BVerfGE 87, 153 - Grundfreibetrag
1. Dem der Einkommensteuer unterworfenen Steuerpflichtigen muß nach Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld von seinem Erworbenen soviel verbleiben, als er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts und -- unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG -- desjenigen seiner Familie bedarf (Existenzminimum).
2. Die Höhe des steuerlich zu verschonenden Existenzminimums hängt von den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen und dem in der Rechtsgemeinschaft anerkannten Mindestbedarf ab. Der Steuergesetzgeber muß dem Einkommensbezieher von seinen Erwerbsbezügen zumindest das belassen, was er dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellt.
3. Bei einer gesetzlichen Typisierung ist das steuerlich zu verschonende Existenzminimum grundsätzlich so zu bemessen, daß es in möglichst allen Fällen den existenznotwendigen Bedarf abdeckt, kein Steuerpflichtiger also infolge einer Besteuerung seines Einkommens darauf verwiesen wird, seinen existenznotwendigen Bedarf durch Inanspruchnahme von Staatsleistungen zu decken.
 
Beschluß
des Zweiten Senats vom 25. September 1992
-- 2 BvL 5, 8, 14/91 --
in den Verfahren zur verfassungsrechtlichen Prüfung, ob 1. die in den Einkommenssteuertarif eingearbeiteten Grundfreibeträge a) für die Veranlagungszeiträume 1978 bis 1984, für 1978 bis 1980 einschließlich des allgemeinen Tariffreibetrags, - Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Finanzgerichts Münster vom 1. Februar 1991 -- 2 BvL 8/91 -, b) für die Veranlagungszeiträume 1986 und 1988 -- Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 15. Januar 1991 -- 2 BvL 5/91 -- sowie c) für den Veranlagungszeitraum 1991 -- Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Finanzgerichts des Saarlandes vom 19. März 1991 -- 2 BvL 14/91 -- mit dem Grundgesetz vereinbar sind und 2. der für den Veranlagungszeitraum 1991 maßgebende Kinderfreibetrag -- Aussetzungs- und Vorlagebeschluß des Finanzgerichts des Saarlandes vom 19. März 1991 -- 2 BvL 14/91 -- mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Entscheidungsformel:
1. § 32a Absatz 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in Verbindung mit § 38c des Einkommensteuergesetzes in der für 1991 geltenden Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 (Bundesgesetzbl. I Seite 1093) sowie
§ 32 Absatz 8 des Einkommensteuergesetzes in der Fassung des Artikels 1 Nummer 4a Buchstabe b des Gesetzes zur Steuerentlastung und Investitionsforderung vom 4. November 1977 (Bundesgesetzbl I Seite 1965) sind mit dem Grundgesetz unvereinbar.
Gleiches gilt für § 32a Absatz 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes in der für die Jahre 1978 bis 1984, 1986 und 1988 jeweils geltenden Fassung.
2. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, spätestens mit Wirkung zum 1. Januar 1996 eine Neuregelung zu treffen. Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung bleiben die als verfassungswidrig erkannten Regelungen weiter anwendbar. Es ist jedoch mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 1993 sicherzustellen, daß bei der Einkommensbesteuerung dem Steuerpflichtigen die Erwerbsbezüge belassen werden, die er zur Deckung eines nach den Grundsätzen dieser Entscheidung zu bestimmenden existenznotwendigen Bedarfs benötigt.
 
Gründe:
 
A.
Die Vorlagen 2 BvL 8/91 und 2 BvL 5/91 betreffen die Frage, ob die in den Einkommensteuertarif eingearbeiteten Grundfreibeträge für die Veranlagungszeiträume 1978 bis 1984 - für 1978 bis 1980 einschließlich des allgemeinen Tariffreibetrags (2 BvL 8/91) - sowie für die Veranlagungszeiträume 1986 und 1988 (2 BvL 5/91) ihrer Höhe nach mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Die Vorlage 2 BvL 14/91 hat den Grundfreibetrag und den Kinderfreibetrag für den Veranlagungszeitraum 1991 zum Gegenstand.
I.
1. Die deutsche Einkommensteuer belastet traditionell nur das verfügbare Einkommen und stellt die zur Finanzierung des existentiellen Bedarfs benötigten Einnahmen in der einen oder anderen Form von der Besteuerung frei.
a) Als sich im 19. Jahrhundert eine allgemeine Einkommensteuer entwickelte, folgte diese bereits dem Gedanken, daß das Einkommen zunächst zur Existenzsicherung des Erwerbenden und seiner Familie, erst danach zur Besteuerung zur Verfügung steht (Murhard, Theorie und Politik der Besteuerung, 1834, S. 451 f.). Später verlangten vor allem Vertreter der sozialpolitischen Schule, den lebensnotwendigen Bedarf von der Einkommensteuer freizustellen. Das Besteuerungsrecht des Staates könne erst da beginnen, wo das Einkommen des Einzelnen den zur Erhaltung seines Lebens, seiner Gesundheit und Arbeitskraft erforderlichen Bedarf überschreite; Maßstab hierfür sei allerdings nicht der "standesgemäße Unterhalt", sondern der zur Existenz schlechthin notwendige Einkommensbetrag. Die Steuerfreiheit des Existenzminimums kompensiere schließlich auch die schwerere Belastung der ärmeren Bevölkerung durch indirekte Steuern (vgl. im einzelnen A. Wagner, Finanzwissenschaft, 2. Teil, 2. Auflage 1890, S. 402 ff.; Vocke, Die Grundzüge der Finanzwissenschaft, 1894, S. 180 ff.; Schäffle, Die Steuern. Allgemeiner Teil, 1895, S. 277 f.; ferner Schanz, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Dritter Band, 4. Auflage 1926, S. 911).
Vorarbeiten zu einem steuergesetzlichen Einkommenstatbestand anerkennen sodann übereinstimmend zumindest die gesetzespolitische Notwendigkeit, daß das Existenzminimum steuerlich entlastet werden muß (vgl. Fuisting, Die preußischen direkten Steuern, 4. Band: Die Grundzüge der Steuerlehre, 1902, S. 110, 199 f.; Schanz, Der Einkommensbegriff und die Einkommensteuergesetze, Finanz-Archiv, Band XIII [1896], S. 1 ff.; ders., Der privatwirtschaftliche Einkommensbegriff, Finanz-Archiv, Band 39, Zweiter Halbband [1922], S. 107 ff.).
b) Besondere Bedeutung für die Entwicklung der deutschen Einkommensteuer gewinnt zunächst die preußische Steuergesetzgebung. Während ab 1851 eine sog. klassifizierte Einkommensteuer von allen Einwohnern erhoben wurde, deren Jahreseinkommen 1.000 Taler überstieg, wurde bei deren weiterer Ausdehnung im Jahre 1873 ein Existenzminimum von 140 Talern von der Steuer freigestellt (Gesetz vom 25. Mai 1873, GS S. 213, § 8). Das preußische Einkommensteuergesetz vom 24. Juni 1891 (GS S. 175) erlaubte es allgemein, "besondere, die Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen wesentlich beeinträchtigende wirtschaftliche Verhältnisse" zu berücksichtigen (§ 18) und ließ die tarifliche Steuerbelastung erst bei einem Einkommen von 900 Mark beginnen (§ 17).
Im Reichseinkommensteuerrecht blieben zunächst - nach § 20 des Einkommensteuergesetzes vom 29. März 1920 (RGBl. S. 359) - ein Betrag von 1.500 Mark für den Steuerpflichtigen und je 500 Mark (bei Einkommen unter 10.000 Mark bis zu 700 Mark) für jede weitere zum Haushalt gehörige Person steuerfrei. Nach einer anders ausgerichteten Zwischenregelung durch die Gesetzesnovelle vom 24. März 1921 kehrte das Einkommensteuergesetz vom 10. August 1925 (RGBl. I S. 189) wieder zu einem Abzug des Existenzminimums vom Einkommen zurück. Die Einkommensteuer wird nicht festgesetzt, wenn die Einnahmen des Steuerpflichtigen weniger als 1.100 RM betragen; für Familienangehörige, die mit dem Steuerpflichtigen zusammen zu veranlagen sind, gelten erhöhte Abzüge (§ 50 Abs. 1 und 2). Im übrigen werden 600 RM vom Einkommen abgezogen; dieser Abzugsbetrag entfällt bei Einkommen über 10.000 RM (§ 52 Abs. 1 Nr. 1).
