BVerfGE 122, 248 - Rügeverkümmerung |
Die neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage der Rügeverkümmerung im Strafverfahren wahrt die verfassungsrechtlichen Grenzen der richterlichen Rechtsfindung. |
Beschluss |
des Zweiten Senats vom 15. Januar 2009 |
-- 2 BvR 2044/07 -- |
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Herrn F. . . -- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Stefan Wirth, in Sozietät Elbs, Manthey, Kilian, Wirth, Peterssteinweg 10, 04107 Leipzig -- gegen den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 23. August 2007 -- 1 StR 466/05 --. |
Entscheidungsformel: |
Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen. |
Gründe: |
A. |
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Frage der "Rügeverkümmerung" im Strafverfahren mit den verfassungsmäßigen Rechten eines Angeklagten vereinbar ist.
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I. |
Die Zulässigkeit nachträglicher Protokollberichtigungen und deren Beachtlichkeit für das Revisionsgericht sind im Strafprozessrecht nicht ausdrücklich geregelt. Die Strafprozessordnung trifft in § 274 lediglich eine allgemeine Regelung zur Bedeutung des tatgerichtlichen Protokolls im Revisionsverfahren. Diese lautet wie folgt:
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Vor diesem Hintergrund hat bereits das Reichsgericht -- nach anfänglichem Schwanken -- alsbald die Zulässigkeit nachträglicher Protokollberichtigungen anerkannt. Nach dieser Rechtsprechung, die der Bundesgerichtshof fortgeführt hat, ist eine nachträgliche Berichtigung der Sitzungsniederschrift ohne zeitliche Beschränkung sowohl zugunsten als auch zu Lasten des Revisionsführers möglich. Die Beweiskraft aus § 274 StPO geht im Falle einer Protokollberichtigung grundsätzlich auf das Protokoll in der berichtigten Fassung über.
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Eine Ausnahme hiervon sollte -- nach früherer Rechtsprechung -- nur dann gelten, wenn durch die Protokollberichtigung einer bereits erhobenen Verfahrensrüge die Grundlage im Protokoll entzogen wurde. In diesem Fall sollte die Beweiskraft aus § 274 StPO bei dem Protokoll in seiner unberichtigten Fassung verbleiben. Einer ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge konnte also durch eine nachträgliche Protokollberichtigung nicht die Beweisgrundlage entzogen werden.
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Von dieser Rechtsprechung, die schlagwortartig als das "Verbot der Rügeverkümmerung" bezeichnet wird, ist der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs mit Beschluss vom 23. April 2007 (-- GSSt 1/06 --, BGHSt 51, 298) abgerückt. Für die Fälle nachträglicher -- rügeverkümmernder -- Protokollberichtigung soll nunmehr Folgendes gelten:
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"1. Durch eine zulässige Berichtigung des Protokolls kann auch zum Nachteil des Beschwerdeführers einer bereits ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge die Tatsachengrundlage entzogen werden.
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2. Die Urkundspersonen haben in einem solchen Fall vor einer beabsichtigten Protokollberichtigung zunächst den Beschwerdeführer anzuhören. Widerspricht er der beabsichtigten Berichtigung substantiiert, sind erforderlichenfalls weitere Verfahrensbeteiligte zu befragen. Halten die Urkundspersonen trotz des Widerspruchs an der Protokollberichtigung fest, ist ihre Entscheidung hierüber mit Gründen zu versehen.
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II. |
Der Rechtssatz, dass eine nachträgliche Protokollberichtigung einer bereits erhobenen Verfahrensrüge nicht den Boden entziehen darf, findet sich in der Rechtsprechung des Reichsgerichts -- aufbauend auf der Judikatur der preußischen Obergerichte (vgl. hierzu RGSt 43, 1 [5]) -- schon seit dem Jahr 1880 (vgl. RGSt 2, 76 [77 f.]). Er wurde zur ständigen Rechtsprechung des Gerichts.
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Zu einem anderen Ergebnis kam lediglich das Reichsmilitärgericht auf der Grundlage der Militärstrafgerichtsordnung, welche gegen das Protokoll nicht nur den Beweis der Fälschung, sondern auch den Nachweis der Unrichtigkeit zuließ. Die Auffassung des Reichsgerichts, dass Prozessbeteiligte durch die Erhebung einer auf das Sitzungsprotokoll gegründeten Revisionsrüge ein prozessuales Recht erwürben, das ihnen durch eine nachträgliche Berichtigung des Protokolls nicht verkümmert werden dürfe, werde durch keine Rechtsnorm unterstützt (vgl. RMG 9, 35 [41]; auch RMG 15, 281 ff.).
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Dieser abweichenden Auffassung des Reichsmilitärgerichts wollte sich der 2. Strafsenat des Reichsgerichts im Jahre 1909 anschließen und legte die Frage der Zulässigkeit einer Rügeverkümmerung den Vereinigten Strafsenaten des Reichsgerichts zur Entscheidung vor. Die Vereinigten Strafsenate hielten jedoch an der bisherigen Rechtsprechung fest und bestätigten das Verbot der Rügeverkümmerung (RGSt 43, 1). Hierbei blieb es bis in das Jahr 1936, als die Frage der Rügeverkümmerung erneut zum Gegenstand einer Grundsatzentscheidung wurde und der Große Senat für Strafsachen des Reichsgerichts die Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung aufgab (RGSt 70, 241).
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Nach 1945 herrschte zunächst Uneinigkeit in der Frage der Rügeverkümmerung. Während etwa das Oberlandesgericht Braunschweig (HESt 1, 192) der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Reichsgerichts aus dem Jahre 1936 folgte, kehrte der Oberste Gerichtshof für die britische Besatzungszone zu der früheren Rechtsprechung des Reichsgerichts zurück (vgl. OGHSt 1, 277; 3, 83 [84]). Dem schloss sich später auch der Bundesgerichtshof an und führte damit die ursprüngliche Rechtsprechung des Reichsgerichts fort (vgl. BGHSt 2, 125).
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In jüngerer Vergangenheit wurden die Vorbehalte gegen das Verbot der Rügeverkümmerung auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wieder lauter. Im Jahr 2005 sprachen sich der 1. und der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs -- in obiter dicta -- für eine Aufgabe des Verbots der Rügeverkümmerung aus (vgl. BGH, NStZ 2006, S. 181; NStZ 2005, S. 281 f.). Der 3. Strafsenat ließ die Frage in einem Beschluss vom 27. Juni 2006 -- 3 StR 174/06 --, juris, ausdrücklich offen.
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III. |
1. Mit Urteil der 1. Strafkammer -- Schwurgericht -- des Landgerichts München I vom 6. April 2005 wurde der Beschwerdeführer wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil legte er Revision ein und erhob neben der allgemeinen Sachrüge auch eine Verfahrensrüge, mit der er beanstandete, der Anklagesatz sei in der Hauptverhandlung -- unter Verstoß gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO -- nicht verlesen worden. Zum Beweis berief sich der Beschwerdeführer auf die negative Beweiskraft der Sitzungsniederschrift, in der die Verlesung des Anklagesatzes nicht beurkundet war.
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2. Der Kammervorsitzende leitete daraufhin ein Protokollberichtigungsverfahren ein. Die Mitglieder der Strafkammer, der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft und die protokollführende Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle bestätigten in dienstlichen Stellungnahmen, dass der Anklagesatz verlesen worden sei. Die Urkundsbeamtin erklärte, die Fehlerhaftigkeit des Protokolls sei auf einen Fehler bei der Übertragung ihrer handschriftlichen Aufzeichnungen in die elektronische Form des Protokolls zurückzuführen. Ihre handschriftlichen Aufzeichnungen, aus denen sich die Verlesung des Anklagesatzes ergab, fügte sie ihrer dienstlichen Erklärung bei.
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Der Kammervorsitzende teilte dem Beschwerdeführer daraufhin mit, es sei beabsichtigt, das Protokoll an der betreffenden Stelle um den Satz
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"Der Vertreter der Staatsanwaltschaft verlas den Anklagesatz."
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zu ergänzen, und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Verteidiger, der den Beschwerdeführer in dem Verfahren vor dem Schwurgericht vertreten hatte, gab daraufhin folgende Erklärung ab:
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"An den entsprechenden Verfahrensabschnitt kann ich mich nicht konkret erinnern; die Verlesung der Anklageschrift stellt einen Routinevorgang dar. Allerdings vermute ich, dass ich mich hieran erinnern könnte, wenn die Anklageschrift nicht verlesen worden wäre, weil dies einen ungewöhnlichen Verfahrensablauf darstellen würde. Auch diese Überlegung führt aber nicht zu einer konkreten Erinnerung. Aufgrund dieses Rückschlusses erscheint es mir aber durchaus möglich, dass die Erinnerung der Urkundspersonen zutreffend ist."
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Wenig später nahmen der Vorsitzende der Strafkammer und die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die angekündigte Protokollberichtigung vor.
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3. a) Der für die Revision des Beschwerdeführers zuständige 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hielt die auf einen Verstoß gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO gestützte Verfahrensrüge für unbegründet, da er die Berichtigung der Sitzungsniederschrift unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung als beachtlich ansah. An der beabsichtigten Verwerfung der Revision sah der Senat sich durch die entgegenstehende Rechtsprechung der anderen Strafsenate gehindert. Mit Beschluss vom 12. Januar 2006 (NStZ-RR 2006, S. 112) fragte er daher gemäß § 132 Abs. 3 GVG bei den anderen Strafsenaten an, ob an der Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung festgehalten werde.
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b) Der 2. und der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs schlossen sich der geänderten Rechtsauffassung des 1. Strafsenats zur Frage der Rügeverkümmerung an und gaben ihre frühere Rechtsprechung auf (BGH, Beschluss des 2. Strafsenats vom 31. Mai 2006 -- 2 ARs 53/06 --, NStZ-RR 2006, S. 275; Beschluss des 3. Strafsenats vom 22. Februar 2006 -- 3 ARs 1/06 --, BGH-Nack). Der 4. und der 5. Strafsenat hingegen hielten an ihrer bisherigen Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung fest (BGH, Beschluss des 4. Strafsenats vom 3. Mai 2006 -- 4 ARs 3/06 --, NStZ-RR 2006, S. 273; Beschluss des 5. Strafsenats vom 9. Mai 2006 -- 5 ARs 13/06 --, BGH-Nack).
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c) Mit Beschluss vom 23. August 2006 -- 1 StR 466/05 -- (NJW 2006, S. 3582) legte der 1. Strafsenat dem Großen Senat für Strafsachen gemäß § 132 Abs. 2 und 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vor:
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"Ist die Beweiskraft (§ 274 StPO) des berichtigten Protokolls für das Revisionsgericht auch dann beachtlich, wenn aufgrund einer Protokollberichtigung hinsichtlich einer vom Angeklagten zulässig erhobenen Verfahrensrüge zu Ungunsten des Angeklagten die maßgebliche Tatsachengrundlage entfällt?"
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d) Am 23. April 2007 fasste der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs den unter A. I. aufgeführten Beschluss. Die grundsätzlich umfassende Berücksichtigung der nachträglichen Protokollberichtigung widerspreche dem Gesetz nicht. Zwar lasse § 274 Satz 2 StPO als Gegenbeweis gegen die Beurkundung des Protokolls nur den Nachweis der Fälschung zu. Eine Berichtigung durch Erklärungen der Urkundspersonen enthalte jedoch einen Widerruf der früheren Beurkundung und entziehe ihr, soweit die Berichtigung reiche, die absolute Beweiskraft, so dass es eines Gegenbeweises nicht mehr bedürfe. Die Annahme, durch den Eingang der Revisionsbegründung werde ein besonderes prozessuales Recht auf Beibehaltung der Tatsachengrundlage für eine Rüge begründet, finde im Gesetz keine Stütze. Für eine Aufgabe des Verbots der Rügeverkümmerung, das auf Rechtsprechung beruhe und daher durch die Rechtsprechung auch geändert werden könne, spreche die Wahrheitspflicht der Revisionsgerichte, die inzwischen durch das Beschleunigungsgebot und den Gesichtspunkt des Opferschutzes zusätzliches Gewicht erhalte. Auch eine veränderte Einstellung der Strafverteidiger zu der Praxis, auf unwahres Vorbringen Verfahrensrügen zu stützen, spreche für eine Aufgabe des Verbots der Rügeverkümmerung. Während eine bewusst wahrheitswidrige Verfahrensrüge früher als standeswidrige Verfehlung gegolten habe, werde es heute schon als anwaltlicher Kunstfehler bezeichnet, sich eines Fehlers im Protokoll jedenfalls nicht in der Weise zu bedienen, dass ein anderer Verteidiger die Revision begründe. Gewähr für die Richtigkeit der nachträglichen Änderung der Sitzungsniederschrift biete das im Tenor beschriebene Verfahren, welches zur Sicherung der Effektivität des Rechtsmittels und des Rechts des Angeklagten auf ein faires Verfahren bei der Protokollberichtigung einzuhalten sei.
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e) Mit Beschluss vom 23. August 2007 -- 1 StR 466/05 -- (NStZ 2007, S. 719) verwarf der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Revision des Beschwerdeführers gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet. Die Rüge eines Verstoßes gegen § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO erweise sich auf der Grundlage des Beschlusses des Großen Senats für Strafsachen vom 23. April 2007 als unbegründet. Ausweislich des berichtigten Protokolls sei die Verlesung des Anklagesatzes bewiesen (§ 274 StPO). Die Protokollberichtigung sei auch entsprechend den Vorgaben des Großen Senats für Strafsachen zustande gekommen. Die mit der Durchführung des Vorlageverfahrens verbundene Verfahrensverlängerung sei nicht rechtsstaatswidrig. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts sei bewusst auf eine tatsächlich unwahre Grundlage gestützt worden. Auch nach der Berichtigung des Protokolls habe der Beschwerdeführer die auf eine Verletzung des § 243 Abs. 3 Satz 1 StPO gestützte Verfahrensrüge aufrechterhalten. Diese Vorgehensweise möge anders als ehedem als legitim angesehen werden. Die damit verbundene Verzögerung des Verfahrens habe der Beschwerdeführer dann aber selbst zu verantworten.
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IV. |
1. Die Zulassung einer rügeverkümmernden Protokollberichtigung könne nicht durch Rechtsprechung, sondern nur durch den Gesetzgeber erfolgen, weil hierdurch in die Beschuldigtenrechte auf ein faires Verfahren und auf effektiven Rechtsschutz eingegriffen werde. Der Gesetzgeber habe an die Erhebung einer Verfahrensrüge im Rahmen der strafprozessualen Revision hohe formelle Voraussetzungen geknüpft. Der Angeklagte müsse innerhalb eines Monats ab Zustellung des Urteils die den Mangel enthaltenden Tatsachen umfassend vortragen. Er sei für das Vorliegen des behaupteten Verfahrensfehlers beweispflichtig und könne den Beweis nur mit dem Protokoll führen, auf dessen Inhalt er keinen Einfluss habe. Diese Ausgestaltung der Verfahrensrüge durch den Gesetzgeber, die die Grundrechte eines Angeklagten auf ein faires Verfahren und effektiven Rechtsschutz in verfassungskonformer Weise konkretisiere, werde durch die von der Rechtsprechung geschaffene rügeverkümmernde Protokollberichtigung grundlegend geändert. Die starke Rechtsposition des Revisionsführers werde deutlich entwertet. Es sei auch zu bedenken, dass selbst im Fall eines inhaltlich falschen Protokolls dieser Fehler ausschließlich von der Justiz zu vertreten sei und dass das Recht auf ein faires Verfahren es den Gerichten verbiete, aus eigenen Fehlern Nachteile für die Verfahrensbeteiligten abzuleiten.
