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Beschluß | |
des Ersten Senats vom 27. Mai 1970
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- 1 BvL 22/63 und 27/64 - | |
in dem Verfahren wegen verfassungsrechtlicher Prüfung 1. des § 44 Absatz 1 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes - Aussetzungs- ![]() ![]() | |
Entscheidungsformel:
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§ 44 Absatz 1 Satz 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes in den Fassungen des Artikels 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (Bundesgesetzbl. I S. 88) und des § 7 Nr. 4 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres vom 17. August 1964 (Bundesgesetzbl. I S. 640)
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und
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§ 1267 Absatz 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung in den Fassungen des Artikels 1 Nr. 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (Bundesgesetzbl. I S. 45) und des § 6 Nr. 6 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres vom 17. August 1964 (Bundesgesetzbl. I S. 640)
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sind mit Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit über 18 Jahre alte Waisen, die sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden, wenn sie verheiratet sind, in jedem Fall vom Bezug der Waisenrente ausgeschlossen werden.
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Gründe: | |
A. | |
Die beiden Vorlagen betreffen die Verfassungsmäßigkeit der sogenannten Heiratsklauseln (auch Heiratswegfallklauseln oder Heiratsausschlußklauseln genannt) bei den Waisenrenten in der Angestelltenversicherung und der Arbeiterrentenversicherung. Nach der wörtlich übereinstimmenden Regelung im Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) und in der Reichsversicherungsordnung (RVO) erhalten die Kinder eines verstorbenen Versicherten Waisenrente, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für den ![]() ![]() | |
I.
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Ansprüche auf Hinterbliebenenrenten aus der sozialen Rentenversicherung wurden erstmals durch die Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 (RGBl. S. 509) und das Versicherungsgesetz für Angestellte vom 20. Dezember 1911 (RGBl. S. 989) eingeführt. Danach erhielten Kinder eines verstorbenen Versicherten in der Invalidenversicherung Waisenrente bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres; in der Angestelltenversicherung wurde die Waisenrente bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gewährt, fiel aber mit der Heirat der Waise weg (§ 1259 RVO und §§ 29, 64 Abs. 2 des Versicherungsgesetzes für Angestellte jeweils i. d. F. von 1911). 1923 wurde der Anspruch auf Waisenrente auch in der Invalidenversicherung bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres der Waise erstreckt, zugleich aber bestimmt, daß die Rente mit der Heirat der Waise wegfalle (§§ 1259, 1299 RVO i. d. F. des Gesetzes über Änderung des Versicherungsgesetzes für Angestellte und der Reichsversicherungsordnung vom 13. Juli 1923 - RGBl. I S. 636 -). Die Reichsversicherungsordnung in der Fassung vom 15. Dezember 1924 (RGBl. I S. 779) und das Angestelltenversicherungsgesetz in der Fassung vom 28. Mai 1924 (RGBl. I S. 563) behielten diese Regelungen unverändert bei.
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Erst das Gesetz zur Änderung der Reichsversicherungsordnung und des Angestelltenversicherungsgesetzes vom 25. Juni 1926 (RGBl. I S. 311) führte die Unterscheidung zwischen der "allgemeinen" und der "verlängerten" Waisenrente ein und setzte die Bezugsdauer für die allgemeine Waisenrente in beiden Versiche ![]() ![]() | |
Die verlängerte Waisenrente wurde durch die Vierte Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens vom 8. Dezember 1931 (RGBl. I S. 699) beseitigt und erst durch das Gesetz über den Ausbau der Rentenversicherung vom 21. Dezember 1937 (RGBl. I S. 1393) wieder eingeführt, jedoch nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres (§ 1258 Abs. 1 RVO und § 28 Abs. 5 AVG, beide i.d.F. von 1937). Zugleich wurden die Bestimmungen über den Wegfall der Rente mit der Heirat der Waise aufgehoben (§ 25 des Ausbaugesetzes). Das Gesetz zum weiteren Abbau der Notverordnungen in der Reichsversicherung vom 19. April 1939 (RGBl. I S. 793) setzte die Altersgrenze für die allgemeine Waisenrente erneut auf die Vollendung des 18. Lebensjahres herauf; damit entfiel die verlängerte Waisenrente. Diese Regelung wurde bis 1945 nicht verändert und galt, nachdem gewisse Einschränkungen in der britischen Besatzungszone durch das Sozialversicherungs- Anpassungsgesetz vom 17. Juni 1949 (WiGBl. S. 99) beseitigt worden waren, wieder einheitlich im ganzen Bundesgebiet. Das Kindergeldergänzungsgesetz vom 23. Dezember 1955 (BGBl. I S. 841) führte erneut die verlängerte Waisenrente für die Dauer der Ausbildung für einen Beruf ein, und zwar nunmehr bis zum vollendeten 25. Lebensjahr, jedoch nur für das dritte und jedes weitere Kind (§ 1258 RVO i.d.F. von 1955 und die Verweisung hierauf in § 28 Abs. 5 AVG). Diese verlängerte Waisenrente war ebenso wie die allgemeine Waisenrente auch verheirateten Waisen zu gewähren.
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Das Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz ![]() ![]() | |
"Der Regelung ... liegt der Gedanke zugrunde, daß normalerweise mit dem 18. Lebensjahr der Eintritt in das Erwerbsleben vollzogen ist. Wenn das infolge Berufsausbildung ... nicht der Fall ist, dann ist der Kinderzuschuß für das Kind auch über diesen Zeitpunkt hinaus zu gewähren, wobei für die Gewährung bei Berufsausbildung eine obere Grenze zu setzen war." (Vgl. BTDrucks. II/2437, Begründung B zu §§ 1266 und 1271)
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Dagegen ist die Einführung des Merkmals "unverheiratet" bei den Anspruchsvoraussetzungen des Kinderzuschusses und der verlängerten Waisenrente nicht näher begründet. Ein gleichzeitig mit der Regierungsvorlage im Bundestag beratener, von der Fraktion der SPD eingebrachter Gesetzentwurf über die Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten sah in diesem Punkt die folgende differenzierende Regelung vor:
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"Die Rente wird auf Antrag bis zum vollendeten fünfundzwanzigsten Lebensjahr gewährt, wenn die Kinder in Schul-, Hochschul- oder Berufsausbildung stehen ... Satz 2 gilt nicht für verheiratete Kinder, die gegen den Versicherten keinen Unterhaltsanspruch haben oder hätten, wenn er leben würde." (Vgl. BTDrucks. II/2314 § 32 Abs. 2)
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Der Sozialpolitische Ausschuß des Bundestages entschied sich für die Regierungsvorlage, ohne daß sich aus den Protokollen oder aus dem Schriftlichen Bericht des Ausschusses etwas über die Gründe entnehmen läßt (vgl. Protokoll der 118. Sitzung des genannten Bundestagsausschusses vom 23. November 1956 S. 14, 16; Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik zu ![]() ![]() | |
Die Vorschriften über die Waisenrente aus der Angestelltenversicherung und der Arbeiterrentenversicherung lauteten daher wörtlich übereinstimmend:
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§ 44 Abs. 1 AVG = § 1267 Abs. 1 RVO
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(1) Waisenrente erhalten nach dem Tode des Versicherten seine Kinder (...) bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Über diesen Zeitpunkt hinaus wird die Waisenrente längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres für ein unverheiratetes Kind gewährt, das sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet oder das bei Vollendung des 18. Lebensjahres infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, solange dieser Zustand dauert.