Seit 1958 wird ein existenznotwendiger Mindestbedarf in der Form eines Grundfreibetrags anerkannt, der als "Nullzone" in den Einkommensteuertarif eingearbeitet ist. Für die Veranlagungszeiträume 1958 bis 1974 war ein Grundfreibetrag von 1.680 DM vorgesehen, der im Falle der Zusammenveranlagung zu verdoppeln war. In den Jahren 1975 bis 1977 betrug der Grundfreibetrag 3.000 DM, im Falle der Zusammenveranlagung 6.000 DM.
2. a) § 32 a EStG in der Fassung des Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Steuerentlastung und Investitionsförderung vom 4. November 1977 (BGBl. I S. 1965) hat folgenden Wortlaut:
    (1) Die tarifliche Einkommensteuer bemißt sich nach dem zu versteuernden Einkommen. Sie beträgt vorbehaltlich der §§ 32b, 34 und 34b EStG jeweils in Deutsche Mark
    1. für zu versteuernde Einkommen bis 3329 Deutsche Mark: 0;
    2. für zu versteuernde Einkommen von 3330 Deutsche Mark bis 16019 Deutsche Mark: 0,22 x - 726;
    3. für zu versteuernde Einkommen von 16020 Deutsche Mark bis 47999 Deutsche Mark: [(-49,2y + 505,3)y + 3077]y + 2792;
    4. für zu versteuernde Einkommen von 48000 Deutsche Mark bis 130019 Deutsche Mark: \{[(}0,1z -- 6,07)z + 109,95]z + 4800\z + 16200;
    5. für zu versteuernde Einkommen von 130020 Deutsche Mark an: 0,56 x -- 12742.
    "x" ist das abgerundete zu versteuernde Einkommen. "y" ist ein Zehntausendstel des 16000 Deutsche Mark übersteigenden Teils des abgerundeten zu versteuernden Einkommens. "z" ist ein Zehntausendstel des 48000 Deutsche Mark übersteigenden Teils des abgerundeten zu versteuernden Einkommens \'85
    (5) Bei Ehegatten, die nach den §§ 26, 26 b zusammen zur Einkommenssteuer veranlagt werden, beträgt die tarifliche Einkommenssteuer vorbehaltlich der §§ 32 b, 34 und 34 b das Zweifache des Steuerbetrags, der sich für die Hälfte ihres gemeinsam zu versteuernden Einkommens nach den Absätzen 1 bis 3 ergibt (Splitting-Verfahren). ..
In der Folgezeit wurde der Grundfreibetrag des § 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG mehrfach angehoben: für die Veranlagungszeiträume 1979 und 1980 auf 3690 DM (Steueränderungsgesetz 1979 vom 30. November 1978 [BGBl. I S. 1849]), für die Veranlagungszeiträume 1981 bis 1985 auf 4212 DM (Steuerentlastungsgesetz 1981 vom 16. August 1980 [BGBl. I S. 1381]), für die Veranlagungszeiträume 1986 bis 1987 auf 4536 DM (Steuersenkungsgesetz 1986/1988 vom 26. Juni 1985 [BGBl. I S. 1153]), für die Veranlagungszeiträume 1988 bis 1989 auf 4752 DM (Steuersenkungs-Erweiterungsgesetz 1988 vom 14. Juli 1987 [BGBl. I S. 1629]). Ab 1990 gilt aufgrund des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl. I S. 1093) ein Grundfreibetrag in Höhe von 5616 DM.
Für Ehegatten, die zusammen zur Einkommenssteuer veranlagt werden, ist der jeweilige Betrag zu verdoppeln.
b) Bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens wurde für die Veranlagungszeiträume 1978 bis 1980 nach § 32 Abs. 8 EStG ein allgemeiner Tariffreibetrag berücksichtigt. § 32 Abs. 8 in der Fassung des Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Steuerentlastung und Investitionsförderung vom 4. November 1977 (BGBl. I S. 1965) lautet:
    (8) Der allgemeine Tariffreibetrag beträgt 510 Deutsche Mark. Bei Steuerpflichtigen, bei denen die tarifliche Einkommenssteuer nach § 32 a Abs. 5 oder 6 zu berechnen ist, verdoppelt sich der allgemeine Tariffreibetrag.
c) Der Kinderfreibetrag beträgt für den Veranlagungszeitraum 1991 3024 DM (§ 32 Abs. 6 EStG in der Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 [BGBl. I S. 1093]).
II.
1. Vorlagen des Finanzgerichts Münster und des Niedersächsischen Finanzgerichts
a) Die Klägerin des beim Finanzgericht Münster anhängigen Ausgangsverfahrens ist verheiratet und wird mit ihrem Ehemann zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Eheleute haben vier Kinder. Der Ehemann der Klägerin erzielte in den Streitjahren 1978 bis 1984 Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die Klägerin bezog als Angestellte im Unternehmen ihres Ehemannes Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Daneben flossen den Ehegatten Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus Vermietung und Verpachtung zu. Das zu versteuernde Einkommen lag in den Streitjahren jeweils über 100.000 DM. Im finanzgerichtlichen Verfahren, das die Klägerin beschritten hat, nachdem ihre Einsprüche im wesentlichen erfolglos geblieben waren, begehrt die Klägerin, die Einkommensteuer unter Berücksichtigung höherer Grundfreibeträge festzusetzen.
Die Kläger des beim Niedersächsischen Finanzgericht anhängigen Ausgangsverfahrens sind Eheleute. Sie wurden in den Streitjahren 1986 und 1988 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger hat Einkünfte aus Gewerbebetrieb, die Klägerin solche aus nichtselbständiger Arbeit bezogen. Das zu versteuernde Einkommen betrug 1986 110.835 DM und 1988 126.414 DM. Die Kläger haben im Klageverfahren beantragt, die Einkommensteuer für die Jahre 1986 und 1988 auf den Betrag herabzusetzen, der sich ergäbe, wenn Grundfreibeträge von zusammen 16.000 DM berücksichtigt würden. Dabei gehen sie von den Regelsätzen der Sozialhilfe - ohne Mehrbedarfszuschläge - aus; zusätzlich berücksichtigen sie einen "Grundsockelbetrag" für eine angemessene Wohnung (70 qm) von monatlich 560 DM sowie 70 DM Heizungskosten.
b) Die Finanzgerichte haben die Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die für die Veranlagungszeiträume 1978 bis 1984, 1986 und 1988 jeweils maßgeblichen Regelungen des Grundfreibetrags - für die Veranlagungszeiträume 1978 bis 1980 einschließlich des allgemeinen Tariffreibetrags - mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
aa) Nach Ansicht der Finanzgerichte verstoßen die zur Prüfung vorgelegten Regelungen gegen Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sowie gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG, weil die Grundfreibeträge - für 1978 bis 1980 einschließlich des allgemeinen Tariffreibetrages - nicht ausreichten, um das Existenzminimum des Steuerpflichtigen steuerfrei zu belassen. Bei der Besteuerung einer Familie müsse das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben.
Die zu niedrigen Grundfreibeträge seien auch dann verfassungswidrig, wenn die Steuerpflichtigen zur Erfüllung der Einkommensteuerschuld den das Existenzminimum verkörpernden Teil ihres Einkommens nicht anzugreifen brauchten. Die verfassungsgemäße Festlegung der Grundfreibeträge setze nicht nur voraus, daß den Steuerpflichtigen nach Abzug der Steuern das Existenzminimum verbleibe; vielmehr dürfe der Gesetzgeber nur das über das Existenzminimum hinausgehende Einkommen der Besteuerung unterwerfen. Der Gesetzgeber sei allerdings nicht gehindert, die Steuerausfälle, die durch höhere Grundfreibeträge entstünden, durch eine höhere Besteuerung des über das Existenzminimum hinausgehenden Teils des zu versteuernden Einkommens auszugleichen.
bb) Maßstab für die Bemessung des von der Einkommensteuer freizustellenden Existenzminimums seien die Leistungen der Sozialhilfe. Auszugehen sei von den in den einzelnen Bundesländern unterschiedlichen Regelsätzen der Sozialhilfe, aus denen ein Durchschnittssatz zu ermitteln sei. Diese Beträge müßten um die durchschnittlich gewährten laufenden und einmaligen Hilfen zum Lebensunterhalt erhöht werden, weil diese nicht durch den Regelsatz abgegolten würden.
(1) Das Finanzgericht Münster ermittelt die Sozialhilfeleistungen, die im Bundesdurchschnitt neben dem Regelsatz gewährt werden, anhand der Angaben des Statistischen Bundesamtes zu den Ausgaben ausgewählter privater Haushalte des Haushaltstyps 1 (Zweipersonenhaushalte von Renten- und Sozialhilfeempfängern mit geringem Einkommen) sowie anhand der Angaben zu den Leistungen der Träger der Sozialhilfe für laufende und einmalige Hilfen zum Lebensunterhalt.
