BVerfGE 48, 127 - Wehrpflichtnovelle |
1. Die von der Verfassung geforderte militärische Landesverteidigung kann auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht, aber - sofern ihre Funktionstüchtigkeit gewährleistet bleibt - verfassungsrechtlich unbedenklich beispielsweise auch durch eine Freiwilligenarmee sichergestellt werden. |
2. Die allgemeine Wehrpflicht ist Ausdruck des allgemeinen Gleichheitsgedankens. Ihre Durchführung steht unter der Herrschaft des Art. 3 Abs. 1 GG. |
3. Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen sind gemäß Art. 12a Abs. 2 i.V.m. Art. 4 Abs. 3 GG von Verfassung wegen vom Wehrdienst nach Art. 12a Abs. 1 GG befreit. |
4. Der Kerngehalt des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG besteht darin, den Kriegsdienstverweigerer vor dem Zwang zu bewahren, in einer Kriegshandlung einen anderen töten zu müssen, wenn ihm sein Gewissen eine Tötung grundsätzlich und ausnahmslos zwingend verbietet. |
Die Ableistung von Wehrdienst außerhalb dieser Zwangslage und ihres unmittelbaren Zusammenhangs, insbesondere die Leistung von Wehrdienst in Friedenszeiten, fällt nicht schlechthin in den Kernbereich des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG. Das Grundgesetz gibt indes durch die in Art. 12a Abs. 2 GG erteilte Ermächtigung, auf gesetzlichem Wege eine Ersatzdienstpflicht einzuführen, zu erkennen, daß es denjenigen, der den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigert, auch außerhalb des von Art. 4 Abs. 3 GG geschützten Kernbereichs, mithin grundsätzlich auch in Friedenszeiten, nicht zum Dienst mit der Waffe herangezogen wissen will. |
5. Der Verfassungsgeber hat nicht eine allen Staatsbürgern - also gemäß Art. 3 Abs. 2 GG auch dem weiblichen Teil der Bevölkerung - obliegende Dienstpflicht für das allgemeine Wohl zugelassen. Der in Art. 12a Abs. 2 GG vorgesehene Ersatzdienst ist vom Grundgesetz nicht als alternative Form der Erfüllung der Wehrpflicht gedacht; er ist nur Wehrpflichtigen vorbehalten, die den Dienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigern. |
6. Dem Verfassungsgebot der staatsbürgerlichen Pflichtengleichheit in Gestalt der Wehrgerechtigkeit wird nicht schon dadurch genügt, daß die Wehrpflichtigen entweder zum Wehrdienst oder zum Ersatzdienst herangezogen werden. Das Grundgesetz verlangt vielmehr, daß der Wehrpflichtige grundsätzlich Wehrdienst leistet, und verbietet es deshalb, in den als Ersatz des Wehrdienstes eingerichteten Zivildienst andere als solche Wehrpflichtige einzuberufen, die nach Art. 12a Abs. 2 i.V.m. Art. 4 Abs. 3 GG den Dienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigern dürfen. |
7. Die Wehrgerechtigkeit fordert von jeder gesetzlichen Regelung nach Art. 12a Abs. 2 i.V.m. Art. 4 Abs. 3 Satz 2 GG, daß nur solche Wehrpflichtige als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden, bei denen mit hinreichender Sicherheit angenommen werden kann, daß in ihrer Person die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG erfüllt sind. § 25a Abs. 1 n.F. WehrPflG genügt diesem Erfordernis nicht. |
8. Wie eine gesetzliche Regelung, welche die Ausgestaltung des Ersatzdienstes als einzige Probe auf die Gewissensentscheidung einsetzt, beschaffen sein muß, wenn sie der Verfassung entsprechen soll, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Der Gesetzgeber hat insoweit innerhalb des von Art. 12a Abs. 2 Satz 2 und 3 GG gezogenen Rahmens volle Gestaltungsfreiheit. Außer der Pflicht, Waffendienst zu leisten, kann er alle Pflichten und Belastungen, welche die Wehrdienstleistenden treffen, in gleichem Maße auch den Zivildienstleistenden auferlegen. |
9. Angesichts des Mißverhältnisses zwischen der Zahl der verfügbaren Ersatzdienstpflichtigen und der Zahl der vorhandenen und besetzbaren Einsatzplätze im Zivildienst sowie im Hinblick darauf, daß der Gesetzgeber den ihm von Art. 12a Abs. 2 Satz 2 und 3 GG für die rechtliche Ausgestaltung des Zivildienstes gezogenen Rahmen bislang nicht ausgeschöpft hat, kann die Ersatzdienstpflicht gegenwärtig nicht als eine im Verhältnis zur Wehrdienstpflicht auch nur gleichermaßen aktuelle und gleichbelastende Pflicht angesehen werden. |
10. Zustimmungsbedürftig nach Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG ist nicht nur ein solches Bundesgesetz, das den Gesetzesvollzug einer Verwaltungsmaterie erstmals den Ländern voll entzieht und in die Bundeseigenverwaltung überführt oder das bestimmt, daß es von den Ländern im Auftrag des Bundes ausgeführt wird. Das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates greift vielmehr auch dann ein, wenn ein Änderungsgesetz die früher mit Zustimmung des Bundesrates in die Bundeseigenverwaltung oder Bundesauftragsverwaltung überführte Verwaltungsaufgabe so umgestaltet oder erweitert, daß dieser Vorgang angesichts des Grundsatzes des Art. 83 GG einer neuen Übertragung von Ausführungszuständigkeiten auf den Bund gleichkommt. |
11. Die Änderung der Vorschriften über die Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern hat unmittelbar die grundlegende Umgestaltung des Zivildienstes zu einer nach Inhalt und Umfang alternativ neben den Wehrdienst tretenden zweiten Form eines Gemeindienstes zur Folge. Diese Qualitätsveränderung ist in § 25a n.F. WehrPflG unmittelbar angelegt. |
12. Die in den materiell-rechtlichen Vorschriften des Wehrpflichtänderungsgesetzes angelegte neue Verschiebung von Verwaltungszuständigkeiten zu Lasten der Länder war nur mit Zustimmung des Bundesrates zulässig. |
Urteil |
des Zweiten Senats vom 13. April 1978 auf die mündliche Verhandlung vom 30. November und 1. Dezember 1977 |
-- 2 BvF 1,2,4,5/77 -- |
in den Verfahren über die Anträge, das Gesetz zur Änderung des wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes vom 13. Juli 1977 - BGBl. I S. 1229 - als unvereinbar mit dem Grundgesetz für nichtig zu erklären, Antragsteller: 1. Dr. Helmut Kohl, MdB, Dr. Friedrich Zimmermann, MdB und 213 weitere Mitglieder des Deutschen Bundestagss - ... - 2 BvF 1/77 -; 2. Bayerische Staatsregierung, ... - 2 BvF 2/77 -; 3. Regierung des Landes Rheinland-Pfalz, ... - 2 BvF 4/77 -; 4. Regierung des Landes Baden-Württemberg, ... - 2 BvF 5/77 -. |
Entscheidungsformel: |
I. Das Gesetz zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes vom 13. Juli 1977 (Bundesgesetzbl. I S. 1229) ist mit Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikeln 4 Absatz 3, 12a Absatz 1 und 2 und mit Artikeln 78, 87b Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig. |
II. Soweit Kriegsdienstverweigerer in der Zeit vom 1. August 1977 bis zum Ablauf des 15. Dezember 1977 Zivildienstverhältnisse begründet haben oder ihnen bis zum Ablauf des 15. Dezember 1977 ein schriftlicher Annahmebescheid des Bundesamtes für den Zivildienst zugegangen ist und soweit Kriegs dienstverweigerer vom 1. August 1977 bis zum Ablauf des 15. Dezember 1977 andere Dienste und Tätigkeiten aufgenommen oder verbindlich vereinbart haben, die nach dem Zivildienstgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. November 1977 (Bundesgesetzbl. I S. 2039) als gleichwertig anerkannt sind, gelten sie als anerkannte Kriegsdienstverweigerer. |
Gründe: |
A. -- I. |
1. Gemäß Art. 4 Abs. 3 GG darf niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Der seit dem Inkrafttreten des Wehrpflichtgesetzes vom 21. Juli 1956 (BGBl. I S. 651) - WpflG - im wesentlichen unverändert geltende § 25 Satz 1 dieses Gesetzes bestimmt, daß Wehrpflichtige, die sich aus Gewissensgründen der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzen und deshalb den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern, statt des Wehrdienstes einen Zivildienst außerhalb der Bundeswehr zu leisten haben. Nach § 26 des Wehrpflichtgesetzes in der am 31. Juli 1977 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 8. Dezember 1972 (BGBl. I S. 2277) - WpflG a.F. - war bei allen Wehrpflichtigen über die Berechtigung, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, auf Antrag in einem Anerkennungsverfahren durch besondere Prüfungsausschüsse zu entscheiden. Die Ausschüsse hatten bei ihrer Entscheidung die gesamte Persönlichkeit des Antragstellers und sein sittliches Verhalten zu berücksichtigen. Die näheren Einzelheiten des Verfahrens waren in §§ 26, 32-35 WpflG a.F. sowie in §§ 19-21 der Musterungsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 1975 (BGBl. I S. 671, ber. S. 748) geregelt.
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Das am 1. August 1977 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes vom 13. Juli 1977 (BGBl. I S. 1229) - Wehrpflichtänderungsgesetz (WpflÄndG) - hat in seinem Art. 1 für ungediente Wehr pflichtige, die weder einberufen noch schriftlich benachrichtigt sind, daß sie als Ersatz für Ausfälle kurzfristig einberufen werden können, einerseits und für Soldaten sowie einberufene, vorbenachrichtigte und gediente Wehrpflichtige andererseits unterschiedliche Regelungen über ihre Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer in das Wehrpflichtgesetz (Bekanntmachung der Neufassung vom 7. November 1977, BGBl. I S. 2021) eingeführt. Wehrpflichtige der erstgenannten Gruppe leisten gemäß § 25a Abs. 1 WpflG n.F. Zivildienst anstelle des Wehrdienstes, wenn sie schriftlich oder zur Niederschrift beim Kreiswehrersatzamt erklärt haben, daß sie sich aus Gewissensgründen der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzen und deshalb den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern. Ihre Berechtigung, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, gilt mit der Begründung eines Zivildienstverhältnisses oder eines nach dem Zivildienstgesetz als gleichwertig anerkannten Dienst- oder Tätigkeitsverhältnisses, mit Annahme für den Zivildienst durch schriftlichen Bescheid des Bundesamtes für den Zivildienst oder spätestens zwei Jahre nach Abgabe der Erklärung als festgestellt. Für die übrigen Wehrpflichtigen und für Soldaten sieht § 25b Abs. 1 WpflG n.F. ein in den Anforderungen an den Nachweis der Gewissensentscheidung gegenüber dem bisherigen Recht vereinfachtes Prüfungs- und Feststellungsverfahren vor, dessen Einzelheiten in § 26 WpflG n.F. geregelt sind. Dieses Verfahren kann gemäß § 25a Abs. 2 WpflG n.F. für ungediente Wehrpflichtige (§ 25a Abs. 1 WpflG n.F.), deren Berechtigung zur Kriegsdienstverweigerung noch nicht als festgestellt gilt, durch Rechtsverordnung der Bundesregierung angeordnet werden, wenn und solange die Zahl der verfügbaren Wehrpflichtigen aus den aufgerufenen Jahrgängen nicht ausreicht, die Erfüllung des Verteidigungsauftrages der Streitkräfte sicherzustellen. Die Rechtsverordnung ist unverzüglich aufzuheben, wenn der Bundestag es binnen sechs Wochen nach ihrer Verkündung verlangt. |
Art. 3 WpflÄndG enthält Übergangsvorschriften: Die am 1. August 1977 anhängigen Anerkennungsverfahren von Soldaten, gedienten Wehrpflichtigen und einberufenen sowie vorbenachrichtigten ungedienten Wehrpflichtigen sollen nach neuem Recht zu Ende geführt werden; war indessen bereits eine die Berechtigung zur Kriegsdienstverweigerung feststellende Entscheidung eines Prüfungsausschusses, einer Prüfungskammer oder eines Verwaltungsgerichts ergangen, so sollte diese mit dem Inkrafttreten des Gesetzes unanfechtbar werden. Für Anerkennungsanträge der übrigen Wehrpflichtigen ist bestimmt, daß sie mit Inkrafttreten des Gesetzes als Erklärungen nach § 25a Abs. 1 WpflG n.F. gelten; bereits ergangene Entscheidungen gelten als nicht ergangen.
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2. Nach Art. 12a Abs. 2 GG können Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen zu einem Ersatzdienst verpflichtet werden, dessen Dauer die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen darf. Die Regelung der näheren Einzelheiten ist in dem Gesetz über den Zivildienst der Kriegsdienstverweigerer (Zivildienstgesetz - ZDG) vom 13. Januar 1960 (BGBl. I S. 10), bis zum 31. Juli 1977 gültig in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. August 1973 (BGBl. I S. 1015) - ZDG a.F. -, enthalten. Im Zivildienst erfüllen anerkannte Kriegsdienstverweigerer Aufgaben, die dem Allgemeinwohl dienen, vorrangig im sozialen Bereich (§ 1 ZDG a.F.). Die regelmäßige Dauer des Zivildienstes betrug bis zum 31. Juli 1977 sechzehn Monate (§ 24 ZDG a.F.).
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Das Zivildienstgesetz wird, soweit es nichts anderes bestimmt, in bundeseigener Verwaltung ausgeführt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 ZDG). Seit dem 1. Oktober 1973 ist hierfür eine selbständige Bundesoberbehörde "Bundesamt für den Zivildienst" errichtet, die dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung untersteht (§ 2 Abs. 1 Satz 2 ZDG i.d.F. des Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst vom 25. Juni 1973, BGBl. I S. 669, und Bekanntmachung vom 27. September 1973, BAnz. Nr. 199, S. 5). Die dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung auf dem Gebiet des Zivildienstes obliegenden Verwaltungsaufgaben werden grundsätzlich von einem auf Vorschlag der Bundesregierung ernannten Bundesbeauftragten für den Zivildienst durchgeführt (§ 2 Abs. 2 ZDG). Der Zivildienst wird in einer dafür nach § 4 ZDG anerkannten Beschäftigungsstelle oder in einer Zivildienstgruppe (Dienststellen) geleistet (§ 3 ZDG). Dienstgruppen werden vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung nach Bedarf aufgestellt; ihr Sitz wird nach Anhörung der Länder festgelegt (§ 5 ZDG). Dienststellen können mit der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben beauftragt werden; das gleiche gilt - im Falle ihres Einverständnisses - für Verbände, denen Dienststellen angehören (§ 5a ZDG). |
Art. 2 WpflÄndG enthält zahlreiche Änderungen des Zivildienstgesetzes (Bekanntmachung der Neufassung vom 7. November 1977, BGBl. I S. 2039). § 1 ZDG n.F. bestimmt den Kreis der zivildienstpflichtigen Kriegsdienstverweigerer. Nach § 14b Abs. 1 ZDG n.F. werden Kriegsdienstverweigerer nicht zum Zivildienst herangezogen, wenn sie einen mindestens achtzehnmonatigen, unentgeltlichen Dienst im Ausland leisten, der das friedliche Zusammenleben der Völker fördern will. Voraussetzung hierfür ist eine vertragliche Verpflichtung gegenüber einem nach § 14b Abs. 3 ZDG n.F. anerkannten Träger eines solchen Dienstes. Über die Anerkennung eines Trägers entscheidet der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Als Träger eines solchen Dienstes kommen juristische Personen in Betracht, die ausschließlich, unmittelbar und selbstlos steuerbegünstigten Zwecken dienen, Gewähr dafür bieten, daß ihre Vorhaben den Interessen der Bundesrepublik Deutschland dienen und ihren Sitz im Geltungsbereich des Grundgesetzes haben. Nach § 15a Abs. 1 ZDG n.F. ist von der Heranziehung zum Zivildienst abzusehen, wenn und solange der Kriegsdienstver weigerer freiwillig in einem Arbeitsverhältnis mit üblicher Arbeitszeit in einer nach § 4 ZDG anerkannten Beschäftigungsstelle tätig ist. Ausgenommen sind nur Ausbildungsverhältnisse und hauptberufliche Arbeitsverhältnisse. § 24 Abs. 2 ZDG n.F. erhöht die regelmäßige Dauer des Zivildienstes auf 18 Monate. |
3. Die Vorschriften über das Prüfungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen nach § 26 WpflG a.F. und ihre Anwendung durch die Prüfungsgremien und Verwaltungsgerichte sind in der öffentlichen Meinung und im rechtswissenschaftlichen Schrifttum lebhaft kritisiert worden. Teils wurde die Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens in Frage gestellt, teils wurden jedenfalls Bedenken gegen die Möglichkeit eines hinreichend zuverlässigen Nachweises der Gewissensentscheidung als eines inneren Vorganges, gegen Gleichmäßigkeit, Transparenz und Objektivierbarkeit der anzuwendenden Bewertungskriterien sowie gegen eine Beweislastregelung zu Lasten des Kriegsdienstverweigerers vorgebracht (vgl. im einzelnen v. Zezschwitz, JZ 1970, S. 233 f.; Berg, MDR 1974, S. 793 ff.; Lange, MDR 1976, S. 89 ff. jeweils mit weiteren Nachweisen). Nicht nur die Kriegsdienstverweigererverbände, sondern neben anderen auch der Deutsche Gewerkschaftsbund und die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland haben die Abschaffung der Gewissensprüfung gefordert.
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Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages hatte schon in seinem Jahresbericht 1969 (BTDrucks. VI/453, S. 7 ff.) darauf hingewiesen, daß zwischen 85 und 90 v. H. der Anträge von Kriegsdienstverweigerern stattgegeben werde, daß aber "nach Auffassung kompetenter Sachkenner" höchstens 30 v.H. der Antragsteller als überzeugte Kriegsdienstgegner zu betrachten seien. Dies werfe die Frage auf, ob eine objektive Rechtsanwendung im erforderlichen Umfang gewährleistet sei und ob personeller und sächlicher Aufwand für die Prüfungsverfahren noch in einem vertretbaren Verhältnis zum erstrebten Zweck stünden. Das derzeitige Verfahren sei den Schwierigkeiten, die sich aus einer häufig anzutreffenden kollektiven Ausübung des Kriegsdienstverweigerungsrechts ergäben, nicht im erforderlichen Umfang gewachsen. Eine andere Lösung setze allerdings unerläßlich einen entsprechenden Ausbau des Ersatzdienstes voraus. |
Die Fraktionen von SPD und F.D.P. im Deutschen Bundestag hatten bereits in dessen 7. Legislaturperiode den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes eingebracht (BTDrucks. 7/3730). Er unterschied sich von dem jetzt zur Prüfung gestellten Gesetz im wesentlichen dadurch, daß die im Widerspruchsverfahren tätigen Prüfungskammern abgeschafft und die Prüfungsausschüsse dem Bundesamt für den Zivildienst unterstellt werden sollten. Dieses Gesetz kam indessen nicht zustande, weil der Bundespräsident von der Ausfertigung und Verkündung unter Hinweis auf die fehlende Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG absah (vgl. BTDrucks. 7/5856; BRDrucks. 668/ 76).
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Auch die Fraktion der CDU/CSU hat Gesetzentwürfe zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes eingebracht (BTDrucks. 7/ 4206; BTDrucks. 8/154), die jedoch keine parlamentarische Mehrheit gefunden haben. In ihrer Begründung wurde dargelegt, infolge der starken Zunahme von Kriegsdienstverweigerungsanträgen und auf Grund der Erfahrungen mit dem derzeitig praktizierten Anerkennungsverfahren seien erhebliche Mängel bei der Entscheidungsfindung zutage getreten; unterschiedliche Maßstäbe bei der Beurteilung vorgetragener Gewissensentscheidungen, verschiedenartige Verfahrensregeln und erhebliche Verzögerungen im Bearbeitungsgang machten eine Neuregelung erforderlich. Nach den genannten Entwürfen sollte das Anerkennungsverfahren grundsätzlich beibehalten, aber verbessert und beschleunigt werden: So war unter anderem vorgesehen, die Prüfungsausschüsse durch einen Beamten des Kreiswehrersatzamtes mit Befähigung zum Richteramt zu ersetzen, bei nicht ausreichendem Nachweis der Berechtigung zur Kriegs dienstverweigerung den Antragsteller auch dann anzuerkennen, wenn Ernsthaftigkeit und Unausweichlichkeit der Gewissensentscheidung nach seinem Gesamtverhalten glaubhaft sind und über den Antrag nur dann zu entscheiden, wenn der Antragsteller entweder Wehrdienst leistet oder einberufen, vorbenachrichtigt oder zur Einberufung eingeplant ist oder wenn er unter Berücksichtigung der Wehrersatzlage für eine Einplanung zum Wehrdienst in Betracht kommt. |
Das im vorliegenden Verfahren angegriffene Gesetz beruht auf einem von den Fraktionen von SPD und F.D.P eingebrachten Entwurf (BTDrucks. 8/126). In dessen Begründung wird ausgeführt, eine Neuordnung des Prüfungsverfahrens unter Berücksichtigung der sich aus dem Verteidigungsauftrag der Bundeswehr ergebenden Notwendigkeiten sei angezeigt, weil die bisherige Regelung die Entscheidung faktisch in das freie Ermessen der Prüfungsgremien gelegt und Antragsteller mit gutem Ausdrucksvermögen generell begünstigt habe. Das Prüfungsverfahren solle deshalb nur noch stattfinden, soweit es unabdingbar notwendig sei, und im übrigen so reformiert werden, daß in Zweifelsfällen die Entscheidung nicht mehr grundsätzlich zu Lasten des Antragstellers ergehen müsse. Der Bundestag hat das Gesetz am 17. März 1977 in erster Lesung beraten und am 27. Mai 1977 verabschiedet. Der Bundesrat hat das Gesetz gemäß Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG für zustimmungsbedürftig gehalten, weil es in § 14b ZDG n.F. eine neue Verwaltungsaufgabe des Bundes schaffe und durch grundlegende Umgestaltung der Vorschriften über die Kriegsdienstverweigerung eine Funktionsänderung der Kreiswehrersatzämter herbeiführe; in seiner 447. Sitzung am 24. Juni 1977 hat er beschlossen, dem Gesetz nicht zuzustimmen (vgl. BTDrucks. 8/692).