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Der Gesetzgeber habe den Anspruch auf ein faires Verfahren darüber hinaus auch in der Weise ausgestaltet, dass ein Richter bereits dann nicht mehr zu einer Entscheidung berufen sei, wenn die Besorgnis der Parteilichkeit bestehe. Zumindest ein entsprechender Anschein von Parteilichkeit entstehe jedoch auch, wenn der Vorsitzende Richter -- nachdem sein Urteil mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden sei -- es maßgeblich in der Hand haben solle, durch eine Protokollberichtigung dieser Rüge die Grundlage zu entziehen. Ein mit dem Anspruch auf ein faires Verfahren nicht zu vereinbarendes Ungleichgewicht bestehe auch darin, dass für die Ablehnung einer Protokollberichtigung zugunsten des Revisionsführers ausreichen solle, dass entweder der Vorsitzende oder der Protokollführer sich nicht sicher an den Vorgang erinnern könnten, dass aber bei einer Protokollberichtigung zu Ungunsten des Revisionsführers weitere dienstliche Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten und eine Begründung der Protokollberichtigung, die einer Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliege, nur dann erforderlich sein sollten, wenn der Revisionsführer substantiiert widerspreche. Die strafprozessuale Praxis zeige, dass Protokollberichtigungen zugunsten des Angeklagten kaum vorkämen.
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Die Zulassung der rügeverkümmernden Protokollberichtigung stehe auch im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers. Die Strafprozessordnung sehe schon keine ausdrückliche Regelung über die Protokollberichtigung als solche vor. Das Rechtsinstitut der Protokollberichtigung beruhe vielmehr auf einer richterlichen Rechtsfortbildung. Diese Rechtsfortbildung sei mit Blick auf die ausschließliche Beweiskraft des Protokolls aus § 274 StPO nur deshalb unbedenklich gewesen, weil eine Protokollberichtigung zu Lasten des Angeklagten nach dem Verbot der Rügeverkümmerung ausgeschlossen gewesen sei. Dieses Ergebnis werde auch dadurch untermauert, dass der Gesetzgeber in die Zivilprozessordnung -- die eine dem § 274 StPO vergleichbare Bestimmung kenne -- im Jahr 1974 mit § 164 ZPO eine Vorschrift eingefügt habe, die die Protokollberichtigung ausdrücklich gestatte. Diese Vorschrift habe der Gesetzgeber für das verwaltungsgerichtliche, das finanzgerichtliche und das sozialgerichtliche Verfahren, nicht aber für das Strafverfahren für anwendbar erklärt. Dies spreche dafür, dass der Gesetzgeber die ihm bekannte ständige Rechtsprechung zur Protokollberichtigung im Strafverfahren nicht habe in Frage stellen wollen.
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2. Darüber hinaus verletze es ihn -- den Beschwerdeführer -- in seinem Recht auf ein faires Strafverfahren, dass der 1. Strafsenat eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung verneint habe, obwohl das Revisionsverfahren über zwei Jahre und vier Monate gedauert habe. Die Dauer des Revisionsverfahrens sei auf den ursprünglichen Protokollierungsfehler und die Verfahrensweise des Bundesgerichtshofs zurückzuführen und falle daher allein in den Verantwortungsbereich der Justiz. Die Auffassung des 1. Strafsenats, dass die Verfahrensverzögerung durch den Beschwerdeführer selbst zu verantworten sei, weil er eine bewusst unwahre Verfahrensrüge erhoben und aufrecht erhalten habe, halte einer verfassungsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Instanzverteidiger habe eindeutig erklärt, dass er an die Verlesung des Anklagesatzes keine konkrete Erinnerung habe. Diese Erklärung könne nicht dahingehend ausgelegt werden, dass auch der Instanzverteidiger von der Verlesung des Anklagesatzes gewusst habe.
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V. |
Gemäß § 94 Abs. 2 BVerfGG hat der Senat dem Bundesministerium der Justiz, dem Präsidenten des Bundesgerichtshofs und dem Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof Gelegenheit zur Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde gegeben. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat Stellungnahmen der Vorsitzenden des 2., 3., 4. und 5. Strafsenats vorgelegt. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hat mitgeteilt, er halte die Verfassungsbeschwerde für unbegründet. Das Bundesministerium der Justiz hat namens der Bundesregierung von einer Stellungnahme abgesehen.
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B. |
Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.
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Der Revisionsverwerfungsbeschluss des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 23. August 2007 verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinen verfassungsmäßigen Rechten.
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I. |
Der angegriffene Revisionsverwerfungsbeschluss wahrt die verfassungsrechtlichen Grenzen der richterlichen Rechtsfindung und verletzt den Beschwerdeführer daher nicht in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG.
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1. Die Auslegung des einfachen Gesetzesrechts einschließlich der Wahl der hierbei anzuwendenden Methode ist Sache der Fachgerichte und vom Bundesverfassungsgericht nicht umfassend auf ihre Richtigkeit zu untersuchen. Das Bundesverfassungsgericht beschränkt seine Kontrolle, auch soweit es um die Wahrung der Kompetenzgrenzen aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG geht, auf die Prüfung, ob das Fachgericht bei der Rechtsfindung die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert und von den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung in vertretbarer Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. BVerfGE 82, 6 [13]; 96, 375 [394 f.]; 111, 54 [81 f.]). Diese Grundsätze gelten auch im Bereich des Strafprozessrechts.
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2. Die neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Beachtlichkeit nachträglicher Protokollberichtigungen begegnet danach keinen Bedenken. Insbesondere ist die -- auch dem neuen Konzept zugrundeliegende -- ständige Rechtsprechung der Strafgerichte, der zufolge eine Berichtigung des Sitzungsprotokolls ohne zeitliche Beschränkung möglich und geboten ist, im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfindung nicht zu beanstanden (a). Dasselbe gilt für die Annahme, dass die Beweiskraft aus § 274 StPO im Falle einer Protokollberichtigung grundsätzlich auf die berichtigte Protokollfassung übergeht, die Beachtlichkeit einer rügeverkümmernden Protokollberichtigung aber im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge der Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt (b). Die Aufgabe des Verbots der Rügeverkümmerung hält sich auch im Übrigen in den verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfindung (c).
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a) Die der angegriffenen Entscheidung zugrunde liegende ständige Rechtsprechung der Revisionsgerichte in Strafsachen, der zufolge eine nachträgliche Protokollberichtigung ohne zeitliche Beschränkung möglich und geboten ist, geht davon aus, dass die Strafprozessordnung in Bezug auf die Zulässigkeit nachträglicher Protokollberichtigungen eine planwidrige Regelungslücke aufweist (vgl. RGSt 43, 1 [3 f.]; BGHSt 2, 125; 51, 298 [302]). Diese Annahme ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
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Das Gesetz selbst enthält zur nachträglichen Protokollberichtigung keine ausdrückliche Regelung. Auch den Motiven zur Strafprozessordnung lassen sich insoweit keine eindeutigen Hinweise entnehmen. Die Motive erwähnen den Fall der nachträglichen Protokollberichtigung -- den Fall also, in dem die Urkundspersonen die Vorgänge in der Hauptverhandlung wahrgenommen haben und sich hieran auch erinnern -- nicht. Sie sprechen lediglich von "Vorgängen, welche der Aufmerksamkeit der Gerichtsmitglieder in der Hauptverhandlung entgangen sind" beziehungsweise "in der Hauptverhandlung vorfallen konnten, ohne von einem der Mitwirkenden oder Beteiligten bemerkt zu werden", und gehen davon aus, dass solche Vorgänge in der Regel auch nachträglich nicht mit Zuverlässigkeit festgestellt werden können (vgl. Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, 1. Aufl. 1880, S. 258).
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Die Auffassung der Rechtsprechung, die Strafprozessordnung sei im Hinblick auf die Frage der Zulässigkeit nachträglicher Protokollberichtigungen lückenhaft, ist auch nicht durch eine gegenteilige Entscheidung des Gesetzgebers hinfällig geworden. Zwar hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Entlastung der Landgerichte und zur Vereinfachung des gerichtlichen Protokolls vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3651) ausdrückliche Regelungen über nachträgliche Protokollberichtigungen für alle Prozessordnungen mit Ausnahme der Strafprozessordnung getroffen. Hierin muss indes keine Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine nachträgliche Protokollberichtigung im Strafverfahren gesehen werden.
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Dies folgt bereits aus dem mit dem genannten Gesetz verfolgten Anliegen. Das Gesetz zielte in erster Linie auf eine Vereinfachung und Beschleunigung der Zivilverfahren vor den Landgerichten. Zu diesem Zweck wurde unter anderem die Protokollführung neu geregelt. Dabei wurde in Anlehnung an die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auch die Protokollberichtigung normiert (§ 164 ZPO; BRDrucks 551/74, S. 63). Die neu gefassten Bestimmungen wurden im Wege der Verweisung in die Verwaltungsgerichtsordnung, die Finanzgerichtsordnung und das Sozialgerichtsgesetz übernommen, also in die Verfahrensordnungen, für die die Zivilprozessordnung subsidiär anwendbar ist (§ 173 VwGO, § 202 SGG, § 155 FGO). Das Gesetz vom 20. Dezember 1974 erzwingt danach keine bestimmten Rückschlüsse auf das Verständnis des Strafprozessrechts. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber im Rahmen einer Überarbeitung der Vorschriften über die Protokollführung auch die bis dahin auf Rechtsprechungsgrundsätzen beruhende Protokollberichtigung in anderen Verfahrensordnungen ausdrücklich geregelt hat, ist nicht notwendig zu schließen, dass im Strafprozess entgegen gefestigter Rechtsprechung (vgl. RGSt 19, 367 [370]; BGHSt 2, 125) nunmehr eine nachträgliche Protokollberichtigung ausgeschlossen sein solle. Die Gesetzesmaterialien enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber 1974 die Protokollberichtigung im Strafverfahren überhaupt in den Blick genommen hat. Dies ist im Hinblick auf die Eigenständigkeit des Strafprozesses auch ohne weiteres nachvollziehbar, zumal dem Gesetz vom 20. Dezember 1974 mit dem Ersten Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 9. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3393) ein Gesetz zur Reform des Strafprozesses unmittelbar vorangegangen war.
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b) Die neue Rechtsprechung setzt sich auch insoweit nicht über die in § 274 StPO niedergelegten Entscheidungen des Gesetzgebers hinweg, als sie annimmt, die ausschließliche Beweiskraft nach § 274 StPO gehe im Falle einer nachträglichen Protokollberichtigung grundsätzlich auf die berichtigte Fassung des Protokolls über (aa), die Beachtlichkeit rügeverkümmernder Protokollberichtigungen unterliege aber revisionsgerichtlicher Überprüfung (bb).
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aa) Der grundsätzliche Übergang der Beweiskraft auf die berichtigte Protokollfassung steht nicht im Widerspruch zu Wortlaut und Sinn und Zweck der Vorschrift des § 274 StPO. Der Wortlaut lässt offen, welcher Protokollfassung -- der ursprünglichen oder der berichtigten -- im Falle einer nachträglichen Protokollberichtigung die ausschließliche Beweiskraft zukommen soll. § 274 Satz 1 StPO spricht davon, dass die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch "das Protokoll" bewiesen werden kann.
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Auch der Wille des historischen Gesetzgebers steht dem Übergang der Beweiskraft auf das Protokoll in seiner berichtigten Fassung nicht entgegen. Die Gesetzgebungsmaterialien zur Strafprozessordnung geben keinen eindeutigen Aufschluss darüber, welcher Protokollfassung im Falle einer nachträglichen Protokollberichtigung die ausschließliche Beweiskraft nach § 274 StPO zukommen soll. Sie zwingen auch nicht zu der Annahme, dass es dem Gesetzgeber mit der Regelung des § 274 StPO darum ging, jenseits des in Satz 2 der Vorschrift angesprochenen Fälschungsfalles jegliche Auseinandersetzung über die Richtigkeit des in der Hauptverhandlung gefertigten Protokolls -- und damit auch jegliche Protokollberichtigung, die Anlass zu Streitigkeiten darüber geben könnte, ob die in § 274 StPO vorgesehene Beweiskraft des Protokolls der ursprünglichen oder der berichtigten Fassung zukommt -- für das Revisionsverfahren auszuschließen.
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In den Motiven zu § 314 des Entwurfs einer Strafprozessordnung, der in redaktionell veränderter Fassung als § 274 StPO Gesetz wurde, heißt es, die Vorschrift finde ihre Rechtfertigung "in der Erwägung, dass Formverletzungen, welche in der Hauptverhandlung vorfallen konnten, ohne von einem der Mitwirkenden oder Beteiligten bemerkt zu werden, in der Regel auch nachträglich nicht mit Zuverlässigkeit werden festgestellt werden können, andererseits aber die Zulassung von Beweisen neben dem Sitzungsprotokoll und gegen dessen Inhalt dem Angeklagten die Möglichkeit gewährt, die Rechtsbeständigkeit des gegen ihn stattgehabten Verfahrens durch leere Ausflüchte für geraume Zeit infrage zu stellen" (vgl. Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, 1. Aufl. 1880, S. 258 mit Verweis auf Goltdammer in Archiv für preußisches Strafrecht, Bd. 9 S. 45 in Fn. 2). Der Fall der wahrgenommenen, aber fehlerhaft nicht protokollierten wesentlichen Formvorschriften ist damit nicht beschrieben. Die Bestimmung zielte nicht auf den Schutz des Angeklagten oder gar auf dessen umfassenden Schutz vor Eingriffen in einen durch das ursprüngliche Protokoll geschaffenen prozessualen Besitzstand. Vielmehr stand dem Gesetzgeber eine Fallgestaltung vor Augen, in der die gesetzlich vorgesehene Beweiskraft des Protokolls gerade zu Lasten des Angeklagten geht, nämlich der Fall eines tatsächlich vorgekommenen, von den Urkundspersonen aber nicht bemerkten und daher nicht protokollierten Verfahrensfehlers. Dass die gesetzlich vorgesehene Beweiskraft des Protokolls dem Angeklagten die Möglichkeit nehmen würde, sich auf einen derartigen Fehler erfolgreich zu berufen, sah der Gesetzgeber als verschmerzbar an im Hinblick darauf, dass entsprechende Gegenbeweise in dieser Konstellation faktisch ohnehin kaum erfolgreich zu führen sein würden, sowie in Anbetracht dessen, dass für die starke Beweiskraft des Protokolls der Gesichtspunkt sprach, einen gerade wegen der bestehenden Beweisschwierigkeiten naheliegenden Missbrauch von durch das Protokoll nicht abgedeckten Verfahrensrügen seitens des Angeklagten zu vermeiden. Hierauf bezieht sich auch die Annahme des Gesetzgebers, namentlich die "amtseidliche Erklärung der Gerichtsmitglieder, welche in der Hauptverhandlung mitgewirkt haben" könne "als ein geeignetes Mittel zur nachträglichen Feststellung des Hergangs in der Hauptverhandlung nicht anerkannt werden" (Hahn, a.a.O., S. 258).
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All dies zwingt nicht zu dem Schluss, der Gesetzgeber habe die Erinnerung der Urkundspersonen an den Hergang der Hauptverhandlung als in allen denkbaren Konstellationen unverlässlich eingestuft und demgemäß mit § 274 StPO auch eine zu Lasten des Angeklagten wirkende Protokollberichtigung prinzipiell ausschließen wollen. Insbesondere legt der zentrale Gesichtspunkt der Vermeidung von Missbräuchen seitens des Angeklagten es nicht nahe, dem Gesetzgeber eine Regelungskonzeption zu unterstellen, die mit dem strikten Ausschluss einer zu Lasten des Angeklagten wirkenden Protokollberichtigung -- selbst im Fall einer bewusst unwahren Protokollrüge -- eine missbräuchliche Wahrnehmung von Verfahrensrechten gerade begünstigen würde.