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Dieser Teil der beiden Gesetzesvorschriften ist von der Nichtigerklärung des Absatzes 2 des § 44 AVG durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 1963 (BVerfGE 17, 1 [2]) und die im Hinblick darauf erfolgte Streichung des Absatzes 2 des § 1267 RVO durch Art. 1 § 1 Nr. 28 des Rentenversicherungs- Änderungsgesetzes vom 9. Juni 1965 (BGBl. I S. 476) nicht berührt worden. Beide Bestimmungen werden überwiegend noch jetzt als "Absatz 1" bezeichnet (anders allerdings für § 44 AVG: BSGE 25, 205 ff.). Das Bundeskindergeldgesetz vom 14. April 1964 (BGBl. I S. 265) hat diesem bestehengebliebenen Absatz der beiden Vorschriften einen dritten Satz angefügt, wonach die verlängerte Waisenrente über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt wird, wenn sich die Schul- oder Berufsausbildung durch die Erfüllung der Wehr- oder Ersatzdienstpflicht verzögert. Schließlich hat eine Änderung des zweiten Satzes der Vorschriften die verlängerte Waisenrente auch auf die Zeit der Leistung eines freiwilligen sozialen Jahres ausgedehnt und klargestellt, daß die ![]() ![]() | |
§ 44 Abs. 1 AVG = § 1267 Abs. 1 RVO
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(1) Waisenrente erhalten nach dem Tode des Versicherten seine Kinder (...) bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres. Die Waisenrente wird längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres für ein unverheiratetes Kind gewährt, das sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet, das ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres leistet oder das infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Im Falle der Unterbrechung oder Verzögerung der Schul- oder Berufsausbildung durch Erfüllung der gesetzlichen Wehr- oder Ersatzdienstpflicht des Kindes wird die Waisenrente auch für einen der Zeit dieses Dienstes entsprechenden Zeitraum über das 25. Lebensjahr hinaus gewährt.
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II.
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Die vorlegenden Sozialgerichte halten es für verfassungswidrig, daß der Anspruch einer über 18 Jahre alten, noch in der Schul- oder Berufsausbildung stehenden Waise auf Waisenrente mit der Heirat der Waise auch dann entfällt, wenn der Ehegatte nicht in der Lage ist, die Waise zu unterhalten, besonders zu den Kosten der Berufsausbildung beizutragen. Den Vorlagen liegen folgende Ausgangsverfahren zugrunde:
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1. Verfahren des Sozialgerichts Hamburg - 1 BvL 22/63 -:
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a) Der 1936 geborene Kläger bezog als Student Waisenrente aus der Angestelltenversicherung seines verstorbenen Vaters. Ende November 1959 heiratete er ein Mädchen, das von ihm ein Kind erwartete; das Kind wurde im Juni 1960 geboren. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte stellte die Zahlung der Waisenrente ab 1. Dezember 1959 ein. Der Kläger übernahm 1960 eine Tätigkeit als Angestellter und gab deswegen sein Studium auf.
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Er erhob Klage beim Sozialgericht auf Weiterzahlung der Rente bis zum 31. Mai 1960 mit der Begründung, der Wegfall ![]() ![]() | |
b) Das Sozialgericht Hamburg hat durch Beschluß vom 30. Oktober 1963 (Die Sozialgerichtsbarkeit 1964, S. 340) gemäß Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt,
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"ob das Merkmal 'unverheiratet' in § 44 AVG
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a) gegen Artikel 6 Abs. 1 GG verstößt, falls der Ehegatte wirtschaftlich nicht in der Lage ist, zu den Kosten der Berufsausbildung beizutragen,
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b) gegen Artikel 6 Abs. 1 und 5 GG verstößt, falls diese Ehe wegen bestehender Schwangerschaft geschlossen wird."
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Es hat die Vorlage wie folgt begründet:
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Wenn die zur Prüfung gestellte Regelung uneingeschränkt wirksam sei, so müsse die Klage abgewiesen werden. Der eindeutige Wortlaut der Vorschrift lasse eine andere - verfassungskonforme - Auslegung nicht zu. Sei die Regelung jedoch in dem bezeichneten Umfang nichtig, so sei der Klage stattzugeben; denn die Ehefrau des Klägers sei ihm nicht unterhaltspflichtig gewesen. Sie habe seinerzeit weder Vermögen noch Einkommen gehabt. Es sei ihr auch nicht zuzumuten gewesen, zur Finanzierung des Studiums ihres Ehemannes eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, da sie selbst noch in der Ausbildung gestanden habe. ![]() | |
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Die Versagung der Rente allein wegen der Heirat bedeute eine unbegründete Schlechterstellung der Verheirateten gegenüber den Unverheirateten während der Berufsausbildung. Da die gesetzliche Regelung bezwecke, jungen Menschen, die einen oder beide Elternteile verloren hätten, aus deren Sozialversicherung eine gründliche Berufsausbildung zu ermöglichen, widerspreche es der Natur des geregelten Lebensgebietes, die Ehe zum Anknüpfungspunkt einer solchen Benachteiligung zu nehmen. Auch der in der Berufsausbildung stehende Mensch könne charakterlich zur Ehe reif sein. Soweit die Grundlagen für einen angemessenen Broterwerb noch fehlten, sei es Aufgabe der eigenen Familie des Heiratenden, ihm diese verschaffen zu helfen und damit den Übergang zu einer eigenen Existenz und vollen persönlichen Entfaltung zu ermöglichen.
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Der Waisenrentenanspruch in der Sozialversicherung habe Unterhaltsersatzcharakter und müsse daher der bürgerlich- rechtlichen Regelung entsprechen, wonach die Unterhaltspflicht der Verwandten den Vorrang behalte, wenn der Ehegatte zur Unterhaltsgewährung außerstande sei. Der Kläger hätte trotz der Heirat zu Lebzeiten seines Vaters den vorrangigen Unterhaltsanspruch gegen diesen behalten, weil sein eigenes Einkommen als Werkstudent nicht ausgereicht habe, um die Studienkosten zu decken, und weil seine Ehefrau ihm nicht unterhaltspflichtig gewesen sei. Es gebe keine sachlich überzeugenden Gründe dafür, daß die soziale Rentenversicherung die mit der Übernahme familiärer Unterhaltspflichten selbst statuierte Sachgesetzlichkeit durchbreche. Die in der darreichenden Verwaltung bestehende ![]() ![]() | |
Wenn ein Kind erwartet werde, verletze der Wegfall des Waisenrentenanspruchs durch Heirat zugleich Art. 6 Abs. 5 GG, weil er bei den Eltern den Entschluß der Heirat hemme und es ihnen damit erschwere, ihrer sittlichen Pflicht gegenüber dem Kind nachzukommen. Auch unter diesem Gesichtspunkt handele es sich nicht um Ausnahmefälle, weil eine erhebliche Anzahl aller erstgeborenen Kinder vorehelich erzeugt würden.
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2. Verfahren des Sozialgerichts Lüneburg - 1 BvL 27/64 -:
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a) Der 1939 geborene Kläger bezog als Student Waisenrente aus der Arbeiterrentenversicherung seines gefallenen Vaters. Mit ![]() ![]() | |
b) Das Sozialgericht hat durch Beschluß vom 26. Oktober 1964 (FamRZ 1969, S. 34) nach Art. 100 Abs. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt,
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"ob § 1267 I RVO mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vereinbar ist, soweit er vorsieht, daß Waisenrente für Kinder nach vollendetem 18. Lebensjahr nur Unverheirateten zusteht."