Die Ausgaben, die nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes in einem Zweipersonenhaushalt des Haushaltstyps 1 durchschnittlich für Zentralheizung und Warmwasser angefallen sind, kürzt das Finanzgericht um 18 v.H., um die Kosten für Warmwasser herauszurechnen, die bereits durch den Regelsatz erfaßt werden.
Die einmaligen Leistungen zum Lebensunterhalt berücksichtigt das Finanzgericht durch einen Zuschlag von 17,5 v.H. zu den jeweiligen Regelsätzen. Der Zuschlag entspricht dem um 0,1 v.H. abgerundeten niedrigsten Vomhundertsatz, der sich aus der Gegenüberstellung der Leistungen der Träger der Sozialhilfe für laufende und einmalige Hilfe in den Streitjahren für die einmaligen Leistungen im Verhältnis zu den laufenden Leistungen ergeben hat. Die Auswahl des niedrigsten ermittelten Vomhundertsatzes soll Unsicherheiten ausgleichen, die in den verwendeten statistischen Angaben angelegt sind. So enthalten die Angaben zu den laufenden Hilfen zum Lebensunterhalt auch die Kosten für die Unterkunft, während die einmaligen Hilfen auch Leistungen umfassen, die einen Sonderbedarf abdecken.
Aufgrund eines Vergleichs des in der beschriebenen Weise ermittelten sozialhilferechtlichen Existenzminimums mit den Beträgen, die nach den Regelungen des Einkommensteuergesetzes das Existenzminimum verschonen sollen, kommt das Finanzgericht zu dem Schluß, daß die einkommensteuerrechtlichen Regelungen des Grundfreibetrags und des allgemeinen Tariffreibetrags in den Jahren 1978 bis 1984 nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sind, weil sie nicht das Einkommen steuerfrei belassen, das erforderlich ist, um die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein zu schaffen.
Nicht in den Vergleich dürfen nach Ansicht der vorlegenden Gerichte Abzugsbeträge einbezogen werden, die bei der Ermittlung der Steuerbemessungsgrundlage zu berücksichtigen sind, wie die einkünftespezifischen Freibeträge (§ 13 Abs. 3 EStG, § 19 Abs. 3 und 4 EStG, § 20 Abs. 4 EStG), die Vorschriften über Sonderausgaben (§§ 10 - 10 c EStG) oder die einen Sonderbedarf abgeltenden Abzugsmöglichkeiten für außergewöhnliche Belastungen (§§ 33, 33 a Abs. 3, 33 b und 33 c EStG). Diese Regelungen verfolgten nicht den Zweck, das Existenzminimum steuerfrei zu stellen. Daraus folge zugleich, daß bei der Berechnung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums solche Leistungen außer Betracht zu bleiben hätten, durch die ein vergleichbarer Sonderbedarf abgegolten werde.
Ferner sei es für die verfassungsrechtlich gebotene Höhe des Grundfreibetrags ohne Bedeutung, daß bestimmte Einkünfte von der Steuer befreit seien und andere Bedarfstatbestände steuerlich gefördert würden. Die Nichtbesteuerung privater Veräußerungsgewinne und die Steuerbefreiung einer Vielzahl von Transferleistungen durch die §§ 3 - 3 c EStG kämen jeweils nur einem abgegrenzten Personenkreis zugute und verfolgten zu unterschiedliche Zwecke, als daß sie der Sicherstellung des einkommensteuerlichen Existenzminimums zugeordnet werden könnten. Die Förderleistungen nach dem Wohnungsbauprämiengesetz und die erhöhten Absetzungen nach § 7 b EStG dienten ebenfalls nicht dazu, den existentiellen Grundbedarf sicherzustellen. Ferner könnten sie nur vom Eigentümer oder von Steuerpflichtigen in vergleichbarer Rechtsposition, nicht aber vom Mieter oder unentgeltlich Nutzenden in Anspruch genommen werden.
Auch Leistungen nach dem Wohngeldgesetz, die nach § 3 Nr. 58 EStG steuerfrei sind, müßten bei der Beurteilung des steuerfreien Existenzminimums außer Betracht bleiben, weil Steuerpflichtige mit überdurchschnittlichem Einkommen, deren Existenzminimum ebenfalls nicht der Besteuerung unterworfen werden dürfe, regelmäßig kein Wohngeld erhielten. Zudem habe es der Staat den Bürgern zunächst selbst zu überlassen, sich ein menschenwürdiges Dasein zu schaffen; der Staat könne daher nicht den Steuerzugriff auf einen Teil des existenznotwendigen Einkommens damit rechtfertigen, daß der Steuerpflichtige einen Anspruch auf staatliche Transferleistungen habe.
(2) Das Niedersächsische Finanzgericht greift auf die Berechnungen von Lang (Reformentwurf zu Grundvorschriften des Einkommensteuergesetzes, Münsteraner Symposion, Band II, 1985, S. 71) aus dem Jahr 1984 zurück, nach denen die Sozialhilfeleistungen für einen Alleinstehenden 9.360 DM und für den Ehegatten 6.516 DM betragen. Die Berechnungen beruhen auf Darmstädter Verhältnissen, werden aber vom Finanzgericht als repräsentativ für den Bundesdurchschnitt gewertet. Das Finanzgericht entnimmt der Berechnung, daß für Ledige mindestens ein Grundfreibetrag von 10.000 DM und für Ehegatten mindestens ein Grundfreibetrag von zusammen 16.000 DM anzusetzen sei.
2. Vorlage des Finanzgerichts des Saarlandes
a) Der Kläger des Ausgangsverfahrens ist verheiratet und wird mit seiner Ehefrau zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Eheleute haben zwei Kinder. Der Kläger bezieht Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Für 1991 ist für ihn eine Lohnsteuerkarte der Steuerklasse III ausgestellt worden; sie enthält u.a den Eintrag: "zwei Kinderfreibeträge".
Im Lohnsteuerermäßigungsverfahren macht der Kläger geltend, die maßgebliche Lohnsteuertabelle sei mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar, da die Summe aus Grundfreibeträgen, Kinderfreibeträgen und den aus dem Kindergeld errechneten "fiktiven Kinderfreibeträgen" unter dem notwendigen Familienexistenzminimum liege. Der Unterschiedsbetrag zwischen dem Familienexistenzminimum und den vom geltenden Recht gewährten Entlastungen (Grundfreibetrag, Kinderfreibetrag, Kindergeld) müsse als weiterer Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden.
Der Kläger legt seiner Berechnung des Familienexistenzminimums für sich und seine Ehefrau die durchschnittlichen Sozialhilfeleistungen zugrunde, zu denen er neben den Regelsätzen auch Kosten der Unterkunft sowie durchschnittlich beanspruchte einmalige Hilfen rechnet; als Existenzminimum der Kinder berücksichtigt er den auf die Verhältnisse des Streitjahres hochgerechneten Betrag, der als "allgemeiner durchschnittlicher Unterhaltsaufwand" für das Jahr 1982 in der tabellarischen Übersicht der Kindergeldentscheidung (BVerfGE 82, 60 [96]) ausgewiesen ist. Der Einspruch blieb erfolglos.