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Aus den Motiven wird ersichtlich, dass es dem historischen Gesetzgeber auch darum ging, das eigentlich nicht für die Ermittlung von Tatsachen vorgesehene Revisionsverfahren von Beweiserhebungen zu entlasten. In Bezug auf die Frage, ob gewisse Förmlichkeiten in der Hauptverhandlung beobachtet oder verletzt seien, sollte nur der Beweis durch das Protokoll zulässig, jeder andere dagegen unstatthaft sein (Hahn, a.a.O., S. 258). Auch insoweit ist allerdings nicht eindeutig, dass damit auch eine Protokollberichtigung und damit die Möglichkeit, den Beweis durch das berichtigte Protokoll zu erbringen, ausgeschlossen sein soll. Als Verdeutlichung des Anliegens, das der Gesetzgeber hinsichtlich der Entlastung der Revision von Streitigkeiten über tatsächliche Abläufe verfolgte, kann das Zitat einer Äußerung Goltdammers aus dem Archiv für preußisches Strafrecht (Bd. 9 S. 45) aufgefasst werden: "Es ist fast unabsehbar", so die zitierte Passage, "in welcher Ausdehnung und mit welchen Resultaten ein Beweisverfahren eingeleitet werden sollte, welches neben dem Protokoll zahlreiche Tatsachen, die bei der Verhandlung sich ereignet haben, Anträge, Äußerungen des Vorsitzenden über die Leitung der Sache u. s. w. zum Gegenstande einer Ermittelung und Feststellung durch das Ober-Tribunal machen sollte. Man müsste ein neues kontradiktorisches Verfahren einleiten, in welchem einerseits der Angeklagte und der Staatsanwalt, und andererseits der Vorsitzende und der Gerichtsschreiber als die protokollierenden Beamten gehört werden müssten" (Hahn, a.a.O., S. 258, Fn. 2). Das Ziel der Vermeidung unabsehbarer Beweiserfordernisse, das hier erkennbar wird, zwingt nicht dazu, in der Entscheidung des Gesetzgebers für die starke Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls zugleich ein Verbot der Protokollberichtigung und des Übergangs der Beweiskraft auf das berichtigte Protokoll zu sehen.
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bb) Auch die im Tenor zu 3. des Beschlusses des Großen Senats für Strafsachen vom 23. April 2007 vorgesehene Regelung, wonach die Beachtlichkeit rügeverkümmernder Protokollberichtigungen im Rahmen der erhobenen Verfahrensrüge der Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegt, wobei im Zweifel das Protokoll in der nicht berichtigten Fassung gelten soll, wahrt die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfindung.
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(1) § 274 StPO bestimmt, dass die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden kann. Dem Sitzungsprotokoll kommt nach § 274 StPO also eine ausschließliche Beweiskraft für die wesentlichen Förmlichkeiten des Hauptverfahrens zu. Die Beachtung dieser Förmlichkeiten darf daher grundsätzlich nicht zum unmittelbaren Gegenstand von Beweiserhebungen im Rechtsmittelzug gemacht werden. Die Möglichkeit einer solchen Beweiserhebung unmittelbar über wesentliche Förmlichkeiten des Hauptverfahrens wird indes durch die neue Rechtsprechung nicht eröffnet. Vielmehr sind die Revisionsgerichte lediglich zu einer Überprüfung der "Beachtlichkeit der Protokollberichtigung" befugt und verpflichtet. Nur in diesem Rahmen haben die Revisionsgerichte -- neben den formellen Voraussetzungen einer rügeverkümmernden Protokollberichtigung -- inzident auch die Beobachtung der wesentlichen Förmlichkeiten des Hauptverfahrens, also beschränkt auf diejenige Förmlichkeit, die Gegenstand der Protokollberichtigung war, zu überprüfen.
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Diese revisionsgerichtliche Überprüfung rügeverkümmernder Protokollberichtigungen unterscheidet sich deutlich von einer Beweiserhebung unmittelbar über wesentliche Förmlichkeiten des Hauptverfahrens, die § 274 StPO vermeiden will. Das Ziel des § 274 StPO, das Revisionsgericht von umfangreichen Beweiserhebungen zu entlasten, wird durch die vorgesehene Überprüfung der Beachtlichkeit nachträglicher Protokollberichtigungen nicht in Frage gestellt. Eine nachträgliche Protokollberichtigung liegt in der Hand der beiden Urkundspersonen und setzt deren übereinstimmende und sichere Überzeugung von der Unrichtigkeit des Protokolls voraus. Eine solche übereinstimmende und sichere Überzeugung wird sich -- erst recht nach Begründung der Revision, wenn die Hauptverhandlung schon geraume Zeit zurückliegt -- in der Regel nur in Fällen schwerwiegender und offensichtlicher Protokollfehler bilden können. Schon aus diesem Grund werden revisionsgerichtliche Überprüfungen, die sich mittelbar auf die Abläufe in der Hauptverhandlung beziehen, voraussichtlich eine Ausnahmeerscheinung bleiben. Die Protokollberichtigung kann zudem in der Sache unumstritten sein -- ein Fall, der besonders unwahrscheinlich erscheinen lässt, dass der Gesetzgeber mit § 274 StPO eine Protokollberichtigung mit der Folge des Übergangs der Beweiskraft auf das berichtigte Protokoll prinzipiell ausschließen wollte. Auch wenn die Berichtigung umstritten ist, wird die revisionsgerichtliche Überprüfung in der Regel nicht zu einem Beweisverfahren größeren Umfangs führen. Denn das Revisionsgericht ist nicht darauf angewiesen, vielmehr ist es ihm verwehrt, mit allen Mitteln die Wahrheit über den tatsächlichen Geschehensablauf in der tatgerichtlichen Hauptverhandlung zu ermitteln. Es hat seine Aufklärungsbemühungen auf einen sachgerechten, seinen Erkenntnismitteln entsprechenden Umfang zu beschränken und im Zweifel der weiteren Prüfung das Protokoll in seiner unberichtigten Fassung zugrunde zu legen.
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Nach einer Berichtigung existieren im Ergebnis zwei sich widersprechende Protokollaussagen -- die ursprüngliche und die berichtigte Protokollfassung. Die Situation ist vergleichbar mit dem Fall, dass dem Protokoll deshalb die Autorität fehlt, weil es selbst Lücken oder Widersprüche aufweist oder weil eine der Urkundspersonen ihre Protokollerklärung einseitig widerrufen hat. In diesen Fällen sieht die Rechtsprechung eine freibeweisliche Aufklärung des tatgerichtlichen Verfahrensablaufes durch das Revisionsgericht trotz der Regelung des § 274 StPO als zulässig an (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, § 274 Rn. 16 ff.). Ebenso wie bei dieser Fallkonstellation handelt es sich bei den Fällen nachträglicher Protokollberichtigung um atypische Fallgestaltungen, die die Rechtsprechung nach Maßgabe der gesetzlichen Wertungen sowohl rechtsgrundsätzlich als auch im Einzelfall zu bewältigen hat.
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Nach alledem stehen die Zulassung nachträglicher Protokollberichtigungen mit der Wirkung des Übergangs der Beweiskraft auf das berichtigte Protokoll und die vorgesehene revisionsgerichtliche Überprüfungsmöglichkeit nicht im Widerspruch zu einer nach dem Wortlaut des § 274 StPO oder nach den historischen Materialien eindeutigen Regelungskonzeption.
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(2) Dass der Große Senat für Strafsachen sich im vorliegenden Zusammenhang von einer über Jahrzehnte anerkannten Rechtsprechung gelöst hat, bildet keinen eigenständigen Grund für verfassungsrechtliche Beanstandungen. Die von der Rechtsprechung in Randbereichen vorgenommene Anpassung an neuere Vorstellungen hält sich, soweit sie hier zu beurteilen ist, im Rahmen einer Rechtsentwicklung, die der Gesetzgeber erkennbar grundsätzlich billigt. Abmilderungen des strengen Formalismus, von dem das Rechtsdenken des 19. Jahrhunderts -- unter dem Einfluss der Pandektenlehre -- insgesamt geprägt war, zugunsten differenzierterer Lösungen, die weniger Gefahr laufen, die Angemessenheit des Ergebnisses im Einzelfall zu verfehlen, sind unter der Geltung des Grundgesetzes sowohl auf der Ebene der Gesetzgebung als auch in der Rechtsprechung in vielen Rechtsgebieten zu beobachten. Dies betrifft auch die strafrechtliche Revision (vgl. etwa zur Ausweitung des revisionsgerichtlichen Kontrollumfangs auf die Tatsachenfeststellungen, die Beweiswürdigung und die Strafzumessung BVerfGE 118, 212 [229 f.]; BVerfGK 1, 145 [150 f.]; Hanack, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 2003, Vor § 333 Rn. 4 ff.). Mit dieser Entwicklung steht es im Einklang, die aus dem 19. Jahrhundert stammende, dem formalisierten Beweisverfahren verhaftete Vorschrift des § 274 StPO in einer nicht auf größtmögliche Entfaltung ihrer formalen Sperrwirkung zielenden Weise auszulegen, wie der Große Senat für Strafsachen dies mit der Entwicklung einer revisionsgerichtlichen Überprüfung rügeverkümmernder Protokollberichtigungen zum Schutz des Beschuldigten getan hat.
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c) Der Bundesgerichtshof hat die Grenzen richterlicher Rechtsfindung auch nicht überschritten, indem er das Verbot der Rügeverkümmerung aufgegeben hat.
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aa) Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung des Verbots der Rügeverkümmerung existiert nicht. Vielmehr hat die Rechtsprechung das Verbot der Rügeverkümmerung -- unter Berücksichtigung allgemeiner Rechtsgrundsätze -- aus dem Gesamtzusammenhang der revisionsrechtlichen Vorschriften der Strafprozessordnung hergeleitet (vgl. RGSt 43, 1). Auch durch § 274 StPO wird das Verbot der Rügeverkümmerung nicht garantiert. Die Auffassung der Rechtsprechung, dass die ausschließliche Beweiskraft aus § 274 StPO im Falle einer nachträglichen Protokollberichtigung grundsätzlich auf die berichtigte Protokollfassung übergeht, überschreitet nach dem Vorgesagten ebenso wenig den richterlicher Rechtsfindung von Verfassungs wegen gesetzten Rahmen wie die Entwicklung einer revisionsgerichtlichen Überprüfung der Protokollberichtigung.
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bb) Es gehört zu den anerkannten Aufgaben der Rechtsprechung, im Rahmen der Gesetze von ihr als rechtsgrundsätzlich aufgestellte Rechtssätze zu überprüfen und sie, wenn erforderlich, weiter zu entwickeln. Im Einzelfall kann dies auch dazu führen, dass ein früher als richtig angesehenes Normverständnis aufgegeben und abweichend entschieden wird. Der Umstand, dass ein im Wege richterlicher Rechtsfindung gewonnener Rechtssatz über einen langen Zeitraum Beachtung fand, mag in die Entscheidung einfließen, ob es gerechtfertigt ist, einen abweichenden Rechtssatz aufzustellen, er verleiht indes dem bisherigen Rechtssatz keine höhere Wertigkeit oder gar eine verfassungsrechtlich erhebliche Bestandsgarantie. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe, an denen Rechtsprechungsänderungen zu messen sind, unterscheiden sich, abgesehen von dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes (dazu unten B. III.), nicht von denjenigen, die gegenüber dem erstmaligen Aufstellen eines Rechtssatzes durch ein Gericht angezeigt sind.
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Danach begegnet die neue Rechtsprechung zur Rügeverkümmerung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Aufgabe des Verbots der Rügeverkümmerung ist -- nicht anders als dessen Entwicklung seinerzeit -- eingebettet in eine Gesamtbetrachtung des Revisionsrechts und verlässt dessen System nicht. Zudem leistet sie einen Beitrag zu Rechtssicherheit und Rechtsklarheit in dem hier betroffenen Bereich des Revisionsrechts. Sie soll nach der Vorstellung des Großen Senats der Erfolgsaussicht bewusst unwahrer Verfahrensrügen Grenzen setzen und zudem der Tendenz zur Ausweitung der Rechtsprechung zu offensichtlichen Mängeln des Protokolls begegnen (vgl. BGHSt 51, 298 [311, 313 f.]).
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Der verfassungsrechtlich gebotene Schutz des Revisionsführers (vgl. BVerfGE 118, 212 [230 ff.] zur verfassungskonformen Auslegung des § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO) ist durch die vom Großen Senat für Strafsachen entwickelte neue Rechtsprechung ausreichend gewahrt. Der Schutz gegenüber unberechtigten Protokollberichtigungen, der dem Revisionsführer bislang durch das Verbot der Rügeverkümmerung vermittelt wurde, wird ersetzt durch ein der revisionsgerichtlichen Kontrolle unterliegendes Berichtigungsverfahren. Eine Überschreitung der Grenzen richterlicher Rechtsfindung ist in dieser Ersetzung ebensowenig zu sehen wie in der früheren Lösung.
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Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die hier zu überprüfende Rechtsprechungsänderung sich auf die verfahrensrechtliche Rechtsposition des Beschwerdeführers zu seinen Ungunsten auswirkt. Der Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) und die Bindung der Rechtsprechung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) fordern Respekt für die Entscheidungen des Gesetzgebers -- in den Grenzen der Verfassung -- unabhängig von deren inhaltlicher Ausrichtung und daher auch unabhängig von der Art und Weise, in der sie die Rechte und Interessen des Einzelnen berühren. Die Grenzen, die sich aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG für die richterliche Auslegung des einfachen Rechts ergeben, können daher nicht prinzipiell enger oder weiter gesteckt sein je nachdem, ob die jeweilige Auslegung sich zugunsten oder zu Lasten betroffener Einzelner auswirkt. Dass Auslegungsspielräume von Verfassungs wegen weiter oder enger gezogen sein können je nachdem, ob es darum geht oder nicht darum geht, Verfassungsgeboten -- die auch die Rechtsstellung des Einzelnen betreffen können -- im Wege der verfassungskonformen Auslegung Geltung zu verschaffen (vgl. BVerfGE 34, 269 [292]; 65, 182 [194 f.]; zum Erfordernis und zu den Grenzen verfassungskonformer Auslegung vgl. auch BVerfGE 86, 288 [320]; 99, 341 [358]; 118, 212 [243]), steht auf einem anderen Blatt und spielt hier keine Rolle. Um eine in ihren Ergebnissen unmittelbar verfassungsgebotene Auslegung handelte es sich bei der früheren Auslegung des § 274 StPO ebensowenig wie bei der hier zu überprüfenden.
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Auch die Annahme einer zeitlichen Zäsur derart, dass eine Berichtigung mit der Folge des Übergangs der Beweiskraft des Protokolls auf dessen berichtigte Fassung erst nach Einlegung der Revision ausscheidet, also nur die Verkümmerung einer bereits erhobenen Revisionsrüge ausgeschlossen ist, findet in Wortlaut und Entstehungsgeschichte der Bestimmung keinen Anhaltspunkt, geschweige denn eine Grundlage von solcher Eindeutigkeit, dass andere Auslegungen als ein mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung unvereinbares Hintansetzen des Willens des Gesetzgebers eingestuft werden könnten.
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cc) Als verfassungsrechtlich unbedenklich erscheint auch die Auffassung, bei dem Verbot der Rügeverkümmerung handele es sich nicht um Gewohnheitsrecht. Gewohnheitsrecht entsteht durch längere tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird (vgl. BVerfGE 22, 114 [121]; 28, 21 [28 f.]). Es kann offenbleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen eine ständige Rechtsprechung in prozessrechtlichen Fragen zu Gewohnheitsrecht werden kann. Jedenfalls genügt hierfür nicht schon eine erhebliche Länge der Zeit, über die sie sich als konstant erweist. Vielmehr bedarf es der Bildung einer Rechtsüberzeugung in den beteiligten Kreisen, also nicht nur unter Juristen. Unter einer Rechtsüberzeugung ist nicht nur die Erwartung zu verstehen, dass die Gerichte nach dieser Maxime verfahren werden, sondern darüber hinaus die Überzeugung, dass sie dies tun werden, weil es sich um eine sie bindende Norm handelt (vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 433).