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Es hat die Vorlage wie folgt begründet:
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Nach dem insoweit nicht auslegungsfähigen Wortlaut des § 1267 Abs. 1 RVO müsse bei Gültigkeit der Vorschrift die Klage abgewiesen werden. Sei die Vorschrift jedoch verfassungswidrig, so müsse der Klage stattgegeben werden mit der Folge, daß der Kläger auch für die Zeit vom 1. November 1963 bis zum 30. Juni 1964 Waisenrente erhalte.
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Nach der Überzeugung des Gerichts verstoße die zur Prüfung gestellte Vorschrift gegen Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG. Der allgemeine Gleichheitssatz sei verletzt, weil die Differenzierung zwischen verheirateten und unverheirateten Waisen nicht durch einen sich aus der Natur der Sache ergebenden Grund gerechtfertigt werde. Zwar habe die Waisenrente eine Unterhaltsersatzfunktion, und die durch den Rentenanspruch zu ersetzende Unterhaltsforderung gegen die Eltern entfalle grundsätzlich, wenn der Rentenempfänger durch die Eheschließung einen Unterhaltsanspruch gegen den Ehegatten erwerbe. Da jedoch in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen diese Folge nicht eintrete, sei es nicht sachgerecht, den Wegfall der Rente allein an die Eheschließung ![]() ![]() | |
Die Erwägung des Bundessozialgerichts in der Entscheidung vom 24. Februar 1960 (BSGE 12, 27 [30]), auf die tatsächliche Unterhaltsgewährung komme es nicht an, da sie auch bei Waisen unter 18 Jahren keine Rolle spiele, überzeuge nicht. Wenn bei Waisen unter 18 Jahren die Bedürftigkeit im Einzelfall nicht geprüft werde, so handele es sich um eine aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung getroffene und mit der Lebenserfahrung übereinstimmende Regelung, die in zulässiger Weise verallgemeinere und die Betroffenen nicht benachteilige.
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Art. 6 Abs. 1 GG sei verletzt, weil die gesetzliche Regelung zwangsläufig materiell eingestellte oder finanzschwache Verlobte dazu veranlassen könnte, die geplante Eheschließung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres aufzuschieben. In Ausnahmefällen werde ihnen eine Heirat vor diesem Zeitpunkt sogar unmöglich sein, falls sie nicht die öffentliche Fürsorge in Anspruch nehmen wollten. Die Erwägung des Bundessozialgerichts, es diene dem Schutz der Ehe, die Einkünfte eines Ehegatten möglichst niedrig zu halten, damit die Unterhaltspflicht des anderen Ehegatten unberührt bleibe, gehe fehl. Habe der Ehegatte kein Einkommen oder Vermögen, so müsse der frühere Waisenrentenempfänger nach der Heirat nicht nur wie zuvor für seinen eigenen Unterhalt sorgen, sondern außerdem noch für den des Ehegatten aufkommen. Er werde daher unter Umständen aus Verantwortungsbewußtsein trotz dringender Gründe, wie z. B. einer Schwangerschaft, von der Eheschließung absehen, um seinen und des Ehegatten Unterhalt nicht zu gefährden.
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III.
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a) Das Sozialversicherungsrecht enthalte gegenüber dem Unterhaltsrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch eigenständige Regelungen über die Leistungen an Hinterbliebene. So würden aus dem Kreis der nach dem BGB unterhaltsberechtigten Verwandten nur die Kinder des Versicherten berücksichtigt, wobei zudem der Begriff des Kindes selbständig definiert werde (vgl. § 39 Abs. 2 AVG, § 1262 Abs. 2 RVO). Der Zeitpunkt der Volljährigkeit habe keine Bedeutung, wohl aber der Zeitpunkt der Vollendung des 18. und des 25. Lebensjahres. Vor allem komme es in keinem Falle auf die (vermutliche) Unterhaltspflicht des verstorbenen Versicherten oder auf die Unterhaltsbedürftigkeit der Waise an.
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Dennoch beruhten die Regelungen des bürgerlichen Rechts und des Sozialversicherungsrechts auf denselben, durch die Entwicklung der christlich-abendländischen Kultur seit Jahrhunderten geprägten Grundauffassungen von den Aufgaben der Familie und dem Wesen und den Wirkungen der Ehe. Sie gingen übereinstimmend davon aus, daß Pflege und Erziehung der Kinder eine zuvörderst den Eltern obliegende Pflicht sei (vgl. Art. 6 Abs. 2 GG); auch die Hauptanwendungsfälle der §§ 1601 ff. BGB beträfen natürlicherweise die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber minderjährigen oder noch in der Ausbildung befindlichen Kindern. Den Vorschriften über die Waisenrente liege die Vorstellung zugrunde, daß der Versicherte, wenn er noch lebte, sich nach Kräften in einer am Sinn des Art. 6 Abs. 2 GG orientierten Weise verhalten hätte; insofern sei es berechtigt, von einer Unterhaltsersatzfunktion der Hinterbliebenenrente zu sprechen.
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Andererseits entspreche es nach den erwähnten Grundvorstellungen dem Wesen der Ehe, daß sie eine Verpflichtung jedes Ehegatten zum Einstehen für den Unterhalt des anderen begründe, die jeder anderen Unterhaltspflicht grundsätzlich vorgehe. Diese Tendenz der Verdrängung des Unterhaltsanspruches gegen die Eltern durch die Eheschließung sei beiden Regelungen gemeinsam und nur ![]() ![]() | |
b) Ebenso wie die Vorschriften der §§ 1602, 1603, 1608 BGB mit Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar seien, weil sie unzweifelhaft der Natur des geregelten Lebensgebietes entsprächen (vgl. BVerfGE 6, 55 [77]), gelte das gleiche auch für die im Rahmen der darreichenden Verwaltung getroffene sozialversicherungsrechtliche Regelung. Der Gesetzgeber sei durch die Verfassung nicht gehalten gewesen, sich bei den Vorschriften über die Waisenrente so eng an die Vorschriften des bürgerlichen Rechts anzulehnen, daß er auch für die Fälle des § 1608 Satz 2 BGB in einer vergleichbaren Weise habe Vorsorge treffen müssen.