Im Mai 1992 hat der Kläger im Ausgangsverfahren seinen Klageantrag umgestellt. Er beantragt nunmehr, festzustellen, daß der angefochtene Verwaltungsakt in der Fassung der Einspruchsentscheidung rechtswidrig gewesen sei.
b) Das Finanzgericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Fragen zur Entscheidung vorgelegt, ob § 32 a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 5 EStG (Grundfreibetrag für zusammenveranlagte Ehegatten) und § 32 Abs. 6 Satz 2 EStG (Kinderfreibetrag) in Verbindung mit § 38 c EStG (Lohnsteuertabellen) in der jeweiligen für den Veranlagungszeitraum 1991 geltenden Fassung mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
aa) Die zur Prüfung vorgelegten Regelungen des Grundfreibetrags und des Kinderfreibetrags verstießen insoweit gegen Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsgrundsatz des Art. 20 Abs. 1 GG sowie gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG, als die Grund- und Kinderfreibeträge - unter Einberechnung fiktiver "Kindergeldfreibeträge" - ihrer Höhe nach nicht ausreichten, um das Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Familie steuerfrei zu belassen. Der Gesetzgeber sei verpflichtet, bereits im Lohnsteuerabzugsverfahren den Grundfreibetrag und den Kinderfreibetrag jeweils den gestiegenen Lebenshaltungskosten anzupassen; er könne sich dabei beispielsweise der Prognosen des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung bedienen.
bb) Zur Ermittlung des sozialhilferechtlichen Existenzminimums von Ehegatten orientiert sich das Finanzgericht an den Berechnungen der beiden anderen vorlegenden Gerichte, rechnet deren Ergebnisse auf die Verhältnisse des Jahres 1990 hoch und zieht zusätzlich eine Untersuchung aus dem Bereich des Sozialamtes Düsseldorf zum Vergleich heran. Danach liege auch der niedrigste durchschnittliche sozialrechtliche Mindestbedarf von 17.133 DM deutlich über den derzeitigen Grundfreibeträgen von 11.232 DM.
cc) Die für das Streitjahr 1991 geltenden Kinderfreibeträge von jeweils 3.024 DM werden nach Ansicht des Finanzgerichts den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in der Kindergeldentscheidung (BVerfGE 82,60) formuliert hat, nicht gerecht. Rechne man das Kindergeld, das der Kläger bezogen habe, auf der Basis eines Steuersatzes von 30% in einen fiktiven Kinderfreibetrag um, so ergebe sich für jedes Kind ein Betrag von 5.640 DM. Die durchschnittlichen jährlichen Aufwendungen für ein Kind seien aber nach den Berechnungen des Klägers mit 6.729 DM zu veranschlagen.
III.
Zu den Vorlagebeschlüssen haben der Bundesminister der Finanzen namens der Bundesregierung und einzelne Senate des Bundesfinanzhofs Stellung genommen. Zur Vorlage des Niedersächsischen Finanzgerichts hat sich ferner das Finanzamt Winsen (Luhe) geäußert.
1. Die in den Ausgangsverfahren berücksichtigten Grundfreibeträge sind nach Ansicht der Bundesregierung nicht verfassungswidrig, weil die nach Abzug der Steuer verfügbaren Einnahmen der Kläger das von den vorlegenden Gerichten für erforderlich gehaltene Existenzminimum bei weitem überstiegen hätten.
a) Eine Verletzung von Art. 1 GG, der verfassungsrechtlich verbürgten allgemeinen Handlungsfreiheit sowie des Sozialstaatsprinzips könne nur dann mit Erfolg geltend gemacht werden, wenn die Kläger des Ausgangsverfahrens durch die Besteuerung im Ergebnis weniger behielten, als sie zur Bestreitung ihres notwendigen Lebensunterhalts bedürften.
b) Für die Ermittlung der Höhe des sozialhilferechtlichen Existenzminimums, das nach Ansicht der vorlegenden Gerichte den Maßstab für den Grundfreibetrag bilden soll, orientiert sich die Bundesregierung an den Berechnungen des Finanzgerichts Münster, nimmt zu den einzelnen Berechnungselementen Stellung und legt eine eigene Berechnung vor. Darin werden die Kosten der Unterkunft anhand von Wohngeldstichproben geschätzt und die Heizkosten mit 25% der Mieten angesetzt; die einmaligen Leistungen werden als Zuschlag zu den Regelsätzen berücksichtigt und zwar für die Jahre 1978 bis 1984 mit 15%, für 1986 bis 1988 und 1991 mit 20%. Die Berechnung der Bundesregierung führt im Ergebnis zu höheren Beträgen als die vom Finanzgericht Münster erstellte Übersicht.
c) Durch den Grundfreibetrag - für die Jahre 1978 bis 1980 einschließlich des allgemeinen Tariffreibetrages - werde in den Streitjahren jeweils ein Teil des Einkommens steuerfrei gestellt, der die durchschnittlichen Eckregelsätze der Sozialhilfe übersteige. Hinsichtlich der darüber hinausgehenden, zum Grundbedarf gerechneten Sozialhilfeleistungen könne der Gesetzgeber des Einkommensteuergesetzes davon ausgehen, daß der nicht durch den Grundfreibetrag berücksichtigte Bedarf von dem betroffenen Personenkreis in aller Regel durch steuerfrei zur Verfügung stehende finanzielle Mittel bestritten werden könne.
So dürften beispielsweise die nach §§ 3 und 3 b EStG steuerfrei bleibenden Bezüge, die durch Freibeträge steuerfrei bleibenden Einkommensteile sowie Leibrenten hinsichtlich des den Ertragsanteil übersteigenden Betrages typisierend neben dem Grundfreibetrag in das steuerliche Existenzminimum einberechnet werden.
d) Die Bundesregierung gibt ferner zu bedenken, daß die Steuerausfälle, die durch eine Erhöhung der Grundfreibeträge verursacht würden, ohne eine ins Gewicht fallende Anhebung der Einkommensteuersätze haushaltsmäßig nicht getragen werden könnten. Eine Anhebung des Grundfreibetrages um je 108/216 DM (Grund-/Splittingtabelle) müßte nach den Berechnungen der Bundesregierung bei einem Eingangssteuersatz von 19% im Jahr 1991 zu Steuermindereinnahmen von 770 Millionen DM führen. Eine Erhöhung der Grenzsteuersätze und auch des Spitzensteuersatzes komme nicht in Betracht, weil sie die Leistungsbereitschaft der Steuerpflichtigen und die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im Rahmen des EG-Binnenmarktes und im internationalen Bereich beeinträchtige.
e) Der Kinderlastenausgleich entspreche im Streitjahr 1991 den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts. Durch den Kinderfreibetrag für zwei Kinder von zusammen 6.048 DM und das Kindergeld von 1.440 DM werde das Existenzminimum im Streitjahr in ausreichender Höhe abgedeckt.
2. a) Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs hält die Vorlagen für unzulässig, weil es angesichts der Höhe des Einkommens, das die Kläger der Ausgangsverfahren erzielt hätten, im Streitfall nicht darauf ankomme, ob der Grundfreibetrag und etwaige Kinderfreibeträge ausreichten, um dem Steuerpflichtigen und seiner Familie das zur Existenzsicherung erforderliche Einkommen zu belassen.
b) Nach Ansicht des III., des IV., des VI. und des X. Senats des Bundesfinanzhofs verletzen die Grundfreibetragsregelungen in den Streitjahren die Kläger der Ausgangsverfahren nicht in ihren Grundrechten, weil ein Verfassungsverstoß nur angenommen werden könne, wenn die Besteuerung im Ergebnis dazu führe, daß dem Steuerpflichtigen ein Teil des zur Sicherung des existentiellen Bedarfs benötigten Einkommens entzogen werde.
c) Während der IV. Senat des Bundesfinanzhofs den für 1991 maßgeblichen Kinderfreibetrag im Hinblick auf die Kindergeldentscheidung des Bundesverfassungsgerichts für verfassungswidrig hält, wird der Kinderfreibetrag nach Ansicht des III., des VI. und des X. Senats im Zusammenhang mit dem Kindergeld den vom Bundesverfassungsgericht formulierten Anforderungen gerecht. Der VI. Senat hält es nicht für richtig, der Berechnung des Existenzminimums den "allgemeinen durchschnittlichen Aufwand" für zwei Kinder im Jahr 1982 (vgl. BVerfGE 82, 60 [96]) zugrunde zu legen. Vielmehr sei von den durchschnittlichen Sozialhilfeleistungen auszugehen.
 
B.
Die Vorlage des Finanzgerichts des Saarlandes ist hinsichtlich des Kinderfreibetrages unzulässig, im übrigen sind die Vorlagen zulässig.
1. Das Verfahren der Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 GG ist zulässig und geboten, wenn es für die im Ausgangsverfahren zu treffende Entscheidung auf die Gültigkeit der für verfassungswidrig erachteten Norm ankommt; deren Verfassungsmäßigkeit muß für den Ausgang des Rechtsstreits entscheidungserheblich sein. Das vorlegende Gericht muß in der Begründung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) seines Vorlagebeschlusses angeben, inwiefern diese Voraussetzung für die Zulässigkeit der Vorlage erfüllt ist (vgl. BVerfGE 81, 275 [276 f.]).
2. Diesen Anforderungen genügen die Vorlagen des Finanzgerichts Münster und des Niedersächsischen Finanzgerichts. Die Vorlage des Finanzgerichts des Saarlandes genügt ihnen hinsichtlich der Kinderfreibeträge nicht; der Begründung dieses Vorlagebeschlusses ist nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, inwiefern die Entscheidung des Gerichts von der Gültigkeit der zur Prüfung gestellten Regelung abhängt.