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4. Das Bundesverfassungsgericht hat durch eine am 7. Dezember 1977 von Amts wegen beschlossene einstweilige Anordnung (BVerfGE 46, 337; EuGRZ 1977, S. 512) das Wehrpflichtänderungsgesetz ab 16. Dezember 1977 bis zur Verkündung der Entscheidung in der Hauptsache außer Anwendung gesetzt und bestimmt, daß das Wehrpflichtgesetz und das Zivildienstgesetz bis zu diesem Zeitpunkt wieder in ihren am 31. Juli 1977 geltenden Fassungen anzuwenden sind, bis 15. Dezember 1977 nach neuem Recht begründete oder durch Annahmebescheid vorbereitete Zivildienstverhältnisse sowie begonnene oder schriftlich vereinbarte andere Dienste und Tätigkeiten, die als dem Zivildienst gleichwertig anerkannt sind, aber unberührt bleiben. Die einstweilige Anordnung ist durch Beschluß vom 14. Februar 1978 wiederholt worden. |
II. |
215 Mitglieder des Deutschen Bundestages sowie die Landesregierungen von Bayern, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg haben gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 Nr. 1 BVerfGG beantragt, das Wehrpflichtänderungsgesetz als mit dem Grundgesetz unvereinbar für nichtig zu erklären. Nach ihrer Auffassung verstößt das Gesetz gegen Art. 4 Abs. 3 und 12a Abs. 2 GG, gegen die in Art. 12a Abs. 1, 73 Nr. 1 und 87a Abs. 1 Satz 1 GG niedergelegten Verfassungsentscheidungen für die militärische Landesverteidigung durch eine funktionsfähige Bundeswehr und für die allgemeine Wehrpflicht sowie gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und den Grundsatz der Wehrgerechtigkeit. Die Antragsteller sind ferner der Ansicht, daß die in § 25a Abs. 2 WpflG n.F. enthaltene Verordnungsermächtigung mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbar sei und das Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip des Grundgesetzes verletze und daß das Wehrpflichtänderungsgesetz ohne die nach Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG erforderliche Zustimmung des Bundesrates nicht verfassungsgemäß zustandegekommen ist.
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Zur Begründung wird im wesentlichen vorgetragen:
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1. Gesetzliche Regelungen des Wehrpflicht- und Zivildienstrechts seien verfassungsrechtlich bestimmt vom Grundrecht der Verweigerung des Kriegsdienstes mit der Waffe aus Gewissensgründen, vom Verfassungsauftrag an den Staat, seine Bürger gegen bewaffnete Angriffe von außen durch Aufstellung von Verteidigungsstreitkräften und Aufrechterhaltung ihrer Funktionsfähigkeit zu schützen, sowie von der verfassungsrechtlich verankerten allgemeinen Wehrpflicht und dem Gebot der gleichmäßigen Belastung der wehrpflichtigen Bürger. Das angegriffene Gesetz verfehle den gebotenen Ausgleich zwischen diesen verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen. |
a) Das Grundrecht, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, setze eine Gewissensentscheidung voraus. Ihr Vorliegen müsse jedenfalls immer dann nachprüfbar sein, wenn ihr Bedeutung für die Rechte und Pflichten des Bürgers in der staatlichen Gemeinschaft beigemessen werde. Keine Gewissensentscheidung wirke sich nachhaltiger und bedeutsamer auf verfassungsrechtliche Grundprinzipien aus als die Kriegsdienstverweigerung.
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Der Verfassungsgeber habe mit der Entscheidung für die Wiederbewaffnung zugleich eine Entscheidung für die allgemeine Wehrpflicht getroffen. Die Wehrverfassung der Bundesrepublik Deutschland werde seitdem vom Wehrpflichtprinzip beherrscht. Solange die allgemeine Wehrpflicht gemäß Art. 12a Abs. 1 GG als verfassungsrechtliche Pflicht bestehe, um die Erfüllung des Verfassungsauftrages einer funktionsfähigen Landesverteidigung auch und gerade für einen Ernstfall zu gewährleisten, dürfe sie nicht durch einfaches Gesetz vom Prinzip des freiwilligen Wehrdienstes abgelöst werden. Das Grundgesetz erkenne in seinem Art. 12a Abs. 2 als einzige Ausnahme von der Wehrdienstpflicht die Pflicht zur Leistung eines Ersatzdienstes für Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen an. Wehrdienst und Ersatzdienst seien von Verfassungs wegen keine gleichwertigen Dienste. Die Verfassung kenne keine allgemeine Dienstpflicht für das gemeine Wohl. Der Ersatzdienst stelle vielmehr nur ein Surrogat für den Wehrdienst dar und erhalte seine erforderliche besondere Rechtfertigung erst aus dem verfassungsrechtlich garantierten Respekt vor der Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe. Hieraus folge, daß bei bestehender allgemeiner Wehrpflicht eine freie Wahl zwischen Wehrdienst und Ersatzdienst verfassungsrechtlich nicht zugelassen sei. Der Ersatzdienst trete nur unter der Voraussetzung an Erfüllungs Statt an die Stelle der Wehrdienstpflicht, daß der Betroffene das Recht habe, den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen zu verweigern. |
Das angegriffene Gesetz schaffe demgegenüber ein faktisches Wahlrecht zwischen Wehrdienst und Zivildienst. So sei es auch in der Öffentlichkeit weitgehend verstanden worden. Damit hebe es die allgemeine Wehrpflicht praktisch auf. Allein auf der Grundlage einer nach freiem Belieben abzugebenden Erklärung und einer hieran anknüpfenden, gesetzlich fingierten Berechtigung, den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern zu dürfen, lasse es auch solche Wehrpflichtigen zum Ersatzdienst zu, die aus ganz unterschiedlichen Motiven den Wehrdienst ablehnen und eine Gewissensentscheidung nur vorschützen. Damit werde die Erfüllung der Wehrpflicht im Ergebnis zu einer Sache freiwilliger Entschließung und Kriegsdienstverweigerung zu einer allen Wehrpflichtigen nach freier Willensentscheidung offenstehenden Befugnis. Ernst und Not des Gewissens würden unter solchen Voraussetzungen nicht spürbar.
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Allerdings sei ein bestimmtes Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer nicht verfassungsrechtlich geboten. Auch Beweiserleichterungen für die Feststellung der Echtheit einer Gewissensentscheidung seien zulässig. Gewissensentscheidung und bloße Willenserklärung dürften aber - insbesondere angesichts der grundlegenden Bedeutung der hier berührten Gemeinschaftsgüter und Grundpflichten von Verfassungsrang - nicht gleichgesetzt werden. Der Gesetzgeber dürfe die Überprüfung der Echtheit der Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst nicht dadurch von vornherein prinzipiell ausschließen, daß er ohne Möglichkeit des Gegenbeweises eine unwiderlegliche Vermutung des Inhalts begründe, auch eine nur formelhaft auf das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung bezugnehmende Erklärung enthalte die vom Grundgesetz geforderte Gewissensentscheidung. Mit § 25a Abs. 1 WpflG n.F. sei jede faßbare Tatbestandsvoraussetzung für die Kriegsdienstverweigerung entfallen; diese verliere damit ihre von der Verfassung vorgezeichnete Legitimation. Die Gleichsetzung von echten und unechten Kriegsdienstverweigerern greife in den Schutzbereich des Art. 4 Abs. 3 GG ein. Solange der Gesetzgeber an der allgemeinen Wehrpflicht festhalte, müsse er einen Mißbrauch des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG soweit als möglich verhindern und echte Kriegsdienstverweigerer vor Diffamierung schützen. |
Die auch von den Antragstellern nicht in Abrede gestellten Mängel des bisherigen Prüfungsverfahrens dürften kein Anlaß sein, durch Schaffung eines faktischen Wahlrechts zwischen Wehrdienst und Zivildienst die Erfüllung der Wehrpflicht dem freien Belieben der Betroffenen zu überantworten und die vom Grundgesetz geforderte Gewissensentscheidung völlig außer acht zu lassen. Das neue Recht schaffe die Lüge nicht ab, sondern leiste ihr sogar Vorschub, indem es eine gleichgültige oder auch ablehnende Haltung gegenüber einer verfassungsrechtlichen Grundpflicht zumindest in den Augen der Betroffenen legalisiere. Die vom Grundgesetz gebotene Gewissensprüfung könne nicht ersetzt werden durch eine - bisher nur in Aussicht gestellte - Umgestaltung des Ersatzdienstes zu einer sogenannten "lästigen Alternative". Die bloße Wahrscheinlichkeit, als Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst einberufen zu werden, verlange dem Betroffenen die von Art. 4 Abs. 3, 12a Abs. 2 GG geforderte Gewissensentscheidung nicht ab. Sie führe ihm zwar vor Augen, daß die Verweigerung des Wehrdienstes nicht von jedem Dienst befreie, öffne ihm aber die Möglichkeit, zwischen alternativen Diensten frei zu wählen. Die für die Wahl maßgeblichen Gründe müßten mit einer Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst keineswegs identisch sein. Durch den lästigen Zwang, zwischen Wehrdienst und Zivildienst wählen zu müssen, werde mithin allenfalls die Wehrwilligkeit geprüft, aber nicht das Gewissen in der von der Verfassung gebotenen Weise zum Sprechen gebracht.
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b) Das Wehrpflichtänderungsgesetz trage auch den in Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG verankerten Grundprinzipien der Wehr- und Verteidigungsordnung nicht ausreichend Rechnung. Sein Vollzug sei geeignet, die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr ernsthaft zu gefährden. Die Auswahl der aus der Gesamtzahl der Wehrpflichtigen einzuberufenden Soldaten bestimme sich allein nach dem Interesse der Bundeswehr an einer optimalen Deckung ihres Personalbedarfs. Eine solche zur Wahrung des Verfassungsauftrages des Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG gebotene Bedarfsdeckung mit in jeder Hinsicht am besten geeigneten Soldaten sei nicht mehr möglich, wenn der Kreis der zur Auswahl zur Verfügung stehenden Wehrpflichtigen von vornherein über das verfassungsrechtlich gebotene Maß hinaus verkleinert werde. Dabei gehe es nicht nur um die Heranziehung zur Leistung des Grundwehrdienstes im Frieden. Zur Aufrechterhaltung einer glaubhaften militärischen Verteidigung müßten gerade für den Ernstfall alle Wehrpflichtigen zumindest potentiell zur Verfügung stehen. Es dürfe nicht dahin kommen, daß in einem Verteidigungsfall die Verpflichtung zum Kriegsdienst mit der Waffe lediglich auf den älteren Jahrgängen ruhe. |
Der sprunghafte Anstieg der Zahl der Kriegsdienstverweigerer seit dem Inkrafttreten des Wehrpflichtänderungsgesetzes spreche dafür, daß sich Wehrpflichtige in erheblichem Umfang dem Wehrdienst ohne durchgreifende Gewissensgründe entzögen. Wegen der in § 25a Abs. 1 WpflG n.F. statuierten unwiderleglichen Vermutung gingen diese Wehrpflichtigen für die Erhaltung einer abwehrbereiten funktionsfähigen Verteidigung ein für allemal verloren. Auch eine nach § 25a Abs. 2 WpflG n.F. zu erlassende Rechtsverordnung könne den hieraus entstehenden Schaden nicht abwenden: Zum einen werde mit ihr nur das ungeeignete modifizierte Gewissensprüfungsverfahren in Gang gesetzt, zum anderen könne mit ihr nur fehlender Quantität, nicht aber mangelnder Qualität der zur Verfügung stehenden Wehrpflichtigen abgeholfen werden. Bereits jetzt stehe fest, daß bei gleichbleibender Zahl von Kriegsdienstverweige rern wie in den vergangenen Monaten der Personalbedarf der Bundeswehr schon im April 1978 nur durch verstärkte Heranziehung von eingeschränkt verwendungsfähigen Wehrpflichtigen (sogenannte Signierziffer 3) gedeckt werden könne. |
c) Die allgemeine Wehrpflicht sei Ausdruck des allgemeinen Gleichheitsgedankens. Der Grundsatz der Wehrgerechtigkeit fordere eine hinreichend bestimmte normative Ausgestaltung der Ausnahmen von der Wehrpflicht. Er schließe es aus, daß die Verpflichtung zur Ableistung des Wehrdienstes zwar äußerlich aufrechterhalten, in Wirklichkeit jedoch die Wahl zwischen Wehrdienst und Ersatzdienst eröffnet werde. Der Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich verpflichtet, Schwierigkeiten bei der Feststellung der Echtheit von Gewissensentscheidungen gegen den Kriegsdienst im Rahmen eines zwar nicht unerheblichen Spielraums, aber doch in einer der Wehrgerechtigkeit entsprechenden Weise zu lösen. Wegen der nicht fernliegenden Gefahr einer mißbräuchlichen Berufung auf das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG dürfe er die Verpflichtung zur Leistung des Wehrdienstes jedenfalls nicht allein von einer ungeprüften Erklärung abhängig machen und dadurch aus reinen Zweckmäßigkeitsgründen bewußt in Kauf nehmen, daß echte und unechte Kriegsdienstverweigerer gleich, Wehrdienstleistende und unechte Kriegsdienstverweigerer dagegen ohne rechtfertigenden Grund ungleich behandelt würden. Ebenso wie in anderen Fällen der Berufung auf die Gewissensfreiheit müsse auch die Echtheit der Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst in einer dem hohen Rang der Wehrpflicht entsprechenden Weise jedenfalls auf Glaubhaftigkeit überprüft werden können.
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Die Unterscheidung zwischen ungedienten Wehrpflichtigen (§ 25a Abs. 1 WpflG n.F.) und Soldaten sowie gedienten und einberufenen und vorbenachrichtigten Wehrpflichtigen (§ 25b Abs. 1 WpflG n.F.) greife tief in die Substanz der staatsbürgerlichen Gleichheit ein und sei willkürlich. Die Entscheidung zwischen Wehrpflicht oder freiwilligem Wehrdienst dürfe aus Gründen der Wehrgerechtigkeit nur einheitlich für alle Bürger getroffen werden. Die am Bedarf ausgerichtete Einberufung von Wehrpflichtigen zum Grundwehrdienst im Frieden sei unter dem Blickpunkt des Gleichheitssatzes ganz anders zu beurteilen als eine endgültige Freistellung von jedem Wehrdienst als Folge erklärter Wehrunwilligkeit. Die Erfordernisse der Personalplanung der Bundeswehr stünden in keinem Zusammenhang mit der Gewissensentscheidung, von der die Berechtigung, den Kriegsdienst zu verweigern, allein abhänge. Planungsdaten seien keine legitime Grundlage für eine völlig verschiedene Behandlung der Wehrpflichtigen bei ihrer Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer. |
Auch die Abgrenzung zwischen Kriegsdienstverweigerern vor und nach Erlaß einer Rechtsverordnung nach § 25a Abs. 2 WpflG n.F. sei mit dem Gleichheitssatz unvereinbar. Es sei grob sachwidrig, die Regelung des Kriegsdienstverweigerungsrechts von vornherein flexibel am jeweiligen Personalbedarf der Streitkräfte auszurichten. Das Recht der Kriegsdienstverweigerung sei verfassungsrechtlich ausschließlich von einer Gewissensentscheidung abhängig und dürfe nicht verfahrensrechtlich vom Prinzip der Wehrpflicht bis zum Prinzip der Freiwilligkeit am Maßstab des Streitkräftebedarfs dosiert und damit Differenzierungen unterworfen werden, die mit Gewissensgründen und den Möglichkeiten, ihre Ernsthaftigkeit zu ergründen, nichts zu tun hätten.
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2. Die Ermächtigung zum Erlaß von Rechtsverordnungen nach § 25a Abs. 2 WpflG n.F. räume der Bundesregierung eine Schlüsselfunktion von zentraler Bedeutung und ausschlaggebendem Gewicht ein. Sie erhalte die Befugnis, wehrverfassungsrechtliche Grundprinzipien, insbesondere die für den Status der Bürger entscheidende Frage, unter welchen Voraussetzungen zwischen Wehrdienst und Ersatzdienst frei gewählt werden dürfe und wann eine solche Wahlmöglichkeit wieder entfalle, je nach dem Bedarf der Streitkräfte so oder so zu regeln. Eine solche Verfügungsmacht über staatspolitisch entscheidende wehrverfassungsrechtliche Prinzipien stehe nur dem Parlament zu. Die vom Gesetzgeber gefundene technokratische Lösung stelle den Gewaltenteilungsgrundsatz und das Demokratieprinzip auf den Kopf. Hieran könne auch das zeitlich befristete bloße Kassationsrecht des Bundestages nichts ändern. Zudem eröffneten die in § 25a Abs. 2 WpflG n.F. enthaltenen Ermächtigungskriterien mit Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG unvereinbare blankettartige Bewertungsspielräume. |
3. Wegen der fehlenden Zustimmung des Bundesrates sei das Wehrpflichtänderungsgesetz als gesetzgebungstechnische Einheit nicht entsprechend den Vorschriften des Grundgesetzes zustandegekommen.
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Das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates folge zum einen daraus, daß das Wehrpflichtänderungsgesetz durch grundlegende Umgestaltung der materiell-rechtlichen Vorschriften über die Kriegsdienstverweigerung zugleich auch Umfang und Bedeutung der auf den Bund übertragenen Verwaltungsaufgaben und -zuständigkeiten wesentlich verändert und das Verwaltungsverfahren nachhaltig beeinflußt habe. Zwar habe der Bundesrat gemäß Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG zugestimmt, daß das Zivildienstgesetz in Abweichung vom Grundsatz des Art. 83 GG im Bundeseigenvollzug ausgeführt werde. Diese Zustimmung habe sich aber nur auf den Zivildienst in seiner ursprünglichen Ausgestaltung als ergänzender Annex zum umfassenden Wehrdienst bezogen. Nur in diesem Umfang hätten die Länder auf ihre Vollzugskompetenz verzichtet. Eine zustimmungsbedürftige Verwaltungskompetenz des Bundes mit begrenzter Bedeutung dürfe nicht ohne erneute Zustimmung des Bundesrates zu einer quantitativ und qualitativ ungleich bedeutsameren Ausführungszuständigkeit ausgeweitet werden.
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Durch das Wehrpflichtänderungsgesetz werde der Zivildienst nach Inhalt und Ausmaß zu einer echten Alternative zum Wehrdienst umgestaltet. Die Zahl der Zivildienstleistenden werde sich infolge der raschen Zunahme der Kriegsdienstverweigerungserklärungen vervielfachen. Das Bundesamt für den Zivildienst könne die ihm obliegenden Verwaltungs- und Be treuungsaufgaben in diesem Umfang nicht mehr selbst wahrnehmen. Dies habe bereits dazu geführt, daß in wachsendem Umfang privatrechtliche Verbände vertraglich mit der Erfüllung von hoheitlichen Verwaltungsaufgaben im Bereich des Zivildienstes betraut worden seien. Damit sei der Bund im Begriff, sich über beliehene Unternehmer den für die Durchführung des grundlegend umgestalteten Zivildienstes nunmehr notwendig gewordenen Verwaltungsunterbau ohne die dafür erforderliche Zustimmung des Bundesrates zu schaffen. Jedenfalls aber bewirke das Gesetz mit der in ihm angelegten Umformung des Zivildienstes zu einem weit ausgebauten Dienst für den Staat neben dem Wehrdienst eine in den originären Verwaltungsraum der Länder eingreifende erneute Systemverschiebung im föderativen Gefüge. Daneben werde auch die Funktion der Kreiswehrersatzämter und der Prüfungsausschüsse durch das angegriffene Gesetz grundlegend gewandelt; ersteren gegenüber sei nunmehr die Erklärung über die Kriegsdienstverweigerung mit konstitutiver Wirkung abzugeben, während die Tätigkeit der letzteren künftig auf Ausnahmefälle beschränkt sei. |
Das Wehrpflichtänderungsgesetz sei zum anderen auch deshalb zustimmungsbedürftig, weil die Anerkennung von Trägern eines Friedens- oder Versöhnungsdienstes gemäß § 14b Abs. 3 ZDG n.F. eine neue, nicht bereits in § 2 Abs. 1 ZDG enthaltene Verwaltungsaufgabe des Bundes darstelle. Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG sei auf den hier gegebenen Fall der Übertragung einer Verwaltungskompetenz auf eine oberste Bundesbehörde, der vom Zustimmungserfordernis nach Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG nach dessen Sinn und Zweck ebenfalls erfaßt werde, bei der gebotenen restriktiven Auslegung nicht entsprechend anwendbar. Der Gesichtspunkt einer Kompetenz des Bundes aus der Natur der Sache komme schon deshalb nicht in Betracht, weil die neue Aufgabe auf gesetzlicher Grundlage ausdrücklich dem Bund übertragen worden sei.
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III. |
Von den Verfassungsorganen, denen das Bundesverfassungsgericht gemäß § 77 BVerfGG Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat, haben der Bundestag, der Bundesrat und die Bundesregierung Stellung genommen.
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1. Der Bundestag hält die Anträge für unbegründet.
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a) Der Gesetzgeber habe sich im Bewußtsein der Mangelhaftigkeit des bisherigen Anerkennungsverfahrens zu einer zwar von "Kühnheit der Toleranz" bestimmten, aber doch von sachgerechten Gründen getragenen Neuregelung entschlossen. Das Gesetz stelle im Vertrauen auf das Verantwortungsbewußtsein der Wehrpflichtigen die individuelle Gewissensprüfung des Einzelnen in den Vordergrund, beeinträchtige die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nach den zur Zeit möglichen Prognosen indessen nicht. Erst die heute noch ungewisse künftige Entwicklung könne erweisen, ob das Gesetz unverändert aufrechterhalten werden dürfe. Die Gefahr eines Mißbrauchs der gesetzlichen Regelung mache diese noch nicht verfassungswidrig. Notfalls werde in einer parlamentarischen Demokratie der Gesetzgeber die Kraft zur Selbstkorrektur aufbringen.
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Das Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht sei im Grundgesetz nicht für alle Zukunft bindend festgeschrieben. Vielmehr enthalte Art. 12a Abs. 1 GG nach Wortlaut und Entstehungsgeschichte nur die Ermächtigung, die allgemeine Wehrpflicht - als verfassungsrechtlich verankerte Pflicht - einzuführen. Der einfache Gesetzgeber sei nicht gehindert, diese allgemeine Wehrpflicht im Rahmen der Verfassungsgebote der Art. 87a Abs. 1 Satz 1 und Art. 3 Abs. 1 GG zu modifizieren oder abzuschaffen. Die Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik Deutschland stütze sich nicht ausschließlich auf Wehrpflichtige, sondern schon heute etwa zur Hälfte auf freiwillig dienende Zeit- und Berufssoldaten.