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c) Die eigenständige Regelung der Sozialversicherung überschreite nicht die Grenzen zulässiger Typisierung. Auf keinem anderen Gebiet des bürgerlichen Rechts werde das tatsächliche Verhalten des Betroffenen so wenig durch die Rechtslage bestimmt wie im Bereich des Unterhaltsrechts. Je stärker die familienhafte Bindung sei, desto weniger seien die Beteiligten geneigt, das Geforderte und das Gegebene mit der Elle des Gesetzes zu messen und im Streitfall den Rechtsweg zu beschreiten. Der Gesetzgeber habe sich mithin um eine Regelung bemühen können, die jedem ![]() ![]() | |
Dagegen richte sich die Gewährung der Waisenrente aus den gesetzlichen Rentenversicherungen allein nach dem Gesetz. Der Sachverhalt müsse in jedem Einzelfall von Amts wegen vollständig aufgeklärt werden, wobei die Gesetzesanwendung nur zu einem geringen Teil in die Hand von Bediensteten gelegt werden könne, deren Qualifikation der eines Richters entspreche. Der Gesetzgeber habe sich daher zu einer den Bedürfnissen einer Massenverwaltung angepaßten Regelung entschließen müssen, unter Verzicht darauf, jeden auch noch so seltenen Einzelfall in einer dem Ideal der Gerechtigkeit voll entsprechenden Weise zu regeln. Es müsse genügen, wenn sich die Generalisierung überwiegend für die Betroffenen günstig auswirke und Benachteiligungen auf ein erträgliches Maß beschränkt blieben. In Anbetracht der Lebensverhältnisse der Rentenversicherten sei die Wahrscheinlichkeit einer Fallgestaltung entsprechend § 1608 Satz 2 BGB so außerordentlich gering, daß der Gesetzgeber diese Ausnahmefälle nicht zu berücksichtigen brauche. § 1608 Satz 2 BGB beruhe auf der Abwägung der Interessen eines Verwandten, der den Unterhalt ohne ein empfindliches Opfer zu gewähren vermöge, und des Ehegatten, dem die Unterhaltsgewährung nur unter schweren Opfern möglich wäre. Die gesetzlichen Rentenversicherungen seien demgegenüber auf Personen zugeschnitten, die nach Ansicht des Gesetzgebers im allgemeinen nicht einmal in der Lage seien, aus eigener Kraft ihren Lebensunterhalt auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsprozeß zu sichern; der Versicherte benötige seine Einkünfte im wesentlichen für die Bestreitung seines eigenen gegenwärtigen Unterhalts, jede Unterhaltsgewährung bedeute für ihn ein empfindliches Opfer.
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d) Art. 6 Abs. 5 GG sei nicht verletzt. Diese Verfassungsnorm setze voraus, daß es uneheliche Kinder gebe, und wolle ihre Lage verbessern. Der Gesetzgeber könne hiergegen allenfalls dadurch verstoßen, daß er an die uneheliche Geburt Nachteile knüpfe oder es unterlasse, überkommene Nachteile zu beseitigen, nicht aber ![]() ![]() | |
2. Der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger hält § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG aus den gleichen Gründen für mit der Verfassung vereinbar wie der Bundesarbeitsminister.
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3. Der Kläger des Ausgangsverfahrens beim Sozialgericht Hamburg tritt unter eingehender Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 24. Februar 1960 (BSGE 12, 27) im wesentlichen den Ausführungen des Vorlagebeschlusses bei.
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IV.
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In der Rechtsprechung und im Schrifttum ist die Verfassungsmäßigkeit der Heiratsklauseln umstritten. Die Erörterung bezieht sich dabei nicht allein auf die Heiratsklauseln bei den Waisenrenten in der Sozialversicherung, sondern auch auf gleichartige oder ähnliche Vorschriften in anderen Gesetzen.
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1. Auf den verschiedensten Rechtsgebieten bildet die Schul- oder Berufsausbildung eines Kindes oder Jugendlichen in Verbindung mit bestimmten Altersgrenzen den Anknüpfungspunkt für eine Leistung aus öffentlichen Mitteln, sei es, daß diese dem Kinde oder Jugendlichen selbst gewährt wird (z. B. Waisenrente, Erziehungsbeihilfe), sei es, daß sie den Eltern zugute kommt (z.B. Kinderzuschuß, Kindergeld). Die Einwirkung einer Heirat auf die Bezugsberechtigung ist nicht einheitlich geregelt, überwiegend führt sie jedoch zum Wegfall der Leistung. So stimmen in allen Zweigen der Sozialversicherung die Regelungen der Waisenrente und des Kinderzuschusses, den ein rentenberechtigter Versicherter erhält, inhaltlich oder sogar wörtlich mit den hier zur Prüfung stehenden Normen überein (vgl. z. B. § 39 Abs. 3 Satz 2 AVG); eine Ausnahme gilt nur für den Familienzuschlag in der Arbeitslosenversicherung, der uneingeschränkt auch für verheiratete Kinder des Arbeitslosen zu gewähren ist (vgl. § 113 Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes vom 25. Juni 1969 - BGBl. I S. 582 -). Gleichartige Heiratsklauseln finden sich beim Kindergeld (vgl. § 2 Abs. 2 des Bundeskindergeldgesetzes vom 14. April 1964 - ![]() ![]() | |
Noch weitergehende Heiratsklauseln als die Sozialversicherungsgesetze enthalten die Beamten- und Besoldungsgesetze des Bundes und der Länder: Nicht nur das Waisengeld für die über 18 Jahre alten Beamtenkinder, die in einer Schul- oder Berufsausbildung stehen, sondern bereits das Waisengeld für unter 18 Jahre alte Beamtenkinder entfällt mit der Heirat des Kindes (vgl. § 164 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesbeamtengesetzes i.d.F. vom 22. Oktober 1965 - BGBl. I S. 1776 - und § 88 Abs. 1 Nr. 1 des Beamtenrechtsrahmengesetzes i.d.F. vom 22. Oktober 1965 - BGBl. I S. 1754 -). Gleiches gilt für den Kinderzuschlag (vgl. § 18 Abs. 6 und § 57 des Bundesbesoldungsgesetzes i.d.F. vom 18. Dezember 1963 - BGBl. I S. 916 -). Nur in den Ländern Hamburg und Rheinland-Pfalz wird auch für verheiratete Beamtenkinder ein Kinderzuschlag gewährt, wenn der Ehegatte außerstande ist, den Unterhalt zu bestreiten. Die Regelung der Waisenrente im Bundesentschädigungsrecht ist an die Regelung des Kinderzuschlags im Bundesbesoldungsrecht gekoppelt (vgl. § 17 Abs. 1 Nr. 3 BEG i.d.F. vom 14. September 1965 - BGBl. I S. 1315 -).
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Der Anspruch auf Ausbildungsförderung nach dem Ausbildungsförderungsgesetz vom 19. September 1969 (BGBl. I S. 1719) steht auch Verheirateten zu. Hierbei wird jedoch, anders als bei den bisher aufgeführten sozialen Leistungen, eine individuelle ![]() ![]() | |
2. Die obersten Bundesgerichte haben, soweit sie bisher mit Heiratsklauseln befaßt worden sind, in ständiger Rechtsprechung die Verfassungsmäßigkeit der Regelungen bejaht; vgl. die Entscheidungen des Bundessozialgerichts zur Heiratsklausel bei der Waisenrente im Bundesversorgungsgesetz und zu § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG (BSGE 12, 27; 25, 205), des Bundesgerichtshofs zur Heiratsklausel bei der Waisenrente nach dem Bundesentschädigungsrecht (FamRZ 1966, S. 448 f.) und des Bundesverwaltungsgerichts zur Heiratsklausel beim Kinderzuschlag im Bundesbesoldungsrecht (BVerwGE 25, 123). Abgesehen von der letztgenannten Entscheidung, die auf die besondere, herkömmliche Gestaltung des Kinderzuschlages im Besoldungsrecht gestützt ist, gründet sich diese Rechtsprechung auf die gleichen Argumente, wie die Bundesregierung sie zur Verteidigung der zur Prüfung gestellten Regelungen vorgetragen hat (vgl. oben A III 1 = S. 335). Das Bundessozialgericht hat in der Entscheidung zu § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG noch hervorgehoben, der Benachteiligung der verheirateten Waise durch den Wegfall der Rente stünden zudem die nach Sozialversicherungsrecht durch die Eheschließung entstehenden Rechtsansprüche von verheirateten Versicherten und deren Ehegatten gegenüber.