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Hiervon ausgehend liegt die Annahme, das Verbot der Rügeverkümmerung habe sich auf dem Weg über die Rechtsprechung gewohnheitsrechtlich verfestigt, fern. Bei dem Verbot der Rügeverkümmerung handelte es sich um eine eher technische strafprozessuale Regelung, die außerhalb der revisionsrechtlichen Praxis selbst in juristischen Fachkreisen nur Wenigen geläufig war. Im Kreis der betroffenen Angeklagten dürfte das Verbot der Rügeverkümmerung -- von seltenen Ausnahmen abgesehen -- sogar völlig unbekannt gewesen sein. Hinzu kommt, dass selbst der revisionsrechtlichen Praxis die Überzeugung fremd gewesen sein dürfte, die Rechtsprechung halte an dem Verbot fest, weil sie sich hieran gewohnheitsrechtlich gebunden fühle. In der Rechtsprechung insbesondere des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs finden sich keine Anhaltspunkte für eine gewohnheitsrechtliche Verfestigung des Verbots der Rügeverkümmerung.
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dd) Schließlich hat der Gesetzgeber nicht etwa mit dem Gesetz zur Entlastung der Landgerichte und zur Vereinfachung des gerichtlichen Protokolls vom 20. Dezember 1974 (BGBl. I S. 3651) die Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung in seinen Willen aufgenommen und damit eine abweichende Rechtsprechung ausgeschlossen. Dem stehen -- wie bereits dargelegt (B. I. 2. a) -- Zielsetzung und Regelungsgehalt dieses Gesetzes entgegen. Auch aus den Gesetzesmaterialien ergeben sich keine Anhaltspunkte für einen derart weit gehenden Regelungswillen des Gesetzgebers.
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II. |
Der angegriffene Revisionsverwerfungsbeschluss verletzt den Beschwerdeführer auch nicht in seinen Rechten auf effektiven Rechtsschutz und auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
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1. Aufgabe des Strafprozesses ist es, den Strafanspruch des Staates um des Schutzes der Rechtsgüter Einzelner und der Allgemeinheit willen in einem justizförmigen Verfahren durchzusetzen und dem mit Strafe Bedrohten eine wirksame Sicherung seiner Grundrechte zu gewährleisten. Der Strafprozess hat das aus der Würde des Menschen als eigenverantwortlich handelnder Person abgeleitete Prinzip, dass keine Strafe ohne Schuld verhängt werden darf (vgl. BVerfGE 80, 244 [255]; 95, 96 [140]), zu sichern und entsprechende verfahrensrechtliche Vorkehrungen bereitzustellen. Zentrales Anliegen des Strafprozesses ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts, ohne den sich das materielle Schuldprinzip nicht verwirklichen lässt. Verfahrensrechtliche Gestaltungen, die der Ermittlung der Wahrheit und somit einem gerechten Urteil entgegenstehen, können, soweit sie verfassungsrechtlich nicht anderweit erfasst werden, jedenfalls den Anspruch des Beschuldigten auf ein faires Verfahren berühren (vgl. BVerfGE 57, 250 [275]; 118, 212 [231]).
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2. a) Die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende allgemeine Rechtsschutzgarantie gewährleistet nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offensteht. Ebenso wie Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, dessen Anwendungsbereich auf die vollziehende Gewalt beschränkt ist (vgl. BVerfGE 107, 395 [403 ff.]; 112, 185 [207]), garantiert sie vielmehr auch die Effektivität des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 94, 166 [226]; 112, 185 [207]). Die Rechtsschutzgarantie gewährleistet zwar keinen Anspruch auf einen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 107, 395 [402]; 112, 185 [207]). Wird dieser von den Prozessordnungen aber eröffnet, dann gebietet sie wirksamen Rechtsschutz in allen von der Prozessordnung zur Verfügung gestellten Instanzen (vgl. BVerfGE 104, 220 [232] m.w.N.).
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b) Die Garantie effektiven Rechtsschutzes richtet sich auch an den die Verfahrensordnung anwendenden Richter. Das Gericht darf ein von der Verfahrensordnung eröffnetes Rechtsmittel nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leer laufen" lassen (vgl. BVerfGE 104, 220 [232]; 112, 185 [208]). Das Rechtsstaatsgebot verbietet es den Gerichten also, bei der Auslegung und Anwendung der verfahrensrechtlichen Vorschriften den Zugang zu den in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanzen von Voraussetzungen abhängig zu machen, die unerfüllbar oder unzumutbar sind oder den Zugang in einer Weise erschweren, die aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigen ist (vgl. BVerfGE 78, 88 [99]; 112, 185 [208]).
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3. a) Das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren wurzelt -- wie die allgemeine Rechtsschutzgarantie -- im Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit den Freiheitsrechten des Grundgesetzes, insbesondere in dem durch ein Strafverfahren bedrohten Recht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) und in Art. 1 Abs. 1 GG, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt eines staatlichen Verfahrens herabzuwürdigen (vgl. BVerfGE 57, 250 [274 f.]), und den Staat zu korrektem und fairem Verfahren verpflichtet (vgl. BVerfGE 38, 105 [111]). An dem Recht auf ein faires Verfahren sind diejenigen Beschränkungen zu messen, die von den speziellen Gewährleistungen der grundgesetzlichen Verfahrensgrundrechte nicht erfasst werden (vgl. BVerfGE 57, 250 [274]; 109, 13 [34]).
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b) Als ein unverzichtbares Element der Rechtsstaatlichkeit des Strafverfahrens gewährleistet das Recht auf ein faires Verfahren dem Beschuldigten, prozessuale Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen und Übergriffe der staatlichen Stellen oder anderer Verfahrensbeteiligter angemessen abwehren zu können (vgl. BVerfGE 38, 105 [111]). Dies bedeutet allerdings nicht, dass im Strafverfahren -- unter dem Gesichtspunkt der "Waffengleichheit" (vgl. BVerfGE 110, 226 [253] m.w.N.) -- in der Rollenverteilung begründete verfahrensspezifische Unterschiede in den Handlungsmöglichkeiten von Staatsanwaltschaft und Verteidigung in jeder Beziehung ausgeglichen werden müssten (vgl. BVerfGE 63, 45 [67]; 63, 380 [392 f.]).
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c) Die Bestimmung der verfahrensrechtlichen Befugnisse und Hilfestellungen, die dem Beschuldigten nach dem Grundsatz des fairen Verfahrens im Einzelnen einzuräumen und die Festlegung, wie diese auszugestalten sind, ist in erster Linie dem Gesetzgeber und sodann -- in den vom Gesetz gezogenen Grenzen -- den Gerichten bei der ihnen obliegenden Rechtsauslegung und -anwendung aufgegeben. Eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht -- auch in seiner Auslegung und Anwendung durch die Gerichte -- ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich Unverzichtbares preisgegeben wurde (vgl. BVerfGE 57, 250 [276]; 64, 135 [145 f.]).
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d) Im Rahmen dieser Gesamtschau sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege in den Blick zu nehmen (vgl. BVerfGE 47, 239 [250]; 80, 367 [375]). Das Rechtsstaatsprinzip, das die Idee der Gerechtigkeit als wesentlichen Bestandteil enthält (vgl. BVerfGE 7, 89 [92]; 74, 129 [152]; stRspr), fordert nicht nur eine faire Ausgestaltung und Anwendung des Strafverfahrensrechts. Es gestattet und verlangt auch die Berücksichtigung der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbruch verholfen werden kann (vgl. BVerfGE 33, 367 [383]; 46, 214 [222]). Der Rechtsstaat kann sich nur verwirklichen, wenn ausreichende Vorkehrungen dafür getroffen sind, dass Straftäter im Rahmen der geltenden Gesetze verfolgt, abgeurteilt und einer gerechten Bestrafung zugeführt werden (vgl. BVerfGE 33, 367 [383]; 46, 214 [222]; stRspr). Verfahrensgestaltungen, die den Erfordernissen einer wirksamen Strafrechtspflege dienen, verletzen daher nicht schon dann den grundrechtlichen Anspruch auf ein faires Strafverfahren, wenn verfahrensrechtliche Positionen des Angeklagten oder Beschuldigten dabei, gemessen am früheren Zustand, eine Zurücksetzung zugunsten einer wirksameren Strafrechtspflege erfahren.
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e) Eng mit dem rechtsstaatlichen Erfordernis einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege verknüpft ist das Beschleunigungsgebot. Auch dieser verfassungsrechtliche Grundsatz ist bei der Konkretisierung des Rechts auf ein faires Verfahren zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 41, 246 [250]; 63, 45 [68 f.]). Eine funktionstüchtige Strafrechtspflege erfordert nicht nur die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs überhaupt, sondern auch eine Durchsetzung innerhalb so kurzer Zeit, dass die Rechtsgemeinschaft die Strafe noch als Reaktion auf geschehenes Unrecht wahrnehmen kann. Unnötige Verfahrensverzögerungen stellen nicht nur die Zwecke der Kriminalstrafe in Frage; sie beeinträchtigen auch das verfassungsrechtlich abgesicherte öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozess, da die Beweisgrundlage durch Zeitablauf verfälscht werden kann (vgl. BVerfGE 57, 250 [280]; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Juni 2006 -- 2 BvR 750/06 u.a. --, juris, Rn. 13).
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4. Nach diesen Grundsätzen begegnet der angegriffene Revisionsverwerfungsbeschluss keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die neue Rechtsprechung zur Rügeverkümmerung ist mit den Rechten des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz und auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar.
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a) Die Zulassung rügeverkümmernder Protokollberichtigungen ermöglicht den Gerichten, dem Phänomen der unwahren Protokollrüge zu begegnen, und trägt damit dem verfassungsrechtlichen Anliegen einer funktionstüchtigen und effektiven Strafverfolgung Rechnung. Eine Urteilsaufhebung aufgrund eines reinen Protokollierungsfehlers -- und damit eine neue Verhandlung mit einer neuen, gegebenenfalls aufwändigen Beweisaufnahme -- werden vermieden. Abgesehen davon, dass die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches im Rahmen einer solchen neuen Hauptverhandlung, mit der regelmäßig eine Verschlechterung der Beweislage einhergeht, erheblich erschwert sein kann, ist eine Neuauflage des tatrichterlichen Ausgangsverfahrens auch mit Nachteilen unter dem Gesichtspunkt des Opferschutzes (vgl. hierzu BVerfGE 38, 105 [114]; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Mai 2007 -- 2 BvR 411/07 --, juris, Rn. 11) verbunden. Im Rahmen einer neuen Hauptverhandlung müssen oft auch die Zeugen erneut vernommen werden. Sind diese Zeugen zugleich Opfer der abzuurteilenden Straftat, so kann dies für sie mit erheblichen Belastungen, bis hin zu einer Retraumatisierung insbesondere bei schweren Gewalt- und Sexualstraftaten, einhergehen.
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b) Die neue Rechtsprechung gewährt dem Angeklagten und Revisionsführer effektiven Schutz vor unberechtigten Protokollberichtigungen durch ein zu beachtendes Berichtigungsverfahren und eine Prüfungspflicht des Revisionsgerichts. Ein Gericht, das eine Protokollberichtigung beabsichtigt, durch die einer bereits erhobenen Verfahrensrüge die Grundlage entzogen wird, muss sich den Einwendungen des Revisionsführers stellen, sich mit diesen auseinandersetzen und damit rechnen, dass seine Protokollberichtigungsentscheidung einer eingehenden Überprüfung durch das Revisionsgericht unterzogen wird. Zudem stellt das Strafgesetzbuch Protokollfälschungen in § 348 StGB unter Strafe. Ein Missbrauch des Instruments der Protokollberichtigung zu Lasten des Angeklagten wird damit hinreichend sicher ausgeschlossen.
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c) Die Wirksamkeit des Rechtsmittels der strafprozessualen Revision wird durch die Zulassung der Rügeverkümmerung nicht in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise beeinträchtigt. Zwar entwertet die Möglichkeit einer nachträglichen Protokollberichtigung aus Sicht des Angeklagten die Revision insoweit, als er damit rechnen muss, dass seiner Verfahrensrüge die Beweisgrundlage im Protokoll entzogen wird. Es handelt sich indes nur um eine punktuelle und auf die Möglichkeiten der Revision insgesamt bezogen geringfügige Beeinträchtigung der Rechtsstellung des Revisionsführers, auf deren Erhalt er von Verfassungs wegen keinen Anspruch hat. Wie dargelegt ist er gegen unberechtigte Protokollberichtigungen zu seinen Lasten hinreichend geschützt. Ist hingegen das Protokoll zu Recht berichtigt worden, steht ihm kein verfassungsrechtlich schutzwürdiges Interesse zu, eine Urteilsaufhebung aufgrund eines unrichtigen Protokolls zu erreichen.
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d) Die Aufgabe des Verbots der Rügeverkümmerung verstößt auch unter dem Aspekt der verfahrensrechtlichen Waffengleichheit im Strafverfahren nicht gegen unverzichtbare rechtsstaatliche Anforderungen an einen fairen Strafprozess. Der Beschwerdeführer rügt insofern, dass er selbst -- anders als das Gericht -- keine Berichtigung des Protokolls durchsetzen könne, und sieht hierdurch das Gebot der Waffengleichheit verletzt. Der Gedanke der Waffengleichheit bezieht sich jedoch in erster Linie auf das Verhältnis der Verteidigung zur Staatsanwaltschaft und gebietet selbst in diesem Verhältnis keinen umfassenden Ausgleich verfahrensspezifischer Unterschiede in der Rollenverteilung (vgl. BVerfGE 63, 45 [67]; 63, 380 [392 f.]). Auf das Verhältnis des Gerichts zur Verteidigung kann der Gedanke der Waffengleichheit nicht übertragen werden. Für die ordnungsgemäße Erstellung des Sitzungsprotokolls sind nach der Strafprozessordnung grundsätzlich allein die Urkundspersonen verantwortlich (§ 271 Abs. 1 StPO). Die Protokollerstellung ist danach -- ähnlich der Abfassung des Urteils -- allein Aufgabe des Gerichts.
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e) Ein Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Fairnessgebot liegt auch insoweit nicht vor, als der Beschwerdeführer rügt, durch die neue Rechtsprechung zur Rügeverkümmerung werde die Ausgestaltung der Verfahrensrüge zu Lasten des Beschuldigten grundlegend verändert, weil auch weiterhin hohe formelle Anforderungen an die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge gestellt würden, ein Revisionsführer aber nunmehr auch noch damit rechnen müsse, dass einer zunächst zulässigerweise erhobenen Verfahrensrüge durch eine Protokollberichtigung nachträglich die Grundlage entzogen werde.
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Bereits die zugrunde liegende Annahme, bei § 274 StPO handele es sich allein oder vorrangig um eine Schutzvorschrift zugunsten des Angeklagten und Revisionsführers, die Nachteile aus den strengen revisionsrechtlichen Form- und Fristerfordernissen ausgleichen solle, ist der Auslegung der Vorschrift nicht von Verfassungs wegen vorgegeben. Aus den Motiven ergibt sich im Gegenteil, dass die Vorschrift des § 274 StPO vor allem dem Schutz des Verfahrens vor Missbrauch seitens des Angeklagten dient. Dem Angeklagten sollte die Möglichkeit genommen werden, "die Rechtsbeständigkeit des gegen ihn stattgehabten Verfahrens durch leere Ausflüchte für geraume Zeit infrage zu stellen" (vgl. Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafprozessordnung und dem Einführungsgesetz zu derselben vom 1. Februar 1877, 1. Aufl. 1880, S. 258).