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Die von vornherein unter dem Vorbehalt des Art. 4 Abs. 3 GG stehende allgemeine Wehrpflicht werde durch das Wehr pflichtänderungsgesetz weder rechtlich noch faktisch aufgehoben. § 25a Abs. 1 WpflG n.F. gehe weiterhin davon aus, daß nur solche Wehrpflichtige, die durch ihr Gewissen zur Verweigerung des Kriegsdienstes genötigt seien, die dort vorgesehene Erklärung abgeben dürften. Eine solche aus Gewissensnot getroffene Entscheidung gegen den Wehrdienst dürfe nicht von vornherein als vom freien Belieben abhängige Ausübung eines Wahlrechts disqualifiziert werden. Der Gesetzgeber knüpfe nicht an einen unterstellten Tatbestand das fingierte Recht zur Kriegsdienstverweigerung, sondern verzichte für bestimmte Fälle lediglich auf eine fragwürdige, häufig irrtumsbehaftete, von außen kommende Überprüfung der Echtheit der Gewissensentscheidung. Statt dessen verlange er den Wehrpflichtigen die Bereitschaft zur Konsequenz in Form der Heranziehung zum Zivildienst als "lästige Alternative" ab. Ungediente Wehrpflichtige, die sich gegen den Wehrdienst entscheiden, erfüllten ihre Wehrpflicht durch den zwingend vorgeschriebenen Zivildienst (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 WpflG). |
§ 25a Abs. 2 WpflG n.F. treffe die notwendigen Vorkehrungen, daß ein - mit keiner gesetzlichen Regelung ganz auszuschließender - Mißbrauch des Kriegsdienstverweigerungsrechts die Erfüllung des verfassungsrechtlichen Verteidigungsauftrages nicht gefährde. Im Hinblick auf Art. 87a Abs. 1 GG sei die Vorschrift verfassungskonform so auszulegen, daß die Möglichkeit, eine ausreichende Zahl auch hinreichend qualifizierter Wehrpflichtiger einzuberufen, stets sichergestellt sein müsse. Zwischen Abs. 1 und Abs. 2 des § 25a WpflG n.F. bestehe ein funktionaler Zusammenhang: Innerhalb einer Frist von maximal zwei Jahren müsse die Bundesregierung, ohne daß ihr insoweit ein Ermessensspielraum eingeräumt sei, entscheiden, ob der Bedarf an Wehrpflichtigen gedeckt werden könne oder ob das modifizierte Prüfungsverfahren wieder für alle Wehrpflichtigen in Gang gesetzt werden müsse. Zur Zeit des Gesetzesbeschlusses habe man angesichts des Überangebots an ungedienten Wehrpflichtigen in den kommenden Jahren davon aus gehen können, daß die zu erwartenden Zahlen der Kriegsdienstverweigerer den Erlaß der in § 25a Abs. 2 WpflG n.F. vorgesehenen Rechtsverordnung nicht erforderlich machen würden. Auch wenn sich diese Erwartung nicht erfüllen sollte, sei das angegriffene Gesetz deshalb nicht verfassungswidrig. Die neue Regelung stelle wie die bisher geltende einen Versuch dar, die aus dem Konflikt zwischen Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung und verfassungsrechtlichem Verteidigungsauftrag und allgemeiner Wehrpflicht erwachsenden Schwierigkeiten angemessen zu lösen; der Gesetzgeber halte sich in dem Prognosespielraum, der ihm auch hier offenstehe. |
Der allgemeine Gleichheitssatz werde durch das Wehrpflichtänderungsgesetz nicht verletzt. Der Gesetzgeber, dem auch bei Regelung der Ausnahmen von der allgemeinen Wehrpflicht Gestaltungsfreiheit eingeräumt sei, habe gute Gründe gehabt, auf das mangelhafte Anerkennungsverfahren versuchsweise zu verzichten. Allerdings könne das neue Erklärungsverfahren zur Freistellung solcher Wehrpflichtiger von der Wehrdienstpflicht führen, die im bisher praktizierten Prüfungsverfahren nicht anerkannt worden wären. Auch diese Wehrpflichtigen genügten indessen ihrer Wehrpflicht dadurch, daß sie Zivildienst leisten müßten. Mit der Ausgestaltung des Zivildienstes zu einer echten, gleichbelastenden und gleichwertigen Alternative zum Wehrdienst werde an der allgemeinen Wehrpflicht festgehalten und die Wehrgerechtigkeit gewahrt. Diese Gesetzeslage könne nach der Zahl der vorhandenen und noch zu schaffenden Zivildienstplätze auch tatsächlich realisiert werden, so daß mit der Abgabe der Weigerungserklärung keine erhöhte Chance verbunden sei, von der Erfüllung der Wehrpflicht in irgendeiner Form ganz freizukommen. In den Monaten seit dem Inkrafttreten des Wehrpflichtänderungsgesetzes seien 90 bis 95 v. H. der zur Verfügung stehenden Kriegsdienstverweigerer zum Zivildienst einberufen worden. Einen Rechtsanspruch der "echten" Kriegsdienstverweigerer auf Überprüfung und Anerkennung gebe es nicht. Eine unter dem Blickpunkt der Menschenwürde und der vollen Achtung der Gewissensentscheidung immer fragwürdig bleibende Gewissenserforschung sei nicht um ihrer selbst willen, sondern allenfalls insoweit Aufgabe des Staates, als sie sich zur Erfüllung des Verteidigungsauftrages in einer alle Wehrpflichtigen gleich belastenden Weise als unerläßlich erweise. |
Die Unterscheidung zwischen den von § 25a Abs. 1 und § 25b Abs. 1 WpflG n.F. erfaßten Gruppen von Wehrpflichtigen knüpfe an ein sachgerechtes Differenzierungsmerkmal an: Nur Soldaten sowie gediente, einberufene und vorbenachrichtigte Wehrpflichtige seien schon in irgendeiner Weise in die Organisation der Streitkräfte eingefügt und müßten nach den Einsatzplänen der Bundeswehr im Bedarfsfall sofort zur Verfügung stehen. Der Verfassungsauftrag, die Einsatzbereitschaft der Verteidigungsstreitkräfte jederzeit voll zu wahren, rechtfertige es, bei diesen Wehrpflichtigen die jederzeitige Geltendmachung des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG zu begrenzen. Auch die Rechtsverordnungsermächtigung nach § 25a Abs. 2 WpflG n.F. beruhe auf einem sachlich einleuchtenden Grund: Die Funktion des modifizierten Prüfungsverfahrens auf Grund der Rechtsverordnung bestehe darin, zur Gewährleistung der vollen Funktionsfähigkeit der Verteidigungsstreitkräfte die Möglichkeit mißbräuchlicher Inanspruchnahme des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG so gering wie möglich zu halten. Es sei aber ebensowenig willkürlich, wenn der Gesetzgeber ein zwar nicht verfassungswidriges und auch nicht gänzlich ungeeignetes, aber doch unbestritten mangelhaftes Prüfungsverfahren so selten wie möglich durchführen lasse. Es bestünden sachliche Gründe, unter bestimmten Voraussetzungen jeweils das eine oder das andere der beiden gleichermaßen gerechtfertigten Verfahren anzuwenden.
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b) § 25a Abs. 2 WpflG n.F. verstoße weder gegen Art. 20 Abs. 2 noch gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Der Bundesregierung werde durch die genannte Bestimmung keine Verfügungsmacht über die Grundlagen der Wehrverfassung eingeräumt. Das angegriffene Gesetz halte formell und materiell an der all gemeinen Wehrpflicht fest. Der versuchsweisen Abschaffung der bisherigen Gewissenserforschung bei ungedienten Wehrpflichtigen werde lediglich eine besondere Sicherung beigegeben, über deren Einsatz die Bundesregierung ohne Ermessensspielraum zu befinden habe. Die Vorschrift sei ein gelungener Modellfall für das Zusammenwirken von Parlament und Regierung bei einer flexiblen Aufgabenbewältigung: Das Parlament habe die Grundentscheidung für die teilweise Abschaffung des Prüfungsverfahrens getroffen und sich gleichzeitig in Form des Kassationsrechts weiterhin die Herrschaft über das legislatorische Programm gesichert; die Befugnis der Regierung beschränke sich darauf, unter genau umschriebenen Voraussetzungen von einem Verfahren zu einem anderen zu wechseln, wobei beide Verfahrensvarianten bereits im Gesetz genau geregelt seien. |
c) Das angegriffene Gesetz sei ohne die Zustimmung des Bundesrates gültig zustandegekommen. Die Änderungen des materiellen Rechts bewirkten keine wesentliche Änderung in Bedeutung und Tragweite der Verfahrensvorschriften. Rein tatsächliche, möglicherweise sogar vorübergehende Verschiebungen im Geschäftsanfall als Folge der Gesetzesausführung könnten schon aus Gründen der Rechtssicherheit nicht die Zustimmungsbedürftigkeit begründen. Im übrigen seien die Materien des Wehrpflicht- und Zivildienstrechts ohnehin mit Zustimmung des Bundesrates der Bundeseigenverwaltung übertragen worden, so daß die Länder nunmehr vom Vollzug ausgeschlossen seien.
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Auf § 14b Abs. 3 ZDG n.F. sei Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG schon nach seinem Wortlaut nicht anzuwenden. Die Übertragung einer Verwaltungsaufgabe auf eine oberste Bundesbehörde ohne gleichzeitige Schaffung oder Erweiterung eines bundeseigenen Verwaltungsunterbaus werde, wie auch Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG zeige, vom grundgesetzlichen Zustimmungsvorbehalt des Bundesrates nicht erfaßt. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Kompetenz des Bundes aus der Natur der Sache folge. Über die Anerkennung des Trägers eines Friedens- oder Ver söhnungsdienstes könne wegen der stark außenpolitischen Natur der hier zu treffenden Entscheidung in sachgerechter Weise nur der Bund befinden. Auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung hätte der Bund durch zustimmungsfreie Verwaltungsvorschriften nach Art. 86 GG die Frage der Anerkennung regeln können; auch eine Bundesoberbehörde ohne Verwaltungsunterbau hätte ohne Zustimmung des Bundesrates mit der Wahrnehmung dieser Verwaltungsaufgabe beauftragt werden dürfen. |
2. Der Bundesrat teilt die Auffassung der Antragsteller, daß das Wehrpflichtänderungsgesetz gemäß Art. 87b Abs. 2 GG seiner Zustimmung bedurft hätte.
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Die Funktion der Kreiswehrersatzämter sei in einer der Neuübertragung von Verwaltungsaufgaben auf den Bund gleichkommenden Weise geändert worden. Ihre neue Aufgabe bestehe darin, die Erklärungen der Kriegsdienstverweigerer mit konstitutiver Wirkung entgegenzunehmen. Außerdem verleihe das Änderungsgesetz den nicht ausdrücklich geänderten Vorschriften über das Verwaltungsverfahren im Wehrpflicht- und im Zivildienstgesetz eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite. Die zu erwartende, in den Verwaltungsraum der Länder hineinreichende erhebliche Ausweitung der Vollzugskompetenzen des Bundes im Bereich des Zivildienstes sei von der früher erteilten Zustimmung des Bundesrates nicht mehr gedeckt. Schließlich sei mit der Anerkennung von Friedensdiensten gemäß § 14b Abs. 3 ZDG n.F. eine neue Verwaltungsaufgabe des Bundes geschaffen worden; ein Ausnahmefall stillschweigender Ermächtigung des Bundes aus der Natur der Sache komme angesichts der ausdrücklichen Regelung des Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG nicht in Betracht.
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3. Für die Bundesregierung hat sich der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung zu den Normenkontrollanträgen geäußert. Er hält sie für unbegründet und stützt seine Stellungnahme in wesentlichen Punkten auf die gleichen Erwägungen, wie sie vom Bundestag vorgetragen worden sind. Insbesondere legt er dar:
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a) Das Grundgesetz verpflichte den Gesetzgeber nicht, das bisherige Anerkennungsverfahren für Kriegsdienstverweigerer beizubehalten. Die Praxis dieses Verfahrens habe im Laufe der Zeit zu schwerwiegenden, den Kernbereich des Art. 4 Abs. 3 GG berührenden Mißständen geführt. Das individuelle Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 GG sei mehr und mehr kollektiv und politisch motiviert ausgeübt worden. Verbände und politische Gruppen hätten die Antragsteller aus teils verfassungswidrigen Zielvorstellungen auf das anhand der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte erlernbare, "richtige" Verhalten im Verfahren durch Verteilung vorgedruckter Antragsformulare und ausgefeilter Anleitungen vorbereitet. Dadurch seien andere Antragsteller, die darauf vertraut hätten, ihre individuelle Gewissensentscheidung "unpräpariert" glaubhaft darlegen zu können, in die Gefahr geraten, unter Vergewaltigung ihres Gewissens nicht anerkannt zu werden. Das nahezu ausschließlich auf eine Beurteilung der Selbstdarstellung der Antragsteller angewiesene Prüfungsverfahren habe Verweigerer mit gutem Ausdrucksvermögen ungerechtfertigt begünstigt. Unterschiedliche Beurteilungen gleicher Sachverhalte durch die verschiedenen Prüfungsgremien und Gerichte, wie sie sich insbesondere in den stark voneinander abweichenden Anerkennungsquoten niedergeschlagen hätten, seien unvermeidbar gewesen. Die bisherige Rechtslage habe dazu geführt, Gewissensnot nur vorzutäuschen. Die hierdurch hervorgerufene sittliche Destabilisierung sei in ihren Auswirkungen gravierender als eine gewisse Zahl unaufgeklärt bleibender, möglicherweise unberechtigter Erklärungen nach § 25a Abs. 1 WpflG n.F. Eine hinreichend sichere Garantie für die Ernsthaftigkeit der mit der Abgabe der Erklärung behaupteten Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe, auf die das Wehrpflichtänderungsgesetz als Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG keineswegs verzichte, folge jetzt aus der - rechtlich und tatsächlich - zwangsläufig und unverzüglich eintretenden Pflicht zum Zivildienst als einer im Verhältnis zum Wehrdienst unan genehmen Alternative. "Unechte" Kriegsdienstverweigerer, die es auch bisher in unbekannter Zahl gegeben habe, könnten hierdurch eher noch zuverlässiger als im alten Prüfungsverfahren ausgeschieden werden. Zivildienst sei nicht attraktiver als Wehrdienst, sondern könne zumindest in Friedenszeiten physisch wie psychisch belastender als die Ableistung des Grundwehrdienstes sein. Ein hiervon abweichendes Bild bei den Wehrpflichtigen könne durch gezielte Aufklärung über die tatsächlichen Verhältnisse im Zivildienst, die ihrerseits durch administrative Maßnahmen im erforderlichen Maße mit dem Ziel des Ausbaus einer "lästigen Alternative" beeinflußt werden könnten, korrigiert werden. Solche Maßnahmen seien in Vorbereitung. Der Zivildienst dauere 3 Monate länger als der normale Grundwehrdienst. Es sei damit zu rechnen, daß auf Dauer verfügbare Zivildienstpflichtige in größerem Umfang einberufen werden könnten als Wehrpflichtige in Zukunft zum Wehrdienst herangezogen werden müßten. Soldaten hätten im Rahmen des Grundwehrdienstes Möglichkeiten beruflicher Fortbildung, die den Zivildienstleistenden verschlossen blieben. |
Verfassungsrechtlich gewährleistet sei nicht die allgemeine Wehrpflicht, sondern die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr. Auf letztere sei die allgemeine Wehrpflicht funktional bezogen, ohne über eine verfassungsrechtliche Ermächtigung hinaus selbst ein eigenständiges bindendes Verfassungsprinzip darzustellen. Diese allgemeine Wehrpflicht werde durch die teilweise Abschaffung der Gewissensprüfung nicht angetastet.
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Funktionsfähigkeit der Landesverteidigung und Einsatzbereitschaft der Bundeswehr seien unbestimmte Verfassungsbegriffe, die ihrer Natur nach nur durch politische Erwägungen ausgefüllt werden könnten. Das Bundesverfassungsgericht dürfe den Inhalt dieser Begriffe nicht positiv festlegen, sondern könne nur negativ aussprechen, daß konkrete Maßnahmen mit ihnen nicht mehr vereinbar seien, wenn und soweit sie die Funktionsfähigkeit der Verteidigung evident beeinträchtigten. Der sich aus den Haushaltsgesetzen ergebende Bedarf der Bundes wehr an Grundwehrdienstleistenden könnte in der Zukunft selbst dann noch gedeckt werden, wenn die Zahl der Kriegsdienstverweigerer erheblich ansteigen sollte. Einem Bedarf von jährlich etwa 200 000 Grundwehrdienstleistenden stünden in den Jahren bis 1983 anwachsende Geburtenjahrgänge von 433 000 bis 500 000 Männern gegenüber. Solange durch die stetige Heranziehung neuer ungedienter Wehrpflichtiger zum Wehrdienst ein gleichbleibender und ausreichender Nachwuchs an Reservisten sichergestellt sei, bleibe die Funktionstüchtigkeit der Bundeswehr auch in einem Verteidigungsfall gewährleistet. In qualitativer Hinsicht hänge eine einsatzbereite Landesverteidigung mit Sicherheit nicht davon ab, daß in die Streitkräfte auch politisch motivierte, möglicherweise zu passiver oder gar aktiver Resistenz neigende Kriegsdienstverweigerer eingegliedert würden. Das Problem "unechter" Kriegsdienstverweigerer sei mithin für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr nach den gegenwärtigen Erkenntnissen irrelevant. Gerade deshalb habe der Gesetzgeber das mit Unzulänglichkeiten und Schwierigkeiten verbundene Prüfungsverfahren in Friedenszeiten nicht mehr uneingeschränkt für notwendig gehalten. Selbst wenn diese dem Wehrpflichtänderungsgesetz zugrundeliegende Prognose sich als unzutreffend erweisen sollte, würde hieraus, ebenso wie aus der bisher möglicherweise nicht ausreichenden, indessen im Normenkontrollverfahren nicht erzwingbaren Ausgestaltung des Zivildienstes zu einer "lästigen Alternative", nicht die gegenwärtige Verfassungswidrigkeit des Gesetzes folgen. Der Gesetzgeber, der im übrigen verpflichtet sei, die Erfüllung des Verfassungsauftrages zur Bereitstellung einer funktionsfähigen Landesverteidigung notfalls auch durch erneute Änderung des Gesetzes sicherzustellen, habe hier die erforderliche Vorsorge bereits mit der Ermächtigung des § 25a Abs. 2 WpflG n.F. getroffen. |
Auch aus dem Gleichheitssatz folge keine Verpflichtung, ein Verfahren zur Gewissensprüfung beizubehalten. Die bisher praktizierte Gewissensüberprüfung habe ihrerseits in erhebli chem Umfang zu Verstößen gegen den Gleichheitssatz geführt: Geschulte und ungeschulte, sprachgewandte und sprachungewandte Antragsteller hätten bei nicht hinreichend objektivierbaren Prüfungsmaßstäben der verschiedenen Prüfungsgremien ohne sachlichen Grund ganz unterschiedliche Aussichten gehabt, anerkannt zu werden. Nach dem neuen Recht bestehe die verhältnismäßig zuverlässigste Methode, "unechte" von "echten" Kriegsdienstverweigerern zu trennen, darin, daß der Zivildienst - gegebenenfalls durch administrative Maßnahmen im Rahmen des Zumutbaren und verfassungsrechtlich Zulässigen - in genügend hohem Grade weniger attraktiv als der Wehrdienst ausgestaltet werde. Im übrigen gehe Art. 12a GG von der Vergleichbarkeit der Pflichten und Belastungen für Wehrdienstleistende und Zivildienstleistende aus; hieran knüpften § 3 Abs. 1 WpflG und die Ausgestaltung des Zivildienstes im Zivildienstgesetz an. Mit der Verpflichtung, einen solchen Zivildienst zu leisten, werde den Kriegsdienstverweigerern der verfassungsrechtlich gebotene Test für die Echtheit ihrer Gewissensentscheidung auferlegt. Die im angegriffenen Gesetz angelegte Möglichkeit, Gewissensentscheidungen wesentlich zuverlässiger, gerechter und menschenwürdiger als bisher zu prüfen, dürfe nicht verbaut werden. |
§ 25b Abs. 1 und § 25a Abs. 2 WpflG n.F. regelten andersartige Sachverhalte, die einen Vergleich mit der in § 25a Abs. 1 WpflG n.F. getroffenen Regelung nicht zuließen. Der hohe verfassungsrechtliche Rang der Funktionsfähigkeit der Bundeswehr rechtfertige die unterschiedliche Ausgestaltung des Verfahrens zur Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern je nachdem, ob es sich um bereits eingeplante oder zur Auffüllung der Verbände benötigte Wehrpflichtige oder um andere ungediente Wehrpflichtige handele. Nach dem Inkrafttreten einer Rechtsverordnung gemäß § 25a Abs. 2 WpflG n.F. würden alle Wehrpflichtigen gleich behandelt; derartige Rechtsänderungen berührten den Gleichheitssatz nicht.
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c) Das angegriffene Gesetz enthalte keinen neuen Einbruch in den Verwaltungsbereich der Länder und ändere nicht den Gegenstand und die Organisationsform der durch frühere Gesetze mit Zustimmung des Bundesrates geschaffenen Bundeseigenverwaltung im Wehrersatzdienstwesen und im Zivildienstwesen. Eine über quantitative Verschiebungen im Geschäftsanfall hinausgehende qualitative Veränderung der Verwaltungstätigkeit des Bundes im Sinne einer Übertragung neuer Aufgaben werde nicht herbeigeführt. Die Umgestaltung des Prüfungsverfahrens für Kriegsdienstverweigerer habe Auswirkungen nur im Bereich der Bundesverwaltung, nicht aber auf das Verwaltungsverfahren der Länder. Sollte über die bereits früher mit Zustimmung des Bundesrates in § 5a Abs. 2 ZDG geschaffene Möglichkeit, Verbände mit der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben zu beauftragen, hinaus als Folge des angegriffenen Gesetzes ein bundeseigener Verwaltungsunterbau erforderlich werden, so müßte er durch späteres Gesetz, das dann allerdings zustimmungsbedürftig sei, eingerichtet werden. Die zwingende Notwendigkeit eines solchen Verwaltungsunterbaus sei aber durch die materiell-rechtlichen Änderungen im Wehrpflichtänderungsgesetz selbst keineswegs schon vorab entschieden. Bloße Prognosen über die Erforderlichkeit eines bundeseigenen Verwaltungsunterbaus könnten die Zustimmungsbedürftigkeit des Änderungsgesetzes nicht begründen.