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Im Gegensatz zu dieser Rechtsprechung halten einige untere Gerichte die Heiratsklauseln für verfassungswidrig; vgl. außer den dieser Entscheidung zugrunde liegenden Vorlagen den Vorlagebeschluß des Sozialgerichts Lüneburg betreffend § 2 Abs. 2 BKGG (FamRZ 1969, S. 158) und die Vorlagebeschlüsse des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen betreffend die Heiratsklauseln ![]() ![]() | |
3. Die genannte höchstrichterliche Rechtsprechung hat in den letzten Jahren zunehmend Kritik erfahren. Das juristische Schrifttum hält ganz überwiegend die Heiratsklauseln für verfassungswidrig - und zwar auf allen Rechtsgebieten (vgl. Bogs, Verhandlungen des 43. Deutschen Juristentages, Bd. II G 42 f.; Hildegard Krüger, FamRZ 1966, S. 398 ff.; Motsch, FamRZ 1966, S. 401 ff. und 1967, S. 263 ff.; Erna Scheffler, Festschrift für Walter Bogs, 1967, S. 129 [131 ff.]; Hans Heinrich Rupp, JuS 1968, S. 166 ff.; Feucht, FamRZ 1969, S. 391 ff.; Maaßen, FamRZ 1970, S. 112 f.; Schieckel-Gurgel, Kommentar zum Bundesversorgungsgesetz, 4. Aufl., § 45 Anm. 6; a. A. Schwankhart, Die Sozialversicherung, 1961, S. 181 ff. und DVBl. 1969, S. 471 ff.; Maunz bei Maunz- Dürig-Herzog, Kommentar zum Grundgesetz, Art. 6 Rdnr. 20). Die für die Verfassungswidrigkeit der Klauseln vorgebrachten Gründe sind die gleichen, wie sie für die Vorlagebeschlüsse maßgebend waren (oben II 1 b, 2 b = S. 331 ff., 334 f.); vor allem wird die den beanstandeten Vorschriften zugrunde liegende Typisierung "verheiratet = versorgt" als verfassungsrechtlich nicht haltbar angesehen. Darüber hinaus werden die Klauseln auch aus sozialen, gesellschaftspolitischen, volkswirtschaftlichen und familienpolitischen Gründen angegriffen und im Hinblick auf das sinkende Heiratsalter und die Verlängerung der Ausbildungszeit in vielen Berufen als nicht mehr zeitgemäß empfunden; auch die Uneinheitlichkeit der verschiedenen Regelungen wird kritisiert (vgl. Frandsen-Daldrup, Der Frauenbericht der Bundesregierung, Rechtliche Konsequenzen, Teil I, S. 121 f.).
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V.
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In der V. Wahlperiode des Deutschen Bundestages brachte eine Reihe von Abgeordneten der CDU und CSU einen Gesetzentwurf zur Lockerung der Heiratsklauseln auf allen Rechtsgebieten ein, der jedoch nicht mehr zur Beratung kam (BTDrucks. V/3111 vom 27. Juni 1968; vgl. dazu Elisabeth Schwarzhaupt, FamRZ ![]() ![]() | |
Der federführende Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozialordnung und der mitberatende Bundestagsausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit haben zunächst die Bundesregierung um eine detaillierte Darstellung der Probleme der Heiratsklauseln, besonders ihrer finanziellen Auswirkungen, und um einen Bericht über den Sachstand der Reform des Familienlastenausgleichs gebeten (vgl. Protokolle der 7. Sitzung des federführenden Ausschusses vom 22. Januar 1970, S. 8 f., und der 7. Sitzung des mitberatenden Ausschusses vom 12. März 1970. S. 18). Diese Stellungnahme steht zur Zeit noch aus. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktionen der SPD und FDP ![]() ![]() | |
Da die Heiratsklauseln in § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG und § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO (bis auf das Zitat der jeweiligen Gesetzesvorschrift über den Begriff des Kindes) wörtlich übereinstimmen, sind die Vorlagen der beiden Sozialgerichte zur gemeinsamen Entscheidung verbunden worden.
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Die Vorlagen beschränken sich zutreffend auf eine Teilregelung der beiden Vorschriften, nämlich auf die Gewährung der verlängerten Waisenrente an unverheiratete, noch in der Schul- und Berufsausbildung stehende Waisen über 18 Jahre, da nur dieser Normenteil für die Entscheidung der Ausgangsverfahren erheblich ist. Dagegen kann der weitere Inhalt der Norm - die Gewährung der verlängerten Waisenrente an über 18 Jahre alte Waisen während der Leistung eines freiwilligen sozialen Jahres oder wegen Gebrechlichkeit der Waise - außer Betracht bleiben. ![]() | |
Die vorliegenden Gerichte meinen, die Benachteiligung der verheirateten Waisen beruhe allein auf dem Wort "unverheiratet"; nach ihrer Ansicht umfaßt also der Begriff "Waise" in den Sozialversicherungsgesetzen an sich sowohl die ledigen wie die verheirateten Kinder des verstorbenen Versicherten, obwohl die letzteren mit der Eheschließung eine eigene Familie gründen. Diese Gesetzesauslegung entspricht der allgemeinen Auffassung in der Praxis und im Schrifttum (vgl. Bogs, a.a.O., G 43; s.a. BVerwG vom 2. Dezember 1959 - V C 200.59 - teilweise wiedergegeben in DÖV 1960, S. 473 f. = DVBl. 1960, S. 255); sie wird auch durch die Entstehungsgeschichte bestätigt. Die nach Ansicht der Gerichte bestehende Verfassungswidrigkeit beruht daher nicht auf der Verwendung dieses Begriffs, sondern allein auf dem in dem gekennzeichneten Normenteil enthaltenen Wort "unverheiratet".
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III.
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Das Sozialgericht Lüneburg stellt diese Anspruchsvoraussetzung schlechthin zur Prüfung, das Sozialgericht Hamburg nur, soweit dadurch die Weiterzahlung der verlängerten Waisenrente auch bei mangelnder Leistungsfähigkeit des Ehegatten der Waise ausgeschlossen wird. Dieser Unterschied in der Formulierung der beiden Vorlagebeschlüsse ist jedoch ohne Bedeutung. Die Regelung selbst enthält eine absolute - nicht differenzierende - Heiratsklausel. Die vorlegenden Gerichte halten sie gerade deswegen für verfassungswidrig und stimmen weiter darin überein, der Gesetzgeber könne ohne Verstoß gegen die Verfassung den Wegfall der Waisenrente anordnen, wenn und soweit der Ehegatte in der Lage sei, den Unterhalt einschließlich der Kosten der Berufsausbildung zu bestreiten.
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IV.
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Beide Gerichte meinen, daß der in den zur Prüfung gestellten Regelungen liegende Verfassungsverstoß wenigstens eine Teil ![]() ![]() | |
Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung sind daher die beiden Vorschriften des Sozialversicherungsrechts, insofern danach in der Gruppe der über 18 Jahre alten Kinder eines verstorbenen Versicherten, die sich noch in der (Schul- oder Berufs-) Ausbildung befinden, nur die unverheirateten Kinder bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, unter Umständen darüber hinaus, Waisenrente erhalten, verheiratete Kinder unter sonst gleichen Voraussetzungen dagegen nicht. In diesem Umfang sind die Vorschriften mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar, soweit sie verheiratete Kinder in jedem Fall vom Bezug der Waisenrente ausschließen.
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I.