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Auch besteht der Zusammenhang nicht, den der Beschwerdeführer zwischen den Formerfordernissen der Verfahrensrüge und dem Verbot der Rügeverkümmerung herstellt. Das von der früheren Rechtsprechung etablierte Verbot der Rügeverkümmerung war weder darauf gerichtet noch dazu geeignet, verfahrensrechtliche Nachteile aus den strengen revisionsrechtlichen Form- und Fristerfordernissen zu kompensieren. Vielmehr stellte sich der Vorteil, der sich aus einem Protokollfehler in Verbindung mit dem Verbot der Rügeverkümmerung ergeben konnte, als reiner "Zufallseffekt" und unabhängig davon ein, ob der jeweilige Revisionsführer mit anderen Verfahrensrügen tatsächlich an den strengen revisionsrechtlichen Formerfordernissen gescheitert war.
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Im Übrigen ergibt eine Gesamtbetrachtung der strafrechtlichen Revision, dass deren Koordinatensystem sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten keineswegs einseitig zu Lasten des Beschuldigten verschoben hat. Zwar ist eine gewisse Tendenz in der Rechtsprechung der Revisionsgerichte erkennbar, den Einfluss von Verfahrensrügen zu begrenzen. Im Gegenzug hat die Rechtsprechung indes insbesondere durch die Ausweitung der sogenannten Darstellungsprüfung das revisionsrechtliche Prüfungsprogramm -- im Wesentlichen zugunsten des Beschuldigten -- erheblich ausgedehnt. Insgesamt stellt sich die Aufgabe des Verbots der Rügeverkümmerung damit als Teil einer Gesamtentwicklung des Revisionsrechts dar, durch die die Gesichtspunkte der materiellen Wahrheit und der Einzelfallgerechtigkeit in den Vordergrund der revisionsgerichtlichen Überprüfung gerückt wurden (vgl. BVerfGE 118, 212 [229 f.]; BVerfGK 1, 145 [150 f.]; Hanack, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 2003, Vor § 333 Rn. 4 ff.).
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f) Schließlich verfängt auch das Argument des Beschwerdeführers nicht, eine nachträgliche rügeverkümmernde Protokollberichtigung erzeuge den bösen Schein einer Befangenheit des Gerichts. Auch insoweit gewährt das zu beachtende Berichtigungsverfahren in Verbindung mit der revisionsgerichtlichen Überprüfungsmöglichkeit hinreichende, einen solchen Schein ausschließende Transparenz.
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III. |
Der angegriffene Revisionsverwerfungsbeschluss verletzt den Beschwerdeführer auch nicht deshalb in seinem Recht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs schutzwürdiges Vertrauen des Beschwerdeführers enttäuscht hätte. Die Aufgabe der früheren Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung verstößt nicht gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes aus Art. 20 Abs. 3 GG.
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1. Höchstrichterliche Rechtsprechung ist kein Gesetzesrecht und erzeugt keine damit vergleichbare Rechtsbindung. Eine in der Rechtsprechung bislang vertretene Gesetzesauslegung aufzugeben, verstößt nicht als solches gegen Art. 20 Abs. 3 GG. Die über den Einzelfall hinausreichende Geltung fachgerichtlicher Gesetzesauslegung beruht allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichts. Es bedarf nicht des Nachweises wesentlicher Änderungen der Verhältnisse oder der allgemeinen Anschauungen, damit ein Gericht ohne Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG von seiner früheren Rechtsprechung abweichen kann. Die Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung ist auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes grundsätzlich dann unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet ist und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält (vgl. BVerfGE 84, 212 [227 f.]; BVerfGK 4, 12 [15]; auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Mai 2008 -- 2 BvR 1926/07 --, juris). Soweit durch gefestigte Rechtsprechung ein Vertrauenstatbestand begründet wurde, kann diesem erforderlichenfalls durch Bestimmungen zur zeitlichen Anwendbarkeit oder Billigkeitserwägungen im Einzelfall Rechnung getragen werden.
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2. a) Die Aufgabe des Verbots der Rügeverkümmerung begegnet danach auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Änderung der früheren Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung hält sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung. Schon seit längerem sind Bemühungen der Revisionsgerichte zu beobachten, die allgemein als unangemessen empfundene absolute Beweiskraft des Protokolls aus § 274 StPO in Randbereichen abzumildern. Auch die seit jeher bestehenden Vorbehalte gegen das Verbot der Rügeverkümmerung wurden in den letzten Jahren lauter. So kündigte der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in einem Urteil vom 12. Januar 2005 -- 2 StR 138/04 -- (NStZ 2005, S. 281 f.) -- und damit noch vor Erlass des erstinstanzlichen Urteils im vorliegenden Verfahren -- an, das Verbot der Rügeverkümmerung aufgeben zu wollen, sah indes mangels Entscheidungserheblichkeit von einer Anfrage bei den anderen Strafsenaten ab. Bereits vor dieser Entscheidung des 2. Strafsenats war das Verbot der Rügeverkümmerung von Stimmen aus der Literatur in Frage gestellt worden (vgl. etwa Detter, StraFo 2004, S. 329 [332 f.]; Schäfer, in: Festschrift 50 Jahre BGH, 2000, S. 707 [716 ff.]).
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b) Gesichtspunkte, die im vorliegenden Fall einen über die allgemeinen Grundsätze hinausgehenden Vertrauensschutz gebieten und rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar. Der Beschwerdeführer konnte nicht darauf vertrauen, dass ihm die Möglichkeit einer auf ein fehlerhaftes Protokoll gestützten Verfahrensrüge -- wie sie nach der alten Rechtsprechung zum Verbot der Rügeverkümmerung bestand -- auch künftig unverändert erhalten bleiben würde. Die Erhebung oder Aufrechterhaltung einer unwahren Protokollrüge stellt sich als den Zwecken des Strafverfahrens zuwiderlaufendes Verteidigungsverhalten dar, welches unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten jedenfalls nicht in der Weise schutzwürdig ist, dass Anspruch auf die Aufrechterhaltung einer durch das Gesetz nicht eindeutig vorgezeichneten Rechtsprechung bestünde, die an eine solche Rüge Verfahrensvorteile knüpft.
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IV. |
Der angegriffene Revisionsverwerfungsbeschluss verletzt den Beschwerdeführer schließlich auch nicht deshalb in seinem Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs es abgelehnt hat, die mit der Durchführung des Vorlageverfahrens verbundene Verfahrensverlängerung als rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung anzuerkennen und zu kompensieren.
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1. Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes fordert -- nicht zuletzt im Interesse des Beschuldigten -- die angemessene Beschleunigung des Strafverfahrens. Eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens verletzt deshalb den Beschuldigten in seinem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren (vgl. BVerfGE 63, 45 [69]; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats [Vorprüfungsausschuss] vom 24. November 1983 -- 2 BvR 121/83 --, NJW 1984, S. 967).
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Ob eine mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht in Einklang stehende Verfahrensverzögerung vorliegt, richtet sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls (vgl. BVerfGE 55, 349 [369]), die in einer umfassenden Gesamtwürdigung gegeneinander abgewogen werden müssen (vgl. hierzu EGMR, EuGRZ 1983, S. 371 [380]; NJW 2002, S. 2856 [2857] sowie BGHSt 46, 159 [169 ff.]). Faktoren, die regelmäßig von Bedeutung sind, sind dabei insbesondere der durch die Verzögerungen der Justizorgane verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstands sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen. Als rechtsstaatswidrig können nur solche Verfahrensverzögerungen angesehen werden, die ihre Ursache im Bereich der Strafverfolgungsbehörden haben und nicht dem Beschuldigten -- unter Beachtung seiner Verfahrensrechte -- zuzurechnen sind. Keine Berücksichtigung finden hingegen Verfahrensverzögerungen, die der Beschuldigte selbst, sei es auch durch zulässiges Prozessverhalten, verursacht hat (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats [Vorprüfungsausschuss] vom 24. November 1983 -- 2 BvR 121/83 --, NJW 1984, S. 967; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. April 1993 -- 2 BvR 1487/90 --, NJW 1993, S. 3254 [3255]; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Januar 2004 -- 2 BvR 1471/03 --, BVerfGK 2, 239 [247]; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 30. Juni 2005 -- 2 BvR 157/03 --, NStZ-RR 2005, S. 346 [347]).
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2. Danach begegnet die Auffassung des 1. Strafsenats, bei dem infolge des Vorlageverfahrens an den Großen Senat für Strafsachen verstrichenen Zeitraum handele es sich nicht um eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
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a) Die Durchführung eines Vorlageverfahrens zum Großen Senat für Strafsachen als solche begründet grundsätzlich keine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung. Der aus der Durchführung eines Vorlageverfahrens folgende Zeitbedarf ist -- ebenso wie der aus einer Revisionseinlegung resultierende Zeitbedarf -- Folge einer rechtsstaatlichen Ausgestaltung des Rechtsmittelrechts. Die Aufgabe des Bundesgerichtshofs besteht nicht nur darin, die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu überprüfen; der Bundesgerichtshof soll vielmehr auch zur Einheitlichkeit der Rechtsprechung und zu einer geordneten Fortentwicklung des gesetzten Rechts beitragen (vgl. BGH, Beschluss des 3. Strafsenats vom 15. Dezember 2005 -- 3 StR 243/02 --, juris). Im Übrigen erhöht das Vorlageverfahren -- vergleichbar einem weiteren Rechtsmittel -- das rechtsstaatliche Schutzniveau zugunsten des jeweiligen Revisionsführers. Denn mit dem Großen Senat für Strafsachen wird in einem Vorlageverfahren ein weiterer Spruchkörper mit der jeweiligen für die Sache des Revisionsführers entscheidungserheblichen Rechtsfrage befasst.
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b) Dass das Vorlageverfahren im vorliegenden Fall nicht mit der rechtsstaatlich gebotenen Beschleunigung durchgeführt worden wäre, es also in dem Vorlageverfahren zu einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung gekommen wäre, hat der Beschwerdeführer nicht dargetan und ist angesichts einer Gesamtdauer des Revisionsverfahrens von zwei Jahren und vier Monaten auch sonst nicht ersichtlich. Wegen der Bedeutung des Verbots der Rügeverkümmerung und der Schwierigkeit der damit zusammenhängenden Rechtsfragen erforderten sowohl das Anfrageverfahren als auch das eigentliche Vorlageverfahren eine intensive und zeitraubende Befassung zunächst sämtlicher Strafsenate des Bundesgerichtshofs und sodann des Großen Senats für Strafsachen.
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c) Davon abgesehen hat der Beschwerdeführer nach Auffassung des 1. Strafsenats eine bewusst unwahre Verfahrensrüge erhoben beziehungsweise aufrechterhalten und die damit verbundene Verfahrensverzögerung daher selbst zu verantworten. Diese Einschätzung ist in tatsächlicher Hinsicht vertretbar und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Bei der Erhebung einer bewusst wahrheitswidrigen Verfahrensrüge handelt es sich um ein den Zwecken des Strafverfahrens nicht entsprechendes Verteidigungsverhalten. Es begegnet daher keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die aus einer unwahren Protokollrüge folgenden Verfahrensverzögerungen allein dem Verantwortungsbereich des Revisionsführers zuzurechnen und daher nicht zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Der der Justiz anzulastende Protokollfehler, der dem Beschwerdeführer erst die Möglichkeit zur Erhebung einer unwahren Protokollrüge eröffnet hat, tritt bei der gebotenen wertenden Betrachtung in seiner Bedeutung für die Verfahrensverzögerung hinter das in der Erhebung der unwahren Protokollrüge liegende Verteidigungsverhalten des Beschwerdeführers zurück.
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Voßkuhle Broß Osterloh Di Fabio Mellinghoff Lübbe-Wolff Gerhardt Landau |
Abweichende Meinung des Richters Voßkuhle, der Richterin Osterloh und des Richters Di Fabio zum Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Januar 2009 -- 2 BvR 2044/07 -- |
Der Senat verkennt die verfassungsrechtlichen Grenzen richterlicher Rechtsfindung. Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat mit der Einführung des Verfahrens nachträglicher Protokollberichtigung in seinem Beschluss vom 23. April 2007 -- GSSt 1/06 -- unter Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 und 3 GG in den Kompetenzbereich des Gesetzgebers übergegriffen. Damit verletzt der in Umsetzung dieser Entscheidung ergangene und mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Beschluss des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip.
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I. |
1. Nach Art. 20 Abs. 3 GG ist die Rechtsprechung an "Gesetz und Recht" gebunden. Die durch Art. 97 Abs. 1 GG gewährleistete Unabhängigkeit der Richter dient der unparteiischen Gewährleistung der Gesetzesbindung in Streitfällen, gebunden an das Gesetz ist aber auch der Richter selbst. Beide Regelungen konkretisieren zum einen den Gewaltenteilungsgrundsatz und zum anderen das Demokratieprinzip. Mit diesen Vorgaben wäre es unvereinbar, wenn sich die Gerichte aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben, also objektiv betrachtet sich der Bindung an Gesetz und Recht entziehen würden (vgl. BVerfGE 87, 272 [280]; 96, 375 [394 f.]; 109, 190 [252] -- abw. M.). Im Zusammenwirken zwischen Legislative und Judikative gebührt dem demokratischen, unmittelbar legitimierten Gesetzgeber vielmehr der Vorrang.
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2. Der Vorrang des Gesetzes verbietet dem Richter allerdings nicht, das Recht fortzuentwickeln (vgl. BVerfGE 96, 375 [394 f.]). Auch der unter dem Grundgesetz seit jeher anerkannten Befugnis der Gerichte zur Fortbildung des Rechts (vgl. BVerfGE 111, 54 [81 f.] m.w.N.) sind jedoch ihrerseits Grenzen gezogen. Der Senat hat hierzu in seinem Beschluss vom 14. Juni 2007 festgestellt, dass eine richterliche Rechtsfortbildung, die den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt wird, unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers eingreift (vgl. BVerfGE 118, 212 [243]). Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, so darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar gewesen wäre (vgl. BVerfGE 82, 6 [12 f.]). Ob der Gesetzgeber eine solche eindeutige Entscheidung getroffen hat, kann nur durch Auslegung nach den anerkannten Methoden ermittelt werden. Dabei wird man von folgenden Grundsätzen auszugehen haben:
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a) Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Er gibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den (subjektiven oder objektivierten) Willen des Gesetzgebers (vgl. statt vieler Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 613--616; Rüthers, Rechtstheorie, 4. Aufl. 2008, Rn. 731--743; eingehend Klatt, Theorie der Wortlautgrenze, 2004). Erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes wird die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf. Seine Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall auch unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen (vgl. BVerfGE 96, 375 [394 f.]). In keinem Fall darf richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen (vgl. BVerfGE 78, 20 [24] m.w.N.).
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b) Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt neben den Gesetzesmaterialien und der Systematik des Gesetzes auch dem Verständnis der Vorschrift in der Praxis -- zumal wenn es sich um ein einheitliches, über einen langen Zeitraum unverändertes Verständnis handelt -- eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Sieht sich die Rechtsprechung etwa über einen längeren Zeitraum an eine bestimmte gesetzliche Regelungskonzeption gebunden, dann darf dieser Umstand nicht völlig unbeachtet bleiben.
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c) Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der einschlägigen Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fern liegen oder von der ganz überwiegenden Praxis zu keinem Zeitpunkt ernsthaft erwogen worden sind. Andernfalls wäre es für den Gesetzgeber angesichts der Schwierigkeit, textlich Eindeutigkeit herzustellen, nahezu unmöglich, sein Regelungsanliegen gegenüber der Rechtsprechung über einen längeren Zeitraum durchzusetzen.