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Die dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung in § 14b Abs. 3 ZDG n.F. übertragene Zuständigkeit finde ihre Grundlage nicht in Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG, sondern in der sich aus ungeschriebenem Verfassungsrecht ergebenden Verwaltungszuständigkeit des Bundes für solche Aufgaben, die nach der Natur der Sache allein vom Bund erfüllt werden könnten. Die Frage, welche Vorhaben den Interessen der Bundesrepublik Deutschland dienten, könne im Hinblick auf Art. 32 Abs. 1 G allein vom Bund entschieden werden. |
IV. |
In der mündlichen Verhandlung vom 30. November und 1. Dezember 1977 hat das Gericht den Ministerialdirektor Dr. Hahnenfeld vom Bundesministerium der Verteidigung zu tatsächlichen Fragen des Wehrersatzwesens sowie den Bundesbeauftragten für den Zivildienst, Iven, zu Fragen der Einberufung von Kriegsdienstverweigerern zum Zivildienst und der Abwicklung des Zivildienstes als Auskunftspersonen gehört.
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B. |
Das Wehrpflichtänderungsgesetz ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und deshalb nichtig.
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Die in ihm enthaltene Regelung, wonach ungediente Wehrpflichtige, die weder einberufen noch vorbenachrichtigt sind, auf Grund einer Erklärung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen gelten, sofern sie zum Zivildienst herangezogen oder angenommen worden sind oder sofern seit Abgabe der Erklärung zwei Jahre verstrichen sind (§ 25a Abs. 1 WpflG n.F.), verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3, 12a Abs. 1 und 2 GG (I).
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Das Wehrpflichtänderungsgesetz ist ferner insgesamt nicht nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustandegekommen, weil es die nach Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG erforderliche Zustimmung des Bundesrates nicht erhalten hat (II). Die Zustimmungsbedürftigkeit folgt hier, wie im einzelnen noch darzulegen ist, aus der in § 25a Abs. 1 WpflG n.F. angelegten grundlegenden Umgestaltung des Zivildienstes von einem unselbständigen Ersatz für den aus Gewissensgründen verweigerten Wehrdienst zu einer gleichgewichtig neben den Wehrdienst tretenden Pflichtenalternative und dem dadurch bewirkten neuen Einbruch in die Verwaltungskompetenz der Länder. Dies legt es nahe, im vorliegenden Fall zunächst die materiell-rechtliche Vorschrift, aus der sich dies ergibt, auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz zu prüfen. |
I. |
Das Grundgesetz geht in seinen Art. 73 Nr. 1, 87a Abs. 1 Satz 1 davon aus, daß eine funktionsfähige militärische Landesverteidigung aufgebaut und unterhalten wird. Um dies zu gewährleisten, sieht es in Art. 12a Abs. 1 GG die Möglichkeit vor, die allgemeine Wehrpflicht einzuführen. Ihr Vollzug muß dem Gebot der Wehrgerechtigkeit (Art. 3 Abs. 1 GG) genügen. Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen sind gemäß Art. 12a Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 GG von Verfassungs wegen vom Wehrdienst nach Art. 12a Abs. 1 GG befreit. Der in Art. 12a Abs. 2 GG vorgesehene Ersatzdienst ist vom Grundgesetz nicht als alternative Form der Erfüllung der Wehrpflicht gedacht; er ist nur Wehrpflichtigen vorbehalten, die den Dienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigern. Die mit der Abgabe der Erklärung nach § 25a Abs. 1 WpflG n.F. verbundene "Wahl" des Zivildienstes läßt unter den gegebenen Umständen keinen hinreichend sicheren Schluß auf eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe als notwendige Voraussetzung für die Verweigerung des Wehrdienstes zu. § 25a Abs. 1 WpflG n.F. entspricht nicht dem insoweit inhaltlich von Art. 4 Abs. 3, 12a Abs. 1 und 2 GG ausgeformten Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Dies hat die Nichtigkeit des ganzen Wehrpflichtänderungsgesetzes zur Folge.
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1. a) Gemäß Art. 73 Nr. 1 GG hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung. Nach Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG stellt der Bund Streitkräfte zur Verteidigung auf. Mit diesen nachträglich in das Grundgesetz eingefügten Bestimmungen hat der Verfassungsgeber zugleich eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung für die militärische Landesverteidigung getroffen. Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr haben verfassungsrechtlichen Rang (BVerfGE 28, 243 [261]; 32, 40 [46]). Damit nimmt die Bundesrepublik Deutschland wie andere Staaten in der vorgegebenen historisch-politischen Situation die Wehrhoheit und die Ausübung militärischer Hoheitsrechte als Ausfluß ihrer Staatsgewalt in Anspruch. Gleichzeitig wird im Einklang mit dem bereits in Art. 26 Abs. 1 GG enthaltenen Verbot des Angriffskrieges der eindeutige und unmißverständliche Wille des Verfassungsgebers zum Ausdruck gebracht, daß die Streitkräfte der Verteidigung gegen bewaffnete Angriffe dienen sollen. |
b) Nach der gewaltenteilenden Verfassungsordnung des Grundgesetzes ist es Sache des Gesetzgebers und der für das Verteidigungswesen zuständigen Organe des Bundes, diejenigen Maßnahmen zu beschließen, die zur Konkretisierung des Verfassungsgrundsatzes der militärischen Landesverteidigung erforderlich sind. Welche Regelungen und Anordnungen notwendig erscheinen, um gemäß der Verfassung und im Rahmen bestehender Bündnisverpflichtungen eine funktionstüchtige Verteidigung zu gewährleisten, haben diese Organe nach weitgehend politischen Erwägungen in eigener Verantwortung zu entscheiden. Das Bundesverfassungsgericht könnte unter diesem Blickpunkt nur dann korrigierend eingreifen, wenn einzelne Maßnahmen die im Grundgesetz getroffene Entscheidung für eine funktionsfähige Landesverteidigung evident beeinträchtigen sollten.
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Die von der Verfassung geforderte militärische Landesverteidigung kann auf der Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht, aber - sofern ihre Funktionstüchtigkeit gewährleistet bleibt - verfassungsrechtlich unbedenklich beispielsweise auch durch eine Freiwilligenarmee sichergestellt werden. Die Wahl zwischen den sich bietenden Möglichkeiten ist eine grundlegende staatspolitische Entscheidung, die auf wesentliche Bereiche des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens einwirkt und bei der der Gesetzgeber neben verteidigungspolitischen Gesichtspunkten auch allgemeinpolitische, wirtschafts- und gesellschaftspoli tische Gründe von sehr verschiedenem Gewicht zu bewerten und gegeneinander abzuwägen hat (vgl. BVerfGE 12, 45 [52]). |
Das Grundgesetz eröffnet dem einfachen Gesetzgeber - früher in Art. 73 Nr. 1 in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 26. März 1954 (BGBl. I S. 45), jetzt in Art. 12a Abs. 1 in der Fassung des 17. Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl. I S. 709) - die Befugnis, Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an der allgemeinen Wehrpflicht in den Formen des Dienstes in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband zu unterwerfen. Der Gesetzgeber hat sich mit dem Erlaß des Wehrpflichtgesetzes für die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht entschieden. Sie knüpft an eine freiheitlich-demokratische Tradition an, die bis auf die Französische Revolution von 1789 und die Reformzeit in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Ihr liegt die Vorstellung zugrunde, daß es Pflicht aller männlichen Staatsbürger ist, für den Schutz von Freiheit und Menschenwürde als den obersten Rechtsgütern der Gemeinschaft, deren personale Träger auch sie selbst sind, einzutreten. Sie findet ihre Rechtfertigung darin, daß der Staat, der Menschenwürde, Leben, Freiheit und Eigentum als Grundrechte anerkennt und schützt, dieser verfassungsrechtlichen Schutzverpflichtung gegenüber seinen Bürgern nur mit Hilfe eben dieser Bürger und ihres Eintretens für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland nachkommen kann. Mit anderen Worten: Individueller grundrechtlicher Schutzanspruch und gemeinschaftsbezogene Pflicht der Bürger eines demokratisch verfaßten Staates, zur Sicherung dieser Verfassungsordnung beizutragen, entsprechen einander (vgl. BVerfGE 12, 45 [51]; 38, 154 [167]). Aus der verfassungsrechtlichen Verankerung der allgemeinen Wehrpflicht folgt, daß ein Bundesgesetz, welches diese Pflicht in dem in Art. 12a Abs. 1 GG bezeichneten Umfang einführt, der Verfassung nicht nur nicht widerspricht (vgl. BVerfGE 12, 45 [50]), sondern eine in ihr enthaltene Grundentscheidung aktualisiert.
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c) Die allgemeine Wehrpflicht ist Ausdruck des allgemeinen Gleichheitsgedankens (BVerfGE 38, 154 [167]). Ihre Durchführung steht unter der Herrschaft des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Notwendigkeit, Wehrgerechtigkeit im Innern ebenso aufrechtzuerhalten wie die Verteidigungsbereitschaft des grundrechtsgarantierenden Staates nach außen, fordert eine hinreichend bestimmte normative Festlegung der Wehrdienstausnahmen (vgl. BVerfGE 38, 154 [167 f.]). |
Das Wehrpflichtgesetz enthält in seinen §§ 9-13b solche Bestimmungen über dauernde Wehrdienstausnahmen und vorübergehende Zurückstellungsgründe. Sind mehr wehrdienstfähige (§ 8a WpflG) und auch verfügbare Wehrpflichtige vorhanden als nach den Personalanforderungen der Truppe benötigt werden, so wird der Gleichheitssatz nicht schon dadurch verletzt, daß nicht alle Wehrpflichtigen eines Geburtsjahrgangs zur Ableistung des Grundwehrdienstes herangezogen werden. Im Interesse der bestmöglichen Deckung des Personalbedarfs ist es zum Beispiel zulässig, bei der Entscheidung über die Einberufung bestimmte, auf die Erfordernisse der Truppe bezogene Auswahlkriterien, etwa das Ergebnis einer besonderen Eignungsprüfung (§ 20a WpflG) oder den bei der Musterung festgestellten Tauglichkeitsgrad und im Zusammenhang damit auch die Jahrgangszugehörigkeit, zugrunde zu legen. Allerdings darf nicht außer Betracht bleiben, daß die Heranziehung zum 15 Monate dauernden Grundwehrdienst und die weiteren wehrrechtlichen Verpflichtungen erheblich in die persönliche Lebensführung, insbesondere in die berufliche Entwicklung des Wehrpflichtigen eingreifen. Zur Wahrung der staatsbürgerlichen Gleichheit und Wehrgerechtigkeit ist es deshalb von entscheidender Bedeutung, daß die Einberufungen nicht willkürlich vorgenommen werden. Hiervon hängt nicht zuletzt auch ab, ob die individuelle Wehrbereitschaft im Sinne der Einsicht, persönliche Opfer für das Gemeinwesen erbringen zu müssen, erhalten werden kann. Wehrdienstausnahmen und Zurückstellungen müssen deshalb sachgerecht sein. Die Einberufungsanordnungen des Bundesministers der Verteidigung (§ 21 WpflG) haben sich strikt im Rahmen des Wehrpflichtgesetzes zu halten. Es ist nicht zulässig, einzelne Wehrpflichtige oder Gruppen von Wehrpflichtigen über die gesetzlich vorgezeichneten Wehrdienstausnahmen hinaus - womöglich sogar je nach dem aktuellen Personalbedarf in von Jahr zu Jahr wechselndem Umfang - von der Wehrdienstleistung grundsätzlich auszunehmen (vgl. auch BVerwGE 36, 323; 45, 197). |
2. a) Art. 4 Abs. 3 GG gewährleistet als Grundrecht unmittelbar das Recht, aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern (vgl. BVerfGE 12, 45 [53]; 28, 243 [259]; 32, 40 [45]). Das Grundgesetz geht von der Würde der freien, sich selbst bestimmenden menschlichen Persönlichkeit als höchstem Rechtswert aus (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG). In seinem Art. 4 Abs. 1 garantiert es die Unverletzlichkeit des Gewissens und die Freiheit, nach dessen als bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfahrenen Geboten handeln zu dürfen. Hieran knüpft Art. 4 Abs. 3 GG an und räumt - im Vergleich mit anderen demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassungen in bemerkenswert weitgehender Weise - selbst in ernsten Konfliktslagen, in denen der Staat seine Bürger besonders fordert, dem Schutz des freien Gewissens des Einzelnen den Vorrang ein (vgl. BVerfGE 12, 45 [54 f.]). Das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen setzt selbst der verfassungsrechtlich verankerten Pflicht, sich an der bewaffneten Landesverteidigung und damit insoweit an der Sicherung der staatlichen Existenz zu beteiligen, eine unüberwindliche Schranke entgegen (vgl. BVerfGE 28, 243 [260]). Auch bei Regelungen nach Art. 4 Abs. 3 Satz 2 GG darf der Gesetzgeber dieses Grundrecht nicht in seinem sachlichen Gehalt einschränken, sondern nur die Grenzen offenlegen, die in den Begriffen des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG selbst schon enthalten sind (vgl. BVerfGE 12, 45 [53]; 28, 243 [259 ff.]; 32, 40 [46 f.]).
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b) Der Kerngehalt des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG besteht darin, den Kriegsdienstverweigerer vor dem Zwang zu bewahren, in einer Kriegshandlung einen anderen töten zu müssen, wenn ihm sein Gewissen eine Tötung grundsätzlich und ausnahmslos zwingend verbietet (vgl. BVerfGE 12, 45 [56 f.]; 23, 191 [205]; 28, 243 [262]; 32, 40 [46 f.]). Die Ableistung von Wehrdienst außerhalb dieser Zwangslage und ihres unmittelbaren Zusammenhangs, insbesondere die Leistung von Wehrdienst in Friedenszeiten, fällt nicht schlechthin in den Kernbereich des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG. Das Grundgesetz gibt indes durch die in Art. 12a Abs. 2 erteilte Ermächtigung, auf gesetzlichem Wege eine Ersatzdienstpflicht einzuführen, zu erkennen, daß es denjenigen, der den Kriegsdienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigert, auch außerhalb des von Art. 4 Abs. 3 GG geschützten Kernbereichs, mithin grundsätzlich auch in Friedenszeiten nicht zum Dienst mit der Waffe herangezogen wissen will (vgl. BVerfGE 12, 45 [56]; 32, 40 [46 f.]). Da die Freistellung vom Wehrdienst des Art. 12a Abs. 1 GG unmittelbar aus der Verfassung folgt, ist sie unter dem Blickpunkt der Wehrgerechtigkeit keinen verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt. |
c) Art. 12a Abs. 2 GG ermächtigt den Gesetzgeber, Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen zu einem Ersatzdienst zu verpflichten, der nach Art. 12a Abs. 2 Satz 2 GG die Dauer des Wehrdienstes nicht übersteigen darf. Die gesetzliche Regelung des Ersatzdienstes darf die Freiheit der Gewissensentscheidung nicht beeinträchtigen und muß auch eine Möglichkeit der Dienstleistung vorsehen, die in keinem Zusammenhang mit den Verbänden der Streitkräfte und des Bundesgrenzschutzes steht (Art. 12a Abs. 2 Satz 3 GG). Diese Verfassungsbestimmungen sind zunächst durch das Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 19. März 1956 (BGBl. I S. 111) als Art. 12 Abs. 2 Satz 2-4 in das Grundgesetz eingefügt worden und haben durch das 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl. I S. 709) ihre heute geltende Fassung erhalten. Mit ihnen wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber offen bar auch einerseits möglichen Mißbräuchen des Kriegsdienstverweigerungsrechts vorbeugen und andererseits "ein Schutzgesetz zugunsten der Wehrdienstverweigerer" ermöglichen, "um sie vor gesellschaftlicher Ächtung zu bewahren" (Adolf Arndt, NJW 1968, S. 980), da Kriegsdienstverweigerer bei Freistellung von jeder Dienstpflicht dem nicht fernliegenden diffamierenden Vorwurf ausgesetzt werden könnten, sie seien "Drückeberger". |
d) Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 WpflG wird die Wehrpflicht "durch den Wehrdienst oder im Falle des § 25 durch den Zivildienst erfüllt".
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Diese Gesetzesfassung berührt indessen nicht das verfassungsrechtlich vorgegebene Verhältnis von Wehrdienst und Ersatzdienst. Der Verfassungsgeber hat nicht etwa eine allen Staatsbürgern - also gemäß Art. 3 Abs. 2 GG auch dem weiblichen Teil der Bevölkerung - obliegende Dienstpflicht für das allgemeine Wohl zugelassen (Art. 12 Abs. 2 GG). Das Grundgesetz (Art. 12a Abs. 1 GG) sieht vielmehr mit Blick auf die in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang getroffene Verfassungsentscheidung für die militärische Landesverteidigung als einzige - primäre - Dienstpflicht die Pflicht zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband vor. Der Ersatzdienst nach Art. 12a Abs. 2 GG ist auf Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen beschränkt. Er soll, wie sich schon aus der Wortwahl (Ersatzdienst, Ersatzdienstpflicht) ergibt, nur an die Stelle des im Einzelfall rechtmäßig verweigerten Wehrdienstes treten. Denn ihre innere Rechtfertigung erfährt die Ersatzdienstpflicht allein daraus, daß nach Art. 12a Abs. 2 GG die Leistung des Wehrdienstes aus Gründen des Art. 4 Abs. 3 GG verweigert werden darf; der Zivildienst ersetzt, unbeschadet der wesensverschiedenen Aufgabenbereiche, den Wehrdienst. Der systematische Aufbau, der Zweck und die Entstehungsgeschichte des Art. 12a GG unterstreichen dies. Eine Umdeutung der Ersatzdienstpflicht in eine selbständig neben der Verpflichtung zur Ableistung des Wehrdienstes stehende Alternativpflicht ist nicht möglich.
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Hieraus folgt: Dem Verfassungsgebot der staatsbürgerlichen Pflichtengleichheit in Gestalt der Wehrgerechtigkeit wird nicht schon dadurch genügt, daß die Wehrpflichtigen entweder zum Wehrdienst oder zum Ersatzdienst herangezogen werden. Das Grundgesetz verlangt vielmehr, daß der Wehrpflichtige grundsätzlich Wehrdienst leistet, und verbietet es deshalb, in den als Ersatz des Wehrdienstes eingerichteten Zivildienst andere als solche Wehrpflichtige einzuberufen, die nach Art. 12a Abs. 2 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 GG den Dienst mit der Waffe aus Gewissensgründen verweigern dürfen. |
3. Verweigert ein Wehrpflichtiger unter Berufung auf sein Gewissen den Wehrdienst und damit die Erfüllung einer gemeinschaftsbezogenen Pflicht hohen Ranges, so muß zur Überzeugung der zuständigen Behörden hinreichend sicher erkennbar werden, daß die Verweigerung auf einer nach Art. 4 Abs. 3 GG relevanten Gewissensentscheidung beruht.
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a) Der Gesetzgeber hatte sich bisher, um dieser Forderung nachzukommen, für eine Regelung entschieden, wonach bei allen Wehrpflichtigen über die Berechtigung, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern, auf Antrag in einem besonderen mehrstufigen Prüfungs- und Anerkennungsverfahren zu entscheiden war. Ein solches Anerkennungsverfahren ist mit dem Grundgesetz vereinbar (vgl. BVerfGE 28, 243 [259]). Bei verfassungsgemäßer Handhabung auch im Einzelfall führt es nicht zu einer Verkürzung der Grundrechte aus Art. 1, Art. 4 Abs. 3 GG oder zu Verletzungen des Gleichheitssatzes. Es ist bei entsprechender Ausgestaltung auch nicht ungeeignet, das Vorliegen der Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe hinreichend zuverlässig festzustellen (vgl. BVerfGE 12, 45 [55 f.]; 12, 311 [318]). Dies gilt insbesondere dann, wenn die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Auslegung und Anwendung der §§ 25, 26 WpflG a.F. entwickelten Grundsätze (vgl. insoweit zuletzt Beschluß vom 6. Februar 1978 - 6 B. 36.77 -) beachtet werden.
