BVerfGE 9, 162 - Hochverrat ohne Parteienverbot


BVerfGE 9, 162 (162):

Ein Hochverratsverfahren gemäß den §§ 80, 81 StGB gegen Funktionäre einer politischen Partei setzt die Feststellung der Verfassungswidrigkeit dieser Partei durch das Bundesverfassungsgericht auch dann nicht voraus, wenn sie sich im Rahmen dessen gehalten haben, was die Partei erstrebt und propagiert.
 


BVerfGE 9, 162 (163):

Beschluß
des Ersten Senats vom 3. Februar 1959
- 1 BvR 419/54 -
in dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde des Redakteurs Helmut P. gegen das Urteil des Strafsenats des Oberlandesgerichts in Köln vom 22. Oktober 1954 - O Js 30/53 -.
Entscheidungsformel:
Die Verfassungsbeschwerde wird verworfen.
 
Gründe:
I.
Im Jahre 1953 erschienen in der kommunistischen Tageszeitung "Volksstimme", deren verantwortlicher Redakteur der Beschwerdeführer war, einige Artikel, die sich mit dem "Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands" befaßten, das die Grundlage der gesamten politischen Arbeit der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) bildete.
Wegen dieser Veröffentlichungen hat der Strafsenat des Oberlandesgerichts in Köln den Beschwerdeführer am 22. Oktober 1954 gemäß § 81 Abs. 1 in Verbindung mit § 80 Abs. 1 Nr. 1 StGB zu einem Jahr Gefängnis und zu 500 DM Geldstrafe verurteilt. Der Strafsenat erachtet den Beschwerdeführer für schuldig, weil das erwähnte Programm sowie die in der "Volksstimme" erschienenen Artikel der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens gegen die auf dem Grundgesetz beruhende verfassungsmäßige Ordnung dienten und der Beschwerdeführer sich durch die Veröffentlichung dieser Artikel hieran vorsätzlich beteiligt habe.
Das Bundesverfassungsgericht hat durch Urteil vom 17. August 1956 - 1 BvB 2/51 - die KPD für verfassungswidrig erklärt und aufgelöst. Das Urteil stellt u.a. fest, daß das Ende 1952 von der KPD verkündete Programm der nationalen Wiedervereinigung zum Ziel habe, die gegenwärtige Gestalt der freiheitlichen Demo

BVerfGE 9, 162 (164):

kratie der Bundesrepublik Deutschland zumindest durch eine andere Ausprägung zu ersetzen, um diese als Durchgangsstadium zur leichteren Beseitigung der freiheitlichen Demokratie und zur Herbeiführung der Diktatur des Proletariats zu benutzen.
In der gegen das Urteil des Strafsenats eingelegten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung des Art. 5, 9 und 21 GG.
Der Bundesminister der Justiz, dem gemäß § 94 Abs. 3 BVerfGG Gelegenheit zur Äußerung gegeben wurde, ist der Auffassung, daß die angefochtene Entscheidung weder die Grundrechte des Beschwerdeführers aus Art. 5 und 9 GG noch Art. 21 GG verletze.
II.
1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe nicht verurteilt werden dürfen, solange nicht die KPD nach Art. 21 Abs. 2 GG für verfassungswidrig erklärt worden sei. Das Strafurteil verletze deshalb die verfassungsmäßige Ordnung und daher sein Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG.
a) Die Anwendung des § 81 Abs. 1 in Verbindung mit § 80 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist unabhängig von einer vorausgehenden Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Partei.
Dabei kann dahingestellt bleiben, welche Bedeutung der Vorschrift des Art. 21 GG für Strafverfahren gegen Funktionäre einer politischen Partei im allgemeinen beizumessen ist. Entscheidend kann hier nur sein, ob dem Strafverfahren gegen einen Parteifunktionär wegen eines Verbrechens gemäß § 81 Abs. 1 in Verbindung mit § 80 Abs. 1 Nr. 1 StGB die Vorschrift des Art. 21 Abs. 2 GG in der Weise entgegensteht, daß dieses Strafverfahren nicht durchgeführt werden darf, bevor das Bundesverfassungsgericht die Partei für verfassungswidrig erklärt hat.
Diese Frage ist zu verneinen.
Art. 21 Abs. 2 GG und §§ 80, 81 StGB erfassen grundsätzlich