Das Finanzgericht geht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 82, 60 [87 ff.]) davon aus, daß Unterhaltsaufwendungen für Kinder bei der Einkommensbesteuerung der Eltern im Umfang des Existenznotwendigen steuerlich verschont werden müssen.
Die wegen der Unterhaltsverpflichtungen gewährten steuerlichen Entlastungen ermittelt das Finanzgericht sodann durch Addition der für das Streitjahr nach § 32 Abs. 6 Satz 2 EStG vorgesehenen Kinderfreibeträge und des in fiktive Kinderfreibeträge umgerechneten Kindergeldes. Das Existenzminimum für zwei Kinder errechnet das Finanzgericht aber auf der Grundlage des durchschnittlichen allgemeinen jährlichen Unterhaltsaufwandes für Kinder, nicht hingegen der durchschnittlichen Sozialhilfeleistungen für Kinder, die allein den Maßstab für die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung bilden (BVerfGE 82, 60 [93 ff.]). Dem Vorlagebeschluß ist danach nicht zu entnehmen, daß für den Kläger des Ausgangsverfahrens die mit Rücksicht auf seine Unterhaltsverpflichtungen für zwei Kinder gewährten steuerlichen Entlastungen nicht ausreichen, um das Existenzminimum der Kinder steuerfrei zu belassen.
Das Finanzgericht hat ferner bei der Umrechnung des Kindergeldes in Kinderfreibeträge nicht den Grenzsteuersatz des Klägers des Ausgangsverfahrens, sondern einen Steuersatz von 30% zugrunde gelegt. Auch insoweit läßt der Vorlagebeschluß nicht erkennen, welche Auswirkungen sich aus einer möglicherweise unzureichenden steuerlichen Entlastung in anderen Fällen für die im Ausgangsverfahren zu treffende Entscheidung ergäben.
 
C.
§ 32 a Abs. 1 Satz 2 EStG war in den für die Veranlagungszeiträume 1978 bis 1984, 1986, 1988 und 1991 geltenden Fassungen -- für die Veranlagungszeiträume 1978 bis 1980 im Zusammenhang mit § 32 Abs. 8 EStG -- mit der grundrechtlichen Garantie des einkommensteuerlichen Existenzminimums unvereinbar.
I.
1. Das vorliegende Verfahren gibt keinen Anlaß zu entscheiden, aufgrund welcher Maßstäbe und wie im einzelnen die -- je nach Steuerart und Steuergegenstand möglicherweise unterschiedlichen -- verfassungsrechtlichen Grenzen der staatlichen Besteuerungsgewalt zu bestimmen sind. Steuergesetze sind in ihrer freiheitsbeschränkenden Wirkung jedenfalls an Art. 2 Abs. 1 GG zu messen. Dabei ist indes zu berücksichtigen, daß Steuergesetze in die allgemeine Handlungsfreiheit gerade in deren Ausprägung als persönliche Entfaltung im vermögensrechtlichen und im beruflichen Bereich (Art. 14 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 GG) eingreifen. Dies bedeutet, daß ein Steuergesetz keine "erdrosselnde Wirkung" haben darf: Das geschützte Freiheitsrecht darf nur so weit beschränkt werden, daß dem Grundrechtsträger (Steuerpflichtigen) ein Kernbestand des Erfolges eigener Betätigung im wirtschaftlichen Bereich in Gestalt der grundsätzlichen Privatnützigkeit des Erworbenen und der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis über die geschaffenen vermögenswerten Rechtspositionen erhalten bleibt. Hieraus folgt, daß dem der Einkommensteuer unterworfenen Steuerpflichtigen nach Erfüllung seiner Einkommensteuerschuld von seinem Erworbenen soviel verbleiben muß, als er zur Bestreitung seines notwendigen Lebensunterhalts und - unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 1 GG - desjenigen seiner Familie bedarf ("Existenzminimum").
2. Der existenznotwendige Bedarf bildet von Verfassungs wegen die Untergrenze für den Zugriff durch die Einkommensteuer. Das bedeutet allerdings nicht, daß jeder Steuerpflichtige vorweg in Höhe eines nach dem Existenzminimum bemessenen Freibetrags verschont werden muß. In welcher Weise der Gesetzgeber dieser verfassungsrechtlichen Vorgabe Rechnung trägt, ist ihm überlassen.
Der Gesetzgeber sucht dem derzeit zu genügen, indem er zwangsläufige private Aufwendungen von der Bemessungsgrundlage abzieht, einen existenznotwendigen Bedarf in einem in den Tarif eingearbeiteten Grundfreibetrag von der Einkommensteuer freistellt und der höheren Belastbarkeit der Steuerpflichtigen mit höherem Einkommen durch einen progressiven Tarif Rechnung trägt. In einem solchen Regelungssystem hängen Tarif und Bemessungsgrundlage in ihrer verfassungsrechtlichen Vertretbarkeit wechselseitig voneinander ab.
Wenn der Gesetzgeber einen Grundfreibetrag im Tarif vorsieht und der mit wachsendem Einkommen steigenden Belastbarkeit des Steuerpflichtigen durch die Gestaltung des Tarifs Rechnung trägt (vgl. BVerfGE 82, 60 [90 f.]), ist es ihm unbenommen, in folgerichtig gestalteten Übergängen (vgl. BVerfGE 84, 239 [271]) den Tarifverlauf so zu gestalten, daß die Entlastungswirkung des angemessen quantifizierten Existenzminimums, das zunächst bei allen Steuerpflichtigen berücksichtigt wird, schrittweise kompensiert wird. Ein dementsprechender Hinweis findet sich bereits im Gutachten der Steuerreformkommission 1971 (Band I Rdnr. 653 Fn. 1). Entscheidend ist, daß von den das Existenzminimum übersteigenden Einkommensteilen den Steuerpflichtigen jeweils angemessene Beträge verbleiben, also nicht ein Progressionssprung stattfindet, der die vertikale Gleichheit im Verhältnis geringerer zu höheren Einkommen außer acht läßt. Die gleiche Belastung von Steuerpflichtigen bei gleicher Leistungsfähigkeit (horizontale Gleichheit) begründet hingegen hier - anders als beim Vergleich von Steuerpflichtigen mit Kindern und kinderlosen Steuerpflichtigen - keine zusätzlichen verfassungsrechtlichen Anforderungen (BVerfGE 82, 60 [89 f.]).
3. Die Höhe des steuerlich zu verschonenden Existenzminimums hängt von den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen und dem in der Rechtsgemeinschaft anerkannten Mindestbedarf ab. Diesen einzuschätzen ist Aufgabe des Gesetzgebers. Soweit der Gesetzgeber jedoch im Sozialhilferecht den Mindestbedarf bestimmt hat, den der Staat bei einem mittellosen Bürger im Rahmen sozialstaatlicher Fürsorge durch Staatsleistungen zu decken hat (vgl. BVerfGE 40, 121 [133]), darf das von der Einkommensteuer zu verschonende Existenzminimum diesen Betrag jedenfalls nicht unterschreiten. Der Steuergesetzgeber muß dem Einkommensbezieher von seinen Erwerbsbezügen zumindest das belassen, was er dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellt.
a) Die Maßgröße für das einkommensteuerliche Existenzminimum ist demnach der im Sozialhilferecht jeweils anerkannte Mindestbedarf, der allgemein durch Hilfen zum notwendigen Lebensunterhalt an jeden Bedürftigen befriedigt wird. Die Hilfe zum Lebensunterhalt, die den notwendigen Grundbedarf des täglichen Lebens gewährleisten soll (§ 11 Abs. 1 BSHG), umfaßt neben dem von der zuständigen Landesbehörde oder von einem örtlichen Sozialhilfeträger festgesetzten Regelsatz (vgl. § 22 Abs. 3 BSHG) Leistungen für die Unterkunft und die Heizung (§ 3 Abs. 1 und 2 Regelsatzverordnung) sowie einmalige Hilfen, die einen zusätzlichen Grundbedarf berücksichtigen, der durch die laufenden Leistungen nicht gedeckt ist. Zum sozialhilferechtlichen Mindestbedarf zählt § 23 Abs. 4 Nr. 1 BSHG auch den Mehrbedarf für Erwerbstätige, der den mit der Erwerbstätigkeit verbundenen Aufwand abdecken, aber auch den Willen zur Selbsthilfe fördern soll. Dieser Mehrbedarf ist durch die Abziehbarkeit des erwerbsdienlichen Aufwands - der Werbungskosten oder Betriebsausgaben - nicht gedeckt. Diese Aufwendungen sind abziehbar, soweit sie durch die Erwerbstätigkeit veranlaßt sind und keinen ins Gewicht fallenden Bezug zum privaten Bereich aufweisen. Demgegenüber soll der Mehrbedarf nach § 23 Abs. 4 Nr. 1 BSHG die durch die Erwerbstätigkeit bedingten erhöhten privaten Bedürfnisse abgelten (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge [Hrsg.], Mehrbedarf nach §§ 23, 24 BSHG und Einkommensgrenzen nach §§ 79, 81 BSHG, 1991, S. 23). Die Berücksichtigung dieses Mehrbedarfs mag auf Erwerbstätige beschränkt werden, sobald der Gesetzgeber seiner Verpflichtung zu einer gleichheitsgerechten Besteuerung der Alterseinkünfte nachgekommen ist (BVerfGE 54, 11 [34 f.]).