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Bereits im Beschluß vom 26. Mai 1970 (BVerfGE 28, 243 [259] hat das Bundesverfassungsgericht allerdings ausgeführt, daß der Gesetzgeber zur Beibehaltung des Anerkennungsverfahrens verfassungsrechtlich nicht verpflichtet sei. Die Entscheidung sagt jedoch nicht, daß das Grundgesetz es dem gesetzgeberischen Ermessen überlasse, ob überhaupt Vorkehrungen gegen eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme der Grundrechtsposition aus Art. 4 Abs. 3 GG zu treffen seien. In Frage stand damals nur, ob die das Anerkennungsverfahren regelnden Vorschriften durch Art. 4 Abs. 3 GG gedeckt seien, und nur unter diesem Blickwinkel wurde unter Bezugnahme auf Ausführungen des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages in seinem Jahresbericht 1969 [BTDrucks. VI/453 S. 9] festgestellt, daß die gesetzliche Regelung zur Disposition des Gesetzgebers stehe. In seiner einstweiligen Anordnung vom 7. Dezember 1977 [BVerfGE 46, 337; EuGRZ 1977, S. 512] hat das Bundesverfassungsgericht die Zielsetzung des Gesetzgebers, das herkömmliche Anerkennungsverfahren durch eine nach seiner Vorstellung geeignetere Alternative zu ersetzen, als an sich verfassungsrechtlich unbedenklich bezeichnet. Hieran wird festgehalten. |
b) Der Gesetzgeber hat sich zu einer Neuregelung entschlossen, weil die Praxis des bisherigen Anerkennungsverfahrens Mängel offenbart habe (vgl. BTDrucks. 8/126, Begründung, I. Allg. S. 9). Jedenfalls solange man sich in der Praxis der Anerkennungsverfahren vielfach mit der Entgegennahme verbaler Bekenntnisse begnügte und von konkreten Feststellungen anhand z.B. von Lebensführung und bisherigem Verhalten darüber, ob die behauptete Gewissensentscheidung tatsächlich getroffen worden sei, absah, bestanden solche Bedenken zu Recht. Es ließ sich in der Tat nicht ausschließen, daß infolge unterschiedlicher Ausdrucksfähigkeit der Antragsteller, gezielter Einübung auf das "richtige" Verhalten im Verfahren und mangelnder Gleichförmigkeit der angewandten Beurteilungsmaßstäbe Wehrpflichtige als Kriegsdienstverweigerer anerkannt wurden, obwohl sie keine Gewissensentscheidung nach Art. 4 Abs. 3 GG getroffen hatten, während anderen Antragstellern die Anerkennung zu Unrecht versagt wurde. Im Hinblick auf Prüfungen, deren Ergebnisse nicht selten davon abhängig gemacht wurden, ob dem Antragsteller eine überzeugende Selbstdarstellung gelang, deren schlüssiger Vortrag erlernbar war, und die schon deshalb einen zuverlässigen Schluß auf das Vorliegen der Gewissensentscheidung erschwerten, sah sich der Gesetzgeber nicht ohne Grund zu einer Reform des Verfahrens veranlaßt. |
Die Wehrgerechtigkeit fordert indessen von jeder gesetzlichen Regelung nach Art. 12a Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 Satz 2 GG, daß nur solche Wehrpflichtige als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden, bei denen mit hinreichender Sicherheit angenommen werden kann, daß in ihrer Person die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG erfüllt sind. Zwar darf der demokratische Rechtsstaat als Gemeinschaft freier Menschen, der in der Möglichkeit freier Selbstbestimmung des Einzelnen einen gemeinschaftsbildenden Wert erkennt (vgl. BVerfGE 12, 45 [54]) und die Unverletzlichkeit des Gewissens garantiert, Erklärungen seiner Bürger über ihr Gewissen und den daraus folgenden unbedingt verpflichtenden Verhaltensgeboten nicht von vornherein mit der Unterstellung der Unwahrhaftigkeit begegnen. Diesem Gesichtspunkt hat die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte etwa dadurch Rechnung getragen, daß in Verfahren dieser Art den eigenen Erklärungen des Wehrpflichtigen eine größere Bedeutung beigelegt wird, als dies sonst im Rechtsstreit zum Nachweis einer Tatsache regelmäßig als möglich angesehen wird (Bundesverwaltungsgericht, a.a.O.). Je bedeutsamer für die Allgemeinheit und belastender für den Einzelnen jedoch die Gemeinschaftspflicht ist, mit der die vorgetragene individuelle Gewissensentscheidung in Konflikt gerät, um so weniger kann der die Erfüllung einer Pflicht für die Gemeinschaft fordernde Staat darauf verzichten, im Rahmen des Möglichen die in Anspruch genommene Gewissensposition festzustellen. Hieraus folgt: Gesetzliche Regelungen müssen ausschließen, daß der wehrpflichtige Bürger den Wehrdienst nach Belieben verweigern kann. Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3, 12a Abs. 1 und 2 GG lassen nicht zu, daß die bloße Erklärung, man sei aus Gründen des Gewissens gegen den Kriegsdienst mit der Waffe, die Freistellung von dem an sich gesetzlich von jedermann geforderten Wehrdienst bewirkt. Dies wird besonders deutlich, wenn die Leistung des Wehrdienstes mit der Waffe - aus welchen Gründen auch immer - nicht als notwendige und hinzunehmende Verpflichtung gegenüber der staatlichen Gemeinschaft allgemein anerkannt wird. Der Gesetzgeber würde mit einer solchen Regelung mißbräuchlicher Berufung auf das Gewissen Tür und Tor öffnen und Verletzungen einer Gemeinschaftspflicht in gleichheitswidriger Weise hinnehmen. |
Im übrigen ist der einfache Gesetzgeber aber frei, auf welche Weise er den Tatbestand einer Gewissensentscheidung feststellen lassen will. Statt eines besonderen Prüfungs- und Anerkennungsverfahrens stehen ihm auch andere geeignete Mittel und Wege zu Gebote.
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c) Der Regelung des § 25a Abs. 1 WpflG n.F. liegt nach dem Vortrag der Vertreter des Bundestages und der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung vom 30. November und 1. Dezember 1977 die Erwägung zugrunde, der Tatbestand einer Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst werde auch dadurch hinreichend deutlich, daß der Gesetzgeber an die Erklärung, die weiterhin nur aus Gewissensgründen abgegeben werden dürfe, unmittelbar die Verpflichtung zur Ableistung des 18 Monate dauernden Zivildienstes geknüpft habe. Damit werde demjenigen, der sich auf Gewissensgründe berufe, die Bereitschaft zur Konsequenz abverlangt. Der Zivildienst sei eine nach der Zahl der vorhandenen und noch zu schaffenden Einsatzplätze aktuelle, nach seiner Ausgestaltung unangenehme, "lästige", zumindest aber gleichbelastende Alternative zum Wehrdienst; jedenfalls könne er jederzeit in dieser Richtung weiter ausgebaut werden. Die in § 25a Abs. 1 WpflG n.F. vorgesehene Erklärung enthalte deswegen den hinreichend sicheren "Test" auf das Vorliegen der Gewissensentscheidung. Dem Gebot der Wehrgerechtigkeit werde in jedem Falle auch durch die Leistung des Zivildienstes genügt. |
Eine solche Regelung muß nicht notwendig gegen das Grundgesetz verstoßen. Allerdings kann die Leistung des Ersatzdienstes wegen des bereits dargelegten Verhältnisses, in dem die in Art. 12a Abs. 1 und 2 GG geregelten Pflichten zueinander stehen, nicht unmittelbar die Verletzung der Wehrgerechtigkeit ausräumen, die darin zu sehen wäre, daß auch "unechte" Kriegsdienstverweigerer keinen Wehrdienst leisten. Es ist aber unter bestimmten Voraussetzungen denkbar, daß durch die Übernahme einer Ersatzdienstpflicht anstelle des verweigerten Wehrdienstes die Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst so offenbar wird, daß mit "unechten" Kriegsdienstverweigerern typischerweise nicht mehr gerechnet zu werden braucht. Dabei kommt es nicht auf eine Vergleichbarkeit der Rechte und Pflichten im Wehrdienst und im Ersatzdienst an. Der Ersatzdienst hat - wie ausgeführt - in diesem Zusammenhang bei einer solchen Regelung nicht die Funktion, eine möglichst weitgehende Gleichförmigkeit der Pflichten und Belastungen zu gewährleisten, sondern allein die Aufgabe, hinreichend sicherzustellen, daß nur diejenigen Wehrpflichtigen als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden, die sich zu Recht auf Art. 4 Abs. 3 GG berufen.
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Wie eine gesetzliche Regelung, welche die Ausgestaltung des Ersatzdienstes als einzige Probe auf die Gewissensentscheidung einsetzt, beschaffen sein muß, wenn sie der Verfassung entsprechen soll, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Hierzu gehören insbesondere die vom quantitativen Ausbau des Dienstes abhängige Gewißheit, Ersatzdienst ableisten zu müssen, die Dauer des Dienstes, die Art der zu erfüllenden Aufgaben und die tatsächliche und rechtliche Ausgestaltung der Dienstverhältnisse. Der Gesetzgeber hat insoweit innerhalb des von Art. 12a Abs. 2 Satz 2 und 3 GG gezogenen Rahmens volle Gestaltungsfreiheit. Außer der Pflicht, Waffendienst zu leisten, kann er alle Pflich ten und Belastungen, welche die Wehrdienstleistenden treffen, in gleichem Maße auch den Zivildienstleistenden auferlegen. So kommt etwa in Betracht, den Zivildienst bis auf 24 Monate zu verlängern, so daß er der Dauer des Wehrdienstes einschließlich der in § 6 WpflG vorgesehenen Wehrübungen voll entspricht. Eine solche Regelung würde Art. 12a Abs. 2 Satz 2 GG nicht verletzen. Von dieser Vorschrift verwehrt sind dem Gesetzgeber nur solche Regelungen, die geeignet sind, die Freiheit der Gewissensentscheidung zu beeinträchtigen. |
4. § 25a Abs. 1 WpflG n.F. steht mit Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3, 12a Abs. 1 und 2 GG nicht in Einklang. Er stellt nicht in der verfassungsrechtlich gebotenen Weise sicher, daß nur diejenigen Wehrpflichtigen als Kriegsdienstverweigerer behandelt werden, die sich zu Recht auf Art. 4 Abs. 3 GG berufen.
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Die mündliche Verhandlung hat ergeben, daß ein großer Teil der vorhandenen und laufend hinzukommenden dienstfähigen und jeweils verfügbaren Kriegsdienstverweigerer innerhalb eines überschaubaren Zeitraums nicht zum Ersatzdienst herangezogen werden kann. Bei Inkrafttreten des Wehrpflichtänderungsgesetzes waren 155 787 Wehrpflichtige nach bisher geltendem Recht als Kriegsdienstverweigerer anerkannt, von denen 55 127 noch nicht zum Zivildienst herangezogen waren. Hinzukommen noch etwa 53 000 weitere Wehrpflichtige, die nach den Übergangsvorschriften des Art. 3 WpflÄndG ab 1. August 1977 ebenfalls wie ersatzdienstpflichtige Kriegsdienstverweigerer zu behandeln sind. Von diesem Zeitpunkt bis zum Inkrafttreten der einstweiligen Anordnung vom 7. Dezember 1977 haben noch einmal etwa 39 000 Wehrpflichtige den Wehrdienst verweigert, davon rund 33 000 durch Abgabe einer Erklärung nach § 25a Abs. 1 WpflG n.F. Im Jahre 1977 haben sich zusammen rund 70 000 Wehrpflichtige als Kriegsdienstverweigerer gemeldet gegenüber rund 40 000 Kriegsdienstverweigerern im Jahre 1976. Auch wenn davon auszugehen ist, daß ein größerer Teil der etwa 147 000 noch nicht zum Zivildienst herangezogenen Kriegsdienstverweigerer entweder wegen Überschreitung der Altersgrenze (Vollendung des 28. Lebensjahres, § 24 Abs. 1 ZDG) oder mangels Dienstfähigkeit oder Verfügbarkeit auf Dauer oder zeitweise nicht zum Zivildienst einberufen werden kann, reicht die Zahl der vorhandenen Zivildienstplätze für die Unterbringung der verbleibenden Kriegsdienstverweigerer offensichtlich nicht aus. Nicht zulässig ist es, einzelne Gruppen von Kriegsdienstverweigerern über die gesetzlich vorgesehenen Zivildienstausnahmen hinaus von vornherein und grundsätzlich von der Verpflichtung zur Ableistung des Ersatzdienstes auszunehmen. Es gelten hier die gleichen Grundsätze, wie sie für Wehrdienstpflichtige in Abschnitt B I 1c entwickelt worden sind. Demnach verstieße es gegen Art. 3 Abs. 1 GG, wenn der Bundesbeauftragte für den Zivildienst grundsätzlich davon absehen würde, die nach altem Recht anerkannten 55 127 Kriegsdienstverweigerer, die noch keinen Ersatzdienst geleistet haben - soweit sie noch verfügbar sein sollten - sowie die etwa 53 000 weiteren Wehrpflichtigen, die nach den Überleitungsvorschriften des Art. 3 WpflÄndG ab 1. August 1977 als ersatzdienstpflichtige Kriegsdienstverweigerer gelten, zum Zivildienst einzuberufen, um statt dessen möglichst viele jener Kriegsdienstverweigerer einberufen zu können, die erst nach dem 1. August 1977 die Erklärung nach § 25a Abs. 1 WpflG n.F. abgegeben haben. Es müssen vielmehr alle Gruppen der ersatzdienstpflichtigen Kriegsdienstverweigerer, sofern sie verfügbar sind, nach den gleichen Grundsätzen zum Zivildienst herangezogen werden. Für die Berechnung des Bedarfs an Zivildienstplätzen ist deshalb die Gesamtzahl der verfügbaren Kriegsdienstverweigerer zugrunde zu legen. |
Zur Zeit der Verabschiedung des Gesetzes waren für den auf 18 Monate verlängerten Zivildienst etwa 34 000 Einsatzplätze vorhanden. Davon waren nach den Angaben des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung schon Ende Juni 1977 15.669 Dienstplätze besetzt. Ende November 1977 waren nur noch etwa 11 000 Plätze besetzbar. Der überwiegende Teil der vorhandenen Zivildienstplätze ist seitens der Zivildienstträger mit Vorbehalten der verschiedensten Art, wie "Heimschlaferlaubnis", bestimmte Religionszugehörigkeit oder besondere berufliche Qualifikation des Zivildienstleistenden, versehen. Nur für etwa 1200 Zivildienstleistende sind bisher Gemeinschaftsunterkünfte vorhanden. |
Angesichts dieses Mißverhältnisses zwischen der Zahl der verfügbaren Ersatzdienstpflichtigen und der Zahl der vorhandenen und besetzbaren Einsatzplätze im Zivildienst sowie im Hinblick darauf, daß der Gesetzgeber den ihm von Art. 12a Abs. 2 Satz 2 und 3 GG für die rechtliche Ausgestaltung des Zivildienstes gezogenen Rahmen bislang nicht ausgeschöpft hat, kann die Ersatzdienstpflicht gegenwärtig nicht als eine im Verhältnis zur Wehrdienstpflicht auch nur gleichermaßen aktuelle und gleichbelastende Pflicht angesehen werden. Im Gegenteil: Sie ist nach den gegebenen Verhältnissen nicht nur keine "lästige", sondern in weitem Umfang nicht einmal eine reale Alternative. Dies gilt um so mehr, als die Zahl der Kriegsdienstverweigerungsanträge in den zurückliegenden Jahren ständig angestiegen ist. Waren es in der Zeit von 1956 bis 1967 jährlich zwischen 2400 und 5900 Anträge, so hat die Zahl der Antragsteller seitdem von 11 900 im Jahre 1968 bis auf 40 600 im Jahre 1976 zugenommen. Hierin kommt deutlich eine aus den verschiedensten Quellen gespeiste wachsende Abneigung gegen den Wehrdienst zum Ausdruck. Auch wird, besonders in der jüngeren Generation, die Gewissensentscheidung, die eine "absolute" Entscheidung ist, zunehmend mißverstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits früher als tatbestandliche Voraussetzung für die Inanspruchnahme des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG definiert, daß die Gewissensentscheidung ein "unmittelbar evidentes Gebot unbedingten Sollens" ist, das "den Charakter eines unabweisbaren, den Ernst eines die ganze Persönlichkeit ergreifenden sittlichen Gebots trägt" (BVerfGE 12, 45 [54 f.]). Hieran wird fest gehalten. Statt dessen wird heute vielfach als Gewissensentscheidung, die im Sinne der Verfassungsbestimmung Anerkennung soll beanspruchen dürfen, bereits die ernsthafte und nachdrückliche Auffassung von guter politischer Ordnung und Vernunft, sozialer Gerechtigkeit und wirtschaftlicher Nützlichkeit verstanden, letztlich also eine "relative" Entscheidung über die Zweckmäßigkeit menschlichen Verhaltens. Dieses veränderte Verständnis trägt mit zu einer erheblichen zahlenmäßigen Vergrößerung des Kreises derjenigen bei, die den Anspruch erheben, sich auf das Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 GG berufen zu können. |
Veröffentlichungen aus dem Bereich der Kriegsdienstverweigererverbände ist zu entnehmen, daß Kriegsdienstverweigerung als nachdrückliche und bewußte politische Entscheidung gegen die Bundeswehr und für einen innergesellschaftlichen Friedensdienst verstanden und dem Wehrdienst der Zivildienst als der wirkliche Friedensdienst gegenübergestellt wird (vgl. Mannhardt/Schwamborn, Schwarzbuch Kriegsdienstverweigerung [Pahl-Rugenstein-Verlag, 1974], S. 117; Schwamborn, Handbuch für Kriegsdienstverweigerer [Pahl-Rugenstein-Verlag, 1973], S. 66, 100 ff.). Die Inanspruchnahme des Kriegsdienstverweigerungsrechts wird mit genauen Anleitungen für die "richtigen" Antworten im Prüfungsverfahren offen befürwortet und eingeübt (vgl. z.B. Vogel, Alle Möglichkeiten erfolgreicher Wehrdienstverweigerung, König-Verlag 1972). Es ist allgemein bekannt, daß zahlreiche Wehrpflichtige in der Überzeugung, sich im Zivildienst sinnvoller für die Gemeinschaft einsetzen zu können als in der Bundeswehr, aus gleichgültiger oder auch ablehnender Haltung gegenüber jeder militärischen Landesverteidigung den Zivildienst dem Wehrdienst vorziehen. Auch kommen die Art der im Zivildienst zu erbringenden Tätigkeiten und die konkrete Ausgestaltung des Zivildienstverhältnisses gegenwärtig den besonderen Wünschen und Neigungen vieler Wehrpflichtiger weit mehr entgegen als der kasernierte, uniformierte und naturgemäß strengerer Disziplin unterworfe ne Waffendienst in der Bundeswehr. Dementsprechend ist § 25a Abs. 1 WpflG n.F. schon lange vor seiner endgültigen Verabschiedung als Gewährung eines freien Wahlrechts zwischen Wehrdienst und Zivildienst aufgefaßt und begrüßt worden. Gerade ein solches Wahlrecht, dessen Ausübung nur noch der Form nach auf die nach Art. 12a Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 GG geschützte Gewissensentscheidung Bezug nimmt, läßt das Grundgesetz aber nach dem verfassungsrechtlich vorgegebenen Verhältnis zwischen Wehrdienst und Ersatzdienst nicht zu. |
Die gekennzeichnete Entwicklung führte zwangsläufig dazu, daß sich das Mißverhältnis zwischen der Zahl der verfügbaren Ersatzdienstpflichtigen und der Zahl der vorhandenen und besetzbaren Einsatzplätze im Zivildienst weiter vergrößerte. Schon bei Inkrafttreten des Wehrpflichtänderungsgesetzes bestand angesichts der unzureichenden Kapazität des Zivildienstes begründeter Anlaß zu der Befürchtung, daß die Erklärung nach § 25a Abs. 1 WpflG n.F. nicht nur aus Gewissensbedenken gegen den Waffendienst, sondern zunehmend auch in der Erwartung abgegeben würde, dadurch auf jeden Fall vom Wehrdienst, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber von jeglichem Dienst freigestellt zu werden. Von diesem Zeitpunkt bis zum Erlaß der einstweiligen Anordnung hat die Zahl der Kriegsdienstverweigerer im Vergleich zu den entsprechenden Monaten des Vorjahres erheblich zugenommen und ist zuletzt beschleunigt angestiegen. Je mehr Erklärungen nach § 25a Abs. 1 WpflG n.F. aber abgegeben werden, um so mehr steigt für Nichtverweigerer die Wahrscheinlichkeit, zum Wehrdienst einberufen zu werden, während umgekehrt für Verweigerer, die Möglichkeit zum Zivildienst herangezogen zu werden, laufend geringer wird. Die Verletzung des Gleichheitssatzes liegt hier auf der Hand.
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Solange der Gesetzgeber die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht für notwendig erachtet, darf er die Verweigerung des Wehrdienstes nicht über die in Art. 12a Abs. 2 GG in Ver bindung mit Art. 4 Abs. 3 GG gezogenen Grenzen hinaus der freien, möglicherweise von anderen Motiven getragenen Entscheidung der unmittelbar Betroffenen anheimgeben, wenn die Wehrgerechtigkeit nicht Schaden nehmen soll. |
§ 25a Abs. 1 WpflG n.F. führt angesichts des unzureichenden Ausbaus des Zivildienstes - zumal gleichzeitig schon seit Jahren die Kriegsdienstverweigererzahlen anstiegen, eine verbreitete Abneigung gegen den Wehrdienst besteht und der Zivildienst vielfach bevorzugt wird - nach alledem dazu, daß die allgemeine Wehrpflicht nicht mehr in der von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3, 12a Abs. 1 und 2 GG gebotenen Weise vollzogen werden kann. Das war im übrigen auch vorauszusehen. Alle dargelegten Umstände waren dem Gesetzgeber bei der Beratung und Verabschiedung des Wehrpflichtänderungsgesetzes nicht verborgen. Seine Annahme, die Erklärung nach § 25a Abs. 1 WpflG n.F. könne wegen der mit ihr verbundenen Ersatzdienstpflicht noch als vom Gewissen getragene Entscheidung gegen den Waffendienst anerkannt werden, erweist sich deshalb rechtlich und tatsächlich als nicht tragfähig. Sie beruhte - wie schon in dem Zeitraum vom Inkrafttreten der Neuregelung bis zur mündlichen Verhandlung offenkundig geworden ist - auf einer Verkennung der gegebenen Sachlage.
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Die von der Bundesregierung angekündigten nachträglichen Maßnahmen, deren Durchführung hier unterstellt werden darf, können die Verfassungswidrigkeit des § 25a Abs. 1 WpflG n.F. nicht heilen. Auch die durch Verstärkung von Haushaltsmitteln angestrebte Erhöhung der Zahl der Zivildienstplätze auf 60 000 bis zum Jahre 1980 ändert nichts daran, daß die Gewährung einer freien Wahlmöglichkeit zwischen Wehrdienst und Ersatzdienst, als die § 25a Abs. 1 WpflG n.F. bei der gegenwärtigen rechtlichen Ausgestaltung des Zivildienstes und unter den zur Zeit anzutreffenden tatsächlichen Verhältnissen und Anschauungen aufgefaßt und wahrgenommen wird, den vom Grundgesetz gezogenen Rahmen überschreitet. Dies schließt nicht aus, daß der Gesetzgeber die mit der Neuregelung verfolgte Absicht, das herkömmliche Anerkennungsverfahren aufzugeben, neuerlich in die Tat umsetzt, wenn er die rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für eine aktuelle und geeignete Alternative geschaffen hat, die der Wehrgerechtigkeit hinreichend Rechnung trägt. |
5. § 25a Abs. 1 WpflG n.F. ist Teil einer Gesamtregelung, die ohne diese verfassungswidrige Vorschrift ihren Sinn und ihre Rechtfertigung verliert. Die Abschaffung des bisherigen Prüfungsverfahrens für kriegsdienstverweigernde ungediente Wehrpflichtige war Anlaß der Neuregelung und stellt deren Kernbestand dar. Die übrigen Bestimmungen des Wehrpflichtänderungsgesetzes sind mit dieser Norm zu einer untrennbaren Einheit verflochten, die nicht in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt werden kann. Das Gesetz muß schon deshalb als Ganzes für nichtig erklärt werden (vgl. BVerfGE 8, 274 [301]; 9, 305 [333]; 10, 200 [220]; 26, 246 [258]).