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d) Soweit der Gesetzgeber nach Erlass der Norm untätig geblieben ist, lässt sich aus diesem Umstand weder ohne Weiteres darauf schließen, er akzeptiere eine bestimmte beziehungsweise die gerade aktuelle Normanwendungspraxis (vgl. BVerfGE 78, 20 [25]), noch kann gar daraus gefolgert werden, er habe unter Verzicht auf sein Gestaltungsprimat (vgl. BVerfGE 96, 375 [395]) eine Lösung des Sachproblems der Rechtsprechung überantwortet. Dem Gesetzgeber obliegt im Hinblick auf die Geltung einer Norm keine Pflicht, sein diesbezügliches Regelungsanliegen in bestimmten Zeitabständen aufs Neue zu bestätigen.
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3. Die verfassungsgerichtliche Kontrolle erstreckt sich nicht auf jeden Fehler bei der Anwendung des Rechts. Insofern bestehen jedoch Unterschiede in der verfassungsgerichtlichen Kontrolldichte im Hinblick auf bloße Rechtsanwendungsfehler einerseits und die bewusste und explizite Fortbildung des Rechts durch Bildung neuer Obersätze mit tatbestandlicher Fassung andererseits: Obwohl jeder Fehler der Fachgerichte in der Rechtsanwendung zumindest einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG darstellt, beschränkt sich das Bundesverfassungsgericht aus funktionell-rechtlichen Erwägungen auf die Überprüfung der Frage, ob die Fachgerichte bei Auslegung und Anwendung des Rechts Grundrechte des Betroffenen in ihrer Bedeutung und Tragweite grundsätzlich verkannt haben oder sich die Entscheidung der Fachgerichte als objektiv willkürlich erweist (vgl. BVerfGE 18, 85 [93]; 97, 391 [401]; 101, 361 [388]; 103, 21 [29]; stRspr). Denn das Bundesverfassungsgericht ist kein Superrevisionsgericht (vgl. BVerfGE 2, 336 [339]; 21, 209 [216]; 53, 30 [53]; stRspr).
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Bei der Überprüfung der richterlichen Fortentwicklung des Obersatzes geht es hingegen um die kompetenzrechtliche Abgrenzung zwischen der ersten und der dritten Gewalt, mithin um eine originär verfassungsrechtliche Frage. Hier muss das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob das Fachgericht einen hinreichend klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hintangestellt und durch eine eigene, für vorzugswürdig erachtete Regelungskonzeption ersetzt hat und sich dadurch in verfassungswidriger Weise von seiner Gesetzesbindung löst. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das judikative Modell zweckmäßiger oder sachgerechter als das gesetzliche Modell erscheint. Das verkennt der Senat, wenn er die Praktikabilität und Ausgewogenheit des Lösungsansatzes des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hervorhebt (B. I. 2. b) bb) (2), c) bb), II. 3. e). Das Demokratieprinzip und das Funktionsgefüge des Grundgesetzes nähmen nachhaltig Schaden, könnte sich die Rechtsprechung immer dann über die eindeutige gesetzgeberische Entscheidung hinwegsetzen, wenn sie die Konsequenzen einer solchen Entscheidung als "unzweckmäßig" ansieht und der Gesetzgeber nach entsprechender richterlicher Anmahnung nicht wie gewünscht handelt. Klar erkennbare gesetzgeberische Regelungskonzepte sind vom Richter zu respektieren; die Rechtsänderung ist dann allein Sache des Gesetzgebers, wie der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs, der die beanstandete Rechtsfortbildung im Jahr 2006 angestoßen hat, zum Verbot der Rügeverkümmerung noch wenige Jahre zuvor ausdrücklich und zutreffend festgestellt hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 30. Mai 2001 -- 1 StR 99/01 --, juris, Rn. 2). Wer deshalb -- wie der Senat -- meint, es habe bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung richterlicher Rechtsfortbildung lediglich eine Vertretbarkeitskontrolle stattzufinden, übersieht die zentrale Bedeutung, die dieser Frage für die Gewaltenbalance unter dem Grundgesetz schon dadurch zukommt, dass der Richter allein dem Gesetz unterworfen, ansonsten aber konstitutionell unabhängig ist. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat bereits früher betont, dass bei einer richterlichen Rechtsfortbildung im Hinblick auf Art. 20 Abs. 3 GG jedenfalls zu prüfen ist, ob das Fachgericht die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert hat und den anerkannten Methoden gefolgt ist (vgl. BVerfGE 34, 269 [280]; 49, 304 [314]; 96, 375 [395]).
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4. Die richterliche Rechtsfortbildung unterliegt jenseits der Kompetenzfrage denselben inhaltlichen Verfassungsvorgaben, an die auch der demokratisch legitimierte Gesetzgeber gebunden ist.
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Dient die vom Richter gewählte Lösung dazu, der Verfassung, insbesondere verfassungsmäßigen Rechten des Einzelnen, zum Durchbruch zu verhelfen, wie etwa in der Soraya-Entscheidung (vgl. BVerfGE 34, 269 [284 ff.]), sind die Grenzen für richterliche Rechtsfortbildung weiter, da insoweit eine auch den Gesetzgeber treffende Vorgabe der höherrangigen Verfassung konkretisiert wird. Dagegen sind bei einer Verkürzung von Rechtspositionen des Einzelnen durch die von der Rechtsprechung gewählte Lösung die Grenzen für richterliche Rechtsfortbildung deutlich enger gesteckt (vgl. BVerfGE 65, 182 [194 f.]; 71, 354 [362 f.]) und die Verantwortung des Bundesverfassungsgerichts für die Wahrung der Gesetzesbindung entsprechend gesteigert.
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II. |
Nach diesen Maßstäben hat der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs seine verfassungsrechtlichen Kompetenzen überschritten, indem er ein Protokollberichtigungsverfahren mit der möglichen Rechtsfolge der Beachtlichkeit der berichtigten Fassung im Revisionsverfahren eingeführt und dadurch die in § 274 StPO klar zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Konzeption durch seine eigene ersetzt hat.
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1. Die Auffassung des Senats, den Gesetzesmaterialien sei nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber selbst dann jeden Zweifel an der Richtigkeit des ursprünglichen Protokollinhalts für unberechtigt hielt, wenn eine Protokollberichtigung aufgrund sicherer Erinnerung der Urkundspersonen erfolgen sollte (B. I. 2. a), b), ist nicht nachvollziehbar. Der Gesetzgeber hat sich vor dem Hintergrund bestehender alternativer Regelungsmodelle anderer Rechtsordnungen mit § 274 StPO für eine bestimmte Konzeption entschieden. Deren zentrales Kennzeichen ist, dass eine nachträgliche Rekonstruktion der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren unter dem Gesichtspunkt der Einhaltung wesentlicher Förmlichkeiten -- gegen den protokollierten Sachverhalt -- aus der Erinnerung von Verfahrensbeteiligten ausgeschlossen werden soll. Grund für die Wahl des Modells waren die Entlastung des Revisionsverfahrens und grundsätzliche Bedenken gegen die Erinnerungsfähigkeit der Verfahrensbeteiligten. Es sollte verhindert werden, dass eine nicht zur Tatsachenermittlung eingerichtete Instanz über Prozesshandlungen Beweis zu erheben und die Erinnerung der Beteiligten im Einzelfall zu überprüfen hat. Insofern hat sich der Gesetzgeber in § 274 StPO zum Nachweis von Verfahrensfehlern in der Hauptverhandlung für eine besondere Formenstrenge entschieden und dieser explizit den Vorzug vor der vom Senat einseitig betonten materiellen Richtigkeit gegeben. Die Unterscheidung zwischen materieller und prozessualer Wahrheit, die der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs als der Wahrheitspflicht widersprechend ablehnt (vgl. BGHSt 51, 298 [310]), ergibt sich deshalb unmittelbar aus dem Gesetz (vgl. auch Beulke, in: Festschrift für Böttcher, 2007, S. 17 [26]; Fezer, StV 2006, S. 290 [291]; Tepperwien, in: Festschrift für Meyer-Goßner, 2001, S. 595 [598]).
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a) Die vom Gesetz angeordnete Beweiskraft des Protokolls ist unmittelbar auf das Revisionsverfahren bezogen. In dem Entwurf zur Strafprozessordnung war der spätere § 274 StPO noch offen in den Kontext der Bestimmungen zum neu eingeführten Rechtsmittel der Revision eingestellt. Die Funktion der Norm stellen die Motive gleich zu Beginn der Kommentierung der Vorschrift klar. Danach geht es um die "Frage, durch welche Mittel diejenigen beim Verfahren erster Instanz angehörigen Vorgänge zu beweisen seien, in denen der behauptete Verstoß gegen Prozeßvorschriften gefunden wird" (Hahn, Die gesammten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Dritter Band: Materialien zur Strafprozeßordnung, Erste Abtheilung, Berlin 1880, S. 257). Die Norm regelt Verfahren und Maßstäbe, nach denen die Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten im Revisionsverfahren festzustellen ist.
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Dem Gesetzgeber standen aus den Partikularrechtsordnungen verschiedene Modelle zur Auswahl, die das Sachproblem für die dem heutigen Revisionsverfahren ähnliche Nichtigkeitsbeschwerde regelten. Er hat sich bewusst und mit ausführlicher Begründung für das -- von der Mehrheit der Partikularrechtsordnungen im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren verwirklichte -- Modell des § 274 StPO entschieden. Regelungen, die eine Rekonstruktion der Hauptverhandlung im Revisionsverfahren mit zusätzlichen Beweismitteln neben dem Protokoll oder gegen den Inhalt des Protokolls ermöglichten, hat der Gesetzgeber ausdrücklich abgelehnt. Zu diesen -- von ihm ausdrücklich abgelehnten -- Modellen gehörten die Regelungen der Strafprozessordnungen von Bremen, Württemberg und Baden.
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Die Strafprozessordnung von Bremen sah vor (Hahn, a.a.O., S. 257):
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Die Beobachtung der vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nicht anders als durch das Protokoll oder durch das übereinstimmende, auf den Amtseid geleistete Zeugnis sämmtlicher gegenwärtig gewesener Gerichtspersonen bewiesen werden.
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Noch weitergehend in der Zulassung von Rekonstruktionsmöglichkeiten war die Strafprozessordnung von Württemberg. Deren Regelungsmodell sah vor (Hahn, a.a.O., S. 257):
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Sowohl die Beobachtung als die Hintenansetzung vorgeschriebener Förmlichkeiten wird zunächst durch das Protokoll dargethan; sie kann aber auch gegen den Inhalt des letzteren auf anderem Wege bewiesen werden.
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Seine Entscheidung für die Regelung des § 274 StPO hat der Gesetzgeber ausführlich begründet. In den Motiven hat er dazu folgendes ausgeführt (Hahn, a.a.O., S. 258):
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"Ihre Rechtfertigung findet diese Vorschrift in der Erwägung, daß Formverletzungen, welche in der Hauptverhandlung vorfallen konnten, ohne von einem der Mitwirkenden oder Betheiligten bemerkt zu werden, in der Regel auch nachträglich nicht mit Zuverlässigkeit werden festgestellt werden können, andererseits aber die Zulassung von Beweisen neben dem Sitzungsprotokoll und gegen dessen Inhalt dem Angeklagten die Möglichkeit gewährt, die Rechtsbeständigkeit des gegen ihn stattgehabten Verfahrens durch leere Ausflüchte für geraume Zeit in Frage zu stellen. Erfahrungsgemäß kann namentlich das Beweismittel, welches die Strafprozeßordnung von Bremen neben dem Sitzungsprotokoll zuläßt und welches auch die Gegner einer ausschließlichen Beweiskraft des Sitzungsprotokolls vorzugsweise im Sinne haben1), nämlich die amtseidliche Erklärung der Gerichtsmitglieder, welche in der Hauptverhandlung mitgewirkt haben, als ein geeignetes Mittel zur nachträglichen Feststellung des Hergangs in der Hauptverhandlung nicht anerkannt werden. Die Gerichtsmitglieder werden selten in der Lage sein, über Vorgänge, welche ihrer Aufmerksamkeit in der Hauptverhandlung entgangen sind, nachträglich ein bestimmtes Zeugnis abzugeben; ihre Aussagen würden daher nur dazu dienen, unberechtigte Zweifel an der Zuverlässigkeit des Sitzungsprotokolls zu erwecken2).
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1) So bemerkt Schwarze, indem er sich gegen die ausschließliche Beweiskraft der Sitzungsprotokolle erklärt, daß der Kassationshof in Dresden in Fällen, in welchen die Vollständigkeit oder Zuverlässigkeit des Sitzungsprotokolls zweifelhaft erschien, die nachträgliche Auslassung der Gerichtsmitglieder erfordert, demnächst diese dem Querulanten zur Erklärung vorgelegt und auf diese Weise die Nichtigkeitsbeschwerde ohne Nachtheil für die Sache erledigt habe. Gerichtssaal 1863 S. 14.
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2) Vergl. Goltdammer im Archiv für preußisches Strafrecht Bd. 9 S. 45: ist unabsehbar, in welcher Ausdehnung und mit welchen Resultaten ein Beweisverfahren eingeleitet werden sollte, welches neben dem Protokoll zahlreiche Thatsachen, die bei der Verhandlung sich ereignet haben, Anträge, Aeußerungen des Vorsitzenden über die Leitung der Sache u. s. w. zum Gegenstande einer Ermittlung und Feststellung durch das Ober-Tribunal machen sollte. Man müßte ein neues kontradiktorisches Verfahren einleiten, in welchem einerseits der Angeklagte und der Staatsanwalt, und andererseits der Vorsitzende und der Gerichtsschreiber als die protokollirenden Beamten gehört werden müßten."
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Der Gesetzgeber hat bewusst dem Hauptverhandlungsprotokoll die alleinige Eignung für eine verlässliche Feststellung der Einhaltung wesentlicher Förmlichkeiten eingeräumt. Dies mag den erwünschten Nebeneffekt gehabt haben, als querulatorisch empfundenen Angeklagten von vornherein jede Möglichkeit zu nehmen, die Rechtskraft ihrer Verurteilung unter Berufung auf vermeintliche Verfahrensfehler ohne Grund hinauszuschieben. Ausschlaggebend für die Konzeption, die sich umgekehrt je nach Inhalt des Protokolls auch zugunsten eines Angeklagten auswirken konnte, war aus Sicht des Gesetzgebers aber ein anderes: Vor allem nachträgliche Erklärungen der Gerichtspersonen sah der Gesetzgeber als zur Rekonstruktion der Hauptverhandlung ungeeignet an, da er Zweifel an deren Erinnerungsfähigkeit hatte. Diese Zweifel sind nachvollziehbar, da gerade wesentliche Förmlichkeiten -- mögen sie auch gerade diejenigen Verlaufsstrukturen sein, die dem Strafprozess ein rechtsstaatliches Gepräge geben (vgl. Kahlo, in: Festschrift für Meyer-Goßner, 2001, S. 447 [466]) -- von den Beteiligten in der Praxis oftmals als Routinevorgänge wahrgenommen und erlebt werden (vgl. Lindemann/Reichling, StV 2007, S. 152 [154]; ebenso schon BGHSt 2, 125 [128 f.]).
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Diese leitenden Erwägungen machen deutlich, dass es nach der Konzeption des Gesetzes nicht darauf ankommen kann, ob die nachträglichen -- dem Inhalt des ursprünglichen Protokolls entgegenstehenden -- Erklärungen von Vorsitzendem und Urkundsbeamtem außerhalb des einmal fertig gestellten Protokolls stehen oder ob sie ihren Niederschlag formell in einer Änderung des ursprünglichen Protokolls finden. Die grundsätzlichen Bedenken gegen die Erinnerungsfähigkeit der Urkundspersonen beanspruchen in beiden Fällen unverändert Gültigkeit. Weitergehend belegen diese grundsätzlichen Bedenken des Gesetzgebers eindeutig, dass dieser bei Wahl des Regelungsmodells nur das einmal fertig gestellte Protokoll -- und keine berichtigte, durch nachträgliche Erklärungen der Urkundspersonen im Revisionsverfahren zustande gekommene Fassung -- im Auge hatte.