b) Das Sozialrecht anerkennt den individuellen Bedarf des einzelnen Bedürftigen nach den Verhältnissen des Einzelfalls. Die laufenden Hilfen zum Lebensunterhalt werden durch regionale Regelsätze bestimmt und bemessen sich im übrigen - unter dem Vorbehalt der Angemessenheit - nach den jeweiligen tatsächlichen Aufwendungen für Wohnung und Heizung. Für das Einkommensteuergesetz hingegen regelt der Gesetzgeber den existenzsichernden - anders als den erwerbssichernden - Aufwand in einem für alle Einkommensteuerpflichtigen einheitlichen Betrag. Die vergröbernde, die Abwicklung von Massenverfahren erleichternde Typisierung ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. April 1992 - 2 BvE 2/89, S. 66 des Umdrucks; BVerfGE 82, 60 [91]). Im Rahmen einer solchen Typisierung ist das Existenzminimum allerdings grundsätzlich so zu bemessen, daß es in möglichst allen Fällen den existenznotwendigen Bedarf abdeckt, kein Steuerpflichtiger also infolge einer Besteuerung seines Einkommens darauf verwiesen wird, seinen existenznotwendigen Bedarf durch Inanspruchnahme von Staatsleistungen zu decken. Besteht hingegen - wie gegenwärtig auf dem Wohnungsmarkt - ein erhebliches Preisgefälle für existenznotwendige Aufwendungen, so erfaßt ein einheitlicher Durchschnittswert die verschiedenen Bedarfsgruppen nicht realitätsgerecht. In einem Sonderfall dieser Art ist es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, sich bei der Bemessung des Grundfreibetrags insoweit an einem unteren Wert zu orientieren, wenn er zugleich zur ergänzenden Deckung des Bedarfs nach dem Einzelfall bemessene Sozialleistungen, wie etwa ein Wohngeld, zur Verfügung stellt. Daneben wäre es von Verfassungs wegen auch nicht ausgeschlossen, wenn der Steuergesetzgeber - wie beim betrieblichen Aufwand - den Bedarf individuell oder gruppenbezogen erfaßte.
c) Ein besonderer Finanzbedarf des Staates und die Dringlichkeit einer Haushaltssanierung mögen den Gesetzgeber veranlassen, die bisherigen Bedarfstatbestände in der gesamten Rechtsordnung zu überprüfen, sind aber nicht geeignet, eine verfassungswidrige Besteuerung zu rechtfertigen (vgl. BVerfGE 82, 60 [89]). Gerade bei wachsendem staatlichen Finanzbedarf und einer ihm entsprechenden steigenden Steuerbelastung ist der Gesetzgeber gehalten, eine gerechte Verteilung der Lasten zu gewährleisten. Das kann er nicht zuletzt dadurch erreichen, daß er verfassungsrechtlich nicht gebotene steuerliche Entlastungen oder Vergünstigungen verringert oder entfallen läßt.
II.
Die zur Prüfung gestellten Regelungen des Grundfreibetrages und des allgemeinen Tariffreibetrages genügen nicht dem verfassungsrechtlichen Gebot, auf den existenzsichernden Aufwand durch die Einkommensteuer nicht zuzugreifen.
1. Für die Jahre 1978 bis 1980 entlastet der Einkommensteuergesetzgeber das Einkommen durch den Grundfreibetrag und den allgemeinen Tariffreibetrag (§ 32 Abs. 8 EStG). Dieser Freibetrag wurde durch das Steuerentlastungsgesetz 1977 (BGBl. I S. 1965) auf Vorschlag des Vermittlungsausschusses anstelle einer Erhöhung des Grundfreibetrages als ergänzende allgemeine Entlastung mit dem Ziel späterer Einbeziehung in die Tarifreform eingeführt (vgl. BTDrucks. 8/900, 905, 974, 992, 1029, 1067).
2. Das Existenzminimum kann - wenn auch nur annäherungsweise - am Maßstab der Sozialhilfeleistungen bestimmt werden. Das Finanzgericht Münster und die Bundesregierung haben insoweit detaillierte Berechnungen vorgelegt, die allerdings nicht den Mehrbedarf für Erwerbstätige berücksichtigen. Der für die einzelnen Streitjahre sozialrechtlich anerkannte Bedarf ist aus der nachfolgenden Tabelle ersichtlich:
    Jahr: Durchschnittl. jährl. Regelsatz für Alleinstehende
    1978: 3.480
    1979: 3.564
    1980: 3.708
    1981: 3.936
    1982: 4.056
    1983: 4.140
    1984: 4.272
    1986: 4.728
    1988: 4.944
    1991: 5.676
    1992: 6.013 [8]
    Jahr: Aufwendungen für die Wohnung (FG Münster -- Wirtschaftsrechnungen priv. Haushalte [3] / BReg. -- Wohngeldstichproben [4])
    1978: 1.328 / 2.340
    1979: 1.456 / 2.412
    1980: 1.573 / 2.532
    1981: 1.666 / 2.640
    1982: 1.789 / 2.772
    1983: 1.949 / 2.928
    1984. 2.092 / 3.036
    1986: 2.244 [5] / 3.348
    1988: 2.436 [5] / 3.516
    1991: 3.001 [5] [6] / 3.948
    1992: 3.157 [9] / 4.153 [9]
    Jahr: Aufwendungen für die Heizung (FG Münster -- 82% der in Wirtschaftsrechnungen ausgewiesenen Beträge / BReg. 25% der Mietkosten)
    1978: 78 / 588
    1979: 120 / 603
    1980: 134 / 633
    1981: 167 / 660
    1982. 158 / 693
    1983: 182 / 732
    1984: 190 / 759
    1986: 231 [5] / 837
    1988: 177 [5] / 879
    1991: 180 [5] [7] / 987
    1992: 183 [10] / 1.038
    Jahr: Durchschnittl. einmal. Leist. z. Lebensunterh. (FG Münster -- 17,5% des Regelsatz. / BReg. Bis 1984 15%, ab 1986 20% des Regelsatz.)
    1978: 609 / 522
    1979: 623 / 534
    1980: 648 / 556
    1981: 688 / 590
    1982: 709 / 608
    1983: 724 / 612
    1984: 747 / 640
    1986: 827 [5] / 945
    1988: 865 [5] / 988
    1991: 982 [5] / 1.135
    1992: 1.052 / 1.203
    Jahr: Summe (FG Münster / BReg.); Grundfreibetrag (einschließlich Tariffreibetrag)
    1978: 5.495 / 6.930; 3.810
    1979: 5.763 / 7.113; 4.200
    1980: 6.063 / 7.429; 4.200
    1981: 6.457 / 7.826; 4.212
    1982: 6.712 / 8.129; 4.212
    1983: 6.995 / 8.421, 4.212
    1984: 7.301 / 8.707; 4.212
    1986: 8.030 / 9.858; 4.536
    1988: 8.422 / 10.372; 4.752
    1991: 9.839 / 11.686; 5.616
    1992: 10.405 / 12.407; 5.616
    [3] = 50% der für den 2-Personen-Haushalt ermittelten Beträge
    [4] = durchschnittliche Miete für den Haushalt eines Alleinstehenden
    [5] = geschätzt auf der Grundlage der Berechnungsmethode des FG Münster; Quelle: Statistisches Jahrbuch 1991, Tabelle 21.1
    [6] = Wert 1990 plus 4%, Preisindex für Wohnungsmieten für 2-Personen-Haushalte von Renten- und Sozialhilfeempfängern mit geringem Einkommen; Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Wirtschaft und Statistik 1992, Tabellenteil, S. 437
    [7] = Wert 1990 plus 4,8%, Preisindex für Energie für 2-Personen-Haushalte von Renten- und Sozialhilfeempfängern mit geringem Einkommen; Quelle: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Wirtschaft und Statistik 1992, Tabellenteil, S. 437
    [8] = einschließlich neuer Bundesländer; Quelle: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 1992, S. 245
    [9] = Wert 1991 plus 5,2%, Preisindex für Wohnungsmieten, vgl. oben [6]
    [10] = Wert 1991 plus 1,6%, Preisindex für Energie, vgl. oben [7]
Diese Daten beruhen auf einer vorsichtigen Einschätzung des Wohnbedarfs, der Heizungskosten und der einmaligen Leistungen zum Lebensunterhalt.