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II. |
Das Wehrpflichtänderungsgesetz bedurfte gemäß Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG der Zustimmung des Bundesrates. Die Änderung der Vorschriften über die Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern hat unmittelbar die grundlegende Umgestaltung des Zivildienstes zu einer nach Inhalt und Umfang alternativ neben den Wehrdienst tretenden zweiten Form eines Gemeindienstes zur Folge. § 2 Abs. 1 ZDG a.F. hat zwar mit Zustimmung des Bundesrates die Ausführung des Zivildienstgesetzes der Bundeseigenverwaltung übertragen. Das umfaßt indessen nicht das Einverständnis des Bundesrates, daß auch ein Gesetz über den Zivildienst dieser neuen, andersartigen Qualität in bundeseigener Verwaltung oder in Bundesauftragsverwaltung ausgeführt wird. Die in den materiell-rechtlichen Vorschriften des Wehrpflichtänderungsgesetzes angelegte neue Verschiebung von Verwaltungszuständigkeiten zu Lasten der Länder war nur mit Zustimmung des Bundesrates zulässig. Da der Bundesrat die Zustimmung verweigert hat, ist das Wehrpflichtänderungsgesetz als gesetzgebungstechnische Einheit nicht gemäß Art. 78 GG zustandegekommen (vgl. BVerfGE 24, 184 [197]; 37, 363 [381 ff.]). |
1. a) Nach Art. 83 GG werden die Bundesgesetze von den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt, soweit das Grundgesetz nichts anderes bestimmt oder zuläßt. Die grundgesetzlichen Zustimmungsvorbehalte für den Bundesrat sollen verhindern, daß in dem föderativen Gefüge "Systemverschiebungen" zu Lasten der Länder am Grundgesetz vorbei im Wege der einfachen Gesetzgebung herbeigeführt werden. Bewirkt ein Bundesgesetz, das ein mit Zustimmung des Bundesrates ergangenes Gesetz ändert, keinen neuen Einbruch in das Länderreservat des Art. 83 GG, also keine erneute Systemverschiebung, so fehlen die Voraussetzungen dafür, auch für dieses Gesetz die Zustimmung des Bundesrates zu verlangen. Nicht jedes Gesetz, das ein Zustimmungsgesetz ändert, ist schon allein aus diesem Grunde zustimmungsbedürftig (vgl. BVerfGE 37, 363 [379 ff.]).
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b) Art. 87b GG modifiziert für die Ausführung von Gesetzen auf dem Gebiet der Verteidigung den Grundsatz des Art. 83 GG. Aus dem größeren Bereich des Vollzuges solcher Bundesgesetze, die der Verteidigung einschließlich des Wehrersatzwesens und des Schutzes der Zivilbevölkerung dienen, weist Art. 87b Abs. 1 GG die Bundeswehrverwaltung im engeren Sinne unmittelbar der bundeseigenen Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau (Art. 86 GG) zu. Art. 87b Abs. 1 Satz 2 GG umschreibt den originären Tätigkeitsbereich der Bundeswehrverwaltung; Satz 3 enthält die verfassungsrechtliche Ermächtigung, der Bundeswehrverwaltung durch zustimmungsbedürftiges Bundesgesetz bestimmte weitere Aufgaben zu übertragen.
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Soweit die Ausführung von Verteidigungsgesetzen nicht von Art. 87b Abs. 1 GG erfaßt ist, legt Art. 87b Abs. 2 GG die Zuständigkeit zur Gesetzesdurchführung und den Verwaltungstyp nicht selbst fest. Die Vorschrift erlaubt aber, durch einfaches Gesetz mit Zustimmung des Bundesrates vom Grundsatz des Art. 83 GG abzuweichen und zu bestimmen, daß Verteidigungsgesetze ganz oder teilweise in bundeseigener Verwaltung mit eigenem Verwaltungsunterbau oder von den Ländern im Auftrage des Bundes ausgeführt werden. Ob von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht werden soll, haben die Gesetzgebungsorgane im Einzelfall zu entscheiden. |
Art. 87b Abs. 2 GG gehört damit zu den im Grundgesetz ausdrücklich und abschließend aufgeführten Fällen, in denen wegen besonders starker Berührung des Interessenbereichs der Länder für ein Bundesgesetz die Zustimmung des Bundesrates erforderlich ist. Wird gemäß dieser Vorschrift bestimmt, daß das Gesetz ganz oder teilweise in bundeseigener Verwaltung oder in Bundesauftragsverwaltung ausgeführt werden soll, so löst, anders als im Fall des Art. 84 Abs. 1 GG, nicht der Eingriff des Bundes in das originäre Vorrecht der Länder, das Verwaltungsverfahren und die Einrichtung ihrer Behörden in eigenen Angelegenheiten selbst regeln zu dürfen, die Zustimmungsbedürftigkeit aus. Das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates nach Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG findet seine Rechtfertigung darin, daß der Gesetzesvollzug einer Verwaltungsmaterie ganz oder teilweise - abweichend von der Regel des Art. 83 GG - einer Zuständigkeit zugeführt wird, welche die Mitwirkung der Länder entweder ganz ausschließt oder die Verwaltung der Länder doch weitgehenden Aufsichts- und Weisungsrechten des Bundes (vgl. Art. 85 Abs. 3 und 4, Art. 87b Abs. 2 Satz 2 GG) unterwirft. Ein derart prinzipieller und weitreichender Eingriff in den Grundsatz der Länderexekutive ist in dem von Art. 30, 70, 83 GG bestimmten föderativen Gefüge des Grundgesetzes ohne die Zustimmung der Länder schlechthin unzulässig. Die Zustimmung des Bundesrates ist deshalb stets erforderlich, wenn der Gesetzesvollzug einer von Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG erfaßten Verwaltungsaufgabe durch Bundesgesetz ganz oder teilweise in die Bundeseigenverwaltung übertragen und hierdurch die Ausführungszuständigkeit der Länder in vollem Umfang verdrängt wird oder wenn das Bundesgesetz von den Ländern im Auftrag des Bundes ausgeführt werden soll. |
Zustimmungsbedürftig nach Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG ist nicht nur ein solches Bundesgesetz, das den Gesetzesvollzug einer Verwaltungsmaterie erstmals den Ländern voll entzieht und in die Bundeseigenverwaltung überführt oder das bestimmt, daß es von den Ländern im Auftrag des Bundes ausgeführt wird. Das Erfordernis der Zustimmung des Bundesrates greift nach dieser Verfassungsbestimmung vielmehr auch dann ein, wenn ein Änderungsgesetz die früher mit Zustimmung des Bundesrates in die Bundeseigenverwaltung oder Bundesauftragsverwaltung überführte Verwaltungsaufgabe so umgestaltet oder erweitert, daß dieser Vorgang angesichts des Grundsatzes des Art. 83 GG einer neuen Übertragung von Ausführungszuständigkeiten auf den Bund gleichkommt. In Fortentwicklung der mit dem Beschluß vom 25. Juni 1974 (BVerfGE 37, 363) begründeten Rechtsprechung ist ein solcher Fall dann anzunehmen, wenn die Änderung materiell-rechtlicher Normen eine grundlegende Umgestaltung der Rechtsqualität der dem Bund durch früheres Gesetz übertragenen Aufgabe bewirkt und dadurch der Bestimmung über die Verwaltungszuständigkeit des Bundes inhaltlich eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite verleiht, die von der früher erteilten Zustimmung ersichtlich nicht mehr umfaßt wird. Das ist hier der Fall.
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2. Das Wehrpflichtänderungsgesetz ist ein Bundesgesetz, das im Sinne des Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG der Verteidigung einschließlich des Wehrersatzwesens dient und das nicht in den Bereich der Bundeswehrverwaltung im engeren Sinne gemäß Art. 87b Abs. 1 GG fällt. Ein Vollzug dieses Gesetzes, das die Feststellung des Kriegsdienstverweigerungsrechts unmittelbar an die Erklärung des Verweigernden und die daraufhin erfolgte Einberufung oder Annahme zum Zivildienst knüpft, bewirkt eine grundlegende qualitative Veränderung des bisherigen zivilen Ersatzdienstes. In ihren Auswirkungen auf das verfassungsrechtliche Vorrecht der Länder aus Art. 83 GG kommt dies einer neuen Übertragung der Zuständigkeit zur Durchführung des Zivildienstgesetzes in bundeseigene Verwaltung oder Bundesauftragsverwaltung gleich. Das Gesetz bewirkt deshalb eine neuerliche Systemverschiebung im föderativen Gefüge. |
a) § 2 des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst vom 13. Januar 1960 (BGBl. I S. 10) bestimmte mit Zustimmung des Bundesrates, daß der zivile Ersatzdienst unmittelbar vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung durchgeführt und damit ausschließlich in bundeseigener Verwaltung vollzogen werden sollte. Von der zunächst im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehenen Errichtung eines besonderen, dem Bundesminister für Arbeit unterstehenden Bundesamtes für den zivilen Ersatzdienst wurde wegen der geringen Zahl der Kriegsdienstverweigerer seinerzeit abgesehen (vgl. BTDrucks. III/34, § 1 des Entwurfs und Anlagen 2 und 3). § 2 in der Fassung des ebenfalls mit Zustimmung des Bundesrates beschlossenen Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst vom 28. Juni 1965 (BGBl. I S. 531) ordnete ausdrücklich an, daß das Ersatzdienstgesetz, soweit es nichts anderes bestimmte, in bundeseigener Verwaltung ausgeführt werden sollte und übertrug die Erledigung der Verwaltungsaufgaben des Bundes auf das Bundesverwaltungsamt, das den fachlichen Weisungen des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung unterlag.
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§ 2 in der Fassung des wiederum mit Zustimmung des Bundesrates zustandegekommenen Dritten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst vom 25. Juni 1973 (BGBl. I S. 669) sah erstmals die Errichtung einer selbständigen, dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung unterstehenden Bundesoberbehörde unter der Bezeichnung "Bundesamt für den Zivildienst" und die Ernennung eines Bundesbeauftragten für den Zivildienst vor. Dieser führt die dem Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung auf dem Gebiet des Zivildienstes obliegenden Verwaltungsaufgaben durch, soweit der Bundesminister nichts anderes bestimmt. Der gleichzeitig beschlossene § 5a des Gesetzes sah in seinem Absatz 1 erstmals vor, daß "Dienststellen" im Sinne von § 3 des Gesetzes mit der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben beauftragt werden können; werden Stellen der Länder beauftragt, so handeln diese - wie im Falle des § 25a Abs. 2 Satz 2 ZDG - im Auftrag des Bundes (Bundesauftragsverwaltung im Sinne von Art. 87b Abs. 2 GG). Die Neuregelung bedurfte mithin schon deshalb gemäß Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG der Zustimmung des Bundesrates. |
§ 5a Abs. 2 des Gesetzes begründete ferner die Möglichkeit, Verbände, denen "Dienststellen" angehören, mit ihrem Einverständnis mit der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben zu beauftragen. Anlaß für diese Änderungen war die ständig steigende Zahl anerkannter Kriegsdienstverweigerer und der dadurch erforderliche Ausbau des Zivildienstes (vgl. BTDrucks. 7/177, S. 9).
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b) Das Gesetz über den zivilen Ersatzdienst vom 13. Januar 1960 ist in der Vergangenheit - zumeist mit Zustimmung des Bundesrates - auch in seinen materiell-rechtlichen Bestimmungen mehrfach geändert worden. Alle diese Änderungen, einschließlich der Umbenennung des zivilen Ersatzdienstes in "Zivildienst" durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst, haben die rechtliche Natur dieses Dienstes aber unberührt gelassen. Der Zivildienst hatte weiterhin den verfassungsrechtlich vorgegebenen Charakter des Ersatzes für den verweigerten Wehrdienst, zu dem nur herangezogen werden konnte, wer zuvor in einem besonderen Verfahren als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen anerkannt worden war.
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c) Das Wehrpflichtänderungsgesetz hat die Bestimmungen über die Verwaltungszuständigkeiten im Zivildienstgesetz in der Fassung vom 9. August 1973 (BGBl. I S. 1015) nicht geändert. Das Zivildienstgesetz wird unverändert in bundeseigener Verwaltung durch eine selbständige Bundesoberbehörde und durch den Bundesbeauftragten für den Zivildienst ausgeführt (§ 2 ZDG n.F.); § 5a Abs. 1 Satz 1 und § 25a Abs. 2 Satz 2 ZDG n.F. sehen ebenfalls unverändert Bundesauftragsverwaltung vor. Das Wehrpflichtänderungsgesetz verzichtet indessen für einen erheblichen Teil der Wehrpflichtigen auf jede Überprüfung der geltend gemachten Berechtigung, den Wehrdienst zu verweigern. Die in § 25a Abs. 1 WpflG n.F. vorgesehene Erklärung erlaubt, wie bereits dargelegt, unter den gegebenen Umständen trotz der vorgeschriebenen Bezugnahme auf Art. 4 Abs. 3 GG nicht den hinreichend sicheren Schluß auf eine Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst mit der Waffe. Zum Zivildienst werden nach neuem Recht nicht mehr nur solche Wehrpflichtigen einberufen, die auf Grund überprüfter und in einem rechtsförmigen Verfahren anerkannter Gewissensbedenken den Waffendienst verweigern, sondern auch solche, die aus den verschiedensten Gründen die Leistung von Wehrdienst ablehnen und statt dessen lieber im Zivildienst tätig sind. Hierdurch wird der Zivildienst zu einer nicht nur für Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen, sondern für alle ungedienten Wehrpflichtigen faktisch wahlweise offenstehenden Alternative zum Wehrdienst umgestaltet. Diese Qualitätsveränderung des Zivildienstes zu einer eigenständig neben den Wehrdienst tretenden Form des Gemeindienstes ist in § 25a WpflG n.F. unmittelbar angelegt. Dies wird auch daran deutlich, daß ein Vollzug des Wehrpflichtänderungsgesetzes zwangsläufig erneut einen erheblichen weiteren Ausbau des Zivildienstes zur Folge hätte: Sowohl die große Zahl der bei Inkrafttreten des Wehrpflichtänderungsgesetzes vorhandenen zivildienstpflichtigen, aber noch nicht zum Zivildienst herangezogenen Kriegsdienstverweigerer als auch das beim Vollzug des neuen Rechts nach den bisherigen Erfahrungen und Erkenntnissen mit Sicherheit zu erwartende weitere Ansteigen der Zahl der Kriegsdienstverweigerer würde eine erhebliche Erweiterung des Zivildienstes über seinen bisherigen Umfang hinaus erforderlich machen. Der Gesetzgeber hat auch im Hinblick darauf den Katalog der Zivildienstausnahmen erweitert, um die Kapazität des Zivildienstes insgesamt zu erhöhen: Kriegsdienstverweigerer werden gemäß § 14b ZDG n.F. nicht zum Zivildienst herangezogen, wenn sie einen Versöh nungsdienst im Ausland leisten; § 15a ZDG n.F. erweitert die bisher nur für Zivildienstverweigerer aus Gewissensgründen bestehende Möglichkeit, von ihrer Heranziehung zum Zivildienst abzusehen, wenn sie freiwillig in einem Arbeitsverhältnis mit üblicher Arbeitszeit in einer Heil- und Pflegeanstalt tätig waren (vgl. § 15a ZDG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den zivilen Ersatzdienst vom 14. August 1969, BGBl. I S. 1105), auf alle Kriegsdienstverweigerer und auf alle nach § 4 ZDG anerkannten Beschäftigungsstellen. |
Die in die bundeseigene Verwaltung übertragene Aufgabe der Durchführung des Zivildienstgesetzes wird nach alledem durch das Wehrpflichtänderungsgesetz in Inhalt und Umfang grundlegend verändert. Diese Umgestaltung des zivilen Ersatzdienstes wirkt sich nicht nur auf die Verwaltungstätigkeit des Bundesamtes für den Zivildienst aus. Sie gibt gleichermaßen auch der in dem Zivildienstgesetz vorgesehenen Bundesauftragsverwaltung einen neuen Inhalt und eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite. Ob auch Verwaltungsaufgaben mit dieser neuen, wesentlich veränderten Bedeutung und Tragweite abweichend vom Grundsatz des Art. 83 GG vom Bund wahrgenommen werden sollen, durfte gemäß Art. 87b Abs. 2 Satz 1 GG nicht ohne erneute Zustimmung des Bundesrates entschieden werden.
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III. |
Zur Lösung der Übergangsschwierigkeiten erschien es geboten, gemäß § 35 BVerfGG eine Anordnung des aus dem Urteilstenor unter II ersichtlichen Inhalts zu erlassen, und damit die bereits in der einstweiligen Anordnung vom 7. Dezember 1977 unter Nr. 3 getroffene vorläufige Regelung aufrechtzuerhalten.
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Im übrigen richten sich die Wirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere auch die weitere Behandlung der Verfahren auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer, die vor dem Inkrafttreten des Wehrpflichtände rungsgesetzes noch nicht durch unanfechtbare Entscheidung abgeschlossen und von dem ebenfalls nichtigen Art. 3 WpflÄndG erfaßt waren, nach § 79 Abs. 2 BVerfGG. |
Hieraus ist u.a. abzuleiten, daß die am 31. Juli 1977 noch anhängig gewesenen Verfahren über Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer grundsätzlich in den Stand zurückversetzt sind, indem sie sich am 31. Juli 1977 befunden haben.
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Erklärungen nach § 25a Abs. 1 und Anträge nach § 25b Abs. 1 des Wehrpflichtgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. November 1977 (BGBl. I S. 2021) gelten nicht als Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer nach dem am 31. Juli 1977 geltenden Recht.
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Ferner gelten Entscheidungen auf Anträge nach § 25b Abs. 1 des Wehrpflichtgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. November 1977 als nicht ergangen, sofern sie nicht bis zum Ablauf des 15. Dezember 1977 unanfechtbar geworden sind.
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IV. |
Die Entscheidung zu B I ist mit 7 gegen 1 Stimme, die Entscheidung zu B II mit 6 gegen 2 Stimmen ergangen.
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Dr. Zeidler, Dr. Rinck, Wand, Hirsch, Dr. Rottmann, Dr. Niebler, Dr. Steinberger, Träger |
Abweichende Meinung des Richters Hirsch zu dem Urteil des Zweiten Senats vom 13. April 1978 - 2 BvF 1,2,4,5/77 - |
Das Urteil des Zweiten Senats ist unter Verstoß gegen § 16 BVerfGG ergangen; der Senat hätte das Plenum des Bundesverfassungsgerichts anrufen müssen.
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Die angegriffene Novelle ist verfassungskonform und auch verfassungsgemäß zustandegekommen.
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I. |
Wenn der Senat zur Begründung seiner Entscheidung meint, Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3, 12a Abs. 1 und 2 GG lasse nicht zu, daß die "bloße" Erklärung, man sei aus Gründen des Gewissens gegen den Kriegsdienst mit der Waffe, die Freistellung von dem an sich gesetzlich von jedermann geforderten Wehrdienst bewirke, so widerspricht dies der Rechtsauffassung, die der Erste Senat in seiner Entscheidung vom 26. Mai 1970 (BVerfGE 28, 243 [259]) als relevante Auslegung von Art. 4 Abs. 3 GG dargelegt hat: Der Gesetzgeber sei nicht gehindert, aus dringenden praktischen Gründen das Anerkennungsverfahren zu beseitigen. Daß dies zu einer Befreiung vom Wehrdienst auf Grund einer "bloßen" Erklärung im Sinne von Art. 4 Abs. 3 GG führen könnte, kann der Erste Senat nicht übersehen haben. Da sich die Rechtstatsachen, wie zum Beispiel die allgemeine Wehrpflicht, nicht geändert haben, kann auch nicht angenommen werden, daß die frühere Entscheidung im Sinne von § 16 BVerfGG obsolet geworden sein könnte. Schließlich erübrigte auch die Mitwirkung eines Richters an beiden Entscheidungen nicht die Anrufung des Plenums.
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II. |
Die jetzt erhobene Forderung des Zweiten Senats nach einem Verfahren, das "gewährleistet, daß nur solche Wehrpflichtige als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden, bei denen mit hinreichender Sicherheit angenommen werden kann, daß in ihrer Person" (!) "die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG erfüllt sind", ist aus der Verfassung nicht herzuleiten.
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Art. 4 Abs. 3 GG ist ein Fall des Art. 4 Abs. 1 GG und will den Kriegsdienstverweigerer schützen, der nur gegen sein Gewissen mit der Waffe am Kriege teilnehmen könnte. Sein Schutz ist gegeben, wenn er durch entsprechende Erklärung - im Krieg und Frieden (Art. 4 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 12a GG) - von der Wehrpflicht freigestellt ist. Der mögliche Miß brauch des Grundrechts beeinträchtigt nicht den Schutz der Gewissensfreiheit. |
Damit ist zwar nicht ein Verfahren zur Verhütung von Mißbrauch verboten (BVerfGE 12, 45 [55 f.]; 28, 243 [259]); aber die Zulässigkeit bedeutet kein Gebot. Für die gegenteilige Behauptung gibt auch das Bundesverwaltungsgericht, auf das sich der Senat bezieht, bis zum jüngsten Beschluß vom 6.2.1978 (6 B 36.77) keine Begründung; es sei denn, die Rechtskraft und der Hinweis auf die eigene ständige Rechtsprechung, daß "Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit und verbales Bekenntnis eines Wehrpflichtigen allein nicht ausreichen", um eine Gewissensentscheidung hinreichend sicher festzustellen, könnten die rechtsstaatlich-demokratische Forderung nach Überzeugungskraft (vgl. BVerfGE 6, 32 [44 f.]) ersetzen (dazu schon Zasius, im Jahre 1518, zit. nach Erik Wolf, Rechtsphilosophische Studien, 1972. S. 165).
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Der Hinweis des Senats auf einen Konflikt zwischen der "verfassungsrechtlich verankerten allgemeinen Wehrpflicht" und der "Notwendigkeit, die Verteidigungsbereitschaft des grundrechtsgarantierenden Staates nach außen aufrechtzuerhalten", einerseits und dem Grundrecht des Art. 4 Abs. 3 GG andererseits trägt die Forderung nach einer "hinreichend sicheren Erkenntnis" nicht. Die Konstruktion eines solchen verfassungsrelevanten Spannungsverhältnisses beruht in tatsächlicher Hinsicht auf der nicht belegten (militärpolitischen) Annahme, daß ohne "Gewissensprüfung" im Falle des Art. 4 Abs. 3 GG der Staat wehrlos werden könnte; sie ist rechtlich nicht haltbar, weil die allgemeine Wehrpflicht, die incident eine conditio sine qua non für das gedachte Spannungsverhältnis darstellt, kein Verfassungsgebot, sondern "nur" ein einfach-rechtliches Gebot ist und nicht mit dem Verteidigungsauftrag der Verfassung identifiziert werden darf. Der Senat hält selbst eine Berufsarmee als Alternative für zulässig.