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voneinander abweichende Tatbestände und verfolgen verschiedene Zwecke. Art. 21 GG macht die politischen Parteien zu integrierenden Bestandteilen des Verfassungsaufbaues und des verfassungsrechtlich geordneten politischen Lebens (BVerfGE 1, 208 [225]; 2, 1 [73]; 5, 85 [133]). Bei Art. 21 Abs. 2 GG handelt es sich also um eine Norm, die die Parteiorganisation als solche betrifft; sie soll Gefahren, die der in Abs. 1 dieser Vorschrift garantierten Freiheit der politischen Willensbildung von einer verfassungswidrigen Partei drohen können, rechtzeitig abwehren. Ihrem Wortlaut und ihrem Wesen nach kann sie nur auf die Partei als Ganzes oder auf rechtliche und organisatorische Teile der Partei angewendet werden. Die §§ 80, 81 StGB sollen dagegen den Verfassungseinrichtungen in ihrer konkreten, vom Grundgesetz geschaffenen Form gegen gewaltsame oder gewaltdrohende Angriffe Einzelner Schutz gewähren. Sie richten sich also gegen eine Einzelperson und drohen für bestimmt abgrenzbare, in der Vergangenheit liegende Handlungen dieser Person eine Strafe an; sie sind auf die Einzelperson, die diesen konkreten Tatbestand verwirklicht, anzuwenden, und zwar ohne Rücksicht auf ihre Zugehörigkeit zu einer politischen Partei oder ihrer Funktion in einer solchen Partei. Dem Art. 21 Abs. 2 GG, der seinem Wesen nach eine Präventivmaßnahme ist, ist dieser "punktuelle" Charakter der strafrechtlichen Sanktion für eine bestimmte abgrenzbare, in der Vergangenheit liegende strafbare Handlung einer Einzelperson fremd. Der strafrechtliche Tatbestand der §§ 80, 81 StGB ist somit wesensverschieden von dem verfassungsrechtlichen Tatbestand des Art. 21 Abs. 2 GG (BVerfGE 5, 85 [141 f.]). Es ist durchaus denkbar, daß ein bestimmter Sachverhalt gegen den Funktionär einer Partei den strafrechtlichen Vorwurf der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens rechtfertigt, nicht aber gegen die Partei den Vorwurf, verfassungswidrig zu sein; das gilt auch umgekehrt. Die Durchführung des Strafverfahrens gegen den Funktionär einer Partei kann daher nicht von der vorherigen Durchführung des Verfahrens gegen die Partei gemäß Art. 21 Abs. 2 GG abhängig sein,

BVerfGE 9, 162 (166):

auch dann nicht, wenn er sich im Rahmen dessen gehalten hat, was die Partei erstrebt und propagiert.
Das durch Art. 21 Abs. 1 GG garantierte Recht der Parteien, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, könnte nur dann beeinträchtigt werden, wenn gegen Funktionäre der Partei eingeleitete Strafverfahren wegen eines Verbrechens gemäß §§ 80, 81 StGB dazu dienen sollte, die Partei unter Umgehung des in Art. 21 Abs. 2 GG hierfür vorgesehenen Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht aus dem politischen Leben auszuschalten. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Bereits vor Einleitung des Strafverfahrens gegen ihn und Funktionäre der KPD hatte die Bundesregierung am 22. November 1951 gemäß Art. 21 Abs. 2 GG den Antrag gestellt, die KPD für verfassungswidrig zu erklären, und das Bundesverfassungsgericht hatte am 24. Januar 1952 gemäß § 45 BVerfGG beschlossen, das Verfahren durchzuführen.
Ist also Art. 21 Abs. 2 GG nicht verletzt, dann kann auch ein Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 21 Abs. 2 GG nicht verletzt sein.
b) Das Recht der freien Meinungsäußerung ist ebenfalls nicht verletzt. Es findet nach Art. 5 GG seine Schranke in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze; dazu gehören auch die §§ 80, 81 StGB, die zum Schutze der auf dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beruhenden verfassungsmäßigen Ordnung erlassen sind. Daß der Anwendung dieser Normen im konkreten Fall Art. 21 Abs. 2 GG nicht entgegensteht, ist oben zu Art. 2 Abs. 1 GG ausgeführt und gilt auch im Verhältnis zu Art. 5 GG.
c) Gründe für eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 1 GG sind nicht vorgetragen und nicht feststellbar.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist daher gemäß § 24 BVerfGG als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
Der Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung ist damit gegenstandslos.