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1. Die zur Prüfung stehenden Normen differenzieren unter sonst gleichen Verhältnissen allein nach dem Familienstand: Das Vergleichspaar bilden
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unverheiratete Waisen, die sich nach Vollendung des 18. Lebensjahres in Schul- oder Berufsausbildung befinden einerseits,
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verheiratete Waisen, die sich nach Vollendung des 18. Lebensjahres in Schul- oder Berufsausbildung befinden andererseits.
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Eine solche Differenzierung ist unmittelbar an Art. 6 Abs. 1 GG zu messen. Diese Verfassungsnorm geht jedenfalls dann als ![]() ![]() | |
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 6, 55 [71, 76]; 17, 210 [219 f.]; 24, 104 [109]) ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 GG als wertentscheidender Grundsatznorm für den Staat positiv die Aufgabe, Ehe und Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern und vor Beeinträchtigungen durch andere Kräfte zu bewahren, negativ das Verbot, die Ehe zu schädigen oder sonst zu beeinträchtigen, gleichgültig, ob dies durch Maßnahmen gegen bestehende Ehen geschieht oder ob die Bereitschaft zur Eheschließung gefährdet wird (vgl. BVerfGE 12, 151 [167]). Danach dürfen Verheiratete keinesfalls allein deshalb, weil sie verheiratet sind, benachteiligt werden, insbesondere geringere staatliche Leistungen erhalten als Ledige. Selbstverständlich kann die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft zum Anknüpfungspunkt wirtschaftlicher Rechtsfolgen genommen werden. Jedoch müssen sich für eine Differenzierung zu Lasten Verheirateter aus der Natur des geregelten Lebensverhältnisses einleuchtende Sachgründe ergeben: Die Berücksichtigung der durch die eheliche Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft gekennzeichneten besonderen Lage der Ehegatten darf gerade bei der konkreten Maßnahme den Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft nicht widersprechen und somit als Diskriminierung der Ehe anzusehen sein (vgl. BVerfGE 6, 55 [77]; 17, 210 [217, 220]; 18, 97 [107]; 22, 100 [105]).
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II.
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Nach diesem Maßstab sind die zur Prüfung stehenden Normen mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar, weil sich ein absoluter Ausschluß der verheirateten Waisen von der verlängerten Waisenrente im Hinblick auf den Gegenstand und Zweck der gesetzlichen Regelung sachlich nicht rechtfertigen läßt. ![]() | |
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2. Damit ergibt sich bereits, daß die Heiratsklauseln nicht schon damit begründet werden können, es handele sich bei der Waisenrente um eine staatliche Leistung der darreichenden Verwaltung, deren Gewährung oder Beschränkung in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers liege. Diese Argumentation verkennt zunächst, ![]() ![]() | |
3. Aus den gleichen Gründen lassen sich die Heiratsklauseln nicht mit der Erwägung stützen, die verlängerte Waisenrente stelle im Verhältnis zur allgemeinen Waisenrente eine "Ausnahme", d. h. eine an sich nicht erforderliche oder gebotene zusätzliche finanzielle Zuwendung dar. Selbst wenn dies zuträfe, dürfte der Gesetzgeber, wenn er überhaupt eine solche Leistung an über 18 Jahre alte in der Ausbildung stehende Waisen gewährt, innerhalb dieses Personenkreises nicht nach seinem Belieben differenzieren. Die verlängerte Waisenrente unterscheidet sich aber nach ihrer Ausgestaltung und Funktion für die hier wesentliche Betrachtung nicht von der allgemeinen Waisenrente. Bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen besteht in gleicher Weise ein Rechtsanspruch wie auf die allgemeine Waisenrente; ihre Gewährung bildet auch tatsächlich keine Ausnahme. Wenn im Laufe der Rechtsentwicklung die Altersgrenze für die Bezugsdauer der Waisenrente immer wieder heraufgesetzt und speziell auf den Zeitraum einer Schul- oder Berufsausbildung ausgedehnt worden ist, so entspricht dies der Veränderung der allgemeinen wirtschaftlichen und sozialen Situation. Diese hat dazu geführt, daß einerseits ein zunehmender Bedarf an qualifizierten Arbeitskräften besteht und die Ausbildungszeiten sich in zahlreichen, nicht nur ![]() ![]() | |
4. Weiter wird zugunsten der Heiratsklauseln geltend gemacht, das Kind scheide mit seiner Heirat aus der engeren Familiengemeinschaft mit den Eltern aus und begründe eine eigene selbständige Familie, die für ihre wirtschaftliche Existenz nicht mehr auf die frühere Familiengemeinschaft und deren Fortwirkung in Gestalt der Waisenrente zurückgreifen dürfe (vgl. u. a. Schwankhart, Die Sozialversicherung 1961, S. 181 [183]; s. a. BVerwGE 25, 123 [126]). Dem läßt sich entgegenhalten, daß die familienrechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern durch eine Heirat des Kindes weit weniger berührt werden als durch den Eintritt der Volljährigkeit. Obwohl das letztere Ereignis das Kind aus der elterlichen Gewalt löst und rechtlich selbständig macht, darüber hinaus auch in allen Fällen den Umfang der Unterhaltspflicht der Eltern einschränkt (vgl. § 1603 Abs. 1 und 2 BGB), ist die Volljährigkeit für die Gewährung der verlängerten Waisenrente ohne Bedeutung. Dennoch mag die Heirat des Kindes vielfach einen wesentlichen Einschnitt in seinem Verhältnis ![]() ![]() | |
Auch wenn man diese allgemeinen Folgen einer Eheschließung berücksichtigt, vermögen sie die Versagung der Waisenrente nicht zu rechtfertigen; denn die Waisenrente hat keinen Bezug zu der häuslichen Gemeinschaft und den inneren Bindungen zwischen Eltern und Kindern. Ihre Funktion kann allein darin bestehen, den durch den Wegfall der Unterhaltsleistung des verstorbenen Versicherten entstandenen wirtschaftlichen Bedarf auszugleichen (vgl. BVerfGE 17, 1 [11]). Es kommt daher entscheidend darauf an, ob die Heirat in wirtschaftlicher Beziehung eine wesentliche Änderung im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern bewirkt, die bei der Gewährung des Rentenanspruchs ins Gewicht fallen könnte.