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Wenn der Senat dennoch die allgemeine Wehrpflicht als "verfassungsrechtlich verankert" bezeichnet und in ihr - ohne fallbezogene Erläuterung - den "Ausdruck des allgemeinen Gleichheitsgedankens" (zit. aus BVerfGE 38, 154 [167], aber dort mit anderer Fragestellung) sieht, besteht die Gefahr, Art. 4 Abs. 3 GG als "Ausnahmerecht" für "weniger treue" Bürger (Heinemann, NJW 1961, S. 356 zu BVerfGE 12, 45) zu handhaben und "das uneinschränkbare Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung in einzelnen Beziehungen", also zum Beispiel durch eine staatliche Prüfungskompetenz, zu begrenzen. |
Wie auch immer die Wendung von der "Begrenzung" (aus BVerfGE 28, 243 [261], wo sie fallbezogen eindeutig war) oder von der "Offenlegung der Grenzen" (so der "Formelkompromiß" des Senats) ausgelegt werden mag, es bleibt zu beachten, daß Art. 4 Abs. 3 GG Gewissensfreiheit bedeutet, die sich aus dem Grundrecht der Religionsfreiheit entwickelt hat und zum "Menschenrecht" geworden ist (vgl. BVerfGE 32, 98 [107]; Erik Wolf, Recht des Nächsten, 1958, S. 13 mit Verweisungen; Adolf Arndt, JZ 1960, S. 274; Helmut Simon, Das Recht zur Kriegsdienstverweigerung ..., in: Theologische Existenz heute, 1965, S. 32 ff., unter Bezug auf die Geschichte sowie die Motive zu Art. 4 Abs. 3 GG, insbesondere auf den Dialog zwischen den Abgeordneten Heuss, Schmid und Eberhard im Parlamentarischen Rat, Sitzung des Hauptausschusses vom 18. 1. 1949, S. 545 f.: "... Wir haben hinter uns einen Massenschlaf des Gewissens ...").
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Diese Freiheit des Gewissens ist weder disponibel noch einem staatlichen Definitionsvorbehalt unterworfen. Für die Freiheit der Religionsausübung, einem anderen Sonderfall des Art. 4 Abs. 1 GG, ist das "Selbstverständnis" der (betroffenen) Gläubigen als Kriterium für die "Grenzen" des Art. 4 Abs. 2 GG anerkannt (BVerfGE 24, 236 [245 ff.]). Damit ist sicher nicht das Recht gegeben, Grundrechte anderer zu verletzen, also z.B. im Namen einer Religion Menschen zu opfern; aber das Recht beispielsweise, sich selbst aus Gewissensgründen nicht ärztlich helfen zu lassen, könnte kaum staatlich "eingegrenzt" werden, weil auch insoweit das "Selbstverständnis" des Gläubigen das Maß der Gewissensfreiheit bestimmt. Ebenso liegt im Falle des Art. 4 Abs. 3 GG die "Definitionsmacht" beim Kriegsdienstverweigerer und nicht bei einer Instanz außerhalb des Einzelgewissens, die bestimmen könnte, was eine "absolute" oder "relative" Entscheidung ist. Deswegen sollte der Zweite Senat aus der "wachsenden Abneigung gegen den Wehrdienst" - selbst wenn sie bewiesen wäre - nicht schließen (dürfen), daß "besonders in der jüngeren Generation die Gewissensentscheidung, die eine 'absolute' Entscheidung ist, zunehmend mißverstanden" werde und "statt dessen heute vielfach" Zwecküberlegungen "als Gewissensentscheidung verstanden" werden. Eine Beweisaufnahme hätte vielleicht ergeben können, daß die wachsende Zahl der Kriegsdienstverweigerer auch als Indiz für eine zunehmende Verschärfung des Gewissens bei der jüngeren Generation denkbar ist. Im Parlamentarischen Rat wurde am 18. 1. 1949 die Hoffnung gewagt, daß Art. 4 Abs. 3 GG "eine große pädagogische Wirkung haben" werde (zit. bei Simon a.a.O.). Aber auch wenn eine neue Generation sich im Zuge der "Systemverweigerung" z.B. den Zeugen Jehovas oder dergleichen zuwenden sollte, dann wäre nach unserer Verfassung nicht die Verteidigungsunfähigkeit der Verfassungsnotstand, sondern die etwaige Änderung der Verfassung zwecks "Eingrenzung" von Art. 4 Abs. 3 GG (vgl. BVerfGE 12, 45 [53 f.]; Geiger, in: "Gewissen, Ideologie, Widerstand, Nonkonformismus", 1963, S. 72 f.). |
Nicht die Verteidigungsfähigkeit hat also im Konfliktsfalle den Vorrang, sondern das Gewissen (so auch Geißler, Das Recht der Kriegsdienstverweigerung nach Art. 4 Abs. 3 des Grundgesetzes, Diss. 1959, S. 150 ff.; ferner der Abg. Peter Nellen für die CDU/CSU-Fraktion am 4. Mai 1956 im Bundestag bei der ersten Lesung des Wehrpflichtgesetzes [Verh. d. Deutschen Bundestages, 2. Wahlper., StenBer. S. 7549 f.]: Das personale Gewissen habe absolute Souveränität gegenüber dem Staat und seinen Befehlen; es werde mit § 25 WpflG auch nicht nur die "radikalpazifistische Haltung" geschützt, mit zweckmäßigem Nachweis, sich bei den Quäkern oder Zeugen Jehovas einschreiben zu lassen, sondern auch die situationsbedingte ethische Entscheidung!). |
Diese (unbequeme) Verfassungssituation wird auch nicht durch Art. 3 Abs. 1 GG relativiert. Die vom Senat hier ins Feld geführte Idee der Wehrgerechtigkeit ist lediglich ein Argument gegen die als Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG subsumierte Ungerechtigkeit, daß viele Wehrpflichtige (die sich nicht auf Art. 4 Abs. 3 GG berufen [können]) nicht einberufen werden und deswegen "weniger zu leisten" haben als ihresgleichen, die (zum Teil zufällig) einberufen worden sind. Die berechtigten Kriegsdienstverweigerer kann man hingegen nicht als vergleichsweise "besser" gestellt ansehen. Die Wehrgerechtigkeit verlangt, daß bei der Erfüllung der Wehrpflicht nicht willkürlich oder ohne sachlich zwingenden Grund unterschiedliche Anforderungen gestellt werden (BVerfGE 38, 154). Wer aber von Verfassungs wegen nicht der Wehrpflicht unterworfen ist, kann nicht als ungerechtfertigt bevorteilt im Vergleich zum Wehrpflichtigen angesehen werden (vgl. auch Bonner Kommentar 1977, Rdnr. 106 zu Art. 12a GG unter Hinweis auf Bundesverwaltungsgericht, Beschl. vom 1. 10. 1974 - VIII B 61.73 - über die "gleichwertige Andersartigkeit" des Ersatzdienstes). Vielmehr würde es "den auf die Würde des Menschen bezogenen Gleichheitssatz verletzen, trotz Ungleichheit des Gewissens den, dessen Gewissen den Wehrdienst verbietet, ebenso zu behandeln wie einen, dem sein Gewissen einen Wehrdienst erlaubt oder gebietet" (Adolf Arndt, JZ 1960, S. 274, Anm. 6). Auch wer gemäß § 66d StPO aus Gewissensgründen nicht schwören will, ist ersatzlos vom Eide befreit, ohne deswegen im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG ungleich besser gestellt zu sein, obwohl der Eid "belastend" sein kann (vgl. BVerfG, EuGRZ 1978, S. 99).
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Eine Ungleichheit unter den Wehrpflichtigen kann allenfalls insofern durch die Novelle eintreten, als jemand eine Gewissensentscheidung im Sinne von Art. 4 Abs. 3 GG mit größerer Erfolgsaussicht als bisher vortäuschen kann. Einer so möglichen (Wehr-)Ungerechtigkeit muß aber nicht von Verfassungs wegen mit einem inquisitorischen Prüfungsverfahren zur Feststellung der Echtheit der angegebenen Gewissensentscheidung begegnet werden. Es mag unbefriedigend sein, wenn es infolge einer einfach-gesetzlichen Ausführungsregelung gemäß Art. 4 Abs. 3 GG zu einem "Massenverschleiß des Gewissens" käme (Heuß im Parlamentarischen Rat, zit. bei Simon, a.a.O.). Aber diese Ungerechtigkeit, die auf einem Mißbrauch eines Grundrechts beruhte, ist kaum schwerer wiegend als jene, die durch den politisch-militärisch bedingten Personalbedarf der Streitkräfte oder durch die wechselnde Zahl der Geburten geschaffen und toleriert wird. Im übrigen kann zwar die Ausübung einiger anderer Grundrechte zum Schutz höherrangiger Rechte einem verhältnismäßigen Erlaubnisvorbehalt unterworfen werden (vgl. z.B. BVerfGE 6, 32 [36]; 20, 365 [373]; Lisken, DRiZ 1977, S. 176); für die Rechte aus Art. 4 GG gilt dies aber nicht; sie stehen unter keinem Vorbehalt zugunsten des Staates, d.h. der Allgemeinheit (Adolf Arndt, Gesammelte juristische Schriften, 1976, S. 182). Sie können nach Ursprung und Zweck auch rechtssystematisch nicht durch Art. 3 Abs. 1 GG relativiert werden. |
Es wäre also verfassungswidrig, die Ausübung des uneinschränkbaren Grundrechts der Gewissensfreiheit von einer staatlichen Entscheidung dergestalt abhängig zu machen, daß die Behörde von der Gewissensnot des Petenten "überzeugt" werden müßte.
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Die vom Senat ersichtlich für verfassungskonform gehaltene jüngere einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts läuft indes auf solche "Beweislastverteilung" zu Lasten des Kriegsdienstverweigerers hinaus. In dem bereits erwähnten, auch vom Senat zitierten Beschluß des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. 2. 1978 heißt es nämlich über die oben bereits zitierte Sentenz hinaus, es bedürfe - neben Glaubwürdigkeit, Ehrlichkeit usw. - "vielmehr der konkreten Feststellung, ob die behauptete Gewissensentscheidung tatsächlich getroffen" sei; und daß der Kläger für seine "positive Forderung des Gewissens" ein "Beispiel der Verwirklichung" schuldig geblieben sei, müsse als nicht revisible erstinstanzliche Feststellung behandelt werden! Die in dieser "Tatsachenfeststellung" liegende Entscheidung über die Rechtsfrage der Beibringungs- und Feststellungslast ist also nach Meinung des Bundesverwaltungsgerichts richtig. Dieselbe Auffassung findet sich bereits im Urteil vom 31. 10. 1968 (BVerwGE 30, 358): Bei letzten Zweifeln müßte "nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts", also zu Lasten des Kriegsdienstverweigerers verfahren werden (ebenso BVerwGE 41, 53; weitere Belege bei Berg, MDR 1974, S. 793 ff.). |
Es hilft auch nicht, daß die Meinung des Senats, "insbesondere die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Auslegung und Anwendung der §§ 25, 26 WpflG a.F. entwickelten Grundsätze" führten nicht zu einer "Verkürzung der Grundrechte", nicht an der Bindungswirkung des § 31 BVerfGG teilnimmt; denn die weitere These des Senats von der Möglichkeit "verfassungsgemäßer Handhabung" des bisherigen Anerkennungsverfahrens, durch die jenes obiter dictum relativiert werden könnte, wird dadurch beeinträchtigt, daß der Senat - wie weiter unten noch ausgeführt wird - ohne nähere Begründung auch § 26 Abs. 4 WpflG in der Fassung der Novelle für verfassungswidrig erklärt, obwohl er im Rahmen des bleibenden Prüfungsverfahrens eine große, allseits beklagte Mißhelligkeit, nämlich das Problem des Zweifels, beheben sollte und konnte. Wird aber auch insoweit eine Verfahrensreform incident für verfassungswidrig erklärt, obwohl dies denkgesetzlich nicht geboten ist, dann führt dies im Ergebnis zu einer Perpetuierung eines Verfahrens, das zwar nach dem Wortlaut des Gesetzes zulässig ist (BVerfGE 12, 45), in der Rechtsauslegungspraxis jedoch die Ausübung des Grundrechts der Kriegsdienstverweigerung unter einen Erkenntnisvorbehalt anderer stellt. Dies halte ich - in Übereinstimmung mit Adolf Arndt (JZ 1960, S. 275) - für verfassungswidrig.
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Die Bedenken gegen solche Judikate ergeben sich auch aus Art. 1 GG. Geist, Seele und Gewissen machen den Menschen aus. Was er zutiefst weiß, wesen er sich innerlich vergewissert hat, ist zwar einem Werturteil, niemals aber mit letzter Sicherheit einem Gerichtsurteil zugänglich (so auch Bundespräsident Scheel am 5. 4. 1978 vor Offizieren der Bundeswehr in Saarbrücken, Bulletin vom 7. 4. 1978, S. 277 f.). Es geht hierbei nicht um die Frage, "ob das Gewissen überhaupt justitiabel ist" (wie Lohausen, in: Die Neue Gesellschaft, 2/1978, S. 127, im Hinblick auf die einstweilige Anordnung des Senats in dieser Sache meint), sondern darum, ob die von Art. 4 GG als Tatbestandsmerkmal normierte und daher als möglich gedachte Gewissensentscheidung stets so "hinreichend" sicher verifizierbar ist, daß nach menschlichem Ermessen keinem ehrlichen Kriegsdienstverweigerer seelisch Zwang angetan wird. Da dies nicht möglich ist und der Mensch, der gegen sein Gewissen handelnd seine Würde einbüßt, niemals zum Objekt der Staatsgewalt herabgewürdigt werden darf (BVerfGE 30, 1; 5, 85), verbietet sich - auch auf die Gefahr des Mißbrauchs - jedes Verfahren, daß von Staats wegen eine Grundrechtsbeeinträchtigung, hier eine Gewissensnot, perpetuieren würde. Auch deswegen gilt im Strafprozeß der rechtsstaatliche Grundsatz "in dubio pro reo"; deswegen braucht der Eidesverweigerer seine erklärte Gewissensentscheidung ebenfalls nicht glaubhaft zu machen (unbestrittene Meinung; vgl. Löwe-Rosenberg, StPO, 23. Aufl., 1976, Rdnr. 2 zu § 66d; ferner BTDrucks. 7/2526 S. 19: "... Das Gericht hat die Gründe nicht nachzuprüfen ... Die Erklärung ... genügt für die Anwendung des § 66d"), obwohl die Eidespflicht zu den "Gemeinschaftspflichten" des Zeugen gehört und "der Gesetzgeber mit einer solchen Regelung" - wie der Senat die Freistellung mittels "bloßer" Erklärung charakterisiert - "mißbräuchlicher Berufung auf das Gewissen Tür und Tor" geöffnet hat. Der mögliche Einwand, daß die unterschiedliche Wahrheitsbeteuerung an der Last der Wahrheitspflicht nichts ändere, verfängt nicht, wenn man - mit dem Gesetzgeber - primär an der religiösen Eidesformel festhält. |
Auch das Abgabenrecht hält trotz der naheliegenden Mißbrauchsversuchung im Rahmen des Selbstveranlagungssystems am Deklarationsprinzip fest (Adolf Arndt, JZ 1960, a.a.O.). Im Zweifel hat der Staat, der - wie im Falle des § 163 StPO - nur auf Grund konkreter Anhaltspunkte die Lüge zutrauen darf, die "Beweislast". Ebenso selbstverständlich folgt aus Art. 1 GG, daß niemand ohne konkreten, also auf Tatsachen gegründeten Tatverdacht sein Foto, seine Fingerabdrücke, seine Stimme usw. bei der Polizei zu hinterlegen hat (vgl. BVerfGE 27, 1 [6]; Benda, Gefährdung der Menschenwürde, 1975, S. 20). Für die Fälle der Inanspruchnahme der Gewissensfreiheit ist zwar oft, ähnlich wie bei Art. 3 Abs. 3 und Art. 33 Abs. 3 GG, versucht worden, Ausnahmen zu machen (vgl. zuletzt BVerfGE 46, 266 m.w. Nachw.); aber bei keinem konstitutiven Grundrecht ist anscheinend die "Anfechtung" so groß wie bei Art. 4 Abs. 3 GG, "wie Gott darüber zu entscheiden", ob jemand "überhaupt ein Gewissen besitzt und ob es das richtige ist", obwohl die prinzipielle "Verleugnung seiner Glaubwürdigkeit die Verleugnung der Menschenwürde des andern ist" (Adolf Arndt, Politische Reden und Schriften, 1976, S. 145). |
Von einem Verfassungsgebot zur "Prüfung der Gewissensentscheidung" (so das Bundesverwaltungsgericht im zitierten Beschluß vom 6. 2. 1978, gemeint ist die Prüfung der Richtigkeit der Erklärung), damit "nur solche Wehrpflichtigen als Kriegsdienstverweigerer anerkannt werden, bei denen mit hinreichender Sicherheit angenommen werden kann, daß in ihrer Person die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 3 Satz 1 GG erfüllt sind" (so der Senat), kann und darf mithin unter keinen Umständen die Rede sein. Ein Prüfungsverfahren, das die Glaubhaftmachung vorsieht, ohne das unvermeidliche "non liquet" dem Petenten zuzurechnen, mag zulässig und zweckmäßig sein, um Drückebergerei zu begegnen; es steht aber nicht in unserer Verfassung, daß "der die Erfüllung einer Pflicht für die Gemeinschaft fordernde Staat um so weniger" auf die mögliche Feststellung der "Gewissensposition" verzichten könne, "je bedeut samer für die Allgemeinheit und belastender für den Einzelnen die Gemeinschaftspflicht ist, mit der die vorgetragene individuelle Gewissensentscheidung in Konflikt" gerate. Diese politische Zweck-Mittel-Überlegung setzt voraus, daß die Erfüllung der Wehrpflicht belastender als die Verweigerung ist und daß die Anforderungen bei der Verifizierung der Gewissensentscheidung von politischen Bedingungen abhängen dürfen. Ob die Verweigerung des Kriegsdienstes im Einzelfall nicht viel belastender wird, ist eine vom Senat nicht geprüfte Tatfrage. Die Pflege von Kranken kann z.B. viel belastender sein als die Erfüllung der Wehrpflicht! Die Forderung nach einer von der jeweiligen Bedeutung des (Kriegs-)Dienstes abhängigen Prüfungsintensität relativiert den unbedingten Vorrang der Gewissensfreiheit zugunsten einer möglichst gerechten Erfüllung einer einfachgesetzlichen Rechtspflicht. |
Steht aber die allgemeine Wehrpflicht gemäß Art. 12a GG zur Disposition des Gesetzgebers, weil sie selbst kein Verfassungsgebot, sondern nur ein mögliches Mittel zur Erfüllung des Verfassungsgebotes der Verteidigung (vgl. BVerfGE 28, 243 [261]) ist, dann verstößt derjenige, der sich zu Unrecht auf Art. 4 Abs. 3 GG beruft, "nur" gegen ein "einfaches" Gesetz, während die Versagung der Anerkennung eines berechtigten Kriegsdienstverweigerers gegen die Verfassung verstößt (Adolf Arndt, JZ 1960, S. 275). Wie indes ein solcher Verfassungsverstoß mit menschenmöglicher Sicherheit vermieden werden kann, wenn die Prüfungsanforderungen von der "Bedeutsamkeit der Gemeinschaftspflicht für die Allgemeinheit", also von der politischen Beurteilung abhängen dürfen und die "Beweislast" beim Grundrechtsträger liegen darf, ist mir unvorstellbar. Müßte nicht der Verteidigungsfall folgerichtig zu einer faktischen Außerkraftsetzung von Art. 4 Abs. 3 GG führen können, weil der Kriegsdienst dann noch viel "bedeutsamer für die Allgemeinheit und belastender für den Einzelnen" sein könnte?
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Mit nicht geringerer Berechtigung als bei der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen könnte z.B. auch ein Prü fungsverfahren für Abgeordnete eingeführt werden, die sich bei einer "bedeutsamen" Abstimmung unter Berufung auf ihr Gewissen gemäß Art. 38 GG "abweichend" verhalten. Am Ende stünde der totale Parteienstaat. Art. 4 Abs. 1 GG steht auch dem entgegen. |
Die weitere Begründung des Senats für seine Forderung nach einer Regelung, die eine "beliebige" Wehrpflichtverweigerung ausschließe, damit "die Leistung des Wehrdienstes mit der Waffe" weiterhin "als notwendige und hinzunehmende Verpflichtung gegenüber der staatlichen Gemeinschaft allgemein anerkannt" und einer "mißbräuchlichen Berufung auf das Gewissen" vorgebeugt werde, setzt denknotwendig die Annahme voraus, daß die Bürger einer selbstverantwortlichen Gewissensprüfung und -entscheidung ohne "Probe auf die Gewissensentscheidung" im Zweifel nicht fähig seien und eines quasi-curialen officiums bedürfen.
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Solche - symptomatische - Abkehr vom ursprünglichen Menschenbild des Grundgesetzes zugunsten einer zweckgerichteten, nur dem materiellen Ausgleich dienenden (Wehr-)Gerechtigkeit ist durch nichts und keinen Notstand zu rechtfertigen. Für den Verfassungsstaat Bundesrepublik Deutschland gibt es keine andere "Staatsraison" als das Grundgesetz (Adolf Arndt, zum Thema "Verfassungsschutz", in Gesammelte juristische Schriften, 1976, S. 162; DRiZ 1977, S. 139). Der "Ausübung des Grundrechts der Gewissensfreiheit" sind mithin - abgesehen von den Grundrechten anderer - keinesfalls "in gewissem Umfang Schranken gesetzt" (was oft als systemimmanent verklausuliert wird), damit sich nicht jede "Ordnung auflösen" könne - (wie z.B. OLG Stuttgart meint, NJW 1963, S. 776; dagegen bereits BVerfGE 28, 243 [261 f.]) -; denn Art. 4 GG ist mit allen Folgen Teil unserer (geschriebenen) Verfassungsordnung; und diese "unordentliche" Verfassungsordnung geht jedem anderen, vorkonstitutionellen Staatsverständnis vor.
