nicht erkannt hat.
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b) Das Amtsgericht hat sich zwar nicht den Weg zu einer fallbezogenen Abwägung versperrt, es interpretiert jedoch die Collage unzutreffend. Als deren Aussagekern betrachtet es die Mißachtung der Flagge und des durch sie symbolisierten Staates. Daß eine Militarisierung des öffentlichen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland angeprangert werden solle, stellt das Gericht ausdrücklich in Abrede. Das Urteil krankt somit an demselben Fehler wie die Entscheidung des Oberlandesgerichts im Parallelverfahren. Auch hier ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, daß die fallbezogene Abwägung ein anderes Ergebnis gezeitigt hätte, wäre der Aussagekern der Collage richtig gedeutet worden.
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Herzog, Henschel, Seidl, Grimm, Söllner, Dieterich, Kühling, Seibert |