Wird der Mehrbedarf für Erwerbstätige in die Ermittlung des sozialhilferechtlichen Mindestbedarfs einbezogen und entsprechend dem geringsten üblicherweise angesetzten Betrag (vgl. dazu Knopp/Fichtner, Bundessozialhilfegesetz, 6. Auflage 1988, § 23 Rdnr. 17-20; Schellhorn/Jirasek/Seipp, Kommentar zum Bundessozialhilfegesetz, 12. Auflage 1985, § 23 Rdnr. 21) mit 25% des jeweiligen Regelsatzes veranschlagt, ergeben sich folgende Bedarfsansätze:
    Jahr: durchschnittliche Sozialhilfeleistungen ohne Berücksichtigung des Mehrbedarfs für Erwerbstätige (FG Münster / BReg.)
    1978: 5.495 / 6.930
    1979: 5.763 / 7.113
    1980: 6.063 / 7.429
    1981: 6.457 / 7.826
    1982: 6.712 / 8.129
    1983: 6.995 / 8.421
    1984: 7.301 / 8.707
    1986: 8.300 / 9.858
    1988: 8.422 / 10.327
    1991: 9.839 / 11.686
    1992: 10.405 / 12407
    Jahr: Mehrbedarfszuschlag für Erwerbstätige (25% des Regelsatzes)
    1978: 870
    1979: 891
    1980: 927
    1981: 984
    1982: 1.014
    1983: 1.035
    1984: 1.068
    1986: 1.182
    1988: 1.236
    1991: 1.419
    1992: 1.503
    Jahr: durchschnittlicher Sozialbedarf [Summe aus 2 und 3 (FG Münster -- BReg.)]
    1978: 6.365 / 7.800
    1979: 6.654 / 8.004
    1980: 6.990 / 8.356
    1981: 7.441 / 8.810
    1982: 7.726 / 9.143
    1983: 8.030 / 9.456
    1984: 8.369 / 9.775
    1986: 9.212 / 11.040
    1988: 9.658 / 11.563
    1991: 11.258 / 13.105
    1992: 11.908 / 13.910
    Jahr: Grundfreibetrag (einschl. Tariffreibetrag)
    1978: 3.810
    1979: 4.200
    1980: 4.200
    1981: 4.212
    1982: 4.212
    1983: 4.212
    1984: 4.212
    1986: 4.536
    1988: 4.752
    1991: 5.616
    1992: 5.616
Die Gegenüberstellung zeigt, daß der durchschnittliche Sozialhilfebedarf jeweils deutlich über dem Grundfreibetrag liegt. Für das Jahr 1992 ergibt sich je nach der Berechnungsmethode ein durchschnittlicher Sozialhilfebedarf eines Alleinstehenden von rund 12.000 DM oder von rund 14.000 DM.
3. Die Unzulänglichkeit des Grundfreibetrags wird nicht dadurch ausgeglichen, daß das Einkommensteuergesetz in anderen Tatbeständen besondere Aufwendungen oder öffentliche Leistungen zur Deckung eines Sonderbedarfs von der Einkommensteuer entlastet.
Der Gesetzgeber darf steuerfreie Leistungen oder Einkommensteile, die von der Einkommensteuer freigestellt sind, bei einer generellen, das Existenzminimum für jeden Steuerpflichtigen typisierenden Freistellung nur anrechnen, wenn ihr Tatbestand den existenzsichernden Aufwand erfaßt und diese Entlastung allgemein gewährt. Das verfassungsrechtliche Gebot, den zur Deckung des existenzsichernden Aufwandes erforderlichen Teil des erzielten Einkommens von der Besteuerung freizustellen, wird insbesondere nicht dadurch erfüllt, daß einzelne Gruppen von Steuerpflichtigen in besonderen Einnahme- oder Einkommenstatbeständen entlastet werden, die nicht allgemein, sondern nur unter besonderen Voraussetzungen erreichbar sind.
Nach diesen Maßstäben dürfen die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und andere Leistungen, die z.Z. nach den §§ 3 bis 3 b EStG in vollem Umfang von der Besteuerung freigestellt sind, auf die steuerliche Freistellung des Existenzminimums nicht angerechnet werden, weil sie zur Deckung eines besonderen Bedarfs bestimmt sind oder nur einzelne Gruppen von Steuerpflichtigen entlasten. Nach ihrer Zwecksetzung stehen die in den Freistellungstatbeständen der §§ 3 bis 3 b EStG aufgeführten Leistungen dem Steuerpflichtigen nicht schon wegen dessen existenznotwendigen Bedarfs, sondern erst wegen Erfüllung weiterer Tatbestandsvoraussetzungen zur Verfügung. Nach geltendem Recht dient das Wohngeld zwar auch zur Deckung eines allgemeinen existenznotwendigen Bedarfs, befriedigt aber den Aufwand für den Wohnbedarf nur teilweise und steht wegen seiner Abhängigkeit von besonderen Einkommens- und Mietzinsgrenzen nicht allen Steuerpflichtigen zu. Die Steuerfreiheit des Wohngeldes genügt deshalb nicht dem Erfordernis einer allgemeinen steuerlichen Entlastung des existenznotwendigen Bedarfs.
Auch die weiteren von der Bundesregierung für anrechenbar gehaltenen steuerlichen Entlastungen - der Freibetrag für Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, der Arbeitnehmerpauschbetrag, der Sparerfreibetrag und die Entlastungen für Alterseinkünfte - begünstigen nur bestimmte Gruppen von Steuerpflichtigen und dienen durchweg anderen, vom existenznotwendigen Bedarf unabhängigen Zwecken. Auch diese Steuererleichterungen genügen nicht dem Erfordernis, ein allgemeines, für jedermann typisiertes Existenzminimum steuerlich freizustellen.
Die Regelungen des Grundfreibetrags und des allgemeinen Tariffreibetrags werden somit dem verfassungsrechtlichen Gebot, das Existenzminimum von der Einkommensteuer freizustellen, nicht gerecht. Sie sind verfassungswidrig.
III.
1. Die Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung gestellten Regelungen des Grundfreibetrags und des allgemeinen Tariffreibetrags erfaßt neben dem § 32 Abs. 8 EStG in der für die Veranlagungszeiträume 1978 bis 1980 geltenden Fassung (allgemeiner Tariffreibetrag) den gesamten § 32 a Abs. 1 Satz 2 in der jeweils geltenden Fassung. Der Grundfreibetrag in seiner derzeitigen Ausgestaltung ist vom geltenden progressiven Tarif in seinem Verlauf als durchgehender, für alle Einkommen wirksamer Freibetrag vorausgesetzt; Grundfreibetrag und Tarif bedingen sich demnach gegenseitig. Würde die Verfassungswidrigkeit Rechtsfolgen nur für den Einkommensteuerpflichtigen haben, dem nach Erfüllung seiner Steuerschuld kein sein Existenzminimum deckendes Einkommen mehr verbleibt, so entstünde ein Gesetzestorso, der keinen gleichmäßigen Belastungsanstieg, sondern gleichheitswidrige Progressionssprünge herbeiführen würde und insoweit vom Gesetzgeber nicht gewollt wäre. Die Unzulänglichkeit des Grundfreibetrages macht deshalb den § 32 a Abs. 1 Satz 2 EStG wegen seiner Gesamtwirkung im ganzen verfassungswidrig.
2. Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz bestimmt als Rechtsfolge der Verfassungswidrigkeit nicht ausnahmslos die Nichtigkeit der Norm, es läßt auch eine bloße Verfassungswidrigerklärung zu (§ 31 Abs. 2, § 79 Abs. 1 BVerfGG). Diese ist u.a. dann geboten, wenn durch eine Nichtigerklärung ein Zustand geschaffen würde, der der verfassungsmäßigen Ordnung noch ferner stünde als die verfassungswidrige Regelung (vgl. BVerfGE 33, 303 [305, 347 f.]). Eine bloße Unvereinbarkeitserklärung ist ferner angezeigt, wenn der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten hat, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 82, 60 [97]; 78, 350 [363]; 73, 40 [101 f.]; 61, 319 [356]; 61, 43 [68]; 28, 227 [242 f.]).