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b) Die Grundentscheidung des Gesetzgebers, dass alleine das einmal fertig gestellte Protokoll verlässliche Grundlage für die Klärung der Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten ist, hat im Normtext und in der Systematik des Gesetzes hinreichend Niederschlag gefunden. Der Gesetzgeber hat in § 274 Satz 1 StPO das fertig gestellte Hauptverhandlungsprotokoll im aufhebungsträchtigen Bereich der wesentlichen Förmlichkeiten als alleiniges Beweismittel mit absoluter Beweiskraft ausgestattet und einen Nachweis der Unrichtigkeit des beurkundeten Sachverhalts ausgeschlossen. Nach § 274 Satz 2 StPO entfällt alleine bei nachgewiesener Fälschung die Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls; nur in diesem Fall ist das Revisionsgericht zu einer Klärung der Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeit ohne Bindung an Beweismittel -- im Wege des Freibeweises -- befugt und umgekehrt der Beschwerdeführer nicht auf das Beweismittel des Protokolls beschränkt. Mit dem Hinweis auf "das Protokoll" nimmt § 274 StPO erkennbar Bezug auf die Regelung des § 271 StPO, die Errichtung und Fertigstellung des ursprünglichen Protokolls regelt. Außerhalb des Revisionsverfahrens mag, wie der Senat annimmt (B. I. 2.), in Bezug auf die nachträgliche Protokollberichtigung eine ausfüllungsbedürftige Regelungslücke bestehen; spätestens mit Eingang der Revisionsbegründung und Erhebung der auf das Protokoll gestützten Verfahrensrüge greift jedoch die klare Regelung des § 274 StPO (vgl. in diesem Sinne schon BGHSt 2, 125 [128] unter maßgeblichem Hinweis auf den zwischen Herstellung der Sitzungsniederschrift und Eingang der Revisionsrechtfertigung in der Regel liegenden erheblichen Zeitraum und die daraus resultierende -- gesteigerte -- Gefahr der Unsicherheit der Erinnerung der Urkundspersonen; jüngst ebenso BGH, Beschluss vom 3. Mai 2006 -- 4 ARs 3/06 --, NStZ-RR 2006, S. 273 [274]).
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c) Auch die Rechtsprechung ging in einer über 130 Jahre währenden Praxis davon aus, dass einer auf das Protokoll gestützten Verfahrensrüge durch nachträgliche Berichtigung desselben nicht die Grundlage entzogen werden dürfe. Ausgangspunkt dieses einheitlichen, über einen langen Zeitraum unveränderten Normverständnisses war eine Entscheidung aus dem Jahr 1880. In diesem wenige Jahre nach Inkrafttreten des § 274 StPO ergangenen Urteil begründet das Reichsgericht die grundsätzliche Unbeachtlichkeit einer Protokollberichtigung im Revisionsverfahren wie folgt (RGSt 2, 76 [77]):
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"Allein diesem Ergänzungsprotokolle kann eine Bedeutung nicht beigelegt werden, weil sich dasselbe einerseits nicht als im Sinne des § 274 St.P. O. darstellt und andererseits als Gegenbeweismittel gegen letzteres wirkungslos ist. [. . .] [E]s kann keinem Zweifel unterliegen, daß der §. 274 St. P. O. gerade für den Fall der Anfechtung des Urteiles Bestimmungen getroffen hat, und daß sonach nur dasjenige Protokoll, welches zur Zeit der Anfechtung vorhanden ist, und auf welches sich die Anfechtung stützt, hinsichtlich der gerügten Mängel als die jeden Gegenbeweis, mit Ausnahme des Falles der Fälschung, ausschließende Beweisurkunde angesehen werden kann. Ein erst nach her, infolge der Anfechtung verfaßtes Ergänzungsprotokoll, wie das hier in Betracht kommende, stellt sich als ein vom Gesetze für unstatthaft erklärtes Gegenbeweismittel dar."
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Unterbrochen wurde dieses bis in die jüngste Gegenwart -- mit im Einzelnen unterschiedlicher Begründung -- herrschende Normverständnis im Wesentlichen nur durch eine Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Reichsgerichts aus dem Jahre 1936, die maßgeblich von den vorherrschenden politischen Motiven der Zeit getragen war (vgl. RGSt 70, 241 [242]: "mit der Grundauffassung der Aufgaben des Strafverfahrens, die im Dritten Reich Allgemeingut geworden ist, nicht mehr vereinbar. Heute ist, mehr noch als früher, der Gedanke in den Vordergrund gerückt, daß es Aufgabe des Strafverfahrens ist, mit möglichster Beschleunigung der Wahrheit und der Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen").
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Die revisionsgerichtliche Praxis nach 1945 knüpfte, einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone aus dem Jahre 1949 (vgl. Urteil vom 1. Februar 1949 -- StS 99/48 --, NJW 1949, S. 434) folgend, an das bis 1936 allgemeine Normverständnis wieder an (vgl. BGHSt 2, 125 [126 ff.]), das dann auch bis zuletzt bestimmend blieb (vgl. BGHSt 26, 281 [282 f.]; 36, 354 [358 f.]).
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Ausnahmen von dem Grundsatz der Unbeachtlichkeit einer Protokollberichtigung im Revisionsverfahren erkannte die Rechtsprechung nur dann an, wenn die Berichtigung vor Eingang der Revisionsbegründung -- und damit vor Gebrauchmachen vom Beweismittel des Hauptverhandlungsprotokolls -- oder zugunsten des Beschwerdeführers erfolgt war (vgl. RGSt 21, 323 [324]; 43, 1).
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In den ersten beiden Jahrzehnten nach Inkrafttreten der Norm hatte es zwar Versuche gegeben, unter Hinweis auf die Judikatur des Reichsmilitärgerichts ein abweichendes Normverständnis im Sinne einer Beachtlichkeit der Protokollberichtigung im Revisionsverfahren zu etablieren. Dieses setzte sich aber wegen der Unterschiedlichkeit der positiven Normen in beiden Prozessordnungen nicht durch. Anders als nach der Strafprozessordnung, die mit § 274 StPO eine Beweisführung gegen das Protokoll -- jenseits erwiesener Fälschung -- ausschließt, war nach der Reichsmilitärgerichtsordnung von 1898 der allgemeine Nachweis der Unrichtigkeit des Protokolls zugelassen und das Gericht daher ohne Bindung an Beweismittel unbeschränkt zu einer Rekonstruktion der Hauptverhandlung ermächtigt (vgl. RGSt 43, 1 [10]).
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Das Normverständnis der revisionsgerichtlichen Praxis war dabei von der Einsicht geprägt, dass es bei wertender Betrachtung keinen Unterschied macht, ob die vom beurkundeten Sachverhalt abweichenden Erklärungen der Urkundspersonen "außerhalb" des Protokolls stehen oder ihren Niederschlag in einer Berichtigung des Protokolls finden. Distanzierende Erklärungen der Urkundspersonen vom ursprünglichen Protokollinhalt waren -- wie eine formelle Berichtigung des Protokolls -- für das Revisionsgericht grundsätzlich unbeachtlich, es sei denn, sie erfolgten vor Eingang der Revisionsbegründung oder stützten den Vortrag des Beschwerdeführers (vgl. RGSt 19, 367 [370]; 57, 394 [397]; BGHSt 4, 364 [365]; 8, 283; 13, 53 [59]; 22, 278 [280]; BGH, Beschluss vom 25. März 1986 -- 1 StR 14/86 --, NStZ 1986, S. 374; BGH, Beschluss vom 18. September 1987 -- 3 StR 398/87 --, juris, Rn. 4; BGH, Beschluss vom 11. September 1990 -- 1 StR 504/90 --, juris, Rn. 2; BGH, Beschluss vom 13. September 1991 -- 3 StR 338/91 --, NStZ 1992, S. 49; BGH, Beschluss vom 18. März 1992 -- 3 StR 63/92 --, juris, Rn. 5; BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2003 -- 5 StR 462/03 --, juris; BGH, Beschluss vom 11. April 2007 -- 3 StR 108/07 --, juris, Rn. 7).
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2. Die vom Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs entwickelten Regelungen bringen nach Sinn und Zweck nicht die Konzeption des Gesetzgebers unter etwa gewandelten Bedingungen zur Geltung; vielmehr stellt der Große Senat sich der gesetzgeberischen Grundentscheidung entgegen und ersetzt sie durch eine eigene, als vorzugswürdig empfundene Konzeption.
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a) Der Große Senat führt eine neue Form von Hauptverhandlungsprotokoll ein: ein Protokoll ohne absolute Beweiskraft. Nach der Lösung des Großen Senats darf dem berichtigten Protokoll keine absolute Beweiskraft zukommen, denn ansonsten könnte die "Beachtlichkeit" der Berichtigung vom Revisionsgericht nicht -- wie jetzt vorgesehen -- überprüft werden. Ein Protokoll ohne absolute Beweiskraft ist indes der Strafprozessordnung fremd und verstößt gegen die klare Regelungskonzeption des § 274 StPO. Dies gilt auch deshalb, weil das berichtigte Protokoll nach dem Modell des Großen Senats in der Sache ein Gegenbeweismittel zum ursprünglichen Protokoll wird, das zum Nachweis von dessen Unrichtigkeit dient. Gegenbeweismittel zum ursprünglichen Protokoll schließt § 274 StPO aber gerade aus (vgl. zur Gesetzeswidrigkeit der Konstruktion: Fezer, StV 2006, S. 290 [291 f.]; Schumann, JZ 2007, S. 927 [934 f.]; Wagner, GA 2008, S. 442 [454]).
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Die vom Senat bemühte Parallele zu den Fällen der Lückenhaftigkeit beziehungsweise Widersprüchlichkeit des Protokolls (B. I. 2. b) bb) (1) vermag dies nicht zu entkräften. In beiden Fällen fehlt es dem Protokoll aufgrund einer vorzunehmenden Binnenbeurteilung insgesamt an Aussagekraft, weshalb es bereits im Ansatz keinerlei Beweiskraft entfalten kann. Der hier zu entscheidende Fall liegt anders. Das Protokoll ist gerade aussagekräftig; es steht aber seine inhaltliche Unrichtigkeit aufgrund eines "Versehens" oder "Versäumnisses" im Raum. Fehlte ihm die Beweiskraft insgesamt, wäre es einer Berichtigung gar nicht zugänglich.
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b) Die Effekte des bisherigen Normverständnisses, die den Großen Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs zur Etablierung des Protokollberichtigungsverfahrens bewegten -- das Auseinanderfallen von beurkundetem und tatsächlichem Sachverhalt und die daraus resultierende Gefahr "unwahrer" Verfahrensrügen (vgl. BGHSt 51, 298 [310 ff.]) --, sind in der Regelungskonzeption des Gesetzes begründet. Die möglichen Auswirkungen dieser Konzeption veranlassten die Strafrechtswissenschaft seit Einführung des § 274 StPO zu harscher Kritik (vgl. nur Bennecke/Beling, Lehrbuch des Deutschen Reichs-Strafprozessrechts, 1900, S. 457 Anm. 19, wonach die Regelung "höchst unnatürlich" sei und "direkt zu Ungerechtigkeiten" führe, während das alternative Regelungsmodell in der Militärgerichtsordnung "ein erfreulicher Fortschritt [sei], wenn [dieses] den Beweis der Unrichtigkeit schlechthin zulässt"; Beling, Deutsches Reichsstrafprozeßrecht, 1928, S. 325 Anm. 1, wonach "der Ausschluß jedes Gegenbeweises [. . .] einen gesetzgeberischen Mißgriff" bedeute; zur frühen Kritik in der Strafrechtswissenschaft ausführlich: Ott, Die Berichtigung des Hauptverhandlungsprotokolls im Strafverfahren und das Verbot der Rügeverkümmerung, 1970, S. 70 f.). Diese Kritik an dem gesetzgeberischen Regelungsmodell wurde in jüngerer Zeit erneuert (vgl. vor allem Schäfer, in: Festschrift 50 Jahre Bundesgerichtshof, 2000, S. 707 [717 ff., 727]; außerdem Detter, StraFo 2004, S. 329 [335]; Lampe, NStZ 2006, S. 366 [368]).
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Auch die Revisionsgerichte haben eine mögliche Diskrepanz zwischen beurkundetem und tatsächlichem Sachverhalt seit jeher als Konsequenz der dem § 274 StPO zugrunde liegenden gesetzgeberischen Entscheidung betrachtet (vgl. etwa RGSt 43, 1 [7 ff.]; OGHBrZ, Urteil vom 1. Februar 1949 -- StS 99/48 --, NJW 1949, S. 434 [435]; BGHSt 2, 125 [127 f.]; 26, 281 [283]; 36, 354 [358, 359]; BGH, Beschluss vom 18. März 1992 -- 3 StR 63/92 --, juris, Rn. 5; BGH, Beschluss vom 18. August 1992 -- 5 StR 126/92 --, NStZ 1993, S. 51 [52]; BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2001 -- 4 StR 249/01 --, NStZ 2002, S. 219). Weitergehend haben sie punktuell diese Grundentscheidung -- mehr oder weniger offen -- als gesetzgeberische Fehlleistung kritisiert, sich aber im Wissen, dass es nicht zu den Aufgaben der Judikative gehört, dort für missglückt gehaltene gesetzgeberische Modelle durch eigene zu ersetzen, auf Appelle an den Gesetzgeber zur Änderung der Norm beschränkt, wenn das Regelungsmodell des § 274 StPO trotz (erheblicher) Zweifel an der Richtigkeit des protokollierten Sachverhalts zur Aufhebung des Urteils zwang (vgl. BGHSt 36, 354 [358, 359]; jüngst sehr plastisch: BGH, Beschluss vom 30. Mai 2001 -- 1 StR 99/01 --, juris, Rn. 2: "Daß damit dem Revisionsgericht zugemutet wird, ersichtlich unzutreffende Tatsachen rechtlich zu bewerten und ein sonst nicht zu beanstandendes Urteil aufheben zu müssen, vermag nicht zu befriedigen; der in § 274 StPO festgeschriebene Grundsatz der absoluten Beweiskraft des Protokolls könnte aber nur durch eine Gesetzesänderung aufgegeben werden [. . .]").
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c) Diese Einsicht in das Primat der Legislative war es auch, die die Revisionsgerichte bis zur Entscheidung des Großen Senats zu zahlreichen Strategien mit dem Ziel der Vermeidung der "unliebsamen" Normfolgen veranlasste. Ein Teil dieser Strategien waren eine restriktive Auslegung des Begriffs der wesentlichen Förmlichkeiten (vgl. Kahlo, a.a.O., S. 455), eine großzügige Anwendung der Grundsätze zur Lückenhaftigkeit des Hauptverhandlungsprotokolls (vgl. BGH, Urteil vom 10. April 1962 -- 1 StR 125/62 --, NJW 1962, S. 1308; BGH, Urteil vom 20. April 1982 -- 1 StR 833/81 --, NJW 1982, S. 2739; Lindemann/Reichling, a.a.O., S. 155 f.; Fezer, NStZ 2002, S. 272 f.) und eine -- vom Bundesverfassungsgericht in jüngerer Zeit beanstandete -- Steigerung der Anforderungen an den Rügesachverhalt bei der Verfahrensrüge (vgl. BVerfGE 112, 185 [207 ff.]). Der andere Teil dieser "Bewältigungsstrategien" bestand in der Einrichtung hoher Hürden im Anwendungsbereich relativer Revisionsgründe für eine Ursächlichkeit des Formverstoßes (vgl. BGH, Beschluss vom 21. Juli 1999 -- 3 StR 268/99 --, StV 1999, S. 585; Fezer, in: Festschrift für Otto, 2007, S. 901 [902 f.]), in der Aufweichung der unbedingten Aufhebungswirkung absoluter Revisionsgründe (vgl. jüngst BGH, Beschluss vom 19. Juli 2007 -- 3 StR 163/07 --, BeckRS, Rn. 4 f. m.w.N.; dazu Fezer, in: Festschrift für Otto, 2007, S. 901 [903]; Mehle, in: Festschrift für Dahs, 2005, S. 381 [386 ff.]) und in der -- vor allem beim absoluten Revisionsgrund des Fehlens notwendiger Verteidigung bemühten -- Figur der Verwirkung von Verfahrensrügen infolge "dysfunktionalen Verteidigerverhaltens" (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 1997 -- 5 StR 307/97 --, NStZ-RR 1998, S. 18; BGH, Beschluss vom 26. November 1997 -- 5 StR 561/97 --, NStZ 1998, S. 209; BGH, Urteil vom 10. Dezember 1997 -- 3 StR 441/97 --, NStZ 1998, S. 267 [nicht tragend]; vgl. weiter BGH, Beschluss vom 11. März 1997 -- 5 StR 77/97 --, NStZ 1997, S. 451; BGH, Beschluss vom 29. August 2007 -- 1 StR 387/07 --, BeckRS).