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Die sich auf Art. 3 Abs. 1 GG stützende Forderung nach Wehrgerechtigkeit unter den Wehrpflichtigen hat dies zu beachten. Die allgemeine Wehrpflicht muß zwar möglichst gerecht "durchgeführt", d.h. erfüllt werden, damit die Wehrpflichtigen möglichst gleichmäßig belastet werden, aber die Wahl der Methode zur Erreichung dieses Zieles gebührt dem Gesetzgeber, wobei sich die Kontrolle des Bundesverfassungsgerichts auf Fälle unvernünftiger und sachfremder Differenzierungen zu beschränken hat. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 27. 6. 1974 (BVerfGE 38, 1 [17]) selbst gesagt: |
"Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist es dabei in erster Linie Sache des Gesetzgebers zu bestimmen, was im wesentlichen gleich und was als so verschieden anzusehen ist, daß die Verschiedenheit eine unterschiedliche Behandlung fordert. Die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit ist erst verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender, ein sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt und deshalb die gesetzliche Regelung als willkürlich bezeichnet werden muß. Ob der Gesetzgeber im einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste, gerechteste oder überhaupt eine vernünftige Lösung gefunden hat, hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu prüfen."
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Von solcher Willkür kann hier keine Rede sein. Auch der Senat sagt, er halte daran fest, daß der Gesetzgeber "das herkömmliche Anerkennungsverfahren durch eine nach seiner Vorstellung geeignete Alternative ersetzen" könne; er billigt sogar prinzipiell den Weg der Novelle, so daß er für seine Annahme der Willkür auf Mutmaßungen über die tatsächlichen Auswirkungen der Novelle angewiesen ist. Das ist (nach ständiger Rechtsprechung, BVerfGE 25, 1 und 30, 250) unzulässig. Außerdem schafft nicht die auf Art. 4 Abs. 3 GG basierende und damit "sachgerecht" differenzierende Novelle etwaige "Wehrungerechtigkeit", sondern der Lügner, der sich ähnlich dem Steuerhinterzieher der Erfüllung der Gemeinschaftspflicht (auf Kosten anderer) entzieht. Daß die Novelle einem Miß brauch des Art. 4 Abs. 3 GG besser hätte vorbeugen können, um ein Weniger an möglicher Ungleichbehandlung zu erstreben, macht sie nicht verfassungswidrig; denn selbst wenn ein zweckgerechtes Gesetz "auch Verhaltensweisen zuläßt, die der Absicht des Gesetzgebers zuwiderlaufen", kann es nicht wegen dieser Mißbrauchsmöglichkeit als "zweckuntauglich und deshalb mit dem Grundgesetz unvereinbar" angesehen werden (so Beschluß des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 17. 1. 1978 - 1 BvL 13/76 -; ferner BVerfGE 30, 250 [263] und Simons, Präs. des Reichsgerichts, zit. von Smend [vgl. Schramm, DRiZ 1976, S. 294]: "... die Prüfung der Frage nach der politischen Zweckmäßigkeit muß dagegen der Verfassungsrichter dem Gesetzgeber überlassen."). Dieser Senat hat selbst noch am 9. 3. 1971 (BVerfGE 30, 250 [263]) gesagt: "Die Zielsetzung und die Bestimmung des geeigneten Mittels setzen eine politische Entscheidung voraus ... Da die Entwicklung sich nicht genau vorausberechnen läßt ..., ... müssen Irrtümer ... in Kauf genommen werden. Eine gesetzliche Maßnahme kann nicht schon deshalb als verfassungswidrig angesehen werden, weil sie auf einer Fehlprognose beruht (BVerfGE 25, 1 [12 f.])." Der Senat setzt sich zu diesem, von ihm selbst aufgestellten Grundsatz in offenen Widerspruch, wenn er nunmehr die Novelle wegen einer Fehlprognose des Gesetzgebers, die dazu noch evident sein soll, für verfassungswidrig erklärt. Dies mutet um so widersprüchlicher an, als es der Senat in der Hand gehabt hätte, das Inkrafttreten der Novelle am 1. August 1977 zu verhindern, weil der Antrag der Antragsteller bereits im Juli 1977 vorgelegen hatte. |
"Zweckuntauglichkeit" wäre zudem kein Kriterium für einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, sondern allenfalls dann ein Indiz für Verfassungswidrigkeit, wenn sie einem Gesetz anhaftete, das in persönliche Freiheitsrechte eingriffe (so auch der vorgenannte Beschluß des Ersten Senats). Der Zweck der Novelle galt der Ausführung von Art. 4 Abs. 3 GG; und daß das Grundrecht aus Art. 4 Abs. 3 GG geschmälert worden wäre, sagt selbst der Zweite Senat nicht. |
Von Zwecktauglichkeit und Verfassungswidrigkeit war im übrigen auch nicht die Rede, als "die Fraktion der CDU/CSU vorgeschlagen" hatte, "das Verfahren" (der Anerkennung von Kriegsdienstverweigerern) "grundsätzlich beizubehalten, es aber zu verbessern und zu beschleunigen"; es sollte "das Kreiswehrersatzamt die Gewissensentscheidung eines Antragstellers nur dann prüfen, wenn er als Soldat benötigt" werde; "andernfalls, je nach Bedarf des Zivildienstes", sollte "der Antragsteller ohne Prüfung zum Zivildienst einberufen werden" (Weißbuch 1975/1976 der Bundesregierung, Zur Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und zur Entwicklung der Bundeswehr, S. 159).
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Im übrigen könnte eine zu extensive Auslegung von Art. 3 Abs. 1 GG zu Konsequenzen führen, die der Senat selbst kaum will: Sieht man in Art. 3 Abs. 1 GG nicht nur ein Element der Gerechtigkeit (BVerfGE 21, 362 [372]), sondern die grundrechtliche Garantie der "Gerechtigkeit" schlechthin (vgl. indes Rinck, JZ 1963, S. 521 [525] zur "Inhaltsarmut" von Art. 3 Abs. 1 GG und zum ständigen Rekurs auf die "fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft"; ferner BVerfGE 42, 64 mit dissenting vote von Geiger; Hirsch, EuGRZ 1977, S. 516), dann müßte das Verfassungsgericht künftig bei allen Abweichungen von der "Gerechtigkeit", wie es sie versteht, eingreifen und so dem geflügelten Wort von Oliver Wendell Holmes folgen: "The prophecies of what the courts will do in fact, and nothing more pretentious, are what I mean by the Law!"
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(ähnlich Forsthoff [in "Zur heutigen Situation einer Verfassungslehre", Festgabe für Carl Schmitt, 1968, S. 189]: "Nicht exegetische oder logische Erwägungen, sondern allein die Präjudizien des Bundesverfassungsgerichts belehren darüber, was Gleichheit und Willkür im konkreten Fall bedeuten."). Dieser Weg wäre im Sinne einer "realistischen Rechtsschule" schlüssig, weil ein neuer Weg gefunden wäre, zu Gesetzen zu kommen, die nicht nur "willkürfrei" wären, sondern - entsprechend dem für einen "demokratischen" Gesetzgeber unerfüllbaren Gebot - "in jeder Hinsicht sachgemäß und gerecht sind" (Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 9. Aufl., 1976, S. 179). So hätte die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur die Funktion des "letzten Wortes", sondern auch die des richtigen und damit "gerechten" Wahrspruches. Und Rechtsphilosophie bräuchte außerhalb der Verfassungsgerichtsbarkeit nicht länger "im Stande der Frage auszuharren" (Erik Wolf, a.a.O., Rechtsphilosophische Studien, S. 138). |
Mit solchen "Grenzüberschreitungen" (vgl. Hirsch, DRiZ 1977, S. 225 ff., sowie Billing, Das Problem der Richterwahl zum Bundesverfassungsgericht, 1969, S. 71, 114 ff., 220 ff.) würde indes gegen den Normzweck verstoßen, wie er sich aus den Art. 92, 93 in Verbindung mit Art. 20 GG und § 1 BVerfGG ergibt (vgl. BVerfGE 46, 160 - Schleyer-Fall -; BVerfGE 39, 1 - § 218-Entscheidung - mit abweichender Meinung von Rupp-v. Brünneck und Simon, a.a.O., S. 68 ff.). Es wäre das Ende der Verfassungsgerichtsbarkeit, wie sie sich aus Art. 76, 77 der Reichsverfassung von 1871 und Art. 19 WRV entwickelt hat und 1949 gedacht war. Wenn der Zweite Senat nunmehr das absolut vorrangige und vorbehaltlose Grundrecht der Gewissensfreiheit über das "Gerechtigkeitsgebot" des Art. 3 Abs. 1 GG faktisch zugunsten einer angeblich verfassungsrelevanten Verteidigungsbereitschaft (Stein, JZ 1978, S. 137 [139 f.]; Kalkbrenner, BayVBl. 1978, S. 81) relativiert, dann ist dies "der Weg von der Freiheit über die institutionelle Sinnerfüllung zur Pflicht", also die Rechtfertigung für eine "rechtserhebliche Differenzierung zwischen wertverwirklichendem und wertgefährdendem Freiheitsgebrauch"; "... die einzelne Freiheit ist damit relativiert", weil sie dem wechselnden politischen Werturteil "unterworfen" ist (Böckenförde, Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation, NJW 1974, S. 1529 [1533 f.]; ebenso Ossenbühl, Die Interpretation der Grundrechte in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in NJW 1976, S. 2100 [2104]). Genau diese politische Wertung unternimmt der Senat, wenn er die Notwendigkeit des Prüfungsverfahrens von der "Bedeutung" des Wehrdienstes für die Allgemeinheit abhängig macht. Diese Nichtbeachtung des "judical-self-restraint" im Sinne einer Bescheidung auf eine gerichtsförmige Kontrollfunktion zwecks "Einhaltung der durch die Verfassung vorgegebenen Grenzfestlegungen" birgt die Gefahr in sich, daß sich das Verfassungsgericht zu einer das Demokratie- und Gewaltenteilungsprinzip überlagernden "Verfassungsgesetzgebungsinstanz" entwickelt und damit vom "Hüter" zum (unkontrollierbaren) "Herrn" der Verfassung wird (so Böckenförde, Die Methoden der Verfassungsinterpretation ..., NJW 1976, S. 2089 [2099], unter Bezug auf Geiger; wegen der weiteren Folgen vgl. auch Stein, a.a.O.; ebenso Forsthoff, a.a.O.). |
III. |
Aber selbst wenn man die Novelle wegen der möglichen tatsächlichen Auswirkungen auf die Wehrpflichtigen (nur darauf könnte es ankommen!) für bedenklich hielte, bliebe zu prüfen, ob es nötig wäre, die Novelle im ganzen für verfassungswidrig zu erklären, oder ob eine "Appellentscheidung" genügte; denn letztlich wäre nicht die neue Regelung verfassungswidrig, sondern das Verhalten sogenannter "unechter" Kriegsdienstverweigerer. Die Frage, wie ihnen am besten beizukommen wäre, ob mit Hilfe einer "Gewissensprüfung" oder mit Hilfe des Strafrechts oder des Abgabenrechts ("Wehrabgabe"), wäre nach der "gewaltenteilenden Verfassungsordnung des Grundgesetzes" zuvörderst vom Gesetzgeber zu entscheiden. Insoweit würde sich die sonst (z.B. beim Freiheitsentzug der Strafgefangenen oder bei der Kürzung der Witwerrente [BVerfGE 39, 169 ff.]) gepflogene Zurückhaltung empfohlen haben.
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Der Senat selbst hat den gesetzgeberischen Versuch, mit Hilfe der "lästigen" Alternative des Ersatzdienstes eine "Probe der Gewissensentscheidung" (gemeint ist eine Probe der Echtheit) zu schaffen, nicht als per se verfassungswidrig bezeichnet, obwohl der Zwang, "Sanktionen" zur Verifizierung einer Gewissensentscheidung "in Kauf nehmen" zu lassen (Vorschlag von Flor, NJW 1957, S. 243 [246]), primär den "Gehorsam" und nicht das Grundgesetz zur "Grundlage staatlicher Ordnung" (so Flor) erhebt, sondern nur unter den angeblich obwaltenden Umständen für untauglich erklärt (wenngleich an anderer Stelle dem Ersatzdienst die Qualität einer zulässigen Alternative zum Wehrdienst abgesprochen wird). Es ist also nicht erfindlich, warum nicht eine Auflage zur Erweiterung der Ersatzdienstmöglichkeiten gemacht oder eine Toleranzgrenze für die Ausübung des Verordnungsrechts gemäß § 25a Abs. 2 WpflG in der Fassung der Novelle aufgezeigt werden konnte. Das Verhältnismäßigkeitsgebot der Verfassung hätte solche verfassungsgerichtliche Zurückhaltung nahelegen können; es sei denn, diese Verordnungsermächtigung wäre (ebenfalls per se) verfassungswidrig. Eine dahingehende Feststellung hat der Senat aber nicht getroffen, sondern die Vorschrift nur mit Hilfe der nicht näher substantiierten These von der "untrennbaren Einheit" in sein Urteil einbezogen. Ich sehe auch keinen Anlaß, an der Verfassungsgemäßheit der Ermächtigung zu zweifeln, selbst wenn man - unter den nicht einheitlichen Erkenntnissen - die restriktivste Interpretation des Art. 80 Abs. 1 GG als Maßstab nimmt (vgl. BVerfGE 7, 282 [302]; 19, 354 [361 f.]; Fröhler- Mörtel, die Probleme der Verordnungsermächtigung nach Art. 80 GG ..., 1976, S. 46 ff.). |
Wenn der Senat die Zulässigkeit eines Ersatzdienstes als Alternative nicht verneint hat, sofern es eine "reale" und "lästige" Alternative sei, so "daß mit 'unechten' Kriegsdienstverweigerern nicht mehr gerechnet zu werden" bräuchte, dann hätte näher erörtert werden müssen, was der Senat an anderer Stelle über die Motive zur Einführung des Ersatzdienstes berichtet. Danach könnte nämlich der Ersatzdienst für die berechtigten Kriegsdienstverweigerer zu einer Diskriminierung beitragen, falls er ein Sammelbecken für "Drückeberger" würde. Insofern könnte sich der Ersatzdienst zu einer "Beeinträchtigung der Gewissensentscheidung" im Sinne von Art. 12a GG entwickeln und damit den Sinn der Novelle, nämlich dem Schutz des Grundrechts aus Art. 4 Abs. 3 GG besser zu dienen, in sein Gegenteil verkehren. Dann wäre in der Tat die Frage der verfassungsrelevanten Zwecktauglichkeit aktuell. Unter Zugrundelegung der nach der Senatsmeinung "obwaltenden Umstände" hätte die Annahme einer gegen Art. 4 Abs. 3 GG verstoßenden Regelung nahegelegen. Für die Annahme solcher Fallgestaltung fehlen jedoch bislang alle Belege: |
Aus dem Schriftsatz des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 29. 11. 1977 ergibt sich, daß von 1974 bis zum Inkrafttreten der Novelle durchschnittlich mindestens 25 % der Kriegsdienstverweigerer nicht einberufen werden konnten. Bis zum 31. 7. 1977 gab es 107 424 dienstpflichtige anerkannte Kriegsdienstverweigerer. Nach Abzug der Erfahrungsquote von gut 25 % Einberufungsunfähiger blieben rund 75 000. Diesen "Überhang" hat man - wie im Bundestag betont und in der Verhandlung vor dem Senat bestätigt worden ist - nicht abgebaut, um bei einem etwaigen Steigen der Zahl der Kriegsdienstverweigerer nach neuem Recht sich durch deren möglichst vollzählige Einberufung vor "Drückebergern" zu schützen.
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Tatsächlich haben vom 1. 8. 1977 bis zum 30. 11. 1977 gemäß dem Schriftsatz des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 12. 12. 1977 (dessen Richtigkeit nicht zu bezweifeln ist und der angesichts der Offizialmaxime gemäß § 26 BVerfGG nach erfolgter Anhörung der Gegenseite auch verwendbar ist) 28 597 ungediente Wehrpflichtige eine Erklärung gemäß § 25a Abs. 1 WpflG in der Fassung der Novelle abgegeben. Davon waren bis zum 30. 11. 1977 für den Zivildienst 6439 Personen effektiv verfügbar. Von diesen verfügbaren Kriegsdienstverweigerern wurden 5416 tatsächlich einberufen (= 84 %), während bei weiteren 1023 die Einberufung bevorstand. Das ergibt eine vorläufige Einberufungsquote von fast 100 % der verfügbaren Kriegsdienstverweigerer, was seitens der Bundesregierung unverständlicherweise nie öffentlich bekanntgemacht worden ist. Dabei ist noch zu bedenken, daß dem Bundesamt für den Zivildienst am 30. 11. 1977 seitens der Militärverwaltung erst von 18 502 Kriegsdienstverweigerern (von insgesamt 28 597) die Personalakten vorlagen. |
Bei einem Monatsdurchschnitt von 7000 Kriegsdienstverweigerern zwischen dem 1. 8. 1977 und dem 30. 11. 1977 ergibt sich ohne Rücksicht auf den "Anfangsboom" eine Jahresquote von rund 84 000 Kriegsdienstverweigerern und bei einer Verfügbarkeit von 75 % ein Jahresbedarf an Dienstplätzen von rund 63 000. Wenn die Bundesregierung am 18. 1. 1978 beschlossen hatte, bis 1980 (von bisher über 30 000 Plätzen) insgesamt 60 000 Zivildienstplätze bereitzustellen und darüber hinaus die Schaffung zusätzlicher Plätze zu fördern, dann sprach alles dafür, daß es zu einer nahezu vollständigen Erfassung der Kriegsdienstverweigerer und damit auf Dauer zu einer "lästigen Alternative" gekommen wäre. Sogar der "Überhang" nach altem Recht hätte eine Einberufungschance erhalten. Jedenfalls geht es bei einem rechnerischen "Test" nach neuem Recht nicht an, jenen "Überhang" sogleich und total in die Zweck-Mittel- Kalkulation des neuen Gesetzes einzubeziehen, zumal die nach altem Recht anerkannten Kriegsdienstverweigerer der "Drohung" mit dem Ersatzdienst als "Probe" der Gewissensentscheidung nicht bedurften. Das gleiche dürfte zumindest weitgehend für die Antragsteller gelten, die vor dem Inkrafttreten der Novelle noch nicht rechtskräftig anerkannt waren. Dieser Personenkreis kann nicht zu den "Drückebergern" gerechnet werden. Folglich kann von einer Sinnverkehrung des Ersatzdienstes keine Rede sein.
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IV. |
Abgesehen von allen sonstigen rechtlichen Erwägungen bleibt zu beachten: Bei einer zahlenmäßigen Erweiterung der Ersatz dienstmöglichkeiten und deren zunehmender Wahrnehmung - bei Anwendung der Novelle - wäre sowohl bei den Wehrwilligen als auch bei den Kriegsdienstverweigerern ein höherer Prozentsatz eingezogen worden. Insgesamt wäre die Lastenverteilung "gerechter" gewesen. |
V. |
Ich halte die Zustimmungsbedürftigkeit der Novelle durch den Bundesrat für nicht erforderlich. Art. 87b GG stellt einen Sonderfall zu Art. 83 GG dar (vgl. Maunz-Dürig-Herzog- Scholz, GG, Rdnr. 5 ff. zu Art. 87b). Die Novelle zum Wehrpflichtgesetz betraf das Gebiet der "Verteidigung" und änderte ein Gesetz, das mit Zustimmung des Bundesrates ergangen war, was für sich allein keine Zustimmungsbedürftigkeit auslösen konnte (BVerfGE 37, 363). Auch die Novelle zum Zivildienstgesetz änderte nichts im Kompetenzbereich der Länder, sondern nur im unmittelbaren Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Es fand auch keine erneute "Systemverschiebung" zu Lasten der Länder statt. Die Möglichkeit allein der zeitweiligen Verschiebung quantitativer Geschäftsbelastung zwischen Kreiswehrersatzämtern und Prüfungsgremien, die ohnehin zur bundeseigenen Verwaltung gehören, kann das Interesse der Länder erst recht nicht berühren. Die nicht ganz entfernt liegende Möglichkeit einer Zunahme des Umfangs des Zivildienstes mit der Folge, daß der Bund auf die Hilfe der Länder angewiesen sein könnte, kann jedenfalls unter den tatsächlich "obwaltenden Umständen" außer Betracht bleiben. Auch von einer "qualitativen" Veränderung des Ersatzdienstes könnte nur dann die Rede sein, wenn er sich nicht mehr unter Art. 12a GG subsumieren ließe. Das aber hat der Senat selbst nicht eindeutig festgestellt; denn bei größerer Lästigkeit oder lückenloser Heranziehung hält es der Senat für zulässig, daß der Ersatzdienst im Sinne von Art. 12a GG "als einzige Probe auf die Gewissensentscheidung eingesetzt" wird. Die Differenz zur beanstandeten Regelung besteht also allenfalls darin, daß der Ersatzdienst einer unterschiedlich großen, aber stets unbekannten Zahl "unechter" Kriegsdienstverweigerer zugänglich ist (es sei denn, man hält den Gesetzesmißbrauch für die Regel menschlichen Verhaltens). Diese nicht verifizierbare Entwicklungsmöglichkeit reicht für die richterliche Feststellung einer "grundlegenden Umgestaltung des Zivildienstes" nicht aus. Es wäre eher an eine verfassungsrelevante Änderung des Zivildienstes zu denken, wenn er - im Anschluß an das obiter dictum des Senats zur sogenannten "lästigen" Alternative - "in einen paramilitärischen Arbeitsdienst umgestaltet" würde, der mehr lästig als sozial hilfreich wäre. |
Fehlt es aber bislang an einer feststellbaren rechtlichen und tatsächlichen Änderung der Qualität des Zivildienstes in bezug auf Art. 12a GG, dann ist für die Annahme einer Kompetenzverletzung kein Raum.
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Für mich kann es danach dahinstehen, ob der Senat nicht auch das Verhalten des Bundesrates unter dem Gesichtspunkt des Gebotes zu "bundesfreundlichem Verhalten" und des Verbots des "Rechtsmißbrauchs" (vgl. BVerfGE 12, 205 [255 ff.]) auf seine Folgen hätte prüfen müssen.
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Hirsch |