Eine Nichtigerklärung würde dazu führen, daß eine Besteuerung bis zu einer Neuregelung überhaupt nicht stattfinden könnte. Zudem hat der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten, den Verfassungsverstoß zu beseitigen. Er wird zu bestimmen haben, wie hoch das steuerliche Existenzminimum angesetzt werden soll. Dabei kann er etwa - innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen - neben den steuer- und finanzpolitischen Erwägungen auch sozial- und familienpolitische Anliegen berücksichtigen; ferner könnte der Gesetzgeber den Tarifverlauf so gestalten, daß die Entlastungswirkung eines ausreichenden Grundfreibetrags bei höheren Einkommen in der progressiv ansteigenden Steuerbelastung schrittweise aufgeht.
3. a) Werden Normen für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt, hat dies grundsätzlich zur Folge, daß sie in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang von Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewendet werden dürfen (BVerfGE 73, 40 [101] m.w.N.). Die vorlegenden Gerichte müssen die Ausgangsverfahren weiterhin aussetzen, bis der Gesetzgeber die verfassungswidrige Norm durch eine mit der Verfassung vereinbare Regelung ersetzt hat (vgl. BVerfGE 28, 324 [362 f.]). Die Verpflichtung des Gesetzgebers, eine der Verfassung entsprechende Rechtslage herzustellen, erstreckt sich im Grundsatz auf den gesamten von der Unvereinbarkeitserklärung betroffenen Zeitraum und erfaßt zumindest alle noch nicht rechtskräftigen Entscheidungen, die auf den für verfassungswidrig erklärten Regelungen beruhen.
b) Die Verfassungswidrigkeit des § 32 a Abs. 1 Satz 2 EStG hätte nach diesen Grundsätzen zur Folge, daß die noch anfechtbaren Steuerbescheide für die von den Vorlagen erfaßten Zeiträume aufzuheben wären. Eine solche Konsequenz ist jedoch wegen der Besonderheiten des Steuer- und Haushaltsrechts und der Eigenart des Falles nicht angezeigt.
aa) Gesichtspunkte einer verläßlichen Finanz- und Haushaltsplanung sowie einer entsprechenden Finanz- und Haushaltswirtschaft stehen einer rückwirkenden Neuregelung entgegen (vgl. BVerfGE 72, 330 [422]). Die Einkommensteuer dient als periodisch wiederkehrende Belastung gegenwärtiger Einkommen der Ausstattung des Staates mit Finanzmitteln für das jeweilige Haushaltsjahr. Wie die Einkommensteuer auf das jeweilige Jahreseinkommen des Steuerpflichtigen (§ 2 Abs. 7 EStG) zugreift, so stattet das Aufkommen aus der Einkommensteuer die öffentlichen Haushalte für das jeweilige Kalenderjahr aus. Müßten nunmehr Steuerfälle in großer Anzahl für viele Kalenderjahre neu aufgerollt und teilweise rückabgewickelt werden, so könnte damit das Haushaltsvolumen früherer Haushaltsjahre nicht rückwirkend neu bemessen, sondern nur die damaligen Steuerschuldner zu Lasten des gegenwärtigen Staatshaushalts und zukünftiger Steuerzahler entlastet werden. Das haushaltsrechtliche Prinzip des jährlichen Ausgleichs von Einnahmen und Ausgaben würde durch die Belastung der gegenwärtigen Haushalte mit Steuererstattungsansprüchen von außerordentlicher Höhe in Frage gestellt. Die staatliche Finanzplanung wäre gefährdet; überdies wäre die finanzielle Handlungsfähigkeit des Staates bedroht, es sei denn, die Steuern würden temporär erheblich erhöht.
Eine rückwirkende Umverteilung von Haushaltsmitteln zu Lasten gegenwärtiger Haushalte würde demnach weder den Erfordernissen der periodischen Haushaltsplanung und Haushaltsbewilligung (Art. 110 Abs. 2 GG, vgl. BVerfGE 81, 363 [385]) noch der Aufgabe des Einkommensteuerrechts gerecht, den Gegenwartsbedarf der öffentlichen Haushalte durch Teilhabe am jeweiligen Gegenwartseinkommen der Steuerpflichtigen zu decken. Die verfassungswidrige Bemessung des steuerlichen Existenzminimums muß deshalb von Verfassungs wegen nicht rückwirkend beseitigt werden. Es genügt, wenn der Gesetzgeber die gebotene Neuregelung für die Zukunft trifft und sie bereits gegenwärtig seiner Finanzplanung zugrunde legt.
bb) Eine rückwirkende Korrektur ist auch nicht durch den Zweck des Grundfreibetrages, dem Steuerpflichtigen das existenznotwendige Einkommen zu belassen, geboten. Die Steuerfreiheit des Existenzminimums dient der Befriedigung des gegenwärtigen Bedarfs; die steuerliche Entlastung verfehlt daher ihren Zweck, wenn sie nicht zeitnah zu dem jeweiligen Bedarf gewährt wird. Ist der Freibetrag zu gering bemessen gewesen, so hat dieser schwerwiegende Verfassungsverstoß zwar zur Folge gehabt, daß Steuerpflichtige mit einem geringen Einkommen, bei denen der steuerliche Zugriff das Existenzminimum mit beansprucht, ihren existenzsichernden Aufwand, wollten sie nicht unter das Existenzminimum absinken, anderweitig decken mußten. In Notlagen konnten sie dafür aber Sozialhilfe in Anspruch nehmen. Das läßt es im Blick auf die dargelegten erheblichen Gemeinwohlbelange verfassungsrechtlich noch erträglich erscheinen, wenn der Gesetzgeber eine angemessene steuerliche Entlastung des Existenzminimums erst für die Zukunft regelt; diese Regelung bedarf dann freilich einer kontinuierlichen Anpassung an die Bedürfnisse der jeweiligen Gegenwart.
c) Sollte sich der Gesetzgeber dessen ungeachtet zu einer - sei es auch begrenzten - rückwirkenden Neuregelung entschließen, so wäre eine Unterscheidung zwischen rechtsförmlich abgeschlossenen und noch anhängigen Verfahren jedenfalls für allgemeine, jedem Einkommensteuerfall zugrundeliegende Tatbestände wie dem des Grundfreibetrages schwerlich sachgerecht. Ob der einzelne Steuerfall abschließend entschieden ist, hängt vielfach nicht von Rechtsbehelfen des Steuerpflichtigen, sondern vom Verhalten der Behörden ab. Dies gilt insbesondere, wenn die Steuer unter Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt oder - wie gegenwärtig in einer Vielzahl verfassungsrechtlich strittiger Fälle - nach einer durch organisierte Masseneinsprüche veranlaßten Verwaltungsanweisung des Bundesministers der Finanzen der Steuerbescheid vorläufig erlassen wird.
d) Obwohl die bisherige, mit dem Grundgesetz unvereinbare Bemessung des steuerfreien Existenzminimums nur für die Zukunft korrigiert zu werden braucht, entfällt damit nicht die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagen oder das Rechtsschutzbedürfnis für etwaige Verfassungsbeschwerden. Es ist Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob die Neuregelung die Kläger des Ausgangsverfahrens oder etwaige Beschwerdeführer begünstigen wird.
 
D.
Bis zu einer Neuregelung bleiben die für verfassungswidrig erkannten Regelungen weiter anwendbar. Der Gesetzgeber ist jedoch verpflichtet, mit Wirkung vom Veranlagungszeitraum 1996 an die verfassungswidrige durch eine verfassungsgemäße Regelung zu ersetzen. Diese Frist ermöglicht es ihm, Tatbestände, durch die Erwerbsbezüge für Zwecke der Einkommensbesteuerung gemindert oder von dieser ganz oder teilweise ausgenommen werden, mit dem Ziel vollständiger Berücksichtigung und gleicher Belastung aller Erwerbsbezüge bei Belassung des Existenzminimums zu überprüfen. Zugleich kann der Gesetzgeber die haushaltswirtschaftlichen Auswirkungen der gebotenen Neuregelung im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung berücksichtigen.Die weitere Anordnung zu 2) beruht auf der Erwägung, daß die von ihr erfaßten Steuerpflichtigen alsbald und im gebotenen Umfang individuell oder generell entlastet werden müssen.
(gez.) Mahrenholz, Böckenförde, Klein, Graßhof, Kruis, Kirchhof, Winter, Sommer