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5. Einen solchen auch nach ihrer Auffassung maßgebenden wirtschaftlichen Ansatzpunkt für die Heiratsklauseln sieht die Bundesregierung übereinstimmend mit den erwähnten höchstrichterlichen Entscheidungen (vgl. oben A IV 2 = S. 341 f.) darin, daß mit der Heirat die Unterhaltspflicht der Eltern auf den Ehegatten der Waise übergehe. In der Tat begründet nach bürgerlichem Recht die Eheschließung einen Unterhaltsanspruch jedes Ehegatten gegen den anderen, und diese Unterhaltspflicht geht der Unterhaltspflicht der Eltern sowie aller anderen Verwandten im Range vor (§§ 1360 Satz 1, 1608 Satz 1 BGB). Dabei mag außer Betracht bleiben, daß durch die Heirat die Waise auch ihrerseits dem ![]() ![]() | |
Freilich bestehen Zweifel, ob die Unterhaltspflicht des Ehegatten sich auch auf die Kosten einer Schul- oder Berufsausbildung des Partners erstreckt oder ob es Sache der Elternfamilie ist, eine im Zeitpunkt der Heirat bereits begonnene Ausbildung weiter zu finanzieren, insbesondere wieweit die Ehefrau im Hinblick auf § 1360 Satz 2 BGB zu einer außerhäuslichen Erwerbstätigkeit verpflichtet ist, um dem Ehemann eine Berufsausbildung zu ermöglichen (vgl. dazu Hildegard Krüger, a.a.O., S. 399; Erna Scheffler, a.a.O., S. 135; Motsch, a.a.O., S. 403 mit weiteren Nachweisen; Knorn, FamRZ 1966, S. 603 f.; Blanke, FamRZ 1969, S. 394 [398 f.]). Diese Fragen bedürfen jedoch keiner weiteren Erörterung. Denn selbst wenn eine solche Unterhaltspflicht des Ehegatten uneingeschränkt zu bejahen wäre, bewirkt die Eheschließung des Kindes, anders als etwa die Wiederheirat des geschiedenen unterhaltsberechtigten Ehegatten (vgl. § 67 EheG), nicht den völligen und endgültigen Wegfall der bisherigen unterhaltsrechtlichen Beziehung. Vielmehr muß der bisherige Unterhaltsverband weiter eintreten, wenn der Ehegatte außerstande ist, Unterhalt zu gewähren. Dies ist nach dem Wortlaut des § 1608 Satz 2 BGB und der herrschenden Meinung hierzu schon dann der Fall, wenn und soweit der Ehegatte bei Berücksichtigung seiner sonstiger Verpflichtungen und seines eigenen angemessenen Unterhalts nicht leistungsfähig ist (vgl. Gotthardt in Staudinger, Kommentar zum BGB, 10./11. Aufl., 1966, § 1608 Rdnr. 5; Georg Scheffler, RGR Kommentar zum BGB. 10./11. Aufl., 1964, § 1608 Anm. 1). Vereinzelt wird demgegenüber die Ansicht ver ![]() ![]() | |
Im Ergebnis ist es also nach der bürgerlich-rechtlichen Gestaltung zwar möglich, daß mit der Heirat eines in der Berufsausbildung stehenden Kindes die Unterhaltspflicht des Ehegatten an die Stelle der Unterhaltspflicht der Eltern tritt, jedoch kann diese Folge aus Gründen, die in der Unterhaltsregelung selbst vorgesehen sind, auch ausbleiben. Das letztere wird namentlich der Fall sein, wenn der Ehegatte selbst im Zeitpunkt der Heirat eine Berufsausbildung begonnen, aber noch nicht beendet hat oder wenn die Ehe wegen der bevorstehenden Geburt eines Kindes geschlossen wird und die Ehefrau durch die Schwangerschaft oder die spätere Betreuung des Kindes an einer Erwerbstätigkeit verhindert ist.
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Die Befürworter der Heiratsklauseln meinen, diese verschiedene rechtliche und tatsächliche Auswirkung der unterhaltsrechtlichen Regelung müsse außer Betracht bleiben. Zu Unrecht berufen sie sich hierfür auf die Eigenständigkeit der sozialversiche ![]() ![]() | |
Die erwähnten Unterschiede ändern jedoch nichts an dem sich aus dem Unterhaltsersatzcharakter der Hinterbliebenenrenten ergebenden Zusammenhang mit dem Familienrecht. Die Regelung der Waisenrente geht nach Inhalt und Zweck ersichtlich von der Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber den Kindern aus; dies wird auch in der Rechtsprechung zu gleichen und gleichartigen Leistungen anerkannt (vgl. BSGE 12, 27 [29 f.]; 25, 205 [206 f., 209]; BGH FamRZ 1966, S. 448 [449]). Wie das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 24. Juli 1963 (BVerfGE 17, 1 [10 f., 23 f.]) näher dargelegt hat, sollen hierbei die Ersatzleistungen dem Bedarf entsprechen, der durch Wegfall der Unterhaltsleistungen des Verstorbenen typischerweise entsteht. Eine solche typisierende Betrachtungsweise liegt bereits der Unterscheidung zwischen der allgemeinen und der verlängerten Waisenrente zugrunde. Sowohl § 44 AVG wie § 1267 RVO gewähren bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ohne weiteres jeder Waise ![]() ![]() | |
6. Die Funktion der Waisenrente als Ersatz der elterlichen Unterhaltsleistung kann es rechtfertigen, den grundsätzlichen Übergang der Unterhaltspflicht von den Eltern auf den Ehegatten zum Anlaß einer Versagung des Rentenanspruchs zu nehmen, gebietet aber, dann auch diejenigen Fälle zu berücksichtigen, in denen trotz der Heirat der Unterhaltsanspruch gegen die Eltern bestehenbleibt. Die Verteidiger der Heiratsklauseln meinen dem ![]() ![]() | |
Hiernach lassen sich die zur Prüfung stehenden Regelungen verfassungsrechtlich nicht halten. Maßgebend ist dabei allein die Gruppe, die im übrigen die Voraussetzungen für die verlängerte Waisenrente erfüllt, d. h. Waisen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren (u. U. 27 Jahren), die studieren oder sich sonst noch in der Ausbildung befinden. Bezogen auf diesen Kreis der Anspruchsberechtigten bilden Waisen, die heiraten, ohne einen Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehegatten zu erlangen, jedenfalls keine Ausnahme, die nach den vorstehenden Ausführungen vernachlässig werden dürfte.
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Der Bundesrat hat bereits im Jahre 1960 anläßlich der Beratung einer Änderung des § 27 BVG erklärt, die generelle Annahme, daß mit der Eheschließung dem Kinde oder der Waise ausreichende Mittel aus der Haushaltsgemeinschaft zur Verfügung stünden, sei unter den gegebenen Umständen nicht mehr gerechtfertigt, wie die praktischen Erfahrungen (Studentenehe) gezeigt hätten (BRDrucks. 53/60 S. 32 f., Nr. 61 zu § 132 Nr. 6 b des Regierungsentwurfs zum Bundessozialhilfegesetz). Auch das Bun ![]() ![]() | |
Die oben genannten Schriftsteller (A IV 3 = S. 342) halten es überwiegend schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung für offensichtlich, daß die den Heiratsklauseln zugrunde liegende Typisierung den heutigen sozialen Verhältnissen nicht mehr entspreche und daß hierdurch, besonders bei Berücksichtigung der Studentenehe, nicht nur Einzelne, sondern eine breite Schicht der Bevölkerung betroffen würden (vgl. Erna Scheffler, a.a.O., S. 137, 138; Motsch, FamRZ 1966, S. 404; Hildegard Krüger, Die Sozialgerichtsbarkeit 1964, S. 345; Maaßen, a.a.O., S. 112; s. a. Thieme in "Ehe und Familie im Sozialversicherungs- und Versorgungsrecht", Schriftenreihe des Deutschen Sozialgerichtsverbandes, Bd. II, 1967, S. 44). Zum Teil stützen sie sich hierfür auch auf statistische Angaben. Das vorhandene statistische Material ist allerdings unzulänglich, da eine gezielte statistische Erhebung zu den hier wesentlichen Fragen bisher fehlt. Die bekannten Zahlen beruhen ![]() ![]() | |
7. Die Heiratsklauseln lassen sich auch nicht mit der Erwägung halten, ihren Nachteilen stünden die Vorteile gegenüber, die im Sozialversicherungsrecht durch eine Heirat in Form von Rechtsansprüchen der Waise oder des Ehegatten erwüchsen, z. B. der Anspruch des Ehegatten der Waise auf Familienzuschlag in der Arbeitslosenversicherung, der Anspruch auf Familienhilfe nach § 205 RVO oder der Anspruch der Waise auf Hinterbliebenenrente nach dem Tode ihres Ehegatten, falls dieser sozialversichert war (so BSGE 25, 205 [210]). Gesetzliche Vorschriften, die nach ihrer Struktur und tatsächlichen Wirkung einen bestimmten Kreis ![]() ![]() | |
Erst recht kommt es nicht darauf an, daß zur Förderung der Ausbildung eine Reihe anderer sozialer Leistungen zur Verfügung steht. Abgesehen davon, daß diese Leistungen sich nach Voraussetzung, Art und Umfang von der Waisenrente unterscheiden - z. B. wird die Hilfe nach dem Honnefer Modell teilweise nur als Darlehen gewährt -, handelt es sich nicht um Leistungen, die speziell für Verheiratete vorgesehen sind und insoweit den Verlust der Waisenrente infolge der Heiratsklauseln kompensieren könnten.