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3. Der Gesetzgeber hat an seiner Regelungskonzeption festgehalten.
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Die Kritik in Wissenschaft und Praxis an der rigiden, aber klaren Entscheidung für die absolute Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls im aufhebungsträchtigen Bereich wesentlicher Förmlichkeiten ist dem Gesetzgeber nicht verborgen geblieben. Dies belegen schon die zahlreichen Reformbestrebungen auf legislativer Ebene, deren Anfänge noch im 19. Jahrhundert liegen, nachdem eine erste erfolglose Reichstagsvorlage bereits aus dem Jahr 1883 stammt (vgl. Ott, a.a.O., S. 83 ff.). Keine dieser Reformbemühungen mündete in ein alternatives Regelungsmodell. Auch im Zuge des Protokollvereinfachungsgesetzes ließ der Gesetzgeber, der andere Vorschriften der Strafprozessordnung änderte, das Regelungsmodell des § 274 StPO unangetastet (vgl. Art. 1 Ziffer 1 des Gesetzes zur Entlastung der Landgerichte und zur Vereinfachung des gerichtlichen Protokolls vom 20. Dezember 1974 [BGBl. I S. 3651] samt Erstreckung auf VwGO, FGO und SGG [Art. 3 Ziffer 1, Art. 4 Ziffer 1, Art. 5 Ziffer 2 ProtVeinfG]).
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Aus der Untätigkeit des Gesetzgebers lässt sich nicht der Schluss ziehen, dieser habe die Frage der Beachtlichkeit einer nachträglichen Protokollberichtigung im Revisionsverfahren der Rechtsprechung überlassen. Genauso wenig wie ein Schweigen des Gesetzgebers zu einem höchstrichterlichen Normverständnis zu dem Schluss berechtigt, der Gesetzgeber billige das jeweils aktuelle Normverständnis der höchsten Gerichte (vgl. BVerfGE 78, 20 [25]), darf aus seiner Untätigkeit gefolgert werden, er habe unter Verzicht auf sein Gestaltungsprimat eine Lösung des Sachproblems der Rechtsprechung überantwortet. Alles andere konterkarierte die im Demokratieprinzip und im Gewaltenteilungsgrundsatz verankerte Zwecksetzungsprärogative des Gesetzgebers (vgl. BVerfGE 96, 375 [395]) und machte ihn im Ergebnis zu einem "Getriebenen" der Judikative.
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Es kann dahinstehen, ob die Reformbemühungen unterblieben, weil sich ein anderes als das § 274 StPO zugrunde liegende Regelungsmodell legislativ nicht umsetzen ließ, oder ob der Gesetzgeber das Reformprojekt aus anderen Gründen aufgab. Entscheidend ist allein, dass ihm eine Reaktion auf die Kritik an der Regelung des § 274 StPO grundsätzlich möglich war (vgl. BVerfGE 96, 365 [394]; Fezer, in: Festschrift für Otto, 2007, S. 901 [903 f., 908]). Eine Tendenz zu einem anderen Regelungsmodell hat er zu keinem Zeitpunkt erkennen lassen und damit seine Grundentscheidung für das gewählte Regelungsmodell aufrechterhalten (zutreffend Schäfer, a.a.O., S. 708: "Die Vorschrift scheint sich zumindest nach Auffassung des Gesetzgebers im wesentlichen bewährt zu haben, denn sie gehört zu der -- vor allem in den letzten Jahren immer kleiner werdenden -- Gruppe von Normen, die seit ihrem Inkrafttreten vor über 123 Jahren sachlich unverändert geblieben sind.").
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4. Es fehlt auch an einer Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach Inkrafttreten der Norm, die eine Anpassung der gesetzlichen Regelung erfordern würde.
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a) Die "Ausnutzung" der absoluten Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls, die der Große Senat für Strafsachen maßgeblich zur Rechtfertigung des neuen Verfahrens anführt (vgl. BGHSt 51, 298 [311 ff.]), ist nicht erst ein Phänomen der neueren Zeit.
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Bestrebungen zur Reform der Regelung des § 274 StPO setzten -- wie oben ausgeführt -- schon bald nach deren Inkrafttreten ein; der erste umfangreichere Reformversuch, der die Regelung um die Möglichkeit eines Unrichtigkeitsnachweises ergänzen wollte, geht auf das Jahr 1895 zurück (vgl. Ott, a.a.O., S. 84 ff.). Weite Teile der Strafrechtswissenschaft haben die Regelung sehr frühzeitig kritisiert. Man darf annehmen, dass sich beide Entwicklungen an der gelebten Praxis der Norm entzündeten. So beklagt schon ein Kommentator im Jahr 1906, dass erfolgreiche "Revisionen gegen Urteile [. . .], die in Wirklichkeit weder auf formellen noch materiellen Mängeln beruhen [. . .] heute schon gar nicht selten vor[kommen]" und es "gewiß kein erfreulicher Zustand [sei], daß es von [. . .] Zufälligkeiten, wie Schreibfehlern und ähnlichen offenkundigen Versehen, abhängen soll, ob eine Verhandlung, die unter Umständen Tausende kostet, wiederholt werden soll" (von Spindler, in: Aschrott, Reform des Strafprozesses. Kritische Besprechungen der von der Kommission für die Reform des Strafprozesses gemachten Vorschläge, 1906, S. 489 [490]; vgl. auch Ditzen, Dreierlei Beweis im Strafverfahren, 1926, S. 60: "Fälle dieser Art leider fast alltäglich", sowie die Einschätzung bei Fahl, JR 2007, S. 345). Auch die Rechtsprechung musste das Problem der Ausnutzung des Rekonstruktionsverbots frühzeitig aufgreifen: Die grundlegende Entscheidung der Vereinigten Strafsenate des Reichsgerichts (vgl. RGSt 43, 1 [6, 8]) stammt aus dem Jahr 1909.
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b) Die vom Senat angeführten "Abmilderungen des strengen Formalismus" in den letzten Jahrzehnten, die vom Gesetzgeber grundsätzlich gebilligt würden (B. I. 2. b) bb) (2), vermögen eine Abkehr vom gesetzgeberischen Regelungsmodell ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Zum einen ist eine durchgehende Tendenz der Entformalisierung des Revisionsverfahrens nicht zu erkennen. In Bezug auf manche Formvorschriften wie zum Beispiel dem die Anforderungen an eine wirksame Erhebung der Verfahrensrüge regelnden § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist in der revisionsgerichtlichen Praxis vielmehr eine zunehmende Verschärfung zu beobachten. Diese Entwicklung machte -- wie oben dargelegt -- sogar ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts erforderlich. Zum anderen hat der Gesetzgeber im engen Anwendungsbereich wesentlicher Förmlichkeiten Erwägungen der Zweckmäßigkeit und Rechtssicherheit den Vorzug vor der Erforschung der Wahrheit gegeben (vgl. RGSt 43, 1 [6, 8]; BGHSt 2, 125 [126, 128]; BGH, Beschluss vom 3. Mai 2006 -- 4 ARs 3/06 --, NStZ-RR 2006, S. 273). An diese Grundentscheidung des Gesetzgebers sind die Gerichte gebunden (vgl. BGH, Beschluss vom 18. August 1992 -- 5 StR 126/92 --, NStZ 1993, S. 51 [52]; BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2001 -- 4 StR 249/01 --, NStZ 2002, S. 219; BGH, Beschluss vom 3. Mai 2006 -- 4 ARs 3/06 --, NStZ-RR 2006, S. 273; vgl. auch Lampe, a.a.O., S. 367), mag dies auch in Einzelfällen zu unerwünschten Ergebnissen führen. Die Pflicht und Ermächtigung der Revisionsgerichte zur Erforschung der Wahrheit finden ihre Grenze im Verfahrensrecht, namentlich dort, wo der Gesetzgeber -- wie im Fall des § 274 StPO -- Form und Maßstab der Wahrheitserforschung konkretisiert hat. Der Gesetzgeber hat in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise der Eigenrationalität, die der Formenstrenge innewohnt (vgl. Tepperwien, a.a.O., S. 604), erkennbares Gewicht zugemessen, ohne sich hiervon in der Rechtsentwicklung zu distanzieren. Rechtfertigungsbedürftig ist insoweit eine Rechtsprechungsentwicklung, die über diese Grundentscheidung hinweg geht und an ihre Stelle die unvermittelte Orientierung an allgemeine Wertentscheidungen materieller Gerechtigkeit setzt. Aufgabe der richterlichen Rechtsfortbildung ist es, ursprünglichen Zielsetzungen des Gesetzgebers bei einem Wandel der Rechtsentwicklung fortdauernd zur Durchsetzung zu verhelfen (vgl. nur BVerfGE 88, 145 [167]; Looschelders/Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 288 ff.), nicht dagegen, sie, wie hier geschehen, durch eigene rechtspolitische Vorstellungen zu ersetzen.
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5. Die Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen ist auch nicht deshalb zu rechtfertigen, weil sie -- gegen die gesetzgeberische Konzeption -- verfassungsmäßigen Rechten des Beschwerdeführers zum Durchbruch verhelfen würde.
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Ob eine Regelung verfassungsmäßigen Rechten des Beschwerdeführers zum Durchbruch verhilft, lässt sich nur in der konkreten Fallkonstellation und nicht mit allgemeinen Erwägungen ermitteln. Davon ausgehend wird die Rechtsposition des Beschwerdeführers durch das eingeführte Berichtigungsverfahren im konkreten Fall ersichtlich nicht verbessert, sondern verkürzt. Nach der alten Rechtslage konnte er die Nichteinhaltung einer wesentlichen Förmlichkeit mit dem Hauptverhandlungsprotokoll beweisen und sicher sein, dass ihm dieses -- einzige -- Beweismittel jedenfalls nach Eingang der Revisionsbegründung nicht mehr genommen wird. Diese Beweisposition wird ihm -- mit negativer Kostenfolge (vgl. § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) -- nach dem Modell des Großen Senats für Strafsachen aus der Hand geschlagen, indem das Revisionsgericht die nachträgliche Berichtigung des Protokolls für beachtlich erklärt. Die Grenzen der richterlichen Rechtsfindung verlangen gerade dort besondere Beachtung, wo sich die rechtliche Situation des Bürgers verschlechtert, ohne dass verfassungsrechtliche Gründe dafür ins Feld geführt werden können. Das ist hier offensichtlich der Fall.
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III. |
Auf die vom Senat vorgenommene materielle Grundrechtsprüfung kommt es nach unserer Auffassung nicht an, weil die angegriffene Entscheidung mit ihrer Umsetzung des Modells zur Protokollberichtigung schon wegen der Überschreitung der verfassungsrechtlichen Grenzen der Rechtsfortbildung aufzuheben gewesen wäre, was im Rahmen des tatbestandlich einschlägigen Grundrechts mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden kann (vgl. insoweit nur BVerfGE 65, 182 [190]; 69, 315 [369]; 82, 6 [11 f.]; 87, 273 [279]; Hillgruber, JZ 1996, S. 118 [120]).
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Voßkuhle Osterloh Di Fabio |
Abweichende Meinung des Richters Gerhardt zum Beschluss des Zweiten Senats vom 15. Januar 2009 -- 2 BvR 2044/07 -- |
Ich stimme der Entscheidung im Ergebnis zu, bin aber der Meinung, dass der Senat mit seinen Erwägungen zur Wahrung der Grenzen richterlicher Rechtsfindung die Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichts überschritten hat.
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Die Auslegung von Gesetzen und die Fortbildung des Rechts sind den in ein komplexes Rechtsmittelsystem eingebundenen Fachgerichten übertragen. Die Klärung von Grundsatzfragen ist, von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen, den obersten Gerichtshöfen des Bundes anvertraut (Art. 95 Abs. 1 GG). Divergierende Rechtsauffassungen müssen, grundsätzliche Fragen können zur Vorlage an den Großen Senat führen (§§ 132, 138 GVG, § 11 VwGO, § 11 FGO, § 45 ArbGG, § 41 SGG; zum Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Art. 95 Abs. 3 GG). Dieses System stellt -- auch praktisch -- sicher, dass Grundsatzfragen nicht in richterlicher "Selbstherrlichkeit", also ohne die Bereitschaft, sich Recht und Gesetz zu unterwerfen, entschieden werden.
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Verfassungsrechtlich bedeutsam und der Kontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterworfen ist daher in erster Linie die Beachtung der Zuständigkeitsordnung. Maßstäblich sind hier Art. 19 Abs. 4 GG beziehungsweise der Justizgewährungsanspruch, aus denen sich Anforderungen an die Zugänglichkeit der Rechtsmittelinstanzen ergeben, sowie der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Allerdings kann nicht schlechthin ausgeschlossen werden, dass sich ein oberstes Bundesgericht dem Regelungswillen des Gesetzgebers entzieht, etwa indem es an einer hergebrachten Rechtsprechung ungeachtet einer eindeutig gegen diese gerichteten gesetzlichen Neuregelung festhält. Das Bundesverfassungsgericht ist zur Feststellung einer derartigen Negation der Gesetzesbindung (Art. 20 Abs. 3 GG) jedoch nur dann befugt, wenn die Erwägungen der angegriffenen Entscheidung zwingend auf einen solchen willkürlichen Umgang mit dem Gesetz hindeuten. Hingegen ist es nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, sich in die Rolle der Superrevisionsinstanz zu begeben und die angegriffene Entscheidung des obersten Bundesgerichts nachvollziehend auf ihre Vereinbarkeit mit dem, was das Bundesverfassungsgericht selbst und unter Umständen mit erheblichem Aufwand zur Rechtslage ermittelt hat, zu überprüfen.
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Danach genügen hier folgende Feststellungen, um einen Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 GG zu verneinen: Der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs hat in seinem Beschluss vom 23. April 2007 -- GSSt 1/06 -- eine kontroverse Frage des strafprozessualen Revisionsrechts nach Austausch gegensätzlicher Stellungnahmen und unter Abwägung der widerstreitenden Gesichtspunkte abweichend von einer jahrzehntelangen Praxis beurteilt und die für eine rechtsstaatliche Berücksichtigung von Protokollberichtigungen gebotenen Sicherungen formuliert. Der Bundesgerichtshof entfaltet seine Erwägungen ausdrücklich vor dem Hintergrund des Vorrangs des Gesetzes und von einem Ausgangspunkt, der nicht offensichtlich verfehlt ist, nämlich vom Bestehen einer Regelungslücke in der Strafprozessordnung aus. Anhaltspunkte dafür, dass der Bundesgerichtshof das Strafverfahren unter Umgehung des Gesetzgebers nach eigenen Vorstellungen gestaltet haben könnte, sind nicht ersichtlich.
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Gerhardt |