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8. Es trifft auch nicht zu, daß die Heiratsklauseln geboten wären, um eine Zweckentfremdung der Waisenrente zu verhindern, weil diese anderenfalls dazu benutzt würde, ausbleibende Leistungen eines unterhaltspflichtigen Ehegatten zu ersetzen oder diesen von seiner Unterhaltsschuld ganz oder teilweise zu befreien (so BSGE 12, 27 [30]). Ist der Ehegatte gemäß § 1360 i. V. m. § 1608 Satz 1 BGB zur Unterhaltsleistung außerstande, so ist er, wie dargelegt, von vornherein nicht unterhaltspflichtig; die Unterhaltspflicht obliegt allein den Eltern. Die unter diesen Voraussetzungen weitergezahlte Rente behält also in vollem Umfang den Charakter des Unterhaltsersatzes für die vom verstorbenen Elternteil, wenn er noch lebte, kraft eigener Verpflichtung zu erbringende Leistung. Es ist auch schlechterdings nicht verständlich, warum die Fortzahlung der Waisenrente an eine Waise, die mangels eines Unterhaltsanspruches gegen den mittellosen Ehegatten weiterhin unterhaltsbedürftig ist, mit dem Schutz der Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar sein sollte. ![]() | |
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Gewiß mag es grundsätzlich erstrebenswert sein, daß Ehen erst geschlossen werden, wenn durch Abschluß der Ausbildung wenigstens eines der Ehegatten oder auf andere Weise die Grundlagen einer selbständigen wirtschaftlichen Existenz gesichert sind. Der Verwirklichung einer solchen Bestrebung steht jedoch einerseits die Verlängerung der Ausbildungszeiten, andererseits die sich aus der erwähnten Statistik ergebende Tendenz zur Eheschließung in jüngerem Lebensalter entgegen, zu deren Gunsten sich ebenfalls eine Reihe familienpolitischer und anderer Gründe anführen lassen. Es bedarf jedoch für die hier zu treffende Entscheidung keiner Erörterung, welche Auffassung den Vorzug verdient und ob und ![]() ![]() | |
III.
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1. Die Differenzierung zwischen verheirateten und unverheirateten Waisen in den zur Prüfung stehenden Regelungen verstößt somit gegen Art. 6 Abs. 1 GG. Danach kann dahingestellt bleiben, ob ein Verfassungsverstoß auch unter anderen Gesichtspunkten in Betracht kommen könnte.
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2. Eine Nichtigerklärung der Heiratsklauseln in vollem Umfange scheidet aus, weil sie zur Folge hätte, daß die Waisenrente allen verheirateten Waisen ohne Unterschied gewährt werden müßte. Nach den vorstehenden Ausführungen beruht die Verfassungswidrigkeit jedoch nur auf dem absoluten Ausschluß der verheirateten Waisen vom Bezug der verlängerten Waisenrente. Dagegen wäre es nach dem Sinn und Zweck der Rentenvorschriften verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber unter Verzicht auf eine typisierende Regelung die Versagung oder Weiterzahlung der Waisenrente nach der Heirat davon abhängig machte, ob im Einzelfall ein Unterhaltsanspruch der Waise gegen den Ehegatten besteht oder nicht.
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Daher könnte nur eine Teilnichtigerklärung in dem vom Sozialgericht Hamburg im Vorlagebeschluß unter a) bezeichneten Umfang in Betracht kommen. Das Sozialgericht meint, aus der Fas ![]() ![]() | |
Zwar kann die Möglichkeit eines völligen Verzichts auf die verlängerte Waisenrente außer Betracht bleiben; jedoch läßt sich im Hinblick auf die wechselvolle Rechtsentwicklung auf diesem Gebiet und die zu berücksichtigende finanzielle Belastung nicht gänzlich ausschließen, daß der Gesetzgeber im Zusammenhang mit dem Wegfall der absoluten Heiratsklausel die Voraussetzungen der verlängerten Waisenrente, besonders die Bezugsdauer, anders abgrenzt; ebenso könnte er die ganze Regelung auch durch eine grundlegende Neuordnung der Berufsausbildungsförderung ersetzen. Ferner läßt sich auch eine nach der Leistungsfähigkeit des Ehegatten differenzierende Heiratsklausel nach Form und Inhalt in verschiedener Weise regeln. Vor allem aber verdient der Hinweis der Bundesregierung auf die mit einer Prüfung im Einzelfall verbundenen verwaltungsmäßigen Schwierigkeiten Beachtung. Gewiß gibt es bei vergleichbaren Leistungen in anderen Gesetzen seit Jahrzehnten Vorschriften, die für Massenfälle bestimmt sind und dennoch eine individuelle Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Beteiligten verlangen. Es muß aber dem Gesetzgeber überlassen bleiben zu entscheiden, ob es möglich und zweckmäßig ist, eine solche Prüfung auch bei der verlängerten Waisenrente einzuführen, oder ob es statt dessen vertretbar und sinnvoller ist, die Heiratsklauseln ganz zu beseitigen und die verlängerte Waisenrente ebenso wie die allgemeine Waisenrente allen verheirateten Waisen zu gewähren. Daher war die Entscheidung auf die Feststellung des Verfassungsverstoßes ![]() ![]() | |
3. Im Verfahren des Sozialgerichts Lüneburg kommt es für die Entscheidung auf die Gültigkeit des § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO sowohl in der - früheren - Fassung des Arbeiterrentenversicherungs- Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 45) wie in der - geltenden - Fassung des § 6 Nr. 6 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres vom 17. August 1964 (BGBl. I S. 640) an. Daher war die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift in dem bezeichneten Umfang für beide Fassungen festzustellen.
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Im Verfahren des Sozialgerichts Hamburg hängt die Entscheidung nur von der Gültigkeit des § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG in der - früheren - Fassung des Angestelltenversicherungs- Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (BGBl. I S. 88) ab. Da die Vorschrift in der - geltenden - Fassung des § 7 Nr. 4 des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres vom 17. August 1964 (BGBl. I S. 640) jedoch die Heiratsklausel unverändert enthält und insoweit wörtlich mit § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO in der geltenden Fassung übereinstimmt, erschien es in entsprechender Anwendung der §§ 82 Abs. 1, 78 Satz 2 BVerfGG geboten, auch die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 44 Abs. 1 Satz 2 AVG in dem bezeichneten Umfang auf beide Fassungen der Vorschrift zu erstrecken.
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